Der Preis des Lebens - Bernhard Kreutner - E-Book

Der Preis des Lebens E-Book

Bernhard Kreutner

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Benevento
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Dieser Krimi geht an die Nieren! …oder an Herz, Lunge oder ein anderes Organ, das ein finanzkräftiger Patient gerade benötigt Dr. André Keller und Dr. Eva Vekete sind spezialisiert auf Organtransplantationen – besser gesagt: Organraub. Der österreichische Autor Bernhard Kreutner taucht tief in die Welt des organisierten Verbrechens ein: Überwachung und Datenklau, Auftragsmord und illegaler Organhandel, alles unter der schützenden Hand einer korrupten Politik. Für ihre Kunden, die allesamt vermögend und über jeden moralischen Zweifel erhaben sind, besorgen die beiden Ärzte mit ihrem Team aus ehemaligen Söldnern jedes gewünschte Organ. Alles verläuft reibungslos, bis am Wiener Zentralfriedhof ein Fauxpas passiert und zwei strafversetzte Polizisten einer Wiener Sondereinheit zu ermitteln beginnen. - »Dein Organ für mein Leben«: hochbrisantes Thema Organhandel und Transplantations-Missbrauch - Big Data, Digitalisierung und Social Media: Wie gläsern sind wir wirklich? - Schauplatz Wien: lokale Besonderheiten und echte Typen mit Wiener Charme - Unkonventionelles Ermittler-Duo: Michael Lenhart, der geradlinige Analytiker mit einer Vorliebe für Aristoteles, und Sabine Preiss, eine starke Frau mit einer Mischung aus Schönheit, Intellekt und Härte - Fesselnder Regionalkrimi mit Nervenkitzel-Garantie! Was ist ein Leben wert? Spannender Thriller mit einer Portion Gesellschaftskritik »Big Brother macht es möglich. Sie und ich als lebende Ersatzteillager für jene, die meinen, über dem Gesetz zu stehen.« Wer über genug Geld und Einfluss verfügt, muss sich nicht mit Transplantationslisten und Wartezeiten für ein dringend benötigtes Organ aufhalten. Die beiden Wiener Ermittler decken nach und nach ein internationales Verbrecher-Netzwerk auf, das bis in die höchsten EU-Kreise reicht. Morbide, schaurig-spannend und bestens unterhaltsam – Bernhard Kreutner beweist in "Der Preis des Lebens" feines Gespür für seine skurril-charmanten Figuren und die Wiener Kulisse. Seine Detailkenntnis für die politisch-medizinischen Hintergründe verleiht seinem Krimi eine gesellschaftskritische Dimension. Ein packender Krimi aus Österreich, der Lust auf eine Fortsetzung macht!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 310

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernhard Kreutner

DER PREIS DES LEBENS

Kriminalroman

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2019

Copyright Deutsche Erstausgabe © 2019 Benevento Verlag bei Benevento Publishing Salzburg ‒ München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Lektorat: Antje Steinhäuser, München

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Avenier Next

Umschlaggestaltung: ZeroMedia GmbH, München, unter Verwendung von Motiven von Stocksy / Vera Lair; Getty images / Photolibrary / A. & F. Michler; FinePic®, München

ISBN: 978-3-7109-0084-6

eISBN: 978-3-7109-5093-3

Sämtliche Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Sollten sich Ähnlichkeiten zu lebenden Personen oder realen Ereignissen ergeben, so sind diese rein zufällig.

Inhalt

Dienstag, 9.10 Uhr, Hotel Kempinski, Istrien

Dienstag, 14.00 Uhr, Bundesministerium für Inneres, Herrengasse, Wien

Mittwoch, 15.30 Uhr, Bundesministerium für Inneres, Herrengasse, Wien

Donnerstag, 17.45 Uhr, Tank&Rast-Station nahe München

5.30 Uhr, Krematorium Nähe Bourg-en-Bresse, Frankreich

Freitag, 16.00 Uhr, Infopark, Budapest

Montag, 5.05 Uhr, Währing, Wien

Montag, 8.40 Uhr, Hotel Imperial, Wien

Montag, 8.45 Uhr, Café Landtmann, Universitätsring, Wien

Montag, 15.20 Uhr, Hotel Imperial, Wien

Montag, 19.15 Uhr, Währing, Wien

Mittwoch, 7.15 Uhr, Hotel Steigenberger Frankfurter Hof, Frankfurt

Mittwoch, 8.40 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Mittwoch, 16.30 Uhr, Institut für Gerichtsmedizin, Sensengasse, Wien

Mittwoch, 21.30 Uhr, Hotel Steigenberger Frankfurter Hof, Frankfurt

Donnerstag, 7.10 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Donnerstag, 21.50 Uhr, Privatklinik, Lausanne

Freitag, 7.30 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Freitag, 9.15 Uhr, Hotel Bayerischer Hof, Kempten

Freitag, 13.40 Uhr, Universitätsklinik, Wien

Samstag, 9.30 Uhr, Bundesheerbunker, Neulengbach

Montag, 7.20 Uhr, Privatklinik, Lausanne

Montag, 8.30 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Montag, 14.20 Uhr, Bundesheerbunker, Neulengbach

Dienstag, 5.00 Uhr, Abwinkl, Tegernsee

Dienstag, 9.20 Uhr, DGSE-Zentrale, Boulevard Mortier, Paris

Dienstag, 13.45 Uhr, Bundesheerbunker, Neulengbach

Dienstag, 17.40 Uhr, Flakturm Wien

Mittwoch, 7.30 Uhr, Privatklinik, Lausanne

Mittwoch, 9.00 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Mittwoch, 17.10 Uhr, Infopark, Budapest

Mittwoch, 19.30 Uhr, Bacco, Margaretenstraße, Wien

Donnerstag, 10.30 Uhr, Infopark, Budapest

Donnerstag, 11.50 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Donnerstag, 16.10 Uhr, DGSE-Zentrale, Boulevard Mortier, Paris

Donnerstag, 18.30 Uhr, Innenministerium Büro Brigadier Fritsch

Freitag, 9.00 Uhr, Hotel Imperial, Wien

Freitag, 10.30 Uhr, DGSE-Zentrale, Boulevard Mortier, Paris

Samstag, 5.15 Uhr, Wohnung Dr. Lenhart, Wien-Währing

Sonntag, 11.30 Uhr, Bundesheerbunker, Neulengbach

Montag, 16.45 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

Dienstag, 5.30 Uhr, Raststätte Sankt Pölten, A1

Dienstag, 6.00 Uhr, Palais Modena, Wien

Dienstag, 8.00 Uhr, Tuchlauben 3 — 7, Wien

Dienstag, 11.15 Uhr, Büro der Innenministerin, Herrengasse Wien

Die Pressekonferenz

Epilog

Dank

Dienstag, 9.10 Uhr, Hotel Kempinski, Istrien

»André, wir haben einen Treffer für das Herz. Weiblich, 43 Jahre alt, sportlich, Nichtraucherin, geringes Extraktionsrisiko. Die Zielperson lebt alleine und hat keine nahen Verwandten in der Stadt. Ich habe mir auch ihre privaten Profile angesehen und den Outlook-Terminplan gehackt: kein Urlaub, keine Geschäftsreise.«

»Sehr schön, Eva. Wie sieht der Extraktionsplan aus?«

»Wir nehmen die Headhunter-Masche. Die Zielperson steckt karrieretechnisch fest und wird sich gerne mit uns treffen.«

»Gut. Bitte sende mir die Daten zu dem Herz per Mail. Ich spreche sofort mit der Empfängerin, aber ich bin sicher, sie wird mit allem einverstanden sein. Du kannst mit den Vorbereitungen beginnen. Wäre doch zu schade, wenn wir Zeit verlieren und uns die Empfängerin jetzt noch verstirbt.«

Dr. med. André Keller, ein distinguierter Herr Anfang fünfzig, beendete das Gespräch, und ein paar Minuten später zeigte ein dezentes Signal den Eingang der Mail. Alles war wie erwartet. Das Herz der Zielperson passte optimal zur Empfängerin. Zeit, diese über ihr Glück zu informieren.

Nach dem dritten Läuten meldete sich eine leise, aber feste Stimme.

»Herr Dr. Keller, ich nehme an, diesmal haben Sie gute Nachrichten für mich.«

»Ja, Frau Duval, wir sind fündig geworden. Wie ich Ihnen bei unseren vorhergehenden Gesprächen bereits erklärt habe, verwenden wir ausschließlich Organe, die mit jenen der Empfänger nahezu identisch sind. Wir nennen dieses Qualitätskriterium Faktor-95-plus. Dadurch ist die Gefahr einer Abstoßung minimiert und die Immunsuppression kann wesentlich moderater ausfallen. Die Überlebensrate nach fünf Jahren liegt mit einem Faktor-95-plus Herz bei über 90 Prozent, bei einem gewöhnlichen Spenderherz bei 70, höchstens 80 Prozent.«

»Nehmen wir an, ich bin einverstanden, Herr Dr. Keller. Wie sehen die weiteren Schritte aus?«

»Nachdem der finanzielle Teil geregelt ist, kommen Sie zu mir in die Klinik. Hier machen wir die letzten Untersuchungen und bereiten Sie für die Operation vor. Parallel dazu bringen wir Ihr neues Organ in die Schweiz. Wenn Sie sich für ein Ja entscheiden, haben Sie in einer Woche ein neues Herz und in einem Monat sind Sie wieder zu Hause.«

»Zwei Millionen Euro für ein neues Herz ohne weitere Fragen?«

»Exakt, Frau Duval. Wie Sie wissen, leiden Sie an einer Herzinsuffizienz der Stufe IV. Ihre Wartezeit auf ein reguläres, oder wie ich es vorziehe zu sagen, gewöhnliches Spenderherz beträgt derzeit rund drei Jahre. Aber so lange hält Ihr altes Herz nicht mehr durch. Bei mir bekommen Sie ein neues Herz und, wenn Sie so wollen, ein neues Leben.«

»Herr Dr. Keller, reden wir nicht um den heißen Brei herum. Da draußen gibt es ein passendes Herz, aber eben nur eines. Entweder es schlägt zukünftig in meiner Brust und ich überlebe, oder es schlägt weiter in der Brust der derzeitigen Besitzerin und ich sterbe.«

»So könnte man es ausdrücken, Frau Duval, ja. Ein Mensch stirbt, damit ein anderer lebt. Die Entscheidung liegt bei Ihnen, alles andere nehme ich Ihnen ab.«

Nach einer kurzen Pause kam die Antwort.

»Einverstanden. Es ist mein Leben, das lasse ich mir nicht nehmen. Die Überweisung tätige ich sofort und morgen komme ich zu Ihnen.«

Damit war das Gespräch grußlos beendet. Dr. Keller legte die Duval-Unterlagen beiseite und richtete gedankenverloren seine Krawatte. »Jekyll-and-Hyde-Effekt«, so nannte er diesen Selbstrechtfertigungsprozess der Patienten. Vor die Entscheidung gestellt, war die Angst vor dem eigenen Tod immer größer als eventuelle moralische Skrupel gegenüber unbekannten Dritten. Ab einem gewissen Punkt betrachtete jeder von ihnen das fremde Herz als sein eigenes und den Tod eines anderen als einen Akt der Notwehr oder als zwar traurigen, aber leider erforderlichen Kollateralschaden.

Interessant waren für ihn die begleitenden Fragen. Die Politiker, mit denen er es bisher zu tun hatte, fragten immer nach der Vertraulichkeit und wollten alles über die Geheimhaltung wissen, während sich die Geschäftsleute primär um die praktischen Aspekte kümmerten, abgesehen vom Risiko und den Erfolgsaussichten. Ein Milliardär wollte alles über die Methode sowie die wissenschaftlichen Grundlagen wissen und in die Firma einsteigen, natürlich mit mehr als 50 Prozent, starb aber kurz vor der Transplantation. Ähnliche Erfahrungen hatte er mit einem Kunden aus China gemacht. Herr Xiahou wollte zwar nicht selbst ins Transplantationsgeschäft einsteigen, verfügte aber über beste Kontakte zur Kommunistischen Partei Chinas und dachte mehr an eine Art Joint Venture. Herr Xiahou bekam zwar seine neue First-Class-Niere, aber nachdem seine Geschäftspartner in Peking überraschend verhaftet wurden, zog er es vor, nicht mehr nach China zurückzukehren.

Dr. Keller richtete lächelnd seine Brille und rief Dr. Eva Vekete zurück.

»Eva, wir haben grünes Licht. Die Empfängerin wird morgen in der Klinik eintreffen und dürfte binnen 48 Stunden transplantationsbereit sein.«

»Zwei Tage, gut. Das Zürich-Team ist auf dem Weg nach München und die telefonische Kontaktaufnahme mit der Zielperson ist positiv verlaufen. Beginn der Extraktion übermorgen um 18.00 Uhr, 19.00 bis 19.30 Uhr Stabilisierung und Verladung, Zielankunft Lausanne 1.00 Uhr. Du kannst also gleich in der Nacht operieren.«

Diese kalte Effizienz seiner Mitarbeiterin und Partnerin erstaunte ihn immer wieder. Eva hatte bei ihm seinerzeit als ungarische Gaststudentin Medizin studiert und war für ihn damals nur eine von vielen gewesen. Bis zu ihrem ersten Praktikum in der Klinik. Erst dort fiel ihm auf, dass diese zierliche junge Frau mit der strengen Kurzhaarfrisur den meisten anderen Studenten fachlich weit überlegen war und bereits nach nur zwei Semestern ihr Französisch perfektioniert und zudem Schweizerdeutsch gelernt hatte. Ab diesem Zeitpunkt hatten sich zuerst ihre beruflichen und später auch ihre privaten Wege nicht mehr getrennt. Heute war Eva die zentrale Schnittstelle bei der Auffindung und Extraktion der Zielpersonen. Zwischendurch arbeitete sie zwar an der Weiterentwicklung des Faktor-95-Systems, aber im Grunde war Eva seine organisatorische sowie ausführende rechte Hand. Ohne sie wäre er heute noch ein zwar angesehener, aber, zumindest nach jetzigen Maßstäben, vergleichsweise ärmlicher Professor für Transplantationschirurgie. Wie sich die Welt ändert, wenn zwei einander ergänzende Seelen zueinander finden. Dieser Gedanke faszinierte ihn immer wieder aufs Neue. Er hatte für ihn nahezu etwas Mystisches.

Dienstag, 14.00 Uhr, Bundesministerium für Inneres, Herrengasse, Wien

»Michael, deinen Bericht nehme ich so nicht an. Wenn der offiziell wird, kannst du deine Karriere vollends vergessen. Schreibe ihn um Himmels willen neu. Ich brauche etwas, mit dem ich dir bei Ministerin Mannlicher und der Disziplinarkommission helfen kann. Schreib, es war eine stressbedingte Überreaktion, du hättest dich bereits in psychologische Betreuung wegen akutem Burn-out begeben und es täte dir unsagbar leid. Glaube mir, die wollen deinen Kopf, und wenn du nicht mitspielst, dann werden sie ihn kriegen!«

Major Michael Lenhart, Sonderermittler für Wirtschaftskriminalität, sah seinen langjährigen Freund und Vorgesetzten, Oberst Helmut Schober schweigend an, zog den Bericht zu sich herüber und unterschrieb.

»So, Helmut, jetzt ist er offiziell, und ich bin nicht bereit, auch nur einen einzigen Buchstaben zu ändern. Ich weiß, was ich getan habe, und würde es wieder tun, mein Wort darauf!«

Oberst Schober stand auf und ging, die Hände in die Hosentaschen gestemmt, zum Fenster. Er hatte genau diese Reaktion befürchtet. Gleichzeitig bewunderte er seinen Freund für dessen Geradlinigkeit. Vor fast zwanzig Jahren hatten sie beide nach ihrem Studium nahezu zeitgleich bei der Polizei angefangen. Er als frischgebackener Jurist nach seinem Gerichtsjahr, Michael Lenhart aufgrund eines Formalfehlers. Als Doktor der Philosophie hätte er damals keinen Zugang zum höheren Polizeidienst gehabt, doch der zuständige Verwaltungsbeamte hatte Michael, wahrscheinlich aus purer Gewohnheit, als Dr. jur. registriert. Michael Lenhart seinerseits hatte keinen Gedanken an irgendwelche Regeln verschwendet, sondern einfach den Entschluss gefasst, Polizist zu werden. Der Fehler wurde Jahre später entdeckt und zwischen zwei Aktendeckeln begraben. Eine österreichische Lösung mit Tradition.

Die Zeit verflog. Während er durchaus karrierebewusst vorging, war sein Freund geradezu apolitisch und ausschließlich an der Sache, der jeweiligen Ermittlung orientiert. Die Zusammenarbeit mit Michael war daher mitunter schwierig und über die Jahre verstärkte sich dessen Einzelgängertum immer mehr. Anderseits sprachen seine Erfolge für sich, und man ließ ihm, trotz seiner manchmal unorthodoxen Vorgehensweise, weitgehend freie Hand. Im Ministerium sowie dem Bundeskriminalamt begegnete man Michael zwar mit Respekt, aber auch mit professioneller Distanz. Echte Freundschaften hatte er hier kaum geschlossen. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass er seine jeweiligen Kollegen mit der größten Selbstverständlichkeit zu jeder Tagesund Nachtzeit anrief, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen, und privat mit Vorliebe über Aristoteles, den seiner Meinung nach einzigen ernst zu nehmenden westlichen Philosophen, diskutierte.

Wie auch immer, für Oberst Schober war die Attacke seines Freundes nach wie vor unverständlich. Sie passte einfach nicht zu dessen ruhiger und zielorientierter Art.

»Michael, persönlich teile ich deine Meinung über den Kabinettschef, aber er ist nun mal die rechte Hand der Ministerin, und wenn dieser Bericht mein Büro verlässt, dann hat er gewonnen. Er bleibt und du kannst als Privatschnüffler Scheidungen bearbeiten.«

Michael Lenhart stand ebenfalls auf, trat neben seinen Vorgesetzten an das Fenster im ersten Stock und beide sahen den unter ihnen die Wiener Herrengasse entlangflanierenden Touristen zu.

»Helmut, dieses karrieregeile Subjekt hat vertrauliche Informationen ausgeplaudert, die Arbeit eines ganzen Jahres vernichtet und es klebt Blut an seinen Händen. Mein Zeuge starb, weil der feine Herr Kabinettschef in Gegenwart von Journalisten zur verbalen Diarrhö neigt, und ich soll mich entschuldigen? Nie im Leben!«

»Aber du kannst es nicht beweisen, verdammt noch mal! Der Redakteur beruft sich auf das Redaktionsgeheimnis, und der Artikel ist gerade so vage formuliert, dass sich die Juristen die Zähne daran ausbeißen. Tja, und die Ministerin, ach was, die wird sich sicher nicht die Presse zum Feind machen. Aber was sage ich, das weißt du ohnehin alles.«

Lächelnd ging Michael Lenhart zurück zum Schreibtisch, während Oberst Schober am Fenster stehen blieb.

»Ja, ich habe es bedacht, und nein, der Schleimer wird nicht gewinnen. Gewinnen würde er, wenn ich lüge, wenn ich mich opportunistisch verbiege. Genau das werde ich nicht tun!«

»Glaubst du wirklich, du kommst mit einem Vermerk in der Dienstakte und einem zeitweiligen Abstellgleis davon? Himmel Herrgott, du hast den Kabinettschef der Ministerin in aller Öffentlichkeit geohrfeigt und dem Innenressortleiter einer der wichtigsten Zeitungen des Landes seinen Wein in den Schritt geleert.«

»Ja, das habe ich! Ob man mich unehrenhaft entlässt, degradiert oder ins hinterste Archiv versetzt, ist für mich nebensächlich. Ich will mir beim Zähneputzen in den Spiegel schauen können und stehe zu meiner Tat.«

Oberst Schober schüttelte den Kopf und nahm den unterschriebenen Bericht.

»Der Philosoph als brillanter Ermittler. Manchmal, so auch heute, wünsche ich mir, du wärst nach dem Studium an der Universität geblieben. Aber nein, du musstest ausgerechnet zur Polizei gehen und mir über den Weg laufen. Aber was sage ich, du bist mein Freund und einer der besten Mitarbeiter, den dieses Ministerium je hatte. Also, auf in den Kampf! Spätestens nach der morgigen Sitzung wissen wir mehr!«

Mittwoch, 15.30 Uhr, Bundesministerium für Inneres, Herrengasse, Wien

Nach fast zwei Stunden forderte der Assistent von Frau Dr. Verena Vogel, der Leiterin der Disziplinarkommission, Michael Lenhart auf einzutreten. Die frostige Stimmung im Raum war fast mit Händen zu greifen. Ministerin Mannlicher sprach im Hintergrund leise in ihr Mobiltelefon, die Leiterin der Disziplinarkommission blätterte in ihren Akten, und einzig Helmut Schober stand auf, um seinen Freund demonstrativ herzlich zu begrüßen.

Nachdem die Ministerin das Telefonat beendet und wieder Platz genommen hatte, ergriff die Leiterin der Disziplinarkommission das Wort.

»Herr Major Lenhart, wie Sie sich denken können, haben wir die Tragweite Ihres tätlichen Angriffes sowie die Kaltschnäuzigkeit Ihres Berichtes ausführlich diskutiert. Den Bestimmungen folgend, haben Sie das Recht, selbst Stellung zu beziehen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie uns Ihre Ausführungen weiterbringen könnten. Also, Herr Major, Sie haben das Wort.«

Michael Lenhart stand auf und sah der Ministerin kurz in die Augen.

»Frau Ministerin, Frau Vogel, Helmut, im Grunde habe ich meinem Bericht nichts hinzuzufügen. Ich bin meinem Gewissen gefolgt und stehe dazu. Ja, die Weitergabe der Informationen durch den Kabinettschef kann ich nicht beweisen, aber die Kausalität ist eindeutig. Die Indizien sprechen für sich. Es gibt in diesem Fall nur einen Bericht und der lag zusammen mit den versiegelten Ermittlungsergebnissen im Tresor von Oberst Schober. Da wir jedoch kurz vor dem Abschluss standen, bekam der Kabinettschef mit den laufenden Statusmeldungen Wind von der Sache und siehe da, ein informelles Pressegespräch später erscheint ein reißerischer Artikel. Frau Ministerin, meiner Meinung nach verdient Ihr Kabinettschef wesentlich mehr als nur zwei Ohrfeigen.«

Während sich Helmut Schober resignierend durch die Haare fuhr, ergriff die Leiterin der Disziplinarkommission die Initiative.

»Major Lenhart, Ihr Bekenntnis zur Selbstjustiz ist erschreckend und erleichtert mir meine Empfehlung ungemein. Einen tätlichen Angriff auf einen Vorgesetzten hat es, zumindest in dieser Art, meines Wissens in der Zweiten Republik noch nie gegeben. Das Fehlen jeglicher Reue sowie die öffentliche Propagierung eben dieser Selbstjustiz bringt jedoch das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Es lässt sogar Ihre bisherige Arbeit in einem ganz anderen Licht erscheinen.«

Nun war es Oberst Schober, der aufsprang und energisch das Wort ergriff.

»Frau Dr. Vogel, jetzt gehen Sie entschieden zu weit! Major Lenhart hat fast zwanzig Jahre lang exzellente Arbeit geleistet! Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, seine Personalakte zu lesen, wüssten Sie das. Seine gesamte Arbeit wegen dieses einen Vorfalles infrage zu stellen, ist eine Frechheit!«

Bevor Frau Dr. Vogel antworten und der Streit eskalieren konnte, schaltete sich Ministerin Mannlicher ein.

»Schluss jetzt! Herr Major Lenhart, ich habe mir Ihre Akte genau angesehen. Freiwillig Streifendienst, dann Mordkommission gefolgt von Wirtschaftskriminalität. Sowohl Ihre Erfolgsbilanz als auch Ihre Einsatzbereitschaft sind bemerkenswert. Sie haben mehrfach persönlich großen Mut bewiesen und einem Kollegen wahrscheinlich das Leben gerettet, wohlgemerkt unter Gefährdung Ihres eigenen. Der psychologische Dienst beschreibt Sie als ausgezeichneten Analytiker mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn sowie einer schon an Verbissenheit grenzenden Selbstdisziplin. Gut, vielleicht in einem Anfall von Selbsterkenntnis merken die Psychologen an, dass bei einem Mann Ihrer Intelligenz derartige Einschätzungen größeren Schwankungen unterliegen können. Mit anderen Worten, Sie sind sich nicht ganz sicher. Nun frage ich Sie, Herr Major Lenhart: Warum, verdammt noch mal, riskieren oder ruinieren Sie Ihre Karriere und ohrfeigen meinen Kabinettschef?«

Derart offene, fast schon persönliche Worte hatte Michael Lenhart von der Ministerin zwar erhofft, aber nicht unbedingt erwartet. Jetzt galt es, diese Frau Dr. Vogel ein wenig zu provozieren. Die war durch die letzte Bemerkung der Ministerin ins Hintertreffen geraten und wartete nur darauf, ihre Autorität unter Beweis zu stellen.

»Frau Ministerin, ich habe mir die Fakten nochmals vor Augen geführt. Gut ein Jahr lang habe ich in einem Fall von internationaler Geldwäsche ermittelt, und ich rede hier nicht von ein paar Scheinen unter der Hand, sondern von Millionenbeträgen, namhaften Wirtschaftskanzleien, Verbindungen zur Crème de la Crème der Steueroasen wie London, Delaware, Brüssel, Isle of Man oder Dubai sowie zig Stiftungen und international tätigen Firmen. Nach Monaten mühsamer Arbeit hatte ich das Vertrauen eines Informanten gewonnen und genügend Beweise für eine Anklage. Doch bevor wir zuschlagen konnten, plauderte Ihr Kabinettschef und mein Informant und Zeuge starb. Frau Ministerin, ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass ein paar Ohrfeigen hier in Wahrheit nicht genügen.«

Für einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen. Frau Dr. Vogel nahm die vor ihr liegenden Akten, schob sie demonstrativ zusammen und tappte in die Falle.

»Frau Ministerin, die Sachlage ist eindeutig. Major Lenhart hat sich mehrfach zum tätlichen Angriff auf Ihren Kabinettschef bekannt, aber anstatt Reue zu zeigen, outet er sich als Anhänger der Selbstjustiz. Es kommt zwar äußert selten vor, aber in diesem Fall kann ich nur die sofortige unehrenhafte Entlassung aus dem Staatsdienst empfehlen. Die Erklärungen von Major Lenhart scheinen mir weder ausreichend noch stichhaltig. Sie sind vielmehr emotional geprägt und erinnern stark an Theaterdonner. Bis hin zum Tod seines angeblichen Zeugen. Ein Mann wurde aus der Donau gefischt und Major Lenhart macht daraus seinen sagenumwobenen Zeugen. Major Lenhart, Sie haben hoch gepokert und verloren. Das Spiel ist aus.«

In der darauffolgenden Stille waren alle Augen auf die Ministerin gerichtet. Streng betrachtet, konnte die Vorsitzende der Disziplinarkommission nur Empfehlungen aussprechen, allerdings wurden diese in der Regel befolgt. Im Fall eines höheren Offiziers und mehrfach ausgezeichneten Beamten war die Situation jedoch komplizierter. Hier hatte die Politik das letzte Wort.

»Frau Dr. Vogel, ich nehme Ihre Einschätzung zur Kenntnis, aber ich teile sie nicht. Oberst Schober hat mich über die von Major Lenhart durchgeführten Ermittlungen ausführlich informiert, und jener Mann, von dem Sie meinten, er sei womöglich schlicht ins Wasser gegangen, hatte zwei Kugeln Kaliber 45 ACP im Hinterkopf, abgefeuert aus kurzer Distanz. Der Mann wurde hingerichtet, bevor man ihn in die Donau warf, und hinterlässt eine Frau sowie drei minderjährige Kinder. Was auch immer mein Kabinettschef getan oder nicht getan hat, werde ich persönlich mit ihm klären.

Zu Ihnen, Lenhart: Selbstjustiz will und kann ich nicht dulden. Das wäre politisch untragbar und ein vollkommen falsches Signal, sowohl nach innen als auch nach außen. Gleichzeitig habe ich große Hochachtung vor Ihrer bisherigen Arbeit und will auch in Zukunft nicht auf Sie verzichten. Oberst Schober, Sie werden sich eine entsprechende Formulierung für die Personalakte überlegen, und Sie, Frau Vogel, werden dieser zustimmen. Des Weiteren werden Sie, Major Lenhart, mit sofortiger Wirkung aus der Abteilung von Oberst Schober abgezogen, schließlich weiß man, dass Sie befreundet sind, und stellen sich als Hauptmann für eine andere Verwendung zur Verfügung. Welche das sein wird, werden Sie noch erfahren. Bis dahin sind Sie weiterhin vom Dienst freigestellt. Frau Vogel, meine Herren, ich verlasse mich darauf, dass die Umsetzung dieses einstimmigen Beschlusses reibungslos vonstattengeht.«

An der Tür wandte sich die Ministerin nochmals um: »Nur um das unmissverständlich klarzustellen: Ich betrachte die Sache damit als endgültig erledigt. Und wenn Sie sich fragen, ob vonseiten des Journalisten noch etwas kommt, lautet die Antwort: nein. Ich hatte ein sehr offenes Gespräch mit dem Herausgeber der Zeitung, in dem ich ihm in deutlichen Worten mitteilte, was ich von dem eiligen Geschreibsel halte. Ich bin überzeugt, er hat mich verstanden. Auf Wiedersehen.«

Frau Dr. Vogel samt ihrem Assistent folgten der Ministerin grußlos.

Während Oberst Schober die Erleichterung anzusehen war, wirkte Hauptmann Lenhart ruhig und überlegt wie immer.

»Ich habe ja mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem derartigen Auftritt. Michael, anscheinend hast du in der Ministerin einen heimlichen Fan. Um die Formulierung des Vermerkes in deiner Personalakte kümmere ich mich mit Vergnügen, und die Degradierung zum Hauptmann ist zwar unangenehm, wird aber nicht von Dauer sein. Du bist mit einem blauen Auge davongekommen, wer hätte das gedacht.«

Ganz entspannt, als wäre es in den letzten Stunden nicht um seine berufliche Zukunft, sondern um die Qualität des Kaffees gegangen, erwiderte Michael Lenhart: »Um ehrlich zu sein, ich bin nicht wirklich überrascht. Als Minister kann man sich nur halten, wenn man lernt, auf die Zusammenhänge zu achten und zwischendurch mit aller Konsequenz deutlich macht, wer das Sagen hat. Nein, Helmut, ich bin nicht überrascht, sondern freue mich, dass die Bestrafung des Kabinettschefs bald kommen wird. Du siehst, die Ohrfeigen waren genau richtig, von meiner Psychohygiene ganz zu schweigen.«

Ungläubig fuhr sich Oberst Schober durch die Haare.

»Willst du damit sagen, die Ohrfeigen für den Kabinettschef waren Kalkül, um die Aufmerksamkeit der Ministerin in die richtige Richtung zu lenken und sie zum Handeln zu zwingen? Das gibt es doch nicht! Um Himmels willen, wie viele Züge planst du voraus? Ganz abgesehen davon: deine Rechnung hätte sich auch als falsch erweisen können.«

Hauptmann Lenhart antwortete lächelnd: »Ja, die Ohrfeigen, ausgerechnet beim Mittagstisch im feinen Fabios, waren Kalkül, und die Rechnung, von der du sprichst, war im Grunde ganz simpel. Im Rahmen des Dienstweges konnte ich ihm unmöglich das Handwerk legen. Also musste ich etwas tun, das die Aufmerksamkeit der Ministerin weckt. Etwas, was sie als erfahrene Politikerin zwingt, tiefer zu graben. Sie hat tiefer gegraben und auch dank deines Einsatzes gesehen, welchen Schaden ihr Kabinettschef angerichtet hat und welche Gefahrenquelle er in dieser Funktion darstellt, auch für sie als Ministerin. Wie du siehst, im Grunde war es in der Tat eine ganz simple Rechnung mit überschaubarem Risiko.«

Michael Lenhart stand auf, klopfte seinem Freund auf die Schulter und wandte sich zur Tür.

»Kommst du mit? Mittwoch ist Trainingstag, zwei Stände sind reserviert. Ich schätze, das Trefferbild wird heute über meinem persönlichen Schnitt liegen.«

Und der persönliche Schnitt von Michael Lenhart war, wie Oberst Schober wusste, beeindruckend. Während er selbst nur noch gelegentlich auf den Schießstand ging und nach Dienstschluss lieber zu Frau und Familie nach Währing fuhr, war Michael Lenhart seit Jahren einmal pro Woche am Schießstand. Genauso wie er zumindest zweimal wöchentlich die Trainingshalle aufsuchte und nach einer unglücklichen Beziehung nie mehr mit einer Frau gesehen worden war. Dabei war er ein groß gewachsener, sportlicher Mann und, wenn er wollte, ein überaus charmanter Gesprächspartner.

Donnerstag, 17.45 Uhr, Tank&Rast-Station nahe München

Dr. Eva Vekete, in ein exklusives Businessoutfit gekleidet, saß an einem Fensterplatz der Tank&Rast-Station nahe München. Vor ihr auf dem Tisch eine lederne Aktenmappe im typischen Rot der Firma Egon Zehender.

Pünktlich um 17.55 Uhr bog der silberfarbene Audi A4 von Frau Hartmann auf den Parkplatz der Raststation ein. Während ihr Dr. Vekete entgegenging, hielt ein Krankentransporter unmittelbar neben dem Wagen der Zielperson.

Nachdem beide Platz genommen hatten, bot Dr. Vekete der Zielperson ein Glas Wasser an, während sie sich nochmals freundlich für ihr Kommen bedankte.

»Frau Hartmann, wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie dieser ungewöhnlichen Kontaktaufnahme zugestimmt haben, aber wie Sie sich sicherlich denken können, legen wir größten Wert auf Diskretion.«

Während Frau Hartmann langsam einen Schluck Wasser trank, fuhr Dr. Vekete fort.

»Bevor ich Ihnen erkläre, welche Option wir Ihnen gerne unterbreiten möchten, bitte ich Sie, diese Vertraulichkeitsvereinbarung zu unterschreiben. Sie werden im Laufe unserer Gespräche einige Interna von einem in seinem Bereich führenden deutschen Unternehmen erfahren, und in diesem Zusammenhang sind wir um größte Umsicht bemüht. Gleichzeitig werden Sie bei der Durchsicht der Vereinbarung sehen, dass die Verschwiegenheitsklausel beidseitig gilt, also auch Ihre Interessen umfassend geschützt sind.«

Frau Hartmann überflog die Vereinbarung und unterschrieb.

»Hier, bitte, ich habe mir bereits gedacht, dass Sie auf Vertraulichkeit Wert legen, muss aber zugeben, über den Ort unseres Treffens und den hohen Zeitdruck habe ich mich doch ein wenig gewundert. Wie auch immer, jetzt bin ich hier.«

Dr. Vekete lächelte der Zielperson freundlich nickend zu.

»Liebe Frau Hartmann, Sie haben recht, speziell was den Zeitdruck anbelangt. Aber lassen Sie mich zuerst ein wenig die Hintergründe beleuchten. Unser Auftraggeber muss aus unglücklichen, um nicht zu sagen tragischen Umständen eine Position möglichst rasch nachbesetzen. Nachdem keine hausinterne Lösung angedacht wurde, hat man sich an uns gewandt. Darum sitzen wir hier und darum wird dieses Gespräch auch ein wenig beschleunigt verlaufen. Ich hoffe, Sie sind mit diesem Vorgehen einverstanden.«

Frau Hartmann griff nochmals zu ihrem Wasserglas. Nach einem Schluck erwiderte sie gut gelaunt: »Ja, ich bin einverstanden. Manchmal kommen die Dinge eben anders, als man es gewohnt ist. In diesem Sinne, ich habe die Vereinbarung unterschrieben, also legen Sie die Karten auf den Tisch.«

Dr. Vekete warf, weiterhin professionell lächelnd, einen Blick auf ihre Uhr und strich dabei unbewusst mit dem Daumen über den zarten Ring an ihrem kleinen linken Finger, der einzigen persönlichen Note in ihrem sonst durchwegs geschäftsmäßigen Äußeren.

»Frau Hartmann, es geht um eine Geschäftsführungsposition mit dem Verantwortungsbereich Marketing/Vertrieb eines europaweit agierenden Konsumgüterherstellers aus dem Raum München. Ihr Vorgänger ist vor einigen Tagen bei einem Sportunfall verunglückt und die Eigentümerfamilien möchten wie gesagt keine interne Nachbesetzung. Sie würden sich die Geschäftsführung mit zwei Kollegen teilen und eine Abteilung mit rund 200 Mitarbeitern leiten. Bei Egon Zehender ist man sich durchaus des Umstands bewusst, dass Sie damit auf Ihrer persönlichen Karriereleiter gleich zwei Stufen auf einmal nehmen würden. Aber wir haben Ihren Werdegang genau verfolgt und sind uns sicher, dass Sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Die finanzielle Vergütung liegt bei 400 000 Euro plus einer Erfolgskomponente von rund 150 000 bis 300 000 Euro pro Jahr. Natürlich zuzüglich eines zur Position passenden Dienstwagens sowie dem wirklich großzügigen Sozial- und Pensionsmodell.«

Während sie sprach, beobachtete Dr. Vekete die Zielperson. Sie hatte bisher zweimal von ihrem Wasser getrunken. Das geschmack- und geruchlose Sedativum sollte langsam Wirkung zeigen.

»Selbstverständlich liegt die Entscheidung bei den Eigentümern, und zum Auswahlprozess gehört auch die Zusammenstellung eines Ideenpapiers sowie eine kurze Präsentation Ihrerseits. Doch ich bin überzeugt, Sie sind von unseren drei Vorschlägen die Persönlichkeit mit den besten Chancen. Noch ein Wort zum Zeithorizont: Uns ist bewusst, dass Sie in einem aufrechten Vertragsverhältnis mit Ihrem derzeitigen Arbeitgeber stehen, gehen aber davon aus, dass Sie im Falle einer Einigung binnen zwölf Wochen Ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin antreten könnten.«

Da waren sie, die ersten Anzeichen. Der Lidschlag war verlangsamt und die Haltung der Zielperson hatte leicht an Spannung verloren. Jetzt war es nur noch eine Frage von ein paar Minuten, Zeit für das Finale.

»Liebe Frau Hartmann, glauben Sie mir, ich kann mir gut vorstellen, was jetzt in Ihrem Kopf vorgeht. Die Chance auf einen Karriereschritt, die neue Herausforderung und nicht zuletzt die schlagartig geänderten finanziellen Rahmenbedingungen. Daher schlage ich vor, wir belassen es für heute bei diesen Informationen. Wenn Sie einverstanden sind, bringt Ihnen morgen ein Bote nähere Unterlagen sowie die Vorgaben für das angesprochene Ideenpapier in einem neutralen Paket. Sie schauen sich die Papiere in Ruhe durch und wir sehen uns dann in zwei Tagen um 18.30 Uhr in unserem Büro in München.«

Frau Hartmann strich sich über die Schläfen und antwortete schon etwas schwerfällig: »Sie haben recht. Das ist irgendwie wie Weihnachten und Geburtstag zugleich. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Alleine schon in den Dreiervorschlag für so eine Position zu kommen ist fantastisch. Aber jetzt muss ich das alles erst einmal gedanklich verarbeiten.«

Dr. Vekete stand auf, nahm ihre Mappe und gab damit das Zeichen zum Aufbruch.

»Liebe Frau Hartmann, ich freue mich mit Ihnen. Kommen Sie, ich begleite Sie zu Ihrem Auto.«

Beim Wagen angekommen, kramte Frau Hartmann mit unsicheren Händen nach dem Schlüssel, als plötzlich die Schiebetür des daneben abgestellten Krankentransporters aufging und ein Arm ihren Oberkörper um-schloss, während ihr eine behandschuhte Hand ein unangenehm riechendes Tuch auf Mund und Nase presste. Sekunden später lag sie auf der Trage des Krankentransporters. Den Einstich in der Armbeuge nahm sie kaum noch wahr.

Unterstützt von den beiden schweigenden Helfern kontrollierte Dr. Vekete die Vitalfunktionen der Zielperson und reicherte die Infusion mit einem hochwirksamen Medikamentencocktail an. Minuten später lag die Zielperson in einem Patientenhemd und intubiert auf der Trage.

Während ihre beiden Helfer wortlos die Kleidung nach persönlichen Gegenständen absuchten, entnahm Dr. Vekete ihrer Mappe Transportbescheinigungen des Klinikums Schwabing, die auf eine Frau Julie Martin, wohnhaft in Paudex, Kanton Waadt, Schweiz, ausgestellt waren. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten und der Krankentransport unterwegs kontrolliert werden, war eine nicht ansprechbare Schweizer Staatsbürgerin zur Weiterbehandlung unterwegs in ihre Heimat.

Abschließend gab Dr. Vekete ihren Helfern noch letzte Anweisungen für die Dosierung der Medikamente, nahm die Handtasche der Zielperson an sich und kontrollierte, ob Autopapiere, Zulassung, Schlüssel sowie Mobiltelefon vorhanden waren. Nach einem letzten Blick auf die Vitaldaten der Zielperson nickte sie ihren Mitarbeitern zu, zog dünne Lederhandschuhe an, schloss den Audi der Zielperson auf und ließ sich vom Navigationssystem ins Zentrum von München leiten. Ihre erste Station war die Parkgarage in der Alfons-Goppel-Straße beim Bayerischen Nationaltheater. Dort löste sie das Einfahrtsticket mit einer Kreditkarte der Zielperson und ging Richtung Platzl. Der dünne Sitzüberzug wanderte mit eventuellen Spuren in einen der zahlreichen Papierkörbe. In Schuhbecks Orlando trank sie ein kleines Bier und setzte in der Toilette das Mobiltelefon der Zielperson unter Wasser. Damit endete die digitale Spur. Mit einem Taxi ließ sie sich zum Büropark Obersendling bringen, bestieg ihren Mietwagen und rief in Lausanne an.

»André, das Herz sollte pünktlich eintreffen und ich bin unterwegs zu Tamás.«

Dr. Keller trank, leicht den Kopf schüttelnd, einen Schluck Darjeeling. Seine gute Fee, zielsicher, effizient und auf das Nötigste konzentriert.

»Sehr gut! Die Empfängerin ist vorbereitet, und ich gehe davon aus, dass die Operation heute Nacht wie geplant stattfindet. Wie immer kann ich deine überaus präzise Vorgehensweise nur bewundern. Ich könnte jetzt sagen, fahr vorsichtig und mach zwischendurch eine Pause, aber das klingt bei dir geradezu grotesk.«

»Danke für das Kompliment. Ich übernachte in Linz und treffe Tamás um 13.00 Uhr, nächste Kontaktaufnahme morgen, 16.00 Uhr.«

Damit war das Telefonat beendet.

5.30 Uhr, Krematorium Nähe Bourg-en-Bresse, Frankreich

Noch zwölf Minuten, dann war von der Zielperson nur noch Asche übrig. Für diesen letzten Abschnitt ihres Auftrages hatten sie sich getrennt. Während sein Kollege den Krankentransporter gründlich reinigte und anschließend desinfizierte, war er mit den sterblichen Überresten über die Grenze nach Frankreich in ein zur Firmengruppe gehörendes Krematorium gefahren. Diese Arbeitsteilung hatte sich bei ihnen mit der Zeit so ergeben. Er selbst hatte kein Problem mit langen Autofahrten, umgekehrt aber eine Abneigung gegen die jeweils fällige Generalreinigung des Wagens. Bei seinem Partner war es umgekehrt. Dieser verfügte nicht nur über ein nahezu lexikalisches Wissen Autos und Motorräder betreffend, ihm schien es Spaß zu machen, die halbe Innenausstattung des Krankenwagens zu zerlegen, zu reinigen und anschließend wieder zusammenzubauen.

Auf der Fahrt zurück nach Lausanne ließ er die Asche aus dem Fenster rieseln und ging den gesamten Auftrag erneut in Gedanken durch, konnte aber keine Fehler oder Schwachpunkte finden. Dieses ständige Check- und Re-Check-Verfahren war ihm bei der Fremdenlegion eingetrichtert worden und er hatte es beibehalten. Sieben Jahre lang war er bei der Legion geblieben. Lange genug, um auf mehreren Kontinenten zu kämpfen, ohne Fragen zu stellen, zu kurz, um die Legion als Vaterland zu betrachten oder eine Pension zu bekommen.

Der Weg zurück ins Zivilleben war ihm ebenso wenig gelungen wie seinem Partner. Das gesparte Geld war schnell aufgebraucht und andere Jobs als Türsteher oder Rausschmeißer waren nicht zu bekommen. Ironie des Schicksals, da investiert der Steuerzahler Unsummen in die Ausbildung der Soldaten, damit diese ihre Gegner in jedem Winkel der Welt auf alle nur mögliche Arten ins Jenseits befördern, aber im Zivilbereich gibt es für das Jobprofil Killer, Überlebenskünstler und Sanitäter keine Verwendung. Auch eine Art von Überqualifikation.

Der gesellschaftliche Abstieg nach einem etwas zu energischen Eingreifen als Security sowie der daraus folgenden Vorstrafe schien unausweichlich. Bis ihn ein alter Kamerad auf eine Initiative zur Wiedereingliederung ehemaliger Soldaten in die Gesellschaft aufmerksam machte. Er meldete sich, nahm an einem Assessment Center teil und landete nach mehreren Stufen in seinem derzeitigen Job.

Illegal, ja, aber wie es schien, bewegte sich sein Arbeitgeber in einer Art rechtsfreiem Raum, ähnlich modernen Söldnern. Von der Politik geduldet, ließ man ihn gewähren, solange keine Spuren zurückblieben, und in der Beseitigung von Spuren war sein Team wirklich gut.

Mag sein, dass er sich nach wie vor die Hände schmutzig machte, aber die Frage, warum jemand lebt oder stirbt, hatte er sich in Afrika, Afghanistan und im Irak gründlich abgewöhnt. Dort hatte er auf Befehl Bomben gelegt, für blutiges Chaos gesorgt und getötet, während sich die Mitglieder seiner Regierung als Menschenfreunde und Friedensfürsten der westlichen Wertegemeinschaft präsentierten.

Mit Moral und Politik hatte er abgeschlossen. In seinen Augen war dieser Job besser als alles, was er bisher gemacht hatte. Keine verlogenen Politiker, keine Sandflöhe, keine Gewaltmärsche, keine Sprengfallen und kein Trockenfutter, dafür ein weit überdurchschnittliches Gehalt, vergleichsweise leichte Arbeit und keine Kugeln, die einem aus dem Hinterhalt um die Ohren pfiffen.

Freitag, 16.00 Uhr, Infopark, Budapest

Statt im strengen Businessoutfit einer Headhunterin saß Dr. Vekete in Jeans und Pullover in einem Büro des Infopark Geschäftscenters. Die vergangenen drei Stunden hatte sie sich über die Faktor-95-Updates informieren lassen. Mit einigen Punkten war sie zwar noch nicht ganz zufrieden, doch insgesamt stellte diese neue Stufe einen echten Gewinn dar, vor allem in quantitativer Hinsicht. An der modernen Fensterfront mit Blick auf die Donau stehend, rief sie in Lausanne an.

»Eva, schön, von dir zu hören! Hat sich deine Reise nach Budapest gelohnt?«

»Ja, André, ich denke schon. Wie war die Operation?«

»Danke der Nachfrage, der Patientin geht es gut. Ich konnte mich vor der Vormittagsvisite sogar noch ein wenig ausruhen. Aber erzähl mal, wie stehen die Dinge in Budapest?«

»In Summe bin ich zufrieden. Wir sind zwar in qualitativer Hinsicht noch nicht bei Faktor-98 angekommen, aber in quantitativer Hinsicht ist das Update ein großer Schritt.

Mit dieser neuen Stufe können wir unser Reservoir potenzieller Zielpersonen in Zentral- und Mitteleuropa um circa viereinhalb Millionen Stück erweitern.«

»Viereinhalb Millionen, das ist ja ausgezeichnet! Aber bist du dir auch sicher, dass wir hier nicht alleine schon aufgrund der nochmals gewachsenen Datenmengen auffallen?«

Die Angst vor der digitalen Überwachung. Bei Dr. Keller war das fast schon eine Art Reflex. »André, nein, wir fallen nicht auf. Schließlich betreiben wir ganz offiziell eine erfolgreiche Cloud-Firma und verwalten in unseren Serverfarmen Millionen Kundendaten. Glaube mir, da fallen unsere medizinisch-logistischen Analysen nicht ins Gewicht. Außerdem, aber das haben wir schon mehrfach diskutiert, unsere Rohstoffsuche passiert nicht irgendwo im Web, sondern bei uns im Haus, auf unseren Servern. Um deinen nächsten Einwand gleich vorwegzunehmen: Es gibt keine Verbindung in die Schweiz. Bist du jetzt beruhigt?«

Dr. Keller räusperte sich pikiert. Die schiere Menge an Daten, die in Budapest sowie den anderen Standorten verarbeitet wurde, war für ihn einfach unvorstellbar. Er war es zwar seit seiner Studentenzeit gewohnt, mit Computern zu arbeiten, hatte aber nie eine Zeile programmiert. Selbst seine Mobiltelefone wurden von Eva eingerichtet.

»Eva, du hast natürlich recht. Meine Sorge ist kein Ausdruck des Misstrauens dir oder Tamás gegenüber, sondern nur meiner technischen Unkenntnis geschuldet. Bitte verzeih mir und lass uns zu den quantitativen Fortschritten kommen.«

Dr. Vekete war froh, dass Dr. Keller nicht wieder auf einer Diskussion der Sicherheitsmaßnahmen bestand.

»Die Erweiterung unseres Organreservoirs um rund viereinhalb Millionen Stück ergibt sich aus neuen Verträgen zur Datenverwaltung mit Gesundheitseinrichtungen und Krankenkassen sowie ironischerweise aus einem Auftrag zur Datensicherheit des deutschen Verteidigungs-ministeriums, abgesehen von der Weiterentwicklung unserer Algorithmen.«

Auf diesem Terrain fühlte sich Dr. Keller wieder sicher.

»Das klingt äußerst vielversprechend, Eva! Handelt es sich bei den viereinhalb Millionen um Nettodaten oder müssen wir hier erst nach den allgemeinen Kriterien aussortieren?«

»Es sind ausschließlich Nettodaten. Das unbrauchbare Rohmaterial ist bereits ausgeschieden.«

Viereinhalb Millionen potenzielle Organlieferanten, das war ein gewaltiger Fortschritt. Auch wenn die nordeuropäischen Länder noch weitgehend fehlten und der Süden des Kontinents erst in kleinen Teilbereichen erfasst war, waren ihre abrufbaren Rohstoffressourcen die mit Abstand größten der Welt. Selbst China konnte hier mit seinen Hinrichtungsprogrammen nicht mithalten. Ebenso wenig wie Indien oder Südafrika. Sie waren unbestritten die Nummer eins, und dieses Update, wie es Eva nüchtern nannte, hatte ihre Stellung weiter ausgebaut, von der Qualität des Faktor-95-plus-Programmes ganz zu schweigen.

»Eva, ich bin wirklich stolz auf dich, glaube mir! Gleichzeitig tut es mir sehr leid, dass ich dich mit einer neuen Anfrage konfrontieren muss, aber ein Kunde braucht eine neue Leber, wieder einmal, wie ich nicht umhinkomme zu sagen. Ich würde dir nur zu gerne ein paar ruhige Tage gönnen, aber dieser Herr ist es nicht gewohnt zu warten.«

Die ruhige Art, in der Eva antwortete, hätte ihn bei jedem anderen Menschen nach dem hohen Arbeitspensum der letzten Wochen überrascht, nicht aber bei seiner Eva. Die antwortete geschäftsmäßig wie immer.