Der Mann mit der roten Kugel - Jean-Patrick Manchette - E-Book

Der Mann mit der roten Kugel E-Book

Jean-Patrick Manchette

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Beschreibung

Texas 1871: während die Commune in Paris in einem Blutbad endet, arbeitet Greene als Leihsklave einer Strafvollzugsanstalt bei dem Besitzer einer Baumwoll-Plantage und kämpft bei unmenschlicher Hitze, eine rote Fesselkugel am Knöchel, ums Überleben. Er hat dabei nur einen Gedanken im Kopf: so rasch wie möglich auszubrechen. Aber er wird scharf bewacht ... Manchette hat diese bisher auf Deutsch unveröffentlichte Romanadaption eines Drehbuchs des US-amerikanischen Autors Barth Jules Sussman 1972, ein Jahr nach seinem ersten Roman noir «Lasst die Kadaver bräunen», geschrieben. Mit seinem Schreibstil, seiner sozialen und politischen Kritik gab er dem französischen Roman noir und damit dem zeitgenössischen französischen Néo-Polar auf Umwegen über den Western einen neuerlichen Auftrieb.

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DistelLiteraturVerlag

Jean-Patrick Manchette, geboren 1942 in Marseille, liebte Jazz, Kino und Literatur. Er radikalisierte den europäischen Roman noir und gilt als Begründer des neueren sozialkritischen französischen Kriminalromans, des sogenannten Néo-polar.

Manchette arbeitete als Drehbuchautor und veröffentlichte neben Theaterstücken und zahlreichen Essays auch zehn Kriminalromane, die ihn zur Kultfigur machten, und von denen die meisten verfilmt wurden, so Nada (1973) von Claude Chabrol; Tödliche Luftschlösser (Folle à tuer, 1975) von Yves Boisset, mit Marlène Jobert; Westküstenblues (Trois hommes à abattre, 1980) von Jacques Deray, mit Alain Delon; Knüppeldick (Pour la peau d’un flic, 1981) von und mit Alain Delon; Position: Anschlag liegend (Le choc, 1982) von Robin Davis, mit Catherine Deneuve und Alain Delon; Volles Leichenhaus (Polar, 1983) von Jacques Bral; Position: Anschlag liegend wurde 2015 unter dem Titel The Gunman neu verfilmt von Pierre Morel mit dem zweimaligen Oscar-Preisträger Sean Penn.

Alle Kriminalromane sowie die gesammelten Essays zum Roman noir in den «Chroniques» sind auf Deutsch im DistelLiteraturVerlag erschienen.

Jean-Patrick Manchette starb 1995 im Alter von 52 Jahren in Paris. Er wurde zur Leitfigur für eine neue Generation von Krimiautoren in Frankreich.

Barth Jules Sussman, geboren 1939 in New York City, war Vertriebsleiter bei der Verlagsgruppe Random House Inc., arbeitete danach als Schriftsteller und Drehbuchautor in Paris, Rom, München, Hongkong und Hollywood, lebt heute in Vero Beach, Florida. Er veröffentlichte u. a. zwei historische Thriller und schrieb eine von seiner Frau Jen illustrierte Kinderbuch-Serie für den größten Buchverlag in Frankreich: Hachette. Zu seinen Film-Arbeiten gehören u. a. der Italo-Western The Stranger &The Gunfighter (In meiner Wut wieg’ ich vier Zentner, 1974) von Antonio Margheriti mit Lee Van Cleef sowie Night Games (1980) von Roger Vadim. B. J. Sussman arbeitete u. a. auch für den italienischen Filmproduzenten Dino De Laurentiis («Bitterer Reis») und hatte eine lange Auftragsarbeit bei Columbia Pictures. Zur Zeit arbeitet er in Berlin an verschiedenen Projekten für den deutschen Film.

Jean-Patrick Manchette Barth Jules Sussman

Der Mann mit der roten Kugel

Mit einem Vorwort von Doug Headline

Aus dem Französischen von Katarina Grän

DistelLiteraturVerlag

Deutsche Erstausgabe

2. Auflage

Copyright © 2011, 2016 by Distel Literaturverlag Sonnengasse 11, 74072 Heilbronn

Die Originalausgabe erschien 1972 unter dem Titel

«L’homme au boulet rouge» bei Éditions Gallimard (Paris) Copyright © Éditions Gallimard 1972, für das Vorwort 2006 Umschlagentwurf: Jürgen Knauer, Heilbronn,

mit einem Motiv von: © Robert Walker Photography / Gallimard ISBN 978-3-923208-88-3 (Print)

ISBN 978-3-942136-10-5 (E-Book)

VORWORT VON DOUG HEADLINE

Schon außergewöhnlich, diese Sache mit dem Mann mit der roten Kugel: ein einzigartiger Abstecher in Richtung Western von einem Roman-noir-Autor, der dieses Genre verehrte. Dieses vernachlässigte Werk verdient es, wieder seinen Platz neben den anderen Romanen des Autors vom Westküstenblues einzunehmen.

Seit seiner Kindheit ist Jean-Patrick Manchette ein großer Westernliebhaber. Es ist wahrscheinlich sogar das Filmgenre, das ihn am meisten anspricht. Unter seinen Lieblingsfilmen findet man die Western von John Ford, Howard Hawks und Anthony Mann sowie die kleinen Meisterwerke der B-Filme von Budd Boetticher mit Randolph Scott in der Hauptrolle: Sein Colt war schneller1, Um Kopf und Kragen2, Einer gibt nicht auf 3, Auf eigene Faust4, Der Siebente ist dran5 etc.

Im Jahre 1971 ist Manchette ein vielversprechender junger Autor der Série Noire, in der gerade seine Romane Die Affäre N’Gustro und Lasst die Kadaver bräunen! erschienen sind (letzterer in Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Bastid). Aber der Schriftsteller steht noch am Anfang; die Zeiten sind hart, und um über die Runden zu kommen, führt Manchette in rasantem Tempo zahlreiche Arbeiten aus, die dem Broterwerb dienen: Essays, Drehbücher oder Dialoge fürs Fernsehen, Romanfassungen von Filmen, Überarbeitungen von Texten, Buchbesprechungen, zahlreiche Übersetzungen, allein oder mit seiner Frau Mélissa.

Als Folge der italienischen Produktionen – der sogenannten Spaghettiwestern – hat der Western damals eine neue Blüte erreicht, die in den ganz frühen 70er Jahren das Genre wieder auf ein bemerkenswertes Popularitätsniveau brachte. Allein im Jahr 1968 sind in Europa fast hundert Western gedreht worden, eine verblüffende Zahl! Der Western ist Mode und schlägt sich überall nieder: im Kino, im Fernsehen, im Kleiderstil, in Chansons, in Comic-Strips und in der Literatur. In Frankreich erscheinen diverse Reihen von Westernromanen […] Selbst die anspruchsvolle Série Noire, die es bereits verstanden hat, sich je nach Mode anderen Genres zu öffnen (der Spionage zum Beispiel), nimmt daher einige Western von Spitzenautoren wie Clifton Adams oder von erfolgreichen Filmadaptionen wie Zwei glorreiche Halunken6 auf.

Es ist der 23. Oktober 1971, als Robert Soulat, damals stellvertretender Leiter der Série Noire, mit dem Vorschlag an Manchette herantritt, eine Roman-Adaption des auf Englisch verfassten Drehbuchs «eines Films, dessen Dreharbeiten in der Vorbereitung sind», für die Reihe zu schreiben. Soulat hat sich daran erinnert, dass einige ziemlich erfolgreiche Romanfassungen von Manchette stammten, insbesondere, unter dem Pseudonym Pierre Duchesne, jene der Filme Mourir d’aimer7 und Sacco &Vanzetti8. Manchette, immer auf der Suche nach bezahlten Arbeiten und an der unerwarteten Aussicht interessiert, sich mit einem Western zu befassen, denn dieses Drehbuch ist ein Western, reizt die Aufgabe. «Ich sage nicht nein, solange es nicht darum geht, den Ghostwriter zu spielen, sondern zusammen mit dem Drehbuchautor als Verfasser genannt zu werden».

Besagter Drehbuchautor, Barth Jules Sussman, hat der Série Noire sein Drehbuch mit dem Titel The Red Ball Gang in der Erwartung angeboten, dass daraus eine literarische Version erstellt wird. Es ist nicht bekannt, welcher Regisseur den Film damals ursprünglich drehen sollte, aber Jean-Patrick Manchettes Tagebuch zufolge, dem sämtliche hier erwähnten Zitate entnommen sind, haben sich erst nach Erscheinen des Romans einige Filmemacher dafür interessiert.

Acht Tage später, am ersten November, schreibt Manchette: «Ich habe das Drehbuch, von dem Soulat vorschlägt, dass ich davon ein Buch für die Série Noire mache, gelesen. Es ist ziemlich unbefriedigend, alles ist Maskerade, die Brutalität, die Grobheit – der Einfluss des italienischen Westerns ist deutlich spürbar. Aber es ist dennoch gut verwendbar.»

Tatsächlich liegen Manchettes Neigungen in Sachen Western mehr bei Rio Bravo9, Der weite Himmel10 oder Der schwarze Falke11, und nicht bei den Filmen von Sergio Leone, die er verabscheut. Die italienische Art Western ist absolut nicht nach seinem Geschmack. Wenn auch einige Filme von Sam Peckinpah, einem Filmemacher mit spürbarem Einfluss auf die italienischen Regisseure, ihm gefallen (er mag Sacramento12 und Sierra Charriba13, äußert aber Vorbehalte gegenüber The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz14), so bringen ihn die übertriebenen stilistischen Mätzchen und das Fehlen jeglicher moralischer Sichtweise in den Spaghettiwestern doch zur Verzweiflung.

Der Inhalt von B. J. Sussmans Drehbuch (weniger der Humor) erinnert in mehrfacher Hinsicht an Zwei dreckige Halunken15 von Joseph L. Mankiewicz, einen hervorragenden 1970 angelaufenen Western, der in einem Gefängnis mitten in der Wüste spielt. Sussman übernimmt zwar den Negativismus des italienischen Westerns: es gibt viel Gewalt, keine Moral, alle Charaktere sind Dreckskerle, außer – vielleicht – dem Helden. Aber durch das tiefer liegenden Thema, das er anzuschneiden ermöglicht (platt gesagt: das Aufkommen des amerikanischen Kapitalismus und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, welche dieser verursacht), bietet das Sujet Manchette Stoff für eine interessante Stilübung.

Daher geht er zunächst an diese Auftragsarbeit heran, wie an jede andere auch, emotionslos und um Effizienz bemüht. Am 22. November macht er seine Planung für die folgenden Monate inklusive The Red Ball Gang, «zu schreiben zwischen dem 1. Januar und dem 15. März. Sollte einen Monat dauern und keine Probleme bereiten.» Am 30. November liefert er das Manuskript seiner dritten Série Noire ab, La Proie facile, aus dem Ô Dingos, ô chateaux! [Tödliche Luftschlösser] werden sollte, beendet dann für die Presses de la Cité eine Buchüberarbeitung, Andamooka von Josette Bruce.

Am 30. Januar 1972, mit einem leichten Planungsrückstand, beginnt Manchette mit der Arbeit an The Red Ball Gang. Er bemerkt lediglich: «Unzufrieden mit dem Ergebnis. Schwierigkeiten, den Text zusammenzufügen. Die filmischen Übergänge sind nicht die gleichen wie die literarischen.» Und am nächsten Tag: «Ich habe Soulat angerufen, um zu fragen, ob ihn die Erzählung im Präsens bei The Red Ball Gang nicht störte, und ihn zu bitten, die Dialoge nicht einhalten zu müssen.» Nach einer Woche, am 6. Februar, wird er nervös, weil er nur zehn Textseiten geschrieben hat. Am 11. nimmt er die Arbeit wieder auf: «Es geht voran, aber es begeistert mich noch nicht.» Am 14. notiert er, dass das Buch ihn «ermüdet», aber zehn Tage später scheint er seinen Rhythmus gefunden zu haben, und am 5. März stellt er den ersten Entwurf fertig. Ein Tag für die Korrekturen, und am 7. März bringt er das Manuskript zur Série Noire. Gleich am nächsten Tag nimmt die Série Noire das Manuskript von The Red Ball Gang an, und Manchette geht zu etwas anderem über […].

Welches war Manchettes Herangehensweise an Sussmans Text während dieser paar Wochen Schreibarbeit? «Die Dialoge und der Aufbau entsprechen strikt dem Drehbuch, und der Text ist systematisch mit unnötigen völlig unangebrachten marxistischen Abschweifungen in die Länge gezogen. Hätte ich mich frei gefühlt und mich nicht streng an den Text von Sussman gehalten, dann hätte ich die Baumwollplantage angezündet, ich hätte den Besitzer nicht davon kommen und ihn auch noch ein Vermögen machen lassen», sagt Manchette in einem im Juni 1980 in Nr. 12 der Zeitschrift «Polar» erschienenen Gespräch. Das entspricht zweifellos nicht ganz der Wahrheit, da wir wissen, dass er darum gebeten hat, sich nicht an die Dialoge halten zu müssen. Außerdem nimmt er sich da ein wenig zu sehr zurück, da er seine Persönlichkeit deutlich in den ganzen Roman einfließen lässt. Neben den «marxistischen Abschweifungen» findet man auf jeder Seite seinen sehr schwarzen Humor, seine Fähigkeit, die Charaktere in wenigen Worten darzustellen, seinen Sinn für Gewalt und fürs Detail. So springen Manchettes eigener Stil und seine persönliche Art vom ersten Absatz an ins Auge: «Im gleichen Moment haben die Truppen der Versailler Nationalversammlung die Kirche Saint-Christophe in Villette schließlich wieder eingenommen und waten im Blut, aber Pruitt weiß davon nichts, er wird nie etwas davon erfahren, das Thema ist für ihn völlig uninteressant. Denn Pruitt sitzt auf der Außentreppe einer weiträumigen, baufälligen Holzbaracke so ungefähr mitten im Staate Texas und ist damit beschäftigt, seine Waffe zu reinigen, einen Remington-Einzellader, dessen Nussbaumgriff durch Stöße, Schweiß und Sand zerschrammt und verblichen ist. Pruitt ist ein vierschrötiger und robuster Mann mit kräftigem Kiefer, aber schmalen Augen und einem leicht lüsternen Lächeln. So wie er ist, hat er sich in seiner Existenz fest etabliert, er reinigt sorgfältig seinen Revolver.» Dieses Einordnen der Geschichte in die Weltgeschichte, diese durch einen Gegenstand – und noch dazu eine Feuerwaffe – skizzierte Romanfigur, das sind typische, charakteristische Merkmale des Schriftstellers. In der Folge lässt Manchette auf seine unnachahmliche Art Sozialkritik in die Erzählung einfließen, und das gibt Anlass zu Momenten reiner literarischer Sinnesfreuden: «Ohne sich um die individuellen Dramen zu scheren, entwickelt sich der ökonomische Wandel eigenständig weiter und verfolgt unbeirrt sein grandioses Ziel. Mit jeder Sekunde wachsen Handel, Industrie, Landwirtschaft. Und Potts, dem die Größe des Wandels nicht bewusst ist, findet dennoch sein Glück darin und nimmt teil daran. Daher strahlt das Gesicht des Plantagenbesitzers in diesem Moment, während er in einer gewaltigen Scheune voller Baumwolle steht und die Baumwolle betrachtet, die Männer, die mit der Baumwolle hantieren, die große Maschine, die die rohe Baumwolle entkörnt und anschließend gewaltige Ballen von fünfhundert Pfund daraus macht, die sich fortwährend hinten in dem Schuppen ansammeln. Später werden die Baumwollballen – etwa so groß wie ein Überseekoffer – über Land, per Bahn, übers Meer, quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika befördert werden, und das Material, das unterwegs so mancher Weiterverarbeitung unterzogen wird, wird sich über die Union und die Welt verbreiten und auf seinem Weg überall Geld generieren.» Am Ende hat sich Manchette das Thema angeeignet, und der Roman wächst weit über eine einfache, emotionslos ausgeführte Auftragsarbeit hinaus.

Am Sonntag, dem 26 März 1972, nachdem er das Wesentliche seiner Arbeiten, die dem momentanen Broterwerb dienen, fertig gestellt hat, schreibt Manchette: «Ich habe Bogie16 abgeschlossen. Ich bin die beiden Übersetzungen (Bogie und Beyond this Point are Monsters – Le Territoirre des monstres17) anhand der erneuten Lektüre und Melissas Anmerkungen noch einmal durchgegangen. … Ich bin glücklich und stolz, die Arbeit fertig gestellt zu haben. In 16 Tagen habe ich über 500 Seiten geschafft, fast 3 300 Francs verdient. Ich war am Ende meiner Kräfte. Das war ein hartes Trimester, Andamooka, La Longue-Vue18, The White Cad Cross-Up19 mit Mélissa, The Red Ball Gang, Beyond this Point are Monsters, Bogie.» Man kann nur beeindruckt sein von dem Arbeitspensum, das der Autor in so kurzer Zeit bewältigt hat.

Was The Red Ball Gang betrifft, aus dem in der Série Noire L’Homme au boulet rouge [«Der Mann mit der roten Kugel»] wurde, hat es nie zum erhofften Film geführt. Barth Jules Sussman scheint weiter eine Karriere als Drehbuchautor verfolgt zu haben, von der aber nur wenig bekannt ist; man stößt zwei Jahre später im Vorspann eines Italo-Westerns von Antonio Margheriti, In meiner Wut wieg’ ich vier Zentner20 wieder auf ihn, ein bizarrer Chopsuey-Western – eine Mischung aus Spaghettiwestern und asiatischem Kampfsport – gespielt von Lee Van Cleef und Lo Lieh; dann 1980 im Vorspann eines pseudo-erotischen Films von Roger Vadim21. Der aus seinem Western-Drehbuch hervorgegangene Roman geriet nach einer letzten Neuausgabe in der Reihe Carré Noir 1982 ungerechter Weise in Vergessenheit, ein Opfer des Niedergangs des Genres […].

Manchette für seinen Teil gestattete sich nach Fertigstellung des Romans Der Mann mit der roten Kugel und der Übersetzungen einige Tage Atempause. Am 14. April 1972 begann er mit der Arbeit an dem Roman mit dem Arbeitstitel Le Consul. Einen Monat später reichte er den fertiggestellten und umbenannten Text bei der Série Noire ein. Dieser in vier Wochen verfasste Roman sollte unter dem Titel Nada zum Wendepunkt in der Geschichte des französischen Roman noir werden.

Doug Headline Juni 2006

Anmerkungen der Übersetzerin

1 Buchanan Rides Alone (1958).

2 The Tall T (1957).

3 Comanche Station (1960).

4 Ride Lonesome (1959).

5 Seven Men from Now (1956).

6 Adaption von Joe Millar. Internation. Film-Titel: The Good, the Bad and the Ugly (1966) von Sergio Leone mit Clint Eastwood.

7 (1970), von André Cayatte mit Annie Girardot u. a.

8 (1971), von Giuliano Montaldo.

9 (1959), von Howard Hawks mit John Wayne, Dean Martin u. a.

10 The big sky (1952) von Howard Hawks mit Kirk Douglas u. a.

11 The searchers (1956) von John Ford mit John Wayne, Jeffrey Hunter u. a.

12 Ride the High Country (1962) mit Randolph Scott, Joel McCrea, Mariette Hartley u. a.

13 Major Dundee (1965) mit Charlton Heston, James Coburn, Senta Berger, Mario Adorf u. a.

14 The Wild Bunch (1969) mit William Holden, Ernest Borgnine, Robert Ryan u. a.

15 There Was a Crooked Man (1970) mit Kirk Douglas, Henry Fonda, Hume Cronyn, Warren Oates u. a.

16 Joe Hyams: Bogie. The Biographie of Humphrey Bogart (1967).

17 Von Margaret Millar (1970).

18 Projekt (Arbeitsunfallverhütung, siehe Chroniques, S. 6) für das Institut National de recherche et de sécurité (INRS), France.

19 Von William F. Nolan (1969); dt. Titel: Kommen Sie rasiert zur Hinrichtung (1970).

20 Dove non batte il sole (1974) mit Lee Van Cleef u. a.

21 Jeux érotiques de nuit.

ERSTER TEIL

 

1

Im gleichen Moment haben die Truppen der Versailler Nationalversammlung die Kirche Saint-Christophe in Villette schließlich wieder eingenommen und waten im Blut, aber Pruitt weiß davon nichts, er wird nie etwas davon erfahren, das Thema ist für ihn völlig uninteressant. Denn Pruitt sitzt auf der Außentreppe einer weiträumigen, baufälligen Holzbaracke so ungefähr mitten im Staate Texas und ist damit beschäftigt, seine Waffe zu reinigen, einen Remington-Einzellader, dessen Nussbaumgriff durch Stöße, Schweiß und Sand zerschrammt und verblichen ist. Pruitt ist ein vierschrötiger und robuster Mann mit kräftigem Kiefer, aber schmalen Augen und einem leicht lüsternen Lächeln. So wie er ist, hat er sich in seiner Existenz fest etabliert, er reinigt sorgfältig seinen Revolver.

Der leichte Wind fegt ein wenig Staub gegen das feste Leinen von Pruitts Hose. Der Wind lindert die Hitze keineswegs. Er kommt von weit her, er macht aber träge hier und da in der Staubebene Halt, und er wirbelt kleine, rötliche Wolken auf. Er ist sehr trocken.

Vor der Holzbaracke sind Karren, Maultiere und Männer niedergesunken. Die Muli bewegen ab und zu die Ohren. Die Männer dösen auf dem Boden vor sich hin, kratzen sich, brabbeln abgedroschene Witze. Ihr Gesicht ist tot, besiegt, von Dreck und getrocknetem Schweiß verkrustet.

In einiger Entfernung von der Baracke befindet sich Potts. Ein Knie auf dem Boden untersucht er die Erde, er wühlt darin herum. Er sieht Harvey Huddleston nicht an, der trotzdem, auf seinem Wagen sitzend, herablassend auf ihn einredet.

«Ist mir scheißegal», sagt Huddleston gerade. «Ich hab es schon mal gesagt, ich sag es noch einmal. Keinen Kredit!»

Potts Schweigen ärgert ihn. Der Mann ist ein Dummkopf, der abgebrannt aus seinem heimatlichen Georgia ankommt, ein Stück Land kauft, das kein Neger haben wollte, und glaubt, dort Baumwolle anpflanzen zu können. Huddleston ist kein Dummkopf. Er ist der Lieferant der Dummköpfe. Er verkauft ihnen Werkzeuge zum Buddeln von Löchern im Staub, Saatkörner zum Reinstecken in die Löcher, Verpflegung zum Warten darauf, dass sich etwas entschließt, aus der Erde zu kommen; aber nichts kommt, und die Dummköpfe gehen fort, magerer als bei ihrer Ankunft, und manchmal husten sie, und letztendlich sterben sie alle irgendwo im Norden, sei es an Lungenversagen, sei es, weil ein Cowboy beschließt, auf diese Dummköpfe zu schießen, diese armen Dummköpfe, diese Scheißfarmer. Das ist nicht Huddlestons Problem. Er begnügt sich damit, zu liefern und bezahlt zu werden.

«Weißt du was, Harvey, du bist nicht der einzige Lieferant in der Gegend …»

Huddleston betrachtet Potts, der sich wieder aufgerichtet hat. Er ist ein großer Mann, vielleicht sechzig, aber zäh, kräftig.

«Was du nicht sagst», erwidert Huddleston in beleidigendem Ton.

Potts tritt von einem Bein auf das andere. Sein Gesicht ist zerfurcht, aber seine Haut ist straff. Mit hundert wird er noch wie sechzig aussehen. Er beißt nicht so schnell ins Gras. Er steckt eine lange schwarze Zigarre zwischen seine gelben Zähne. Er betrachtet die Landschaft. Huddleston sieht ihn mit gekränkter Miene an. Widerwillig reicht Potts ihm eine Zigarre.

«Ich mach bald den ganz großen Gewinn», verkündet der Farmer.

«Was du nicht sagst», wiederholt Huddleston. «Du kannst noch von Glück reden, wenn der Wind dich nicht bis in den Golf fegt!»

Der Händler schüttelt den Kopf.

«Entweder du zahlst bar», schließt er, «oder ich hol mir zurück, was ich dir geliefert hab.»

Potts gähnt und kniet sich erneut hin, um in der Erde herumzuwühlen.

«Bargeld hab ich keins.»

Huddleston wirft seine Zigarre fort. Potts verzieht das Gesicht, hebt die Zigarre auf und steckt sie sorgfältig in die Tasche.

«Die üblichen Bedingungen», sagt der Händler barsch, «sechzig Prozent des Gewinns für mich, nachdem ich wieder herausbekommen habe, was ich in die Sache hineingesteckt habe.»

Die Sache scheint Potts Spaß zu machen.

«Zugegeben, ich bin völlig blank, aber so dämlich bin ich nicht.»

«Na gut, na gut», erwidert Huddleston. «Dann eben halbe-halbe. Das ist mein letztes Wort.»

Potts sieht den Händler ernst an.

«Harvey», sagt er, «ich habe noch nie einen Geschäftspartner gehabt. Sagen wir, ich bezahle dir das, was ich dir schulde, wenn ich meine Ernte eingeholt habe.»

Huddleston öffnet den Mund zu einem hämischen Grinsen, schließt ihn aber sogleich wieder, weil Potts sich wieder aufgerichtet hat und nun dicht vor dem Händler steht, den Blick friedfertig, die Stimme schleppend.

«Außer», sagt er, «außer du willst versuchen, dir deine Lieferungen ganz allein zurückzuholen …»

Huddleston zögert, sinkt dann wieder auf seinen Sitz. Er ist wütend. Er wendet den Kopf ab, nimmt die Zügel auf, die er kaum wahrnehmbar auf die Rücken seiner Maultiere klatschen lässt. Die Wagenachsen knarren, als die Tiere anziehen. Huddleston wirft Potts noch einen Blick zu, als wollte er noch etwas hinzufügen, sagt aber nichts, und der Wagen setzt sich in Bewegung und trägt ihn langsam fort, die Maulesel trampeln über die rote Erde, und Potts bückt sich wieder zu der roten Erde und lächelt.

2

Etwa zehn Kilometer von hier entfernt kommen drei Fuhrwerke ohne Planen nur langsam in der Ebene voran. Verdreckte Gestalten, Weiße, Mexikaner und Schwarze gemischt, sind in den Wagen hineingepfercht, dicht aneinandergedrängt, zusammengesunken, gegeneinander stoßend im Takt des Geholpers, im Gerassel der Ketten.

Zwei Bewacher lenken jeden Wagen, das Gesicht von einer roten Staubschicht bepudert. Ein anderer reitet am Schluss der Kolonne rittlings auf einem krummbeinigen Pferd. Ein sehr großes, doppelläufiges Gewehr schwankt quer über dem Sattel hin und her.

Der Konvoi überquert das ausgetrocknete Bett eines saisonalen Wasserlaufs. Gelegentlich füllt sich diese Schlucht für kurze Zeit mit schäumendem und schmutzigem Wasser, das mit rasender Geschwindigkeit allen möglichen Abfall mit sich führt. Aber zurzeit ist sie trocken, und die Fuhrwerke holpern über die Steine, die das Wasser dorthin gespült hat. Ihre menschliche Ladung wird noch mehr durchgeschüttelt, wehrt sich jedoch nicht. Ein Murren, ein kaum artikulierter Fluch wird leise gebrummelt. Fliegen begleiten den Konvoi, weil viele der Gefangenen offene Wunden durch die Schläge oder Geschwüre durch das unaufhörliche Scheuern ihrer Eisen haben.