Der neue Landdoktor 15 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 15 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

0,0

Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... "Klar sehe ich mir euer Pokalspiel am nächsten Sonntag an. Ich werde es mir sicher nicht entgehen lassen, die Bergmoosbacher Mädchenfußballmannschaft und ihre Trainerin Anna Bergmann nach ihrem Sieg zu bejubeln." "Noch haben wir den Sieg nicht in der Tasche", entgegnete Anna lachend und bremste die Zuversicht ihrer Freundin Sina. "Ihr schafft das, da bin ich aber so etwas von sicher. Was den heutigen Abend betrifft, da bin ich allerdings gar nicht sicher. Meinst du wirklich, dass es in Ordnung ist, wenn ich einfach so mitkomme?" Sina spielte mit dem goldenen Herzchen, das sie an einer Halskette trug.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 143

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der neue Landdoktor –15–

So lass ich dich nicht gehen!

Doch Sina ist verunsichert und enttäuscht

Roman von Tessa Hofreiter

»Klar sehe ich mir euer Pokalspiel am nächsten Sonntag an. Ich werde es mir sicher nicht entgehen lassen, die Bergmoosbacher Mädchenfußballmannschaft und ihre Trainerin Anna Bergmann nach ihrem Sieg zu bejubeln.«

»Noch haben wir den Sieg nicht in der Tasche«, entgegnete Anna lachend und bremste die Zuversicht ihrer Freundin Sina.

»Ihr schafft das, da bin ich aber so etwas von sicher. Was den heutigen Abend betrifft, da bin ich allerdings gar nicht sicher. Meinst du wirklich, dass es in Ordnung ist, wenn ich einfach so mitkomme?« Sina spielte mit dem goldenen Herzchen, das sie an einer Halskette trug.

»Du kommst nicht einfach so mit, du bist eingeladen«, entgegnete Anna. Als Sebastian Seefeld sie zu seiner Gartenparty einlud, hatte sie ihm erzählt, dass ihre Freundin Sina für ein paar Tage bei ihr zu Besuch sein würde, und es war für ihn ganz selbstverständlich, dass Sina Anna begleitete.

Die beiden jungen Frauen saßen schon den ganzen Vormittag auf Annas gemütlichem Balkon, der ihnen einen grandiosen Blick auf die Gipfel der Allgäuer Alpen bot. Er lag auf der Rückseite des Hauses, war mit zwei bequemen Korbstühlen, einer Sonnenliege und einem rundem Tischchen möbliert, ein gelber Sonnenschirm, Rosen- und Margeritenstämmchen in irdenen Kübeln schützten vor neugierigen Blicken von außen. Die Freundinnen gönnten sich ein ausgiebiges Frühstück mit Kaffee, Orangensaft, frischen Semmeln, Käse, Eiern und Tomaten. Zuerst hatten sie über die Zeit gesprochen, als sie gemeinsam die Hebammenschule in München besuchten, und waren dann zu aktuelleren Themen übergegangen.

»Oder hast du keine Lust auf die Party?«, fragte Anna, als Sina auf einmal ganz still wurde.

»Einerseits ja, andererseits nein.«

»Was spricht für ja?«

»Dass ich Sebastian Seefeld gern kennenlernen möchte. Wenn du nur seinen Namen erwähnst, dann ist da so ein wundervolles Leuchten in deinen Augen.«

»Ich arbeite daran, es zu verbergen.«

»Warum solltest du? Nach dem, was du mir erzählt hast, weiß er doch, was du für ihn empfindest.«

»Ich habe dir auch erzählt, dass er noch unter dem Tod seiner Frau leidet. Der Unfall, bei dem sie ums Leben kam, war doch erst im letzten Jahr.«

»Es gibt Menschen, die scheuen nach so einem schrecklichen Verlust, wie er ihn erlitten hat, nur deshalb vor einer engen Bindung zurück, aus Angst, diesen Schmerz erneut erleben zu müssen.«

»Mag sein, aber egal, denken wir nicht weiter darüber nach«, sagte Anna, aber ein Blick in ihre schönen grünen Augen verriet Sina, wie sehr sie dieses Thema tatsächlich beschäftigte. »Was ist mit andererseits, Sina? Warum willst du nicht mitkommen?«, wollte Anna wissen.

»Weil man auf Partys mit Leuten in unserem Alter meistens nur Paare trifft. Meine letzte Beziehung ist vor zwei Jahren in die Brüche gegangen, seitdem fühle ich mich immer wie das fünfte Rad am Wagen, wenn ich irgendwo eingeladen bin.«

»Dann solltest du dich wieder verlieben.«

»Wie denn? Ich habe doch gerade gesagt, dass ich nur noch auf Paare treffe, wenn ich irgendwo hingehe.«

»Das Problem wirst du heute garantiert, nicht haben. Sebastian ist nicht liiert und einige andere werden auch allein kommen.«

»Wie viele denn?«

»Zumindest zwei. Moritz und ich«, antwortete Anna lächelnd.

»Und wer ist Moritz?«

»Er hat drei Jahre in derselben Klinik in Toronto gearbeitet wie Sebastian. Danach war er eine Zeit lang in Sydney, inzwischen ist er Oberarzt an der Uniklinik.«

»Danke, von selbstverliebten überheblichen Oberärzten habe ich schon lange genug«, stöhnte Sina und verdrehte ihre hellbraunen Augen voller Missachtung.

»Moritz ist anders«, verteidigte Anna Sebastians Freund.

»Klar, sie sind alle anders, bis man sie näher kennenlernt. Ein Arzt kommt für mich nicht mehr infrage, und ein Oberarzt schon gleich gar nicht.«

»Ich weiß, in dieser Beziehung sind wir beide gebrannte Kinder«, seufzte Anna.

»Deiner hat dich damals wegen der Tochter des Klinikleiters verlassen und nebenbei einen Chefarztposten ergattert, das ist schlimm genug, aber dass ich wegen meines Oberarztes nach Flensburg umgezogen bin, weil er mir die große Liebe versprochen hat, das war unglaublich dumm von mir. Keine drei Monate später ist er diesem Singvogel begegnet, dieser kleinen Sängerin, dieser Dänin mit dem unschuldigen Augenaufschlag.«

»Ich erinnere mich. Viel gehört hat man ja nicht mehr von ihr.«

»Sie hat ihre Gesangskarriere auch schnell aufgegeben. Die beiden sind inzwischen verheiratet, und sie erwartet bereits ihr zweites Kind.«

»Aber du bist noch immer in Flensburg.«

»Weil ich das Meer liebe und weil der Herr Oberarzt gleich nach seiner Hochzeit nach Dänemark gezogen ist.«­

»Und was ist nun?«, fragte Anna und viertelte die Tomate, die auf ihrem Teller lag.

»Was meinst du?« Sina hatte sich wieder beruhigt und versuchte ein Stück von dem Bergkäse, den Anna von einem Biohof bezog.

»Kommst du heute Abend mit? Sonst muss ich auch hierbleiben. Du bist mein Gast und bist gestern erst angekommen. Es wäre unhöflich, wenn ich dich allein lassen würde.«

»Unsinn, du kannst ruhig gehen.«

»Sina, bitte, ich möchte nicht den ganzen Abend ein schlechtes Gewissen haben.«

»Das musst du auch nicht haben, andererseits …«

»Noch ein andererseits?«

»Nein, das andererseits wird gerade zum einerseits. Ich komme mit, ich möchte Sebastian unbedingt kennenlernen.«

»Das wollen viele.«

»Doch nicht so«, entgegnete Sina und lachte laut auf, als Anna die Gekränkte spielte.

»Er ist Landarzt, kein Oberarzt, das könnte für dich den Ausschlag geben. Vielleicht bist gerade du sein Typ.«

Sina war schlank und sportlich. Sie ging dreimal in der Woche schwimmen und jeden Morgen joggen. Sie hatte schulterlanges braunes Haar, ein schmales Gesicht und ihre Augenfarbe erinnerte an schimmernden Bernstein. Wo auch immer sie auftauchte, erregte sie Aufsehen.

»Egal, wer wessen Typ ist oder nicht, heute Abend hat die Liebe bei mir nichts zu melden. Ich werde mich sicher nicht mehr in einen Arzt verlieben, und ich werde mich auch nicht erneut der Gefahr aussetzen, wegen eines Mannes umzuziehen, was die Folge sein könnte, wenn ich mich so weit entfernt von meinem jetzigen Zuhause dieser Gefühlsregung hingebe.«

»Ich glaube nicht, dass die Liebe sich an diese Vorgaben hält.«

»Sie vielleicht nicht, aber ich schon.«

»Na gut, da die Auswahl heute Abend nicht sehr groß ist, wird sie vielleicht gnädig mit dir umgehen«, entgegnete Anna lächelnd.

»Wie gesagt, ich komme nur mit wegen Sebastian Seefeld.«

»Ich freue mich, dass du überhaupt mitkommst.«

Hoffentlich behandelt sie den armen Moritz nicht allzu abweisend, nur weil er in ihren Augen den falschen Beruf hat, dachte Anna. Andererseits wäre das für Moritz, der sonst die Frauen eher anzog, sicher eine ungewöhnliche Erfahrung. Du meine Güte, jetzt bin ich auch schon bei einerseits und andererseits, dachte Anna.

»Was ist so lustig?«, fragte Sina, als Anna in sich hineinlächelte.

»Betty ist lustig«, sagte Anna und deutete auf ihre Katze, die sich auf dem Rücken liegend auf der Sonnenliege ausgestreckt hatte.

»Ein bisschen ulkig sieht es schon aus, wie dein grauweißer Tiger sich das Bäuchlein von der Sonne wärmen lässt«, stimmte Sina der Freundin zu, »auch wenn ich nicht wirklich sicher bin, dass die kleine Betty der Grund für deine Erheiterung ist«, zeigte sie sich gleich wieder skeptisch.

»Gut, ich gebe es zu, ich habe an Moritz gedacht.«

»Warum? Obwohl, solange ich nicht an ihn denken muss, ist mir dieser Mann völlig egal. Was soll ich eigentlich heute Abend anziehen?«

»Wie gesagt, es ist eine Gartenparty, bequeme Kleidung, mit der du auch mal auf dem Rasen sitzen kannst, wäre gut.«

»Gibt es bei den Seefelds nicht genügend Stühle?«, fragte Sina und gab sich überrascht.

»Eine Dame ohne Begleitung muss in Bergmoosbach immer auf dem Rasen sitzen, bis der Mann, der sich für sie­ interessiert, ihr einen Stuhl anbietet.«

»Das sind aber äußerst merkwürdige Sitten«, entrüstete sich Sina.

»Keine Sorge, das war ein Scherz, du bist doch sonst nicht so schnell hinters Licht zu führen.«

»Nein, bin ich auch nicht. Ich hätte nicht an meinen großartigen Oberarzt denken sollen, das macht mich immer noch ein klein wenig wüten.«

»Gut, dass du dir vorgenommen hast, zwei Wochen in Bergmoosbach zu­ bleiben. In dieser Zeit wird es mir hoffentlich gelingen, dir dabei zu helfen, mit diesem Kapitel abzuschließen.«

»Es wäre wundervoll, wenn das gelänge.«

»Wir schaffen das schon«, sagte Anna, »und jetzt suchen wir uns etwas für heute Abend zum Anziehen heraus.«

»Du meinst, so wie früher, wenn wir in unserem Zimmer in der Hebammenschule unsere Schränke geöffnet haben, gegenseitig Kleider getauscht haben und eine die andere gekämmt und geschminkt hat?«

»Das war doch immer schön.«

»Ja, besonders, wenn noch unsere Zimmernachbarinnen dazu kamen. Diese Berge von Klamotten, die sich dann auf den Betten türmten, das war schier unglaublich.«

»Ich glaube, uns steht ein lustiger Nachmittag bevor.«

»Ja, unbedingt. Anna, ich bin echt froh, bei dir zu sein«, sagte Sina und legte den Arm um ihre Freundin.

*

Bei den Seefelds liefen die Vorbereitungen für die bevorstehende Party auf Hochtouren. Traudel, eine Cousine von Sebastians verstorbener Mutter, die sich um den Haushalt der Seefelds kümmerte und die Familie zusammenhielt, hatte erklärt, dass sie für die Verpflegung der Gäste sorgen würde. Seit dem frühen Morgen stand sie in der großen Landhausküche des Seefeldhauses, kochte und backte und hatte sichtlich Spaß daran.

»Guten Morgen, Traudel«, murmelte Emilia, Sebastians Tochter, die barfuß und in ihrem langen grünen Schlafshirt in die Küche kam.

»Guten Morgen, Herzl«, erwiderte Traudel mit einem liebevollen Lächeln. Obwohl Emilia in Kanada aufgewachsen war und Traudel sie immer nur für ein paar Wochen im Jahr gesehen hatte, wenn sie zu Besuch in Bergmoosbach war oder Traudel ›ihren‹ Sebastian in seiner neuen Heimat besuchte, war das Mädchen ihr Augenstern; so wie sie für Sebastian die Liebe einer Mutter empfand, war Emilia wie eine Enkeltochter für sie.

»Köstlich«, erklärte Emilia schon ein wenig wacher, während sie ein Stück von dem warmen Apfelkuchen versuchte, den Traudel gerade aus dem Ofen gezogen hatte.

»Solltest du dich nicht lieber anziehen, statt das Naschkätzchen zu spielen?« Die rundliche Frau, die eine weiße Schürze über ihrem hellblauen Dirndl trug, pustete die grauen Löckchen aus der Stirn und betrachtete das Mädchen mit ihren freundlichen Augen.

»Ich kann halt der Versuchung nicht widerstehen. Der Duft deiner Küche zieht mich magisch an«, erklärte Emilia und hauchte Traudel einen Kuss auf die Wange.

»O ja, dem kann ich nur zustimmen.«

»Papa, du bist schon wach? Heute ist doch Feiertag, warum schläfst du denn nicht mal aus?«, wunderte sich Emilia, als ihr Vater schon fertig angezogen in Jeans und weißem Polohemd in die Küche kam.

»Es ist bereits halb elf, für einen älteren Herrn wie mich eine sehr ausgeschlafene Zeit«, antwortete Sebastian lächelnd und streichelte seiner Tochter über das lange kastanienfarbene Haar.

»Älterer Herr? Also, Papa, das denke ja nicht einmal ich über dich und ich bin deine Tochter. Es gibt sogar in meiner Klasse Mädchen, die ein bisschen für dich schwärmen, nicht vor mir, das wäre ihnen peinlich, aber ich bekomme es schon manchmal mit.«

»Aber das ist dir dann nicht peinlich, oder?«, fragte Traudel, während sie den Teig für den nächsten Kuchen auf einem Holzbrett hin und her warf und ordentlich durchknete.

»Wieso sollte es? Im Gegenteil, ich bin mächtig stolz auf meinen Papa. Doro sagt, ich grinse dann immer wie ein Honigkuchenpferd mit extra Zuckerguss. Sie findet dich übrigens nur nett, vatermäßig betrachtet, sonst findet sie aber nichts an dir. Bei meinen engen Freundinnen wäre es mir dann doch so ein bisschen unangenehm«, erklärte Emilia und stibitzte sich noch ein Stück von dem Apfelkuchen.

»Mir auch«, sagte Sebastian und folgte dem Beispiel seiner Tochter, in dem er sich ein Stück von dem warmen Kuchen abschnitt.

»Glaubt nicht, dass ich nicht mitbekomme, was ihr da treibt.« Traudel schaute mit gespielt strenger Miene von ihrem Teig auf und sah Vater und Tochter an.

Beide sahen sie mit ihren hellen grauen Augen unschuldig an und hielten den Kuchen hinter dem Rücken versteckt.

»Ihr beiden kleinen Kuchendiebe«, sagte Traudel und schüttelte lachend den Kopf.

»Hier duftet es aber nach Apfelkuchen«, stellte der groß gewachsene ältere Herr fest, der mit einer Golftasche in der Hand über die Terrasse in die Küche kam. »Hm, wirklich lecker«, sagte er, als er sich ein kleines Stück von dem Blechkuchen abschnitt und es auch gleich in den Mund steckte.

»Wuff.« Auch Nolan, der junge Berner Sennenhund, kam von der Terrasse herein. Er hockte sich vor den Tisch, auf dem der Kuchen stand, neigte seinen wuscheligen Kopf zur Seite und sah Traudel mit seinen schwarzen Knopfaugen bittend an.

»Ich glaube, jetzt wirft sie uns alle aus der Küche«, sagte Emilia und lehnte sich schutzsuchend an ihren Vater, als Traudel sich kerzengerade aufrichtete.

»Raus, alle! Das Frühstück steht auf der Terrasse«, erklärte Traudel auch gleich, während sie Nolan aber noch rasch ein kleines Stück Kuchen zusteckte und große Mühe hatte, energisch zu wirken. In Wirklichkeit war sie doch mächtig stolz darauf, wie gut den Seefelds ihr Kuchen und überhaupt alles, was sie mit viel Liebe für sie jeden Tag zubereitete, schmeckte.

»Wir sind schon weg, wir wollen doch unsere Zauberin der Küche nicht aufregen.« Benedikt Seefeld legte den Arm um Traudel, drückte sie einmal fest an sich und drängte dann seinen Sohn und seine Enkeltochter auf die Terrasse hinaus.

»Zauberin der Küche, du alter Charmeur, du«, flüsterte Traudel und schaute Benedikt verträumt nach.

»Willst du dich nicht erst einmal anziehen?«, fragte Sebastian, als Emilia sich in ihrem Schlafhemd an den gedeckten Terrassentisch setzte.

»Nö, eigentlich nicht, es ist gerade so gemütlich mit euch«, verkündete sie und schaute zuerst ihren Vater und danach Benedikt an. »In ein paar Minuten sieht das bestimmt schon wieder ganz anders aus. Irgendeiner von euch muss dann wieder zu einem Hausbesuch oder irgendwo ist mal wieder der Notarzt krank geworden oder steht im Stau oder der neue Arzt bei der Bergwacht hat plötzlich doch Höhenangst oder fürchtet sich vor einem Hubschrauber oder hat sich verlaufen oder war noch nie bei einer Geburt dabei oder kann einen Bruch von einer Verstauchung nicht unterscheiden oder ich weiß nicht was.«

»Du liebe Güte, wenn ich dir so zuhöre, könnte ich glatt auf die Idee kommen, dass die meisten unserer Kollegen große Angsthasen sind und von ihrem Beruf nicht viel verstehen«, wandte Benedikt lachend ein.

»Opa, ich bin die Tochter eines Arztes und die Enkelin eines Arztes, ich bekomme einiges mit, und alles, was ich gerade aufgezählt habe, das habe ich schon gehört, und nein, nicht alle Ärzte sind Angsthasen, die meisten wissen vermutlich auch, was sie tun, aber eben nicht alle, das ist wie bei den Lehrern, auch da gibt es gute und echt schlechte«, erklärte Emilia, rollte die Augen und biss mit Genuss in die frische Käsesemmel, die sie sich während ihres Vortrages belegt hatte. »Bevor ihr jetzt etwas sagt, nein, ihr beide seid nicht so, ihr seid einfach großartig, als Ärzte und als Lehrer des Lebens, also für mein Leben.«

»Emilia, Spatzl, das hast du aber schön gesagt.« Traudel, die für jeden noch ein Stück Apfelkuchen auf die Terrasse herausbrachte, war so gerührt über Emilias Liebeserklärung für Vater und Großvater, dass ihr die Tränen über die Wangen kullerten.

»Das sind Momente für die Ewigkeit«, sagte Benedikt, als er Sebastian anschaute, den die Worte seiner Tochter ebenso berührt hatten wie Traudel.

»Wenn ihr euch wieder gefangen habt, dann könnt ihr mir ein paar Aufgaben für heute geben. Markus kommt schon am Nachmittag. Da ich ihn einladen durfte, obwohl es eine Party für Erwachsene ist, wollten wir uns ein bisschen nützlich machen«, sprach Emilia munter weiter drauf los.

»Ihr könnt Moritz und mir helfen, den Garten zu dekorieren und die Tische herzurichten«, sagte Sebastian.

»Moritz kommt auch früher? Er kann sich tatsächlich einmal von seinem geliebten Krankenhaus loseisen?«, fragte Emilia verwundert.

»Doch ja, kann er«, antwortete Sebastian amüsiert.

»Sehr gut, dann kommt er wenigstens mal ein bisschen an die frische Luft, er gehört übrigens auch zu den Ärzten meines Vertrauens«, fügte Emilia mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu.

»Danke, mein Schatz, dass du meinen lieben alten Freund nicht zu den Angsthasen zählst«, sagte Sebastian lachend.

»Nicht schon wieder dieses alt, das passt auch bei Moritz überhaupt nicht. Anna bringt doch heute ihre Freundin Sina aus Flensburg mit. Hat sie schon jemand gesehen?«, fragte Emilia und schaute in die Runde.

»Ich habe sie noch nicht gesehen«, antwortete Traudel und verschwand wieder im Haus.

»Ich auch nicht«, sagte Sebastian, und auch Benedikt schüttelte den Kopf.

»Wie kommst du denn jetzt auf sie?«, erkundigte sich Sebastian.

»Das war nur so ein Gedanke, Moritz kommt allein, Sina kommt allein. Vielleicht, wer weiß, es gibt ja einige Leute in Bergmoosbach, die behaupten, dass die Liebe hier günstige klimatische Verhältnisse vorfindet.«

»Kind, bist du heute aufgedreht«, wunderte sich Benedikt über seine Enkelin.

»Das ist unsere erste große Party, seitdem wir in Bergmoosbach angekommen sind, da steigt mir wohl die Aufregung ein wenig zu Kopf. Macht aber nichts, oder?«

»Nein, das macht gar nichts«, sagte Sebastian.

»Überhaupt nicht«, stimmte Benedikt seinem Sohn zu.

*

»Ich denke, so können wir uns sehen lassen«, sagte Anna, als sie und Sina sich am Abend auf den Weg zu den Seefelds machten.

Anna trug einen langen erdbeerfarbenen Rock, dazu ein weißes Trachtenmieder mit breiten Trägern. Das braune Haar fiel ihr in seidigen Locken über Schultern und Rücken, und ihre von der Sonne leicht getönte zarte Haut brauchte kein Make-up. Sie hatte sich darauf beschränkt, ihre grünen Augen mit Wimperntusche und Lidstrich zu betonen.