Der neue Landdoktor 23 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 23 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... "Der Tag kam mir heute endlos lang vor", seufzte Corinna Höfner und schlüpfte aus den Ballerinas, die am Morgen noch ganz bequem waren. Jetzt, nach beinahe zehn Stunden hinter dem Tresen der Bäckerei, erschienen sie ihr zwei Nummern zu klein. Nachdem sie den Laden geschlossen hatte, war sie in das Café nebenan gegangen. Sie hatte sich an einen der freien Tische gesetzt, die unter der schattenspendenden Krone der alten Kastanie standen. "Deshalb ist es gut, dass du ein paar Tage frei hast." Ihr Bruder Henning, dem das Café gehörte, brachte ihr eine Eisschokolade und setzte sich zu ihr. Auch das Café würde in einer halben Stunde schließen, und die meisten Gäste waren bereits gegangen.

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Der neue Landdoktor –23–

Was geschah in Las Vegas?

Es ist wie ein böser, böser Traum

Roman von Tessa Hofreiter

»Der Tag kam mir heute endlos lang vor«, seufzte Corinna Höfner und schlüpfte aus den Ballerinas, die am Morgen noch ganz bequem waren. Jetzt, nach beinahe zehn Stunden hinter dem Tresen der Bäckerei, erschienen sie ihr zwei Nummern zu klein. Nachdem sie den Laden geschlossen hatte, war sie in das Café nebenan gegangen. Sie hatte sich an einen der freien Tische gesetzt, die unter der schattenspendenden Krone der alten Kastanie standen.

»Deshalb ist es gut, dass du ein paar Tage frei hast.« Ihr Bruder Henning, dem das Café gehörte, brachte ihr eine Eisschokolade und setzte sich zu ihr. Auch das Café würde in einer halben Stunde schließen, und die meisten Gäste waren bereits gegangen.

»Hoffentlich wird es den Eltern nicht zu viel, wenn sie alles allein stemmen müssen.«

»Mach dir darüber mal keine Sorgen. Sie schaffen das schon. Du wirst auf jeden Fall frei nehmen. Du hast die Eltern in ihrem Urlaub vertreten, jetzt bist du dran.«

»Was mache ich denn mit dieser ganzen Freizeit?«

»Vielleicht gehst du einfach mal aus, lernst einen netten jungen Mann kennen.«

»Kein Interesse.«

»Geh, du bist doch noch jung. Gönn dir ein bissel Spaß, Herzl.« Ursel, die ältere Bedienung mit dem freundlichen runden Gesicht, kam an ihren Tisch. Die letzten Gäste, zwei kräftige Männer in den roten Anzügen einer Münchner Spedition, hatten das Café verlassen.

»Ich denke, ich werde einfach nur lange schlafen, auf dem Balkon sitzen und lesen.«

»Vielleicht kommt’s auch anders.«

»Wie meinst du das, Ursel?«, fragte Corinna, als Ursel auf einmal ganz geheimnisvoll dreinschaute.

»Ich hab was gehört«, entgegnete sie schmunzelnd und zupfte an der weißen Spitzenschürze, die sie zu ihrem honigfarbenen Dirndl trug.

»Mach es nicht so spannend«, bat Corinna. Sie öffnete die Spange, mit der sie ihre braunen Locken zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, um es zu lockern.

»Die beiden Herren von der Spedition, die gerad noch da waren, haben Truhen und Kisten, die aus Buenos Aires kamen, am Münchner Flughafen abgeholt und zum Gutshof gebracht.«

»Du meinst, er kommt zurück?«, fragte Corinna, und ihre hellen blauen Augen strahlten, als habe ihr jemand etwas ganz Wundervolles verkündet.

»Stopp.«

»Was ist denn?«, fragte Corinna erschrocken, als Henning sich mit ernster Miene einmischte.

»Bevor du irgendwelche Hoffnungen in dieser Richtung hegst, solltest du bedenken, dass wir seit fünfzehn Jahren nichts mehr von Andreas gehört haben.«

»Aber jetzt kommt er offensichtlich her. Warum sonst sollte er diese Sachen vorausschicken?«

»Ja, mag sein, dass er auf dem Weg nach Bergmoosbach ist. Aber er könnte inzwischen verheiratet sein und auch Kinder haben. Das würde bedeuten, dass er mit seiner Familie auf Gut Meiring leben wird.«

»Darf ich mich deshalb nicht freuen, ihn wiederzusehen?«, entgegnete Corinna trotzig.

»Natürlich darfst du dich freuen. Ich möchte nur nicht, dass du dich in etwas hineinsteigerst. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie du wochenlang jeden Abend in deinem Zimmer gesessen und dir die Augen nach ihm ausgeweint hast.«

»Ich bitte dich, Henning, ich war damals beinahe noch ein Kind, und Andreas hatte gerade sein Abitur gemacht. Seine Tante in Argentinien war seine einzige Verwandte. Sie wollte ihm damals nach dem Tod seiner Eltern ein Zuhause geben. Es war richtig, dass er dieses Angebot angenommen hat. Mal ganz davon abgesehen …«

»Noch ein Geheimnis?«, fragte Henning und strich sein braunes Haar zurück, das ein Windstoß ihm ins Gesicht gepustet hatte.

»Ich lass euch wieder allein, ich räum noch ein bissel auf und geh dann. Bis morgen«, verabschiedete sich Ursel von den beiden, die ihr einen schönen Feierabend wünschten.

»Also, was gibt es noch zu erzählen?«, hakte Henning nach, nachdem Ursel in der Konditorei verschwunden war.

»Andreas und ich waren damals nicht mehr zusammen. Ich hatte mit ihm Schluss gemacht, weil ich ihn mit Miriam am See gesehen hatte. Sie haben sich geküsst.«

»Das hast du nie erzählt.«

»Ich wollte allein leiden. Außerdem habe ich ja dann Bent kennengelernt. Weißt du noch, der nette Däne, der mit seinen Eltern in Bergmoosbach Urlaub gemacht hat und jeden Morgen in die Bäckerei kam?«

»Nachmittags und abends auch, bis du endlich mit ihm ins Kino gegangen bist.«

»Er war nett.«

»Klar, so nett, dass du ihn nie wiedergesehen hast.«

»Er ging bald darauf an die Uni in Kopenhagen und hat sich in eine Kommilitonin verliebt. Ihm habe ich aber nicht nachgetrauert.«

»Nur wegen nett, trauert man auch nicht. Andreas hat dir mehr bedeutet, er war nicht bloß nett.«

»Nein, nett trifft es nicht, ich war verliebt, so verliebt wie nie zuvor und nie mehr danach«, seufzte sie.

»Genau das ist der Grund, warum ich nicht möchte, dass du von etwas träumst, das sich vermutlich nie erfüllen wird.«

»Danke für deine Fürsorge, Henning, aber glaube mir, die Sache mit Andreas habe ich überwunden.«

»Dann kann ja nichts passieren.«

»Nein, es kann nichts passieren. Wann kommst du nach Hause? Ich könnte uns etwas zu essen machen. Die Eltern gehen doch heute Abend zu einem Treffen der Bäckerinnung.«

»Ich bin mit Freunden im Biergarten verabredet. Wir wollten auch dort essen.«

»Dann lass es dir schmecken. Ich wünsche dir einen schönen Abend«, verabschiedete sich Corinna von ihrem Bruder. Wenn sie allein war, musste sie nichts kochen. Sie würde sich mit einem Käsebrot und einem Apfel begnügen, sich mit einem Buch auf den Balkon setzen und ihren Urlaub einläuten. Es wird einmal mehr ein gemütlicher Abend allein werden, dachte sie, als sie die Haustür aufschloss.

Das Haus mit der Bäckerei und dem Café gehörte schon seit seinem Bau vor 150 Jahren ihrer Familie. Inzwischen war es einige Male renoviert worden. Im ersten Stock gab es eine große Wohnung, die Corinnas Eltern bewohnten. Die beiden hellen Zweizimmerappartements im Dachgeschoss hatten sich die Geschwister eingerichtet.

Der Balkon war Corinnas Lieblingsplatz. Sie konnte ihn sogar bei Regen nutzen, da er im Schutz der Dachschräge lag. Auch an diesem Abend saß sie auf dem Rattansofa mit den gelben Polstern. Während sie ihren Apfel aß, schaute sie nachdenklich in Richtung Westen. Sie spürte einen Stich in der Magengrube, als sie hinter einer Reihe Ahornbäume das rote Dach des Gutshauses hindurchschimmern sah. Vielleicht sollte ich noch eine kleine Fahrradtour unternehmen, dachte sie und auf einmal war sie gar nicht mehr müde.

*

Eine halbe Stunde später zog Corinna den hellen kurzärmligen Leinenpulli an, der so gut zu ihrer Jeans passte. Sie drehte sich vor dem Garderobenspiegel einmal um sich selbst und betrachtete sich von allen Seiten. Was soll der Unsinn? Ich habe doch keine Verabredung, dachte sie und schüttelte über sich selbst den Kopf. Kurz darauf verließ sie die Wohnung, ging in den Hof hinunter und setzte sich auf ihr Fahrrad.

Zuerst bog sie an der Apotheke in die Straße zum Sternwolkensee ein. Der Radweg führte ein Stück vom Ufer entfernt durch die hügligen Wiesen. Der Anblick des Wassers beruhigte ihre aufgewühlten Gedanken, die plötzlich alle um Andreas kreisten. An einer Weggabelung bog sie in Richtung Westen ab, bis sie an die Ahornbäume gelangte, hinter denen sich Gut Meiring verbarg.

Nein, das geht nicht, was mache ich denn hier?, dachte sie und wollte schon umdrehen, als sie plötzlich ein lautes Klirren hörte. So als sei ein Fenster auf einem Steinboden zersplittert. Kurz entschlossen folgte sie dem Weg, der um die Ahornbäume herum zum Tor des Gutshofes führte. Dort sah sie auch gleich, was passiert war.

Ein riesiger Spiegel, der offensichtlich an der Innenseite des schmiedeeisernen Tores gelehnt hatte, war auf das rote Kopfsteinpflaster des Hofes gestürzt. Der Messingrahmen des etwa zwei Meter hohen und ebenso breiten Spiegels war das einzige, was noch übrig war. Sie ließ ihr Fahrrad am Tor stehen und lief auf Zehenspitzen an den Scherben vorbei in den Hof. »Hallo!«, rief sie und schaute auf das Gutshaus.

Es war aus dunklem Stein erbaut, hatte rote Fensterrahmen und ein von vier Säulen eingefasstes Eingangsportal. Das gesamte Anwesen mit seinen Nebengebäuden und dem großen Garten lag innerhalb einer von Efeu bewachsenen hohen Mauer.

Corinna hatte den Gutshof nicht mehr betreten, nachdem Andreas nach Argentinien gegangen war, und doch erschien ihr alles vertraut. So als sei es erst gestern gewesen, dass sie sich im Schatten dieser Mauer geküsst hatten.

»Ich war eine kleine Träumerin«, flüsterte sie, während sie die vergoldete Uhr betrachtete, die über dem Eingangsportal hing.

»Hast du deine Träume inzwischen verloren?«

Andreas! Sie hatte seine Stimme sofort wiedererkannt. Langsam drehte sie sich um. Sie wusste ja nicht, was sie erwartete. Vielleicht hatte er nichts mehr mit dem Andreas zu tun, den sie einmal geliebt hatte.

»Hallo, Corinna.«

»Hallo, Andreas.« Ja, er hatte sich verändert, aber zu seinem Vorteil.

Aus dem hübschen großen Jungen, der gerade sein Abitur gemacht hatte, war ein unglaublich attraktiver Mann geworden. Groß, sportlich, schwarzes lockiges Haar und mit einer umwerfenden Selbstsicherheit, die sich in seinen blauen Augen spiegelte.

»Ich habe eine kleine Feierabendradtour unternommen und bin zufällig hier vorbeigekommen, da hörte ich dieses Klirren«, sagte sie, weil sie ihn nicht weiterhin einfach nur anstarren wollte.

»Das ist eine echt dumme Sache. Der Spiegel hatte zwei riesige Sprünge. Ich wollte, dass die Spedition ihn mitnimmt, um ihn zu entsorgen. Sie haben ihn aber offensichtlich vergessen. Jetzt werde ich die Scherben wohl selbst zusammenkehren müssen.«

»Du bist hoffentlich nicht abergläubisch.«

»Wegen der Scherben?«

»Es sind ganz schön viele. Nur Porzellanscherben bringen angeblich Glück.«

»Dem kann ich nicht zustimmen. Wäre der Spiegel nicht zerbrochen, würdest du jetzt nicht vor mir stehen.«

»Du freust dich also, mich zu sehen?«

»Aber ja. Oder glaubst du, ich hätte dich vergessen?«

»Du hattest ein anderes Leben, Andreas.«

»Du warst meine erste große Liebe. Du erinnerst dich doch noch an unsere Spielplatzaffäre, damals in der zweiten Klasse. Ich habe dir immer die Schaukel freigehalten und bin mit dir die Klettergerüste hinaufgestiegen.«

»Ja, ich erinnere mich«, antwortete sie lächelnd. »Als wir diese Beziehung später noch einmal aufnahmen, war das mit deiner Liebe aber nicht mehr so ernst.«

»Bist du mir immer noch böse wegen meines kleinen Ausrutschers mit Miriam?«

»Natürlich nicht, es ist doch schon so lange her«, sagte sie und versank in seinen Augen.

»Was ist denn hier passiert?« Eine rundliche ältere Frau in Kniebundhose und rotweiß karierter Bluse kam aus dem Pferdestall, der quer zum Herrenhaus im Hof stand.

»Die Spedition hat den Spiegel zurückgelassen, Hermine. Er stand wohl ein bisschen wacklig«, klärte Andreas sie auf.

»Ich sag Gustaf Bescheid, wir kümmern uns darum. Grüß dich, Madl, schön, dass du vorbeischaust«, wandte Hermine sich Corinna mit einem freundlichen Lächeln zu.

Hermine Längler und ihr Mann Gustaf waren schon als Gutsverwalter auf Meiring, als Andreas noch nicht einmal geboren war. Der Gutshof war ihr Zuhause. Andreas hätte ihn in seiner Abwesenheit in keine besseren Hände geben können.

»Ich werde euch dabei helfen«, sagte Andreas und sah auf den Scherbenhaufen.

»Wir machen das schon. Kümmer dich um deinen Besuch, Andreas.« Gustaf Längler, ein stattlicher Mann mit grauem Schnauzbart, kam in Reitstiefeln, in die er die Beine seiner Cordhose gestopft hatte, aus dem Pferdestall.

»Ich möchte aber nicht, dass ihr den Eindruck habt, dass ich euch die ganze Arbeit überlasse, die ich verursache.«

»Wir tun es gern. Es macht uns glücklich, dich hier zu haben. Jetzt hat die ganze Mühe, das Gut zu erhalten, einen Sinn«, sagte Hermine und streichelte Andreas über den Arm. »Und dass du ein paar Pferde anschaffen willst, damit machst du Gustaf eine wirklich große Freude. Sein Edu ist ja schon recht betagt.«

»Wir werden wieder Pferde auf Meiring züchten, versprochen.«

»Deine Eltern wären glücklich, wenn sie wüssten, dass du das Gut nicht aufgibst. Und jetzt geht in den Garten, ihr beiden.«

»Hast du denn Zeit, Corinna? Darf ich dich zu einem Glas Wein einladen? Oder warten Mann und Kinder auf dich?«, wandte sich Andreas Corinna wieder zu.

»Ich bin nicht verheiratet. Ja, ich habe Zeit. Ich habe sogar Urlaub und muss nicht wie sonst um fünf Uhr aufstehen, damit um sieben die Theke in der Bäckerei gefüllt ist.« Natürlich würde sie bleiben. Es gab keinen Grund, seine Einladung abzulehnen.

»Du hast also die Bäckerei deiner Familie übernommen.«

»Noch nicht ganz, die Eltern arbeiten noch mit.«

»Und was ist mit Henning?«

»Ihm gehört inzwischen das Café. Seine Torten sind im ganzen Tal berühmt.«

»Ich freue mich darauf, auch ihn wiederzusehen«, sagte er, während sie um das Haus herum in den Garten gingen.

Der erschien Corinna noch genauso prächtig wie damals, als Andreas’ Eltern noch lebten. Die alten Ahornbäume, der tiefgrüne Rasen, der Teich mit den Seerosen, die Rosenbüsche und die Beete mit den blühenden Blumen, alles mit viel Hingabe von den Länglers gepflegt.

Andreas führte Corinna zu der weißen Marmorterrasse, die durch zwei Stufen mit dem Garten verbunden war. Dort stand ein großer Tisch mit acht aus edlem Holz gefertigten Stühlen. Sie hatten hohe Lehnen und waren grün gepolstert. »Ich hole uns etwas zu trinken, such dir einen Platz aus«, bat Andreas, bevor er ins Haus ging.

Sie wählte denselben Stuhl, den sie früher schon bevorzugt hatte, mit dem Rücken zum Haus und an der Seite der Fliedersträucher. Hier haben wir damals auch gesessen, als die Nachricht von dem Flugzeugabsturz kam, bei dem seine Eltern ums Leben kamen, dachte sie.

Andreas hatte den Anruf ganz ruhig entgegengenommen und danach noch sachlich über den Zusammenstoß des Privatjets mit einem Vogelschwarm gesprochen. Auf einmal war er kreidebleich geworden, sackte in sich zusammen und wurde ohnmächtig. Sie hatte Benedikt Seefeld gerufen, der einen Schock diagnostizierte.

Doktor Seefeld war in dieser Nacht bei Andreas geblieben, bis es ihm wieder besser ging.

»Woran denkst du?«, fragte Andreas, als er mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurückkam.

»Ich habe mich an den Abend des Unglücks erinnert.«

»Ich bin damals nur noch gefallen. Ich wollte nicht mehr in diesem Haus bleiben, in dem ich nie wieder die Stimmen meiner Eltern hören würde. Du wolltest mich trösten, aber ich wollte niemanden mehr um mich haben, der mir vertraut war.«

»Was war mit Miriam?«

»Wir hatten nur ein bisschen Spaß. Ich meine, sie hat mir nicht wirklich geholfen, mit meinem Verlust fertig zu werden, aber sie hat mich für eine Weile abgelenkt. Mir war damals alles zu viel. Ich wollte nichts mehr tun, nichts mehr fühlen. Der Vorschlag meiner Tante, zu ihr zu kommen, erschien mir wie eine Erlösung. Es tut mir ehrlich leid, wenn ich dich mit meinem Verhalten damals verletzt habe. Können wir trotzdem wieder Freunde sein?« Er füllte die beiden Gläser mit dem dunkelroten Wein und reichte ihr eines davon.

»Ja, wir können wieder Freunde sein, Andreas«, antwortete sie und stieß mit ihm an. Sie wollte sich nicht ausmalen, was er damals durchmachen musste. Er stand von einem Moment auf den anderen allein da. Egal, wie weh er ihr getan hatte, sie hatte ihm verziehen. »Der Wein schmeckt köstlich, richtig fruchtig«, stellte sie überrascht fest und schaute auf die Flasche. »Ich glaube, ich habe noch nie argentinischen Wein getrunken«, sagte sie, als sie auf dem Etikett las, woher er stammte.

»Meine Tante besaß einige Weinberge und eine eigene Kelterei. Kurz vor ihrem Tod hat sie alles verkauft, weil ich kein Interesse am Weinbau gezeigt habe. Allerdings hat sie bestimmt, dass ich jedes Jahr ein paar Flaschen von diesen Weingütern geliefert bekomme.«

»Für was hast du dich interessiert?«

»Nachdem ich meiner Tante zuliebe Betriebswissenschaften studiert hatte, habe ich mich zum Tanzlehrer ausbilden lassen. Ich habe vor, auf dem Gut eine Schule für lateinamerikanische Tänze zu eröffnen. Meine Tante hat mir ein ordentliches Vermögen hinterlassen. Ich bin in der glücklichen Lage, das tun zu können, was mir Spaß macht.«

»Das heißt, du willst wieder ganz hier wohnen?«

»Meiring ist mein Zuhause.«

»Was sagt deine Familie dazu? Ich meine, deine Frau, deine Kinder.«

»Bisher habe ich noch nicht über eine eigene Familie nachgedacht.«