Der Name des Windes - Patrick Rothfuss - E-Book

Der Name des Windes E-Book

Patrick Rothfuss

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Beschreibung

In »Der Name des Windes« erzählt Patrick Rothfuss die Geschichte von Kvothe, dem berühmtesten Zauberer seiner Zeit. Damit ist ihm ein Roman von so viel Einfallsreichtum und solch sprachlicher Kraft und Authentizität gelungen, dass er die gesamte Fantasyszene aufhorchen lässt. »Vielleicht habt ihr von mir gehört« ... von Kvothe, dem für die Magie begabten Sohn fahrender Spielleute. Das Lager seiner Truppe findet er verwüstet, die Mutter und den Vater tot - »sie haben einfach die falschen Lieder gesungen«. Wer aber sind diese Chandrian, die weißglänzenden, schleichenden Mörder seiner Familie? Um ihnen auf die Spur zu kommen, riskiert Kvothe alles. Er lebt als Straßenjunge in der Hafenstadt Tarbean, bis er auf das Arkanum, die Universität für hohe Magie aufgenommen wird. Vom Namenszauber, der ihn als Kind fast das Leben gekostet hätte, erhofft sich Kvothe die Macht, das Geheimnis der sagenumwobenen Dämonen aufzudecken. Im Mittelpunkt dieses Leseabenteuers steht ein großer Magier und leidenschaftlicher Wissenschaftler, ein Musiker, dessen Lieder die Sänger zum Weinen bringen ... und ein schüchterner Liebhaber. Mit Der Name des Windes legt Patrick Rothfuss den ersten Teil der Königsmörder-Chronik-Trilogie vor, der in den USA bei Kritikern und Fantasylesern begeistert aufgenommen wurde und schon bald einen der vorderen Plätze in der New York Times Bestsellerliste belegte. Der Bestseller-Autor Terry Brooks schreibt: »Der Name des Windes stellt das Debüt eines Autors dar, den wir lieber im Auge behalten sollten.« Das Magazin »The Onion« gibt den Lesern folgenden Rat: »Stellen Sie Der Name des Windes neben "Der Herr der Ringe" ins Regal und erwarten Sie den Tag, an dem beide in einem Atemzug genannt werden, vielleicht als Erste unter Gleichen.« 2007 wurde Patrick Rothfuss für seinen Roman »Der Name des Windes« mit dem Quill Award sowie dem Pulishers Weekly Award für das beste Fantasy-Buch des Jahres ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 1308

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de/hobbitpresse Die Arbeit des Übersetzers an diesem Werk wurde vom Deutschen Übersetzerfonds e.V. gefördert. Die Gedichte und Lieder wurden ins Deutsche übertragen von Hans-Ulrich Möhring. Hobbit Presse Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Name of the Wind. The Kingkiller Chronicle: Day One« im Verlag Daw Books, Inc., New York © 2007 by Patrick Rothfuss »Puppet« © 2010 by Patrick Rothfuss Für die deutsche Ausgabe © 2008/2010 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Cover: HildenDesign, München, www.hildendesign.de Illustration: von Kerem Beyit, mit freundlicher Genehmigung von Céiron fiction, Céidot Game Studios, Ankara Printausgabe: ISBN 978-3-608-93815-9 E-Book: ISBN 978-3-608-10136-2 Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Prolog: Eine dreistimmige Stille

  1 Ein Ort für Dämonen

  2 Ein schöner Tag

  3 Das Holz und das Wort

  4 Auf halber Strecke nach Newarre

  5 Zettel

  6 Der Preis des Erinnerns

  7 Von Anfängen und den Namen der Dinge

  8 Diebe, Ketzer, Huren

  9 In Bens Wagen

10 Alar und diverse Steine

11 Das Binden des Eisens

12 Puzzleteile, die sich ineinander fügen

13 Zwischenspiel: Aus Fleisch und Blut

14 Der Name des Windes

15 Ablenkungen und Abschiede

16 Hoffnung

17 Zwischenspiel: Herbst

18 Straßen, die in Sicherheit führen

19 Finger und Saiten

20 Blutige Hände zu schmerzenden Fäusten

21 Keller, Brot und Eimer

22 Eine Zeit für Dämonen

23 Das brennende Rad

24 Dunkle Schemen

25 Zwischenspiel: Nachgefragt

26 Lanres Verwandlung

27 Sein unverschleierter Blick

28 Tehlus wachsamer Blick

29 Die Pforten meines Geistes

30 Zum Frontispiz

31 Der junge Edelmann

32 Kupfermünzen, Schuster, Menschenmengen

33 Inmitten eines Sternenmeers

34 Was wahrer Kummer ist

35 Die Wege trennen sich

36 Minus-Talente

37 Mit strahlenden Augen

38 Sympathie im Hauptgebäude

39 Einen Strick drehen

40 Auf die Hörner genommen

41 Das Blut eines Freundes

42 Der Blutlose

43 Ein flackerndes Licht

44 Die leuchtenden Kugeln

45 Zwischenspiel: Eine Kneipengeschichte

46 Der launische Wind

47 Stacheln

48 Zwischenspiel: Eine Stille anderer Art

49 Wilde Wesen

50 Verhandlungen

51 Teer und Zinn

52 Brennen

53 Langsame Kreise

54 Ein Ort zum Brennen

55 Flamme und Donner

56 Münzen, Mädchen, Metheglin

57 Zwischenspiel: Die Summe unserer Teile

58 Namen für den Anfang

59 Wissen

60 Fortüne

61 Eselei

62 Blumen

63 Spaziergang

64 Neun Momente Brennen

65 Funken

66 Flüchtig

67 Eine Frage der Hände

68 Der ewig sich wandelnde Wind

69 Wie der Wille einer Frau

70 Zeichen

71 Die sonderbare Anziehung

72 Borrorill

73 Schweinchen

74 Graustein

75 Zwischenspiel: Gehorsam

76 Das Paarungsverhalten des Gemeinen Draccus

77 Felsenhänge

78 Gift

79 Süße Worte

80 Eisen berühren

81 Stolz

82 Esche und Ulme …

83 Rückkehr

84 Ein plötzlicher Sturm

85 Gegenstimmen

86 Das Feuer selbst

87 Dreistigkeit

88 Zwischenspiel: Suche

89 Ein angenehmer Nachmittag

90 Halbfertige Häuser

91 Den Hof machen

92 Die Musik, die ihn zum Tanzen bringt

Epilog: Eine dreistimmige Stille

Anhang: Kalender und Währungen

Mein Dank gilt …

Karten

Über den Autor

Für meine Mutter, die mir die Liebe zu den Büchern eingepflanzt und mir die Tür nach Narnia, Pern und Mittelerde aufgestoßen hat. Und für meinen Vater, dem ich bei meiner Arbeit eine gewisse Ausdauer und Sorgfalt verdanke.

Prolog

Eine dreistimmige Stille

Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum Wegstein lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille.

Der vernehmlichste Teil dieser Stille war dumpf und lastend und verdankte sich dem, was fehlte. Hätte ein Wind geweht, so hätte er in den Bäumen geseufzt, hätte das Wirtshausschild quietschend zum Schaukeln gebracht und die Stille wie trudelndes Herbstlaub die Straße hinabgeweht. Wäre das Wirtshaus gut besucht gewesen, hätten sich dort auch nur eine Handvoll Männer aufgehalten, so hätten sie die Stille mit Geplauder und Gelächter erfüllt, mit dem Radau und Bohei, den man in dunklen Abendstunden in einer Schenke erwartet. Wäre Musik erklungen … aber nein, natürlich erklang keine Musik. All das fehlte, und so blieb es still.

Im Schankraum saßen zwei Männer an einem Tresenende beieinander. Sie tranken mit stiller Entschlossenheit und mieden ernsthafte Gespräche über beunruhigende Neuigkeiten. Und indem sie das taten, fügten sie der großen, dumpfen Stille eine kleine, mürrische hinzu. Daraus entstand ein Gemisch, mit einer gegenläufigen Stimme.

Die dritte Stille war weit weniger vernehmlich. Hätte man eine Stunde lang gelauscht, so hätte man vielleicht begonnen, sie im Dielenboden des Raumes oder in den Holzfässern hinterm Tresen zu erahnen. Sie lag in der steinernen Masse des schwarzen Kamins, der noch die Wärme eines erloschenen Feuers barg. Sie lag im langsamen Hin und Her eines weißen Leinentuchs, das die Maserung des Tresens entlangfuhr. Und sie lag in den Händen des Mannes, der dort stand und eine Mahagonifläche polierte, die bereits im Lampenschein glänzte.

Der Mann hatte leuchtend, ja flammend rotes Haar. Seine Augen blickten dunkel und abwesend, und er bewegte sich mit einer Sicherheit, die sich aus vielfältigem Wissen speiste.

Das Wirtshaus gehörte ihm, wie ihm auch die dritte Stille gehörte. Und das war nur recht und billig so, denn sie war die größte der dreifachen Stille und schloss die anderen ein. Sie war so tief und so weit wie der Spätherbst. Sie wog so schwer wie ein großer, vom Fluss glatt geschliffener Stein. Es war der geduldige, blumensichelnde Laut eines Mannes, der darauf wartet zu sterben.

Kapitel 1

Ein Ort für Dämonen

Es war Felling-Abend, und die übliche Runde hatte sich im Wirtshaus zum Wegstein eingefunden. Fünf Mann waren keine große Runde, aber mehr kamen dieser Tage selten ins Wirtshaus, da die Zeiten nun einmal waren, wie sie waren.

Der alte Cob ging ganz in seiner Rolle des Geschichtenerzählers und Ratgebers in allen Lebenslagen auf. Die übrigen Männer am Tresen tranken und hörten zu. Im Hinterzimmer stand der junge Gastwirt hinter der Tür und lauschte lächelnd den Einzelheiten einer altbekannten Geschichte.

»Als er erwachte, fand sich Taborlin der Große in einem hohen Turm eingeschlossen. Man hatte ihm sein Schwert abgenommen und seiner Werkzeuge beraubt: Der Schlüssel, die Münze und die Kerze waren fort. Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste, denn …«, sagte Cob und machte eine Kunstpause, »… denn die Lampen an der Wand brannten blau!«

Graham, Jake und Shep nickten. Die drei Freunde waren gemeinsam aufgewachsen, hatten all die Jahre Cobs Geschichten gelauscht und seine Ratschläge missachtet.

Cob sah zu dem neuen, aufmerksameren Mitglied seiner kleinen Zuhörerschar hinüber, dem Schmiedelehrling. »Weißt du, was das bedeutet, Junge?« Alle nannten den Schmiedelehrling »Junge«, obwohl er eine Handbreit größer war als jedermann sonst. Wie in kleinen Ortschaften üblich, würde er wahrscheinlich so lange der »Junge« bleiben, bis ihm ein Vollbart wuchs oder er deswegen jemandem die Nase blutig schlug.

Der Junge nickte. »Die Chandrian.«

»Stimmt genau«, sagte Cob anerkennend. »Die Chandrian. Es ist allgemein bekannt, dass blaues Feuer eines ihrer Zeichen ist. Nun war er also –«

»Aber wie haben sie ihn gefunden?«, unterbrach ihn der Junge. »Und warum haben sie ihn nicht getötet, als sie die Gelegenheit dazu hatten?«

»Sei still, das erfährst du noch früh genug«, sagte Jake. »Lass ihn weitererzählen.«

»Ruhig Blut, Jake«, sagte Graham. »Der Junge ist nur neugierig. Trink dein Bier.«

»Mein Bier ist alle«, murrte Jake. »Ich brauch ein neues, aber der Wirt ist ja immer noch im Hinterzimmer am Rattenabziehen.« Er pochte mit dem leeren Krug auf den Tresen und rief: »He, wir verdursten hier!«

Der Wirt erschien mit fünf Schalen Eintopf und zwei ofenwarmen Rundbroten. Er zapfte Jake, Shep und dem alten Cob je ein frisches Bier und gab sich überhaupt sehr geschäftig.

Die Geschichte musste warten, während sich die Männer ihrem Abendessen widmeten. Der alte Cob schlang seinen Eintopf mit der wölfischen Eile eines ewigen Junggesellen hinunter. Die anderen pusteten immer noch Dampf von ihren Schalen, da hatte er auch schon sein Brot verspeist und kehrte zu seiner Geschichte zurück.

»Nun musste Taborlin fliehen, doch als er sich umsah, stellte er fest, dass seine Zelle keine Tür hatte. Und auch keine Fenster. Rings um ihn her war weiter nichts als glatter, harter Stein. Es war eine Zelle, aus der noch nie jemand entronnen war. Taborlin der Große aber kannte die Namen aller Dinge, und daher gehorchten ihm alle Dinge aufs Wort. Er sprach zu dem Stein: ›Zerbreche!‹ – und der Stein zerbrach. Die Mauer riss wie ein Blatt Papier entzwei, und durch die Lücke konnte er den Himmel sehen und die liebliche Frühlingsluft einatmen. Er ging hinüber, sah durch den Spalt und schritt dann ganz ohne Bedenken in die Luft hinaus …«

Der Junge riss die Augen auf. »Ist nicht wahr!«

Cob nickte ernst. »Taborlin stürzte hinab. Doch er ließ die Hoffnung nicht fahren. Denn er kannte den Namen des Windes, und der Wind gehorchte. Er sprach zu dem Wind, und der Wind nahm ihn zärtlich auf den Arm und streichelte ihn. Er trug ihn zu Boden, als wäre er federleicht, und setzte ihn sanft, wie mit einem mütterlichen Kuss, auf den Füßen ab. Und als er dort stand und seine Seite betastete, wo er den Stich abbekommen hatte, sah er, dass es kaum mehr als ein Kratzer war. Vielleicht hatte er einfach nur Glück gehabt.« Cob hielt inne und pochte sich wissend an den Nasenflügel. »Aber vielleicht hatte es auch etwas mit dem Amulett zu tun, das er unter dem Hemd trug.«

»Was denn für ein Amulett?«, fragte der Junge, den Mund voll Eintopf.

Der alte Cob lehnte sich auf seinem Hocker zurück, froh über die Gelegenheit, etwas weiter auszuholen. »Taborlin war ein paar Tage zuvor auf der Straße einem Kessler begegnet. Und obwohl Taborlin nicht viel zu essen bei sich hatte, teilte er sein Abendbrot mit dem alten Mann.«

»Sehr vernünftig«, sagte Graham leise zu dem Jungen. »Jeder weiß doch: ›Die gute Tat vergilt der Kessler zweifach.‹«

»Nein, nein«, murrte Jack. »Richtig heißt es: ›Eines Kesslers kluger Rat zweifach vergilt die gute Tat.‹«

Da meldete sich zum ersten Mal an diesem Abend der Wirt zu Wort. »Da unterschlägst du aber das Wichtigste«, sagte er, in der Tür hinterm Tresen stehend:

Der Kessler gleicht die Schuld stets aus:

Einfach, zahlt er einen aus.

Zweifach, hilft ihm einer aus.

Dreifach, schimpft ihn einer aus.

Die Männer schienen erstaunt, Kote dort stehen zu sehen. Sie kamen seit Monaten jeden Felling-Abend ins Wirtshaus, und Kote hatte sich bisher nie ins Gespräch eingemischt. Nicht dass man das von ihm erwartet hätte. Er war erst seit gut einem Jahr hier. Er war immer noch ein Fremder. Der Schmiedelehrling lebte seit seinem elften Lebensjahr hier und wurde trotzdem immer noch »der Junge aus Rannish« genannt, so als wäre Rannish ein fernes Land und nicht eine Ortschaft ganz in der Nähe.

»Das habe ich mal irgendwo aufgeschnappt«, sagte Kote, offenkundig verlegen, in das Schweigen hinein.

Der alte Cob nickte, räusperte sich und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Also, dieses Amulett war einen ganzen Eimer voller Goldnobel wert, aber weil Taborlin so freundlich zu ihm gewesen war, verkaufte der Kessler es ihm für lediglich einen Eisenpenny, einen Kupferpenny und einen Silberpenny. Es war schwarz wie die Winternacht und, wenn man es berührte, kalt wie Eis, aber solange Taborlin es an einer Kette um den Hals trug, konnten böse Wesen ihm nichts anhaben. Dämonen und dergleichen.«

»Für so etwas würde ich heutzutage eine schöne Stange Geld hinlegen«, bemerkte Shep düster. Er hatte an diesem Abend am meisten getrunken und am wenigsten gesagt. Alle wussten, dass auf seinem Hof in der vergangenen Cendling-Nacht etwas Schlimmes vorgefallen war, doch da sie alle gute Freunde waren, drängten sie ihn nicht, davon zu erzählen. Zumindest nicht so früh am Abend, und nicht solange sie noch so nüchtern waren.

»Ja, wer würde das nicht?«, sagte der alte Cob und nahm einen tiefen Schluck.

»Ich wusste gar nicht, dass die Chandrian Dämonen sind«, sagte der Junge. »Ich habe gehört …«

»Das sind auch keine Dämonen«, sagte Jake mit Bestimmtheit. »Das waren die ersten sechs Menschen, die sich Tehlus Wahl des Weges widersetzt haben, und er hat sie daraufhin mit einem Fluch belegt, auf dass sie –«

»Erzählst jetzt du diese Geschichte, Jacob Walker?«, fragte Cob in scharfem Ton. »Wenn ja, kannst du sie auch zu Ende erzählen.«

Die beiden Männer funkelten einander einen Moment lang an. Schließlich wandte Jake den Blick ab und murmelte etwas, das möglicherweise eine Entschuldigung war.

Cob wandte sich wieder dem Jungen zu. »Das ist das große Geheimnis der Chandrian«, erklärte er. »Woher kommen sie? Wohin gehen sie, wenn sie ihre Bluttaten verübt haben? Sind es Menschen, die ihre Seele verkauft haben? Sind es Dämonen? Geister? Niemand weiß es.« Cob warf Jake einen verächtlichen Blick zu. »Auch wenn so mancher Schwachkopf behauptet, es zu wissen …«

An diesem Punkt ging die Geschichte in Gezänk unter – über das Wesen der Chandrian, über die Zeichen, die dem Wachsamen ihre Anwesenheit verrieten, und darüber, ob das Amulett Taborlin auch vor Banditen, tollwütigen Hunden oder Stürzen vom Pferd schützte. Es wurde hitzig debattiert, bis plötzlich die Eingangstür aufflog.

Jake sah sich um. »Du kommst genau richtig, Carter. Erklär diesem Volltrottel doch mal den Unterschied zwischen einem Dämon und einem Hund. Jeder weiß doch, dass –« Jake verstummte mitten im Satz und lief zur Tür. »Beim Leib des Herrn, was ist denn mit dir geschehen?«

Carter trat ins Licht. Sein bleiches Gesicht war blutbeschmiert. Er hielt eine alte Satteldecke vor der Brust, in die etwas eingewickelt war. Der Form nach hätte es ein Reisigbündel sein können.

Seine Freunde sprangen von ihren Hockern. »Es geht mir gut«, sagte er und kam langsam in den Schankraum. Dabei blickte er wie ein scheuendes Pferd. »Alles bestens.«

Er ließ das Deckenbündel auf den nächsten Tisch fallen, und es polterte, als wäre es voller Steine. Carters Kleider waren kreuz und quer von langen Schnitten übersät. Wo ihm das graue Hemd nicht dunkelrot am Leib klebte, hing es in Fetzen herab.

Graham versuchte ihn auf einen Stuhl zu bugsieren. »Muttergottes! Setz dich, Carter. Was ist denn mit dir geschehen? Setz dich.«

Carter schüttelte störrisch den Kopf. »Ich sage doch, es geht mir gut. Ich bin nicht schwer verletzt.«

»Wie viele waren es?«, fragte Graham.

»Einer«, sagte Carter. »Aber es war nicht so, wie ihr denkt.«

»Gottverdammt noch mal. Ich hab’s dir doch gesagt, Carter«, platzte der alte Cob los, mit jener Mischung aus Furcht und Verärgerung, die nur Angehörige und enge Freunde aufzubringen vermögen. »Ich sag’s dir seit Monaten. Du darfst nicht alleine rausfahren. Nicht mal bis nach Baedn. Es ist zu gefährlich.« Jake legte dem alten Mann beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

»Setz dich doch erst mal«, sagte Graham, der immer noch behutsam versuchte, Carter auf einen Stuhl zu drücken. »Jetzt ziehen wir dir erst mal das Hemd aus und machen dich sauber.«

Carter schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut. Ich hab ein paar kleine Schnittwunden abgekriegt, aber das Blut ist größtenteils von Nelly. Es hat sich auf sie gestürzt. Hat sie umgebracht. Zwei Meilen außerhalb des Dorfs, hinter der alten Steinbrücke.«

Erschrockenes Schweigen ringsum. Der Schmiedelehrling legte Carter mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Verdammt. Das ist bitter. Sie war wirklich sanft wie ein Lamm. Hat nie versucht zu beißen oder auszutreten, wenn ihr sie zum Beschlagen gebracht habt. Das beste Pferd des ganzen Dorfs. Verdammt. Ich …« Er verstummte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Er sah sich hilflos um.

Cob gelang es schließlich, sich von Jake loszureißen. »Ich hab’s dir gesagt«, wiederholte er und fuchtelte mit dem Zeigefinger in Carters Richtung. »In letzter Zeit sind da Leute unterwegs, die dich für ein paar Pennys abmurksen würden, von einem Pferdefuhrwerk ganz zu schweigen. Und was machst du jetzt? Willst du den Wagen selber ziehen?«

Betretenes Schweigen. Jake und Cob funkelten einander an, den anderen fehlten offenkundig die Worte, und sie wussten nicht, wie sie ihren Freund trösten sollten.

Der Wirt bewegte sich vorsichtig durch die Stille. Flink ging er mit vollen Armen um Shep herum und stellte auf einem nahen Tisch einige Utensilien bereit: eine Schüssel mit heißem Wasser, eine Schere, saubere Leinentücher, einige Fläschchen, Nadel und Faden.

»Wenn er auf mich gehört hätte, wäre das nie passiert«, grummelte der alte Cob. Jake versuchte ihn zu beruhigen, aber Cob schob ihn beiseite. »Das ist die reine Wahrheit. Es ist wirklich jammerschade um Nelly, und wenn er jetzt nicht endlich auf mich hört, geb ich ihm auch nicht mehr lange. Zweimal entrinnt man solchen Leuten nicht.«

Carter verzog den Mund zu einem Strich. Er zog an der blutbefleckten Decke. Etwas, das darin eingewickelt war, fiel zur Seite und blieb am Stoff hängen. Carter zog fester, und es polterte, als würde ein Sack voller Bachkiesel auf den Tisch gekippt.

Es war eine Spinne, groß wie ein Wagenrad und schieferschwarz.

Der Schmiedelehrling machte einen Satz nach hinten, stieß dabei einen Tisch um und wäre fast der Länge nach hingeschlagen. Cob klappte die Kinnlade herunter. Graham, Shep und Jake stießen Schreckenslaute aus, wichen zurück und hielten sich die Hände vors Gesicht. Carter trat einen Schritt beiseite, und es sah fast aus wie ein nervöses Zucken. Stille erfüllte den Raum, Stille wie ein kalter Schweißausbruch.

Der Wirt runzelte die Stirn. »Die können es doch noch nicht so weit nach Westen geschafft haben«, murmelte er.

Wäre es nicht so still im Raum gewesen, hätte ihn wahrscheinlich keiner gehört. So aber hörten ihn alle. Sie wandten den Blick von dem Ding auf dem Tisch ab und starrten den rothaarigen Mann an.

Jake fand als erster die Sprache wieder. »Du weißt, was das ist?«

Der Wirt blickte abwesend. »Skrael«, sagte er beiläufig. »Ich dachte, das Gebirge –«

»Skrael?«, unterbrach ihn Jake. »Beim geschwärzten Leib Gottes, Kote. Du hast so etwas schon einmal gesehen?«

»Was?« Der rothaarige Wirt sah abrupt auf, so als würde ihm plötzlich wieder bewusst, wo er war. »Oh. Nein. Nein, natürlich nicht.« Er bemerkte, dass er als einziger nur eine Armeslänge von dem dunklen Ding entfernt stand, und trat einen Schritt zurück. »Ich habe da bloß was gehört.« Die anderen starrten ihn an. »Erinnert ihr euch an den Händler, der vor gut zwei Spannen hier durchgekommen ist?«

Sie nickten. »Der Scheißkerl wollte mir zehn Pennys für ein halbes Pfund Salz abknöpfen«, sagte Cob reflexhaft und brachte diese Klage damit zum vielleicht hundertsten Mal vor.

»Ich wünschte, ich hätte welches gekauft«, murmelte Jake. Graham nickte.

»Das war ein Halsabschneider«, spie Cob. »In schweren Zeiten zahle ich vielleicht zwei Pennys, aber zehn, das ist doch der reinste Wucher.«

»Nicht, wenn es da draußen noch mehr von denen gibt«, sagte Shep finster.

Alle Blicke richteten sich wieder auf das Ding auf dem Tisch.

»Er hat mir erzählt, er hätte in der Nähe von Melcombe von diesen Viechern gehört«, sagte Kote schnell und beobachtete die Gesichter der anderen, die das Wesen auf dem Tisch betrachteten. »Ich dachte, er wollte bloß die Preise in die Höhe treiben.«

»Was hat er denn sonst noch erzählt?«, fragte Carter.

Der Wirt blickte einen Moment lang nachdenklich und zuckte dann die Achseln. »Ich habe nicht alles mitbekommen. Er war nur ein paar Stunden im Dorf.«

»Ich kann Spinnen nicht ausstehen«, sagte der Schmiedelehrling. Er stand immer noch gut fünf Meter vom Tisch entfernt. »Deckt sie zu.«

»Das ist keine Spinne«, sagte Jake. »Es hat keine Augen.«

»Es hat auch kein Maul«, bemerkte Carter. »Wie es wohl frisst?«

»Und was es wohl frisst?«, fügte Shep mit finsterer Miene hinzu.

Der Wirt betrachtete das Ding mit bedächtiger Neugier. Er beugte sich vor und streckte eine Hand aus. Die anderen wichen noch weiter zurück.

»Vorsicht«, sagte Carter. »Die Füße sind messerscharf.«

»Scharf wie Rasiermesser«, sagte Kote. Mit seinen langen Fingern fuhr er über den schwarzen, keine besonderen Merkmale aufweisenden Leib des Skraels. »Es ist glatt und hart, wie Keramik.«

»Mach keinen Blödsinn«, sagte der Schmiedelehrling.

Der Wirt nahm vorsichtig eins der langen, glatten Beine und versuchte es mit beiden Händen wie einen Stock zu zerbrechen. »Nein, nicht wie Keramik«, berichtigte er sich. Er schob das Bein über die Tischkante und stützte sich mit ganzem Gewicht darauf. Das Bein brach mit einem lauten Knacken. »Eher wie Stein.« Er sah zu Carter hinüber. »Woher kommen denn die ganzen Risse?« Er zeigte auf die feinen Furchen, von denen die ansonsten glatte, schwarze Körperoberfläche überzogen war.

»Nelly ist drauf gefallen«, sagte Carter. »Es kam aus einem Baum gesprungen und ist auf ihr rumgekrabbelt und hat sie mit seinen Füßen geschnitten. Das ging blitzschnell. Ich habe gar nicht begriffen, was da vor sich ging.« Endlich sank Carter auf Grahams Drängen hin auf einen Stuhl. »Sie hat sich in ihrem Geschirr verheddert und ist auf das Ding draufgestürzt und hat ihm dabei ein paar Beine gebrochen. Dann hat es sich auf mich gestürzt und ist auf mir rumgekrabbelt.« Er verschränkte die Arme vor seiner blutigen Brust und schauderte. »Ich konnte es abschütteln und habe es mit aller Kraft getreten. Aber dann hat es sich wieder auf mich gestürzt …« Er verstummte, das Gesicht aschfahl.

Der Wirt nickte und betastete das Ding weiter. »Kein Blut. Keine Organe. Es ist innerlich nur grau.« Er drückte es mit einem Finger. »Wie ein Pilz.«

»Großer Tehlu, fass es nicht an«, flehte der Schmiedelehrling. »Manchmal zucken Spinnen noch, auch wenn sie schon tot sind.«

»Ihr müsstet euch mal hören«, höhnte Cob. »Spinnen werden nicht so groß wie Schweine. Ihr wisst doch ganz genau, was das ist.« Er sah sich um und blickte nacheinander allen in die Augen. »Das ist ein Dämon.«

Sie sahen wieder zu dem zerbrochenen Ding hinüber.

»Also bitte«, widersprach Jake, mehr aus Gewohnheit. »Das ist doch kein …« Er machte eine hilflose Geste. »Das kann doch kein …«

Alle wussten, was er dachte. Es gab ganz gewiss Dämonen auf dieser Welt. Aber sie waren wie Tehlus Engel. Sie waren wie Helden und Könige. Sie gehörten in Geschichten. Sie gehörten nicht hierher. Taborlin der Große beschwor Feuer und Blitz herbei, um Dämonen zu vernichten. Tehlu zerschmetterte sie mit bloßen Händen und schleuderte sie dann hinab in das namenlose Nichts. Aber ein Freund aus Kindertagen trampelte so einen Dämon doch nicht auf der Straße nach Baedn-Bryt zu Tode. Das war einfach nur lachhaft.

Kote fuhr sich mit der Hand durch den roten Schopf und brach dann das Schweigen. »Es gibt zwei Methoden, das festzustellen«, sagte er und griff in seine Tasche. »Eisen und Feuer.« Er zog einen prall gefüllten ledernen Geldbeutel hervor.

»Und der Name Gottes«, bemerkte Graham. »Dämonen fürchten dreierlei: kaltes Eisen, reines Feuer und den heiligen Namen Gottes.«

Der Wirt verzog leicht missbilligend den Mund. »Natürlich«, sagte er, leerte den Beutel auf den Tisch und tastete in dem Münzhaufen umher – schwere Silbertalente und kleinere Silbermünzen, Kupfer-Jots, zerbrochene Halbpennystücke und Eisendeute. »Hat jemand ein Scherflein?«

»Nimm doch einen Deut«, sagte Jake. »Das ist gutes Eisen.«

»Ich will kein gutes Eisen«, sagte der Wirt. »Ein Deut enthält zuviel Kohlenstoff. Das ist fast schon Stahl.«

»Da hat er recht«, sagte der Schmiedelehrling. »Aber es ist kein Kohlenstoff. Für Stahl nimmt man Kohle. Kohle und Kalk.«

Der Wirt nickte dem Jungen anerkennend zu. »Du musst es wissen, junger Meister. Es ist ja schließlich dein Metier.« Mit seinen langen Fingern fand er endlich ein Scherflein in seinem Münzhaufen und hielt es empor. »Da hätten wir eins.«

»Und was erreichst du damit?«, fragte Jake.

»Mit Eisen tötet man Dämonen«, sagte Cob mit unsicherer Stimme, »aber der hier ist schon tot. Vielleicht hat es gar keine Wirkung mehr.«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Der Wirt suchte kurz den Blickkontakt mit jedem von ihnen. Dann wandte er sich entschlossen zum Tisch um. Die anderen wichen noch etwas weiter zurück.

Kote drückte dem schwarzen Wesen die Eisenmünze in die Seite. Ein lautes Knacken ertönte, wie von einem Kiefernscheit im Feuer. Alle erschraken, beruhigten sich aber gleich wieder, als sich das schwarze Ding nicht regte. Cob und die anderen fingen an, einander zaghaft anzugrinsen, wie kleine Jungen, denen eine Gruselgeschichte einen Schrecken eingejagt hat. Dieses Lächeln wich einem säuerlichen Blick, als sich im Schankraum ein Gestank wie von modernden Blumen und angesengtem Haar breitmachte.

Der Wirt drückte die Münze mit lautem Klacken auf die Tischplatte. »Tja«, sagte er und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Damit wäre das dann ja wohl geklärt. Und was machen wir jetzt?«

Stunden später stand der Wirt am Eingang des Gasthauses und schaute hinaus in die Dunkelheit. Der Lampenschein aus den Wirtshausfenstern fiel über die unbefestigte Straße bis auf die Tore der Schmiede gegenüber. Diese Straße war weder breit noch viel befahren. Und sie schien nirgends hinzuführen, wie das bei manchen Straßen so ist. Der Wirt atmete die Herbstluft tief ein und sah sich unruhig um, so als erwarte er, dass etwas geschehen würde.

Er nannte sich Kote. Er hatte diesen Namen mit Bedacht gewählt, als er hierher gekommen war. Er hatte aus den üblichen Gründen einen neuen Namen angenommen, aber auch aus ein paar eher unüblichen, unter anderem dem, dass Namen ihm viel bedeuteten.

Als er emporblickte, sah er abertausende Sterne am mondlosen Firmament. Er kannte sie alle, ihre Geschichten und ihre Namen. Sie waren ihm so vertraut wie seine eigenen Hände.

Als er den Blick wieder senkte, seufzte Kote, ohne es zu bemerken, und ging dann wieder hinein. Er verriegelte die Tür und schloss die Läden vor den Fenstern, wie um sich von den Sternen und ihren zahlreichen Namen abzuschotten.

Er kehrte planmäßig den Boden und ließ keine Ecke aus. Er wischte die Tische und den Tresen ab und bewegte sich dabei mit geduldiger Gründlichkeit. Nach einer Stunde Arbeit war das Wasser in seinem Eimer immer noch so sauber, dass eine Dame sich darin die Hände hätte waschen können.

Schließlich zog er sich einen Hocker hinter den Tresen und begann die große Schar von Flaschen zu polieren, die zwischen den beiden mächtigen Fässern stand. Diese Arbeit erledigte er längst nicht so flott wie die vorigen, und bald wurde klar, dass das Polieren der Flaschen nur ein Vorwand war, um etwas zu berühren und festzuhalten. Kote summte dabei sogar ein wenig vor sich hin, auch wenn ihm das nicht bewusst war, und er, wäre es ihm bewusst geworden, sofort damit aufgehört hätte.

Während er die Flaschen in seinen langen, anmutigen Händen drehte, wichen dank der vertrauten Bewegungen einige müde Falten aus seinem Gesicht, und das ließ ihn jünger erscheinen, er war ganz gewiss noch keine dreißig. Nicht einmal Ende zwanzig. Jung für einen Wirt. Jung für einen Mann, auf dessen Antlitz immer noch viele müde Falten waren.

Am oberen Treppenabsatz angelangt, öffnete Kote die Tür. Sein Zimmer war karg, beinahe mönchisch. Mitten im Raum erhob sich ein schwarzer Steinkamin, und davor standen zwei Sessel und ein Schreibpult. Das übrige Mobiliar bestand aus einem schmalen Bett und einer großen dunklen Truhe an dessen Fußende. Nichts schmückte die Wände oder bedeckte den Dielenboden.

Auf dem Flur ertönten Schritte, und ein junger Mann betrat den Raum, mit einer Schale pfeffrig duftendem Eintopf in der Hand. Ein dunkler Typ, gutaussehend, stets zu einem Lächeln aufgelegt und mit verschmitztem Blick. »So spät ist es ja schon seit vielen Spannen nicht mehr geworden«, sagte er und überreichte die Schale. »Da müssen ja tolle Geschichten erzählt worden sein, Reshi.«

Reshi war ein weiterer Name des Wirts, fast ein Spitzname. Als er ihn hörte, verzog er den Mund zu einem schiefen Lächeln und ließ sich dann auf einem der Sessel vor dem Kaminfeuer nieder. »Also, was hast du heute gelernt, Bast?«

»Heute, Meister, habe ich gelernt, warum große Liebhaber bessere Augen haben als große Gelehrte.«

»Und warum ist das so, Bast?«, fragte Kote, und eine leichte Belustigung schlich sich in seinen Tonfall.

Bast schloss die Tür, drehte den zweiten Sessel zum Feuer und zu seinem Lehrer und ließ sich darauf nieder. Er bewegte sich mit einer seltsamen Anmut, so als tanze er beinahe. »Nun, Reshi, die guten Bücher befinden sich alle drinnen, wo das Licht schlecht ist. Schöne Mädchen aber findet man eher draußen im Sonnenschein, und sie sind daher viel einfacher zu studieren, ohne dass man Gefahr läuft, sich die Augen zu verderben.«

Kote nickte. »Ein sehr gewitzter Schüler könnte sich aber auch ein Buch mit nach draußen nehmen und sich so bilden, ohne fürchten zu müssen, dass er womöglich seinem Augenlicht Schaden zufügt.«

»Darauf bin ich auch schon gekommen, Reshi. Da ich ja selbstredend ein sehr gewitzter Schüler bin.«

»Selbstredend.«

»Doch als ich dann einen Platz an der Sonne gefunden hatte, wo ich hätte lesen können, kam ein schönes Mädchen daher und hielt mich von dergleichen ab«, schloss Bast mit schwungvoller Gebärde.

Kote seufzte. »Gehe ich recht in der Annahme, dass es dir heute nicht gelungen ist, auch nur eine einzige Seite im Celum Tinture zu lesen?«

Bast gelang es zumindest, ein wenig beschämt dreinzublicken.  

Kote sah ins Feuer und scheiterte bei dem Versuch, eine strenge Miene aufzusetzen. »Ach, Bast, ich hoffe, sie war so lieblich wie ein warmer Wind im Schatten. Ich bin ein schlechter Lehrer, wenn ich das sage, aber es freut mich. Mir steht jetzt auch nicht der Sinn nach Unterricht.« Kurzes Schweigen. »Carter wurde heute Abend von einem Skrael angefallen.«

Basts Lächeln fiel wie eine zerbrochene Maske von ihm ab, und er blickte blass und angsterfüllt. »Die Skraels?« Er erhob sich halb, so als wollte er aus dem Zimmer stürzen, runzelte dann verlegen die Stirn und setzte sich wieder. »Woher weißt du das? Wer hat seinen Leichnam gefunden?«

»Er hat es überlebt, Bast. Er hat es hergebracht. Es war nur eines.«

»Einzelne Skraels – so etwas gibt es nicht«, sagte Bast. »Das weißt du doch.«

»Ja, das weiß ich«, sagte Kote. »Aber es war dennoch nur eines.«

»Und er hat es getötet?«, fragte Bast. »Das kann kein Skrael gewesen sein. Vielleicht –«

»Bast, es war ein Skrael. Ich habe es gesehen.« Kote warf ihm einen ernsten Blick zu. »Er hatte einfach Glück, das ist alles. Aber er hat sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. Achtundvierzig Stiche. Ich habe fast mein ganzes Katgut aufgebraucht.« Kote nahm seinen Eintopf zur Hand. »Wenn jemand fragt, sagst du, mein Großvater sei Karawanenwächter gewesen, und der habe mir beigebracht, Wunden zu säubern und zu nähen. Heute Abend waren sie alle zu entsetzt, um mich danach zu fragen, aber morgen könnten einige von ihnen neugierig werden. Und das möchte ich nicht.«

»Was hast du mit dem Kadaver gemacht?«

»Ich habe gar nichts damit gemacht«, sagte Kote. »Ich bin nur ein einfacher Gastwirt. So etwas geht weit über meinen Verstand.«

»Reshi, du kannst doch nicht zulassen, dass die mit dieser Sache ganz auf sich allein gestellt sind.«

Kote seufzte. »Sie haben es zum Priester gebracht. Und der hat das Richtige getan, wenn auch aus den falschen Gründen.«

Bast öffnete den Mund, aber Kote fuhr fort, ehe er etwas zu sagen vermochte. »Ja, ich habe mich vergewissert, dass die Grube tief genug war. Ja, ich habe mich vergewissert, dass auch Ebereschenholz mit verbrannt wurde. Ja, ich habe mich vergewissert, dass es lange und bei großer Hitze brannte, ehe sie es vergraben haben. Ja, ich habe mich vergewissert, dass sich niemand ein Stück davon als Andenken mit nach Hause genommen hat.« Er blickte ein wenig finster, zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin ja schließlich kein Schwachkopf.«

Bast lehnte sich sichtlich erleichtert auf seinem Sessel zurück. »Ich weiß, dass du kein Schwachkopf bist, Reshi. Aber der Hälfte dieser Leute traue ich nicht mal zu, dass sie ohne fremde Hilfe leewärts pinkeln können.« Er blickte nachdenklich. »Ich begreife immer noch nicht, warum es nur eines war.«

»Vielleicht sind sie auf dem Weg übers Gebirge umgekommen. Alle bis auf das eine hier.«

»Das ist denkbar«, gab Bast widerstrebend zu.

»Vielleicht ist das in diesem Sturm vor ein paar Tagen geschehen«, bemerkte Kote. »Ein regelrechter Wagenkipper, wie wir das damals bei der Truppe nannten. In dem Unwetter könnte eins vom Rudel getrennt worden sein.«

»Deine erste Idee gefällt mir besser, Reshi«, sagte Bast beklommen. »Drei oder vier Skraels würden in diesem Dorf eine Schneise der Verwüstung schlagen. Die Leute hier wären ihnen wehrlos ausgeliefert. Es gibt doch im ganzen Ort wahrscheinlich kein halbes Dutzend Schwerter. Nicht dass man mit Schwertern viel gegen Skraels ausrichten könnte.«

Eine ganze Weile herrschte nachdenkliches Schweigen. Dann wurde Bast unruhig. »Sonst irgendwelche Neuigkeiten?«

Kote schüttelte den Kopf. »Zu den Neuigkeiten sind sie heute gar nicht mehr gekommen. Carter ist hereingeplatzt, als sie noch dabei waren, alte Geschichten zu erzählen. Sie kommen morgen Abend wieder. Dann habe ich was zu tun.«

Kote rührte in seinem Eintopf. »Ich hätte Carter den Skrael abkaufen sollen«, sagte er nachdenklich. »Er hätte das Geld gut gebrauchen können – für ein neues Pferd. Die Leute wären von nah und fern gekommen, um sich das anzusehen. Dann wäre hier zur Abwechslung mal was los gewesen.«

Bast starrte ihn entgeistert an.

Kote machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Das war ein Scherz, Bast.« Er lächelte matt. »Aber dennoch wäre es nett gewesen.«

»Nein, Reshi, es wäre ganz bestimmt nicht nett gewesen«, sagte Bast nachdrücklich. »›Die Leute wären von nah und fern gekommen, um sich das anzusehen‹«, wiederholte er höhnisch. »In der Tat.«

»Fürs Geschäft wäre es nett gewesen«, stellte Kote klar. »Es wäre nett gewesen, mal etwas mehr zu tun zu haben.« Er tunkte den Löffel wieder in den Eintopf.

Sie saßen eine Weile schweigend da. Kote blickte finster und gedankenverloren in die Schale in seinen Händen. »Es muss hier schrecklich für dich sein, Bast«, sagte er schließlich. »Du langweilst dich doch bestimmt fast zu Tode.«

Bast zuckte die Achseln. »Es gibt hier ein paar junge Eheweiber und auch die eine oder andere Tochter.« Er grinste spitzbübisch. »Ich sorge schon dafür, dass keine Langeweile aufkommt.«

»Das ist gut, Bast.« Wieder herrschte Schweigen. Kote nahm noch einen Löffel, kaute, schluckte. »Sie glaubten, es wäre ein Dämon.«

Bast zuckte die Achseln. »Das könnte es genausogut sein, Reshi. Und es ist wahrscheinlich am Besten so, dass sie das glauben.«

»Ja, das sehe ich auch so. Und ich habe sie in dem Glauben bestärkt. Aber du weißt, was das bedeutet.« Er sah Bast in die Augen. »Der Schmied wird in den nächsten Tagen viel zu tun bekommen.«

Bast setzte eine ausdruckslose Miene auf. »Oh.«

Kote nickte. »Ich würde es dir nicht übel nehmen, wenn du lieber von hier verschwinden willst, Bast. Es gibt für dich angenehmere Orte als diesen hier.«

Bast sah ihn entgeistert an. »Ich kann hier doch nicht weg, Reshi.« Er öffnete und schloss den Mund ein paar Mal, ihm fehlten die Worte. »Wer sollte mich denn dann unterrichten?«

Kote grinste, und einen Moment lang war seinem Gesicht anzusehen, wie jung er in Wirklichkeit war. Jenseits der müden Falten und der bedächtigen Gastwirtsmiene sah er kaum älter aus als sein dunkelhaariger Gefährte. »Tja, wer?« Er wies mit dem Löffel zur Tür. »Dann geh jetzt deine Lektüre nachholen, oder belästige irgendjemandes Tochter. Du hast doch sicherlich Besseres zu tun, als mir beim Essen zuzusehen.«

»Also, eigentlich …«

»Hebe dich hinweg, Dämon!«, sagte Kote und verfiel dann, den Mund halb voll Eintopf, ins Temische. »Tehus antausa eha!«

Bast lachte verblüfft auf und konterte mit einer obszönen Handbewegung.

Kote schluckte und wechselte die Sprache. »Aroi te denna-leyan!«

»Also bitte«, tadelte Bast, und sein Lächeln schwand. »Das ist eine Beleidigung.«

»Bei der Erde und dem Stein – ich beschwöre dich!« Kote tunkte seine Fingerspitzen in den Becher an seiner Seite und schnippte ein paar Tropfen in Basts Richtung. »Gebannt seist du!«

»Mit Apfelwein?« Bast gelang es, zugleich belustigt und verärgert auszusehen, und er wischte sich einen Tropfen von der Hemdbrust. »Wenn das mal keine Flecken gibt.«

Kote nahm noch einen Löffel Eintopf. »Weich es ein. Im Notfall rate ich, von einer der zahlreichen Reinigungsformeln Gebrauch zu machen, die im Celum Tinture enthalten sind. Kapitel dreizehn, wenn mich nicht alles täuscht.«

»Also gut.« Bast erhob sich und ging zur Tür, bewegte sich dabei mit der ihm eigenen seltsamen, beiläufigen Anmut. »Ruf mich, wenn du irgendetwas brauchst.« Er schloss die Tür hinter sich.

Kote aß langsam und tunkte den letzten Eintopfrest mit einem Stück Brot auf. Beim Essen schaute er aus dem Fenster oder versuchte es zumindest, denn der Lampenschein verwandelte das Fenster in einen Spiegel vor der Dunkelheit.

Sein Blick streifte ruhelos im Zimmer umher. Der Kamin war aus dem gleichen schwarzen Stein gefertigt wie der im Erdgeschoß. Er stand mitten im Raum, eine beachtliche technische Leistung, auf die Kote recht stolz war. Das Bett war schmal, nicht viel mehr als eine Pritsche, und wenn man es berührt hätte, hätte man festgestellt, dass die Matratze sehr dünn war.

Ein guter Beobachter hätte vielleicht bemerkt, dass es etwas gab, dem Kotes Blick auswich. Wie man bei einem festlichen Essen dem Blick einer Verflossenen ausweicht oder spätabends in einer vollen Bierschenke dem eines alten Feindes, der am anderen Ende des Raumes sitzt.

Kote versuchte sich zu entspannen, doch es gelang ihm nicht, und er nestelte, seufzte, rutschte auf seinem Sitz hin und her, und ohne dass er es wollte, fiel sein Blick auf die Truhe am Fußende des Betts.

Sie war aus Roah gefertigt, einer seltenen, schweren Holzart, kohlrabenschwarz und glatt wie poliertes Glas. Von Parfümeuren und Alchemisten war dieses Holz hochgeschätzt, und ein daumengroßes Stück war schon Gold wert. Es war äußerst ungewöhnlich, dass sich jemand eine Truhe aus diesem Holz tischlern ließ.

Die Truhe war dreifach verschlossen. Sie hatte ein Schloss aus Eisen, eines aus Kupfer und eines, das nicht zu sehen war. An diesem Abend erfüllte das Holz den Raum mit dem kaum wahrnehmbaren Duft von Zitrusfrüchten und ablöschendem erkaltendem Eisen.

Als Kotes Blick auf die Truhe fiel, glitt er nicht schnell wieder fort. Er huschte auch nicht verstohlen beiseite, wie um so zu tun, als wäre sie gar nicht da. Doch in dem Augenblick, als er hinsah, zeigten sich auf seinem Gesicht wieder all die Falten, die von den kleinen Freuden des Tages langsam geglättet worden waren. Der Trost seiner Flaschen und Bücher war mit einem Schlag verflogen, und hinter seinen Augen blieben nur Leere und Schmerz. Für einen Moment rangen auf seinem Gesicht große Sehnsucht und Reue miteinander.

Dann war auch das fort, und es blieb nur das müde Gesicht eines Gastwirts, eines Mannes, der sich Kote nannte. Er seufzte noch einmal, ohne es zu bemerken, und stand auf.

Es dauerte lange, bis er an der Truhe vorbei zum Bett ging. Und als er im Bett lag, dauerte es lange, bis er schlief.

Wie Kote vermutet hatte, kamen sie am nächsten Abend wieder ins Wirtshaus, um dort zu essen und zu trinken. Es gab ein paar halbherzige Ansätze, alte Geschichten zu erzählen, aber sie versandeten schnell. Keinem war danach zumute.

Und so wandte sich das Gespräch schon früh am Abend wichtigeren Dingen zu. Man kaute die Gerüchte durch, die ins Dorf gedrungen waren, und es waren größtenteils beunruhigende Gerüchte. Der Bußfertige König hatte es in Resavek mit den Rebellen zu tun bekommen. Das löste einige Besorgnis aus, aber mehr allgemeiner Art. Resavek war weit entfernt, und selbst Cob, der welterfahrenste von ihnen, hätte Schwierigkeiten gehabt, es auf einer Landkarte zu finden.

Sie sprachen darüber, was der Krieg für sie selbst bedeutete. Cob prophezeite eine dritte Steuererhebung, sobald die Ernte eingebracht war. Keiner widersprach, auch wenn es seit Menschengedenken keine drei Erhebungen in einem Jahr gegeben hatte.

Jake schätzte, dass die Ernte so gut ausfallen würde, dass die dritte Steuererhebung die meisten Familien nicht in Schwierigkeiten bringen würde. Von den Bentleys einmal abgesehen, die eh schon schwere Zeiten durchmachten. Und den Orrisons, denen immer wieder Schafe abhanden kamen. Und dem verrückten Martin, der dieses Jahr ausschließlich Gerste angebaut hatte. Jeder Bauer, der auch nur halbwegs bei Verstand war, hatte Bohnen angebaut. Das war das Gute an all den Kämpfen: Soldaten aßen Bohnen, und die Bohnenpreise würden steigen.

Nach einigen weiteren Runden kamen schwerwiegendere Sorgen zur Sprache. Auf den Straßen wimmelte es von Deserteuren und Gelegenheitsräubern, und selbst kurze Reisen wurden dadurch riskant. Die Straßen waren natürlich immer unsicher, so wie die Winter immer kalt waren. Man beklagte sich darüber, ergriff vernünftige Vorsichtsmaßnahmen und lebte gelassen weiter.

Doch diesmal war es anders. Im Laufe der vergangenen zwei Monate waren die Straßen so unsicher geworden, dass die Leute es schon aufgegeben hatten, sich darüber zu beklagen. Die letzte Karawane hatte aus zwei Wagen bestanden, eskortiert von vier Wächtern. Der Händler hatte für ein halbes Pfund Salz zehn Penny verlangt und für einen Zuckerhut fünfzehn. Er hatte keinen Pfeffer, keinen Zimt, keine Schokolade. Er hatte einen kleinen Sack Kaffee, wollte aber zwei Silbertalente dafür. Zunächst hatten die Leute über seine Preise gelacht. Als er sich dann jedoch nicht herunterhandeln ließ, hatten sie vor ihm ausgespuckt und ihn verwünscht.

Das war nun zwei Spannen her: zweiundzwanzig Tage. Seither waren hier keine Händler mehr durchgekommen, obwohl jetzt eigentlich die Jahreszeit dafür war. Und so kam es, dass die Leute, obwohl sich die dritte Steuererhebung schon bedrohlich abzeichnete, in ihre Geldbeutel blickten und wünschten, sie hätten das eine oder andere gekauft, nur für den Fall, dass die Schneefälle in diesem Jahr früh einsetzten.

Keiner sprach den Vorabend an und das Ding, das sie verbrannt und vergraben hatten. Anderswo hingegen sprach man natürlich darüber. Im Ort gingen Gerüchte um. Carters Verletzungen sorgten dafür, dass sie halbwegs ernst genommen wurden, aber eben auch nur halbwegs. Das Wort »Dämon« wurde ausgesprochen, aber nur hinter vorgehaltener Hand und mit halb verborgenem Lächeln.

Nur die sechs Freunde hatten das Ding gesehen, ehe es verbrannt wurde. Einer von ihnen war verletzt worden, und die anderen hatten getrunken. Der Priester hatte es auch gesehen, aber Dämonen zu sehen gehörte ja schließlich zu seinem Beruf. Dämonen waren bei ihm gut fürs Geschäft.

Der Wirt hatte es offenbar auch gesehen. Aber der war nicht hier aus der Gegend. Er konnte daher nicht wissen, wie es wirklich stand und was jedem klar war, der in diesem Dorf geboren und aufgewachsen war: Hier erzählte man sich zwar Geschichten, diese Geschichten aber spielten sich anderswo ab. Dies hier war kein Ort für Dämonen.

Außerdem stand es schon schlimm genug; da musste man sich keinen unnötigen Kummer einhandeln. Cob und die anderen wussten, dass es keinen Sinn hatte, darüber zu reden. Wenn sie versucht hätten, die Leute zu überzeugen, hätten sie sich nur zum Gespött gemacht, so wie der verrückte Martin, der schon seit Jahren in seinem Haus einen Brunnen grub.

Dennoch kaufte jeder von ihnen beim Schmied eine kaltgeschmiedete Eisenstange, so schwer, dass sie sie gerade noch schwingen konnten, und keiner von ihnen sprach aus, was sie alle dachten. Stattdessen beklagten sie sich darüber, dass die Straßen unsicher waren und immer unsicherer wurden. Sie sprachen über Händler, Deserteure, Steuererhebungen und darüber, dass sie zu wenig Salz für den Winter hatten. Sie ergingen sich in Erinnerungen daran, dass drei Jahre zuvor niemand auf die Idee gekommen wäre, über Nacht die Türen zu verschließen, geschweige denn, sie zu verriegeln.

Von da an ging es mit dem Gespräch bergab, und obwohl keiner aussprach, was sie alle dachten, endete der Abend in trostloser Stimmung. So war das derzeit meistens, da die Zeiten nun einmal waren, wie sie waren.

Kapitel 2

Ein schöner Tag

Es war einer jener wunderschönen Herbsttage, wie sie so oft in Geschichten und so selten im wirklichen Leben vorkommen. Es war warm und trocken, ideales Wetter, dass Mais und Weizen reiften. Beiderseits der Straße färbte sich das Laub der Bäume. Die Kronen der hohen Pappeln waren nun buttergelb, und die am Straßenrand wuchernden Gerbersträucher hatten knallrote Blätter bekommen. Nur die alten Eichen schienen den Abschied vom Sommer noch hinauszuzögern, und ihr Laub war noch zu gleichen Teilen golden und grün.

Alles in allem hätte man sich keinen schöneren Tag erhoffen können, um sich von einem halben Dutzend ehemaliger Soldaten, die mit Jagdbögen bewaffnet waren, die gesamte Habe abnehmen zu lassen.

»Sie ist doch nur noch ein alter Klepper, Sir«, sagte der Chronist. »Ein besseres Zugpferd, weiter nichts, und wenn es regnet –«

Der Mann schnitt ihm mit einer energischen Geste das Wort ab. »Hört mal zu, mein Freund: Das Heer des Königs zahlt gutes Geld für alles, was vier Beine und mindestens noch ein Auge hat. Doch selbst ein Steckenpferd hätte ich Euch abgeknöpft, wenn Ihr so verrückt gewesen wärt, hier mit einem anzukommen.«

Der Anführer hatte etwas Gebieterisches an sich. Der Chronist vermutete, dass er kürzlich noch ein rangniederer Offizier gewesen war. »Nun steigt schon ab«, sagte er in ernstem Ton. »Wir bringen das jetzt hinter uns, und anschließend dürft Ihr wieder Eurer Wege ziehen.«

Der Chronist stieg vom Pferd. Er war schon öfter beraubt worden und wusste, wann es nichts brachte zu debattieren. Diese Kerle wussten, was sie taten. Sie verschwendeten keine Energie darauf, den starken Mann zu markieren oder leere Drohungen auszustoßen. Einer von ihnen sah sich das Pferd an, überprüfte Hufe, Gebiss und Geschirr. Zwei andere durchsuchten mit soldatischer Gründlichkeit die Satteltaschen des Chronisten und legten sein Hab und Gut auf den Boden. Zwei Decken, ein Umhang mit Kapuze, die flache Ledermappe und sein schwerer, wohlbestückter Reisesack.

»Das ist alles, Sir«, sagte einer der Männer. »Von etwa zwanzig Pfund Hafer mal abgesehen.«

Der Anführer kniete sich hin, öffnete die Ledermappe und sah hinein.

»Da sind nur Papiere und Federn drin«, sagte der Chronist.

Der Anführer sah sich zu ihm um. »Dann seid Ihr also Schreiber?«

Der Chronist nickte. »Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt, Sir. Und es ist für Euch nur von geringem Nutzen.«

Der Mann sah die Mappe durch, überzeugte sich davon, dass es stimmte, und legte sie beiseite. Dann kippte er den Inhalt des Reisesacks auf den ausgebreiteten Umhang und kramte darin herum.

Er nahm sich einen Gutteil des Salzvorrats und ein Paar Schnürsenkel. Dann griff er sich, sehr zur Bestürzung des Chronisten, auch noch das Hemd, das dieser in Linwood erworben hatte. Es war aus feinstem Leinen und königsblau gefärbt, als Reisekleidung viel zu schade. Der Chronist war überhaupt noch nicht dazu gekommen, es zu tragen. Er seufzte.

Der Anführer ließ alles Übrige auf dem Umhang liegen und erhob sich. Dann schauten sich die anderen nacheinander die Besitztümer des Chronisten an.

Der Anführer sagte: »Du hast doch nur eine Decke, nicht wahr, Janns?« Einer der Männer nickte. »Dann nimm dir eine von seinen. Wenn der Winter kommt, brauchst du eine zweite Decke.«

»Sein Umhang ist in besserem Zustand als meiner, Sir.«

»Nimm ihn, aber lass ihm deinen da. Das gilt auch für dich, Witkins: Lass ihm deine alte Zunderbüchse, wenn du ihm seine nimmst.«

»Ich habe meine verloren, Sir«, sagte Witkins. »Sonst gerne.«

Das Ganze lief erstaunlich zivilisiert ab. Der Chronist wurde bis auf eine all seine Nadeln los, sein zweites und drittes Paar Socken, ein Päckchen Dörrobst, einen Zuckerhut, eine halbe Flasche mit einer alkoholischen Flüssigkeit und zwei Würfel aus Elfenbein. Sie ließen ihm seine übrigen Kleider, sein Dörrfleisch und einen zur Hälfte schon verspeisten Laib trockenen Roggenbrots. Seine Ledermappe wurde nicht angerührt.

Während die Männer diese Reste wieder in den Reisesack stopften, wandte sich der Anführer an den Chronisten: »Dann mal her mit dem Geldbeutel.«

Der Chronist gab ihn ihm.

»Und den Ring auch.«

»Da ist kaum Silber drin«, murmelte der Chronist und drehte ihn sich vom Finger.

»Was habt Ihr denn da um den Hals?«

Der Chronist knöpfte sich das Hemd auf und zeigte einen stumpfen Metallring, der an einem Lederband hing. »Das ist nur Eisen, Sir.«

Der Anführer kam näher, rieb den Ring zwischen zwei Fingern und ließ ihn dann wieder los. »Den dürft Ihr behalten. Ich stelle mich nicht zwischen einen Mann und seinen Glauben«, sagte er und kippte sich den Inhalt des Geldbeutels in die hohle Hand. Er stocherte mit einem Finger in den Münzen herum und gab einen angenehm überraschten Laut von sich. »So ein Schreiber verdient ja besser, als ich dachte«, sagte er und zählte die Anteile seiner Männer ab.

»Ihr könntet mir davon nicht zufällig ein oder zwei Pennys lassen?«, fragte der Chronist. »Nur genug für ein paar warme Mahlzeiten?«

Die sechs Männer sahen sich zu dem Chronisten um, als könnten sie nicht so ganz glauben, was sie da gerade gehört hatten.

Der Anführer lachte. »Potzteufel, Ihr habt aber wirklich Arsch in der Hose.« In seinem Tonfall schwang widerwilliger Respekt mit.

»Ihr scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein«, sagte der Chronist mit einem Achselzucken. »Und der Mensch muss ja schließlich irgendetwas essen.«

Der Anführer lächelte zum ersten Mal. »Da werde ich Euch nicht widersprechen.« Er nahm zwei Pennies und steckte sie mit großer Geste in den Geldbeutel des Chronisten zurück. »Zum Lohn für Euren Wagemut.« Er warf ihm den Beutel hin und stopfte sich das schöne königsblaue Hemd in die Satteltasche.

»Vielen Dank, Sir«, sagte der Chronist. »Ihr solltet wissen, dass die Flasche, die einer Eurer Männer mir genommen hat, Holzgeist enthält, den ich zum Reinigen meiner Federn verwende. Ich kann nur davon abraten, das zu trinken.«

Der Anführer lächelte und nickte. »Seht ihr, was dabei rauskommt, wenn man die Leute anständig behandelt?«, sagte er zu seinen Männern und bestieg sein Pferd. »Es war mir ein Vergnügen, Sir. Wenn Ihr gleich aufbrecht, schafft Ihr es noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Abbott’s Ford.«

Als der Chronist ihren Hufschlag in der Ferne nicht mehr hören konnte, packte er seinen Reisesack und achtete darauf, dass alles gut verstaut war. Dann zog er sich einen Stiefel aus und zupfte erst das Futter daraus hervor und dann ein eng eingewickeltes Münzpäckchen, das in seiner Stiefelspitze gesteckt hatte. Er tat einige dieser Münzen in seinen Geldbeutel, öffnete dann seine Hose, zog unter etlichen Kleiderschichten ein weiteres Münzpäckchen hervor und tat auch daraus einiges in seinen Beutel.

Entscheidend war, dass man immer den richtigen Betrag im Geldbeutel hatte. War es zu wenig, waren sie enttäuscht und suchten womöglich woanders nach mehr. War es zu viel, so gerieten sie außer Rand und Band, und man weckte womöglich ihre Gier.

Ein drittes Münzpäckchen war in den trockenen Brotlaib eingebacken, für den sich nur der allerverzweifeltste Räuber interessieren würde. Dieses ließ er vorerst unangetastet, wie auch das Silbertalent, das er in einem Tintenglas versteckt hatte. Im Laufe der Jahre war es ihm immer mehr wie ein Talisman erschienen. Niemand hatte es je entdeckt.

Er musste zugeben, dass dies der wohl zivilisierteste Raubüberfall gewesen war, den er je erlebt hatte. Sie waren höflich mit ihm umgegangen, hatten ihn zügig abgefertigt und waren nicht allzu gemein gewesen. Dass er sein Pferd samt Sattel eingebüßt hatte, war ein schwerer Schlag, aber er konnte sich in Abbott’s Ford ein neues kaufen und hatte dann immer noch genügend Geld zum Leben, bis er diese ganze Torheit hinter sich gebracht hatte und sich dann in Treya mit Skarpi traf.

Einem dringenden Bedürfnis folgend, schob sich der Chronist zwischen den blutroten Gerbersträuchern am Wegesrand hindurch. Als er sich die Hose wieder zuknöpfte, regte sich plötzlich etwas im Unterholz, und eine dunkle Gestalt brach aus einem nahen Gebüsch hervor.

Der Chronist wich zurück und schrie erschrocken auf, ehe ihm klar wurde, dass es bloß eine Krähe war, die die Flügel breitete. Über seine eigene Torheit lachend, richtete der Chronist seine Kleider und ging zwischen den Gerbersträuchern hindurch zurück auf die Straße, wobei er Spinnweben fortwischte, die ihm kitzelnd im Gesicht hängen blieben.

Als er seinen Reisesack und seine Mappe schulterte, stellte der Chronist eine bemerkenswerte Unbeschwertheit an sich fest. Das Schlimmste, was passieren konnte, war passiert, und so schlimm war es gar nicht gewesen. Ein leichter Wind kam auf und zauste die Baumkronen, und Pappelblätter trudelten wie Goldmünzen auf die ausgefurchte Straße hinab. Es war ein schöner Tag.

Kapitel 3

Das Holz und das Wort

Kote blätterte gedankenverloren in einem Buch und bemühte sich, die Stille in dem leeren Wirtshaus nicht zu beachten, als die Tür aufging und Graham rückwärts in den Schankraum kam.

»Bin gerade damit fertig geworden.« Graham ging übertrieben vorsichtig zwischen den Tischen hindurch. »Ich wollte es eigentlich gestern Abend schon vorbeibringen, aber dann dachte ich mir: Noch eine letzte Schicht Öl einreiben und trocknen lassen. Kann nicht behaupten, dass ich’s bereue. Meiner Treu! Es ist so schön wie nur irgendetwas, das diese Hände je erschaffen haben.«

Zwischen den Augenbrauen des Wirts bildete sich eine Falte. Als er das flache, in ein Tuch eingeschlagene Paket in Grahams Händen sah, hellte sich sein Miene wieder auf. »Ah! Die Wandhalterung!« Kote lächelte müde. »Entschuldige bitte, Graham. Es ist schon so lange her. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht.«

Graham blickte ihn ein wenig befremdet an. »Vier Monate ist doch nicht lange, wenn man bedenkt, dass das Holz ganz aus Aryen geliefert wurde und die Straßen so unsicher sind.«

»Vier Monate«, echote Kote. Er sah, dass Graham ihn beobachtete, und fügte schnell hinzu: »Das kann einem vorkommen wie ein ganzes Leben, wenn man auf etwas wartet.« Er versuchte ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen, aber es wirkte eher matt.

Ja, Kote machte überhaupt einen recht matten Eindruck. Nicht direkt ungesund, aber angeschlagen. Wie eine Pflanze, die man in den falschen Boden umgesetzt hatte und die nun, da ihr etwas Entscheidendes fehlte, zu welken begann.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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