Der lachende Mann - Vollständige Ausgabe - Victor Hugo - E-Book

Der lachende Mann - Vollständige Ausgabe E-Book

Victor Hugo

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Beschreibung

"Er war das Erzeugnis des Verhängnisses und der Vorsehung. Das Unglück hatte seine Hand auf ihn gelegt und das Glück auch. Zwei entgegengesetzte Schicksale bildeten sein seltsames Los. Ein Fluch lag auf ihm und ein Segen. Er war verworfen und auserwählt. Wer war er? Er wusste es nicht. Wenn er sich betrachtete, so sah er einen Unbekannten. Aber dieser Unbekannte war grausig. Gwynplaine lebte wie in einem Zustande des Geköpftseins; er trug ein Gesicht, das ihm nicht gehörte. Dies Gesicht war schrecklich, so schrecklich, dass es amüsant war. Er erregte solche Furcht, dass er Lachen erregte. Er war ein teuflischer Possenreißer." Der zehnjährige Gwynplaine, seines väterlichen Erbes beraubt, grausam entstellt und während eines Schneesturms am Strand ausgesetzt, überlebt wider alles Erwarten. Bei einem umherziehenden Gaukler findet er ein Zuhause, wächst heran, wird zum Publikumsmagneten und begegnet seiner großen Liebe. Doch dann bricht das Unerwartete über ihn herein ... Eingehüllt in eine Anklage gegen die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in Großbritanniens politischem System, entfaltet sich anhand der Geschichte des jungen Gwynplaine ein philosophisches Meisterwerk voller Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, die exemplarische Schilderung einer tragischen Entwicklung, eines Mannes, der unschuldig zum Spielball seines Geschickes wird. Vollständige Ausgabe, 4 Bände in einem Band. Sorgfältig mit dem französischen Original abgeglichene und sprachlich schonend überarbeitete Neuausgabe der Übersetzung von Georg Büchmann aus dem Jahre 1869.

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Inhalt des ersten Bandes.

Vorrede.

Zwei einleitende Kapitel.

Ursus.

Die Comprachicos.

Erstes Buch.

Die Nacht nicht so schwarz als der Mensch.

Die Südspitze von Portland.

Verstoßen.

Verlassen.

Fragen.

Der Baum, den die Menschen erfunden haben.

Kampf zwischen dem Tod und der Nacht.

Die Nordspitze von Portland.

Zweites Buch.

Die Urca auf hoher See.

Gesetze, welche der Mensch nicht gibt.

Ausführung früherer Skizzen.

Unruhige Menschen auf unruhiger See.

Eine neue Wolke.

Hardquannone.

Ist ihnen geholfen?

Heiliges Grauen.

Nix et Nox.

Ein Amt des wütenden Meeres.

Wilder Sturm.

Die Casquets.

Kampf mit der Klippe.

Der Nacht gegenüber.

Ortach.

Portentosum mare.

Rätselhafte Wonne.

Die letzte Rettung.

Die allerletzte Rettung.

Drittes Buch.

Das Kind in der Finsternis.

Chess-Hill.

Wie der Schnee wirkt.

Schmerzensweg, neue Last.

Die Einöde in anderer Form.

Wie sich der Menschenhaß offenbart.

Das Erwachen.

Inhalt des zweiten Bandes.

Erstes Buch.

Ewige Gegenwart der Vergangenheit; der Mensch spiegelt sich in dem Menschen wieder.

Lord Clancharlie.

Lord David Dirry-Moir.

Herzogin Josiane.

Magister elegantiarum.

Königin Anna.

Barkilphedro.

Barkilphedro bohrt sich durch.

Inferi.

Haß so stark als Liebe.

Wenn der Mensch durchsichtig wäre.

Barkilphedro auf der Lauer.

Schottland, England und Irland.

Zweites Buch.

Gwynplaine und Dea.

Von Angesicht.

Dea.

Sie hat keine Augen und sieht.

Die müssen wohl beide füreinander sein.

Blaue Wolke am schwarzen Himmel.

Ursus als Lehrer und Erzieher.

Die Blindheit gibt Stunden im Hellsehen.

Nicht bloß Glück, sondern Wohlstand.

Was geschmacklose Leute Poesie nennen.

Blick des Ausgestoßenen auf Dinge und Menschen.

Gwynplaine hat recht, Ursus nicht unrecht.

Der Dichter geht mit dem Philosophen durch.

Inhalt des dritten Bandes.

Drittes Buch.

Das Glück bekommt einen Sprung.

Das Wirtshaus Tadcaster.

Beredsamkeit unter freiem Himmel.

Der Vorübergehende noch einmal.

Verbrüderung der Gegensätze im Haß.

Der Wapentake.

Verhör der Maus durch die Katzen.

Warum macht sich das Goldstück mit Kupfermünzen gemein?

Vergiftungssymptome.

Abyssus abyssum vocat.

Viertes Buch.

Der Folterkeller.

Die Versuchung des heiligen Gwynplaine.

Vom Zarten zum Strengen.

Lex, rex, fex.

Ursus belauert die Polizei.

Ein schlimmer Ort.

Ehemalige Behörden unter ehemaligen Perücken.

Schrecken.

Stöhnen.

Fünftes Buch.

Meer und Schicksal von demselben Hauche bewegt.

Festigkeit des Zerbrechlichen.

Was umherirrt, irrt nicht.

Kein Mensch würde plötzlich von Sibirien nach dem Senegal übergehen, ohne ohnmächtig zu werden. (Humboldt)

Verzaubert.

Man glaubt sich zu erinnern; man vergißt.

Inhalt des vierten Bandes.

Sechstes Buch.

Ursus in seiner Vielseitigkeit.

Was der Misanthrop sagt.

Was der Misanthrop tut.

Verwickelungen.

Moenibus surdis campana muta.

Die Staatsraison arbeitet im Großen wie im Kleinen.

Siebentes Buch.

Die Titanin.

Erwachen.

Ein Schloß gleicht einem Walde.

Eva.

Satan.

Man erkennt sich, aber kennt sich nicht.

Achtes Buch.

Das Kapitol und seine Umgebung.

Sezierung des Majestätischen.

Unparteilichkeit.

Der alte Saal.

Das alte Haus.

Erlauchte Klatscherei.

Oberhaus und Unterhaus.

Stürmische Menschen sind schlimmer als die stürmische See.

Ein guter Sohn, daher kein guter Bruder.

Neuntes Buch.

Sturz.

Vom Übermaß der Größe zum Übermaß des Jammers.

Was übrig blieb.

Schluß.

Das Meer und die Nacht.

Hund und Engel.

Barkilphedro zielte nach dem Adler und traf die Taube.

Das hienieden wiedergefundene Paradies.

Nein, dort oben!

Erster Band.

Vorrede.

A LLES was aus England kommt, ist groß, selbst das was nicht gut ist, selbst die Oligarchie. Das englische Patriziertum ist das einzig wahre Patriziertum. Es gibt keinen erlauchteren, keinen schrecklicheren, keinen lebensfähigeren Feudalismus. Ja, dieser Feudalismus ist zu seiner Zeit nützlich gewesen. In England will das Phänomen des Herrentums studiert werden, ebenso wie man in Frankreich das Phänomen des Königtums studieren muß.

Der wahre Titel dieses Buches würde „die Aristokratie“ sein. Ein anderes Buch, welches ihm folgen wird, wird „die Monarchie“ betitelt werden können. Und diese beiden Bücher werden, wenn es dem Verfasser beschieden ist, diese Arbeit zu vollenden, die Vorläufer eines dritten sein, welches den Titel „Dreiundneunzig“ führen wird.

Hauteville-House, 1869.

Erster Teil.

Das Meer und die Nacht.

Ursus

I.

URSUS und Homo waren vertraute Freunde geworden. Ursus war ein Mensch, Homo ein Wolf. Sie hatten gefunden, daß ihr Wesen einander zusagte. Der Mensch hatte dem Wolf den Namen gegeben; wahrscheinlich hatte er sich auch seinen eigenen Namen selbst gewählt; wie er Ursus für sich passend gefunden hatte, so hatte er Homo für das Tier passend gefunden. Vermöge des Bedürfnisses, welches die Menge empfindet, Albernheiten mitanzuhören und Quacksalbereien zu kaufen, warf die Assoziation zwischen diesem Menschen und diesem Wolfe auf Jahrmärkten, Kirchweihfesten und an volkreichen Straßenecken etwas ab. Dieser gelehrige und sich mit Grazie fügende Wolf gefiel den Leuten. Zähmen sehen ist angenehm. Es ist ein Hochgenuß, es mitanzuschauen, wie allerlei zahmgemachte Dinge an uns vorüberziehen. Daher kommt es, daß sich so viele Menschen dort aufstellen, wo königliche Personen vorbei müssen.

Ursus und Homo zogen von Kreuzweg zu Kreuzweg, von den öffentlichen Plätzen in Aberystwith nach den öffentlichen Plätzen in Veddburg, von Provinz zu Provinz, von Grafschaft zu Grafschaft. War ein Markt erschöpft, so gingen sie nach einem andern. Ursus bewohnte eine auf Rädern befestigte Bude, welche der hinlänglich zivilisierte Homo bei Tage zog und nachts bewachte. Auf schlimmen Wegen, wenn es bergan ging, oder wo das Geleise tief eingefahren war und der Kot hoch lag, schnallte sich der Mensch den Riemen um und zog brüderlich neben dem Wolfe. So waren sie miteinander alt geworden. Sie übernachteten, wie es kam, auf einem Brachfeld, in einer Waldlichtung, wo sich Landstraßen kreuzten, vor Dörfern, vor den Toren kleiner Städte, in Markthallen, auf öffentlichen Spielplätzen, am Saum eines Waldes, auf Kirchhöfen. Wenn die Räderbude auf irgendeinem Jahrmarkt stillstand, die alten Weiber offenen Mundes herbeieilten und die Neugierigen sich im Kreise aufgestellt hatten, dann hielt Ursus eine Standrede, und Homo bezeugte seinen Beifall. Homo ging mit einem Trog im Rachen bei den Umstehenden umher und sammelte höflich ein. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt. Der Wolf war gebildet, der Mensch auch. Der Wolf war von dem Menschen, oder vielleicht ganz allein durch sich, zu verschiedenen wölfischen Kunststückchen abgerichtet, welche die Einnahmen vermehrten. – „Vor allen Dingen arte nicht zu einem Menschen aus“, pflegte sein Freund zu ihm zu sagen.

Der Wolf biß nie, der Mensch mitunter; er beanspruchte wenigstens die Berechtigung zum Beißen. Ursus war ein Menschenfeind, und um seine Menschenfeindlichkeit kundzugeben, war er Taschenspieler geworden; freilich auch, um zu leben; denn der Magen stellt gebieterische Bedingungen. Noch mehr, dieser menschenfeindliche Taschenspieler, entweder um der Vielseitigkeit willen, oder um seine Eigenschaften zu vervollständigen, war Arzt. Arzt will wenig sagen. Ursus war Bauchredner. Man sah ihn sprechen, ohne daß er den Mund verzog. Er bildete bis zur Täuschung Ton und Aussprache des ersten besten Menschen nach; er ahmte die Stimmen so nach, daß man die verschiedenen Personen zu hören glaubte. Ganz allein und ohne Beihilfe stellte er den Lärm einer Menschenmenge dar, was ihm ein Anrecht auf den Titel eines Engastrimythen gab, welchen er annahm. Er machte die Stimmen allerlei Vögel nach, Drossel, Kriechente, Lerche, Schildamsel, lauter Strichvögel wie er selbst, so daß er ganz nach Belieben erst einen öffentlichen von Menschenlärm erfüllten Platz und gleich darauf eine Wiese mit Tierstimmen darstellte, bald stürmisch wie eine Menge, bald kindlich und heiter wie die Morgendämmerung. Übrigens gibt es solche Talente, wenn sie auch selten sind. Im vorigen Jahrhundert hielt sich Buffon als Menagerie einen gewissen Touzel, welcher den wirren Lärm einer aus Tieren und Menschen gemischten Schar und jedes Tiergeschrei nachmachen konnte. Ursus war scharfsinnig, absonderlich, neugierig und zu jenen seltsamen Erklärungen geneigt, die wir Flausen nennen. Er tat so, als ob er daran glaube. Diese Unverschämtheit machte einen Teil seiner Bosheit aus. Er beschaute die Linien der Hand, er schlug aufs Geratewohl Bücher auf und verkündete aus dem Inhalt der aufgeschlagenen Stellen die Zukunft, er sagte wahr, er lehrte, es sei gefährlich, einer schwarzen Stute zu begegnen und noch gefährlicher, wenn man im Augenblick der Abreise von jemanden, der nicht weiß, wo man hinreist, beim Namen gerufen wird. Er nannte sich „Aberglaubenhändler.“ Er pflegte zu sagen: „Zwischen mir und dem Erzbischof von Canterbury ist der Unterschied, daß ich meine Flausen zugestehe“, so daß der mit Recht erzürnte Erzbischof ihn eines Tages vorladen ließ; aber Ursus entwaffnete Seine Hochwürden mit Geschick dadurch, daß er derselben eine, von ihm, Ursus, verfaßte Predigt über das heilige Weihnachtsfest vorlas, welche der davon entzückte Erzbischof auswendig lernte, auf der Kanzel vortrug, und als von ihm, dem Erzbischof verfaßt, herausgab. Um diesen Preis erhielt Ursus Vergebung. Als Arzt machte Ursus glückliche Kuren, weil er oder obgleich er keiner war. Er wendete gewürzhafte Stoffe an. Er wußte mit medizinellen Pflanzen Bescheid. Er benutzte die geheime Kraft, die in einer Menge für wertlos gehaltener Gewächse steckt; er beutete Schlingbaum, Faulbaum, Mehlbaum, Kreuzdorn, Windbaum und Weißdorn aus; die Schwindsucht kurierte er mit dem Strauche Sonnentau; mit Erfolg verordnete er die Blätter der Wolfsmilch, welche, an der Wurzel ausgerissen als Abführmittel, an der Krone ausgerissen als Brechmittel wirkt; gegen Halsschmerzen gab er einen Baumpilz, den sogenannten Ohrenschwamm ein, er wußte, welche Art Binse den kranken Ochsen, und welche Art Münze das kranke Pferd gesund macht; er kannte alle Geheimnisse der Alraunwurzel, welche, wie jedermann weiß, sowohl ein Männlein wie auch ein Fräulein ist. Er hatte seine Rezepte, Brandwunden heilte er mit Amiant oder Bergflachs, aus welchem Stoffe Nero, wie Plinius berichtet, eine Serviette besaß. Er war im Besitz einer Retorte und eines Kolben; er verwandelte edle Metalle in unedle; er verkaufte Universalmittel. Man erzählte von ihm, daß er früher einmal auf kurze Zeit im Irrenhause gewesen wäre; man hatte ihm die Ehre angetan, ihn für verrückt zu halten; aber man hatte ihn wieder laufen lassen, da man die Wahrnehmung machte, daß er nur ein Dichter sei. Wahrscheinlich war die Geschichte erfunden; wir alle müssen solche Märchen über uns ergehen lassen. In Wirklichkeit war Ursus ein Vielwisser, ein Mann von Geschmack, der lateinische Verse machte. Er war gelehrt in beiderlei Gestalten; er war ein Schüler des Hippokrates und des Pindar. In Schwulst hätte er es mit einem Rapin und einem Vida aufgenommen. Er wäre imstande gewesen, Jesuitentragödien trotz eines Paters Bouhours zu dichten. Ein Ergebnis seiner vertrauten Bekanntschaft mit den ehrwürdigen Rhythmen und Versfüßen der Alten war, daß ihm Bilder und eine Menge klassischer Metaphern zu Gebote standen, die ihm eigentümlich waren. Er sagte von einer Mutter, vor welcher ihre beiden Töchter einherschritten: „Das ist ein Daktylus“, von einem Vater, dem seine beiden Söhne folgten: „Das ist ein Anapaest“, und von einem kleinen Kinde, das in der Mitte zwischen Großvater und Großmutter ging: „Das ist ein Amphimacer.“ So viel Gelehrsamkeit mußte zum Hungerleiden führen. Die Schule von Salerno sagt: „Iß wenig und oft.“ Ursus, der einen Hälfte dieser Vorschrift gehorchend und der andern nicht, aß wenig und selten; aber daran war das Publikum schuld, das nicht immer herbeiströmte und nicht häufig kaufte.

Ursus pflegte zu sagen: „Eine Sentenz von sich geben, verschafft Erleichterung. Den Wolf tröstet das Heulen, das Schaf die Wolle, den Wald die Grasmücke, das Weib die Liebe, den Philosophen das geflügelte Wort. Im Notfalle fabrizierte Ursus Schauspiele, welche er aufführte, so gut es eben gehen wollte; das ist ein Mittel, um schlechter Ware Absatz zu verschaffen. Unter andern hatte er ein Helden- und Schäferspiel zu Ehren eines Sir Hugh Middleton verfaßt, der im Jahre 1608 einen Fluß nach London brachte. Dieser Fluß floß ruhig in der Grafschaft Hertford, sechzig Meilen von London; Ritter Middleton kam und holte ihn; er brachte eine Mannschaft von sechshundert Leuten, mit Schaufeln und Hacken bewaffnet, mit; er fing an die Erde umzuwühlen, die er hier zu einer Tiefe von dreißig Fuß ausgrub, dort zu einer Höhe von zwanzig aufschüttete; er baute hoch in der Luft schwebende Aquädukte aus Holz, er schlug an die hundert Brücken aus Quaderstein, aus Backsteinen, aus Bohlen, und eines schönen Morgens floß der Fluß in London hinein, welches an Wassermangel litt. Ursus verarbeitete alle diese prosaischen Umstände zu einem Schäferspiel, in welchem der Themsestrom und der Serpentinefluß auftraten; der Strom lud den Fluß ein, zu ihm zu kommen und bot ihm sein Bett mit den Worten an: „Ich bin zu alt, um den Frauen zu gefallen; aber ich bin reich genug, sie zu bezahlen“, mit welcher geistreichen und galanten Wendung er zu verstehen geben wollte, daß Sir Hugh Middleton alle Arbeiten aus eigener Tasche hatte ausführen lassen.

Ursus zeichnete ich im Selbstgespräch aus. Von scheuer und zugleich geschwätziger Natur, von dem Wunsche erfüllt, niemand zu sehen, und von dem Bedürfnis getrieben, mit jemand zu reden, zog er sich aus der Verlegenheit, indem er mit sich selbst sprach. Jeder, der einsam gelebt hat, weiß, wie tief das Selbstgespräch in der Natur des Menschen liegt. Das innere Wort juckt. Den leeren Raum anreden wirkt wie eine Fontanelle. Ganz laut und ganz allein reden, ist wie ein Zwiegespräch mit dem Gott, den man in sich trägt. Dies war, wie man weiß, die Gewohnheit des Sokrates. Er hielt Reden an sich selbst. Ursus hatte etwas von diesen großen Männern. Er hatte die hermaphroditische Eigenschaft, seine eigene Zuhörerschaft zu sein. Er fragte sich und antwortete sich; er pries sich und schimpfte sich. Von der Straße aus hörte man ihn in seiner Bude Selbstgespräche halten. Die Vorübergehenden, die ihre eigene Art haben, geistvolle Leute zu beurteilen, sagten: „Er ist blödsinnig.“ Er schimpfte sich, wie wir schon erwähnt haben; aber es gab auch Stunden, wo er sich Gerechtigkeit widerfahren ließ. Eines Tages hörte man ihn in einer dieser Selbstansprachen ausrufen: „Ich habe die Pflanzen in allen ihren Geheimnissen studiert, im Stiel, in der Knospe, im Kelchblatt, im Blumenblatt, im Staubblatt, im Fruchtblatt, in der Samenknospe, in der Mooskapsel, im Sporangium und im Apothecium. Ich habe die Chromatie, die Osmosie und die Chymosie, d. h. die Bildung der Farbe, des Geruchs und des Geschmacks studiert.“ Ohne Zweifel lag in diesem Zeugnis, welches Ursus dem Ursus ausstellte, etwas Ruhmredigkeit; aber die, welche die Chromatie, die Osmosie und die Chymosie nicht studiert haben, mögen den ersten Stein auf ihn werfen. Glücklicherweise war Ursus nie nach den Niederlanden gereist. Dort hätte man gewiß verlangt, ihn zu wiegen, um zu wissen, ob er das Normalgewicht habe, über welches hinaus oder unter welchem der Mensch zum Hexenmeister wird. Dieses Gewicht war in Holland wohlweislich durch das Gesetz bestimmt worden. Nichts war einfacher und geistvoller. Es war eine Kontrolle. Man setzte einen Menschen auf eine Waagschale, und der Beweis war geliefert, sobald er das Gleichgewicht störte. War er zu schwer, wurde er gehenkt; war er zu leicht, verbrannt. Noch heute kann man zu Oudewater die Waage für die Hexenmeister sehen; aber heute dient sie dazu, Käse zu wiegen; so ist die Religion gesunken. Mit dieser Waage hätte Ursus gewiß zu tun bekommen. Bei seinen Reisen enthielt er sich Hollands, und er tat wohl darin. Übrigens glauben wir, daß er nie über Großbritannien hinauskam.

Wie dem nun auch sei, da er sehr arm und sehr bissig war, und nachdem er Homos Bekanntschaft in einem Walde gemacht, hatte er Geschmack am Nomadenleben gewonnen. Er hatte diesen Wolf in Commandite genommen, und er zog mit ihm auf den Landstraßen umher, unter freiem Himmel das große Leben des Zufalls führend. Er hatte viel Gewandtheit und viel Hintergedanken und eine in jeder Beziehung bedeutende Kunst zu kurieren, zu operieren, zu besprechen, und überraschende Dinge zu leisten; er wurde als ein guter Quacksalber und als ein guter Arzt betrachtet; es läßt sich denken, daß er auch als Hexenmeister galt, ein wenig, nicht allzusehr; denn in jener Zeit war es nicht gesund, für einen Freund des Teufels gehalten zu werden. Freilich begab sich Ursus aus Leidenschaft für die Arzneikunde und aus Liebe zu den Pflanzen öfters in Gefahr, zumal er in jenen gespensterhaften Dickichten Kräuter sammeln ging, wo der Teufelssalat wächst, und wo man, wie der Rat De l’Ancre bestätigt, im feuchten Abendnebel einen Menschen aus der Erde emporsteigen zu sehen riskiert, „der nur ein Auge hat und zwar das rechte, ohne Mantel, barfuß und ohne Strümpfe einhergeht und einen Degen an der Seite trägt.“ Übrigens war Ursus, obgleich von seltsamem Wesen und Charakter, ein viel zu feiner Mann, um den Hagel herbeizuziehen oder zu vertreiben, Gestalten erscheinen zu lassen, einen Menschen durch Tanzwut zu töten, heitere oder traurige und schreckliche Träume zu erwecken und Hähne mit vier Flügeln ausbrüten zu lassen; solche Schändlichkeiten tat er nicht. Er war unfähig, gewisse Ruchlosigkeiten zu begehen, als z. B. deutsch, hebräisch oder griechisch zu sprechen, ohne es gelernt zu haben, was ein Zeichen von abscheulicher Niederträchtigkeit oder von einer natürlichen Krankheit ist, die aus ungesunden galligen Säften entsteht. Wenn Ursus lateinisch sprach, so verstand er es auch. Er hätte sich nicht erlaubt, syrisch zu sprechen, da er es nicht konnte, und außerdem ist es eine ausgemachte Sache, daß auf den Hexenversammlungen syrisch gesprochen wird. In der Medizin zog er korrekterweise den Galen dem Cardanus vor, da Cardan bei aller seiner Gelehrsamkeit im Vergleich zu Galen doch nur ein Erdenwurm ist. Schließlich war Ursus eine von der Polizei nicht behelligte Person. Seine Bude war lang und breit genug, um sich in derselben auf einen Koffer niederzustrecken, in dem seine nicht sehr kostbaren Sachen lagen. Er war Eigentümer einer Laterne, mehrerer Perücken, und einiger an Nägeln aufgehängten Instrumente, worunter auch musikalische waren. Außerdem besaß er eine Bärenhaut, die er an den Tagen einer großen Aufführung umtat; das nannte er sich kostümieren. Er sagte dann: „Ich habe zwei Häute; diese ist die wahre“, wobei er auf das Bärenfell zeigte. Die Räderbude gehörte ihm und dem Wolf. Außer seiner Bude, seiner Retorte und seinem Wolf, hatte er eine Flöte und eine Bratsche, worauf er ganz nett spielte. Seine Elixiere fabrizierte er selbst. Seine Talente brachten so viel ein, daß er sich hin und wieder Abendbrot kochen konnte. In der Decke seiner Bude war ein Loch, durch welches die Röhre eines eisernen Ofens ging, der so dicht am Koffer stand, daß er das Holz desselben bräunte. Dieser Ofen hatte zwei Abteilungen; in der einen kochte Ursus seine Geheimmittel, in der andern Kartoffeln. Während der Nacht schlief der Wolf, freundschaftlich angekettet, unter der Bude. Homo hatte schwarze Haare, Ursus graue. Ursus war fünfzig Jahre alt, wenn nicht sechzig. Er fand sich in sein Geschick bis zu dem Grade, daß er, wie wir sahen, Kartoffeln aß, ein Abhub, mit welchem man zu jener Zeit Schweine und Verbrecher fütterte. So etwas aß er, entrüstet und ergeben. Er war nicht groß, er war lang. Er war gebückt und melancholisch. Der krumme Rücken des alten Mannes ist das Einsinken des Lebens. Die Natur hatte ihn dazu geschaffen, traurig zu sein. Lächeln wurde ihm schwer, und es war ihm stets unmöglich gewesen zu weinen. Ihm fehlte der Trost der Tränen und das Linderungsmittel der Freude. Ein alter Mann ist eine denkende Ruine; eine solche war Ursus. Die Geschwätzigkeit eines Scharlatans, die Magerkeit eines Propheten, die Reizbarkeit einer mit Pulver gefüllten Mine; so denke man sich ihn. In seinen jungen Jahren war er Philosoph bei einem Lord gewesen.

Dies trug sich vor hundertundachtzig Jahren zu in einer Zeit, wo die Menschen ein klein wenig mehr Wölfe waren als heute. Nicht viel mehr.

II.

H OMO war kein ordinärer Wolf. Nach seinem Appetit auf Mispeln und Äpfel hätte man ihn für einen Präriewolf, nach seiner dunklen Farbe für einen Lycaon und nach seinem zum Bellen abgeschwächten Heulen für einen Culpen halten mögen; aber man hat die Pupille des letzteren noch nicht hinlänglich untersucht, so daß man nicht wohl weiß, ob er nicht eigentlich ein Fuchs ist, und Homo war ein wirklicher Wolf. Seine Länge war fünf Fuß, was für einen Wolf selbst in Litauen eine schöne Länge ist; er war sehr stark; er schielte, was nicht seine Schuld war; er hatte eine sanfte Zunge, womit er manchmal Ursus leckte; den Rücken entlang stand ihm eine schmale Bürste kurzer Haare, und er war mager, wie man’s im Walde wird. Vor seiner Bekanntschaft mit Ursus und bevor er eine Bude zu ziehen bekam, hatte er in einer Nacht mit Leichtigkeit seine vierzig Meilen gemacht. Ursus stieß auf ihn im Gebüsch bei einem hellen Bache, hatte ihn achten gelernt, als er ihn daselbst mit Klugheit und Weisheit Krebse fangen sah und hatte in ihm einen wirklichen und echten Koupara vom Genus Krabbenhund begrüßt. Ursus zog seinen Homo als Lasttier einem Esel vor; es hätte ihm widerstrebt, seine Bude von einem Esel ziehen zu sehen; dazu achtete er den Esel zu hoch. Außerdem hatte er die Bemerkung gemacht, daß der Esel, ein von den Menschen wenig verstandener vierfüßiger Denker, mitunter in beunruhigender Weise die Ohren spitzt, wenn Philosophen dummes Zeug reden. Im Leben ist ein Esel, der sich zwischen uns und unsern Gedanken eindrängt, ein Dritter; das geniert. Als Freund zog Ursus seinen Homo einem Hunde vor, da er bei sich überlegte, daß der Wolf aus weiterer Entfernung zur Freundschaft herangezogen wird. Deswegen genügte Homo unserm Ursus. Homo war für Ursus mehr als ein Gefährte; er war sein Seelenverwandter. Ursus klopfte ihm auf die magern Weichen und sagte: „Ich habe meinen zweiten Band gefunden.“ Auch sagte er: „Wer mich nach meinem Tode kennen lernen will, braucht nur Homo zu studieren. Ich werde ihn als gleichlautende Abschrift meiner selbst hinterlassen.“ Das hinsichtlich der Tiere der Wälder unzärtliche englische Gesetz hätte diesem Wolfe wegen seiner Kühnheit, ohne Weiteres in Städten umherzuziehen, Händel bereiten können; aber Homo berief sich auf seine von Eduard IV. „den Bedienten“ durch Parlamentsakte bewilligte Freiheit: „Jeder Bediente kann seinen Herrn überallhin begleiten.“ Außerdem war hinsichtlich der Wölfe eine gewisse Nachsicht eingetreten, weil es bei den Hofdamen unter den letzten Stuarts Mode geworden war, sich statt der Hunde kleine Corsacwölfe, Adiwas genannt, zu halten, die nicht größer als eine Katze waren, und die sie mit großen Kosten aus Asien kommen ließen. Ursus hatte dem Homo einen Teil seiner Talente mitgeteilt, aufrecht zu stehen, seinen Zorn in schlechte Laune zu verdünnen, zu brummen anstatt zu heulen usw., und seinerseits hatte der Wolf den Menschen gelehrt, was er verstand, ohne Dach und Fach, ohne Brot, ohne Feuer fertig zu werden und den Hunger im Walde der Sklaverei in einem Fürstenschlosse vorzuziehen. Die Bude, die Hütte und Wagen zugleich war, und kreuz und quer umherzog, ohne je England und Schottland zu verlassen, ging auf vier Rädern und hatte außerdem eine Gabel, den Wolf hineinzuspannen und ein Ortscheit für den Menschen. Letzteres war ein Notbehelf für schlimme Wege. Die Bude war fest gebaut, obgleich von leichten aufrecht stehenden Brettern. Vorn war eine Glastür mit einem kleinen Balkon, um von ihm herab Ansprachen zu halten, halb Rednerbühne, halb Kanzel und hinten war eine volle Tür mit kleinem Guckfenster. Das Herablassen eines Wagentrittes mit drei Stufen, der sich um ein Scharnier drehte und hinter der Tür angebracht war, gab Zutritt in die Bude, welche des Nachts wohl verriegelt und verschlossen war. Es war viel Regen und Schnee darauf gefallen. Sie war angestrichen gewesen, doch unterschied man nicht mehr wie, da der Witterungswechsel auf solche Buden dieselbe Wirkung hat, wie der Regierungswechsel auf Hofleute. Vorn, an der Außenseite, hatte man früher auf einer Art bretternem Giebel in schwarzen Buchstaben auf weißem Grunde, die allmählich ineinander verflossen und verwischt waren, folgende Inschrift lesen können: „Das Gold verliert jährlich ein Vierzehnhundertstel seines Gewichts; woraus hervorgeht, daß von den vierzehnhundert Millionen auf der ganzen Erde zirkulierenden Goldes jährlich eine Million verloren geht. Diese Million Gold wird zu Staub, verflüchtigt sich, fliegt umher, wird Atom, läßt sich einatmen, wird wieder Substanz, erleichtert und beschwert das Gewissen und verschmilzt mit den Seelen der Reichen, die es hochmütig, und den Seelen der Armen, die es scheu macht.“ Diese vom Regen und der gütigen Vorsehung ausgelöschte Inschrift war glücklicherweise unleserlich, denn wahrscheinlich wäre diese zugleich rätselhafte und durchscheinende Theorie von der Einatmung des Goldes nicht nach dem Geschmacke der Sheriffs, Provosts, Marschalls und andrer Perückenträger der Justiz gewesen. Mit der englischen Gesetzgebung jener Zeit war nicht zu scherzen. Man wurde leicht zum Hochverräter. Die Gerichtspersonen waren der Überlieferung gemäß unmenschlich, und die Grausamkeit war gewohnheitsmäßig geworden. Es wimmelte von Untersuchungsrichtern. Jefferies hatte eine Brut erzeugt.

III.

IN der Bude waren zwei andere Inschriften. Über dem Koffer las man auf der weißgetünchten Bretterwand mit Tinte geschrieben:

Die einzigen wissenswerten Dinge.

„Der Baron, welcher Pair von England ist, führt eine Kronenschnur mit sechs Perlen.

Die Krone beginnt beim Viscount.

Der Viscount führt eine Krone mit beliebig vielen Perlen; der Graf eine Krone von Perlen auf Spitzen, die mit niedrigern Erdbeerblättern abwechseln; der Marquis Perlen und Blätter von gleicher Höhe; der Herzog Blumen ohne Perlen; der Herzog von königlichem Geblüt ein Diadem aus Kreuzen und Lilien; der Prinz von Wales eine Krone, welche der des Königs gleich, aber nicht geschlossen ist.

Der Herzog ist sehr hoher und sehr mächtiger Prinz; der Marquis und der Graf sehr edler und mächtiger Herr, der Viscount edler und mächtiger Herr, der Baron in Wahrheit Herr.

Der Herzog heißt Hoheit (grace); die anderen Pairs sind Herrlichkeiten.

Die Lords sind unverletzlich.

Die Pairs sind Rat und Hof, concilium et curia, Gesetzgeber und Richter.

Höchst ehrenwert, most honourable, ist mehr als sehr ehrenwert, right honorable. Die Lords, welche Pairs sind, heißen „Lords nach dem Recht“; die, welche es nicht sind, „Lords durch Courtoisie“ (aus Höflichkeit). Wirkliche Lords sind nur die, welche Pairs sind.

Der Lord schwört nie, weder dem König, noch vor Gericht. Sein Wort genügt. Er sagt: bei meiner Ehre. Wenn die Gemeinen, welche das Volk sind, vor die Schranken der Lords gerufen werden, erscheinen sie daselbst demütig und unbedeckten Hauptes vor den bedeckten Pairs.

Die Gemeinen schicken den Lords die Gesetze durch vierzig Mitglieder zu, welche sie mit drei tiefen Verbeugungen überreichen.

Die Lords übersenden den Gemeinen die Gesetze durch einen bloßen Sekretär.

Im Falle eines Konfliktes beraten beide Häuser in dem gemalten Zimmer, die Pairs sitzend und bedeckten Hauptes, die Gemeinen stehend und entblößten Hauptes.

Nach einem Gesetze Eduards VI. haben die Lords das Vorrecht des einfachen Totschlags. Ein Lord, der einen Menschen einfach tötet, wird nicht verfolgt.

Die Barone haben denselben Rang wie die Bischöfe.

Um Baron Pair zu sein, muß man beim König per baroniam integram, durch ganze Baronie, zu Lehen gehen.

Die ganze Baronie besteht aus dreizehn und einem Viertel adliger Lehen; jedes adlige Lehen gilt zwanzig Pfund Sterling, was vierhundert Mark ausmacht.

Der Hauptort der Baronie, caput baroniae, ist ein erblich, wie England selbst, regiertes Schloß, das also auf die Töchter in Ermangelung männlicher Nachkommen übergehen kann, und in diesem Falle an die älteste Tochter fällt, caeteris filiabus aliunde satisfactis. (D. h. nach einer von Ursus an der Mauer angebrachten Randbemerkung: „Man versorgt die anderen Töchter nach Möglichkeit.“)

Die Barone haben die Eigenschaften eines Lord, sächsisch laford, in gutem Latein dominus und im mittelalterlichen Latein lordus.

Die älteren und jüngeren Söhne der Viscounts und der Barone sind die ersten Esquires des Königreichs.

Die älteren Söhne der Pairs haben den Vortritt vor den Rittern des Hosenbandordens, die jüngeren nicht.

Der ältere Sohn eines Viscounts geht hinter allen Baronen und hat den Vortritt vor allen Baronets.

Jede Tochter eines Lords ist Lady. Alle anderen Töchter eines Engländers sind Miß.

Alle Richter stehen unter den Pairs. Der Sergeant trägt einen Mantelkragen aus Lammfell, der Richter einen aus Miniver, de minuto vario, das heißt, der aus allerlei kleinen weißen Pelzstücken, Hermelin ausgenommen, zusammengesetzt ist. Der Hermelin ist den Pairs und dem Könige vorbehalten.

Ein Lord kann nicht persönlich verhaftet werden, außer in dem Falle des Tower von London. Ein zum König eingeladener Lord hat das Recht, im königlichen Park ein oder zwei Damhirsche zu töten.

Es ist eines Lords unwürdig, mit zwei Lakaien hinter sich auf der Straße im Mantel zu gehen; er kann nur mit einem großen Gefolge von Kammerdienern erscheinen.

Die Pairs begeben sich nach dem Parlament in Wägen, die hintereinander fahren; die Gemeinen nicht. Einige Pairs begeben sich nach Westminster in vierrädrigen offenen Chaisen. Die Form dieser mit Wappen und Kronen versehenen Chaisen und Wägen ist nur den Lords gestattet und macht einen Teil ihrer Würde aus.

Ein Lord kann nur von den Lords zu einer Geldstrafe verurteilt werden und niemals zu mehr als fünf Schilling, mit Ausnahme eines Herzogs, der zu zehn verurteilt werden kann.

Ein Lord kann sechs Ausländer um sich haben; jeder andere Engländer nur vier. Ein Lord kann acht Tonnen Wein haben, ohne Steuern dafür zu bezahlen.

Bloß der Lord hat es nicht nötig, sich bei einer gerichtlichen Rundreise dem Sheriff vorzustellen.

Der Lord zahlt keinen Geldbeitrag zur Miliz.

Wenn ein Lord will, so hebt er ein Regiment aus und schenkt es dem König, wie ihre Hoheiten die Herzöge von Athol, von Hamilton und von Northumberland.

Der Lord hängt nur von den Lords ab.

Im Zivilprozeß kann er die Zurückweisung seines Prozesses fordern, wenn unter den Richtern nicht wenigstens ein Ritter ist. Der Lord ernennt seine Kaplane. Ein Baron ernennt drei Kaplane, ein Viscount vier, ein Graf und ein Marquis fünf.

Der Lord kann nicht gefoltert werden, selbst nicht für Hochverrat.

Der Lord kann nicht gebrandmarkt werden.

Der Lord ist gebildet, selbst wenn er nicht lesen kann. Er ist gelehrt von Rechtswegen.

Ein Herzog führt überall, wo der König nicht zugegen ist, einen Thronhimmel mit sich; ein Viscount hat einen Thronhimmel in seinem Hause; ein Baron läßt sich, während er trinkt, unter dem Becher einen Deckel halten; eine Baronin hat das Recht, sich in Gegenwart einer Viscountess von einem Manne die Schleppe tragen zu lassen.

Sechsundachtzig Lords oder ältere Söhne von Lords führen den Vorsitz an den sechsundachtzig Tischen je zu hundert Kuverts, welche seiner Majestät in ihrem Schloß täglich auf Kosten des die königliche Residenz umgebenden Landes serviert werden.

Einem Bürger, der einen Lord schlägt, wird die Faust abgehauen.

Der Lord ist beinahe König.

Der König ist beinahe Gott.

Die Erde ist eine Lordschaft.

Die Engländer sagen zu Gott Mylord.“

Dieser Inschrift gegenüber las man eine zweite ebenso geschriebene, welche folgendermaßen lautete:

„Beruhigung für die, die Nichts haben.“

Heinrich Auverquerque, Graf von Grantham, der im Hause der Lords zwischen dem Grafen von Jersey und dem Grafen von Greenwich seinen Sitz hat, hat hunderttausend Pfund Sterling jährlich. Seiner Herrlichkeit gehörte das ganz aus Marmor gebaute Palais Grantham-Terrace, welches durch das merkwürdige sogenannte Korridor-Labyrinth berühmt ist. Hier befindet sich der fleischfarbene Korridor aus Marmor von Sarancolino, der braune Korridor aus Muschelmarmor von Astrachan, der weiße Korridor aus Marmor von Lani, der schwarze Korridor aus Marmor von Alabanda, der graue Korridor aus Marmor von Staremma, der gelbe Korridor aus hessischem Marmor, der grüne Korridor aus Tiroler Marmor, der rote Korridor teils aus geflecktem böhmischen Marmor und teils aus Muschelmarmor von Cordova, der blaue Korridor aus genuesischem Turchino, der violette Korridor aus katalonischem Granit, der weiß und schwarz geäderte Trauerkorridor aus Murviedroschiefer, der rosa Korridor aus Alpencipolino, der Perlmutterkorridor aus Muschelkalk von Nonette und der bunte Korridor, welcher den Namen Corridor Courtian führt, aus bunter Breccie.

Richard Lowther, Viscount Lonsdale besitzt Lowther in Westmoreland. Der Aufgang ist pompös, und der Perron scheint Könige zum Eintritt einzuladen.

Richard, Graf von Scarborough, Viscount und Baron Lumley, Viscount von Waterford in Irland, Lord Lieutenant und Vizeadmiral der Grafschaft Northumberland und der Stadt und Grafschaft Durham, besitzt die Schlösser Stansted, das alte und das neue, wo man ein prächtiges halbrundes Eisengitter bewundert, welches ein Wasserbecken mit großartigem Springbrunnen umgibt. Außerdem besitzt er sein Schloß Lumley.

Robert Darcy, Graf von Holderness, hat Holderness, mit mittelalterlichen Türmen und ungeheuren Gärten im französischen Stil, in welchen er in einer sechsspännigen Kutsche mit zwei Vorreitern spazieren fährt, wie es einem Pair von England geziemt.

Charles Beauclerk, Herzog von Saint-Albans, Graf von Burford, Baron Heddington, Großfalkonier in England, hat in Windsor neben dem königlichen Schlosse ein Haus von königlichem Ansehen.

Charles Bodville, Lord Robartes, Baron Truro, Viscount Bodmyn besitzt Wimpel in Cambridge, das heißt drei Schlösser mit drei Giebeln, ein bogenförmiges und zwei dreieckige. Auf das Schloß führt eine Allee mit vier Baumreihen.

Der sehr edle und sehr mächtige Lord Philipp Herbert, Viscount von Caerdif, Graf von Montgomery, Pair und Rosse von Candall, Marmion, Saint-Quentin und Churland, Inspektor der Zinngruben von Cornwall und Devon, Erbvisitator von Jesus-College, besitzt den herrlichen Wiltonpark, in welchem zwei Wasserbecken mit Springbrunnen sind, und welches schöner ist als das Versailles des sehr christlichen Königs Ludwigs XIV.

Charles Seymour, Herzog von Somerset, besitzt Somerset-House an der Themse, welches der Villa Pamphili in Rom in nichts nachsteht. Man erblickt auf dem großen Kamine zwei Porzellanvasen, die aus der Dynastie der Yuen stammen und eine halbe Million Franken wert sind.

In Workshire besitzt Arthur, Lord Ingram, Viscount Irwin das Schloß Temple-Newsham, zu welchem man durch einen Triumphbogen gelangt und dessen große flache Dächer maurischen Terrassen gleichen.

Robert, Lord Ferrars von Charteley, Bourchier und Lovaine, besitzt in Leicestershire das Schloß Staunton-Harold, dessen Park im Grundriß die Form eines Giebeltempels hat, und die schöne Kirche mit viereckigem Turme vor dem Teiche gehört seiner Herrlichkeit auch.

In der Grafschaft Northampton besitzt Charles Spencer, Graf von Sunderland, Mitglied des geheimen Rats seiner Majestät das Schloß Althrop, zu welchem man durch ein Tor von vier Pfeilern gelangt, worauf Marmorgruppen stehen.

Laurence Hyde, Graf von Rochester, besitzt New-Park in Surrey, welches sich durch die Skulptur seiner Akroterien, seinen runden von Bäumen beschatteten Rasenplatz und seine Wälder auszeichnet, hinter denen sich ein kleiner künstlich abgerundeter Hügel mit einer weithin sichtbaren großen Eiche erhebt.

Philipp Stanhope, Graf Chesterfield, besitzt Bredby in Derbyshire mit einem prächtigen Pavillon, in dem eine Uhr angebracht ist, mit Falkenbeizen, Kaninchengehegen und sehr schönen länglichen, viereckigen und ovalen Teichen, aus deren einem, der die Form eines Spiegels hat, zwei sehr hohe Wasserstrahlen emporschießen.

Lord Cornwallis, Baron von Eye, besitzt Brome-Hall, ein im vierzehnten Jahrhundert erbautes Schloß.

Der sehr edle Algernon Capel, Viscount Malden, Graf d’Essex, besitzt Cashiobury in Hertfordshire, ein Schloß, welches die Form eines großen H hat, und um welches sich sehr wildreiche Jagden hinziehen.

Charles, Lord Ossulstone, besitzt Dawley in Middlesex, wohin man durch Gärten im italienischen Stil gelangt.

James Cecil, Graf von Salisbury, besitzt sieben Meilen von London Hartfield-House mit seinen vier stolzen Pavillons, seiner Warte in der Mitte und mit seinem Ehrenhof, der mit schwarzen und weißen Steinplatten, wie der von Saint-Germain, gepflastert ist. Dieses in der Front 270 Fuß lange Schloß ist unter Jakob dem Zweiten vom Großschatzmeister Englands erbaut worden, dem Ururgroßvater des regierenden Grafen. Man sieht daselbst das Bett einer Gräfin von Salisbury von unermeßlichem Werte. Es ist ganz und gar aus einem brasilianischen Holze, welches ein Universalmittel gegen Schlangenbiß ist und welches milhombres, d. h. „tausend Männer“ heißt. Auf diesem Bett steht in goldenen Buchstaben: Honni soit qui mal y pense.

Eduard Rich, Graf von Warwick und Holland, besitzt Warwick-Castle, wo man in den Kaminen ganze Eichbäume verbrennt.

In dem Kirchspiel von Seven-Oaks gehört Charles Sackville, Baron Buckhurst, Viscount Cranfield, Graf von Dorset und Middlesex, die Besitzung Knowle, die so groß ist wie eine Stadt und aus drei wie Infanterie in Reih und Glied parallel hintereinander befindlichen Schlössern besteht, mit zehn Giebeln an der Hauptfassade und einem von vier Türmen gekrönten Tor.

Thomas Thymne, Viscount Weymouth, Baron Varminster, besitzt Long-Leate mit fast ebensoviel Schornsteinen, Kuppeln, Laternen, Gartenhäuschen, Wachttürmchen, Pavillons und Türmlein als das dem Könige gehörige Chambord in Frankreich.

Henri Howard, Graf von Suffolk, besitzt zwölf Meilen von London das Palais Audlyene in Middlesex, welches in Größe und Majestät kaum dem Eskurial des Königs von Spanien nachsteht.

In Bedfordshire gehört Wrest-House und Park, welches gewissermaßen ein ganzes, von Gräben und Mauern eingeschlossenes Land mit Wäldern, Flüssen und Hügeln ist, Henri, dem Marquis von Kent.

Hampton-Court, in Herefort, mit seinem mächtigen mit Zinnen versehenen Turm und seinem Garten, den ein Teich vom Walde trennt, gehört Thomas dem Lord Coningsby.

Grimsthorp in Lincolnshire, mit seiner langen von hohen spitzen Türmen unterbrochenen Fassade, seinen Gärten, seinen Teichen, seinen Fasanerien, seinen Schäfereien, seinen Rasenplätzen, seinen fünfeckigen Baumgruppen, seinen Spielplätzen, seinen Wäldern, mit seinen großen teppichähnlich in allerlei Mustern bepflanzten Blumenbeeten, mit seinen zum Wettrennen dienenden Wiesen und seinem großartigen Rondell, um welches die Wägen herum müssen, ehe sie in das Schloß einfahren, gehört Robert dem Grafen Lindsay, dem erblichen Lord des Waldes von Walham.

Up-Park, in Sussex, ein viereckiges Schloß mit zwei symmetrischen von Warttürmen gekrönten Pavillons zu beiden Seiten des Ehrenhofes, gehört dem sehr ehrenwerten Ford, Lord Grey, Viscount Glendale und Graf von Tankarville.

Newham Padox in Warwickshire, mit zwei viereckigen Fischteichen und mit einem Giebel, den große Glasfenster zieren, gehört dem Grafen von Denbigh, der zugleich Graf von Rheinfelden in Deutschland ist.

Wythame in der Grafschaft Berk, mit seinem französischen Garten, in dem vier beschnittene Laubengänge sind, und seinem großen mit Zinnen versehenen Turme, gehört dem Lord Montague, Grafen von Abingdon, der auch Rycott besitzt, dessen Baron er ist und auf dessen Haupttor die Devise steht: Virtus ariete fortior.

William Cavendish, Herzog von Devonshire, besitzt sechs Schlösser, unter andern das zweistöckige, im schönsten griechischen Stile erbaute Chatsworth, und außerdem besitzt Seine Gnaden ein Palais in London, auf dem ein Löwe steht, welcher dem königlichen Schloß den Rücken dreht.

Der Viscount Kinalmeaky, der Graf von Cork in Irland ist, besitzt Burlington-House in Piccadilly mit ungeheuren Gärten, die sich bis zu den Feldern bei London hinziehen; er besitzt auch Chiswick, wo er neun großartige Häuser hat; er besitzt auch Londesborough, welches ein neues Schloß neben einem alten ist.

Der Herzog von Beaufort hat Chelsea mit zwei Schlössern in gotischem und einem in florentinischem Stil, er hat auch Badmington in Glocester, ein Schloß, von welchem, wie von einem Sterne, eine Menge Alleen ausstrahlen. Der sehr edle und mächtige Fürst Henri, Herzog von Beaufort, ist zugleich Marquis und Graf von Worcester, Baron Raglan, Baron Power und Baron Herbert von Chepstow.

John Holles, Herzog von Newcastle und Marquis von Clare besitzt Bollover mit einem majestätischen viereckigen Turm, ferner Haughton in Nottingham, wo sich in der Mitte eines Bassins eine Pyramide erhebt, die den Turm von Babel vorstellen soll.

William, Lord Craven, Baron Craven von Hampstead hat in Warwickshire einen Wohnsitz, Comb-Abbey, mit dem schönsten Springbrunnen Englands, und in Berkshire zwei Baronien, Hampstead Marschall, dessen Fassade fünf gotische miteinander verbundene Laternen trägt und Asdowne-Park, ein Schloß in einem Walde an einer Stelle, wo sich mehrere Wege kreuzen.

Lord Linnoeus Clancharlie, Baron Clancharlie und Hunkerville, Marquis von Corleone in Sizilien, gründet seine Pairie auf das von Eduard dem Alten im Jahre 914 gegen die Dänen erbaute Schloß Clancharlie, dann auf das Schloß Hunkerville-House in London, dann auf Corleone-Lodge, ein anderes Schloß in Windsor, dann auf acht Kastellanien, eine in Bruxton am Trent mit einem Anrecht an den Alabasterbrüchen, dann auf Gumdraith, Homble, Moricambe, Trenwardraith, Hell-Kerters, wo ein wunderbarer Brunnen ist, Pillinmore und seine Torfmoore, Reculver bei der alten Stadt Vagniacae, Vinecaunton auf dem Berge Moil-Enlli; dann auf 19 Flecken und Dörfer und auf das ganze Land Pensneth-Chase, was Seiner Herrlichkeit zusammen 40.000 Pfund Sterling jährlich einbringt.

Die hundertundzweiundsiebzig Lords unter Jakob II. haben zusammen ein Einkommen von zwölfhundertzweiundsiebzigtausend Pfund Sterling jährlich, was den elften Teil der Einnahme Englands ausmacht.“

Neben dem letzten Namen, Lord Linnoeus Clancharlie, las man von der Hand unseres Ursus folgende Bemerkung:

– Ein Rebell, verbannt; Güter, Schlösser und Domänen unter Sequester. Es geschieht ihm recht.

IV.

URSUS bewunderte Homo. Man bewundert Verwandtes. Das ist ein Naturgesetz. Stets im Stillen Wüten war sein innerer Zustand, und Schelten sein äußerer. Er war der Mißvergnügte der Schöpfung, der Opponent in der Natur. Er nahm die Welt übel. Er war mit niemand, mit nichts zufrieden. Honig bereiten sprach doch die Biene nicht vom Stechen frei; eine erblühte Rose die Sonne nicht vom gelben Fieber und vom schwarzen Erbrechen. Es ist zu vermuten, daß Ursus in seinem Verkehr mit Gott denselben oft tadelte. Er sagte: „Augenscheinlich ruht der Teufel auf Sprungfedern, und Gott hat darin Unrecht begangen, daß er die Feder losgedrückt hat.“ Er zollte nur den Fürsten Beifall, und er hatte seine eigentümliche Art es zu tun. Als Jakob II. eines Tages der heiligen Jungfrau einer katholischen Kapelle in Irland eine Lampe von massivem Golde schenkte, äußerte Ursus, welcher gerade mit dem gleichgültigeren Homo vorbeiging, seine Bewunderung und rief: „Gewiß hat die heilige Jungfrau eine goldene Lampe nötiger, als jene kleinen Kinder, die ich dort barfuß laufen sehe, Schuhe.“

Solche Beweise seiner königlichen Gesinnung und seine augenscheinliche Ehrfurcht vor den Gewalthabern trug wahrscheinlich nicht wenig zu der Duldsamkeit bei, womit die Obrigkeit auf sein umherstreichendes Leben und auf seine Mesalliance mit einem Wolf schaute. Des Abends ließ er ihn zuweilen aus einer der Freundschaft zu verzeihenden Schwäche sich die Glieder ausrecken und frei um die Bude umherschweifen; der Wolf war eines Mißbrauchs dieses Vertrauens unfähig und benahm sich in der Gesellschaft, d. h. unter den Menschen mit dem Anstand eines Pudels; hätte man jedoch einmal mit übelgelaunten Dienern der Polizei zu tun bekommen, so hätte das seine Übelstände haben können; daher hielt Ursus den ehrlichen Wolf so viel wie möglich an der Kette. In politischer Beziehung galt seine unleserlich gewordene und übrigens schwer verständliche Inschrift über das Geld für nichts als eine an der Vorderseite angebrachte Schmiererei, die ihn unverdächtigt ließ. Selbst nach Jakob II. und unter der „respektablen“ Regierung Wilhelms und Marias konnten die Städtchen in den Grafschaften Englands seine Räderbude unbehelligt umherstreifen sehen. Unbehindert zog er von einem Ende Großbritanniens zum andern, verkaufte seine Mischungen und Fläschchen, machte in Gemeinschaft mit dem Wolfe an den Ecken seine ärztlichen Narrenpossen, schlüpfte ohne Beschwerde durch die Maschen des Polizeinetzes, welches in jener Zeit über ganz England gespannt war, um die herumziehenden Banden zu läutern und namentlich um die „Comprachicos“ festzunehmen.

Das war übrigens gerecht. Ursus gehörte zu keiner Bande; Ursus lebte mit Ursus, in einem Tête-à-tête mit sich selbst, in welches ein Wolf artig seine Schnauze hineinschob. Ursus’ Wunsch wäre gewesen, ein Karaibe zu sein; da er das nicht konnte, so wurde er ein Einsamer. Der Einsiedler ist ein von der Bildung akzeptiertes Diminutivum des Wilden. Man ist um so einsamer, je mehr man umherirrt; daher kam sein beständiger Ortswechsel. Irgendwo zu verharren schien ihm eine Art Zähmung. Sein Leben zog damit hin, daß er seiner Wege zog. Der Anblick der Städte verdoppelte seine Sehnsucht nach dem Gebüsch, dem Wald, den Dornen und den Felsenlöchern. Im Walde, da fühlte er sich zu Hause. Im Geräusch der öffentlichen Plätze, das dem Rauschen der Bäume ziemlich gleich kommt, war er nicht ganz außerhalb seines Elements. Die Menge befriedigt bis zu einem gewissen Grade den Geschmack an der Einsamkeit. Was ihm an der Bude mißfiel, war, daß sie Tür und Fenster hatte und einem Hause glich. Er hätte sein Ideal erreicht, hätte er eine Höhle auf vier Räder setzen und damit in einer unterirdischen Grotte umherfahren können.

Er lächelte nicht, wie wir erwähnt haben; aber er lachte, mitunter sogar häufig, ein bitteres Lachen. Im Lächeln liegt Zustimmung, während das Lachen oft zurückweist.

Seine Hauptaufgabe war, das menschliche Geschlecht zu hassen. In diesem Haß war er unversöhnlich. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das menschliche Leben etwas Schreckliches ist, nachdem er die Übereinanderschichtung der Plagen, der Könige über dem Volk, des Kriegs über den Königen, der Pest über dem Kriege, der Hungersnot über der Pest, der Dummheit über allem beobachtet hatte, nachdem es für ihn ausgemacht war, daß in der bloßen Tatsache der Existenz ein gewisses Quantum Züchtigung liegt, nachdem er erkannt hatte, daß der Tod eine Erlösung ist, machte er den Kranken gesund, den man zu ihm führte. Er hatte Flüssigkeiten und Getränke, um das Leben der Greise zu verlängern. Gelähmte brachte er wieder auf die Beine und rief ihnen höhnisch zum Abschied nach: „Nun bist du wieder im Gebrauch deiner Pfoten. Mögest du noch lange in diesem Jammertal einherwandeln.“ Wenn er einen Armen Hungers sterben sah, gab er ihm alle Kupfermünze, die er bei sich hatte und murmelte: „Lebe, Unglücklicher! iß! dauere lange! ich werde dein Gefängnis nicht abkürzen.“ Darauf rieb er sich die Hände und sprach: „Ich füge den Menschen so viel Böses zu, als ich kann!“

Die Vorübergehenden konnten durch das Guckfenster der Hintertür folgende im Innern der Bude in großen Buchstaben mit Kohle an die Decke geschriebene, aber von außen sichtbare Adresse lesen:

Ursus, Philosoph.

Die Comprachicos.

I.

WER kennt heutzutage das Wort „Comprachicos“ oder die Bedeutung desselben?

Die Comprachicos oder Comprapequenos waren eine grauenhafte und seltsame herumirrende Genossenschaft, die im siebzehnten Jahrhundert berühmt, im achtzehnten vergessen war und heute unbekannt ist. Die Comprachicos sind wie „das Erbschaftspulver“ ein charakteristischer Zug der ehemaligen Gesellschaft. Sie gehören der alten menschlichen Schlechtigkeit an. Für den großen Blick des den Zusammenhang der Dinge überschauenden Historikers knüpfen sie sich an das unermeßlich große Faktum der Sklaverei. Der von seinen Brüdern verkaufte Joseph ist ein Kapitel aus den Sagen über sie. Sie haben im Strafrecht Spaniens und Englands Spuren hinterlassen. Man findet ab und zu in dem wirren Dunkel der englischen Gesetze den Abdruck dieses fürchterlichen Faktums, wie man die Fußspur eines Wilden im Walde findet.

Comprachicos wie Comprapequenos ist ein zusammengesetztes spanisches Wort, das „Kinderverkäufer“ bedeutet.

Sie kauften und verkauften Kinder.

Sie stahlen keine. Der Kinderraub ist eine andere Industrie.

Und was machten sie mit diesen Kindern? Sie machten Ungeheuer daraus.

Warum Ungeheuer?

Zum Vergnügen.

Das Volk will lachen, die Könige auch. Die Straßenecken brauchen ihren Hanswurst, die königlichen Schlösser ihren Narren. Jener heißt Turlupin, dieser Triboulet.

Die Bemühungen des Menschen, sich Freude zu bereiten, sind mitunter der Aufmerksamkeit des Philosophen wert.

Was entwerfen wir in diesen ersten einleitenden Seiten? Ein Kapitel aus dem schrecklichsten der Bücher, aus einem Buche, das man „Ausbeutung der Unglücklichen durch die Glücklichen“ betiteln könnte.

II.

EIN Kind, dazu bestimmt, ein Spielzeug für die Erwachsenen zu werden, so etwas hat existiert. (Es existiert noch heute.) In den natürlichen und wilden Zeiten macht das einen speziellen Geschäftszweig aus. Das siebzehnte Jahrhundert, das sogenannte große in Frankreich, war eine dieser Zeiten. Es war ein sehr byzantinisches Jahrhundert; es hatte verdorbene Natürlichkeit und zärtliche Wildheit, eine merkwürdige Spielart der Zivilisation; es ist ein Tiger, der sich ziert. Madam von Sévigné witzelt über den Scheiterhaufen und das Rad. Dieses Jahrhundert beutete sehr die Kinder aus; die Geschichtsschreiber, welche diesem Jahrhundert schmeicheln, haben die Wunde verhüllt, aber das Heilmittel in Vincent de Paul gezeigt.

Damit aus einem Menschen ein ordentliches Spielzeug wird, muß er früh in Arbeit genommen werden. Um einen Zwerg herzustellen, muß man klein anfangen. Man spielte mit Kindern. Aber ein gerade gewachsenes Kind war nicht sehr belustigend, ein buckliges war schon lustiger.

Daraus entstand eine Kunst. Es gab Abrichter. Man nahm einen Menschen und machte eine Mißgeburt daraus; ein Gesicht, und machte eine Fratze daraus. Man hemmte das Wachstum, man machte die Gesichtszüge unbeweglich. Diese künstliche Erzeugung wunderbarer Fälle hatte ihre Regeln; es wurde eine ordentliche Wissenschaft daraus, eine Orthopädie im umgekehrten Sinne. Wo Gott den geraden Blick angebracht hatte, brachte man das Schielen an. Wo Gott Harmonie geschaffen hatte, schuf man die Häßlichkeit. Wo Gott die Vollendung geschaffen hatte, schuf man die Skizze, und in den Augen der Kenner war die Skizze die Vollendung. Ebenso gab es Überarbeitungen für die Tiere; man erfand die schekkigen Pferde; Turenne ritt einen Schecken. Sieht man heutzutage nicht blaue und grüne Hunde? Die Natur ist unsere Leinwand. Der Mensch hat stets das Werk Gottes verbessern wollen; er retuschiert die Schöpfung, bald gut, bald schlecht. Der Hofnarr war nichts als ein Versuch, aus dem Menschen einen Affen zu machen. Ein Fortschritt nach rückwärts. Ein Meisterstück in der Umkehr. Zu derselben Zeit versuchte man aus dem Affen einen Menschen zu machen. Barba, Herzogin von Cleveland und Gräfin von Southampton, hatte einen Sapajou zum Pagen. Bei Franziska Sutton, Baronin Dudley, achter Pairin der Bank der Barone, wurde der Tee von einem in Goldbrokat gekleideten Pavian serviert, den Lady Dudley „meinen Neger“ nannte. Als Catharina Sidley, Gräfin von Dorchester, ihren Sitz im Parlament einnahm, fuhr sie in einer mit ihrem Wappen gezierten Kutsche vor, hinter welcher mit hochgestreckter Schnauze drei Paviane in Gala-Livree standen. Eine Herzogin von Medina Coeli, bei deren Lever der Kardinal Pole zugegen war, ließ sich die Strümpfe von einem Orang-Utan anziehen. Diese im Range beförderten Affen wogen die zu Tieren und Bestien gewordenen Menschen auf. Diese von den Großen gewünschte Zusammenwürfelung des Menschen und des Tiers wurde namentlich durch Zwerg und Hund hervorgehoben. Der Zwerg war nie ohne Hund, der immer größer als der Zwerg war. Der Hund war der Zwillingsbruder des Zwergs. Es waren zwei zusammengekoppelte Zugtiere. Dieses Nebeneinander wird durch eine Menge Familiengemälde bestätigt, namentlich durch das Portrait des Jeffrey Hudson, des Zwergs der Henriette von Frankreich, der Tochter Heinrichs IV. und Frau Karls des Ersten.

Den Menschen Herabwürdigen führt dazu, ihn zu entstellen. Man ergänzte die Aufhebung des natürlichen Zustandes durch Verhäßlichung. Gewisse Vivisektoren jener Zeit verstanden die Kunst, das Ebenbild Gottes im menschlichen Antlitz zu verlöschen. Doktor Conquest, Mitglied des Kollegiums von Amen-Street und vereideter Inspektor der Chemikalienhandlungen in London, hat ein lateinisches Buch über diese umgekehrte Chirurgie geschrieben, worin er das Verfahren dabei beschreibt.

Nach Justus de Carrick-Fergus ist der Erfinder dieser Chirurgie ein Mönch Aven-More, was irisch ist, und „großer Fluß“ bedeutet.

Der Zwerg des Kurfürsten von der Pfalz, Perkeo, der als Puppe – oder als Gespenst – aus einer künstlichen Schachtel im Heidelberger Keller emporsteigt, war ein merkwürdiges Belegstück dieser in ihrer Anwendung sehr verschiedenartigen Wissenschaft.

Daraus gingen Wesen hervor, deren Lebensbedingung furchtbar einfach war; es war ihnen erlaubt zu leiden, und es war ihnen auferlegt zu amüsieren.

III.

DIESE Fabrikation von Ungeheuern wurde in großartigem Maßstab betrieben und umfaßte verschiedene Unterabteilungen.

Der Sultan brauchte welche, der Papst brauchte welche, jener, um seine Frauen zu bewachen, dieser, um zu beten. Dies war eine Art für sich, welche sich nicht aus sich selbst vermehren konnte. Diese Halbsterblichen dienten zugleich der Wollust und der Religion. Der Serail und die Sixtinische Kapelle verbrauchten dieselbe Art Ungeheuer, jener finstere, diese liebliche.

Man verstand in jener Zeit Dinge zu erzeugen, die man jetzt nicht mehr erzeugt; man hatte Talente, die uns fehlen, und nicht ohne Grund klagen die Gutgesinnten über Verfall. Man versteht es nicht mehr, aus dem vollen Menschenfleisch herauszumeißeln; das kommt daher, weil die Kunst der Strafen verloren geht. Man war in dieser Beziehung Virtuose, man ist es nicht mehr; man hat diese Kunst so vereinfacht, daß sie bald ganz dahinschwinden wird. Indem man lebenden Menschen die Glieder abschnitt, den Bauch aufschlitzte, die Eingeweide herausriß, ertappte man die Erscheinungen auf frischer Tat; man machte Entdeckungen. Dem muß man entsagen, und wir sind der Fortschritte beraubt, mit welchen der Henker die Chirurgie bereicherte.

Diese Vivisektion von ehemals beschränkte sich nicht darauf, Erscheinungen für den Richtplatz, Narren, ein Augmentativ für Hofmänner, für Schlösser und Eunuchen, für Sultane und Päpste herzustellen. Sie war reich an Abwechslungen. Einer ihrer Triumphe war, für den König von England einen Hahn zu machen.

Es war hergebracht, daß im Palais des Königs von England eine Art Nachtmensch vorhanden war, der wie ein Hahn krähte. Dieser Wächter, der auf den Beinen war, während man schlief, schlich im Schloß umher und erhob von Stunde zu Stunde jenes Geschrei des Hühnerhofs, so oft als nötig war um eine Uhr zu ersetzen. Dieser zum Hahn beförderte Mann hatte sich zu dem Ende in der Kindheit einer Operation im Schlunde unterziehen müssen, welche zu der von Doktor Conquest beschriebenen Kunst gehört. Unter Karl II. ekelte sich die Herzogin von Portsmouth vor dem mit der Operation verbundenen Speichelfluß. Man behielt daher, um den Glanz der Krone nicht zu verdunkeln, das Amt bei, aber man ließ den Hahnenschrei von einem nicht verstümmelten Menschen ausstoßen. Gewöhnlich wählte man zu diesem Ehrenposten einen ehemaligen Offizier. Unter Jakob II. hieß dieser Beamte William Sampson Coq, und er empfing jährlich für sein Krähen 9 Pfund 2 Schilling und 6 Pence. (Siehe Doktor Chamberlaynes „Gegenwärtiger Zustand Englands“, 1668, Tl. I, Kap. XIII, Seite 179).

In den Memoiren Katharinas der Zweiten wird erzählt, daß, wenn vor kaum hundert Jahren der Zar oder die Zarin in Petersburg mit einem russischen Prinzen unzufrieden waren, sie denselben in dem großen Vorsaal des Schlosses auf dem Fußboden hinhocken ließen, in welcher Stellung er eine bestimmte Anzahl von Tagen verbleiben und nach Befehl wie eine Katze miauen oder wie eine Henne glucken und seine Nahrung von der Erde aufpicken mußte.

Diese Moden sind verschwunden, doch weniger als man glaubt. Heute verändern die Höflinge, wenn sie glucken, um zu gefallen, ein wenig ihre Tonart. Mehr als einer von ihnen pickt das, was er ißt, von der Erde auf, um nicht zu sagen aus dem Kote.

Es ist ein Glück, daß sich die Könige nicht irren können. So setzen ihre Widersprüche niemand in Verlegenheit. Wenn man unaufhörlich zustimmt, so ist man sicher, immer Recht zu haben, was sein Angenehmes hat. Es wäre einem Ludwig XIV. nicht recht gewesen, in Versailles einen Offizier Kikiriki schreien oder einen Prinzen den Truthahn spielen zu sehen. Was die königliche Würde in England und Rußland erhöhte, das würde Ludwig der Große für unvereinbar mit der Krone des heiligen Ludwig gehalten haben. Man weiß, wie unzufrieden er war, als sich Madam Henriette in einer Nacht so weit vergaß, daß sie von einer Henne träumte, was für eine am Hofe lebende Person in der Tat höchst unpassend ist. Gehört man zum großen Hofe, so muß man nicht vom Hühnerhofe träumen. Bossuet, wie man sich erinnert, nahm dasselbe Ärgernis daran wie Ludwig XIV.

IV.

DEM Kinderhandel im siebzehnten Jahrhundert stand ein Geschäft ergänzend zur Seite, wie wir gezeigt haben. Die Comprachicos trieben diesen Handel und dies Geschäft. Sie kauften Kinder, arbeiteten diese Rohware etwas um und verkauften sie dann wieder.

Es gab Verkäufer aller Art, vom armen Vater, der sich seine Familie vom Halse schaffen wollte, bis zum Herrn, der sein Sklavengestüt verwertete. Menschenverkaufen hatte nichts Auffallendes. In unseren Tagen hat man zur Verteidigung dieses Rechtes Krieg geführt. Man erinnert sich, daß es noch kein Jahrhundert her ist, daß der Kurfürst von Hessen seine Untertanen an den König von England verkaufte, welcher Menschen brauchte, die sich in Amerika töten lassen wollten. Man ging zum Kurfürst von Hessen wie zum Schlächter, um Fleisch zu kaufen. Der Kurfürst führte Kanonenfleisch. Dieser Fürst speilerte seine Untertanen in seinem Laden auf. Immer heran! Hier ist etwas zu verkaufen.

In England wurden unter Jefferies nach dem traurig verlaufenden Abenteuer des Monmouth eine Menge Personen von hohem und niederem Adel enthauptet und gevierteilt. Diese Hingerichteten hinterließen Frauen und Töchter, Witwen und Waisen, welche Jakob II. der Königin, seiner Frau, schenkte. Die Königin verkaufte diese Damen an William Penn. Wahrscheinlich hatte der König seine Gebühren und Prozente davon. Das Wunderbare ist nicht, daß Jakob II. diese Frauen verkauft hat, sondern daß William Penn sie gekauft hat.

Penns Einkauf läßt sich damit entschuldigen oder erklären, daß, da er eine Einöde mit Menschen zu besäen hatte, er Frauen brauchte. Die Frauen gehörten zu seinem Werkzeug. Diese Ladies waren ein gutes Geschäft für Ihre erlauchte Majestät die Königin. Die jungen wurden teuer bezahlt. Man denkt mit dem Unbehagen eines aus Schadenfreude und Unwillen gemischten Gefühls daran, daß Penn alte Herzoginnen vermutlich sehr billig bekam.

Die Comprachicos hießen auch „Cheylas“, ein hindostanisches Wort, das „Nestausnehmer“ bedeutet.

Lange Zeit hindurch versteckten sich die Comprachicos nur halb. Manchmal liegt in der geselligen Ordnung ein für verbrecherische Industrien günstiges Halbdunkel, in welchem sie sich erhalten. Wir haben in unserer Zeit in Spanien eine derartige von dem Trabuchero Ramon Selles geleitete Bande von 1834 bis 1866 dauern und dreißig Jahre lang drei Provinzen, Valencia, Alicante und Murcia in Schrecken halten sehen.

Unter den Stuarts standen sich die Comprachicos mit dem Hofe nicht schlecht. Im Notfalle bediente sich die Staatsraison ihrer. Sie waren für Jakob II. fast ein instrumentum regni. Das war die Zeit, in welcher man die hinderlichen und widerspenstigen Familien verstümmelte, die Kindschaften vernichtete und die Erben gewaltsam unterdrückte. Manchmal brachte man einen Familienzweig darum zu Gunsten eines anderen. Die Comprachicos besaßen das Talent zu entstellen, was sie der Staatskunst empfahl. Entstellen ist besser als töten. Man hatte in der Tat die eiserne Maske; aber das ist ein grobes Mittel. Man kann Europa nicht mit eisernen Masken bevölkern, während nichts Absonderliches darin liegt, wenn entstellte Possenreißer in den Straßen umherlaufen, und ferner läßt sich eine eiserne Maske abreißen, eine Maske von Fleisch nicht. Dich auf immer mit deinem eigenen Gesichte maskieren, etwas Geistreicheres gibt es nicht. Die Comprachicos bearbeiteten den Menschen wie die Chinesen den Baum bearbeiten. Sie hatten Geheimnisse, Kniffe, eine Kunst, die verloren gegangen ist. Eine gewisse seltsame Verkrüppelung ging aus ihren Händen hervor. Es war lächerlich und tief. Sie verarbeiteten ein kleines Wesen mit so viel Geist, daß der eigene Vater es nicht wiedererkannt hätte, „et que méconnaitrait l’oeil mème de son père“ sagt Racine mit einem Sprachfehler. Mitunter ließen sie die Wirbelsäule gerade, aber sie überarbeiteten das Gesicht. Sie trennten das Zeichen aus einem Kinde, wie aus einem Schnupftuch. Denjenigen, Produkten, welche zu Possenreißern bestimmt waren, wurden die Gelenke in kunstgerechter Weise verrenkt. Man hätte glauben sollen, sie hätten keine Knochen. Das gab gymnastische Künstler.

Die Comprachicos nahmen dem Kinde nicht allein sein Gesicht, sie nahmen ihm auch sein Gedächtnis, so viel wenigstens als sie konnten. Das Kind hatte kein Bewußtsein von der erlittenen Verstümmelung. Diese entsetzliche Chirurgie ließ Spuren in seinem Gesicht, aber nicht in seinem Geist zurück. Es erinnerte sich höchstens, daß es eines Tages von Menschen ergriffen worden und dann eingeschlafen war, und daß man es später kuriert hatte. Wovon kuriert? Es wußte nichts davon. Brandwunden durch glühenden Schwefel und Schnitte mit dem Messer – es erinnerte sich derselben nicht. Während der Operation schläferten die Comprachicos den kleinen Dulder vermöge eines betäubenden Pulvers ein, das für ein Zaubermittel galt und den Schmerz ertötete. Dies Pulver ist von jeher in China bekannt gewesen und wird noch heute dort gebraucht. China hat vor uns alle unsere Erfindungen gehabt, die Buchdruckerkunst, die Artillerie, die Luftschiffahrt, das Chloroform. Nur bleibt die Entdeckung, die in Europa sofort Leben und Wachstum annimmt und zum Staunen und Wunder wird, in China ein Embryo und erhält sich daselbst totgeboren. China ist eine Flasche, in der Föten konserviert werden.

Da wir einmal in China sind, so wollen wir noch einen Augenblick daselbst verweilen, einer Merkwürdigkeit halber. In China hat man seit undenklichen Zeiten viel Fleiß auf folgende Industrie verwendet. Die Modellierung des lebendigen Menschen. Man nimmt ein zwei oder dreijähriges Kind, man steckt es in ein mehr oder weniger wunderliches Porzellangefäß ohne Deckel und ohne Boden, damit Kopf und Füße durch können. Bei Tage hält man es in aufrecht stehender Lage, nachts legt man es hin, damit es schlafen kann. So wächst das Kind, ohne größer zu werden, und füllt mit seinem gepreßten Fleisch und verrenkten Knochen die Wände des Gefäßes aus. Dieses Wachsen in der Flasche dauert mehrere Jahre. Wenn ein gewisser Zeitpunkt gekommen ist, ist keine Hilfe mehr. Wenn man glaubt, daß es gelungen und die Mißgestalt fertig ist, zerschlägt man das Glas, das Kind kommt heraus, und man hat einen Menschen in Gestalt eines Topfes.

Das ist bequem, man kann sich im Voraus seinen Zwerg in irgendeiner beliebigen Form bestellen.

V.

JAKOB II. duldete die Comprachicos. Er hatte gute Gründe dazu; er bediente sich ihrer. Das passierte ihm wenigstens mehr als einmal. Man verschmäht nicht immer, was man verachtet. Diese niedrige Industrie, die manchmal ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für die hohe Industrie ist, welche man Politik nennt, wurde absichtlich in Not und Elend gelassen, aber keineswegs verfolgt. Keine Überwachung, aber eine gewisse Aufmerksamkeit. Das konnte nützlich sein. Das Gesetz drückte ein Auge zu, der König öffnete das andre.

Mitunter gestand der König sogar seine Mitschuld ein. Das ist die Kühnheit der monarchischen Schreckensherrschaft. Der Entstellte wurde mit dem Zeichen der Lilie gebrandmarkt. Man nahm ihm das Zeichen Gottes, man gab ihm das Zeichen des Königs. Jakob Astley, Ritter und Baronet, Herr von Melton, Constable in der Grafschaft Norfolk, hatte in seiner Familie ein verkauftes Kind, auf dessen Stirn der mit dem Verkauf Beauftragte vermittelst eines glühenden Eisens eine Lilie einge