Wir lieben uns noch immer - Tessa Hofreiter - E-Book

Wir lieben uns noch immer E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

Dr. Brunner bewohnt mit seiner geliebten Frau Ulrike und einem Jagdhund namens Lump ein typisches Schwarzwaldhaus, in dem er auch seine Praxis betreibt. Ein Arzt für Leib und Seele. Die Serie zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... »Du siehst so glücklich aus«, sagte Sven Breide, ein Mann mit dunkelblonden Haaren und grünen Augen, zärtlich zu der jungen Frau, die neben ihm am Ufer der Isar saß. »Bin ich auch«, antworte Adele Wagner und ließ unbeschwert ihre Füße durch das kalte Flusswasser gleiten. »Es ist Sommer, wir haben Urlaub, können tun und lassen, was wir wollen. Ich sitze neben meinem Freund am Wasser und lasse nicht nur die Füße, sondern auch die Seele baumeln. Was sollte man sich mehr wünschen?« Sie schob ihre Sonnenbrille in die braunen Haare hinauf, beugte sich zu dem Mann an ihrer Seite und küsste ihn auf den Mund. Das Sonnenlicht malte winzige, goldene Tupfer in ihre dunklen Augen. Adele Wagner war eine wunderhübsche Frau mit freundlichem, ruhigem Wesen, über dem manchmal ein unerklärlicher Hauch von Traurigkeit lag. An diesem strahlenden Sommertag war jedoch nichts davon zu spüren, die junge Frau wirkte völlig entspannt und unbeschwert. Ich werde es tun, hier und jetzt, dachte Sven plötzlich und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Ich werde Adele fragen, ob sie mich heiraten will. Der Mann trug schon seit längerem einen wunderschönen, antiken Ring in der Jackentasche mit sich herum und wartete auf den perfekten Augenblick für einen Heiratsantrag. Ihm schwebte ein romantisches Dinner bei Kerzenschein im Englischen Garten vor, das er arrangieren wollte, oder ein festlicher Abend in der Oper, aber irgendwie schien ihm nichts gut genug für diesen einen entscheidenden Moment zu sein. »Es gibt mehr, was ich mir wünsche«, sagte er, und vor Aufregung wurde sein Mund

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Der neue Landdoktor – 54–

Wir lieben uns noch immer

Und nichts soll uns je wieder trennen

Tessa Hofreiter

»Du siehst so glücklich aus«, sagte Sven Breide, ein Mann mit dunkelblonden Haaren und grünen Augen, zärtlich zu der jungen Frau, die neben ihm am Ufer der Isar saß.

»Bin ich auch«, antworte Adele Wagner und ließ unbeschwert ihre Füße durch das kalte Flusswasser gleiten. »Es ist Sommer, wir haben Urlaub, können tun und lassen, was wir wollen. Ich sitze neben meinem Freund am Wasser und lasse nicht nur die Füße, sondern auch die Seele baumeln. Was sollte man sich mehr wünschen?« Sie schob ihre Sonnenbrille in die braunen Haare hinauf, beugte sich zu dem Mann an ihrer Seite und küsste ihn auf den Mund. Das Sonnenlicht malte winzige, goldene Tupfer in ihre dunklen Augen. Adele Wagner war eine wunderhübsche Frau mit freundlichem, ruhigem Wesen, über dem manchmal ein unerklärlicher Hauch von Traurigkeit lag. An diesem strahlenden Sommertag war jedoch nichts davon zu spüren, die junge Frau wirkte völlig entspannt und unbeschwert.

Ich werde es tun, hier und jetzt, dachte Sven plötzlich und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Ich werde Adele fragen, ob sie mich heiraten will.

Der Mann trug schon seit längerem einen wunderschönen, antiken Ring in der Jackentasche mit sich herum und wartete auf den perfekten Augenblick für einen Heiratsantrag. Ihm schwebte ein romantisches Dinner bei Kerzenschein im Englischen Garten vor, das er arrangieren wollte, oder ein festlicher Abend in der Oper, aber irgendwie schien ihm nichts gut genug für diesen einen entscheidenden Moment zu sein.

»Es gibt mehr, was ich mir wünsche«, sagte er, und vor Aufregung wurde sein Mund trocken. »Ich wünsche mir, mein ganzes Leben mit dir zu verbringen. Möchtest du mich heiraten, Adele?«

Die junge Frau war von seinen Worten so überrascht, dass sie vollkommen reglos saß und ihren Freund aus großen Augen anschaute. Sie und Sven kannten sich jetzt seit vier Jahren und waren seit drei ein Paar. Bei ihm fühlte sich Adele verstanden und geborgen; sie hatten den gleichen Sinn für Humor, mochten die gleiche Musikrichtung, spielten beide Tennis und schätzten gutes Essen.

Adele wusste, dass es nicht die ganz große Liebe war, aber es war gut und warm und zuverlässig. Sie legte ihre Hände um Svens Gesicht, der mit angehaltenem Atem auf ihre Antwort wartete, und sagte: »Ja, ich möchte dich sehr gern heiraten.«

Er schluckte. »Adele, ich verspreche, ich werde alles tun, um dich glücklich zu machen.«

»Dazu musst du gar nichts anderes tun, als so zu bleiben, wie du bist, Sven. Genau so machst du mich glücklich«, antwortete sie mit diesem kleinen Lächeln, das sein Herz zum Tanzen bringen konnte.

Sven zog das kleine, alte Lederkästchen aus der Hosentasche und steckte Adele den Ring an den Finger. Ein Sonnenstrahl fing sich in dem Facettenschliff des Brillanten in seiner zarten Fassung und ließ ihn aufblitzen. »Das Symbol unserer Liebe«, sagte er und küsste zärtlich ihre Hand.

»Der Ring ist wunderschön, ich danke dir«, antwortete Adele überwältigt. Ihr Verlobter hatte mit diesem altmodischen Schmuckstück genau ihren Geschmack getroffen. »Du weißt genau, was mir gefällt.«

»Dann lass uns doch über die Hochzeitsplanung sprechen, meine kleine Weltreisende«, sagte Sven lächelnd. »Wo möchtest du heiraten?«

Adele hatte als junges Mädchen mit ihren Eltern in den USA gelebt und war später als Journalistin in anderen Ländern Europas und Asiens gewesen. Sie zögerte mit ihrer Antwort und schaute schweigend in den Fluss, auf dem die Sonne glitzerte.

Unerwartet öffnete sich eine Pforte in ihre Vergangenheit, die sie jahrelang fest verschlossen gehalten hatte, und in ihrer Erinnerung tauchte das Bild einer barocken Kirche in einem kleinen Dorf im Allgäu auf. Die Sonnenstrahlen eines sehr frühen Morgens ließen die vergoldete Wetterfahne auf dem Dach genauso aufblitzen wie jetzt das strömende Wasser zu ihren Füßen. Das dunkelgrüne Portal der Kirche war noch geschlossen, und davor standen …

Adele schloss kurz die Augen und schob dieses Bild wieder in den hintersten Winkel ihrer Erinnerung zurück. Dann wandte sie den Kopf und schaute den Mann an, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. »Ich werde darüber nachdenken«, antwortete sie ruhig. »Woran hast du denn gedacht? Wo würdest du gern heiraten, Sven?«

»Es ist mir völlig egal«, erwiderte er strahlend. »Ob auf dem Eifelturm, einem Schiff, in der Wüste oder an einem exotischen Strand, Hauptsache ist, du stehst neben mir und sagst ja.«

Adele lachte und ließ sich in seine ausgebreiteten Arme fallen. »An so ausgefallene Orte habe ich gar nicht gedacht, ich mag es dann doch lieber ein wenig traditioneller.«

»Und das ist eines der hunderttausend Dinge, die ich an dir liebe«, antwortete Sven. Er küsste sie und zog sie dann an beiden Händen in die Höhe. »Was hältst du denn davon, wenn wir jetzt wieder unsere Schuhe anziehen, uns ein lauschiges Plätzchen suchen und unsere Verlobung feiern?«

»Davon halte ich sehr viel«, erwiderte Adele begeistert. Hand in Hand ging das junge Paar über die Isarauen in die Stadt hinein und feierte diesen besonderen Tag.

Adele und Sven waren zwar ein Paar, aber sie hatten in München noch keine gemeinsame Wohnung gefunden. Das Zusammenziehen planten sie schon seit Längerem, und auch ein Umzug in eine andere Stadt kam infrage. Als sie in dem hübschen Hinterhof saßen, der zu Adeles Wohnung gehörte, sagte Sven: »Wie gut, dass wir in diesem Jahr keine Urlaubsreise gebucht hatten. Jetzt können wir uns hier ganz auf Wohnungssuche und Hochzeitsplanung konzentrieren.«

»Das gefällt mir sehr.« Adele drehte das kalte Glas mit Zitronenwasser und Minze zwischen ihren Händen. »Wir werden viel zu tun bekommen und sind trotzdem im Urlaub.« Sie lehnten ihren Kopf an seine Schulter und schaute in den Sternenhimmel hinauf. »Ich bin aufgeregt und gleichzeitig müde und kann noch gar nicht ganz begreifen, dass wir jetzt verlobt sind.«

Sven strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn und antwortete: »Lass uns nichts überstürzen, mein Liebling. Genießen wir einfach jeden Tag und schauen, wie weit er uns in unserer Planung bringt.«

»Weißt du, was so besonders an dir ist?«, antwortete Adele lächelnd. »Du bist vernünftig und besonnen im Alltag und gleichzeitig ein Romantiker.«

»Dann wird der Romantiker dich jetzt ins Bett tragen, das er vorhin heimlich mit Rosenblättern bestreut hat, und wir verschieben alle Alltagsdinge auf morgen«, flüsterte Sven ihr ins Ohr, als er sie in seine Arme hob und hinein ins Haus trug.

Adele fühlte sich geliebt und geborgen und es überraschte sie, dass sie in dieser Nacht schlaflos an Svens Seite lag. Die junge Frau spürte eine unerklärliche Unruhe in sich, die sie schließlich aus dem Bett trieb. Behutsam, um ihren schlafenden Verlobten nicht zu wecken, verließ sie das Zimmer und ging noch einmal in den begrünten Innenhof hinaus. Sie kuschelte sich in ihren Lieblingssessel und schaute zu dem Sternenhimmel hinauf, der von den Lichtern der Stadt gedämpft und überstrahlt wurde.

Ich kenne einen See, in dem sich die Sterne wie Wolken aus Licht spiegeln, dachte sie.

Wieder öffnete sich dieses fest verschlossene Tor, das in ihre Vergangenheit führte, und dieses Mal wehrte sich nicht dagegen. Die junge Frau ließ ihre Gedanken wandern und erinnerte sich an eine Zeit, die mittlerweile fast zehn Jahre zurücklag. Es war die schönste und die schmerzlichste Zeit ihres jungen Lebens gewesen.

Damals hatte die siebzehnjährige Adele mit ihren Eltern Urlaub im Allgäu gemacht, ehe es für mehrere Jahre in die USA gehen sollte, wo ihr Vater die Niederlassung einer deutschen Firma leiten sollte. Im malerischen Dorf Bergmoosbach hatte Adele den gleichaltrigen Robert Steiner kennengelernt. Für beide war es die erste große Liebe gewesen, die sie zueinander führte. Dass jenseits der verzauberten Wochen vier Jahre der Trennung liegen würden, tat zwar sehr weh, aber das junge Liebespaar glaubte unerschütterlich an die Kraft ihrer Liebe. Sie würden aufeinander warten und heiraten, sobald Adele aus den Staaten zurückgekehrt war.

Die Ernsthaftigkeit, mit der Adele an ihre Lebensplanung glaubte, rief besonders bei ihrer Mutter Widerstand und auch eine gewisse Portion Spott hervor. Marita Wagner war eine jener Frauen, die eher das Negative im Leben sehen, und sie hielt ihrer Tochter ständig vor Augen, wie absurd es war, den Worten eines verliebten Siebzehnjährigen zu glauben.

»Wie kannst du so etwas nur sagen, du kennst Robert doch noch nicht einmal«, verteidigte Adele ihren Liebsten unter Tränen. »Lade ihn doch heute zu unserem Abschiedsessen ein, dann lernst du ihn wenigstens an unserem letzten Abend kennen.«

»Kommt überhaupt nicht infrage«, antwortete ihre Mutter energisch. »Dieser Bauernbengel hat mir den Urlaub schon genug verdorben. Ewig hast du mit ihm zusammengesteckt, anstatt etwas mit uns zu unternehmen. An diesem letzten Abend soll die Familie unter sich bleiben. «

»Für mich gehört Robert mit zur Familie!«, erwiderte Adele leidenschaftlich. »Wir gehören zusammen und werden heiraten, wenn wir wieder aus den Staaten zurück sind. Gewöhne dich an den Gedanken, Mama.«

Marita hatte nur den Kopf geschüttelt. »Was weißt denn du, was in vier Jahren sein wird. Bis dahin kann so viel Schlimmes passieren.«

»Ja, und ebenso viel Schönes!«, rief Adele genervt aus. »Warum musst du immer alles so schwarzsehen. Robert und ich lieben uns, und wir werden aufeinander warten.«

»Träum weiter«, antwortete ihre Mutter und fragte zum letzten Mal, ob ihre Tochter tatsächlich ernst machen und auf ihrem Zimmer bleiben wolle.

»Worauf du dich verlassen kannst!«, antwortete Adele leidenschaftlich und schloss demonstrativ hinter ihrer Mutter die Zimmertür ab.

Das junge Mädchen hatte keineswegs vor, den Abend allein in ihrem Zimmer zu bleiben und in die Kissen zu schluchzen. Wenn Robert nicht an diesem Abschiedsessen teilnehmen durfte, dann würde sie sich eben allein mit ihm treffen, und sie beide hätten diesen letzten Abend ganz für sich.

Nachdem Maritas Schritte im Hotelkorridor verklungen waren und sich Adele ein wenig beruhigt hatte, murmelte sie leise: »Mama, du hast es nicht anders gewollt.« Robert besaß kein Handy, deshalb rief Adele über das Festnetzt bei ihrem Liebsten auf dem Hof seiner Eltern an und verabredete sich für den Abend mit ihm an ihrem geheimen Treffpunkt.

»Mach dir doch nichts daraus, dass deine Mutter mich nicht zu diesem Abschiedsessen einladen wollte«, sagte er weich. »Nur du und ich in der alten Fischerhütte am Sternwolkensee, das ist doch viel schöner. Wenn du es willst, haben wir die ganze Nacht für uns, und niemand weiß davon.«

Bei seinen Worten rann Adele ein Schauder über den Rücken. »Ich komme zur Hütte, sobald ich ganz sicher bin, dass meine Eltern im Restaurant beim Essen sind«, antwortete sie atemlos.

»Hetz dich nicht, ich werde auf dich warten. Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst«, sagte er ernst.

»Das weiß ich«, versicherte Adele aus tiefstem Herzen. »Ich liebe dich, Robert.«

»Und ich liebe dich, meine Adele.«

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, ging das junge Mädchen ins Bad, um das verweinte Gesicht aufzuhübschen, ihre langen Haare zu bürsten und sich umzuziehen. Sie entschied sich für ein altroséfarbenes Sommerkleid aus fließendem Stoff, das ihre dunklen Augen und ihre sonnengoldene Haut betonte, und eine lange Strickjacke aus seidiger, hellgrauer Baumwolle. Zu dem kurzen Kleid gehörten Stiefel aus weichem Leder, die ihre langen, schmalen Beine betonten. Um den Hals trug sie eine feine Goldkette mit einem winzigen goldenen Schlüssel. Es war ein Geschenk ihrer Patentante zur Geburt gewesen und ihr liebster Besitz.

Ungesehen verließ Adele das Hotel und machte sich auf den Weg zum Sternwolkensee, um ihren geliebten Freund Robert zu treffen. Mochte es auch der letzte Abend vor einem vierjährigen Abschied sein, für sie beide sollte es die erste Nacht am Beginn ihres gemeinsamen Lebens werden.

*

Der Sternwolkensee lag still unter dem Flimmern der Sterne und der Mondsichel, die sich über den Gipfeln der Alpen erhoben hatte. Das junge Mädchen hatte einen weiten Fußmarsch vor sich, um zu der entlegenen Stelle zu kommen, an der sich eine alte Fischerhütte im Schilf versteckte.

Dieses schlichte Gebäude aus Holz mit dem bemoosten Dach und dem kleinen Anleger war ein verschwiegener, im Bewusstsein der Dörfler fast vergessener Platz, der einem Bergbauern namens Georg Grasner gehörte. Der alte Schorsch war inzwischen verwitwet und lebte allein das ganze Jahr über auf seiner Alm. Im Dorf galt er als Sonderling, denn er war schweigsam, ging den meisten Menschen aus dem Weg und hielt nicht viel vom sogenannten Fortschritt. Ab und zu kam er für ein paar Tage in seine Hütte am See, um nach dem Rechten zu schauen, erledigte im Dorf seine Einkäufe und verschwand wieder auf seine Alm.

Schorsch hatte entdeckt, dass seine Fischerhütte jemandem Unbekannten als Unterschlupf diente, und er hatte sich unauffällig umgesehen. So war er Robert auf die Spur gekommen, der hierher zu heimlichen Treffen mit einem unbekannten Mädchen kam. Davon hatte das junge Liebespaar allerdings keine Ahnung. Sie hielten es nur für einen glücklichen Zufall, dass sie Streichhölzer, einige Kerzen und eine Dose mit Keksen in der unbewohnten Hütte vorfanden. Die Fensterbretter waren staubig, unter dem Türspalt würde es bei schlechtem Wetter kräftig hindurchziehen, aber auf dem schmalen Bett lagen eine saubere Wolldecke und ein Kissen. Auch trockenes Brennholz war neben dem Ofen gestapelt.

Hätte jemand im Dorf von der stillschweigenden Hilfe des oftmals brummigen Schorsch gewusst, er hätte die Welt nicht mehr verstanden. Aber niemand außer Schorsch und einem blutjungen, dänischen Feriengast mit weißblonden Zöpfen und leuchtenden Blauaugen wusste von der heimlichen Liebesnacht, die vor vielen Jahrzehnten hier ihre Erfüllung gefunden hatte, als sich beim traditionellen Lichterfest das Ufer des Sternwolkensees in ein Meer aus Kerzenschimmer verwandelte.

In dieser Nacht leuchtete nur eine einzige Laterne im Fenster der Fischerhütte und wies Adele den kaum sichtbaren Pfad durchs Ufergras und dann durchs Schilf.

Robert hatte die Lampe ins Fenster gestellt, ehe er sich auf den Weg machte, um Adele am Rand des sumpfigen Uferstreifens abzuholen. Hand in Hand ging das junge Liebespaar auf die hölzerne Plattform hinaus, auf der die Hütte errichtet worden war. Das schützende Dunkel der Hütte empfing sie wie eine Umarmung.

»Bist du sehr traurig?«, flüsterte Robert in ihre dunklen Augen hinein, in denen sich die Kerzenflamme als goldener Funke spiegelte.

»Nein«, flüsterte Adele zurück und hob die Arme, um die dünnen Träger ihres Kleides von ihren Schultern zu streifen, »es ist ja kein Abschied, es ist ein Beginn.«

»Es ist der Beginn von uns«, erwiderte Robert an ihren Lippen, »und ich verspreche dir, es ist für unser ganzes Leben.«

»Für unser ganzes Leben«, wiederholte Adele überwältigt.

Sie sank in seine Arme und in seine Liebe und glaubte jedes einzelne Wort, das Robert zu ihr sagte.

Als die Dunkelheit der Nacht dem zarten Morgenrot gewichen war, sich die Sonne über den Alpen erhob und den neuen Tag vergoldete, verschlossen die jungen Liebenden die Hütte und machten sich gemeinsam auf den Weg zurück ins Dorf. Unter seinem T-Shirt trug nun Robert den winzigen, goldenen Schlüssel, den Adele ihm als Symbol für ihre gemeinsame Zukunft geschenkt hatte. Adresse und Telefonnummer, unter der seine Liebste in Boston zu erreichen war, hatte er längst auswendig gelernt und trug sie wie eingebrannt in seinen Kopf mit sich herum.

Bei der barocken Dorfkirche trennten sich vorerst ihre Wege. Adele würde ins Hotel gehen und sich für die Abreise umziehen, Robert auf dem elterlichen Hof die ersten Arbeiten erledigen. Familie Wagner wollte pünktlich um neun Uhr starten, Robert für ein letztes Lebewohl eine halbe Stunde früher dort sein.

»Wir werden nicht weinen«, sagte Robert, als er ein allerletztes Mal Adeles Gesicht zwischen seine Hände nahm und sie zärtlich anschaute.

»Nein, wir werden nicht weinen«, erwiderte Adele mit glänzenden Augen. Sie deutete auf das geschlossene Portal der Kirche, das sich bald zur Frühmesse öffnen würde. »In vier Jahren stehen wir hier an unserem Hochzeitstag.«

Jetzt musste Robert schlucken. »Du Weltreisende willst hier im Dorf Bergmoosbach heiraten?«

»Versprochen!«, antwortete Adele und legte ihre Hand gegen seine noch jungenhaft schmale Brust, wo sie ihren goldenen Schlüssel verborgen wusste. »Es wird kein Tag vergehen, an dem ich nicht an dich denke. Ich liebe dich, Robert Steiner.« Ihr Kuss war salzige Trauer und jugendliche Liebe voller süßem Vertrauen. »Bis nachher, mein Liebster.«

»Ich liebe dich, Adele Wagner«, flüsterte Robert unter Tränen, die er nicht unterdrücken konnte. »Wir sehen uns nachher vor dem Hotel.« Dann riss er sich mit Gewalt von ihr los, stieg auf sein Rad und fuhr zum elterlichen Hof zurück.