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In der Oberlausitz macht die Bande um Maik Groehler mit spektakulären Banküberfällen auf sich aufmerksam. Nachdem sie eine Sparkassenfiliale in Bautzen ausgenommen haben, wird Kommissar Tim Engel vom sächsischen LKA auf den Fall angesetzt. Engel gilt als geradliniger Instinktbulle und steht unter großem Druck, nachdem er auf offener Straße einen Drogendealer erschossen hat. Der Fall gewinnt zusätzlich an Brisanz, weil er und Maik Groehler sich aus Kindertagen kennen und sie sich gegenseitig nicht unsympathisch sind.
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Regional-Krimi
Buch 13
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Copyright © 2025 BLITZ-Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-689-84367-0
3513 vom 14.03.2025
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Über den Autor
Kapitel 1
Er war sich sicher, dass der arrogante Gangster seine Aufforderung in den Wind geschlagen hatte. Bestimmt war er da. Vielleicht hatte er gedacht, Tim Engel würde Witze machen. Aber es war ihm verdammt Ernst damit. Eine Stimme in seinem tiefsten Unterbewusstsein versuchte ihm zuzuflüstern, dass das, was jetzt womöglich, nein sogar sehr wahrscheinlich gleich passieren würde, ihm eine Menge Ärger einbrocken könnte.
Doch Tim Engel fegte diese Gedanken beiseite. Er hatte lange genug zugesehen. Er wusste, mit wem er es zu tun hatte. Er wusste, was der Mann alles getan hatte, denn er hatte sich kaum Mühe gegeben, es vor ihm zu verbergen. Aber er wusste auch, dass wenn die Sache so weiterlief, er bald die nächsten unschuldigen Toten finden würde, sich von seinem Boss nach tagelangen Ermittlungen wieder anhören musste, dass die Akte Jan Calta offenblieb, aber stichhaltige Beweise gegen den tschechischen Drogendealer fehlten. Deswegen hatte er sich den Gangster gekrallt und ihm ein Ultimatum gestellt. Ab jetzt war es seine Entscheidung. Doch Tim Engel war sich genau darüber im Klaren, wie Jan Calta entscheiden würde. Und er war sich darüber im Klaren, wie er selbst reagieren würde, wenn er ihm gleich gegenübersitzen und sie ihr nächsten Gesprächen führen würden.
Tim Engel wusste genau, wo er hinmusste. Die Terrassen der Restaurants auf dem Marktplatz von Bautzen waren erstaunlich leer, was vermutlich an der spätsommerlichen Hitze lag, die auch ihm einen leichten Schweißfilm auf die Stirn trieb.
Schließlich entdeckte er den Mann, den er suchte. Jan Calta war Mitte vierzig und trug eine helle, sommerliche Kombi, anders als Tim, der selbst in dieser Hitze dunkle Kleidung bevorzugte. Calta saß auf der Terrasse seines Lieblingsitalieners und genoss gerade sein Mittagessen, als sei er ein ganz normaler Geschäftsmann. Die Freiheit – Freiheit von Angst, dass die Polizei ihn suchen, finden und in ein tiefes Loch stecken würde – mit der sich der Gangster durch die Stadt bewegte, machte Tim Engel wütend. Es gab ehrliche Menschen, die diese Angstfreiheit nicht genießen konnten. Und zwar wegen Gangstern wie Jan Calta.
Mit festen Schritten ging Tim Engel auf Caltas Tisch zu, zog sich einen Stuhl zurück und nahm direkt ihm gegenüber Platz. Der Tscheche hatte ihn bereits auf den letzten Metern erkannt. Jetzt lächelte er ihn mit seinen kalten blauen Augen an.
„Herr Kommissar. Wie waren die Flitterwochen? Hatten sie eine schöne Zeit?“
„Es war herrlich. Das Hotel war Klasse.“
Calta rieb sich mit dem rechten Zeigefinger über die Oberlippe. „Sie haben sich einen Bart stehen lassen. Wegen ihrer Frau?“
„Gegen den Willen meiner Frau. Wird sich zeigen, ob ich mich damit durchsetzen kann.“ Tim Engel warf demonstrativ einen Blick auf seine Uhr. „Es ist 11.58 Uhr. Bis zur Grenze brauchen sie etwa eine Stunde. Sie sollten sich also innerhalb der nächsten beiden Minuten auf den Weg machen.“
Jan Calta zog sich langsam und genüsslich eine Nudel durch die Lippen und blickte Tim Engel dabei die ganze Zeit fest an. Tim musterte das Totenschädelgesicht, in dem sich die Wangenknochen deutlich abzeichneten und dessen dunkle Augen tief in den Höhlen lagen. Jan Calta war nicht nur ein Drogendealer, sondern war selbst starken Sachen nicht abgeneigt. Allerdings war er erfahren genug im Umgang mit ihnen, um seine Sucht zügeln zu können, auch wenn der Konsum starke Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hatte. Schließlich sagte er: „Sie haben das also tatsächlich ernst gemeint? Ihre Gary Cooper-Nummer? Wenn ich wiederkomme, sind sie raus aus meiner Stadt oder ich erschieß´ Sie! Ehrlich?“
„Ich sprach nicht von dieser Stadt. Ich will, dass sie das Land verlassen.“ Tim Engel warf einen weiteren Blick auf die Uhr. „Anderthalb Minuten.“
„Ich habe so eine ähnliche Nummer glaube ich mal in einer Fernsehserie gesehen.“
„Ich auch. Ist nicht gut ausgegangen für den Gangster.“
„Ich wusste ja, dass ihr Deutschen in letzter Zeit was gegen Ausländer entwickelt habt, aber glauben Sie nicht, dass Sie ein bisschen zu weit gehen? Wenn ich das der Zeitung mit den vier großen Buchstaben erzähle, würde die das bestimmt interessieren.“
„Die Zeitung mit den vier Buchstaben schickt aber keine Reporter in die tschechische Provinz.“ Er blickt Jan Calta fest an. „Oder ins Leichenschauhaus.“ Tim Engels eisblaue Augen wirken nicht weniger kalt, als die des Mannes, dem er gegenübersaß, und der sich jetzt langsam in seinem Stuhl nach hinten lehnte und sein Messer ablegte. Es entging Tim keinesfalls, dass sich auf Caltas Stirn die ersten Schweißperlen ansammelten. Er lächelte provokativ. „Sie sollten langsam den Kellner rufen. Noch eine Minute.“
Wütend warf Jan Calta seine Gabel auf den Teller und ließ dann die rechte Hand unauffällig, wie er glaubte, unter dem Tisch verschwinden. „Im Ernst? Ist das wirklich ihr Ernst, Kommissar? Ich bin unbewaffnet und sie kommen her, stören mich beim Essen und bedrohen mich?“
Tim setzte eine steinerne Miene auf und sah Jan Calta fest an. Auch seine Rechte hatte bereits unauffällig das Jackett zurückgeschlagen. „Wen wollen Sie hier eigentlich verschaukeln? Von wegen unbewaffnet.“
Calta versuchte sich zu beruhigen und einen Teil seiner verloren gegangenen Souveränität zurückzugewinnen. Verschwörerisch beugte er sich ein Stück weit vor. „Es heißt, ein deutscher Polizist, der seine Waffe nur zieht, steht schon mit einem Bein selbst im Knast.“
Tim machte eine wegwerfende Handbewegung. „Oh, keine Sorge. Seit dem IS sieht das die Staatsanwaltschaft etwas lockerer. Gibt nur ein wenig Papierkram. Dreißig Sekunden.“
„Ich bin aber kein Terrorist“, zischte Calta, die mühsam errungene Lockerheit wieder verlierend. Er begann, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen, was Tim Engel keineswegs entging. Er genoss es, dass Jan Calta gerade etwas sehr Wichtiges verloren ging. Die Freiheit vor der Angst.
„Ist mit egal, ob Sie ein Terrorist sind oder einfach nur das übliche kriminelle Arschloch. Für die Familie aus Reichenbach macht das keinen Unterschied, oder?“
Jan Calta lächelte diabolisch, aber auch das künstliche Kichern konnte seine Nervosität nicht überdecken. „Haben sie Angst, dass es als nächstes ihre Familie treffen könnte?“
Tim Engels Miene verfinsterte sich.
„Zehn Sekunden.“
Calta riss entsetzt die Augen auf. „Das haben sie nicht drauf, Mann. Das…“
Der Gangster riss seine rechte Hand hoch und versuchte, eine Waffe auf Tim Engel zu richten. Doch der hielt bereits seine Pistole in der Hand, ohne dass man wirklich eine Bewegung wahrnehmen konnte. Drei schnelle Schüsse peitschen fast wie ein einziger über den Platz. Jan Calta wurde von drei schweren Geschossen getroffen, über seinen Stuhl geschleudert und stürzte tot auf die von der Sonne erhitzten Pflastersteine. Tim Engel blieb einfach auf seinem Stuhl sitzen und betrachtete die Leiche des Gangsters, die noch zwei Mal kurz zuckte und dann leblos auf dem harten Boden liegen blieb. Innerhalb weniger Augenblicke war das von drei Kugeln durchlöcherte weiße Hemd blutdurchtränkt, während sich unter dem Toten eine rotschimmernde Lache ausbreitete.
Als die Schüsse verhallt waren, setzte lautes Geschrei ein. Tische wurden beiseitegeschoben und die Gäste des Restaurants flohen panisch von der Terrasse, weil niemand wusste, wer der Mann war, der da tot auf dem Pflaster lag, aber vor allem, wer der Mann war, der ihn erschossen hatte und der immer noch ruhig auf seinem Stuhl saß mit der Pistole in der rechten Hand.
Eine leichte Pulverrauchfahne kräuselte sich aus der Mündung von Tim Engels Waffe. Es war gekommen, wie es kommen sollte. Für den Moment empfand er tiefste Befriedigung darüber, dass Calta so reagiert hatte, wie er es von ihm erwartet, ja regelrecht erhofft hatte. Aber er wusste, dass sich dies womöglich noch ändern würde. Nicht, weil seine Vorgesetzten gleich die Hölle über ihn hereinbrechen lassen würden. Sondern weil auch er irgendwann begreifen würde – das war Tim Engel jetzt schon klar – dass er bewusst einen Mann erschossen hatte.
Kapitel 2
Die Schießerei am Marktplatz hatte für enormes Aufsehen gesorgt. Innerhalb einer viertel Stunde war der Platz überfüllt mit Polizeistreifen und Krankenwagen, obwohl es für letztere nicht mehr viel zu tun gab. Tim hatte beschlossen, dass es besser wäre, in dem kleinen Restaurant zu warten, einen Kaffee zu trinken und sich von seinen Kollegen vor den Journalisten abschirmen zu lassen. Die Menschen, die erst ängstlich von der Terrasse geflohen waren, kamen zurückgeeilt, um neugierig die Leiche zu betrachten. Die, die unmittelbar daneben gesessen hatten, versuchten sich zu erinnern, was sie gesehen und gehört hatten, was in den meisten Fällen nicht viel war, da Menschen, die in ein Restaurant gingen, sich nun einmal nicht für die Menschen, die neben ihnen saßen, interessierten. Deswegen versuchten die Journalisten Kellner heranzuwinken, die ihre Gäste etwas aufmerksamer zu studieren schienen. Doch die Kellner waren von der Polizei angehalten worden, sich im Restaurant in Bereitschaft zu halten, wo zwei Polizisten sie vernahmen und nacheinander ihre nichtsagenden Aussagen zu Protokoll nahmen. Denn es wurde rasch klar, dass sich zu dem Zeitpunkt, als die Schüsse fielen, wie durch Zufall keiner von ihnen auf der Terrasse befunden hatte.
Als er auf dem lederbezogenen Barhocker saß und ihm der ängstlich wirkende Kellner einen doppelten Espresso gebracht hatte, spüre Tim Engel bereits, wie die ersten Anflüge von Gewissensbissen das Triumphgefühl verdrängen wollten. Er warf einen Blick auf die Terrasse und konnte Jan Caltas leblose Beine zwischen zwei Pflanzkübeln sehen. Zwei Beamte hatten eine Decke aufgespannt, damit die Gaffer ihre Neugier nicht befriedigen konnten. Tim hasste Gaffer. Oder nein – hassen ist ein starkes Wort, das Menschen viel zu oft benutzen. Aber er mochte einfach keine Leute, die sich von Polizei- oder auch Feuerwehruniformen an einem Tatort angezogen fühlten, nur weil sie hofften, einmal eine Grausamkeit live sehen zu können, die sie sonst nur aus niveaulosen Filmen kannten. Doch diesem Mann, der da lag und immer noch auf dem von der Sonne erhitzten Pflaster ausblutete, gönnte Tim Engel es, dass eine gierige Menge ihn anstarrte, als wäre er ein mittelalterlicher Räuberhauptmann, der vor den Toren der Stadt öffentlich gehängt worden war. Der Gedanke half, damit das Triumphgefühl noch einmal die Oberhand über das schlechte Gewissen bekam.
Bald würde er seinem Chef Rede und Antwort stehen müssen und dann würde er mit seinen Vorwürfen dafür sorgen, dass Tim Engel keine Zeit mehr hatte, sich wirklich Gedanken über das zu machen, was hier gerade passiert war. Aber schon jetzt nagte in ihm jenes unbehagliche Gefühl, das sich einstellt, wenn man weiß, dass die Vorwürfe, denen man entgegensieht, nicht unberechtigt waren, ja dass sie sogar mehr als berechtigt waren, weil man eine Grenze überschritten hat. Und es änderte nichts daran, dass er es in der Überzeugung getan hatte, dass das Ergebnis richtig ist.
Nach fünfunddreißig Minuten erschien ein blauer BMW vor dem Restaurant aus dem ein älterer Mann in einem etwas altmodisch wirkenden Anzug stieg. Er unterhielt sich kurz mit den Polizisten, die um Jan Caltas Leiche versammelt waren und von denen einer auf den Eingang des Restaurants zeigte. Der Mann betrat den kühlen Innenraum und warf Tim Engel einen finsteren Blick zu.
„Ich weiß gar nicht, ob ich dich fragen soll, was hier passiert ist“, sagte er und stützte sich mit dem Ellbogen auf die Bar. Er war groß gewachsen, kräftig, breitschultrig. Allerdings hatte er in den letzten Jahren auch einen Wohlstandsbauch angesetzt. Mit der linken Hand lockerte er sich die altmodische Krawatte ein wenig. Tim Engel kannte diese Geste gut genug. Sein Dienststellenleiter machte sie immer, wenn er dabei war, sich in Rage zu reden und ihm eine Standpauke zu halten. Und diese hier würde vermutlich nie gekannte Ausmaße annehmen, denn Tim Engel hatte zwar schon so manches Problem mit der ihm eigenen, pragmatischen aber nicht immer vorschriftsorientierten Art angepackt, aber das hier war etwas Anderes. „Ich war gerade auf dem Rückweg aus Görlitz, wo ich mich mit Steiner über unser Vorgehen gegen die Autoschieber aus Breslau ausgetauscht habe. Dann erhielt ich einen Anruf direkt vom Polizeipräsidenten, der mich fragt, ob ich schon etwas über die Schießerei in Bautzen weiß, in die einer meiner Männer verwickelt sei. Ich war erst perplex. Im zweiten Moment war mir natürlich sofort klar, wen er meinte, also sagte ich ihm, ich sei auf dem Weg, um mir die Sache selber anzusehen. Ich war ja auch nur zwei Abfahrten von Bautzen entfernt. Ich sagte ihm, dass ich ihn zurückrufe, sobald ich weiß, was genau vorgefallen ist. Ein Blick auf die Leiche und einen zweiten in deine grimmige Fresse lassen in mir allerdings starke Zweifel aufkommen, ob ich das wirklich wissen will. Mein Problem ist, das ich keine Wahl habe. Ich muss dich fragen, was zur Hölle du da verbockt hast?“
„Ein Arschloch weniger, mit dem wir uns rumärgern müssen“, sagte Tim gleichgültig, obwohl er wusste, dass es genau diese Gleichgültigkeit war, mit der er seinen Vorgesetzten in ähnlichen Situationen erst richtig in Rage versetzte.
„Wenn das deine Meinung ist, dann geh doch raus und sag das denen von der Presse. Würde mich wirklich interessieren, wie das bei denen ankommt, wenn es nicht letztendlich mir auf die Füße fallen würde!“
„Ich habe ihn erschossen. Ich nehme das auf meine Kappe.“
Wütend schlug die Faust des Mannes, bei dem es sich um Tim Engels Dienststellenleiter Richard Burkhardt handelte, auf die Bar. „Sag mal, wie blöd bist du eigentlich? Denkst du, damit wäre es getan? Du bist mein Mann und ich bin für den Mist, den du verzapfst, verantwortlich! Denkst du, wir haben nicht genug Ärger, weil uns die Presse ständig eine Affinität für Rechtsextreme anhängen will, musst du jetzt selber noch den faschistischen Superbullen raushängen lassen?“
„Du weißt, wer Jan Calta war…“
„Natürlich weiß ich das, aber das macht keinen Unterschied! Wir haben ihn zu überführen und nicht abzuknallen, du Arschloch!“
„Er hat zuerst gezogen.“
„Oh ja, das gibt eine wunderbare Überschrift für die Titelseiten.“ Genervt stützte Burkhardt sein Gesicht in beide Hände und atmete tief durch. „Ich werde bestimmt gleich viel telefonieren müssen. Ich will, dass du dich den Rest des Tages in deinem Büro einschließt. Am besten verschränkst du die Hände hinter dem Rücken und stellst dich mit dem Gesicht zur Wand in die Schäm-dich-Ecke, bis ich dich rufen lasse.“
„Ist das dein Ernst?“
„Ich rate dir, es genauso zu tun.“
Tim Engel biss die Lippen zusammen, legte zwei Zwei-Euromünzen auf die Theke, um seinen Kaffee mit Trinkgeld zu bezahlen und verließ dann das Restaurant. Richard Burkhardt warf einen Blick über die hinter dem Barmann aufgereihten Spirituosen. Ein starker Drink wäre jetzt genau das, was er brauchte. Aber bei dem, was auf ihn zukam, musste er bei klarem Verstand sein.
Er blickte nach draußen, sah die Füße Jan Caltas, die immer noch zwischen den Pflanzkübeln hervorlugten, die Menschenmenge, die noch größer geworden war, die Journalisten, die bereits versuchten, Informationen aus den Beamten an der Absperrung herauszukitzeln. Er schüttelte mit dem Kopf und setzte sich auf einen der Barhocker.
„Einen Whisky mit nur einem Eiswürfel.“
Ohne würde er das, was gleich auf ihn zukam, wohl kaum ertragen. Vielleicht machte ihn der Alkohol ein wenig entspannter.
Tim Engel fuhr zurück zu seiner Dienststelle nach Dresden. Im nachmittäglichen Berufsverkehr dauerte die Fahrt von Bautzen bis zur Zentrale des Landeskriminalamtes Sachsen an der Autobahn 4 in der Landeshauptstadt eine knappe Stunde. Er setzte sich in sein Büro und arbeitete gelangweilt die Post durch, die sich während seiner Flitterwochen auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte. Dann warf er einen kurzen Blick auf das Foto seiner Frau, dass er, wie viele seiner Kollegen, neben dem Computermonitor auf den Schreibtisch gestellt hatte und überlegte, sie anzurufen. Er hielt sein Handy bereits in der Hand, entschied sich dann allerdings dagegen. Er würde noch früh genug mit ihr darüber reden. Aber er hatte auch Angst davor, weil er nicht sicher war, ob das Gespräch seine Gewissensbisse mildern oder bestärken würde. Es war die Art Angst, die man vor dem Gespräch mit jemandem hat, dessen Meinung einem viel bedeutet, von dem man aber wusste oder zu wissen glaubte, dass er eine andere Sicht auf die Dinge haben könnte, als man selbst. Und diese Angst gründete darauf, dass diese Sicht die richtige sein könnte.
Er versuchte, auch derartige Gedanken beiseite zu wischen. Tatsächlich gab es in dieser Geschichte zwei Wahrheiten für zwei Menschen. Wahr war, dass er Jan Calta erschossen hatte und dass er es gewollt hatte. Zur Wahrheit gehörte aber auch, dass die Welt ohne den Gangster besser dran war. Tim wollte es gar nicht damit rechtfertigen, dass er das Leben ungekannter Christal Meth-Süchtiger, die Caltas Dealer beliefert hatten, gerettet hatte oder jenes anderer Menschen, auf die er seine Killer angesetzt haben würde. Die Drogensüchtigen würden weiter sterben und Gangster würden weiterhin gegenseitig Killerkommandos aufeinanderhetzen. Nein, er rechtfertigte es nicht mit der kitschigen Schwachsinnsidee, dass er irgendwelche Leben gerettet habe. Es war einfach nur so, dass Jan Calta ein mieser Gangster war, der all das tat und auf das Gesetz spuckte, weil er sich für zu clever hielt. Einfach der Typ, auf den die Welt verzichten konnte.
Nach etwa zwei Stunden erschien einer seiner Kollegen und sagte ihm, dass Richard Burkhardt ihn endlich in seinem Büro erwartete.
Als Tim an die Tür geklopft und das „Herein“ abgewartet hatte, betrat er das Büro. Burkhardt saß in seinem Stuhl. Es war heiß in dem Raum, aber das war vermutlich nicht der einzige Grund für die leichten Schweißringe, die sich unter seinen Achseln gebildet hatten. Wütend ließ er ein Telefon mit lautem Knall auf seinen Schreibtisch fallen und fixierte Tim.
„Großartig. Weißt du, wer das war?“
Tim nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz und zuckte auf fast provozierend gleichgültige Art und Weise mit den Schultern. „Der Innenminister?“
„Korrekt. Und zwar der Bundesinnenminister. Nachdem mich schon der Landesinnenminister, der Generalstaatsanwalt und der Landesjustizminister angerufen haben und der Ministerpräsident auf meinen Rückruf wartet. Und keiner von denen ruft an, um mir dazu zu gratulieren, dass wir einen der gefährlichsten Drogendealer in diesem Bundesland aus dem Verkehr gezogen haben. Stattdessen wollen alle deinen Kopf rollen sehen, für die Art und Weise, wie du das angestellt hast.“ Die Anspannung der letzten Stunden entlud sich und wieder knallte Burkhardt seine schwere Faust auf den Schreibtisch. „Verdammt, Tim! Was ist los mit dir? Hattest du in den Flitterwochen nur schlechten Sex? Ich dachte, nachdem du Vater geworden bist und Emilia geheiratet hast, wirst du endlich mal ruhiger und die Gefahr für mich, deinetwegen an ´nem Scheiß-Herzinfarkt drauf zu gehen, bevor ich das Pensionsalter erreiche, nimmt endlich etwas ab. Stattdessen marschierst du schnurstracks in dieses Restaurant und knallst Calta ab.“
„Er hat zuerst gezogen.“
„Ja, vor einem Dutzend Zeugen, von denen mehrere bereits angedeutet haben, dass du ihn dazu gebracht hast, zuerst zu ziehen.“
„Es saß niemand in Hörweite. Keiner hat mitbekommen, worüber wir gesprochen haben. Da wollen sich vermutlich nur ein paar Kerle wichtigmachen.“
„Fest steht aber, dass du Calta erschossen hast, weswegen es keinen Grund gibt, solche Aussagen anzuzweifeln.“
„Das ist Bullshit, Richard.“
Burkhardt beugte sich über seinen Schreibtisch. „Ist das so? Weißt du, es ging ein Gerücht um in der Dienststelle, als du weg warst. Es heißt, nach den Reichenbachmorden bist du zu Calta gegangen und hast ihm gesagt, er soll das Land verlassen oder du erschießt ihn, sobald du zurückkommst.“
„Wer erzählt so etwas?“
„Alle, verdammt! Und ich war so naiv, das als Geschwätz abzutun, weil ich dachte, du wirst endlich erwachsen, sesshaft, ruhiger. Und dann kommst du aus deinem Scheiß-Urlaub zurück, marschierst geradewegs zu Calta und schießt das Arschloch über den Haufen.“
Tim nickte verhalten. Es war besser seinem Boss gegenüber mit offenen Karten zu spielen, denn Burkhardt war ein zu guter Polizist um sich mit Halbwahrheiten abspeisen zu lassen. „Okay, es gab dieses Ultimatum. Aber wenn der Generalstaatsanwalt fragt, erzähle ich ihm nur das, was heute passiert ist. Und da ist die Sache offensichtlich. Calta hat zu seiner Waffe gegriffen und ich musste ihn erschießen.“
„Ach und du glaubst, bei dem ganzen Presserummel, den deine Aktion hervorrufen wird, wird sich der Herr Staatsanwalt damit begnügen, einen entspannten Plausch mit dir zu führen und die Sache zu den Akten zu legen? Wenn die Geschichte mit dem Ultimatum schon in der ganzen Dienststelle die Runde gemacht hat, will ich nicht wissen, wer in den letzten vier Stunden davon erfahren hat. Und wie erklärst du dem Herrn Staatsanwalt, was du dort wolltest?“
„Calta war mein Fall.“
„Ach du lieber Gott.“ Burkhardt fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Na schön. Dann erklär ihm das so. Er erwartet dich nämlich in einer halben Stunde.“
„Hast du ihm denn schon was gesagt?“
„Was soll ich ihm schon gesagt haben? Dass du ein Arschloch bist und ich auf einen Teil meiner Pension verzichten würde, wenn er dich ins Vogtland versetzt?“
„Im Ernst, Richard.“
„Ich habe ihm das gesagt, was ich auch den ganzen Ministern und Journalisten gesagt habe, die deinetwegen angerufen haben.“
„Und das wäre?“
„Calta hat zuerst gezogen und du hast ihn in Notwehr erschossen.“
Tim lächelte.
„Denk nicht, dass ich das deinetwegen getan habe, du Vollidiot. Ich wollte Emilia und deinem Sohn die Knastbesuche ersparen. Wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht und mach, dass du ins Justizgebäude kommst.“
Kapitel 3
Tim Engel fuhr durch den nachmittäglichen Verkehr in die Innenstadt, wo sich – etwas abseits der träge mit Niedrigwasser dahinfließenden Elbe – das Justizministerium befand. Er hatte sich mit der dicken Akte Jan Caltas bewaffnet, um sich gegen die zu erwartende Standpauke des Generalstaatsanwalts zu wehren. Tatsächlich sah er sich auch noch mit dem sächsischen Innen- und Justizminister, sowie dem Polizeipräsidenten des Landes konfrontiert. Von allen Seiten in die Ecke gedrängt, ging Tim zum Angriff über und entwarf ein blutiges Portrait des Mannes, den er vor wenigen Stunden aus seinem Stuhl geschossen hatte. Von dem Ultimatum erwähnte er nichts. Er behauptete, dass er nach all den Verbrechen, die Calta angelastet aber eben nicht ausreichend nachgewiesen werden konnten, dringenden Gesprächsbedarf mit ihm hatte, was sicherlich irgendwo auch eine Variante der Wahrheit war. Dabei habe er ihm klargemacht, dass er ihn auf jeden Fall drankriegen würde – ebenfalls eine geschickte Auslegung der Ereignisse. Dass habe Calta aus der Fassung gebracht und er habe seine Waffe gezogen, mit dem bekannten Ausgang. Der Polizeipräsident schwieg, der Generalstaatsanwalt und die beiden Minister rügten ihn unbeholfen und drohten an, den Fall noch einmal genau prüfen zu lassen. Doch als Tim Engel das Justizgebäude mit seinem Dienstausweis und seiner Waffe verließ, war er überzeugt, dass die Sache nur noch ein paar unangenehme Moralpredigten, aber sonst keine schwerwiegenderen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Er setzte sich in seinen BMW und fuhr auf dem schnellsten Weg zurück nach Bautzen. Zum Abendessen war er wieder zu Hause.
Nachdem sie beschlossen hatten zu heiraten, hatten sich Emilia und Tim Engel eine Wohnung in einem alten Fachwerkhaus nahe der Bautzener Innenstadt genommen, da sie beide aus der Lausitz kamen und sich trotz des täglichen Arbeitsweges nach Dresden nur schwer von der Heimat trennen konnten. Obwohl das denkmalgeschützte Gebäude nur über kleine Fenster und niedrige Decken verfügte, war die Wohnung angenehm hell, da Tim viele Wände herausgerissen und die übrigen weiß gestrichen hatte. So bildeten Flur, Wohn- und Esszimmer sowie die Küche fast einen einzigen, von nur kleinen Wandflächen abgetrennten Raum. Es war eine schlicht eingerichtete Wohnung, die ihren Charme durch die hellen Wände und die alten Fachwerkbalken gewann. Tim hatte viel Arbeit in diese Räume gesteckt und war am Ende über sich selbst überrascht gewesen, da er nie von sich gedacht hätte, dass ihm Heimwerkern so viel Spaß bereiten würde, noch, dass er durchaus Geschick dafür besaß.