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Was riskierst du für den Menschen deines Herzens? Der historische Roman »Der Ritter und die Rose« von Isolde Martyn jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Sturm zieht auf im England des Jahres 1322 … Lady Johanna FitzHenry ist in einer kalten Ehe gefangen – und es gibt nur einen Weg, um sich aus den Fängen ihres brutalen Peinigers zu befreien: Ein Ritter muss schwören, ältere Rechte auf sie zu haben, und so ihre Hochzeit für ungültig erklären lassen. Als auf dem Land von Johannas Familie ein Rebell verhaftet wird, der sich gegen den König gestellt hat, ist ihre Stunde gekommen – denn Geraint de Laval scheint keine andere Wahl zu haben, als ihr zu helfen, wenn er mit dem Leben davonkommen will. Doch schon bald verbindet die beiden mehr als nur die Lüge … und das bringt Johanna in größte Gefahr: Geraint ist ein Mann, der viele Geheimnisse hütet – und immer noch fest entschlossen ist, für Königin Isabella in den Krieg zu ziehen! Ausgezeichnet als bester Romantikroman des Jahres: »Ein bezaubernder Mittelalterroman, so farbenprächtig wie ein Glasmalereifenster.« Bestseller-Autorin Jo Beverley Jetzt als eBook kaufen und genießen: der historische Liebesroman »Der Ritter und die Rose« von Isolde Martyn. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 733
Veröffentlichungsjahr: 2021
Über dieses Buch:
Ein Sturm zieht auf im England des Jahres 1322 … Lady Johanna FitzHenry ist in einer kalten Ehe gefangen – und es gibt nur einen Weg, um sich aus den Fängen ihres brutalen Peinigers zu befreien: Ein Ritter muss schwören, ältere Rechte auf sie zu haben, und so ihre Hochzeit für ungültig erklären lassen. Als auf dem Land von Johannas Familie ein Rebell verhaftet wird, der sich gegen den König gestellt hat, ist ihre Stunde gekommen – denn Geraint de Laval scheint keine andere Wahl zu haben, als ihr zu helfen, wenn er mit dem Leben davonkommen will. Doch schon bald verbindet die beiden mehr als nur die Lüge … und das bringt Johanna in größte Gefahr: Geraint ist ein Mann, der viele Geheimnisse hütet – und immer noch fest entschlossen ist, für Königin Isabella in den Krieg zu ziehen!
Über die Autorin:
Isolde Martyn, geboren im britischen Warwickshire, studierte Geschichte und arbeitete später unter anderem als Archivarin und als Herausgeberin bei »Reader’s Digest«. Für ihre historischen Romane, in denen sie genaue Recherchen mit großen Liebesgeschichten verwebt, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Isolde Martyn lebt heute in Sydney.
Mehr Informationen über Isolde Martyn und ihre Werke finden sich auf ihrer Website: isoldemartyn.com
Bei dotbooks veröffentlichte Isolde Martyn die Romane »Der Stolz der Lady« und »Die Ehre der Lady«.
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eBook-Neuausgabe Dezember 2021
Die australische Originalausgabe erschien erstmals 1999 unter dem Originaltitel »The Knight and the Rose« bei Bantam Transworld Publishers, Division of Random House Australia. Die deutsche Erstausgabe erschien 2001 unter dem Titel »In jener Nacht voller Zärtlichkeit« bei Bastei-Lübbe.
Copyright der australischen Originalausgabe © 1999 by Isolde Martyn
Copyright der deutschsprachigen Erstausgabe © 2001 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Bildmotive von shutterstock/Evgeniia Litovchenko und shutterstock/blue pencil
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96655-613-2
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Isolde Martyn
Der Ritter und die Rose
Roman
Aus dem Englisch von Susanne Kregeloh
dotbooks.
Aufgeführt in der Reihenfolge ihres Auftretens; die mit einem Stern versehenen Personen haben tatsächlich gelebt.
Sir Fulk de Enderby,»The Mallet«
Verheiratet mit Lady Johanna FitzHenry; Veteran der Kriege gegen Schottland
Lady Johanna FitzHerny
dritte Ehefrau von Sir Fulk de Enderby; jüngste Tochter von Lord Alan FitzHenry, dem Konnetabel von Conisthorpe
Agnes
ihre Dienerin
Geraint (Gervase de Laval)
ein Rebell, der seit der Schlacht von Boroughbridge auf der Flucht ist
Sir Edmund Mortimer*
Sohn des Marcher Lords Sir Roger Mortimer of Wigmore; nach der Schlacht von Boroughbridge auf der Flucht
Father Gilbert
Kaplan im Dienste von Lady Constance von Conisthorpe
Lady Constance
Ehefrau von Alan FitzHenry und Mutter von Lady Johanna
Yolonya
Kammerfrau von Lady Constance
Sir Geoffrey
Seneschall auf Conisthorpe Castle
Lady Edyth de Enderby
die unverheiratete Schwester von Sir Fulk
Sir Edgar de Laverton
Ritter im Dienst von Sir Fulk
Dame Christiana
eine Heilkundige und Einsiedlerin, die unter dem Schutz von Lady Constance steh
Jankyn (Watkyn)
Narr von Thomas, Earl of Lancaster
Miles FitzHenry
jüngerer Bruder von Lady Johanna und Erbe von Lord Alan FitzHenry
Lord Alan FitzHenry
Johannas Vater und vom König eingesetzter Konnetabel auf Conisthorpe Castle
Aidan
Lord Alans Diener
Sir Ralph de Middlesbrough
Deputy Sheriff im Dienst von Sir Roger de Somerville, dem High Sheriff von Yorkshire
Amice
Ehefrau von Ranulf Weaver, Tochter von Yolonya
Peter
Sohn von Amice, Schützling von Father Gilbert
Stephen de Norwood
Prokurator des Kirchengerichts des Archidiakons; Advokat von Geraint/Gervase und Johanna
Maud de Roos
eine verwitwete Adlige
William de Bedford
Richter des Kirchengerichts des Archidiakons
Martin de Scruton
Examinator am Kirchengericht des Archidiakons
Avice Mercer, Margery Fuller
Bürgerinnen aus Conisthorpe
John de Dreux, Earl of Richmond
Duke of Brittany und Konnetabel von Richmond Castle
Hugh Despenser der Jüngere*
Günstling von König Edward II.
Hugh Despenser der Ältere*
Earl of Winchester, Vater von Hugh
Königin Isabella*
Königin von England, Gemahlin von König Edward II. und Schwester von König Charles IV. von Frankreich, später bekannt als »die Wölfin von Frankreich«
Edward, Prinz von Wales*
Sohn von König Edward II. und Königin Isabella; zukünftiger König Edward III.
Sir Roger Mortimer*
aufständischer Marcher Lord, der im Tower von London gefangen gehalten wurde; Vater von Sir Edmund Mortimer und Günstling von Königin Isabella
Cecilia de Leygrave
Hofdame von Königin Isabella
Lady Elizabeth Baddlesmere
Gattin von Sir Edmund Mortimer; Tochter des als Verräter hingerichteten Sir Bartholomew Baddlesmere; Hofdame der Königin
Adam Orleton, Bischof von Hereford
Anhänger von Königin Isabelle und Feind Edward II.
Henry, Earl of Leicester
Bruder von Thomas, Earl of Leicester
16. März 1322, Tag des heiligen Bonifatius
»Wie oft muss ich Euch noch sagen, welche Pflichten Ihr mir gegenüber zu erfüllen habt?!«
Fulk de Enderby versetzte Johanna einen Faustschlag ins Gesicht. Sie hörte die Sporen seiner Stiefel klirren, als er die steinerne Treppe hinunterging. Verzweifelt sank Johanna auf die Knie und kauerte sich neben ihrem Bett auf den Boden. Die Wunden auf ihrer Wange brannten.
Das Lachen und die Lebensfreude, die einmal ihre Natur gewesen waren, hatte man längst aus ihr herausgeprügelt. Fulk, diesem so genannten ehrenwerten Lord, den zu heiraten ihr Vater sie gezwungen hatte, war es fast gelungen, auch ihren Lebenswillen zu brechen. Doch ein Rest von Mut war ihr noch geblieben. Diesen Teufel umzubringen wäre ein Segen für die Menschheit, auch wenn man sie dafür hängen würde. Sie würde alles tun, um seiner Grausamkeit und seinen Schlägen zu entfliehen.
Cob, ihr kleiner Schoßhund, winselte und drückte sich gegen Johannas Füße. Sie richtete sich auf und nahm ihn liebevoll auf den Arm. Es ist nur noch eine Frage von Wochen, dachte sie, dann halte ich es nicht mehr aus und stürze mich vom Bergfried in die Tiefe.
»Oh, Mylady, was hat dieser Unmensch Euch dieses Mal angetan?«
Ihre junge Dienerin Agnes hatte leise das Schlafgemach betreten und kniete sich nun neben ihre zitternde Herrin. Fulk hatte ihr Agnes nicht genommen, noch nicht.
Das junge Mädchen drehte Johannas Gesicht behutsam in das Licht, das durch den offen stehenden Fensterladen fiel, und schüttelte mitleidig den Kopf. »Dieser schreckliche Ort! Ich verfluche Euren Vater dafür, dass er Euch hierher geschickt hat. Es gab genug Gerüchte, aber ihn hat das alles nicht gekümmert!«
»Sie haben Unrecht!« Aufgebracht wischte Johanna die Tränen fort.
»Wer, Madam?«
»Diese verdammten Troubadoure mit ihren Liedern über Ritterlichkeit und Liebe. Alles gelogen!«
Den kleinen Hund kümmerte das Unglück seiner Herrin weniger, und er fing ungeduldig zu zappeln an. Johanna setzte ihn zurück auf den Boden. »Meinst du, meine Haut wird von den vielen Schlägen so schwielig und schrumplig werden wie eine Walnuss? Vielleicht wird dieses Ungeheuer dann aufhören, mich zu begehren.«
Sie erhob sich und trat an den schmalen Mauerspalt, der als Fenster diente. Eine Amsel, die auf einer der Zinnen gesessen hatte, flog davon, als sie Johanna bemerkte. Jeden Singvogel in der Burg hatte die junge Frau freigelassen; nun war sie die einzige Gefangene.
Sie presste die Hände gegen die harte Steinmauer und starrte voller Sehnsucht durch die kleine Fensteröffnung zu den braunen kahlen Hügeln hinüber, deren Kuppen sich am Horizont über dem Dorf Enderby erhoben.
»Wenn er mich wenigstens ausreiten lassen würde. Einfach nur, damit ich dem allen hier für ein paar Stunden entfliehen und den Wind spüren kann.«
»Er glaubt, Ihr werdet eher ein Kind empfangen, wenn Ihr auf das Ausreiten verzichtet.«
»Ha, welche Wahrheit will er denn damit beschönigen? Und außerdem ...«
Agnes kam zu ihr und legte schwesterlich den Arm um ihre Herrin. »Ich weiß.«
Die Glocke der Kapelle läutete zur Morgenmesse, und ihr Klang legte sich wie ein Schatten auf das einträchtige Schweigen der beiden Frauen. »Zünde eine Kerze für mich an und sag dem Kaplan, warum ich nicht zur Messe kommen kann.« Johanna ballte die Fäuste und schlug damit auf den tiefen Fenstersims. »Oh, bei unserem barmherzigen Erlöser, was ich brauche, ist ein Wunder – oder ein Blitz, den Gott auf die Erde niederfahren lässt.«
»Nun, man kann nie wissen, Mylady, vielleicht schickt Gott ja beides.«
18. März, der Tag des heiligen Edward des Märtyrers
»Weiter kann ich Euch nicht mitnehmen, Master Studiosus.«
Geraint erwachte von einem kräftigen Stoß in die Rippen. Er spürte das Gewicht von Edmunds schlaffem Körper auf seinen Oberschenkeln lasten und wusste, dass der Albtraum noch nicht vorüber war.
Der Fuhrmann kletterte vom Kutschbock, stellte sich vor einen Haufen aufgeschichteter Steine und verrichtete seine Notdurft. Das gab Geraint die Gelegenheit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, ehe der Mann um den Karren herumkam und die Lumpen wegzog, die seinen beiden Fahrgästen einen mehr als dürftigen Schutz gegen den kalten Nebel geboten hatten.
Als Geraint sich mit Daumen und Zeigefinger den Schlaf aus den erschöpften Augen rieb, fragte er sich, wie er es überhaupt fertig gebracht hatte, einzudösen, so unbequem eingepfercht zwischen festgezurrten Fässern mit Bordeaux und den Kisten mit Stockfisch aus der Nordsee.
»Wird wohl mächtiges Schädelbrummen bekommen, wenn er aufwacht«, frotzelte der Fuhrmann und warf einen abschätzenden Blick auf den jungen Mann, der in Geraints Armen ruhte und den ein dicker Umhang wie ein Kokon einhüllte. »Hat er wohl beim Würfeln gewonnen, he?« Er befühlte den Stoff des Umhanges und rieb ihn zwischen den Fingern.
»Aye, hat er«, murmelte Geraint und strich sich das helle Haar aus der Stirn, während er mit Unbehagen den undurchdringlichen Wald betrachtete, der schemenhaft im Nebel vor ihnen auftauchte. »Wo sind wir hier?«
Seit sie Ripon verlassen hatten, waren sie stundenlang durch eine dunstverhüllte, gottverlassene Moorlandschaft geholpert, aber jetzt hörte er einen Fluss, dessen Wasser gegen Felsen plätscherten, und er wusste, dass sie das Hochland jetzt hinter sich gelassen hatten.
»Die Straße da drüben führt direkt nach Osten, wieder rauf zum Hochmoor, aber ich glaube, die wollt Ihr sicherlich nicht nehmen. Geht immer geradeaus weiter; am Ende der Straße liegt Skipton. Wenn Ihr ins nächste Dorf wollt, dann geht über die Brücke und schlagt die rechte Abzweigung ein. Dann folgt Ihr immer dem Fluss. Wie ich vorhin schon gesagt hab, muss ich mit meiner Fuhre weiter nach Bardon. Wahrscheinlich kann ich bei den Cliffords Rast machen, aber die sehen es nicht gern, dass ich noch Leute mitbringe. Ich hab da so meine Erfahrungen gemacht.«
»Ist schon gut«, meinte Geraint. »Helft mir, ihn herunterzuholen.« Nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dem Fuhrmann ein Messer in die Rippen zu stechen, um Pferde und Wagen in seinen Besitz zu bringen, aber in den vergangenen Tagen war ihm der Tod so oft begegnet, dass er kein Verlangen nach weiterem Blutvergießen verspürte.
»Möglich, dass Ihr einen anderen Händler findet, der Euch mitnehmen kann«, brummelte der Fuhrmann, der offensichtlich ein schlechtes Gewissen hatte, weil er sie wie die Abfallsäcke eines Gerbers einfach ablud und sich selbst überließ. Gemeinsam hoben sie den stöhnenden Erben des eingekerkerten Rebellen Sir Roger Mortimer an. »Beim Allmächtigen, der ist nicht gerade Leichtgewicht.«
Geraint ächzte. Obwohl der Fuhrmann und er von kräftiger Statur waren, kostete es sie einige Mühe, Edmund herunterzuheben. Er war verflucht schwer. Geraint richtete sich auf und reckte seinen schmerzenden Rücken, wobei er nur mit Mühe verbergen konnte, dass seine eigene Wunde wie das Höllenfeuer brannte. Er zog sich die zerrissene Kapuze weit in die Stirn und stampfte mit den Füßen auf, um die Durchblutung seiner von der langen Fahrt steifen Glieder wieder in Gang zu setzen.
»Ich stecke meine Nase nicht gern in Sachen, die mich nichts angehen«, brummelte der Fuhrmann und kratzte sich das Stoppelkinn. »Aber Euer Freund scheint ziemlich krank zu sein.«
»Pah«, schnaubte sein Fahrgast wegwerfend, »wenn Ihr damit meint, dass er etwas blass um die Nase aussieht, dann hättet Ihr ihn einmal vor zwei Tagen sehen müssen, als er in der Schänke unterm Tisch lag. Eigentlich sind wir auf dem Rückweg zu seiner Familie«, fügte er dann hinzu. »Zumindest werden wir das sein, wenn er wieder nüchtern genug ist, um mir die Richtung zu sagen.«
Der mittlere Teil der soeben erfundenen Geschichte entsprach sogar der Wahrheit – das hieß, falls König Edwards bewaffnete Schergen inzwischen nicht auch die Mitglieder der Familie Mortimer zusammengetrieben hatten, die sich noch auf freiem Fuß befunden hatten.
»Und ich hab schon gehofft, er wäre einer von den Rebellen, die bei Boroughbridge gegen die Männer des Königs gekämpft haben und dabei verwundet worden sind. Sollte mich nicht wundem, wenn es für ein paar von denen eine Belohnung gibt.« Also hatte der Bursche statt einer Rübe doch ein Hirn im Schädel.
Geraint rümpfte die Nase in – wie er meinte – überzeugender Ungläubigkeit und schüttelte den Kopf. »Der doch nicht, mein Leben darauf!« Verstohlen musterte er das Gesicht des Fuhrmannes und hoffte, dass der Mann ihm glaubte.
»Na gut«, der Fuhrmann zuckte die Schultern. »Ich mach mich dann wieder auf den Weg. Gott mit Euch und Eurem betrunkenen Freund. Er sieht aus, als würd es bald mit ihm zu Ende gehen. Unten im Tal ist eine Priorei – für den Fall, dass ihm doch nicht nur sein Schädel wehtut.« Ein vernünftiger Rat, wenn man davon absah, dass seine Feinde um jedes religiöse Haus herumschnüffeln würden wie Hunde um einen Kaninchenbau.
»Morgen sitzt er bestimmt schon wieder am Würfeltisch.« Geraint grinste. Falls er nicht vor Sonnenuntergang tot ist. »Gott segne Euch und nehmt meinen Dank.«
»War froh, Gesellschaft zu haben, junger Mann, auch wenn Ihr nicht sehr gesprächig gewesen seid. Aber es ist immer gut, wenn ein paar starke Arme mit anpacken können, falls bei der Fahrt übers Hochland mal ein Rad in die Brüche geht. Und wir wären zu zweit gewesen, falls ich auf einen von diesen Rebellen gestoßen wäre.« Mit diesen Worten schlug der Fuhrmann herzlich auf Geraints verletzte Schulter und überprüfte dann glücklicherweise die Gurte und Hufe seiner Pferde, denn sein Fahrgast stand mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen da und war einer Ohnmacht nahe.
Endlich schnalzte der Fuhrmann mit der Zunge, und die Pferde setzten sich wieder in Bewegung. Erleichtert schaute Geraint ihm nach.
Armer Edmund. Die Natur hatte ihn mit nur einem Löffel voll dessen abgespeist, was sein Vater mit unbändigem Appetit auskostete: das Leben zu leben und es bis zur Neige auszuschöpfen. Dennoch hatte der Junge sein Bestes versucht, um in Rogers Interesse zu handeln und die Lords von Hereford und Lancaster gegen den König zu unterstützen.
Geraint hatte nicht vorgehabt, die Amme für Edmund zu spielen, doch war ihm keine andere Wahl geblieben. Als er in das Lager zurückgekehrt war – nachdem er im nächsten Dorf versucht hatte, etwas zu essen aufzutreiben und Neuigkeiten aufzuschnappen –, hatte er seine Gefährten ermordet und ihrer Kleider beraubt neben dem Lagerfeuer gefunden. Nur der Junge hatte noch gelebt. Würde er tot sein, noch bevor die Nacht hereinbrach?
Er beschloss, sich auf die Suche nach einem Stall zu machen, auf dessen Heuboden er Edmund bei Einbruch der Dunkelheit unterbringen konnte.
Das Unterholz aus noch unbelaubten Eschen und kahlem Weißdorn bot so gut wie keine Deckung, deshalb schlug Geraint Äste von den nahebei stehenden Büschen ab, um daraus eine Art Schutzwand zu bauen. Dann wob er Zweige zwischen die Äste, sodass Edmund wie unter einer Decke einigermaßen windgeschützt lag. Zum Schluss raffte er trockenes Laub zusammen und stopfte es rings um Edmund fest.
Geraint wollte zurück zur Wegkreuzung und folgte deshalb der Landstraße, die, so weit wie er sehen konnte, parallel zum Waldrand verlief. Eher das Reiten gewohnt, begleitete ihn auf seinem Fußmarsch ein Gefühl der Unsicherheit. Vielleicht rührte sein Unbehagen aber auch daher, dass er bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz in seiner Schulter fühlte.
Die Straße war von Pfützen übersät, und tiefe Radspuren zogen sich durch den Schlamm, der das Gehen beschwerlich machte. Deshalb suchte Geraint sich seinen Weg durch das verfilzte Gras am Rand, wobei er ständig auf der Hut sein musste, nicht in den Graben zu rutschen, der wie ein Band neben der Straße herlief.
Stampfende Hufe und das Klirren von Pferdegeschirr vertrieben seine Abgeschlagenheit. Mochte der Allmächtige ihn davor bewahren, dass das Häscher waren! Fluchend sprang er in das Dickicht und presste sich in das Gewirr aus Efeu und Brennnesseln. Ungefähr zehn bewaffnete Reiter kamen herangeritten und hielten im Galopp auf das Dorf zu. Ihre Waffenröcke konnte Geraint nicht erkennen, dazu waren sie noch zu weit entfernt.
Er drückte sich gegen die Wegböschung, bekreuzigte sich und sandte ein Stoßgebet zum heiligen Judas, als die Erde von den Hufen der vorbeijagenden Pferde zu dröhnen begann. Oder war es sein Herz, das so heftig schlug, außer sich vor Furcht, sie würden ihn zu einem Verhör fortschleppen, ehe sie ihn hängten?
Der Heilige musste sein verzweifeltes Gebet um Beistand erhört haben. Seine Beinlinge klitschnass und dreckig, die Hände prickelnd und brennend von den Nesseln, kletterte Geraint schließlich die Wegböschung wieder hinauf.
Für den Fall, dass die Soldaten das Dorf durchsuchten oder bei einer Schankwirtin einkehrten, wäre es besser für ihn, bei Leuten Hilfe zu suchen, die nicht so nah am Dorf lebten. Kurz entschlossen verließ er die Straße, um sich einen Weg durch den Wald zu suchen, wobei er sich in südlicher Richtung hielt. Angst kroch langsam seinen Rücken hinunter. Das verräterische Flügelschlagen aufgeschreckter Tauben bestätigte seine Ahnung: Er wurde gejagt.
Im oberen Turmgeschoss von Enderby Castle griff Johanna nach dem Brief, den ihr Mann ihr hinhielt.
»Was steht in dem Brief? Um Christi willen, sagt es mir!«
Eifrig und wie ein junger Hund darauf bedacht zu gefallen, mischte sich der gutaussehende, blonde Stallbursche ihrer Mutter ein, der gerade aus Conisthorpe eingetroffen war, um die Nachricht zu überbringen: »Mylady, Euer Vater liegt im Sterben, und Eure Frau Mutter bittet Euch inständig, sofort zu ihr zu kommen.«
Sir Fulk de Enderby riss Johanna das Papier aus den Händen und fuhr zu dem Stallburschen herum. Dabei machte er ein Gesicht, das seinen eigenen Bediensteten für gewöhnlich nichts Gutes verhieß. Der junge Mann erkannte sein Vergehen. Er wurde knallrot und zupfte nervös an seiner Stirnlocke, ehe er den Blick senkte und seine Schuhspitzen so eingehend betrachtete, als wären ihm dort plötzlich Fortsätze gewachsen.
»Sagt er die Wahrheit?«, fragte Johanna rasch, um Fulk von einem Zornesausbruch abzulenken.
Ihr Mann nickte knapp, faltete das Schreiben zusammen und steckte es zur sicheren Aufbewahrung in seinen Gürtel.
Disziplin und Gehorsam bedeuteten Fulk alles. Was auch der Grund dafür war, dass Johanna, seine junge dritte Frau, bei jeder Prüfung, der er sie unterzogen hatte, versagt hatte. Ihr größter Fehler aber war, dass sie unfruchtbar war, dass ihr Schoß sich als für seinen Samen unempfänglich erwiesen hatte. Das konnte ihr Ehemann ihr nicht vergeben. Er hatte versucht, Gehorsam in sie hineinzuprügeln und Fruchtbarkeit in sie hineinzustoßen, bis sie sowohl äußerlich wie auch innerlich von den Spuren der Misshandlungen übersät war. Aber dennoch hatten ihre Seele und ihr Körper sich geweigert, sich ihm zu fügen.
Und ihr Vater und ihre Mutter hatten sich, nachdem sie sie zu dieser Ehe gezwungen und fortgeschickt hatten, gleichgültig verhalten, und das, obwohl Johanna ihnen eine Nachricht hatte zukommen lassen, in der sie ihnen von ihrem Unglück berichtet hatte. Ein mitfühlender Mönch auf der Durchreise hatte ihren Eltern heimlich den Brief mit ihren Klagen überbracht, aber eine Antwort war nicht gekommen. Obgleich ein Pair von normannischer Abstammung und von weit höherem Rang als ihr Ehemann, hatte ihr Vater, Lord Alan FitzHenry, sich nicht die Mühe gemacht, seinen alten Freund Fulk zu ermahnen. Sie waren einst Kampfgefährten gewesen, und diese Bindung war ihrem Vater offensichtlich wichtiger, als seine jüngste Tochter, die einst sein Liebling gewesen war, gegen ihren Ehemann in Schutz zu nehmen.
»Nun, Weib, was gedenkt Ihr zu tun? Ihr seid ja plötzlich so ungewohnt stumm.«
Johanna schluckte nervös. »Mein Vater kann ohne mich sterben«, erklärte sie. »Ich habe nicht den Wunsch, ihn jemals wiederzusehen.« Sie wandte sich zu der gepolsterten Fensterbank um und kreuzte, verborgen durch ihren Hängeärmel, zwei Finger. Dann wartete sie auf Fulks Zornesausbruch.
Ihr Mann packte sie an der Schulter und riss sie zu sich herum. »Was bezweckt Ihr mit diesem verwerflichen Benehmen? Ihr macht meinem Namen Schande, Weib.«
Johanna zuckte unter seinem Griff zusammen. »Ich werde nicht gehen.«
Abrupt wandte er sich dem Boten ihrer Mutter zu. »Warte draußen!«
Finger, so scharf wie Krallen, bohrten sich in die weiche Haut ihrer Unterarme.
»Du unverschämte Hexe!«
»Ich soll auf Reisen gehen? Etwa damit?«, stieß sie hervor und schlug den hauchfeinen Schleier zurück, um ihm zu zeigen, welche Spuren seine Schläge am Vortag hinterlassen hatten. »Ich verfluche meinen Vater, weil er mich an Euch verheiratet hat! Soll er allein sterben und von mir aus auch ohne seine Letzte Ölung.«
Fulk zeigte sich wie immer unbeeindruckt von Schuld oder Scham. »Flucht, so viel Ihr wollt, Weib, aber Euer Vater hat noch nicht den Restbetrag Eurer Mitgift gezahlt, und den will ich haben.« Er stieß sie von sich und ging auf die Kohlenpfanne zu. Plötzlich drehte er sich zu Johanna um und zeigte mit dem Finger auf sie. »Ich sage, Ihr werdet zu Eurem Vater reisen. Und Ihr werdet Euch mit ihm aussöhnen und ihn auf Knien um das bitten, was er mir noch schuldet. Sagt ihm, Ihr wäret schwanger.«
»Von Euch!«, höhnte sie.
Anspielungen auf Fulks Alter und seine Kinderlosigkeit waren die einzigen Waffen in ihrem Arsenal, abgesehen von ihrer Klugheit.
Mit einem Schritt war er bei ihr, griff nach ihrem Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Johanna zitterte über die Wut, die sich in seinen kalten Augen spiegelte.
»Mit dir habe ich ein schlechtes Geschäft gemacht, Mädchen. Wie viel Prügel braucht es noch, um deine vorlaute Zunge im Zaum zu halten?« Er strich mit den Fingern über ihre Kehle.
»Ich glaubte, Eure Jugend und Kraft würden ein fruchtbarer Boden für meinen Samen sein, aber Ihr seid ungehorsam, Johanna. Ihr gebt Euch mir nicht so hin, wie eine gute Frau es tun sollte.« Nicht jetzt, betete sie verzweifelt. Nicht hier, wenn der Diener meiner Mutter vor der Tür wartet.
»Ich werde nicht gehen!«, stieß sie hervor. »Was wollt Ihr dagegen tun? Mich an die Sänfte binden?«
»Euch persönlich dorthin eskortieren und hinter Euch stehen, um zuzusehen, wie Ihr auf Knien um Euer Erbe bettelt.«
»Ihr könnt ja gehen und vor meinem Vater zu Kreuze kriechen. Mir ist das egal.«
Sein Daumen und sein Zeigefinger umschlossen ihren Hals. »Ich denke, ich werde mir eine neue Strafe für Eure Widerspenstigkeit einfallen lassen. Eine Demütigung in aller Öffentlichkeit. Vielleicht sollte ich Euch Zaumzeug anlegen lassen, damit Euch das Zanken vergeht.« Er bluffte. Kein Edelmann würde seine Dame vor aller Augen demütigen, obwohl er es in Anwesenheit von Bediensteten ständig tat. »Oder wäre Euch das härene Hemd lieber? Oder wollt Ihr die Peitsche schmecken?«
Es gelang ihr, ihm Furchtlosigkeit zu zeigen.
»Es ist mein Ernst, Weib. Vielleicht würde es Euch aber auch gefallen, wenn ich Eure geliebte Agnes fortschicken würde.«
»Ihr Teufel!« Sie senkte den Kopf, schien besiegt.
»Ausgezeichnet, ich sehe, zu guter Letzt verstehen wir uns doch noch.« Er ließ sie los und riss die Tür auf.
»Reite zurück zu Lady Constance, Bursche, und sage ihr, dass ihre Tochter morgen beim ersten Tageslicht aufbrechen wird. Johanna, mein Herz, das werdet Ihr doch, nicht wahr?«
Johanna sah ihn finster an und drehte ihm den Rücken zu. Als die Tür hinter ihm zufiel und sie allein war, wagte sie es endlich, triumphierend zu lächeln.
Geraint lehnte sich gegen den Stamm einer Eiche, um Atem zu schöpfen, und lauschte. Wie viele Häscher mochten hinter ihm her sein? Er konnte Edmund nicht länger allein lassen. Gott bewahre, dass ihre Feinde ihn inzwischen aufgespürt hatten.
Er taumelte weiter und kam schließlich an einen ausgetretenen Saumpfad, der ein Stück weit in vielen Windungen bergan führte, ehe er Geraint hinunter an einen Bachlauf führte. Eine Brücke aus grob gezimmerten Planken führte hinüber. Auf der anderen Uferseite verschwand der Pfad hinter einem Hügel. Es war ein idealer Platz, um einen Mann zu überfallen. Nervös, weil er sicher war, verfolgt zu werden, neigte sich Geraint zum Wasser hinunter und gab vor, zu trinken. Verstohlen zog er dabei sein Messer.
Zweige knackten.
Geraint rollte sich zur Seite, als ein Knüppel heruntergesaust kam, um ihm den Schädel einzuschlagen, und sprang dann auf. Er stand einem untersetzten, schwarzhaarigen Mann gegenüber, der ihn durch einen zotteligen Bart hindurch angrinste. Erleichterung durchströmte Geraint. Das war kein Häscher aus Boroughbridge, denn der Halunke trug weder Kettenhemd noch ein Stück von einer gestohlenen Rüstung. Er hielt ihn für einen Gesetzlosen.
»Meine Börse ist schon leer«, sagte Geraint und warf einen begierigen Blick auf das schwarze Schaffell, das sein Gegenüber trug.
»Dein Messer und deine Stiefel kommen mir aber auch gerade recht, Fremder«, erwiderte der Gauner vergnügt.
Geraint bereitete sich auf den Angriff vor, doch der blieb aus. Stattdessen legte der Gesetzlose den Kopf auf die Seite und lauschte angestrengt. Vom Pfad her war Hufgeklapper zu hören.
»Da kommt lohnendere Beute!«, sagte er dann erfreut. »Ich werde den Gewinn mit dir teilen. Frieden?«
Diese unerwartete Gnadenfrist erstaunte Geraint, aber noch ehe er seinen Widerspruch anmelden konnte, hatte der Spitzbube sich bereits hinter einem Baum versteckt.
Ein kraushaariger Priester, der einen Esel am Zügel führte, kam um die Wegbiegung. Der schon etwas ältliche Kirchenmann warf einen entsetzten Blick auf Geraint, der mit gezücktem Messer auf der anderen Seite des Baches stand. Geraint blieb keine Zeit, den Priester zu warnen, denn der Gesetzlose stürmte über den Brückensteg auf den Geistlichen zu. Der schmächtige Gottesmann stieß einen Schrei trotziger Wut aus und stieß dem Angreifer das Ende seines Bauernspießes in das rechte Auge. Dann wirbelte er mit der Geschicklichkeit eines schottischen Kriegsveteranen den Spieß herum und beförderte seinen Widersacher rückwärts in den Bach. Ehe Geraint seine Unschuld beteuern konnte, kam der Priester über die Planken gesaust, hieb ihm den Spieß erst in die Seite und dann gegen seine verletzte Schulter. Und die Welt um Geraint wurde schwarz.
Geraint öffnete mühsam die Augen, als er eine warme Atemwolke auf seinem Mund spürte. Die feuchte schwarze Nase eines Jagdhundes beschnüffelte ihn. Jemand hatte ihn gegen einen Baumstumpf gelehnt, und seine Handgelenke waren gefesselt. Geraint sah jetzt vor sich drei Paar Füße stehen.
»Keine Spur von dem anderen«, sagte jemand, und ein viertes Fußpaar gesellte sich zu den anderen.
Einige Leute schienen sich ihn jetzt genauer anzuschauen, geradeso wie vereidigte Geschworene. Bis auf den Priester kannte er keinen von ihnen, und von dem Gesetzlosen war auch nichts zu sehen. War der Geistliche den anderen als Vorhut vorausgegangen?
»Er ist verletzt. Aber das da stammt nicht von mir.« Die blauen Augen des alten Kirchenmannes musterten ihn interessiert.
Geraint starrte auf den dunkler werdenden Fleck auf seiner Brust, während ein anderer Mann – ein Ritter mit grauen Haaren und grauem Bart – sich vor ihm hinkniete, Geraints Gürtel öffnete und den dünnen Stoff seiner Tunika hochhob, um die Verletzung zu begutachten. Der Mann verzog das Gesicht und atmete zischend ein.
Geraint blickte auf die scharlachrote blutige Masse, die sich vom Schlüsselbein bis zum Bauch hinzog, und befeuchtete seine trockenen Lippen.
»Das wird eine interessante Narbe geben, meint Ihr nicht auch?«, sagte er heiser und setzte ein gewinnendes Grinsen auf.
Der Ritter sah den Geistlichen unschlüssig an, offensichtlich ratlos, welche Art von Tier ihnen hier ins Netz gegangen war. »Aye, falls sie sofort behandelt wird«, erwiderte er. »Habt Ihr noch mehr davon?«
Ihr Gefangener hob die gefesselten Hände. Eine hässliche, ungefähr handbreite Wunde zog sich unterhalb seines Ellbogens hin, halb verdeckt vom Ärmel.
»Meint Ihr, das wird meine Enkel beeindrucken, falls ich so lange lebe?« Sein Galgenhumor kehrte zurück.
Ein hellblauer Rock mit grauem Rand raschelte, als die Frau zu ihm trat. Geraint bemerkte, dass die Lady des Ritters auf ihn herunterstarrte – eine ältere Frau mit dem Leibesumfang, wie er vom Kinderkriegen und von einem gut gedeckten Tisch herrührte. Sein Blick glitt flüchtig über sie hin, bevor er an ihr vorbeisah, um das Gesicht des Ritters zu beobachten. In dessen Hand lag sein Schicksal.
Nach der Kleidung zu urteilen, war Geraints Gegenüber nicht übermäßig wohlhabend.
»Yolonya, haben wir irgendetwas da, womit wir die Blutung stillen können?«, fragte die Lady über die Schulter hinweg. Ein Geräusch, das klang, als zerrisse jemand Stoff, war zu hören.
Eine noch umfangreichere Frau, die wie eine Dienerin gekleidet war und Arme von der Stärke von Hammelkeulen hatte, beugte sich über Geraint und drückte einige Leinentücher grob gegen seine Wunde, schlang einen weiteren Streifen darum und unter seinem Arm hindurch und zog ihn fest zu.
»Und jetzt – was tut Ihr auf meinem Besitz?« Es war die Lady, die fragte.
Geraint fluchte im Stillen über seine Dummheit und leistete ihr im Stillen Abbitte. In ihren Augen erkannte er Klugheit und Verstand, verdammt aber auch! Er war überzeugt, dass sie ihn so eingehend betrachtete, um den Gewinn abzuschätzen, den sie aus seiner Gefangennahme schlagen könnte.
»Es tut mir leid, es zu sagen, junger Mann, aber ich denke, Ihr solltet Eure Ambitionen, den Robin Hood zu spielen, fahren lassen. Bewahrt Euch das für das Frühlingsfest auf, hm? Der nötige Leichtsinn ist zweifellos vorhanden, aber ...« Sie machte eine entschuldigende Geste, als wollte sie ihn mit einer noch schneidenderen Bemerkung verschonen.
»– aber mir fehlt dazu die Geschicklichkeit«, beendete er den Satz für sie. »Ja, so scheint es wohl.« Er war sich seiner Bartstoppeln bewusst, der schmutzstarrenden blonden Haare, die eine Wäsche dringend nötig hatten. Sauber und adrett gekleidet, frisch barbiert und mit gesunden guten Zähnen konnte er normalerweise das Herz einer jeden Frau mit seinem Lächeln erweichen. Er versuchte es auch jetzt. »Ich bin ein armer Student aus Oxford, Mylady, und ich appelliere an Eure Mildtätigkeit, mir ein paar Pennys und etwas zu essen zu schenken, und ich werde so schnell, wie ich nur kann, von hier wieder verschwunden sein.«
»Und Eure Verletzungen? Erzählt mir nicht, dass die Herren Professoren in Oxford ihre weisen Worte mit solch heftiger Grausamkeit auf ihre Studenten schleudern.«
»Das ist wohl wahr, Madam, aber ich wurde in einen Hinterhalt gelockt, als ich aus dem Bach etwas trinken wollte. Von demselben Schurken, der auch den Priester angegriffen hat. Ihr wart beeindruckend, Hochwürden. Ist der Gesetzlose auch so fest verschnürt wie ich?« Weder antworteten sie ihm, noch zeigten sie ihm den Schurken. Geraint befeuchtete nervös seine Lippen. Das war ungünstig; man hätte den Burschen dazu bringen können, Geraints Geschichte zu bestätigen.
Die Dame schaute ihre Begleiter auffordernd an.
»Bindet ihn los, Sir Geoffrey.« Sie verschränkte die Arme und betrachtete Geraint ernst, während der Ritter seine Fesseln entfernte und Geraint dann auf die Beine half. Er schwankte unsicher.
»Ich flehe Euch an, habt Ihr etwas zu essen?«
Mitleidig nickte die Frau dem Priester zu. Nach längerem Herumkramen in dem Korb, der hinter dem Sattel seines Esels befestigt war, zog der Priester einen Krug hervor. War das alles, womit der Mann aufwarten konnte? Weder Brot noch Käse?
Die Dame bemerkte, wie gierig Geraint zum Krug blickte. Sie legte die Hand auf den Arm des Geistlichen, um ihn davon abzuhalten, den Krug zu öffnen. »Wer hat Euch angegriffen?«, fragte sie, nahm das Gefäß vorsichtig zwischen ihre behandschuhten Hände und hielt es, als wollte sie es als Siegestrophäe in einem Turnier überreichen.
»Gute Dame, um Christi willen.« Geraint streckte die Hand nach dem Krug aus, doch sie hielt ihn zurück. »Hätte ich nach seinem Namen fragen sollen, Madam, ehe er mich angriff?« Ihr Mund verzog sich unwillig über seinen Sarkasmus, und er verfluchte sein Temperament. »Entschuldigt bitte. Ich hätte nicht so reden dürfen.«
Den Krug gegen ihren Busen gedrückt, umkreiste die Lady Tyrannin Geraint einmal und musterte ihn dabei wie einen Leibeigenen, der zum Kauf angeboten wurde. »Wie werdet Ihr genannt?«
»Ger...« Bei Gott, er brauchte einen Namen! »Gervase de ... Laval.« Gebe Gott, dass sie noch nie jenseits des Meeres gewesen war.
Zufrieden mit dieser Antwort reichte sie ihm den Steinkrug. Geraint zog den Pfropfen aus dessen Tülle und steckte seine Finger hinein. Honig. Besser als nichts. Hungrig holte er etwas von der klebrigen Masse heraus und leckte sie schnell ab. Die Lady, die vorauszuahnen schien, welches Bedürfnis noch gestillt werden musste, zeigte auf die Lederflasche am Gürtel des Ritters, und Sir Geoffrey reichte sie ihr zögernd.
»Vielen Dank, Sir. Gott und alle seine Engel mögen Euch dafür segnen, Mylady.« Er nickte ihr zu und setzte die Flasche an den Mund. Das Bier rann durch seine Kehle und schmeckte ihm besser als der beste Wein. Dann fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund und verschloss die Kruke. »Ich bitte Euch, kann ich es behalten?«, fragte er rau.
Sie sahen ihn überrascht und mit einem Übermaß an Neugier an, und Geraint fluchte im Stillen. Es war verlockend, diese Leute um Hilfe für Edmund zu bitten, doch das Risiko schien zu groß. Er musste sie loswerden. Leicht schwankend beugte er das Knie und hob den Rocksaum der Lady an seine Lippen. »Ich bin ein armer Student, Mylady, und ich danke Euch für diese Geste der Güte und Nächstenliebe. Gott sei mit Euch.« Er erhob sich und wandte sich zum Gehen, doch dann fiel ihm ein, dass sie ihm seine Waffe abgenommen hatten. »Würde es Euch etwas ausmachen, mir mein Messer zurückzugeben?«, fragte er demütig.
Auch dieser Bitte wurde nachgekommen. Er verneigte sich vor der Lady, murmelte auch in Richtung der anderen noch einmal seinen Dank und humpelte davon. Wie er hoffte, in die falsche Richtung.
Es dauerte verflucht lange, Edmund zu finden, denn er hatte einen weiten Umweg genommen, falls der Gesetzlose ihm folgen sollte, aber weder ein aufgescheuchter Vogel noch das Brechen eines Zweiges verrieten ungebetene Begleitung.
»Edmund, Edmund! Kannst du mich hören?«
Er tastete am Hals des Jungen nach dessen Puls. Er fühlte ihn schwach unter seinen Fingern.
»Lebt er noch?«
Geraint fuhr herum und zog fluchend sein Messer. Es war der Priester, der ihm nachgegangen war, seine Schritte so unhörbar wie die von Katzenpfoten.
»Es wäre besser gewesen, Ihr hättet Euch aus dieser Sache herausgehalten, Hochwürden. Denn jetzt werde ich Euch töten müssen«, knurrte er, doch der zart gebaute Geistliche kam unbeeindruckt von dieser Drohung näher.
»Mich töten?« Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Ich habe Euch schon einmal besiegt, soweit ich mich erinnere.« Der Blick des Geistlichen glitt vielsagend über Geraints verwundete Schulter. »Ihr habt nicht das Aussehen eines Mörders, mein Sohn, und Mylady würde ihre Hundemeute loslassen und Euch zur Strecke bringen lassen. Lasst mich einmal nach ihm sehen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, neigte sich der Geistliche zu Edmund hinunter und streckte eine mitfühlende, von vielen Adern überzogene Hand aus, um dessen Stirn zu fühlen.
Der Geistliche ging um Edmund herum und betrachtete das blutige Hemd unter dem Umhang. Was er sah, gefiel ihm nicht, und er runzelte die Stirn und deckte ihn rasch wieder zu.
»Ein kleines Stück weiter westlich von hier lebt eine Heilkundige, eine Witwe, auf Myladys Besitz. Wir kommen gerade von dort. Ohne deren Hilfe wird Euer Freund nicht mehr lange zu leben haben.«
»Wie weit ist es?«
»Wir könnten ihn bis zum Einbruch der Dunkelheit dorthin gebracht haben. Wir müssten ihn in einer Sänfte transportieren. Mit meinem Esel und noch einem Pferd sollte uns das gelingen. Ich werde die Tiere herholen, so schnell ich kann. Haltet Euren Freund warm und betet für ihn.«
»Könnt Ihr diese Heilerin nicht hierher holen?« Sicherlich konnte sich die Frau der Aufforderung des Priesters nicht widersetzen.
»Christiana? Nein, das geht nicht.« Der Geistliche betrachtete Geraints Gesicht, dann sagte er: »Ihr fürchtet, dass ich Euch verraten werde? Ist es das, was Euch beunruhigt? Ich weiß, wie Wunden aussehen, die man aus einer Schlacht davonträgt, Master Scholar. Und ich habe gehört, dass sich eine Rebellenarmee auf dem Rückzug vom Trent befindet, der König Edwards Soldaten auf den Fersen sind.«
Geraint wandte den Blick ab. Beim Allmächtigen, dieser Mann wusste mehr, als für ihn gut war. »Und das hier sind die Löwen der Mortimers, wenn mich nicht alles täuscht.« Der Priester beugte sich vor und strich mit dem Finger über die Stickerei auf Edmunds Hemdkragen, wo die Bänder des Umhangs sich gelockert hatten.
»Ihr seid wirklich allwissend«, erwiderte Geraint kalt und packte sein Messer fester. Er würde es gebrauchen müssen; dieser Priester hatte gerade sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Dennoch war seine Neugier geweckt. »Es ist gefährlich, sich in unserer Begleitung zu befinden. Warum solltet Ihr uns helfen wollen?«
»Weil ...« Der Blick aus den blauen Auges des Geistlichen glitt von Edmunds Gesicht ab und verweilte dann prüfend auf Geraint. »Weil König Edward die Gesetze Gottes gebrochen hat.« Er warf einen weiteren interessierten Blick auf den am Boden liegenden jungen Ritter. »Ihr habt ihn Edmund genannt, nicht wahr? Er ist nicht ganz so stattlich wie sein Vater. Ja, ich glaube, ich kann erraten, wessen Sohn das ist. Vertraut mir. Euch bleibt auch kaum eine andere Wahl.« Als könnte er das Misstrauen auf Geraints Gesicht weiter wachsen sehen, fuhr er fort: »Oh, ich erkenne einen Mortimer, wenn ich einen sehe. Drei von Sir Roger Mortimers Brüdern sind Priester, und Walter ist Pfarrer in Radnor und überdies ein guter Freund von mir. Wurde Sir Roger nicht im Januar auf Befehl des Königs in Shrewsbury eingekerkert?«
Geraint war überrascht, wie gut der Mann informiert war, und starrte ihn an. »Aye, er wurde eingekerkert, nachdem ihm sicheres Geleit zu König Edward nach Westminster zugesichert worden war.«
»Lebt Sir Roger noch?«
»Einstweilen ja. Der König hat ihn in den Tower von London bringen lassen.«
»Dann schlage ich vor, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das Leben seines Erben zu retten.« Während er Geraints Entscheidung abwartete, stand er angespannt da, als stünde er einem Zähne fletschenden Hund mit gesträubtem Nackenfell gegenüber.
Geraints Griff um den Messerschaft lockerte sich, und langsam steckte er die Waffe in deren Scheide zurück. »Wir sind losgeritten, um Sir Roger während dessen Überstellung auf der Straße von Shrewsbury nach London zu befreien. Aber die Übermacht war zu groß. Das war vor zwei Monaten.«
Der Priester atmete erleichtert tief durch. Er wusste, dass sein Leben nicht länger in Gefahr war, und antwortete: »Glücklicherweise, würde ich sagen, denn ansonsten würdet Ihr und Sir Edmund jetzt ebenfalls im Tower sitzen oder vom Galgen in Shrewsbury baumeln. Wir haben Gerüchte über ein Scharmützel nördlich von York gehört. Seid Ihr dabei gewesen?«
»Scharmützel!« Also war die Kunde von dem, was sich zugetragen hatte, noch nicht bis hierher vorgedrungen. »Wohl eher ein blutiges Gemetzel. Der Lord of Hereford ist ermordet worden, und Thomas of Lancaster hat in der Kirche von Boroughbridge um Asyl gebeten.«
»Gott schütze ihn!« Der Priester bekreuzigte sich. Obwohl Geraint sein Messer weggesteckt hatte, sah der Geistliche ihn jetzt mit mehr Respekt und noch größerer Besorgnis an. »Wisst Ihr, wer noch unter den Anführern der rebellischen Lords gewesen ist, mein Sohn? War Sir Roger Clifford unter ihnen?«
Natürlich, am Ende der Straße liegt Skipton. Geraint wurde klar, dass er sich in der Nähe der Ländereien der Cliffords befinden musste, der angesehensten Lords in dieser Gegend. Somit war anzunehmen, dass die Männer des Königs in diesen Tälern umso gründlicher suchen würden. Clifford und seine Männer – oder irgendein anderer von den glücklichen Burschen, die überlebt hatten – könnten hierher fliehen.
»Clifford ist ein auffallend großer Mann, größer noch, als Ihr es seid. Er ist mit der Tochter des Lords of Hereford verheiratet«, sagte der Priester.
»Ich glaube, er war mit dem Lord of Hereford zusammen, aber ob er fliehen konnte ...« Geraint schluckte gequält. »Ich fürchte, der König wird schlimme Rache an all denen nehmen, die er gefangen genommen hat. Wir sind nur mit knapper Not entkommen, und dann wurde unsere Abteilung östlich von Ripon von Häschern angegriffen. Falls Edmund gefangen genommen und des Verrats angeklagt wird, wird es auch seinem Vater im Tower übel ergehen.«
»Dann sollte er sich bei der Heilerin versteckt halten ... falls er die Nacht überlebt. Und Ihr auch, junger Mann. Ihr seht aus, als könnte Euch ein Spatz umwerfen!«
Drei Hunde unterschiedlicher Größe sprangen Geraint bellend entgegen und schnüffelten misstrauisch an seinen Fersen, als er Hochwürden Gilbert zögernd in die Hütte der Heilerin folgte.
Bevor Geraint Gelegenheit für Beobachtungen hatte, kam eine verhutzelte, kleine Frau hinter der Tür hervor. Der Prister erklärte ihr, was vorgefallen war, und kurz darauf betteten sie Edmund auf einen Strohsack in der Hütte. Die Alte drückte dem Priester eine Kerze in die Hand und tastete den verletzten Mann mit ihren knorrigen Händen behutsam ab. »Ein Jagdunfall? Oder hat es eine Schlacht gegeben?« Ihr Blick glitt neugierig von dem Priester zu dem jungen Fremden.
Obwohl die Kerze nur ein schwaches Licht spendete, empfand Geraint es als angebracht, sich um einen offenen Gesichtsausdruck zu bemühen. »Mir wäre es lieber, ich müsste Euch nicht anlügen, gute Frau.«
»Könnt Ihr ihn retten?«, unterbrach Father Gilbert. »Mylady wäre froh, wenn Ihr Euch um ihn und den jungen Burschen hier kümmern würdet.«
»Ich werde tun, was ich kann.« Sie fuhr zu Geraint herum. »Du da, zieh dein Hemd aus! Was gaffst du denn so, Bürschchen? Dort drüben – aber nimm den Schädel vorher vom Hocker.«
Geraint hob das Ding auf, das vermutlich einmal der Kopf eines Dachses gewesen war, und legte es neben die Kochstelle, wo bereits zwei weitere Schädel lagen.
»Ihr solltet Euch zuerst um die Wunden meines Begleiters kümmern, Lady.«
»Nein, Jungchen, lass mich erst sehen, welche Blessuren du erlitten hast. Du kannst dann gleich Holz holen gehen und das Feuer am Brennen halten. Wir werden heißes Wasser brauchen, um die Wunden auszuwaschen.«
»Das werde ich erledigen.« Father Gilbert entzündete einen Holzspan an der Kerzenflamme, griff nach dem Weidenkorb, der neben der Kochstelle stand, und ging hinaus.
»Meine Augen sind nicht mehr die besten, aber ich werde mein Möglichstes tun.«
Wie ein erschöpftes Kind schickte sich Geraint drein, als Christiana ihn rasch und geschickt untersuchte. Er war erleichtert, für eine kurze Weile alle Entscheidungen einem anderen überlassen zu können.
»Wann ist das geschehen?«
»Vor zwei Tagen, glaube ich.« Eine unzureichende Antwort.
»Ach, ist das so, mein Schöner? Nun, eine Nacht darüber schlafen wird dir gut tun und außerdem deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Ich bin gespannt, was für eine Geschichte du dir ausdenken wirst, um sie mir morgen früh zu erzählen.« Ihre Stimme verlor ihren Spott. »Was war es, das deine Schulter verletzt hat? Du kannst von mir aus weiterlügen, aber ich kann dir nur raten, vernünftig zu sein; wenn ich weiß, womit ich es zu tun habe, kann ich Euch besser helfen.«
Geraint zögerte. »Die Wunde an meinem Arm stammt von einer Heugabel.«
»Und Eure andere Verletzung?«
»Von einer Streitaxt«, erwiderte er leise.
Christiana stieß einen Pfiff aus. »Weht der Wind aus der Richtung, eh? Sind es viele Feinde, die Ihr da draußen habt?«
»Nein, und das hier hat jemand getan, der auf meiner Seite stand.« Er griff nach ihren Händen und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Wird mein Gefährte am Leben bleiben?«
Sie machte sich von seinem Griff los.
»Nein«, entgegnete sie. »Ich fürchte, nein.«
Zum Schutz gegen den feuchtkalten Nebel in einen dicken Pelzumhang gehüllt und dessen Kragen hochgeschlagen, gab Fulk das Zeichen, die Falltore hochzuziehen, und setzte dann Johanna in die Sänfte, die im Burghof bereitstand. Ihre Dienerin Agnes saß bereits zu Pferde auf dem Sattelkissen hinter einem der Reiter der Eskorte. Fulk machte keine Anstalten, Johanna die Decke aus Kaninchenpelz über die Beine zu legen. Ein alter, in seine junge Ehefrau vernarrter Ehemann hätte das vielleicht getan, er reichte stattdessen seiner jüngeren Schwester Edyth die Hand, die daraufhin mit dem ihr eigenen selbstgefälligen Gesichtsausdruck neben Johanna Platz nahm.
»Ihr habt mir nichts davon gesagt, dass sie mitkommt«, platzte Johanna heraus. Es würde eine Reise wie vom Teufel geplant werden; das zahme Eichhörnchen, das ihre Schwägerin am Halsband hielt, hockte auf der Schulter seiner Herrin, eingeschüchtert von Johannas Hund.
»Edyth wird Euch an Eure Pflicht erinnern, Madam. Und bleibt nicht zu lange dort. Ich erwarte Euch umgehend zurück, sobald Euer Vater zugesagt hat, den Rest von dem Geld zu zahlen, das er mir schuldet. Sorgt dafür, dass meine Schwester Zeugin seiner Zusage ist.« Johanna gab keine Antwort, sie ignorierte ihn, während sie die Aufmerksamkeit ihres kleinen Hundes von dem Eichhörnchen ablenkte und ihn dazu brachte, sich auf ihrem Schoß zusammenzurollen.
Fulk sah zu seiner Schwester hinüber. »Denk an das, was ich dir gesagt habe, Edyth! Achte darauf, dass außer dir noch andere Zeugen anwesend sind. Wir könnten deren Bestätigung später brauchen.«
»Ich bin kein Dummkopf, Bruder«, erwiderte Edyth scharf. Ihr bedeutungsvoller Blick lenkte Fulks Aufmerksamkeit auf Cob, den kleinen Schoßhund.
»Diese Kreatur bleibt hier.« Der Welpe jaulte vor Schmerz auf, als Fulk ihn grob aus Johannas Händen riss und ihn auf das nasse Kopfsteinpflaster warf, wo er winselnd hocken blieb.
In zorniger Ohnmacht ballte Johanna die Fäuste und schluckte die Tränen hinunter.
»Versucht, Euch anständig zu benehmen, Johanna«, ermahnte Fulk sie, als er ihr mit einem anzüglichen Grinsen in die Wange kniff. »Aber Ihr werdet ja kaum eine andere Wahl haben, nicht wahr?«
»Möge Gott dich strafen, Fulk!«, flüsterte sie. Es war alles, was sie sich zu sagen traute.
Er lachte und ließ den Vorhang der Sänfte zufallen.
»Reite voran, Edgar.« Ein weiterer Dolchstoß in ihren Rücken, aber in diesem Falle einer, dessen Fulk sich wahrscheinlich nicht bewusst war. Seitdem sie auf Enderby lebte, verfolgte Edgar de Laverton, einer von Fulks Rittern, sie mit seinen Blicken. Mit den verschlagenen Blicken eines Iltises, der ein Eichhörnchen belauerte. Verdammter Fulk! Die Hälfte ihrer Probleme hatte er ihr mit auf den Weg gegeben, aber wenigstens würde sie frei von ihm sein.
Entschlossen richtete sich Johanna auf, als die hölzerne Zugbrücke hinter ihnen hochgezogen wurde. Was immer auch geschehen wird, schwor sie sich, ich werde niemals zurückgehen.
Am nächsten Morgen warf Geraint einen düsteren Blick gen Himmel, ehe er sich zusammennahm und eine Miene voller Dankbarkeit und Demut aufsetzte, um die Lady of Conisthorpe zu begrüßen. Die Arme voll Brennholz stand er vor ihr und fühlte sich ungepflegt angesichts ihrer eleganten Erscheinung.
Lächelnd schlug sie die pelzverbrämte Kapuze mit einer Hand zurück, die in einem Handschuh aus feinstem maurischem Leder steckte, und ließ ihr Pferd auf ihn zutänzeln.
»Ich fragte, wie es Eurem Freund geht«, wiederholte sie und sah mit der Würde einer Göttin aus dem Sattel auf ihn herab. »Befindet er sich auf dem Weg der Besserung?«
Geraint seufzte, lud seine Holzlast im Schutz der Hüttenwand ab und wandte sich dann pflichtgemäß der Lady zu, um die Zügel ihres Pferdes zu halten. »Nein, Mylady, aber er lebt noch.«
Die Dame gab keine Antwort, sondern ließ sich aus dem Sattel gleiten und ging mit energischen Schritten auf die Hütte zu. Wobei sie es ihm überließ, die Aufgabe des Pferdeknechtes zu übernehmen. Geraint nahm sich Zeit, das Pferd anzubinden, während er seine Gedanken ordnete. Ist sie ohne Begleitung ausgeritten?, fragte er sich und schaute sich unbehaglich nach ihren Dienern um. Wer wusste inzwischen von seiner Anwesenheit?
Entschlossen, sich einige Antworten zu holen, ging er ihr nach. Sie stand an Edmunds Lager und betrachtete ihn.
»Du hast ihn also am Leben gehalten«, stellte sie fest und sah prüfend in das Gesicht des Jungen, während sie der alten Christiana einen herzlichen Kuss auf die faltige Wange gab, als wäre diese eine alte Tante. Vielleicht war sie es ja auch.
»Gerade so, gottlob«, brummelte die alte Frau, unbeeindruckt von der Umarmung.
»Ich nehme an, auch wenn er sich ganz erholt, wird es eine Weile dauern, bis er reisefähig ist.«
»Ja, Kind.«
»Ausgezeichnet.«
»Madam?« Ärgerlich presste Geraint die Lippen zusammen.
»Ich hätte vielleicht eine Aufgabe für Euch, Gervase«, erklärte die Lady. »Ich werde morgen wiederkommen. Hast du alles, was du brauchst, Christiana?«
»Ha, außer Frieden und Einsamkeit, meinst du? Mehr sauberes Leinen fürs Verbinden wäre nötig und auch Heilmoos.«
»Ja, natürlich, Christiana, ich werde sofort einen Diener danach ausschicken, und die anderen Sachen wird dir der gute Father Gilbert am Nachmittag bringen.«
»Madam.« Geraint eilte ihr in den hellen Sonnenschein nach. Sie wartete, damit er das Pferd für sie losband. »Ich ...« Er wollte sie darum bitten, Stillschweigen zu bewahren.
»Ja?«
»Sicher ... sicherlich ist es gefährlich für Euch, ohne Eskorte auszureiten, Mylady. Dieser Gesetzlose, der mich ...«
»O ja, der!« Ihre Augen funkelten, als sie Geraints noch unrasiertes Kinn betrachtete. »Haltet Ihr mich für eine Närrin, Master Scholar?«
»Nein, Madam.«
»Meine Diener erwarten mich in der Nähe, macht Euch keine Gedanken.« Sie schaute zu Christiana hinüber und beschrieb mit der Reitgerte einen weiten Bogen, der die Hütte und die umstehenden Bäume umfasste. »Ihr wisst, was für ein Ort dies hier ist?« Geraint schüttelte den Kopf. Er hatte bei seiner Ankunft während der Abenddämmerung wenig von seiner Umgebung erkennen können. »Es ist ein Park für unser Hochwild. Ich habe Dame Christiana die Erlaubnis gegeben, hier zu wohnen, damit sie in dieser Abgeschiedenheit ihre Gebete verrichten und ihre frommen Betrachtungen anstellen kann. Und da sie Störungen verabscheut, haben meine Leute Anweisung, nicht hierher zu kommen. Unser Kaplan, Father Gilbert, kommt zweimal die Woche hierher, um ihr das heilige Abendmahl zu spenden.« Sie hatte ihn also durchschaut. »Beruhigt Euch das, Master Studiosus?«
»Ja, Mylady.«
»Was macht Eure Schulter?«
»Sie heilt, aber ich fürchte, mein Arm ist schlimmer dran.« Leinenbinden bedeckten die entzündete Wunde.
»Glücklicherweise ist es Euer linker Arm. Ich dachte, dass Ihr Dame Christiana dabei behilflich sein könntet, ihre Visionen niederzuschreiben. Immerhin habt Ihr von Euch behauptet, gelehrt zu sein.« Ihr Blick glitt abschätzend von seinen Schuhkappen zu seinem Schlüsselbein. »Sie hat oft Schmerzen in den Händen, die arme Seele, und für Euch wäre es eine Möglichkeit, ihr ihre Mildtätigkeit zu vergelten. Ich nehme an,das dürfte kein Problem für Euch sein?« An ihrem Tonfall merkte man, dass sie ihn eher für ungebildet hielt.
»Nein, Madam.« Geraint sah Überraschung in ihren Augen aufblitzen.
»Ein Student, in der Tat«, murmelte sie. »Nun, sehr gut, in Euch steckt scheint’s mehr, als man Euch ansieht. Eure Hände, Sir.«
Er starrte sie perplex an und brauchte einen Moment, bis er begriff, dass sie darauf wartete, dass er die Hände ineinander verschränkte, um ihren Fuß hineinsetzen und auf ihr Pferd steigen zu können. Als sie im Sattel saß, lächelte sie huldvoll auf ihn herunter, ehe sie eine Sattelrolle löste und ihm diese in einer schwungvollen Geste zuwarf. Überrascht fing Geraint das Bündel auf.
»Diese Kleider werden Euch besser zu Gesicht stehen, denke ich.«
Es waren ein lohfarbenes Hemd und lederne Beinlinge. Bevor er ihr danken konnte, trieb sie ihr Pferd schon in vollem Galopp den Weg hinauf.
»Sie tut, was ihr gefällt, jetzt, da seine Lordschaft leidend ist.« Christiana war unbemerkt neben ihn getreten.
»Leidend?« Bislang war es Geraint gar nicht in den Sinn gekommen, dass Lady Constance noch eine verheiratete Frau war. Könnte sie ihrem Mann von ihm und Edmund erzählt haben? »Was ist denn mit ihrem Mann?« Litt er an Aussatz oder Krätze? Oder an der lähmenden Steifheit, die mit dem Alter kam?
»Es scheint, als wäre Lord Alan von Gott geschlagen worden. Sie sagt, dass er die Sprache verloren hat und alles Gefühl in seiner rechten Körperhälfte.«
»Wann ist das geschehen?«
»Vor ungefähr einer Woche.«
»Und könnt Ihr ihm helfen?«
Christiana schüttelte den Kopf. »Es ist Gottes Wille. Solche Dinge geschehen.«
Die Eskorte aus Enderby näherte sich dem Torhaus von Conisthorpe,
»Mein Liebes!« Johannes Mutter kam die Stufen der neuen Halle heruntergeeilt, so schnell es ihre langen Röcke zuließen. Üblicherweise wartete eine adelige Dame beherrscht und diszipliniert an der Tür, um den Willkommenskuss entgegenzunehmen, doch die Lady von Conisthorpe schuf sich ihre eigenen Regeln. Sie nahm ihre Tochter ungestüm in die Arme, doch als sie deren Widerstand spürte, ließ sie sie wieder los. Nur mit Mühe konnte sie ihre Bestürzung verbergen.
Johanna hatte den unbändigen Wunsch, die Wärme und die Stärke ihrer Mutter zu fühlen, doch während ihres Exils auf Enderby war ihr nicht ein Wort des Erbarmens übermittelt worden, und das Schweigen ihrer Mutter hatte Johanna misstrauisch gemacht – und nachtragend.
»Was ist los?«, flüsterte Lady Constance, die einige Schritt zurückgetreten war.
»Oh, es ist gut, zu Hause zu sein.« Johannas Stimme klang brüchig. Sie raffte ihre Röcke und stieg vor ihrer Mutter die Stufen hinauf. Auf halber Höhe wandte sie sich zu ihr um.
Ihre Mutter war wie festgenagelt auf der untersten Stufe stehen geblieben. Es hatte ihr die Sprache verschlagen.
»Johanna.« Ihre Mutter rang um Fassung, an ihren Wimpern hingen Tränen. Sie war also doch vermisst worden.
»Ich fühle mich, als wäre ich ein Millenium weit weg gewesen, Madam«, sagte Johanna leise. Es war ein Zugeständnis, ein erster Schritt.
Ermutigt ging Lady Constance die trennenden Stufen hinauf und streckte die Hand aus, um den störenden Schleier zurückzuschlagen.
»Nicht jetzt«, wehrte Johanna rasch und mit gespielter Leichtigkeit ab, wobei sie bedeutungsvoll zur Sänfte hinübersah, um ihre Mutter abzulenken. Mit gekrauster Stirn wandte sich Lady Constance gehorsam um. Und ihre Aufmerksamkeit wurde augenblicklich von Edyth gefesselt, die, ihr Eichhörnchen im Arm, im Burghof stand.
»Bei allen Heiligen, musstest du ausgerechnet sie mitbringen?«
»Oh, er hat sie mitgeschickt, damit sie über mich berichten kann. Sie klebt wie ein Klumpen Lehm an meinem Leben. Vielleicht können wir irgendwo einen Eimer Wasser auftreiben.«
Ihre Mutter zog eine Augenbraue hoch, atmete tief durch, setzte ein nichtssagendes Lächeln auf und eilte die Stufen wieder hinunter, um Edyth zu begrüßen.
Für Johanna war es wunderbar, wieder eine Verbündete zu haben. Da Edyth nicht erwartet worden war und erst noch eine geeignete Bettkammer für sie hergerichtet werden musste, schickte ihre organisationsbegabte Mutter den Kaplan von Conisthorpe mit dem unerwarteten Gast in den Garten. Sie trug ihm auf, Edyth alles, wirklich alles Sehenswerte zu zeigen und nichts davon auszulassen. Nachdem sie Johanna in eine der Schlafkammern geführt hatte, die über der neuen Halle eingerichtet worden waren, eilte ihre Mutter davon, um den Rest des Reisegefolges unterzubringen und darauf vorzubereiten, dass man erwartete, dass sie am nächsten Tag nach Enderby zurückkehren würden.
Johanna wollte sich wieder wie das junge Mädchen fühlen, das sie einmal gewesen war. Sie löste das Band aus cremefarbener Seide, das ihr perlenbesticktes Stirnband zusammenhielt, legte den Schleier ab und zog die Nadeln aus den aufgesteckten dunklen Haarflechten, um ihren Kopfschmerz zu lindern.
»Soll ich sie neu flechten, Mylady?«, fragte Agnes beflissen, während ihre Herrin ihre Zöpfe löste.
Johanna schüttelte den Kopf und stieß den Fensterladen auf. Müßig stand sie da und schaute auf den Fluss, der unterhalb der Burg über eine breite Felsenkante hinabstürzte. Der frostkalte Atem des Windes war wie eine körperlich spürbare Bestätigung. Er blies von den Hochmooren herunter, die den Horizont dieser kleinen Welt bildeten.
»Johanna?« Ihre Mutter war zurückgekommen und stand abwartend in der Tür. Sie wirkte nicht so sicher wie sonst.
Johanna schloss den Fensterladen und wandte sich langsam um. Die ganze Schrecklichkeit ihres Aussehens spiegelte sich im entsetzten Gesichtsausdruck ihrer Mutter.
»Allmächtiger Gott!«, rief Lady Constance und bekreuzigte sich. Sie hielt die Hand vor den Mund geschlagen, als sie auf Johanna zuging. »Oh, mein Liebling«, wisperte sie, »tut es sehr weh?«
»Mein ganzer Körper tut mir weh«, entgegnete Johanna kalt. Sie kam rasch auf die Ursache ihres Grolls zu sprechen. »Warum habt Ihr mir nie geschrieben?«
»Aber das habe ich doch.« Lady Constance hob zögernd die Hand, um ihre Tochter zu berühren, ließ sie aber wieder sinken, als sie spürte, wie unwillkommen diese Berührung war. »Du glaubst also –« Sie ging einige Schritte und wandte sich dann wieder Johanna zu. »Lass mich nachrechnen«, sagte sie und tippte mit den Fingerspitzen an ihren Rock, »ja, ein halbes Dutzend Briefe hättest du bekommen müssen. Ich habe sie Father Gilbert diktiert. Frag ihn, wenn du mir nicht glaubst.«
Ihre Tochter schüttelte verzweifelt den Kopf. Fulk oder Edyth mussten die Briefe abgefangen und sie ihr vorenthalten haben.
»Oh, Lämmchen.« Ihre Mutter ahnte, was geschehen war, und öffnete ihre Arme. Johanna warf sich hinein, und die Tränen stürzten hervor, als würde sie innerlich vor Kummer zerfließen.
»Es war schrecklich, Madam, ganz schrecklich. Fragt Agnes. Wenn Ihr doch nur verstehen könntet, wie gut es tut, wieder zu Hause zu sein. Frei zu sein.«
»Aye, Mylady«, schniefte Agnes, »wenn Ihr meine Herrin nur einmal anschaut, Madam, dünn wie eine Haarnadel ist sie geworden. Und fast blind durch die Schuld dieses Teufels.«
Lady Constance wirkte nachdenklich, während sie ihrer Tochter liebevoll den Rücken streichelte.
»Ist er inzwischen tot, dieser Tyrann, der mich unterjocht und zu diesem Satan geschickt hat?« Sie sah, wie ihre Mutter ob der Bitterkeit in ihrer Stimme zusammenzuckte.
»Sprichst du von deinem armen Vater?«
»Ja, von meinem Vater, der immer geschworen hat, dass er mich liebt. Vermutlich hat er meine Klagen für übertrieben gehalten. Es ist eine Schande, dass er erst sterben muss, damit du mich nach Hause holen konntest.«
Ihre Mutter hob das Kinn. »Aber ich habe es geschafft! Du bist doch hier, oder nicht?« Johanna starrte sie aufgebracht an, und Lady Constance sprach rasch weiter: »So wahr Gott mein Zeuge ist, Kind, ich habe es schon früher versucht, aber Lord Alen hat jedes Argument beiseite geschoben, das ich vorgebracht habe: ›Der Ehe muss man Zeit geben‹«, machte sie nach. »›Ihr habt das Mädchen verzogen und verweichlicht. Es wird ihr gut tun, Gehorsam zu lernen – sie ist viel zu eigensinnig.‹ Du weißt, wie er war ... wie er ist.«
»War? Ist?« Johanna starrte ihr Mutter an. »In Gottes Namen, so sagt mir doch endlich, was mit ihm los ist! Wie nah daran ist er, dem Teufel seine abscheuliche Gesellschaft aufzuzwingen?«
Lady Constance wurde traurig. »Er stirbt nicht und doch –«
Panik schoss wieder in Johanna hoch. Sollte es nötig sein, würde sie die Tür zu diesem Schlafgemach verriegeln und sich das Leben nehmen. In ohnmächtiger Verzweiflung ballte sie die Fäuste. »Gott gebe mir die Stärke!«, rief sie zu den gemalten Sternen auf der weiß gekalkten Decke empor. »Entweder man stirbt oder man stirbt nicht!«
»Nein, mein Liebling, versteh doch, es ist eine Art von ... Heimsuchung. Es war ...« Ihre Mutter zuckte mit den Schultern, ihre Handflächen öffneten sich, als vertraute sie darauf, dass der Allmächtige ihr die rechten Worte hineinlegen würde. »Johanna, es war ... ein Blitz. Eben noch war er ganz gesund und dann ... plötzlich ... Was ist los?«
Als Johanna bewusst wurde, dass sie ihre Mutter mit offenem Mund anstarrte, presste sie die Lippen fest zusammen und versuchte, den Wunsch zu unterdrücken, ihre Röcke hochzuheben und in die Kapelle zu laufen, um Gott einen überschwänglichen Dank zu sagen.
Ihre Mutter wirkte ratlos. »Dein Vater war den ganzen Tag mit dem neuen Verwalter ausgeritten – es ging um irgendwelche Schwierigkeiten mit den Dörflern in Kirkbridge –, und er kam in guter Stimmung zurück, gerade rechtzeitig zum Abendmahl. Er ging in die Halle und verlangte nach einem Bier, gesund und munter. Und in der nächsten Sekunde brach er zusammen. Es gab nichts, was wir tun konnten. Ich schickte nach dem Arzt der Cliffords in Skipton, und er kam auch, so schnell er konnte. Aber er sagte, dass man nichts tun könnte. Er ist auf einer Seite gelähmt und kann nicht sprechen.«
»Kann er schreiben?«