Der laufende Berg - Ludwig Ganghofer - E-Book

Der laufende Berg E-Book

Ludwig Ganghofer

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Beschreibung

Ein Hochland-Roman - Erst als vom nahen Berg her die Katastrophe droht wächst die in Intrigen und Eifersucht verstrickte Dorfgemeinschaft zusammen....

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Der laufende Berg

Ludwig Ganghofer

Inhalt:

Ludwig Ganghofer – Biografie und Bibliografie

Der laufende Berg

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Der laufende Berg, Ludwig Ganghofer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN:9783849614690

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Ludwig Ganghofer – Biografie und Bibliografie

Dichter und Schriftsteller, Sohn des August Ganghofer, geb. 7. Juli 1855 in Kaufbeuren, wandte sich erst der Maschinentechnik zu, betrieb dann in Würzburg, München und Berlin philosophische, naturwissenschaftliche und philologische Studien und widmete sich, nachdem er 1879 in Leipzig promoviert worden war, ausschließlich literarischer Tätigkeit. Er lebt in München. G. errang seine ersten Erfolge als Dramatiker durch die für die Wandertruppe der Münchener Dialektschauspieler gemeinsam mit Hans Neuert geschriebenen Volksstücke: »Der Herrgottschnitzer von Ammergau« (Augsb. 1880; 10. Aufl., Stuttg. 1901), »Der Prozeßhansl« (Stuttg. 1881, 4. Aufl. 1884) und »Der Geigenmacher von Mittenwald« (das. 1884, neue Bearbeitung 1900). Später folgten das gemeinsam mit Marco Brociner geschriebene Trauerspiel: »Die Hochzeit von Valeni« (Stuttg. 1889,.3. Aufl. 1903), die Schauspiele »Die Falle« (das. 1891), »Auf der Höhe« (das. 1892) und das ländliche Drama »Der heilige Rat« (das. 1901). Einen großen Leserkreis erwarb sich G. durch sein frisches Erzählertalent, insbes. mit seinen Hochlandsgeschichten. Wir nennen davon die meist in einer Reihe von Auflagen erschienenen Werke: »Der Jäger von Fall« (Stuttg. 1882), »Almer und Jägerleut« (das. 1885), »Edelweißkönig« (das. 1886, 2 Bde.), »Oberland« (das. 1887), »Der Unfried« (das. 1888), »Die Fackeljungfrau« (das. 1893), »Doppelte Wahrheit« (das. 1893), »Rachele Scarpa« (das. 1898), »Tarantella« (das. 1898), »Das Kaser-Mandl« (Berl. 1900) sowie die Romane: »Der Klosterjäger« (Stuttg. 1893), »Die Martinsklause« (das. 1894), »Schloß Hubertus« (das. 1895), »Die Bacchantin« (das. 1896), »Der laufende Berg« (das. 1897), »Das Gotteslehen« (das. 1899), »Das Schweigen im Walde« (Berl. 1899), »Der Dorfapostel« (Stuttg. 1900), »Das neue Wesen« (das. 1902). Daneben veröffentlichte er noch: »Vom Stamme Asra«, Gedichte (Brem. 1879; 2. vermehrte Aufl. u. d. T.: »Bunte Zeit«, Stuttg. 1883), »Heimkehr«, neue Gedichte (das. 1884), »Es war einmal«, moderne Märchen (das. 1891), »Fliegender Sommer«, kleine Erzählungen (Berl. 1893) u. a. Im Roman »Die Sünden der Väter« (Stuttg. 1886, 7. Aufl. 1902) versuchte sich G. ohne rechtes Glück als Sittenmaler; er hat darin den Dichter Heinrich Leuthold geschildert. G. gab auch eine Übersetzung von A. de Mussets »Rolla« (Wien 1880) und mit Chiavacci die »Gesammelten Werke Johann Nestroys« heraus.

Der laufende Berg

Kapitel 1

Silberne Fäden, schimmernd in der Morgensonne, gaukelten durch die stille Luft; langsamen Fluges kamen sie aus dem Tal heraufgezogen, in dessen sonniger Tiefe das Dorf mit seiner Kirche und den hundert Häusern gleich einem weitschichtig ausgekramten Spielzeug zwischen den herbstlich gefärbten Berghängen lag. Der vergoldete Knauf des Kirchturmes strahlte in hellem Feuer, die alten Schindeldächer schillerten wie silbergrauer Samt, und auf den neuen Häusern leuchteten die frischen Ziegel wie Metall in der Rotglut. Die welkenden Obstbäume waren anzusehen als trügen sie keine Blätter mehr, nur eine Menge kleiner, rotwangiger Früchte. Und Buche und Ahorn spielten zwischen brennendem Gelb und tiefem Purpur.

Das gegen Süden blickende Berggehänge war von der Morgensonne übergossen, das jenseitige noch von blauem Frühschatten umwoben, und über den Felswänden hoben sich die vom ersten Schnee überhauchten Zinnen mit seinen Silberlinien in das wolkenlose Blau des Himmels.

Wie im Märchen die Gestalt der guten Fee von einem Zauberschleier umflossen ist, so war dieses farbenschöne Bild der Landschaft übersponnen von Flimmern und Geglitzer; das ging von den fliegenden Fäden aus, bis zu Tausenden die Luft durchgaukelten; bald waren es nur winzige Dinger, die einem schwebenden Funken glichen, bald wieder lange Fadenschlangen, welche stiegen und sanken, sich spielend rollten, Schlingen bildeten und sich langsam wieder streckten. Alle Hecken und Gesträuche waren überzogen von dem blitzenden Gespinst; auf den welken Wiesen lag es umher und schimmerte; an kahlen Bodenstellen, von denen der Rasen nieder gebrochen war, glitzerten die weißen Fäden, als träte pures Silber in seinen Adern aus der verwundeten Erde hervor; und an ein Fichtengehölz, das einen seltsam müden Anblick gewährte, fast den Anblick eines in Dürre sterbenden Waldes, war das leuchtende Gespinst in solcher Menge angeflogen, dass die schräg durcheinander stehenden Fichten einer Schar geplünderter Weihnachtsbäume glichen.

Auf den offenen Halden lag, obwohl der Oktober schon begonnen hatte, die Morgensonne mit linder Wärme. Doch im Schatten des Waldes hauchte eine empfindliche Kühle, und an dem welken Kraut des Bodens hing noch der graue Reif der vergangenen Nacht. Der Wald schien öde zu sein, und dennoch herrschte in ihm eine merkwürdige Unruh. Erregte Stimmen klangen von den bewohnten Gehängen herüber. Dumpf widerhallten zwischen den Bäumen die schweren Schläge, mit denen irgendwo auf den Halden Pfähle in den Boden getrieben wurden, und überall im Walde ließ sich ein Rauschen und Gurgeln vernehmen, wie von reichlich strömendem Wasser.

Es hatte in der vergangenen Woche stark geregnet und hoch droben in den Felswänden schmolz die Sonne den früh gefallenen Schnee; aber nirgends im Walde rann ein Tropfen, alle Wasserrinnen der Gießbäche lagen trocken. Und dennoch dieses rastlose Gurgeln und Geriesel! Es klang wie versunken, tief aus der Erde herauf.

Steine rollten, und zu dem lauten Hall, mit dem sie gegen die Stämme schlugen, gesellte sich das Klirren eines eisenbeschlagenen Bergstockes.

Über den Waldhang kam auf steilem Pfad ein Jäger herabgestiegen - kein Berufsjäger, sondern einer, der die Jagd zu seinem Vergnügen trieb; nur der verwitterte Rucksack, der grüne Filzhut mit der Spielhahnfeder und die schweren Nagelschuhe erinnerten an die landesübliche Jägertracht; statt der Joppe trug er einen Flaus aus braunem Velvet, dazu eine grüne Weste mit Silber gefassten Hirschgranen und eine graue Tuchhose, die unter den Knien mit Ledergamaschen umschlossen war; eine neue Expressbüchse, die den Erlös eines Ochsen gekostet hatte, vollendete die Ausrüstung dieses Bauern, der sich als Gutsbesitzer fühlte. Er mochte einige Jahre über dreißig zählen, und man sah es ihm an, dass er ein hübscher Bursch gewesen war; noch heute stand ihm der schwarze Schnurrbart gut zu Gesicht, und ein Zug behaglichen Wohlwollens spielte um den vollen Mund; die derben Wangen zeigten jene rötlichen Äderchen, die an fleißig vertilgten Rotwein denken ließen, und die unruhig schwimmenden Augen verrieten, dass Toni Purtscheller auch den Jähzorn zu seinen Untugenden zählte.

Er hatte ein mühsames Niedersteigen; immer wieder fand er den Pfad von klaffenden Spalten unterbrochen; wohin er den Fuß setzte, lag der Boden locker und rutschte unter seinem Tritt; und rings um ihn her war aller Grund in einer steten, leisen Bewegung; mit dem sachten Knirschen, das aus der Erde quoll, mischte sich manchmal ein dumpfer Knall - da war unter dem Boden eine starke Baumwurzel entzweigerissen.

Eine breite, frisch geöffnete Kluft versperrte den Pfad, und Purtscheller musste einen Umweg machen. Als er den Steig wieder erreichte, blieb er stehen, legte das Kinn auf den vorgestemmten Bergstock und betrachtete den Wald. Einzelne Bäume waren schon gefallen, viele standen schief und hingen mit den Wipfeln überkreuz, und an mancher noch aufrecht stehenden Fichte verriet ein rötlicher Behauch der Nadeln, dass ihre Wurzeln seit geraumer Zeit schon außer Nahrung waren.

"Da kann's noch a schön's Unglück absetzen! Der ganze Berg is im Laufen!"

Mit sorgenvollem Unmut folgte sein Blick den gähnenden Bodenspalten und glitt über die gestürzten und krankenden Bäume. Es war sein eigener Wald, den er sinken und sterben sah. "Da verlier ich wieder an ordentlichen Brocken Geld!" Eine Furche grub sich zwischen seine Brauen, er schob verächtlich die Lippen vor und richtete sich auf. "Ah, was! Der Purtscheller halt's aus!" Nun lächelte er wieder, folgte dem Pfad und hörte zwei lustige Stimmchen. Verwundert gewahrte er zwischen den schiefen Bäumen ein kleiner Bürschl und ein noch kleineres Mädel, die wie die Kinder armer Stadtleute gekleidet waren und unter Lachen ein seltsames Spiel betrieben; sie suchten locker hängende Kanten des Moosgrundes auf, kletterten auf die unterhöhlte Stelle, trampelten mit den Füßen und schaukelten sich so lange, bis der Klumpen Erde mit ihnen niederbrach. "Hopsala hüo!", schrieen sie dann fidel, überkugelten sich, von Sand umwirbelt, und sprangen lachend auf, um das Spiel von neuem zu beginnen.

"Kinderln! Kinderln!", rief ihnen Purtscheller gutmütig zu. "Gebt's Obacht! Der ganze Boden is lebendig. Da kann a Malör passieren, eh man sich umschaut. Gscheid sein, Kinderln! Gscheid sein!"

Die beiden Knirpse standen verlegen, fassten sich bei den Händen und machten scheue Augen. Kaum aber hatte Purtscheller den Rücken gewandt und etwa hundert Schritt sich entfernt, da hörte er hinter sich schon wieder den jauchzenden Kinderschrei: "Hopsala hüo!" Er schüttelte den Kopf und lächelte. "Merkwürdig! Kein Unglück so groß, a Kind kann noch Freud dran finden!", philosophierte er vor sich hin. "Könnt's nur einer 's ganze Leben lang so halten, wie's die Kinder machen! Lachen zu allem, was kommt! In jedem Schatten noch a Lichtl finden!" Er drehte den Schnurrbart, als hätte er seine Freude dran, dass ihm ein guter Gedanke gekommen war.

Noch deutlicher als im Walde zeigte sich auf dem offenen Berghang das Bild einer rastlos fortschreitenden Zerstörung: alle Wiesen verwüstet und überschüttet von kiesigem Erdreich, das aus höheren Lagen nieder geglitten war; hunderte von Rissen und Klüften zogen sich nach allen Seiten; weite Strecken des ebenen Wiesengrundes waren senkrecht zu tiefen Gruben eingesunken, und in diesen Löchern standen schlammige Pfützen, aus denen quirlende Luftblasen aufstiegen.

Wirre Stimmen klangen. Über einen steilen, von Furchen durchrissenen Wiesenhang sah Purtscheller ein Duzend Leute emporsteigen, darunter einige, welche schwarze Röcke trugen. "Natürlich! Die studierten Herrn müssen ihre Nasen einistecken! Bin neugierig, was die auskochen." Aus dem Ton dieses Selbstgespräches klang ein zweifelhafter Respekt vor den Männern der Wissenschaft. Aber in Purtscheller war die Neugier wach geworden. Vielleicht gesellte sich dazu auch die Meinung: "Wo um das Wohl und Wehe des Dorfes geredet wird, muss ich dabei sein! Ich bin der Purtscheller!" Er suchte die Leute einzuholen.

Es waren fünf Herren aus der Stadt, mit Brille oder goldenem Kneifer, bejahrte Männer mit ernsten Gesichtern; sie hatten Pläne bei sich, in die sie mit Farbstiften die Bewegungslinien des ins Laufen geratenen Berghanges einzeichneten; drei Geometergehilfen waren mit Theodolit, Messlatte und Erdbohrer bei der Arbeit. Der Pfarrer des Dorfes, der Bürgermeister und zwei Gemeinderäte begleiteten die Kommission, um die knapp gestellten fragen mit redseligem Eifer zu beantworten. Hinter ihnen, als dreizehnter, folgte in bescheidener Entfernung ein alter Bauer, um den sich niemand kümmerte. Er war nicht, wie die anderen, aus dem Dorfe heraufgekommen; drüben auf einem nahen Wiesenhang stand ein kleines Heimwesen, das der unheimliche Bergrutsch zu verschlingen drohte. Als er die Herren gesehen hatte, war er von der Rettungsarbeit weggelaufen, um ein Wort des Trostes zu hören, einen Schimmer von Hoffnung für sein versinkendes Haus zu empfangen. Seine Kleidung bestand aus einem mürben Rupfenhemd und einer blauen, verwaschenen Leinwandhose, welche Häubchen and en Knien hatte und am Bund von den Hosenträgern zu Zacken ausgezogen war. Arbeit und Jahre hatten den müden Körper gebeugt. Die weißen Haare waren glatt in die Stirn gestrichen - ein von zahllosen Fältchen durchschnittenes Sorgengesicht mit rotgeränderten, kummervollen Augen. Er hatte die dürren, schwieligen  Hände auf dem Rücken liegen auf seine Finger zitterten.

Da klang hinter ihm die Stimme Purtschellers: "Grüß Gott, Simmerauer! Was is denn da?"

Der Alte blickte auf. "Die gealogisch Kammissoni is da!", sagte er leise, als könnte jedes laute Wort den wichtigen Vorgang stören.

"So, so?" Im  Vollgefühl seiner Persönlichkeit ging Purtscheller auf die Herren zu und lüftete den Hut. "Grüß Gott, ihr Herrn mitander! Fleißig bei der Arbeit, ja?"

Der Pfarrer dankte für den Gruß, der Bürgermeister und die beiden Gemeinderäte zogen den Hut; von den fremden Herrn schien es keiner zu beachten, dass sich die Gesellschaft um eine so bedeutungsvolle Persönlichkeit vermehrt hatte; sie waren mit einer Erdprobe beschäftigt, die der Bohrer aus dem Grunde gehoben hatte.

Purtschellers Gesicht färbte sich dunkelrot; diese Missachtung seiner Person hatte ihn beleidigt. Einer der Gemeinderäte merkte das und wollte dem Purtscheller-Toni zu der ihm gebührenden Anerkennung verhelfen. Aber die gelehrten Herren waren über den breinassen Lehm, den der Bohrer gefördert hatte, in eine so lebhafte Debatte geraten, dass sie für nichts anderes Ohr und Augen hatten.

Eine Weile kaute Purtscheller am Schnurrbart; dann wandte er der Gesellschaft den Rücken; lachend, doch mit Ärger in der Stimme, rief er über die Schulter zurück: "Gelt, Bürgermeister? Wann's ans Zahlen geht, kannst mich auch auf der Seit stehn lassen! Mich geht ja die ganze Gschicht nix an. Mein Haus und Hof is net in Gfahr."

Der Bürgermeister machte große Augen. "Aber geh, Toni, was hast denn?"

"Ja, ja! Is schon gut!" Purtscheller winkte dem alten Simmerauer. "Komm, Michel, uns zwei kann man da net brauchen!"

Man sah es dem Alten an, dass er gern geblieben wäre; aber zu der ehrenvollen Erlaubnis, den Herrn Purtscheller ein Stück Weges begleiten zu dürfen, konnte er den Kopf nicht schütteln. So hielt er sich and er Seite des missmutigen Jägers, blickte aber immer wieder über die Schulter zurück und lauschte, ob er von den verhallenden Stimmen nicht ein tröstendes Wort erhaschen könnte.

Leuchtende Fäden flogen den beiden entgegen und legten sich über ihre Gesichter. Besonders auf den alten Simmerauer hatten sie es abgesehen. Immer wieder musste er solch ein schimmerndes Ding von seinen Augen lösen. Diese Mühe machte ihn nicht unwillig. "So hat der Altweibersommer noch nie net gsponnen, seit ich leb! Sechzg Jahr lang! So was hab ich noch nie net gsehen."

"Wann die Spinnfäden so fliegen, sagt man, bös bedeutet an harten Winter!"

Der Alte seufzte. "So a Glück! Ja! So a Glück wann käm!"

"Freilich! Wann's an richtigen Frost machen tät, da möcht der Berg 's Laufen bald aufhören."

"Was sagen S', Herr Purtscheller, was er auf amal für Gschichten macht! So a narrischer Berg! Viel tausend Jahr hat er an Fried geben! Und über Nacht fangt er söllene Sachen an! Wie an alter Mensch, der allweil nüchtern war, und jetzt hat er den ersten Rausch!" Michel wandte das Gesicht zu den grauen Felswänden hinauf. "Alterl! Alterl! Dös hat dir auch net der leibe Herrgott eingeben! Da hast auf'n Teufel ghört!" Seine kummervollen Augen irrten über das verwüstete Gehänge. "Die besten Wiesen frisst er, den schönsten Wald streicht er wie Butter aufs Brot und ein Häusl um's ander schluckt er. Vor acht Tag is dem Pichler 's seinige gfallen, gestern is 's Häusl vom Mitterhuber eingsunken bis ans Dach, dass die armen Leut durch'n Rauchfang haben ausi schliefen müssen! Und 's meinige -" Die Stimme brach ihm. Er fasste Purtschellers Arm und deutete ins Tal hinunter. "Sehen S' den Kirchturmknopf? Wie er glänzt in der Sonn?"

"Ja, Michel! Warum?"

Der Alte stieß mühsam Wort um Wort vor sich hin: "Den Kirchturmknopf hab ich gestern am Abend von meiner Haustür aus noch glänzen sehen. Heut in der Fruh is er verschwunden gwesen!"

"Michel!"

"Der Wald da drunt is doch net gewachsen über Nacht? Und die Kirch hat sich auch net vom Fleck grührt? Also?"

"Jesus Maria! Michel! Um so viel is dein Häusl gsunken in der Nacht?"

"'s Häusl net. Aber der Boden, wo 's draufsteht, mit'm Garten, mit die Äpfelbäum, mit allem."

Purtscheller betrachtete den Alten in ehrlicher Sorge. "Michel! Wann's krumm geht, so schenier dich net und komm zu mir! Für an braven Menschen, wie du, hab ich allweil offene Händ!"

Michel schüttelte den weißen Kopf. "Vergelts Gott! Betteln tu ich net. Ich glaub net dran, dass mein Häusl abi muss. Ich hilf mir schon noch. Und einer, bös weiß ich, einer hilft mit!" Sein Blick suchte den blauen Himmel. Sie mussten eine breite Erdspalte überklettern, die den Wiesenhang quer durchrissen hatte. Als der Blick ins Tal wieder offen lag, sagte Michel: "Wie die weißen Mauern vom Purtschellerhof schön aufleuchten! Sie haben's halt gut! Der Purtschellerhof braucht sich vor keiner Nacht net fürchten."

"Ja! Mein Haus steht fest. Da wackelt nix. Dös hat gfunden Felsboden und dicke Mauern. Da kann der Berg laufen, wie er mag." Purtscheller blickte mit stolzem Behangen auf seinen stattlichen Hof hinunter. Aus diesem zufriedenen Gefühl heraus erwachte in ihm der Gedanke, dass es grausam wäre, sich seines reichen, ungefährdeten Besitzes zu freuen, während dem Michel der Jammer aus den Augen redete. Da wäre ein tröstender Zuspruch eher am Platz. "Schau, musst mich net beneiden um mein Glück! Weißt, jeder Mensch hat Sorgen, der Reiche grad so wie der Ärmste. Ich bin der Purtscheller. aber mir steigen vor Sorgen oft d' Haar am Kopf auf wie Besenstiel. Was mir an einzigs Jahr Verdruss bringt, so viel is dir dein Leben lang net übern Hals kommen. So a weit schichtigs Anwesen tragt, aber es frisst auch. Manches Jahr heißt's: draufzahlen, dass man schwarz werden könnt. Unsereiner hat Verpflichtungen auf alle Seiten. Da heißt's allweil: zahlen, zahlen und zahlen. D' Jagd is frei. Wer muss f' denn pachten? Der Herr Purtscheller! Schreiben f' in der Stadt a Trabrennen aus? Wer muss laufen lassen? Der Herr Purtscheller! Halten f' a Scheibenschießen ab? Wer muss den Ehrenpreis stiften? Der Herr Purtscheller. Ich sag dir's, Michel, ich brauch meine gschlagenen 12- bis 15-tausend Marklin im Jahr. So viel hat kein Minister in der Stadt. Dös is a Brocken Geld. Der muss her gschafft werden. Geh's, wie's will!"

"Mar' und Josef!" Im Schreck über die Sorgen, die der arme Purtscheller zu tragen hatte, vergaß der Simmerauer für einige Sekunden seines eigenen Jammers.

"Und söllene Sachen packen ein' und lassen ein' nimmer aus! Schau: so notwendig hätt ich heut in der Fruh auf die Felder nachschauen sollen. Aber na! Da kommt der Jagdghilf und meldt: Der starke Hirsch wechselt über die Grenz aus, wann er net gschossen wird. Was will ich machen? Muss ich halt auffi!"

"So? So? Auf den starken Hirschen haben S' gjagt? Ja, der hat arg gschrien in die letzten Nächt!"

"Hast ihn ghört?"

"Freilich! Ich hab seit Wochen kein' Schlaf nimmer. Jede Nacht fahr ich zwanzg Mal auf und greif an d' Wand hin, ob s' noch da is. Haben S' ihn kriegt, den Hirschen?"

"Na! Rein umsonst bin ich droben gwesen! Aber was ich sagen will: Im Hölzl hab ich deine Enkerln troffen. Solltest die Kinder in so einer Zeit net umanand laufen lassen. Wie leicht kann ihnen was passieren!"

Michel schüttelte den Kopf. "Kinder haben an guten Schutzengel. Wir daheim müssen am Haus arbeiten den ganzen Tag, und ich hab's net gern, wann die armen Hascherln allweil unsern Jammer mit anschauen müssen. So was macht ihnen 's Gmüt krank. Kinder sollen lustig sein, die harte Zeit kommt eh noch früh gnug. Da lass ich s' lieber umanand laufen. Und 's Hölzl drüben is noch am sichersten, da halten die Wurzeln fest. Mei' gute Alte in ihrer Sorg, freilich, die sagt allweil -" Er verstummte, blieb stehen und blickte zu einem nahen Bauernhaus hinüber, dessen verschobenes Dach auf schiefen und halb geborstenen Mauern saß. Undeutlich hörte man die erregten Stimmen der Leute, von denen die einen das Türgebälk und die Fensterstöcke aus der Mauer brachen, während andere das armselige Hausgerät auf einen Leiterwagen luden, vor dem ein klapperdürres Rössl mit einer schwerfälligen weißen Kuh zusammengekoppelt war. "Der erbarmt mich! Der arme Gaßner!", nickte Michel vor sich hin. "Jetzt muss er Auszug halten. Traut sich nimmer schlafen unter'm Dach."

"Der is gscheid, Michel! Der bringt beizeiten in Sicherheit, was zum Forttragen is, und baut sich drunten im Ort a neus Häusl auf festen Boden. Es wär am besten, du tätst es ihm nachmachen! Sag ja, Michel, und ich hilf dir dazu."

Wortlos schüttelte der Alte den Kopf.

"Schau, Michel, nimm Vernunft an!" Purtscheller legte dem Simmerauer den Arm um die Schulter. "So a Berg, wann er amal 's Laufen anfangt, gibt kein' Fried nimer, eh net alles drunten is. Sei gscheid, Michel, fang 's Ausräumen an, und drunten baust dir wieder. Von mir kriegst den Baugrund. Für a Vergelts Gott und an Schoppen Tiroler. Dem Purtscheller kommt's auf a lumpigs Tagwerk net an. Zum Bau gib ich dir tausend Mark auf ewige Hypothek. Geh her, Alter, schlag ein!"

"Dank schön, Herr Purtscheller! Sie meinen's gut. Aber der Michel muss bleiben. Der kann net fort."

"Was der Gaßner fertig bringt, wird auch bei dir noch möglich sein."

Der Simmerauer fuhr sich mit langsamer Hand über das weiße Haar. "Der Gaßner! Der kann leicht ausräumen. Der kann sich leicht an anders Heimatl suchen. Aus der Fremd is er herzogen und hat sein Häusl kauft vor vierzehn Jahr. Der hat sich noch gar net einglebt drein! Aber ich? Ich bin angwachsen. Mein Vater, mein Ahnl und Urahnl is schon gsessen an dem Tisch, wo ich heut noch sitz. Da bin ich Kind gwesen, da hab ich mein Katherl heimgeführt, da hab ich Glück und Sorgen übertaucht, bis aus'm lustigen Micherl langsam der alte Michel worden is mit weiße Haar. Und ich soll fortkönnen? Na, lieber Herr! Jeder Stein am Häusl is a Stückl von mir, jeder Span an der Tür, an Tisch und Bank is lebendigs Holz und hat Wurzeln in meiner Seel. Mein Häusl bin ich! Und mein Häusl is alles, was ich hab. Sonst hab ich nix. Und wann sich der Mensch auf'n Schragen legt und macht d' Augen zu? A bissl was muss er überlassen für seine Kinder. Sonst is sein Leben für gar nix gwesen. Na, Herr Purtscheller! Ich kann net fort. Und wann's schon so sein müsst, dass der Berg mein Häusl schluckt? In Gotts Namen! Muss ich halt mit abi. Mein Häusl und ich, wir halten zamm."

Ein Knirschen quoll aus der Erde. Neben den beiden öffnete sich eine braune Spalte, während der Rasen unter ihren Füßen sich senkte und in langsames Gleiten geriet.

"Da! Er lauft schon wieder!", sagte der Simmerauer ruhig, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Purtscheller war bleich geworden und hatte im ersten Schreck einen Sprung gemacht, wie eine Katze, der man kaltes Wasser über den Pelz gegossen. Während er nach einem sicheren Fleck suchte, kam die laufende Erde schon wieder in Stillstand. "Ich dank schön," stammelte er, "da is a unguts Bleiben!"

"Sind S' erschrocken, gelt? Im Anfang is mir's auch so gangen. Jetzt bin ich gwöhnt dran." Michel lauschte. Von einem nahen Gehäng, das hinter verwüsteten Haselnussstauden verborgen lag, klang der Hall schwerer Schläge. "Hören S' ihn, wie er drauf los schafft? Dös is mein Bub!"

"Is denn der Mathes daheim?"

"Ja! Den hat mir der liebe Herrgott gschickt. Gestern haben s' ihn auslassen von die Manöver, am Abend is er dagwesen. Sein blaus Röckl, ja, aber d' Uniformhosen hat er nimmer abi bracht. Gleich hat er 's Arbeiten angfangt. Die ganze Nacht hat er gschafft. Und 's Madl hat ihm gholfen." Ein Schimmer müder Freude huschte über das verhärmte Gesicht des Alten. "Mein Vronerl! An der is a richtigs Mannsbild verloren gangen. Die ander, freilich, die ander - Gott gib ihr die ewige Ruh, die hat mir viel Sorgen gmacht." Er wischte mit dem Arm über die Stirn, wie einer, der sich den Schweiß abtrocknet.

Drüben über dem Tal hatte die steigende Sonne den Weg in die schattigen Felswände gefunden, und einzelne Schroffen tauchten gleich funkelnden Erzgebilden aus dem bläulichen Dunkel hervor. Immer lustiger folgen die silbernen Fäden, frischer zog der Wind aus der Tiefe herauf über die zerrissenen Wiesengehänge, man hörte das dumpfe Rauschen des Wassers, das in der Talsohle mit wildem Ungestüm aus dem Innern des unterhöhlten Berges hervorströmte, und immer lauter klang vom Haus des Simmerauer das Dröhnen der schweren Schläge, untermischt mit dem verworrenen Klang erregter Stimmen.

Da fuhr der Alte aus seinen Gedanken auf. "Na! Bin ich aber einer! Da steh ich und plausch. Und meine Leut daheim müssen schaffen, dass ihnen der Schwitz über d' Nasen kugelt." Mit flinken Schritten ging er davon.

Purtscheller, der seit der kleine Schlittenfahrt, die er mit dem gleitenden Rasen gemacht hatte, merkwürdig still geworden, folgte, als trieben ihn Mitleid und Neugier hinter dem Alten her. Aber Michel kam immer weiter voraus. Und als Purtscheller die Haselnussstauden erreicht und eine Lücke des Buschwerkes durchschritten hatte, blieb er betroffen stehen. Sonst hatte man das Haus des Simmerauer von dieser Stelle aus immer gesehen, schmuck und freundlich, mit dem hübschen Gärtl und dem sauber gehaltenen Schuppen. Jetzt war alles verschwunden. Nur ein niederes Gewirr von Apfelbaumzweigen mit welken Blättern ragte über eine scharf gezogene Bodenkante empor, und zwischen dem grauen Astwerk schimmerte das Gesims eines weiß getünchten Kamins.

"O du lieber Herrgott," stotterte Purtscheller, "dös Häusl muss ja schon um fünf, sechs Meter gsunken sein!" Er eilte vorwärts. Nun hielt er vor einem fast senkrecht abfallenden Erdrutsch, und ihm zu Füßen lag das kleine Heimwesen des Michel, das noch vor einem Monat mit der Wiese, auf welcher Purtscheller stand, in gleicher Höhe gelegen hatte.

Kapitel 2

Der ganze Grund, der das Haus des Simmerauer mit Garten und Scheune, mit einem abgeernteten Getreidefeld und einem schmalen Kartoffelacker trug, hatte sich im Umkreis von ein paar hundert Schritten vom höhern Berghang losgelöst und war der 'laufenden' Erde des tiefer liegenden, vom Wasser unterhöhlten Wiesengehänges nachgesunken. Das hatte sich nicht gewaltsam vollzogen, ganz allmählich, mit schleichender Bewegung. An der Abrissstelle, über die Purtscheller nieder blickte, war oben die kahle Erde schon ausgetrocknet, während sie unten noch frisch und feucht war. Ein plump gefügter Verhau aus Baumstämmen und verflochtenem Astwerk stützte die Böschung und sollte ein Nachgleiten des höheren Bodens verhindern - ein Rettungsversuch, der anzusehen war, als wollte eine Kinderhand den tollen Lauf eines scheu gewordenen Pferdegespannes aufhalten.

Am Fuß der Böschung sickerte durch das Rutengeflecht ein schlammiges Wasser hervor, das den freundlich gepflegten Garten mit seinen Kohlbeeten und Blumenrabatten versumpfte, sich in breiten Pfützen um die Wurzeln der trauernden Obstbäume sammelte und den Hofraum, das Stoppelfeld und den Kartoffelacker, der die Früchte noch barg, in Morast verwandelte. Doch diese Verwüstung hatte ein lächelndes Gesicht. Der blaue Himmel spiegelte sich in dem stehenden Wasser, das Sonnenlicht übergoldete den nassen Schlamm. Wohl gefährdet, doch scheinbar noch unberührt von der schleichenden Zerstörung, erhob sich inmitten des leuchtenden Grundes das kleine, schmucke Haus. Die weiß getünchten Mauern schimmerten wie frische Leinwand, die Glasscheiben blitzen zwischen den grün gestrichenen Läden, rot blühten die Nelkenstöcke auf allen Fenstergesimsen, an der kleinen schon altersgrauen Holzgalerie der Giebelstube glitzerten die angeflogenen Fäden, und auf der Höhe des Firstes glomm ihr Schein wie ein Elmsfeuer, das bei Tage brennt.

Diesem freundlichen Anblick widersprach das unruhige Leben, von dem das kleine Haus umgeben war. Die Hühner, die das Waten im Schlamme satt bekommen hatten, waren auf die Obstbäume geflogen, saßen gackernd im Gezweig oder putzten das durchnässte Gefieder. Zwei Ziegen, das zottige Fell mit Kot behangen, schleiften meckernd ihre langen Stricke durch die Pfützen, und eine braune Kuh, die neben der Scheune angebunden war, stand mit gespreizten Füßen, hielt den Schweif gestreckt und brüllte. Ahnte das Tier die Gefahr, die unter ihm in der sinkenden Erde drohte? Oder war es nur in scheue Unruh geraten durch den Hall der wuchtigen Schläge, mit denen ein junger Bursch, der die blaue Soldatenhose trug, einen schweren, übermannshohen Pfahl in den Boden trieb?

Das war der Mathes, eine hager und sehnig aufgeschossene Gestalt, an der nichts Weiches und Schmiegsames war, alles herb und eckig. Kurzgeschnittenes Blondhaar umschimmerte den Kopf, und stille, blaue Augen glänzten in dem ernsten Gesicht, das glatt rasiert war, jetzt gerötet von der anstrengenden Arbeit. Stirne, Wangen und Hals waren überronnen von glitzernden Schweißperlen. Wie wenig er seiner Schwester glich! Niemand hätte ihn für den Bruder des Mädels gehalten, das vor einem Holzblock stand und mit Beilhieben einen hohen Pfahl zuspitzte. Ein Menschenkind von strotzender Gesundheit und kräftiger Jugendfrische. Alle Formen gerundet und schier ungebärdig unter dem Zwang der zu knapp gewordenen Kleidung. Die Lippen von heißem Rot, die Wangen brennend, die dunklen Augen von hellem Feuer, die Stirn umringelt von den wirren Härchen, die aus dem Nest der braunen Flechten herausgesprungen waren. Unermüdlich schwang sie das Beil, warf den gespitzten Pfahl beiseite und griff nach einem anderen. Sie stand mit nackten Füßen im Schlamm, hatte den dunkelgrünen Rock geschürzt und das gestrickte Leibchen geöffnet, dessen schwarze Wolle in Sonne und Regen zu einem bräunlichen Filz verwittert war. Der eine der beiden straff gespannten Hemdärmel war bei einem ungestümen Hieb entzweigegangen. Zwischen den Leinwandsetzen schimmerte der Oberarm mit reinem Weiß heraus, während die frei getragenen Unterarme dunkel gebräunt waren.

Wie Mathes dem Vater, so war Vroni der Mutter nachgeraten, die vor dreißig Jahren als das hübscheste Mädel des Dorfes gegolten hatte. Davon war nimmer viel an dem gealterten Weibl zu gewahren, das gebeugt vor dem Sägbock stand und frisch gefällte Stangen zu langen Pfählen entzwei sägte. Die grauen Zöpfe hingen um das welk gewordene Gesicht, in dem nur die guten, dunklen Augen noch einen Schimmer vom Glanz der entschwundenen Jugend bewahrt hatten. Immer wieder seufzte Mutter Katherl, während sie die Säge zog. Die Arbeit ging ihr mühselig von der Hand. Wenn der abgesägte Pfahl zu Boden rollte, richtete sie sich auf, um den schmerzenden Rücken ein bisschen rasten zu lassen. Immer glitten dabei ihre Augen mit Sorge über das kleine Haus. Nun zog sie wieder geduldig die in einer Gabel hängende Säge hin und her, und war so vertieft in die Arbeit, dass sie ihren Mann nicht kommen hörte. Er schob sie sanft beiseite, während er ihr die Säge aus der Hand nahm. "Geh, Katherl, setz dich a bissl nieder! Lass mich wieder schaffen!"

Sie wollte zur Hausbank gehen; auf halben Wege kehrte sie wieder um und fragte: "Hast was ghört von die Stadtherren?"

Michel schüttelt edlen Kopf und sägte. "Allweil studieren s' noch und graben dem Berg in die Darm umanand und wissen net, was s' sagen sollen."

Seufzend ging Mutter Katherl zur Hausbank. Aus einem irdenen Krug füllte sie ein Glas mit Milch. Das war seit Tagen das einzige Getränk in der Simmerau. Bier ist teuer. Und das Wasser, das eine Woche lang im Brunnen versiegt war, stand wohl seit zwei Tagen wieder hoch im Schacht, war aber verschlammt und ungenießbar. Über einen der Balken, die kreuz und quer den aufgeweichten Grund durchzogen, ging Mutter Katherl zu Vroni hinüber und reichte ihr das Glas. "Da, Madl, trink, es muss dich ja dürsten."

"Ah na! Es is net so arg."

"No freilich, brennt dir ja 's ganze Gsicht! Geh, sei gscheid und trink!"

Vroni trieb mit festem Schwung das Beil in den Hackstock, um die Hand frei zu bekommen, und leerte das Glas. "Vergelts Gott, Mutter!"

Da hörten sie vom Verhau herüber ein Geraschel der Äste und das Fallen kollernder Erdbrocken. Purtscheller, der über die steile Böschung niedersteigen wollte, war fehlgetreten und hatte sich nur durch einen raschen Griff vor einem Sturz in den Schlamm bewahrt. Nun kam er lachend aus dem Garten hervorgewatet, in der einen Hand die Büchse, in der anderen den Bergstock.

Vroni und ihre Mutter boten ihm verwundert ein Grüßgott, und Michel, ohne die Säge rasten zu lassen, stotterte: "Jesses! Der Herr Purtscheller! Auf den hab ich ganz vergessen!" Nur Mathes schwieg. Ein jähes Erblassen war ihm über die heißen, erschöpften Züge gegangen. Niemand hatte das gewahrt, außer der Mutter, die ihm das Glas mit der Milch hatte reichen wollen. "Mathes?" Wortlos schob er mit dem Ellenbogen das Glas von sich und arbeitete weiter.

Purtscheller und Michel redeten vom laufenden Berg und von der Gefahr, die dem kleinen Hause drohte. Dann ging Purtscheller zur Hausbank und spähte ins Tal hinunter: "Wahrhaftiger Gott! Vom Kirchturm sieht man kein Blinkerl nimmer!" Er warf einen besorgten Blick über die weiße Mauer des Hauses, schüttelte ernst den Kopf und machte sich's auf der Bank gemütlich. Seine Augen blieben an Vroni haften. Je länger er sie betrachtete, desto wärmer wurde sein Wohlgefallen. "Sapperlot, Michel! Dein Madl! Alle Achtung!"

Vroni überhörte das Lob, und der Simmerauer nickte hinter dem Sägbock: "Ja! Gelt!"

"Und ihr liebs Frauerl, Herr Purtscheller?", fragte Mutter Katherl, die den Milchkrug in den Hausflur gestellt hatte. "Wie geht's ihr denn?"

"Dank der Nachfrag! Den Sommer über hat man zfrieden sein können. Sie hat sich wieder raus gemacht. Aber so viel still geht s' allweil umanand. Da muss ich mich oft ärgern. Ich hab gern lustige Leut um mich. Freilich: Sie is halt net völlig gsund. Der Dokter sagt wohl, es fehlt ihr nix. A bissl nervios halt, und a schattigs Gmüt, meint er. Zum lachen! Schatten! Im Purtschellerhof! Der Dokter is an Esel und versteht nix. Ich fürcht, sie hat's a bissl auf der Brust."

Mathes taumelte - beim Rammen eines Pfahls hatte er mit der schweren Holzkeule daneben geschlagen, und die Wucht des Schwunges riss ihn fast zu Boden.

"Aber! Herr Purtscheller!" Michel ließ für ein paar Augenblicke die Säge rasten. "Wie können S' denn an so was denken! Die Frau Karlin hat schon als jungs Madl zu dieselbigen ghört, die 's Leben a bissl ernster fassen."

"Für was denn?", murrte Purtscheller. "Ich möcht a lustige Frau haben. Sie hätt allen Grund zum Lustigsein!"

"No ja! Aber d' Menschen sind halt net alle gleich. Den ein' macht 's Glück lebendig, den andern stad. Und gar a groß Glück! Dös muss ich selber sagen: Es is an außergwöhnlichs Glück gewesen, bös die Karlin gemacht hat."

Diese Anerkennung schien Purtschellers üble Laune zu besänftigen. "Ja, Michel, da hast recht! A blutarms Madl ohne Familli. Und über Nacht die Frau im Purtschellerhof! So was kommt net oft. Da hätt sich mancher andre bsonnen an meiner Stell. Aber sie hat mir halt gfallen. Und wann ich was will, ich will ich. Und da gschieht's auch."

Dieses große Wort machte den Simmerauer schweigsam, und Mutter Katherl betrachtete den willensstarken Purtscheller mit scheuen Augen. Während dieses Schweigens flog ein Holzsplitter surrend bis zur Hausbank. Mathes hatte den schweren Schlägel mit solcher Wucht auf den Pfahl geschmettert, dass das Ende der dicken Stande zu einem fransigen Besen auseinander gefahren war. Mutter Katherl löste den Splitter von Purtschellers Samtjacke und fragte: "Aber 's Büberl is doch wohlauf?"

"Kunnt besser ausschauen. Dös Bürscherl is a bissl gar z'fein graten. Mein' Buben hab ich mir anders denkt. Aber freilich, d' Mutter is allweil a schwaches Krisperl gwesen."

Da wandte Mathes das Gesicht über die Schulter und musterte den Purtscheller mit funkelndem Blick. Es schien, als läge ihm ein Wort auf der Zunge, und kein freundliches, aber Vroni trat vor ihn hin und sagte leis: "Tu lieber schaffen, Mathes!" Er nickte, hob den Schlägel wieder, und Vroni watete zum Hackstock zurück.

Purtscheller saß an die sonnige Mauer gelehnt, hielt die Beine gestreckt und betrachtete die Arbeit, die man da geleistet hatte. Überall ragten die Stümpfe eingerammter Pfähle aus dem Schlamm hervor, und zur Hälfte waren sie schon durch quer aufgesetzte Balken zu einem festen Rost miteinander verbunden.

"A guter Einfall!", sagte Purtscheller mit der Miene eines Sachverständigen. "Wer hat dir's graten, Michel?"

"Wer sonst, als die heilige Kümmernis?", erwiderte der Alte. "So a Fachwerk, dös den ganzen Platz ums Haus ummi einfasst, hab ich mir denkt, kunnt doch den Boden a bissl zammhalten, dass er net ausanander schlupft wie auf die Weisen droben." Er salbte mit einer Speckschwarte die heiß gewordene Säge. "Vor acht Tag schon hab ich angfangt. Aber wär der Mathes net heimkommen, wer weiß, ob ich's fertig bracht hätt? Der Bub hat in einer Nacht mehr vom Fleck bracht, als ich in der ganzen Woch."

"Ja, ja, dös glaub ich!" Prüfend sah Purtscheller dem Mathes eine Weile bei der Arbeit zu. "Der schafft für drei. So ein' kunnt ich brauchen im Purtschellerhof. Der möcht mir mei' Sach schön sauber in Ordnung halten. Die Haderlumpen, meine Knecht, betrügen mich hint und vorn. Auf ein', wie der Mathes is, kunnt ich mich verlassen. So ein' möcht ich haben!" Weil beim Purtscheller, wie er selbst gesagt hatte, jeder Wille auch schon die Tat war, fragte er gleich. "Was meinst, Mathes? Hättst net Lust?"

"Mich braucht der Vater!", antwortete der Bursch ruhig, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

Michel, der bei Purtschellers Frage erschrocken war, atmete erleichtert auf.

"No ja, der Vater! Jetzt!" Purtscheller kam in Eifer. "Aber der unsinnige Berg wird doch wieder an Fried geben. Wann der Winter einfallt, is eh die ärgste Gfahr überstanden. Da bist wieder frei."

"Für den Fall weiß ich mir an Platz, wie die letzten Jahr her, weit von daheim."

"An Platz? Ja! Aber kein', wie im Purtschellerhof! Dreihundert Mark im Jahr, alles frei, zweimal im Jahr a neus Gwand, und a Weihnächten, wie's im ganzen Land kein Graf net gibt! Was meinst?" Da hallte ein Jauchzer über die Wiesen herunter, und undeutlich verstand man, dass dort oben einer den Namen Purtscheller schrie. Alle blickten hinauf. Über einem Wiesengrat gewahrten sie einen Menschen, dessen Figürchen sich schwarz vom leuchtenden Himmel abhob. Er fuchtelte mit beiden Armen und schrie wie ein Verrückter: "Was kann denn dös für einer sein?", fragte Purtscheller und holte das Fernrohr aus dem Rucksack.

Vroni hatte den dort oben schon erkannt. "Der Daxen-Schorschl!" Sie nahm die Arbeit wieder auf. Mit diesem Namen schien die Sache für sie erledigt zu sein. Doch eine Furche stand zwischen ihren Brauen, und finster blickten die braunen Augen. Diese halb grollende, halb verächtliche Miene war dem Mädl nicht zu verdenken. Selbst die Freunde des Daxen-Schorschl wussten nicht viel Rühmenswertes von ihm zu erzählen - höchstens: dass er eine gute Haut und ein anhänglicher Kerl wäre, dazu ein stramm gewachsener Bursch mit blitzenden Schwarzaugen im Gesicht, aus dem der gezwirbelte Schnurrbart hervorstach gleich einem Paar zu Schutz und Trutz gefällter Lanzenspitzen. Sonst aber schien es beim Daxen-Schorschl mit guten Eigenschaften schlimm bestellt. Sein Kardinalfehler, aus dem die anderen bösen Dinge hervor wuchsen wie die Schwämme aus einem moderigen Fleck Erde, war ein grenzenloser Leichtsinn, der dem Fass schon mehr als einmal den Boden ausgeschlagen hatte. Wenn ihn der moralische Katzenjammer anfiel, was selten geschah, pflegte er mit einem Seufzer zu sagen: "Ich hab halt Vater und Mutter z'früh verloren, hätt noch a paar Jahr lang zu jeder Morgensupp a gsunde Tracht Prügel braucht. Vielleicht hätt's was gholfen!"

Er hatte aber die Prügeljahre schon längst hinter sich, als seine Eltern starben und ihm in bester Lage des Dorfes ein hübsches Haus und die einträgliche Schmiede vererbten. Da war er ein neunzehnjähriger Bursch gewesen, gerade reif für den blauen Rock. Während der Soldatenjahre hielt ihm ein alter Vetter das Geschäft in Ordnung, und als der Schorschl mit einem großen Schnurrbart aus der Stadt heimkehrte, hatte es ein paar Wochen lang den Anschein, als begänne in der Schmiede ein neues, lustiges Arbeitsleben. Nur eines gab den Leuten gleich zu reden: Dass Schorschl die beiden Kühe verkaufte und den Stall leer stehen ließ. Seine lachende Verantwortung lautete: "Erstens muss ich meine Schulden in der Stadt drin zahlen. Und zweitens: Was brauch denn ich so a feine Milli z'trinken? Ich bin mit Bier und Tiroler z'frieden."

Dieses 'Schlauderwörtl' verziehen ihm die Leute wieder, als sie ihn in seiner Schmiede so wuchtig drauf los hämmern hörten, dass es übers ganze Dorf hinaus klang, hell wie Glockenschlag. Aber die erste Arbeitswut dauerte nicht lang. Bald machte Schorschl untertags ein 'Plauscherl' beim Nachbar, bald wieder ein 'Sprüngerl' ins Wirtshaus, dann wieder musste er sich auf den Bergen 'auslaufen'. Das geschah immer häufiger, immer seltener traf man den Schorschl in der Schmiede, und schließlich überließ er das Geschäft dem Gesellen und ging seinen wechselnden Launen nach. Er war kein Faulpelz, im Gegenteil, bei Tag und Nacht hatte er alle Hände voll zu tun. Er half beim Flößen und Holzziehen, ohne sich bezahlen zu lassen. Wenn einer zu ihm sagte: "Geh, Schorschl, sei so gut und tu mir dös geschwind!" - So tat er es. In kurzer Zeit bildete er sich zu einem Virtuosen auf der C-Trompete aus und spielte 'per Rekrazion' bei allen Hochzeiten und Tanzmusiken mit. Seine Hauptleidenschaft war das Fischen und Krebsen. Da war er ein unerreichter Meister. Den Fang verschenkte er an die Kinder, die in Scharen herbeiliefen, wenn sie den Daxen-Schorschl am Wasser sahen. Das ging zwei Jahre so fort. Dann war die Schmiede auf der Gant.

Die Verwandten sprangen ein und halfen. Ein paar Monate gab sich Schorschl alle Mühe, seinen Leichtsinn unterzukriegen. Dann ging das alte Schlenderleben wieder an. "Lüftig wie der Daxen-Schorschl!" Das war ein Sprichwort im Dorf geworden. Die paar geduldigen Leute, die ihm noch die Stange hielten, führten zu seinem Lobe an: Der Schorschl bekneipt sich zwar manchmal ganz gehörig, aber er ist doch kein Trinker, lässt die Hände von den Karten, und die Mädeln haben Ruh vor ihm! Sonst aber konnte man ihm alles nachsagen, was am Leichtsinn hängt. Zu den brotlosen Künsten, die er die Jahre her getrieben, hatte sich in der letzten Zeit noch eine neue gesellt. In seinen Adern rollte kein Jägerblut, er hatte kein Verlangen nach der Büchse, aber er liebte es, bei der Jagd zu 'gustieren'. Einen besseren Treiber und Steiger gab es in den Bergen nicht. Sein höchstes Vergnügen war es: 'Für d' Jager a guts Stückl ausmachen' - das heißt, den Standort eines selten starken Wildes zu erkunden. Während drunten im Dorf von Haus zu Haus erzählt wurde, dass die Daxenschmiede schon wieder ins Schwimmen käme und vor der zweiten Gant stünde, rannte Schorschl vergnügt bei Tag und Nacht auf den Bergen umher, um für den Purtscheller einen Kronenhirsch oder einen alten Gemsbock auszuspüren. Und als er nun dort oben das Hütl schwang und jodelte, kam Purtscheller gleich zu der Vermutung: "Gwiss hat er mir wieder was Guts ausgmacht. Augen hat er wie a Luchs, der Kerl! Is schon möglich, dass er mich gsehen hat über d'Wiesen hergehen, derweil er droben gstanden is im Gwänd." Purtscheller höhlte die Hände um den Mund und rief gegen die Höhe: "Huup!" Dann lachte er. "Hat mich schon ghört!"

Die Gestalt des Daxen-Schorschl glitt über den stielen Wiesengrat herunter, so hurtig, wie eine ins Rollen geratene Scholle. Er wuchs mit jeder Sekunde, und man konnte schon gewahren, wie er bei diesem sinnlosen Lauf mit weiten Griffen den Bergstock einsetzte. Sprünge machte er, dass Mutter Katherl ein uns andermal erschrocken stotterte: "Jesses, jetzt wirft's ihn!"

"Tu dich net sorgen, Mutter!", brummte Vroni. "Unkraut verdirbt net." Dabei bearbeitete sie den Pfahl, den sie auf den Hackblock hatte, so unmutig mit dem blitzenden Beil, als trüge das arme Holz die Schuld, dass in der Daxenschmiede solch ein menschliches Unkraut gewachsen war.

Schorschl kam schon so nahe, dass man den plumpsenden Aufsprung seiner Füße hören konnte. "Um Gotteswillen!", stammelte Michel in seiner ruhelosen Sorge. "Der macht mir am End mit seiner Springerei den Berg noch roglig!"

Mutter Katherl schrie im gleichen Augenblick: "Mar' und Josef! Jetzt hat's ihn gworfen!"

Schorschl war in einer Staubwolke verschwunden. Ein Stück Wiese musste unter seinen Füßen nieder gebrochen sein.

"Hab ich's net gsagt!", jammerte der Simmerauer und sprang auf das Haus zu, als hätten ihn die Mauern zu Hilfe gerufen. Auch Mathes warf erschrocken den Schlägel beiseite, und auf dem Hackblock verstummten die Beilhiebe. Nur Purtscheller lachte.

Hatte der Schutt den Daxen-Schorschl begraben? Aber nein! Gleich einer wirbelnden Scheibe flog ein Hut aus dem sinkenden Staub heraus, man sah den Bergstock ein paar Räder schlagen, und hinter diesen beiden Vorboten kam Schorschl nachgerollt und kollerte über den steilen Hang herunter.

Da verging auch dem Purtscheller das Lachen. Die Sache musste übel ausfallen. Doch während er und die andern sich noch besannen, war Vroni schon über den Grat der vom Erdrutsch gebildeten Böschung empor gerannt und breitete die Arme, gerade in dem Augenblick, in dem dieser rollende Klumpen Mensch in das Gezweig der Apfelbäume niederzustürzen drohte. Sie wankte unter der Wucht, mit welcher Schorschl gegen ihren Körper schlug. Aber sie hielt sich auf den Füßen. Ein langer Silberfaden kam glitzernd durch die Luft geschwommen, haftete an der Schulter des Mädels und legte sich mit einer Schlinge um den Kopf des Burschen. Seine Arme hatten Vronis Hüften umklammert. Mit dem vom Sturz verwüsteten Gesicht zu ihr aufblickend, stammelte er: "Sakra, Madl! An dir kann man sich anhalten!"

Die Stirn von Zornröte übergossen, riss Vroni sich von ihm los. Der silberne Faden dehnte sich, als wollte er die beiden nimmer aus seiner schimmernden Schlinge lassen, schließlich ging er aber doch entzwei.

Langsam hob sich Schorschl auf die Füße. "Sakra! Sakra!" Mit großen Augen blickte er dem Mädel nach. Er hatte sie in den vergangenen Jahren hundertmal gesehen, dennoch machte er Augen, als sähe er Vroni zum ersten Mal. Aber da verging ihm das Schauen. Er musste die Lider schließen. Vom Sande begannen seine Augen zu brennen. So stand er eine Weile und zupfte die Erdkrumen aus den Wimpern. Vroni schwang schon wieder das Beil vor dem Hackstock. Auch Mathes griff nach dem Schlägel, während der Simmerauer scheltend zu seiner Säge zurückkehrte. Mutter Katherl dankte allen Heiligen des Himmels, die den Hals und die Glieder des Daxen-Schorschl so gnädig behütet hatten. Und Purtscheller lachte wieder. Bei diesem Gelächter unterbrach Schorschl sein Zupfen und Reiben. Er lachte mit, und weil ihm der Umweg um den Saum der Böschung zu weit war, sprang er über den Verhau herunter, dass vom durchweichten Grund der Schlamm über ihn empor spritzte. "Herrgott! Da gibt's aber Soß!" Sonst hatte er kein Wort, keinen Gedanken für die Zerstörung, die rings um das kleine Haus her ihre schleichenden Wege ging. Vor allem musste er die Nachricht los werden, die er brachte. "Herr Purtscheller! Den starken Hirsch hab ich ausgmacht."

"Hab mir's aber gleich denkt! Bist a Mordskerl!" Purtscheller begleitete dieses Lob mit einem Faustschlag auf Schorschls Rücken. "Wo hast ihn denn gfunden?"

"Droben im Seekar liegt er in die Latschen. Wann S' mit auffisteigen, treib ich ihnen den Hirsch hin am Stand, nix Schöners gibt's net!"

"Jetzt?" Purtscheller rückte ärgerlich den Hut. "Eigentlich sollt ich nachschauen, was meine Leut auf die Felder machen."

"Und den Hirsch auslassen? Jetzt, wo er sicher is? Kommen S' mit, sag ich! Der Hirsch is gschossen ibs auf'n Abend. Da verwett ich mein' Kopf drauf."

Beim Hackstock verstummten die Beilhiebe. "Wann du schon so einer bist," rief Vroni sehr unfreundlich über die Schulter, "so halt doch wenigstens die andern Leut net von der Arbeit ab!"