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Auf hoher See tragen sich seltsame Dinge zu: Augenzeugen berichten, dass ein gewaltiges Ungeheuer Jagd auf englische Schiffe macht, die Angriffe werden immer von einem dichten Nebel begleitet. Handelt es sich dabei wirklich um ein sagenumwobenes Monster? Mycroft Holmes hat daran seine Zweifel und vermutet, dass der Zirkel der Sieben - eine Bande von Verschwörern - dahintersteckt. Oscar Wilde wird auf diesen Fall angesetzt und bekommt schon bald die Macht des Zirkels zu spüren ...
Oscar Wilde ermittelt im Auftrag der Krone - jetzt als eBook bei beTHRILLED.
Alle Bände der eBook Serie "Oscar Wilde & Mycroft Holmes: Sonderermittler der Krone":
01. Zeitenwechsel
02. Der Nebel des Unheils
03. Der Todesrichter
04. Der Fall Homunculus
05. Hetzjagd in London
06. Sieben Gesichter des Todes
Zur Serie: London, 1895: Ein mysteriöser Geheimbund bedroht die Sicherheit des britischen Königreichs. Mycroft Holmes, der Bruder des berühmten Meisterdetektivs, sieht dafür nur eine Lösung: Oscar Wilde! Der Schriftsteller, der bisher eher für sein ausschweifendes Leben und seine verbale Schlagkräftigkeit bekannt war, wird zum Sonderermittler der Krone.
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
FOLGE 02: Der Nebel des Unheils
Die Serie: Oscar Wilde & Mycroft Holmes – Sonderermittler der Krone
Über den Autor
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
In der nächsten Folge
Auf hoher See tragen sich seltsame Dinge zu: Augenzeugen berichten, dass ein gewaltiges Ungeheuer Jagd auf englische Schiffe macht. Die Angriffe werden immer von einem dichten und unheimlichen Nebel begleitet. Handelt es sich dabei wirklich um ein sagenumwobenes Monster? Mycroft Holmes zweifelt daran und vermutet, dass der Zirkel der Sieben – eine Bande von Verschwörern – dahintersteckt. Oscar Wilde wird auf den Fall angesetzt und bekommt schon bald die Macht des Zirkels zu spüren …
London, 1895: Ein mysteriöser Geheimbund bedroht die Sicherheit des britischen Königreichs. Mycroft Holmes, der Bruder des berühmten Meisterdetektivs, sieht dafür nur eine Lösung: Oscar Wilde! Der Schriftsteller, der bisher eher für sein ausschweifendes Leben und seine verbale Schlagkräftigkeit bekannt war, wird zum Sonderermittler der Krone.
Als eBook bei beTHRILLED verfügbar:
01. Zeitenwechsel
02. Der Nebel des Unheils
03. Der Todesrichter
04. Der Fall Homunculus
05. Hetzjagd in London
06. Sieben Gesichter des Todes
Marc Freund wurde 1972 in Flensburg geboren und wuchs in Osterholz an der Ostsee auf. Neben dem Schreiben von Kriminalromanen arbeitet er hauptsächlich als Hörspielautor.
MARC FREUND
Der Nebel des Unheils
OSCAR WILDE & MYCROFT HOLMES
Sonderermittler der Krone
Folge 02
beTHRILLED
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Die eBook Reihe basiert auf der gleichnamigen Hörspielserie, Copyright © Maritim Verlag, www.maritim-hoerspiele.de
»Maritim« ist eine eingetragene Wort-/Bild-Marke und Eigentum der Skyscore Media GmbH, Biberwier/Tirol, www.skyscore.media
Textredaktion: Lars Schiele
Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Mark Freier (www.freierstein.de)
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4473-8
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Niemand konnte später mehr sagen, woher der Nebel gekommen war. Er war plötzlich aufgezogen, wie von Geisterhand und wider jegliche Naturgewalten.
Die HMS Celtic befand sich auf ihrem Weg von Bombay, wo sie Tee, Tabak und Seide geladen hatte, nach Southampton. In den frühen Morgenstunden erst hatte die stolze Dreimastbark die Straße von Gibraltar passiert und war nun mitten auf dem Atlantik nach Norden gesegelt.
Die Mannschaft war bester Stimmung gewesen, in freudiger Erwartung, nach einer mehrmonatigen Reise in den Heimathafen einzulaufen.
Doch dann war alles anders gekommen. Zunächst war eine nahezu vollkommene Windstille eingetreten, die nach Ansicht der Mannschaft auf die aktuelle Wetterlage zurückzuführen war.
Dann allerdings waren die ersten Nebelbänke über das Wasser gekrochen. Und das taten sie noch immer, bis sie das Segelschiff der englischen Handelsflotte nahezu vollkommen eingehüllt hatten wie ein gigantisches Leinentuch.
Es war, als sei die Welt um sie herum zum Erliegen gekommen.
Der Matrose Miles Hamilton hatte die Schwüle im Schiffsraum nicht mehr ausgehalten. Er war nach oben gegangen und stand an der Reling, kurz unterhalb des Achterdecks.
Oben, hinter dem Ruder, war eine Gestalt nur schemenhaft zu erkennen. Es musste sich um Angus Ibbotson handeln, den schweigsamen schottischen Steuermann. Er war kaum noch zu erkennen. Der Nebel waberte jetzt über das Deck und kroch über die Planken wie geisterhafte Finger, die zitternd und in fieberhaftem Eifer umhersuchten.
»Das ist ein Geisterschiff«, flüsterte plötzlich jemand neben ihm.
Hamilton zuckte heftig zusammen.
Es war Luke Walton, der sich da angeschlichen hatte. Vermutlich hatte er sich dafür nicht allzu sehr bemühen müssen, denn der Nebel schluckte selbst hier oben nahezu jegliches Geräusch.
»Sag, was du willst, aber das hier ist nicht normal«, antwortete Hamilton und blickte über die Reling hinaus auf See.
Walton spuckte neben ihm auf die Planken. »Nein, verdammt. Das ist die unheimlichste Erscheinung, die ich in all meinen Jahren auf See gesehen habe. Möchte verdammt noch mal wissen, was das ist.«
»Man erkennt überhaupt nichts«, pflichtete Hamilton bei, der in die wabernden Schlieren starrte. Sein Herz schlug schneller. Alles war so unnatürlich still.
War das Wetter der Mannschaft auf das Gemüt geschlagen?
Nein, dachte Hamilton. Hier war etwas anderes im Gange, das konnte einfach nicht normal sein.
Links von ihnen öffnete sich die Tür der Kapitänskajüte. Wenig später waren gedämpfte Schritte zu hören.
James Lloyd, der alte Kapitän, ging wortlos an ihnen vorüber und wandte sich zu dem Aufgang, der auf das Achterdeck hinaufführte.
Lloyd befand sich kurz vor seinem Ruhestand. Er war buchstäblich mit allen Wassern gewaschen. Ihn konnte nichts so leicht erschüttern. Und doch glaubte Hamilton, einen Ausdruck der Besorgnis unter den buschigen weißen Brauen des Alten erkannt zu haben.
Die beiden Matrosen verfolgten ihn mit ihren Blicken, bis Kapitän Lloyd neben seinem Steuermann wieder auftauchte.
Zwei verzerrte menschliche Umrisse inmitten einer immer dichter werdenden weißen Wand.
Hamilton sah, wie die Hände des Steuermanns wie wild gestikulierten, doch was die beiden Männer miteinander sprachen, konnte er nicht hören.
»Er wird auch keine Erklärung dafür haben«, raunte Walton, »und erst recht keine Lösung.«
Hamilton nickte, bevor sein Blick wieder Richtung Achterdeck wanderte. Sie würden sich kurz über lang eingestehen müssen, dass die HMS Celtic unter diesen widrigen Bedingungen nahezu manövrierunfähig war.
Da geschah etwas vollkommen Unerwartetes.
Die Augenblicke der Stille waren vorüber. Irgendwo tauchte etwas aus dem Wasser. Ein gigantischer Leib, der in die Höhe stieß und schließlich wieder auf die Wasseroberfläche klatschte. Was auch immer es war, es erzeugte eine kräftige Welle, die gegen die Steuerbordseite der HMS Celtic anlief.
Etwas war hier draußen bei ihnen. Und es hielt genau auf das Schiff zu.
Hamilton und Walton drängten sich nebeneinander an die Reling, während unter Deck Stimmen laut wurden. Luken und Türen wurden geöffnet. Mit einem Mal war das Deck von Seeleuten bevölkert, denen die Ereignisse da draußen auf dem Wasser nicht verborgen geblieben waren.
Zahlreiche Augenpaare starrten gebannt in die weiße Wolkenwand. Dort wurde nach und nach der Umriss eines massigen Leibs sichtbar, der im Schutz der nahezu undurchsichtigen Nebelbank näher glitt.
»Was zum Teufel ist das?«, flüsterte jemand aus der zweiten Reihe.
James Lloyd war an die Reling des Achterdecks herangetreten. Er starrte auf das, was sich auf dem Weg zu ihnen gemacht hatte. Er sah etwas!
Hamilton war der Einzige, der den Gesichtsausdruck des Alten wahrnahm. Seine Züge waren vor Entsetzen entstellt.
Hamiltons Kopf ruckte herum. Er starrte wieder auf das Wasser hinaus, auf dem die schemenhaften Umrisse des sich nähernden Dinges nun langsam zu schärferen Konturen wurden. Vor allem stachen nun zwei glühend rote Punkte durch den Nebel wie zwei höllische Augen, die das Schiff mit einem hasserfüllten Blick fixierten.
Ein Aufschrei ging durch die Mannschaft. Ein Hilferuf, ausgestoßen aus über zwanzig Männerkehlen, der ungehört über die viel zu ruhige See hallte.
Der brutale Aufprall folge nur eine Sekunde später, und danach war nichts mehr, wie es war.
Als Oscar Wilde sein Hotelzimmer betrat, spürte er bereits, dass etwas anders war. Dazu musste er gar nicht erst seine Wildlederstiefel begutachten, von denen der rechte um einen Deut zu weit abgespreizt von seinem linken Gegenstück stand. So hätte Wilde das Zimmer niemals verlassen, und zudem hatte er dem Zimmermädchen eingeschärft, die Finger von seinen persönlichen Sachen zu lassen. In diesem Punkt hatte er sich unmissverständlich ausgedrückt.
Das Ganze ließ nur den einen Schluss zu: Irgendwer hatte sich hier zu schaffen gemacht. Und möglicherweise war der ungebetene Gast noch immer hier.
Wilde glaubte, einen fremden Geruch im Zimmer wahrzunehmen: Zigarettenrauch und ein letzter Rest von Tabak.
Den Schlag, der plötzlich und wie aus dem Nichts heraus gegen ihn geführt wurde, fing Wilde aus einem Reflex heraus mit dem rechten Arm ab. Normalerweise hätte ihn sein Gegner voll erwischt, doch der Schriftsteller war vorbereitet gewesen. Er hatte die Falle geahnt, die man ihm gestellt hatte.
Er hörte ein überraschtes Keuchen, als er seinen Kontrahenten noch in der Abwehrbewegung am Handgelenk packte und ihm den Arm in einer blitzschnellen Bewegung auf den Rücken drehte.
Der andere ging zu Boden. Wilde war im Nu über ihm und hockte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Brustkasten seines Angreifers.
Im nächsten Augenblick griff Wilde nach der Maske, die das Gesicht des Mannes verdeckte.
»Gratuliere, Wilde. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie bereits so viel gelernt haben.«
Der Dichter presste die Lippen aufeinander. »Henry Wheeler. Na, das hätte ich mir ja eigentlich denken können. Was haben Sie in meinem Hotelzimmer zu suchen und wie kommen Sie an meine Karnevalsmaske?«
»Die habe ich bei Ihren Sachen gefunden. Leider bin ich bei der Durchsuchung Ihres Schranks gegen Ihre seltsamen Stiefel gestoßen. Daran haben Sie mich erkannt, was? Na ja, und in diesem Hotel einen Zimmerkellner zu bestechen, war weiß Gott nicht schwer.«
»Was soll der ganze Unfug überhaupt?«, hakte Wilde nach.
»Erkläre ich Ihnen, wenn Sie endlich meinen Arm loslassen. Es ist doch ein wenig schmerzhaft.«
Wortlos stieg Wilde von seinem Fechttrainer herunter und begab sich zu einem der Fenster, um es zu öffnen. »Sie haben hier drinnen geraucht, Wheeler. Den Geruch bekomme ich nie wieder aus den Vorhängen.«
Der kräftige Mann richtete sich mit einer sportlichen Bewegung auf. »Verstehe ich nicht. Sie rauchen doch ebenfalls?«
»Aber nicht so eine billige Marke«, gab Wilde zurück. »Also?«
»Also was?«
»Muss ich Ihnen erst eines meiner Gedichte vorlesen, oder verraten Sie mir freiwillig, warum Sie hier sind?«
»Er will Sie sehen«, sagte Wheeler knapp.
Er war niemand anderes als Mycroft Holmes, der Bruder des großen Detektivs. Der Mann, der innerhalb des englischen Regierungsapparats eine undurchschaubare, aber bedeutende Rolle spielte und oftmals die Eigenschaft hatte, an Orten aufzutauchen, an denen niemand mit ihm gerechnet hatte. Niemand anderes als Holmes war es gewesen, der Oscar Wilde ins Spiel gebracht hatte, als es darum ging, einen Sonderermittler einzusetzen, der sich um die Belange des bedrohten Königreiches kümmerte. Die Bedrohung, obwohl spürbar vorhanden, war noch nicht wirklich greifbar. Eine Gruppe von Verschwörern hatte sich hervorgetan, die sich selbst als »Der Zirkel der Sieben« bezeichnete. Niemand wusste, wer diese Leute waren oder wer sich hinter dieser Bezeichnung verbarg. Dennoch war es dieser Vereinigung bereits gelungen, in schrecklicher Weise auf sich aufmerksam zu machen, indem sie angesehene Bürger des Landes heimtückisch mit hochgiftigen Pilzsporen infiziert und so ermordet hatte.
Oscar Wilde war es gelungen, dem bösen Treiben ein Ende zu setzen, allerdings war sowohl ihm als auch Mycroft Holmes schnell klar geworden, dass dieser Fall möglicherweise nur der Auftakt für einen perfiden Masterplan gewesen war.
Die Zeit sollte es sie lehren, und die Zeit war nun gekommen.
»Wann?«, fragte Wilde.
»Sofort. Es ist dringend.«
Es hätte dieses Nachsatzes nicht bedurft. Wilde wusste ebenfalls, dass es keinen Sinn machte, sich diesem Befehl zu widersetzen, denn die Alternative dazu wäre ein mehrjähriger Gefängnisaufenthalt gewesen, nachdem man ihn wegen Sodomie angeklagt hatte. Wenn er nicht spurte, würde es Holmes ein Leichtes sein, den alten Zustand wieder herbeizuführen, und Wilde würde sich schneller in einer dunklen Zelle wiederfinden, als ihm lieb war.
Er schlüpfte in seine Stiefel, pflückte sich seinen Mantel von der Garderobe in seinem Zimmer und warf ihn sich über.
»Wir können.«
Wheeler nickte anerkennend. Zusammen verließen sie das Hotel und bestiegen eine Droschke, die vor dem Eingang auf sie wartete.
Die Fahrt bis Kensington, wo Mycroft Holmes eine feudale Villa bewohnte, nahm kaum mehr als zehn Minuten in Anspruch. Holmes hatte Wilde auferlegt, jederzeit erreichbar zu sein und sich nicht ohne Erlaubnis weiter als wenige Meilen vom Einsatzhauptquartier zu entfernen.
Der Kutscher ließ die Droschke direkt vor dem unauffälligen Haupteingang ausrollen. Wheeler bezahlte ihn und stieg vor Wilde die drei Stufen zu der dunkelgrünen Tür hinauf. Er betätigte die Klingel.
Irgendwo im Haus schlug ein dumpfer Gong an. Nur wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet, und sie sahen in das Gesicht eines ehrwürdigen Butlers mit hoher Stirn und einem leicht angegrauten Haarkranz. »Ah, Mister Wheeler. Treten Sie bitte ein. Mister Holmes wartet bereits auf Sie.«
»Hallo Meadows, alter Knabe«, gab Wheeler zurück und trat in die großzügige und mit zahlreichen Ölgemälden ausstaffierte Halle.
Oscar Wilde folgte seinem Trainer auf dem Fuß und nickte dem Butler freundlich zu.
Meadows bedachte den Schriftsteller mit einem missbilligenden Blick auf dessen lederne Stiefel, bevor er sich abwandte, um die Tür zu schließen.
Wheeler und sein Begleiter wurden durch einen kurzen Korridor geführt, an dessen Ende sich das Reich des Mycroft Holmes befand, die Schaltzentrale, von der aus er alle strategischen Aktionen plante.
Holmes saß massig hinter seinem wuchtigen Schreibtisch und arbeitete an einem Brief. Seine Feder kratzte in schneller Geschwindigkeit über das teure Papier.
Die beiden Männer traten ein und blieben für fast zwei Minuten regungslos stehen.
Holmes setzte seinen Namen schwungvoll unter das Dokument, betrachtete sein Werk kritisch und blies mit spitzem Mund die Tinte trocken.
Dann legte er Brief und Feder beiseite und sah seine beiden Besucher an. Auf Oscar Wilde blieb sein Blick ruhen.
»Wilde.«
»Mister Holmes?«, gab der Angesprochene zurück und deutete mit einem leichten Grinsen im Gesicht eine Verbeugung an.
»Diesen Firlefanz können Sie sich sparen«, kommentierte der Mann hinter dem Schreibtisch und deutete auf den freien Stuhl davor. »Setzen Sie sich. Ich habe mit Ihnen zu reden.« Mycroft Holmes bedachte Henry Wheeler mit einem kurzen Kopfnicken.
Der ehemalige Elitesoldat zog sich daraufhin wortlos zurück.
Wilde leistete der Einladung des Hausherrn Folge und nahm auf einem knorrigen, alten Holzstuhl Platz, auf dem er sich sofort unbehaglich fühlte. Eine Taktik, vermutete der Schriftsteller. Dieser Stuhl war vermutlich sehr sorgsam und mit Bedacht ausgewählt worden. Auf ihm sollte und durfte der Gast sich nicht entspannen. Wilde begann langsam, einige der psychologischen Tricks zu verstehen, mit denen in dieser Villa gearbeitet wurde.
»Wir sind in Sorge«, begann Holmes das Gespräch, der sich nun voll und ganz und mit ernstem Blick auf seinen Besucher konzentrierte.
Wilde hob fragend eine Augenbraue hoch. »Verraten Sie mir, was Ihnen den Schlaf raubt, und ich gelobe, baldigst Abhilfe zu schaffen.«
Holmes atmete tief durch und schien eine ärgerliche Bemerkung herunterzuschlucken. Stattdessen sagte er: »Wir glauben, dass die Vereinigung, die sich Der Zirkel der Sieben nennt, ihre zerstörerische Arbeit wieder aufgenommen hat. Eine Arbeit wohlgemerkt, die sich gegen das britische Königreich richtet, und dies in höchst perfider und verabscheuungswürdiger Art und Weise.«
Wilde beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Was veranlasst Sie zu diesem Glauben? Existieren bereits konkrete Hinweise auf den Zirkel?«
»Nein«, erwiderte Holmes knapp. »Aber was momentan da draußen geschieht, passt genau in das Schema, das wir seit dem Fall der tödlichen Pilzsporen zumindest ansatzweise kennengelernt haben.«
Wilde blickte zum Fenster hinüber. »Da draußen?«
Holmes machte eine herrische Handbewegung. »Der Schauplatz ist dieses Mal die hohe See, Wilde. Vor fast genau einer Woche ist im Atlantik, keine hundert Seemeilen von hier, die HMS Celtic gesunken. Davor traf es die Sea Rose, ebenfalls ein englisches Handelsschiff, und wiederum drei Wochen vorher …«, Holmes blätterte in seinen Unterlagen, »… die HMS Cannon Star, ein Kriegsschiff der britischen Marine.«
Wilde breitete fragend seine gepflegten Hände aus. »Sollte die Kunst der englischen Schiffsbauer etwa zum Erliegen gekommen sein? Baut man hierzulande nur noch Schiffe mit offenen Schotten?«
Holmes’ rechte Faust krachte auf die Schreibtischplatte, sodass das Tintenfass abhob und beinahe umgestürzt wäre.
»Ein für alle Mal, Wilde: Ihr krankhaft veranlagter Humor ist an dieser Stelle vollkommen fehl am Platz. Denn hinter diesen drei Schiffskatastrophen verbirgt sich nicht nur der Verlust von englischem Eigentum und Waren im Wert von Millionen, sondern auch der Tod von nunmehr neunundfünfzig tüchtigen Seeleuten.«
Der Schriftsteller verneigte sich demütig. »Das entzog sich meiner Kenntnis, Sir. Ich bitte vielmals um Entschuldigung für meine verbale Entgleisung.«
Holmes winkte ärgerlich ab. »Geschenkt. Wir glauben, nein, seit zwei Tagen wissen wir sogar, dass all diese Vorkommnisse keine dramatischen Zufälle sind, wie die einen glauben, und ebenfalls keine kriegerischen Handlungen darstellen, wovon das andere Lager überzeugt ist. Dahinter steckt ein Plan von bisher ungeahnter Tragweite.«
Wilde räusperte sich dezent, nachdem sein Gegenüber eine kleine Verschnaufpause eingelegt hatte. »Was hat sich vor zwei Tagen ereignet, das Sie da so sicher macht, Sir?«
»Wir haben einen Überlebenden«, lautete die Antwort. »Erstmals ist es jemandem gelungen, dem Tod durch Ertrinken zu entrinnen. Sein Name ist Miles Hamilton, und er hatte als Matrose auf der HMS Celtic angeheuert. Er hat uns eine Geschichte erzählt, die wir … nun ja, nicht so recht glauben können.« Sofort hob Mycroft Holmes seinen Zeigefinger. »Verstehen Sie mich recht, es gibt keinen Zweifel, dass sich dieser Mann zur fraglichen Zeit auf dem Schiff aufgehalten und dass er die Katastrophe überlebt hat, allerdings ist seine Geschichte nicht in allen Punkten glaubwürdig.«
»Ich fürchte, das müssen Sie näher erklären«, bemerkte Wilde.
Holmes nickte. »Der Mann glaubt, das Schiff sei von einem gewaltigen Seeungeheuer angegriffen und gerammt worden. Und das Ganze unmittelbar vor der englischen Küste.«
Wildes Augen weiteten sich ein wenig. »Das klingt in der Tat eigenartig, Sir. Fast so, als hätte Nessie einen neuen Wirkungskreis gesucht.«
»Und eben das halten wir vom Ministerium ebenfalls für sehr unwahrscheinlich.«
»Diese Einschätzung Ihrerseits beruhigt mich wiederum ein wenig«, gab Wilde zurück. Er setzte sich auf seinem Stuhl gerade hin, was das Möbelstück mit einem verdächtigen Knarren kommentierte. »Was ist mit dem Mann? Wo steckt er? Wann kann ich ihn sehen?«
»Sofort«, antwortete Holmes und deutete auf eine mit Leder überzogene Tür. »Er befindet sich nebenan und wartet darauf, hereingerufen zu werden. Ich will Sie jedoch zunächst mit Ihrer neuen Aufgabe vertraut machen.«
Wilde zuckte mit den Schultern. »Mit Verlaub, Sir, aber ich denke, den Atem können Sie sich sparen. Sie glauben, dass der Zirkel der Sieben wieder am Werk ist. Der Zirkel geht gezielt gegen britische Schiffe vor, um dem Königreich zu schaden. Alles, was wir bisher haben, ist der einzige Überlebende. Ich werde mich an ihn halten und versuchen, der Bande von Verschwörern auf die Schliche zu kommen. Ist es das, was Sie sagen wollten?«
»Ich hätte mich vermutlich einer anderen Wortwahl bedient, aber die Ihre drückt in der Tat aus, was ich von Ihnen verlange.«
Wilde fuchtelte mit seinen Händen in der Luft herum. »Worauf warten Sie noch? Rufen Sie den Unglücksraben herein. Obwohl – so unglücklich dürfte er nicht sein, dass er den Angriff überlebt hat, wie?«