Der letzte Zug - Katja Weber - E-Book

Der letzte Zug E-Book

Katja Weber

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Beschreibung

Aus der harmlosen Fantasie eines Kindes wird ein mörderischer Wettkampf ums pure Überleben. Rebecca und ihre Freunde finden sich in einer fremden Welt wieder, in der nichts mehr selbstverständlich ist. Am Anfang wirkt das Spiel, welches sie gefangen hält, noch relativ harmlos, doch schnell wendet sich das Blatt und sie stellen fest, dass sie in ernsthafter Gefahr schweben.

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Seitenzahl: 354

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Katja Weber

Der letzte Zug

© 2018 Katja Weber

Druck und Verlag: tredition GmbH, Halenreie 40 - 44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:978-3-7469-0617-1

Hardcover:978-3-7469-0618-8

e-Book:978-3-7469-0619-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Katja Weber

Der letzte Zug

Ich war erst neun, als ich den ersten Entwurf für das Spiel fertigstellte. Wenn die anderen das wüssten, würden sie mich wahrscheinlich für ein kleines, teuflisches Genie halten.

Es steckte jedoch kein habgieriger Plan hinter der Idee des Spiels, nicht mal die kleinste gemeine Absicht.

Die Wahrheit ist lächerlich primitiv. Sie ist so vollkommen absurd, dass ich sie mit ins Grab nehmen werde, ohne jemandem davon erzählt zu haben. Denn egal wie ich es ausdrücken und begründen würde, sie könnte der jetzigen Situation niemals gerecht werden.

Aber ich muss es mir dennoch irgendwie von der Seele reden. Ich habe das Gefühl zu platzen, sollte ich mich nicht schleunigst jemandem anvertrauen.

Da kommst also du ins Spiel. Oder nein, so sollte ich es nicht sagen, „da bist du gefragt“ oder vielleicht „das ist deine Aufgabe“. Ich würde dich niemals mit ins Spiel nehmen, schließlich hasse ich dich nicht.

Wo ich im Moment bin, kann ich mit niemandem sprechen. Ich kenne nur einen Bruchteil der Menschen hier und dem traue ich nicht über den Weg.

Du bist also meine letzte Hoffnung. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es einmal so weit kommen würde, doch jetzt nenne ich ein altes Notizbuch, was ich in der untersten Schublade eines fremden Schreibtisches gefunden habe, meine letzte Hoffnung.

Ich habe mich selbst dazu gezwungen, hierbei vollkommen ehrlich zu sein, das bezieht auch meine subjektive Sichtweise mit ein. Ich werde alles in dieses Buch schreiben, warum ich das Spiel entworfen, überarbeitet und gespielt habe, wie ich unabsichtlich fast alle meiner Freunde mit hinein gezogen habe und warum jetzt mein größter Wunsch ist, dass ich eines Tages auf eine Seite dieses kleinen, hässlichen, violetten Buches schreiben kann, dass das Spiel vorbei ist.

Oder noch besser, dass ich gewonnen habe. Wenn ich so genauer darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass diese beiden Dinge wahrscheinlich sogar ein und dasselbe sind.

Ich gelange hier nur wieder raus, wenn ich gewinne. Das ist der einzige Weg.

Ich wage gar nicht mehr zu hoffen, dass alle meine Freunde auch hier raus kommen, denn ich weiß, dass das nicht möglich ist. Dieses Spiel gewinnt man nicht, indem man zusammenarbeitet. Das weiß ich, weil ich es erfunden habe.

Von euch erwarte ich nur eine Sache.

Ihr müsst mich nicht verstehen, meine Entscheidungen nicht respektieren und mir auch nicht die Daumen drücken, dass ich gewinne. Etwas Derartiges würde ich niemals von euch verlangen. Ihr müsst mir einfach nur glauben. Mir glauben, dass ich die Wahrheit sage, auch wenn das Erzählte noch so unglaubwürdig klingt.

Ich weiß, dass das alles keinen Sinn macht und habe auch keine plausible Erklärung für euch. Aber es ist alles genau so passiert, wie ich es erzähle.

Darauf gebe ich euch mein Wort.

Ich war also neun.

Es war der Nachmittag eines verregneten Herbsttages, an dem ich unruhig durch mein Zimmer lief und immer wieder aus dem Fenster schaute. Doch jedes Mal, wenn ich durch die von Tropfen übersäte Scheibe sah, bot sich mir der gleiche deprimierende Anblick von strömendem Regen, welcher seit den frühen Morgenstunden nicht mehr nachgelassen hatte. Die Herbstferien waren schon langweilig genug, aber wenn der Regen nicht aufhöre wollte, dann würden sie zur echten Herausforderung für meine Nerven werden. Und natürlich für die meiner Mutter.

Die arme Frau musste mein ständiges Rumgenöle über sich ergehen lassen und sich nebenbei noch um die Hausarbeit kümmern. Wen genau, weiß ich nicht mehr, aber das zählt sowieso eher zu den unwesentlichen Dingen.

Als ich es in meinem Zimmer nicht mehr aushielt, suchte ich meine Mutter und fragte sie zum wiederholten Male, ob sie nicht eine Idee hätte, was ich tun könnte. Natürlich hatte sie immer noch keine, genau wie eine knappe halbe Stunde zuvor, doch als ich enttäuscht zurück in mein Spielzimmer trotten wollte, machte sie überraschenderweise doch noch einen nützlichen Vorschlag.

„Wenn du alle deine Spiele so langweilig findest, warum denkst du dir dann nicht einfach mal selbst eins aus? Du bist doch sonst auch immer so kreativ. Also überlege und bastele dir einfach was Neues und wenn ich hier fertig bin, spielen wir es zusammen.“

Unsicher runzelte ich die Stirn, so etwas hatte ich noch nie gemacht. Wahrscheinlich war genau das letztendlich der Anreiz für mich, es zu versuchen.

Das Unbekannte hatte schon immer eine anziehende Wirkung auf mich gehabt und mich von allen Dingen am meisten fasziniert. Was könnte schließlich besser sein, als etwas auszuprobieren, was man noch nie zuvor getan hat, und es möglicherweise für sich zu entdecken? Schnell verschwand ich also in meinem Zimmer und wischte alles von meinem Tisch damit ich genug Platz hatte.

Im Laufe des restlichen Tages entstand dann aus Papier, Buntstiften und meiner Fantasie der erste Entwurf des Spiels. Dieser hat zwar mit dem jetzigen Spiel nicht mehr viel gemeinsam, war aber dennoch der Grundstein, auf den dieses aufbaut.

Am späten Abend packte ich alles in einen Schuhkarton und stellte ihn in die hinterste Ecke meines Kleiderschranks. Noch waren weder das Spiel noch ich bereit, es jemandem zu zeigen oder es gar auszuprobieren.

Jetzt fragt ihr euch vielleicht, ob das schon alles ist und ich kann euch sagen, ja das ist es. Ich entwarf das Spiel, weil mir langweilig war. Ganz allein meine verdammte Langeweile ist an allem Schuld und darum kann ich auch mit niemandem darüber sprechen. Wenn den geschehenen Ereignissen wenigstens eine wichtige Ursache zugrunde liegen würde, dann fühlt man sich dabei immer noch besser, als wenn man weiß, dass man das alles grundlos durchmachen muss. Zumindest ist das meine Meinung.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das tatsächlich der Moment war, indem alles angefangen hat.

Ich meine, die ganzen Ideen für das Spielbrett und die verschiedenen Figuren können ja nicht einfach plötzlich gekommen sein. Ein paar von ihnen waren sicher schon früher da, genau wie der Wunsch, einmal ein Spiel zu spielen, bei dem ich allein die Regeln bestimme.

Vielleicht fing aber auch erst alles an aus dem Ruder zu laufen, als ich das Spiel zum ersten Mal jemandem gezeigt habe. Damals war ich dreizehn.

Meine Mutter und ich saßen in unserem Wohnzimmer und sahen uns einen stinklangweiligen Film an, als ich entschied, dass es an der Zeit ist, es ihr zu zeigen.

Sie war die Person in meinem Leben, der ich zu diesem Zeitpunkt am meisten vertraute (Ja, in dem Alter war es noch nicht meine beste Freundin, sondern meine Mutter und nein, das ist mir nicht peinlich.), wenn ich es also jemandem zeigen wollte, dann nur ihr.

(Ok, ich wollte ja ehrlich sein, also ein bisschen unangenehm war es mir schon, dass alle anderen Mädchen in meiner Klasse eine beste Freundin hatten, außer mir.)

Ich stand also auf und kramte das Spiel aus der hintersten Ecke meines Schrankes hervor, wo ich es sicher verwahrte, und brachte es ins Wohnzimmer.

Meine Mutter war ziemlich überrascht, als ich den Pappkarton auf den Tisch stellte und das Spielfeld ausbreitete. Zu dem Zeitpunkt hatte ich es schon zahlreiche Male überarbeitet und die meisten Dinge verändert und verbessert. Nach einem kurzen Zögern schaltete sie den Fernseher aus und setzte sich neben mich.

„Na dann erklär mir mal dein Spiel.“, forderte sie mich erwartungsvoll auf. Dankbar für ihr Interesse überlegte ich, wo ich anfangen sollte.

„Ich kann es dir erklären und du kannst mir sagen, was du davon hältst, aber spielen können wir beide es leider nicht.“, warnte ich sie erstmal vor. Sie zog verwundert eine Augenbraue nach oben.

„Warum nicht?“

Ich kippte den Karton aus und die vielen Holzfiguren rollten über den Tisch. Jede mit einer anderen Form und Farbe.

„Weil wir zu wenig sind. Das Spiel macht erst richtig Sinn wenn mindestens eine Handvoll Leute mitspielen.“

An dem Gesichtsausdruck meiner Mutter erkannte ich schon, dass ihr das nicht sonderlich gefiel.

„Dann können wir das Spiel aber nicht so oft zusammen spielen.“, merkte sie etwas skeptisch an. Und damit hatte sie leider Recht.

Ich hatte eine ältere Schwester, die allerdings studierte und fast nie zu Hause war und selbst wenn, wären wir nur zu viert gewesen. Falls wir also spielen wollten, hätten wir immer noch jemanden einladen müssen.

„Ja, aber es geht mir auch nicht darum es so oft wie möglich zu spielen.“, versicherte ich ihr geduldig. Sie sollte keinen schlechten Eindruck von meinem Spiel bekommen, erst recht nicht, wenn ich noch nicht einmal angefangen hatte es ihr zu erklären.

Dennoch wirkte sie weiterhin skeptisch und ich verlor schlagartig die Lust daran, ihr alles zu erläutern.

Ich wusste nämlich genau, wie schwer man die zahlreichen und komplexen Regeln versteht und wenn man es dann nicht einmal spielen kann, verliert man viel zu schnell den Spaß daran.

„Eigentlich hast du Recht.“, stimmte ich meiner Mutter darum zu. „Ich erkläre es dir lieber ein anderes Mal, wenn gleich mehrere Mitspieler zuhören.“

Daraufhin folgten noch etliche Versuche meiner Mutter mich umzustimmen und es ihr doch noch zu zeigen, da sie mich nicht verletzen und meine Arbeit auch schätzen wollte. Ich ignorierte sie und stellte das Spiel wieder zurück in die dunkelste Ecke meines Schrankes, um es ein anderes Mal wieder hervorzuholen.

Hätte ich damals eingelenkt und ihr alles erklärt, hätten sich meine jetzigen Probleme höchstwahrscheinlich in Luft aufgelöst. Meine Mutter hätte mich davon überzeugt, dass das Spiel zu langwierig ist, dass es viel zu schwer ist zu gewinnen und dass es nicht gerade vorteilhaft für die Spieler ist, die schon ganz am Anfang ausscheiden.

Allerdings habe ich es ihr nie gezeigt und sie konnte mich somit auch nie davon abhalten den wahrscheinlich folgenschwersten Fehler meines Lebens zu machen.

Eigentlich waren es sogar zwei. Oder eher zwei Teilschritte des großen Gesamtfehlers.

Beim ersten war ich, wie sich einige von euch sicher schon gedacht hatten, mit ein paar Freunden auf einer Party und auch ein klein wenig betrunken. (Naja, vielleicht auch etwas mehr als ein klein wenig.)

Wir haben viel geredet, gelacht und uns wirklich köstlich amüsiert. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich an dem Abend auch meinen jetzigen Freund Julian kennengelernt.

Ziemlich spät, ich glaube es war schon nach Mitternacht, haben wir dann zusammen Flaschendrehen gespielt.

Unsere Gruppe bestand aus drei Freunden aus meiner Schule, Julian,

Katherina und Josefine, meinen zwei besten Freundinnen und mir. (Ja, ich hatte mittlerweile sogar zwei.)

Die unterschiedlichsten Fragen und Aufgaben kursierten durch die Runde. Fast jeder erzählte mehrere peinliche Geschichten aus seiner Kindheit und blamierte sich bei oberpeinlichen Pflichtaufgaben, jeder außer mir um genau zu sein.

Die Nacht schritt immer weiter voran und die Flasche entschied sich immer für jemand anderen, aber nie für mich.

Schließlich, nach gefühlten 500 Drehungen, zeigte der schmale Flaschenhals doch endlich einmal in meine Richtung.

Sichtbar erleichtert atmete ich aus und grinste fröhlich in die Runde. Mir war vorher überhaupt nicht klar gewesen, dass ich die Luft angehalten hatte, während sich die grüne Glasflasche um sich selbst drehte.

„Wahrheit! Nimm Wahrheit!“, prustete Josefine los und knuffte mich erwartungsvoll in die Seite.

„Ja, Rebecca, nimm Wahrheit.“, forderte auch Julian mich auf. Also konnte ich natürlich nicht anders. „Ok, dann nehme ich Wahrheit.“ Dann ging sofort das Getuschel los und alle berieten sich, was sie mich wohl fragen sollten. Mein nervöser Blick blieb immer wieder an Julian hängen, der auch verräterisch oft in meine Richtung sah.

„Hast du schon mal etwas gemacht, was du später furchtbar bereut hast beziehungsweise heute immer noch bereust?“, fragte Katherina schließlich und lenkte damit meine Aufmerksamkeit wieder auf das Flaschendrehen.

„Ähm, ich weiß nicht genau…“, stottere ich etwas überfordert. „Ich glaube, auf die Schnelle fällt mir da jetzt nichts ein.“

Enttäuschte Blicke wanderten durch unsere gemütliche Gruppe, Josefine runzelte stattdessen leicht verwundert die Stirn. „Und was war das mit diesem erfundenen Spiel, von dem du mir mal erzählt hast?“

Ich schluckte schwer. Es ist wahr, ich hatte ihr in einem schwachen Moment von dem Spiel erzählt. Allerdings muss sie vergessen haben, dass ich ihr das im Vertrauen gesagt und sie gebeten habe, keine große Sache daraus zu machen.

„Ja, ähm ich habe mir wirklich mal ein eigenes Spiel ausgedacht.“, gestand ich zögernd, da alle Blicke auf mich gerichtet waren.

„So mit selbst gemaltem Feld und gebastelten Spielsteinen und so?“, fragte Tyler, einer meiner Mitschüler. Unsicher nickte ich ihm zu.

Einen Moment herrschte eine ungewohnte Stille – dann fingen alle an zu grinsen und schließlich brachen sie in allgemeines Gelächter aus. Ich schluckte erneut und begann anschließend gekünstelt mitzulachen.

Niemand sollte mitbekommen, dass ich das offensichtlich als einzige weder lächerlich noch peinlich fand.

Meinen Freunden von dem selbst entworfenen Spiel zu erzählen (Damit meine ich auch, dass ich es im Vorfeld Josefine im Vertrauen gesagt hatte.) war also mein erster schwerwiegender Fehler gewesen.

Irgendwann später, das muss kurz bevor wir uns auf den Heimweg gemacht hatten gewesen sein, machte dann jemand in seinem Rausch den Vorschlag, dass wir uns alle einmal treffen und das Spiel zusammen spielen sollten. Ich weiß nicht mehr genau, wer es war, aber wir haben ihn verspottet und Witze über seine bescheuerte Idee gemacht. Sogar ich habe kräftig mit gelacht, da ich nicht mal im Traum daran gedacht hatte, dass wir das jemals tun würden. Ein paar Wochen später haben dann zwei Jungs, das müssten Liam und Tyler gewesen sein, den Vorschlag in der Schule wieder aufgegriffen.

Wir saßen fast in derselben Gruppe, wie auf der Party an einem rechteckigen Tisch in der Kantine und aßen Mittag, falls man das undefinierbare, auflaufartige Zeug tatsächlich so nennen konnte.

Mein Mund wurde sofort staubtrocken und mein nervöser Blick huschte durch die Runde. Ich hoffte inständig, dass das ein Scherz gewesen war.

Ich sollte an dieser Stelle vielleicht noch erwähnen, dass ich damals natürlich nicht wusste, was passieren würde, wenn wir mein Spiel zusammen spielen würden. Ich befürchtete einfach nur, dass sich die anderen darüber lustig machen könnten. Also noch mehr, als sie es schon getan hatten.

„Ähm, vielleicht irgendwann mal.“, antwortete ich darum auf den fragenden Blick der beiden Jungs. Sie sahen sich an und zuckten mit den Schultern.

Ich senkte den Blick und wendete mich wieder meinem Essen zu. Der pampige Brei verlor in meinem Mund von Sekunde zu Sekunde mehr an Geschmack. Meine Halsmuskulatur zog sich angestrengt zusammen, als ich ihn Stück für Stück herunterwürgte.

Unsicher wahrte ich den Anschein, als würde ich Katherina zuhören, die gerade irgendetwas über ihren Freund Oliver erzählte, während ich stattdessen versuchte, Liam und Tyler am anderen Ende des Tisches zu belauschen. Die Beiden ließen das kaum essbare Zeug auf ihren Tellern links liegen und flüsterten sich kichernd etwas zu. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es was mit mir zu tun hatte.

Als die zwei meine neugierigen Blicke bemerkten, stellten sie ihre Unterhaltung sofort ein und nahmen sie in dieser Pause auch nicht wieder auf. Ich wollte erst nachhaken, ließ es dann aber auf sich beruhen, weil ich dachte, es hätte keinen Sinn sie mit Fragen zu löchern. Am Ende bekäme ich sowieso keine vernünftige Antwort.

Zu gerne würde ich zu diesem Zeitpunkt zurückreisen, um mich selber in den Hintern zu treten. Denn wie ich im Nachhinein erkannt habe, hätten ein paar einfache Worte und die eindeutige Erläuterung meines Standpunktes uns sehr viel Ärger ersparen können.

Jedenfalls ließ ich es damals auf sich beruhen und hoffte einfach das Beste. Tatsächlich sprach in den darauffolgenden Wochen niemand das Thema mehr an, so dass ich mir sicher war, das es sich erledigt hatte.

Ihr mitdenkenden Leser ahnt jetzt natürlich schon, dass es das noch nicht gewesen sein kann, da ich sonst nie in meiner misslichen Lage gelandet wäre. Und ich muss euch leider sagen, dass ihr damit vollkommen richtig liegt. Etwa ein halbes Jahr später, zu meinem siebzehnten Geburtstag, wendete sich schließlich das Blatt. Womit sich der zweite Teil der unvorhersehbaren Katastrophe auch auf einer Feier abspielte, wie mir gerade aufgefallen ist.

Ungefähr eine Woche vor meinem Geburtstag waren Katherina und Josefine bei mir zu Hause. Wir wollten eine Liste mit allen Dingen schreiben, welche wir noch besorgen mussten und die zwei wollten mir helfen zu entscheiden, was ich anziehen sollte. (Keine leichte Entscheidung, wenn man all seine Freunde zu sich einlädt und wirklich perfekt aussehen möchte.) Ab und an drehten sie sich von mir weg oder senkten die Köpfe und flüsterten sich etwas zu, was ich nicht verstehen konnte. Ein paar Mal beobachtete ich, wie sie ihre neugierigen Blicke durch mein Zimmer schweifen ließen und dabei meistens an meiner Kommode oder meinem Kleiderschrank hängen blieben.

Ich dachte damals, sie würden über mein Geschenk oder eine andere Überraschung für die Party nachdenken und tat deshalb so, als würde ich es nicht bemerken.

Am Abend vor der langersehnten Feier räumte ich vorbildlich mein Zimmer auf und eliminierte dabei wirklich jedes Staubkorn, was ich finden konnte. Alles sollte einwandfrei sein für meinen großen Tag, auf den ich mich schon so lange gefreut hatte.

Bei meiner beinahe fanatischen Aufräumaktion putzte ich sogar meinen Schrank von innen und außen. Unterdessen war ich in Gedanken schon ganz am morgigen Abend, so dass mir fast nicht aufgefallen wäre, dass der Karton verschwunden war.

Ich hielt jedoch inne und starrte ein paar Sekunden in die leere, dunkle Ecke des Möbelstücks. So lange dauerte es nämlich bis ich realisiert, was das bedeutete.

Das Spiel war weg.

Ich zerbrach mir den Kopf darüber, ob ich es irgendwann woanders versteckt hatte. Weggeworfen hatte ich es nicht, da war ich mir hundertprozentig sicher.

Meine Mutter geht eigentlich nicht ohne zu fragen in mein Zimmer und schon gar nicht an die Sachen in der hintersten Ecke meines Kleiderschrankes. Doch wer sonst hätte Interesse an dem unscheinbaren Karton haben können, in dem sich bloß Figuren, Karten und ein Spielbrett aus Pappe befanden?

Viel zu schnell ließ ich die Idee wieder fallen, dass das Spiel jemand gestohlen haben könnte. Es machte einfach keinen Sinn.

Zweiundzwanzig Stunden später packte ich meine Geburtstagsgeschenke aus. Die von meinen Eltern und Großeltern hatte ich schon am Nachmittag bekommen.

Nun gehörte das Haus allein mir und meinen Freunden.

Wir saßen alle im Wohnzimmer in einer kreisähnlichen Formation. Direkt neben mir saßen meine zwei besten Freundinnen und auf der anderen Seite mein Freund Julian, der so oft er konnte meine Hand hielt, was allerdings nicht sonderlich häufig war, da ich die meiste Zeit damit beschäftigt war, buntes Geschenkpapier von verpackten Dingen zu reißen.

Neben Katherina saß ihr derzeitiger Freund Oliver und mir gegenüber befanden sich noch Tyler und Liam, welche aus mir unverständlichen Gründen die ganze Zeit ein seltsames Grinsen aufsetzten und meine noch eingepackten Geschenke genau im Blick behielten. Wahrscheinlich hatten sie ein lächerliches Scherzgeschenk für mich besorgt und wollten auf keinen Fall meine Reaktion darauf verpassen, dachte ich mir zu diesem Zeitpunkt.

Zusammen waren wir also sieben. Eine gemütliche Runde, aber auch etwas traurig, wenn man bedenkt, dass das eigentlich alle meine Freunde sind. (Ja, damals machte ich mir über solche unbedeutenden Dinge oftmals Gedanken.)

In unserer Mitten stand ein gläserner Fernsehtisch, auf dem sich meine Geschenke befanden. Dieser war ziemlich niedrig, so dass man darüber hinweg die anderen Leute noch sehen konnte.

Katherina schenkte mir einen Gutschein für meine Lieblingsboutique und Josefine das Kleid, was ich so angehimmelt hatte, als wir neulich gemeinsam in der Stadt waren. Als ich gerade dabei war, mich ausführlich bei Julian für seine wunderschöne Kette mit einem Herzanhänger zu bedanken, stand Tyler plötzlich auf, nahm eine ziemlich große Schachtel vom Tisch und drückte sie mir auffordernd in die Hand.

„Das ist von uns.“, sagte Liam, der mittlerweile auch aufgestanden war. Sein Lächeln wirkte herzlich und gleichzeitig auch etwas nervös. Ich runzelte leicht verwundert die Stirn, ließ aber schließlich von Julian ab und widmete mich dem Geschenk.

Das Päckchen war für seine Größe relativ leicht und ordentlich in hellblaues Papier eingepackt. Die gleichmäßige Form verriet mir schon bevor ich die dunkle Schleife öffnete, dass das eigentliche Geschenk nochmal in einen Karton oder etwas Ähnliches verpackt war.

Als ich mich endlich durch das glatte Papier gekämpft hatte, offenbarte sich mir eine schwarze Pappkiste. Von der Vorderseite schlängelten sich schwungvolle goldene Ornamente auf die Seitenflächen und verschwanden schließlich auf der Rückseite, die ich mit meinen Händen verdeckte. Aus den glänzenden Verzierungen wuchs bei genauerem Hinsehen ein kraftvolles Muster, welches in der Mitte der Schachtel seinen Höhepunkt fand.

„Es ist wunderschön.“, hauchte ich ehrfurchtsvoll. Mein Blick hatte sich in dem ausdrucksstarken goldenen Wellen verfangen und konnte sich eigenständig nicht mehr lösen. „Was ist es denn?“, fragte Julian und beugte sich neugierig vor, um etwas erkennen zu können.

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Eigentlich sollte es ja um den Inhalt gehen und nicht um die Verpackung.

„Was steht denn da drauf?“, wollte Josefine wissen, die sich schon total den Hals verdreht hatte, damit sie das Geschenk genauer betrachten konnte.

Ich blickte auf und sah sie einen Moment lang verwirrt an. „Na da! Direkt vor dir!“ Um mit ihrem Zeigefinger auf die Mitte des Kartons zu zeigen, beugte sie sich so weit vor, dass sie das Gleichgewicht verlor und auf Katherinas Schoß landete. Sofort brach ein allgemeines Gekicher aus, während ich meinen Blick wieder auf die geheimnisvolle Kiste in meiner Hand richtete. Genau in der Mitte, wo sich die verschlungenen Ornamente trafen, prangten tatsächlich zwei goldene Wörter, welche in diesen vollkommen untergegangen sind. Vielleicht waren sie mir aber vorher auch nicht aufgefallen, weil ich sie eigentlich gar nicht sehen wollte.

„Mein Spiel.“, las ich flüsternd vor. Sechs Augenpaare hingen an meinen Lippen, während ich nur langsam zu verstehen begann, was das bedeutete.

„Ihr wart das. Ihr habt mein Spiel gestohlen.“, richtete ich mich zögernd an Katherina und Josi.

Diese nickten mir strahlend zu. „Ja, es war eigentlich die Idee der Jungs.“, erklärte letztere und deutete ans andere Ende unserer kleinen Runde, „Wir mussten es nur für sie besorgen, damit sie sich um den Rest kümmern konnten.“ „Mach es auf.“, sagte Liam und nickte mir aufmunternd zu. Unsicher, was mich erwarten würde, öffnete ich vorsichtig den schwarzen Deckel. Ein kleiner Freudenschrei entwich meinen Lippen, als ich die wunderschönen Figuren in der Schachtel entdeckte.

Zehn Stück davon lagen symmetrisch angeordnet in den dafür vorgesehenen Kuhlen. Ich nahm den König heraus und betrachtete ihn ausgiebig von allen Seiten. Die unnatürlich große Krone symbolisierte seine Macht besser, als meine selbstgemachten es je gekonnt hätten. Selbst seine feinen Gesichtszüge wurden perfekt herausgearbeitet. Sie strahlten Stärke aber auch gesunden Respekt vor den höheren Mächten aus.

Ich legte die zerbrechliche Holzfigur wieder zurück und hob das mit dunklem Samt überzogene Tablet aus der Kiste. Alle streckten ihre Hände danach aus und Katherina nahm es mir schließlich ab.

Darunter befanden sich zwei Stapel mit jeweils zehn Karten, welche mit zwei dünnen Bändern zusammen gehalten wurden. Die Schrift darauf war stilvoll geschwungen und angenehm dunkelgrün gehalten.

Daneben lag auch noch ein Würfel in der gleichen Farbe, welcher deutlich größer war, als normale seiner Art, aber dieselben sechs Felder enthielt.

Ganz unten in der Kiste befand sich noch ein dünnes aber stabiles, ausklappbares Holzbrett. Darauf war die Landschaft abgebildet, die ich mir einst ausgedachte hatte. Allerdings war sie besser unterteilt und korrekter gezeichnet, als meine es jemals gewesen war.

„Es ist einfach perfekt.“, richtete ich mich an die beiden Jungen. Diese strahlten vor Stolz, als sie auch Lob von den anderen bekamen, die das Spiel begutachteten.

Zufrieden klopften sie sich abwechselnd auf die Schultern. „Wie habt ihr das gemacht?“, erkundigte sich Oliver. „Das habt ihr doch niemals alleine so gut hinbekommen.“

„Schade, dass du uns das nicht zutraust.“, spielte Tyler grinsend seine Enttäuschung vor. „Aber nein, mein Bruder hat Kontakte bei einer Firma, die einem Skizzen, Spiele, Tagebücher und sowas überabeitet.“

Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass die Beiden sich wegen mir solche Mühe gemacht hatten. „Danke. Ich freue mich wirklich sehr darüber.“

Nickend nahmen sie es zur Kenntnis. „Aber eine Sache fehlt leider noch.“, gab Liam zu. Verwundert sah ich zu ihm auf. „Was denn?“ Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie vergessen haben könnten.

„Es war leider keine Spielanleitung in deinem Karton. Wenn wir es also spielen wollen, musst du es uns jetzt wohl erklären.“ „Jetzt?“, fragte ich überrascht.

Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Du weißt die Regeln doch noch oder?“, wollte Josi wissen.

„Ja, natürlich.“

Ich war die Regeln so oft durchgegangen, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder werde vergessen können. Sie hatten sich in meinen Kopf gebrannt, wie ein Brandzeichen. Momentan bin ich sogar ganz froh darüber, denn dadurch habe ich wahrscheinlich die größten Überlebenschancen von allen.

Den Großteil des restlichen Abends hatte ich also damit verbracht, den anderen zu erklären, wie das Spiel funktioniert. Damit ihr alles verstehen könnt, was ich euch noch so erzählen werde, (Falls man das überhaupt irgendwie verstehen kann.) ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, indem ich auch euch die Spielregeln erläutern werde.

Ich weiß, dass es nicht einfach ist dem Ganzen zu folgen, aber ich bin mir sicher, ihr kriegt das hin.

Erst einmal müsst ihr euch ein großes Spielbrett vorstellen, auf dem eine breitgefächerte Landschaft zu sehen ist. Im Zentrum des Brettes befindet sich eine Stadt, die aus zahlreichen Wohnhäusern, Werkstätten, Marktständen und vielem mehr besteht. Je weiter man sich zum Rand der Landschaft bewegt, desto lichter werden die möglichen Plätze der Spieler.

So sind außerhalb der Stadtmauern nur vereinzelte Bauernhöfe und einige wenige Anwesen von reichen Kaufleuten und Grafen. Innerhalb befinden sich nach steigender Rangfolge die ärmeren Viertel der normalen Arbeiter, die Handwerksstätten und die besseren Wohngebiete der Händler, Kaufleute und Adligen.

Den uneingeschränkten Mittelpunkt stellt jedoch das prunkvolle Schloss etwas außerhalb der Stadt dar. Dort werden vom König etliche der wichtigsten Entscheidungen getroffen. Am Anfang des Spiels bekommt jeder Mitspieler zwei Karten. Auf der ersten steht seine Position, also ob er ein Bauer, Handwerker, Händler, etc. ist. Diese wird offen gezeigt, damit sich alle einen Überblick verschaffen können, wer welche Stellung einnimmt.

Die zweite Karte wird nur kurz angesehen und dann verdeckt weggelegt. Zu ihrer Bedeutung komme ich noch.

Anschließend würfelt man der Reihe nach. Je nachdem, wie hoch die Augenzahl und Stellung jedes Spielers ist, desto hoch kann die Aktion sein, die dieser ausführt.

Ein Händler mit einer vier kann zum Beispiel ein sehr gutes Geschäft machen, wobei er genug Geld für mehrere Wochen verdient. Ein König mit einer vier kann stattdessen etwa ein neues Gesetz beschließen oder einen verschuldeten Bauer ins Verlies werfen.

So spielt man drei Runden, als würde man in dieser Welt leben und möchte ganz natürlich Geld verdienen und eine Familie gründen. Damit es am Ende aber auch einen Gewinner gibt, verwendet man die verdeckten Karten.

Neben den „normalen Spielern“ gibt es noch drei weitere Möglichkeiten, die auf diesen Karten stehen können.

Einmal wäre da der „Mörder“, welcher immer wenn er an der Reihe ist, einen anderen Spieler etwas Böses wiederfahren lässt, ihn zum Beispiel krank macht oder verunfallen lässt.

Er bleibt, genau wie der „Heiler“, welcher Wunden oder Krankheiten heilen kann, die ersten drei Runden versteckt und gibt sich in der vierten schließlich zu erkennen.

Diese beiden besonderen Spieler würfeln erst, schließen ihre Aktion ab und führen dann, unabhängig von der gewürfelten Augenzahl, einen weiteren Zug aus.

Der Mörder kann jedem beliebigen Spieler das Leben schwer machen, indem er ihm oder seine Familie etwas zustoßen lässt. Jedes Mal, wenn er an der Reihe ist, muss er einen solchen Zug ausführen, ob er will oder nicht.

Außerdem ist er der Bote der letzten besonderen Figur, dem „Tod“.

Dieser kann als einziger einen Spieler sterben lassen, womit jener endgültig aus dem Spiel ausscheidet.

Der Tod muss mindestens jede zweite Runde einen solchen Zug ausüben und arbeitet die gesamte Zeit über verdeckt. Insgeheim gibt er dem Mörder Anweisungen, welcher die Todesurteile im Namen des mächtigsten aller Spieler aussprechen muss.

Der Heiler kann zum Beispiel Krankheiten heilen oder eigentlich verdorrte Ernten retten. Er ist also praktisch das Gegenstück zum Mörder. Allerdings kann der Heiler genauso vom Tod ausgeschaltet werden, wie die anderen Mitspieler auch.

Das allgemeine Ziel des Spiels ist es, am Leben zu bleiben. Genauer gesagt wollen alle normalen Spieler und auch der Heiler herausfinden, wer hinter dem Tod steckt und somit dessen Schreckensherrschaft beenden.

Der Tod will verständlicherweise genau das verhindern. Er kann nur gewinnen, wenn er unentdeckt bleibt, bis alle anderen Spieler außer ihm und dem Mörder ausgeschieden sind. Wenn er denkt, dass einer der Kandidaten eine Vermutung über seine Identität hat, schaltet er ihn für gewöhnlich bei der nächstbesten Gelegenheit aus.

Der Mörder weiß als einziger, wer hinter dem Tod steckt, darf es aber natürlich nicht verraten. Gibt er es dennoch preis, hat der Tod ohne Umschweife gewonnen.

Die Spieler dürfen sich die ganze Zeit über untereinander beraten. Sollte es im Laufe des Spiels zu Unstimmigkeiten kommen und der Mörder das dringende Bedürfnis haben, etwas zu unternehmen, darf er genau einen Spieler nennen, welcher nicht der Tod ist.

Wenn er das tut, muss seine Spielfigur auf dem Feld als Ausgleich allerdings ausscheiden. Er kann während des Spiels noch Nachrichten vom Tod überbringen, nimmt aber nicht mehr unmittelbar teil und kann auch nicht mehr gewinnen.

Wenn sich ein Spieler sicher ist, wer hinter dem Tod steckt, schreibt er den entsprechenden Namen auf einen Zettel und gibt diesen dem Mörder. Dieser sieht sich den Namen an. Stimmt er, haben alle noch lebenden Spieler außer dem Tod gewonnen.

Ist er jedoch falsch, verkündet der Mörder das Todesurteil desjenigen Spielers, der den Zettel geschrieben hat.

Jetzt wisst ihr also, wie das Spiel funktioniert und könnt euch vielleicht vorstellen, wie schwer es ist, zu gewinnen.

Falls ihr mir nicht ganz folgen oder euch nicht wirklich in die verschiedenen Figuren hineinversetzen könnt, dann nehme ich euch das auch nicht übel.

Meine Freunde haben es auch nicht auf Anhieb verstanden. Um ehrlich zu sein, was ich mir ja vorgenommen hatte, haben sie es überhaupt nicht verstanden.

Beim ersten Versuch vergaßen gleich drei von ihnen, ihre geheimen Karten verdeckt hinzulegen. Nach nur etwa zwei Minuten hatten alle gesehen, was sie für besondere Funktionen hatten und wie könnte es anders sein, war auch einer von ihnen der Tod. Damit war das Spiel auch schon vorbei.

Beim nächsten Versuch lief erstmal alles gut. Jeder drehte seine Karten mit der Schrift nach unten.

Die ersten drei Runden spielten wir ganz normal auf unseren Positionen und bauten uns unser imaginäres Leben auf. Doch als sich Mörder, Heiler und Tod miteinbrachten, hielt sich kaum noch jemand an die Regeln.

Der Mörder bestrafte alle nach Lust und Laune, die normalen Spieler schrieben dem Heiler vor, wem er zu helfen hatte und schließlich verriet Oliver seiner Freundin, wer der Tod ist, weil sie ihm lange genug auf die Nerven ging.

Leicht angetrunken und erfüllt vor Freude schrie Katherina laut auf. „Liam ist es! Er ist der Tod!“ „Man Katherina! Musste das jetzt sein?“, stöhnte dieser genervt.

Ich seufzte enttäuscht auf. Das war wohl wieder nichts.

Ab da habe ich nicht mehr mitgezählt, aber ungefähr vier oder fünf Versuche später gaben wir auf.

Die anderen verstanden die Regeln zwar immer besser, aber je weiter der Abend voranschritt, desto mehr wurde getrunken, gelacht und gelästert. Irgendwann war unser Spiel nur noch Nebensache und die Gespräche untereinander rückten in der Vordergrund.

Ich fand es gut, dass sich alle so amüsierten und gut verstanden. Zwischendurch aßen wir Pizza und setzten uns danach zwar wieder in unsere gemütliche Runde, doch ein richtiges Spiel kam nicht mehr zu Stande.

Äußerlich tat ich entspannt und zufrieden, doch innerlich war ich wütend. Tyler und Liam hatten sich so viel Mühe gegeben und auch ich hatte sehr viel Arbeit in das Spiel gesteckt.

Ich war schon enttäuscht, dass meine Freunde es nicht ernst genug nahmen, um ordentlich zu spielen.

So würde niemals Spannung aufkommen und es auch keinen richtigen Gewinner geben.

„Hast du vielleicht mal ein Ladekabel für mich?“, riss Oliver mich aus meinen Gedanken. Er wedelte mit seinem Handy umher, bis ich mich ihm zuwandte.

Ich lag gerade neben meinem Freund auf dem Sofa und lauschte Josefine, die uns von einem Jungen erzählte, in den sie sich verliebt hatte.

„Ja, natürlich.“, versicherte ich ihm und wand mich aus Julians Umarmung. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg zwischen Flaschen, Gläsern und Pizzaschachteln hindurch, die überall auf dem Boden verstreut lagen.

In meinem Zimmer hatte ich irgendwo mein Handyladekabel, ich musste es nur auf Anhieb finden.

Normalerweise wäre Oliver viel zu höflich, um den ganzen Tag an seinem Smartphone zu hängen und mich sogar noch extra aufstehen zu lassen, um etwas für ihn zu holen. Aber von Katherina wusste ich, dass seine kleine Schwester im Krankenhaus liegt und er darum erreichbar bleiben wollte.

Ich stapfte erschöpft die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Die dunkle Wanduhr im Treppenhaus verriet mir, dass es schon nach zwei Uhr war.

In meinem Zimmer angekommen wühlte ich mich durch meine Schreibtischschubladen. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hatte so perfektionistisch aufgeräumt, dass ich nicht mehr wusste, wo meine Sachen waren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich dann doch mein Ladekabel. (Hinter meinen Schulheftern, keine Ahnung wie das dahin gekommen war.)

Froh über meine Leistung klatschte ich meinen Fund auf den Schreibtisch und lies mich auf den schwarzen Stuhl fallen. Mein Schwung übertrug sich auf die Rollen des drehbaren Gefährtes und diese brachten mich bis zur Balkontür.

Spontan entschied ich mich aufzustehen und die gläserne Tür zu öffnen.

Als ich die Türschwelle überschritt und den kleinen Balkon betrat, wehte mir eine kalte Brise entgegen. Die frische Luft fühlte sich erfrischend auf meinem Gesicht an.

Ich ließ meinen Blick über die in dunkle Schatten gehüllte Landschaft gleiten. Nach nur ein paar Minuten hatten sich meine Augen soweit an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt, dass ich genauere Umrisse erkennen konnte.

Die Hundehütte unserer Nachbarn schien bewohnt zu sein, da eine kraftvolle Pfote aus der Öffnung heraushing. Der große Sonnenschirm neben den zwei Liegen stand schief, wahrscheinlich hatte der Hund sich mit seiner Leine darin verfangen.

Im Haus war es stockdunkel. Wenn ich mich in unserer Wohnsiedlung so umsah, stellte ich fest, dass fast überall kein Licht mehr brannte. Nur in einem Zimmer in meiner unmittelbaren Umgebung schien schwaches Licht durchs Fenster nach draußen. Meine Augen ruhten ein paar Sekunden auf der bestickten Gardine. Die Enden verliefen in der Form von Wellen und wiesen damit auf die größte Liebe des Zimmerinhabers hin: das Meer.

Und nein, ich konnte nicht im stockdunkeln ein gesticktes Muster auf einer Gardine in über zwanzig Metern Entfernung erkennen. Ich konnte die Wellen aus hellem Stoff nicht sehen, aber ich wusste, dass sie da waren.

In dem Zimmer wohnte der gleichaltrige Sohn der Nachbarn. Im Kindergarten und in unseren ersten beiden Schuljahren waren wir sehr gute Freunde.

Wir spielten zusammen im Garten, wann immer das Wetter es zu lies, lernten gemeinsam lesen, schwimmen und Fahrrad fahren.

Ich weiß noch einmal, da wollten wir einen Kuchen backen und haben ihn im Ofen vergessen, weil der Eiswagen vorbeikam. An dem Tag haben wir ausversehen fast unser Haus abgefackelt.

Nachdem wir natürlich schrecklichen Ärger bekommen hatten, trafen wir uns abends, als es draußen schon dunkel war und unterhielten uns heimlich. Wir trösteten uns gegenseitig, was ich im Nachhinein total lächerlich fand.

Unsere innige Freundschaft zerbrach an einem Schultag in der zweiten Klasse.

Es war in einer sonnigen Pause, in der wir beide auf dem Schulhof standen und über das Diktat in der vorherigen Stunde sprachen. Ganz plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, beugte der Nachbarsjunge sich vor und küsste mich.

Im ersten Moment war ich zu überrascht, um zu reagieren. Als er dann jedoch den Fehler machte und nicht rechtzeitig von mir abließ, verpasste ich ihm eine kräftige Ohrfeige.

Von dem Tag an hatte er sich nicht wieder getraut mich anzusprechen. Wir ignorierten einander viele Jahre über. Erst in der Oberstufe begannen wir wieder miteinander zu reden, aber auch nur wenn es unbedingt sein musste.

Eine schwerwiegende Folge unseres Auseinanderlebens war unter anderem, dass ich seinen Namen vergaß.

Nicht sonderlich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ich mir Namen noch nie so gut merken konnte und er einen ziemlich ungewöhnlichen hatte, soweit ich mich erinnern konnte, aber auch irgendwie traurig. Ich hatte meine halbe Kindheit mit diesem Jungen verbracht und schließlich sogar meinen ersten Kuss von ihm bekommen, konnte mich aber nicht mal mehr an seinen Namen erinnern.

Jetzt aber schien er Kontakt zu mir aufnehmen zu wollen, denn er hatte mich auf meinem Balkon entdeckt und winkte mir zu.

Ob das daran lag, dass ich Geburtstag hatte, wusste ich nicht, jedenfalls wandte ich meinen Blick ab und tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Stattdessen sah ich mir lieber die Sterne am glasklaren Himmel an.

Sie hoben sich funkelnd von ihrem pechschwarzen Untergrund ab und ließen meine Augen unruhig umher schweifen, da sie überhaupt nicht wussten, wo sie zuerst hinsehen sollten.

Schon etwas müde von dem anstrengenden Tag lehnte ich mich auf das abgerundete Balkongeländer. Der kühle Wind ließ mich frösteln, während meinem Mund ein leiser Seufzer entwich.

Ich hatte mich schon so lange darauf gefreut, mein selbstausgedachtes Spiel einmal auszuprobieren und dann haben meine Freunde auch noch so viel Arbeit investiert, um mir das zu ermöglichen. Doch letztendlich haben wir es nicht geschafft, auch nur eine richtige Runde zu spielen.

Ich war etwas enttäuscht, dass wir alle so schnell aufgegeben hatten.

Die Sterne spendeten so gut wie kein Licht und so starrte ich weiter in die scheinbar grenzenlose Dunkelheit. Mit Sternbildern kannte ich mich nicht sonderlich gut aus, also verband ich die einzelnen Punkte selbstständig zu kunstvollen Bildern. Wenn ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden war, löschte ich die ausgedachten Linien einfach wieder und zog neue über den weiten Nachthimmel.

Plötzlich zog etwas Seltsames meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein sich bewegender Himmelskörper durchschnitt eines meiner Bilder genau in der Mitte und flog daraufhin knapp an einem anderen vorbei. Ich folgte seiner Flugbahn für ein paar Sekunden und realisierte dann, dass es sich um eine Sternschnuppe handelte. Meine Augen weiteten sich vor Freude und ich holte überrascht Luft.

„Ich wünsche mir, dass wir alle mein Spiel einmal ordentlich spielen.“, flüsterte ich leise vor mich hin, ohne lange darüber nachzudenken. Meine neugierigen Augen verfolgten die Bahn der Sternschnuppe weiterhin aufmerksam.

„Jeder soll sich an die Regeln halten und es soll Spannung aufkommen, damit die ganze Arbeit von Tyler, Liam und auch mir nicht umsonst war.“, fügte ich noch hinzu, um meinen Wunsch zu konkretisieren.

Der funkelnde Himmelkörper flog unbeeindruckt von meiner Aussage weiter. Das Strahlen in meinen Augen erlosch nach ein paar verstrichenen Sekunden und ich wendete mich enttäuscht ab.

Als ich gerade zurück in mein Zimmer gehen wollte, ließ ein heller Lichtstrahl mich zögernd anhalten. Mit rasendem Herzen drehte ich mich um und erwischte knapp noch die immer stärker leuchtende Sternschnuppe, die aus meinem Blickfeld verschwand.

Als sie auf den Horizont traf, explodierte sie in einem gleißenden Feuerball, der von Sekunde zu Sekunde an Größe gewann. Die grellen warmen Farben hüllten mich ein und schenkten mir ein Gefühl grenzenloser Wärme und Freiheit. Ich fühlte mich einen Moment lang unendlich wohl und geborgen.

Doch dann nahm die Kraft der Farben weiter zu, bis ich schmerzend meine Augen schließen musste.

Blind tastete ich nach dem Balkongeländer, denn die Welt um mich herum begann sich zu drehen. Doch wohin ich meine Hände auch ausstreckte, ich fand nichts, woran ich mich festhalten konnte. Ich wollte schreien, doch kein Laut entwich meinen geschwollenen Lippen. Nach einer gefühlten, ungewissen Ewigkeit verlor ich langsam das Gefühl in meinen Beinen und beschloss, mich auf dem Boden zu setzen. Aber meine Gliedmaßen gehorchten mir nicht mehr richtig, was ich mir erst vollkommen eingestand, als meine Arme kraftlos an meine Seite sanken.

Verzweifelt versuchte ich ein paar staksige, kleine Schritte vorwärts zu machen, schließlich musste ich doch irgendwann an das Geländer anstoßen.

Der erwünschte haltgebende Gegenstand kam nicht und als ich blind taumelte und letztendlich zu Boden fiel, war auch dieser verschwunden.

Ich fiel in eine scheinbar endlose Leere.

Runde 1

Ich konnte nichts sehen.

Also eigentlich ist das nicht wahr, ich konnte sehen, dass es um mich herum stockdunkel war. Mein Sehsinn war also im Moment eher weniger nützlich.

Ich konnte ein leises Scheppern hören. Mir war nichts bekannt mit dem ich das Geräusch richtig vergleichen konnte. Vielleicht am ehesten mit dem Klappern eines Hundehalsbandes, aber doch irgendwie anders. Nicht wirklich lauter, aber intensiver.

Als ich meine Hände unter der schweren Decke bewegen wollte, wurde ich zum ersten Mal auf die edle Bettwäsche aufmerksam.

Das Laken war butterweich und streichelte meine Haut zärtlicher, als ein anderer Stoff es jemals getan hatte. Die voluminöse Decke wärmte mich nicht nur unglaublich gut, sondern fühlte sich auch sehr angenehm an. Ich vermutete, dass der Stoff zumindest zum Teil aus Seide bestand.

Mit meinen immer noch leicht tauben Händen fuhr ich den Rand meines Nachthemdes entlang. Soweit ich das feststellen konnte war es knielang und aus einem weiteren unglaublich weichen Stoff gemacht.

Während ich meine Umgebung ertastete, ging draußen langsam die Sonne auf. Sobald ich die Umrisse des großen Raumes ausmachen konnte, wollte ich aus dem Bett springen, doch jemand anderes kam mir zuvor.

Mit einem kräftigen Ruck wurde die dicke Holztür aufgerissen und eine junge, pummelige Frau stürmte herein.

„Oh gut, sie sind schon wach. Ich suche ihnen ein Gewand raus und helfe ihnen dann selbstverständlich beim Anziehen.“, plapperte sie fröhlich drauf los. Ihre Gesichtszüge wirken entspannt und sie macht insgesamt einen sehr freundlichen Eindruck.

„Ähm, wer genau sind sie eigentlich?“, fragte ich verwirrt und setzte mich auf. Die Frau wendete sich mir zu und ihr neugieriger Blick huschte kurz über mein Gesicht, bevor sie zurückhaltend nickte.

„Aber natürlich, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Maria, euer neues Dienstmädchen.“, erklärte sie mir. Wieder glitt ihr aufmerksamer Blick über mich, als würde sie nach etwas suchen.

„Ich denke nicht, dass ich ein Dienstmädchen brauche.“

Verunsichert stieg ich aus dem Bett, bereute es jedoch sofort, da ich im Tageslicht feststellen musste, dass mein Nachthemd ziemlich durchsichtig war. Nervös verlagerte ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Bitte keine falsche Bescheidenheit, eure Majestät.“, erwiderte Maria bloß und betonte dabei die letzten beiden Worte besonders. Meine vor Überraschung geweiteten Augen bestätigten ihr offenbar irgendetwas, denn sie nickte zufrieden. „Ich lege euch dann euer Gewand raus.“

„Aber ich kann mich alleine anziehen.“, wiederholte ich meine Bitte beharrlich. Nach einem kurzen Moment des Schweigens nickte die junge Frau erneut, legte einen Stapel Sachen auf mein großes Himmelbett und verlies mit einem Knicks den Raum.