Der Priester und der Messnerknabe - Oscar Wilde - E-Book

Der Priester und der Messnerknabe E-Book

Oscar Wilde

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Beschreibung

Der Priester und der Messnerknabe - Oscar Wilde - "Der Priester und der Messnerknabe" (englisch "The Priest and the Acolyte") ist eine Erzählung von Oscar Wilde, geschrieben 1894.Oscar Fingal O' Flahertie Wills Wilde (* 16. Oktober 1854 in Dublin; 30. November 1900 in Paris) war ein irischer Schriftsteller.

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Oscar Wilde
Der Priester und der Messnerknabe

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Der Priester und der Messnerknabe

Eine Erzählung

»Oh, mein Vater, ich habe gesündigt, gib mir deinen Segen.« Der Priester hob seinen Kopf auf; er war müde an Geist und Körper, seine Seele traurig und sein Herz schwer. Er saß in der bedrückenden Einsamkeit des Beichtstuhles und mußte die immergleichen Sünden anhören. Er war müde des alten Tones und der heuchlerischen Ausdrucksweise. Wollte die Welt immer die gleiche bleiben? Fast zwanzig Jahrhunderte lang haben die Priester im Beichtstuhl gesessen und der nämlichen alten Weise gelauscht.

Die Welt erschien ihm nicht besser; immer das Gleiche, das Gleiche. Der junge Priester seufzte, und für einen Augenblick wünschte er fast, die Menschen möchten sündiger sein.

Warum konnten sie nicht von jenen seit ewig gewohnten Pfaden abweichen und ein wenig ursprünglicher sein in ihren Lastern, wenn sie schon sündigen mußten? Jedoch die Stimme, die er jetzt vernahm, weckte ihn aus seiner Träumerei. Sie war sanft und weich, schüchtern und scheu.

Er gab den Segen und lauschte.

Er erkannte die Stimme. Gerade an diesem Morgen hatte er sie zum ersten Male gehört: die Stimme des kleinen Meßnerknaben, der ihn bei der Messe bedient hatte.

Er wandte den Kopf und betrachtete durch das Gitterwerk den Kleinen. Kein Makel war an diesen langen, weichen Locken. Für einen Augenblick nur erhob sich das Gesicht, die großen, tränenfeuchten blauen Augen trafen den Priester; er sah das kleine, längliche Antlitz schamübergossen der einfachen kindlichen Sünden wegen, die ihm gebeichtet wurden.

Ein Beben durchfuhr ihn, denn er fühlte, daß hier zumindest etwas Schönes in der Welt sei, etwas, das wahrhaft echt war. Würde der Tag kommen, da jene sanften roten Lippen hart und falsch sein würden, die liebliche, schüchterne Stimme frech und gewöhnlich?

Seine Augen füllten sich mit Tränen, und mit einer Stimme, die alle Festigkeit verloren hatte, gab er die Absolution.

Nach einer Weile hörte er den Knaben zu seinen Füßen sich erheben. Er sah, wie jener seine Schritte durch die kleine Kapelle lenkte und vor dem Altar niederkniete, während er sein Bußgebet sprach.

Der Priester verbarg sein müdes, abgezehrtes Gesicht in den Händen und seufzte erschöpft.

Am nächsten Morgen, als er vor dem Altar kniete und sich anschickte, die Worte des Bekenntnisses dem kleinen Meßnerknaben vorzusprechen, dessen Kopf so ehrfurchtsvoll sich neigte, beugte er sich tiefer herab, bis sein Haar leise die goldenen Locken berührte, die wie ein Heiligenschein das zarte Antlitz umgaben.

Er fühlte sein Blut glühen und klingen in einer seltsamen, nie erlebten Bezauberung.