Der Ruhm des Kämpfers - Jack London - E-Book

Der Ruhm des Kämpfers E-Book

Jack London

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Ruhm des Kämpfers" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Dennoch war es Vera, der die andern überredete, Rivera die erste, Vertrauen erheischende Aufgabe zu stellen. Die Verbindung zwischen Los Angeles und Niederkalifornien war unterbrochen. Drei von den Kameraden hatten ihre eigenen Gräber graben müssen und waren dann erschossen worden. Zwei weitere saßen als Gefangene der Vereinigten Staaten in Los Angeles."

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Jack London

Der Ruhm des Kämpfers

e-artnow, 2018 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-8440-8

Inhaltsverzeichnis

Der Ruhm des Kämpfers
Der Mexikaner Felipe Rivera
Der Schrei des Pferdes
Wer schlug zuerst?
Das Ende vom Lied
Das Wort der Männer
Die Liebe zum Leben

Der Ruhm des Kämpfers

Inhaltsverzeichnis

Sam Stubener überflog nachlässig und hastig seine Post

Als Boxer-Manager war er gewohnt, sehr verschiedenartige und höchst seltsame Briefe zu erhalten. Alle möglichen verdrehten Menschen, Sportsleute, Sportinteressenten und Sportreformatoren schienen Ideen zu haben, die sie ihm mitteilen mußten.

Von fürchterlichen Bedrohungen seines Lebens bis zu sanfteren Warnungen, daß man ihm die Fassade zu verschandeln gedächte, von Angeboten glückbringender Hasenpfoten und Hufeisen bis zu Angeboten kleiner Barbeträge oder Vermögen bis zu einer Viertelmillion Dollar von unverantwortlichen Unbekannten, kannte er diesen ganzen Schwung von Briefen.

Einmal hatte er einen Abziehriemen für Rasiermesser, aus der Haut eines gelynchten Negers verfertigt, erhalten und ein andermal einen in der Sonne gedörrten, eingeschrumpften Finger, der von der Hand eines Weißen abgehauen und später im »Tal des Todes« gefunden worden war. Sam war ganz sicher, daß der Briefträger nichts mehr bringen konnte, das ihn jemals verwundern würde.

Heute morgen aber befand sich unter den Briefen einer, den er zweimal las, dann in die Tasche steckte, um ihn später wieder herauszuholen und ein drittes Mal zu lesen.

Die Briefmarke trug den Stempel einer Poststation irgendwo im Siskiyou-Bezirk, von der er noch nie etwas gehört hatte, und der Brief lautete:

»Lieber Sam!

Sie kennen mich nicht persönlich, nur dem Namen nach. Sie kamen nämlich erst nach meiner Zeit, als ich schon mit dem Spiel aufgehört hatte. Aber glauben Sie mir, ich habe die Zeit nicht verschlafen. Mir ist nichts entgangen, was den Sport betraf, und ich habe Ihre Karriere verfolgt, seit Sie von Kal Aufman besiegt wurden, bis Sie neulich Pat Nelson losließen, und ich bin der Ansicht, daß Sie der tüchtigste Manager sind, den ich je in unserer Sache getroffen habe.

Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ich biete Ihnen den besten Unbekannten an, der je gelebt hat. Das ist keine Redensart, sondern voller Ernst.

Was meinen Sie zu einem Kerl, der mit der ganzen Bande bis zu zweihundert Pfund fertig wird, zweiundzwanzig Jahre alt ist und einen Schlag im Leibe hat, der doppelt so hart ist wie der beste, den ich seinerzeit leisten konnte?

So ist dieser Junge, und er ist mein Sohn, der junge Pat Glendon – das ist der Name, unter dem er kämpfen soll.

Ich habe den ganzen Plan schon fix und fertig. Und das beste, was Sie jetzt tun können, ist, daß Sie mit dem ersten Zuge herkommen und mit mir reden.

Ich habe ihn selbst erzogen und trainiert. Alles, was ich vom Spiel kenne, habe ich ihm in den Schädel gehämmert. Und Sie werden mir kaum glauben, wenn ich Ihnen sage, daß das, was er selbst hinzugefügt hat, noch bedeutend mehr ist.

Er ist der geborene Boxer. Es ist geradezu fabelhaft, wie er die Entfernung berechnen und den rechten Augenblick abpassen kann. Er irrt sich nicht um einen Zoll und nicht um eine Sekunde, und er braucht nicht einmal zu berechnen, er macht das ganz gefühlsmäßig. In einem seiner kleinen kurzen Schläge aus sechs Zoll Entfernung ist mehr von der richtigen Schlafmedizin als in einem Vollschwinger von all den andern.

Man redet von der Hoffnung der weißen Rasse. Die ist er. Kommen Sie her und schauen Sie sich ihn an. Als Sie Jeffries managten, da waren Sie ganz wild darauf, auf die Jagd zu gehen. Wenn Sie mich besuchen, sollen Sie ein bißchen richtige Jagd und Fischfang erleben, was Sie Ihre Filmeinnahmen vergessen läßt. Der junge Pat soll sich Ihrer annehmen. Ich selbst bin nicht imstande, Sie richtig zu führen.

Das ist auch der Grund, daß ich Ihnen schreibe. Eigentlich hätte ich selbst sein Manager sein wollen. Aber es geht nicht mehr, meine Zeit kann jeden Augenblick um sein. Ich möchte, daß Sie ihn in die Mache nehmen.

Sie können beide ein Vermögen damit verdienen, aber ich will selbst den Kontrakt aufsetzen.

Stets der IhrePat Glendon.«

Stubener war verwundert. Im ersten Augenblick sah die ganze Sache wie ein Spaß aus – die Leute vom Ring galten für große Spaßvögel –, und er studierte die Schrift genau, ob er nicht die feinen Schriftzüge Corbetts oder die großen, Vertrauen einflößenden Buchstaben Fitzsimmons herauserkennen konnte.

War dieser Brief aber echt, so war er es schon wert, daß man sich näher mit ihm beschäftigte.

Pat Glendon war aus der Zeit vor der seinen, aber er konnte sich erinnern, als Kind einmal den alten Pat ein Schauboxen zugunsten Jack Empseys haben geben sehen. Schon damals hatte man ihn den »alten Pat« genannt. Schon seit Jahren war er nicht mehr im Ring. Wer sich für Boxen interessierte, kannte Pat Glendons Namen, wenn auch nur wenige von den heute Lebenden ihn in seiner Glanzperiode gesehen hatten, aber sein Name war in die Geschichte des Boxsports übergegangen, und kein Sportlexikon konnte vollständig genannt werden, wenn nichts über Pat Glendon darin stand.

Sein Ruf schien fast übertrieben zu sein. Kaum jemand hielt man höher in Ehren, und doch wurde er nie Inhaber der Weltmeisterschaft. Er hatte stets Pech gehabt und war zuletzt nur als der »unglückliche Boxer« bekannt. Viermal wäre er fast Schwergewichtsmeister geworden, und jedesmal mit Recht. Da war zum Beispiel der Kampf auf dem Schiff in der Bucht von San Franzisko. Bei dieser Gelegenheit brach er sich den einen Arm, als er gerade im Begriff stand, den Träger der Meisterschaft zu besiegen.

Bei einem andern Kampf auf einer kleinen Themseinsel, wo die Kämpfenden zuletzt in sechs Zoll Wasser herumwaten mußten, weil die Flut zu steigen begonnen hatte, brach er sich im entscheidenden Augenblick ein Bein, als jeder schon sehen konnte, daß er der sichere Sieger war.

In Texas geschah es an einem Tage, den man nie vergessen wird, daß gerade in dem Augenblick, als sein Gegner ihm völlig preisgegeben war, die Polizei eindrang und den Kampf verbot. Und endlich der Kampf in der Maschinenhalle in San Franzisko, wo er einem elenden Schieber von Schiedsrichter und einem ganzen Komplott von Spielern zum Opfer fiel. Bei dieser Gelegenheit kam Pat Glendon nicht zu Schaden, da er seinen Gegner aber mit einem rechten Haken gegen das Kinn und einem linken gegen den Solarplexus k. o. geschlagen hatte, disqualifizierte ihn der Schiedsrichter wegen Tiefschlages.

Jeder einzelne Zuschauer, jeder, der etwas vom Boxen verstand, und die ganze Welt, soweit sie sich für Sport interessierte, wußte, daß es sich hier nicht um ein Foul gehandelt hatte. Aber Pat Glendon war ja wie jeder Boxer verpflichtet, die Entscheidung des Schiedsrichters anzuerkennen, und Pat fand sich in das Geschehene als in etwas, das er seinem gewöhnlichen Pech zu verdanken hatte.

Das war Pat Glendon. Was Stubener aber besonders interessierte, war, ob Pat wirklich den Brief geschrieben hatte oder nicht. Er fuhr damit in die Stadt.

»Was ist aus Pat Glendon geworden?« So begrüßte er alle Sportsleute an diesem Morgen. Niemand schien etwas zu wissen. Einige meinten, er müsse tot sein, aber keiner wußte etwas Bestimmtes. Der Sportredakteur einer Morgenzeitung schlug in der Rekordliste nach und konnte feststellen, daß von seinem Tode nichts vermerkt war.

Erst Tim Donovan brachte ihn auf die Spur.

»Gestorben ist er bestimmt nicht«, sagte Donovan. »Warum hätte er sterben sollen? – ein Mann von seiner Konstitution, der weder trunksüchtig noch rauflustig war! Er hat viel Geld gemacht, und was mehr ist, er hat es gehalten und gut angelegt. Hatte er doch einst drei Kneipen auf einmal. Und als er sie verkaufte, hat er einen schönen Batzen dabei verdient. Übrigens war es damals, als ich ihn das letzte Mal sah. Das ist rund zwanzig Jahre her, wenn nicht mehr. Seine Frau war gerade gestorben. Ich traf ihn, als er zur Fähre ging.

›Wohin, alter Sportsmann?‹ fragte ich. ›Ich gehe in die Wälder‹, sagte er. ›Hier hab' ich nichts mehr zu suchen. Leb wohl, Tim, mein Junge.‹

Und seit dem Tage habe ich nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Aber tot ist er natürlich nicht.«

»Du sagst, das war, als seine Frau starb – hatte er Kinder?« forschte Stubener.

»Ja, eines, ein ganz kleines. An dem Tage trug er es gerade auf dem Arm.«

»War es ein Junge?«

»Wie sollte ich das wissen?«

Da faßte Sam Stubener einen Entschluß, und am Abend saß er in einem Pullmanwagen und war auf dem Wege in die Wildnis Nordkaliforniens.

***

Früh am nächsten Morgen stieg Stubener in Deer Lick aus und trat sich eine Stunde lang die Hacken ab, ehe die einzige Gastwirtschaft ihre Türen öffnete. Der Wirt wußte nichts von Pat Glendon.

Er hatte nie von ihm gehört, und wenn Pat hier in der Gegend lebte, so mußte es irgendwo auf der andern Seite des Tales sein.

Auch der einzige Stammgast hatte nie etwas von Pat Glendon gehört. Im Hotel wußte man ebensowenig, und erst als der Kaufmannsladen und die Post geöffnet wurden, kam Stubener auf die rechte Spur.

Jawohl, Pat Glendon wohnte drüben. Sam müßte die Post bis Stage nehmen – das wäre ein Holzfällerlager, vierzig Meilen von Deer Lick. In Alpine sollte er sich ein Pferd mieten und durch das Antilopental über die Wasserscheide nach dem Bärenbach reiten. Dort wohnte Pat Glendon irgendwo. In Alpine wüßten die Leute sicher Bescheid. Ja, es gäbe einen jungen Pat, der Kaufmann hätte ihn gesehen, er sei vor ein paar Jahren mal in Deer Lick gewesen.

Aber der alte Pat hätte sich seit fünf Jahren nicht gezeigt. Er kaufte seine Waren in der Zweigniederlassung und bezahlte stets mit Schecks – er sei ein wunderlicher, weißhaariger alter Mann.

Das wäre alles, was der Kaufmann wüßte, aber in Alpine könnte er sicher jede gewünschte Auskunft erhalten.

Stubener war ganz zufrieden. Es lebten also zweifellos sowohl ein junger Pat Glendon wie ein alter hier in der Gegend.

Die Nacht verbrachte der Manager im Holzfällerlager von Alpine, und früh am nächsten Morgen ritt er auf einem Gebirgspfad nach dem Antilopental hinauf und kam über die Wasserscheide zum Bärenbach. Er ritt den ganzen Tag durch das wildeste, rauheste Gelände, das er je gesehen hatte, und erreichte bei Sonnenuntergang das Pintotal auf einem Steig, der so steil und schmal war, daß er es mehr als einmal vorzog, abzusteigen und das Pferd am Zügel zu führen.

Es war elf Uhr, als er vor einer Blockhütte abstieg, wo er von dem Bellen zweier riesiger Jagdhunde empfangen wurde. Dann öffnete Pat Glendon die Tür, legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn ins Haus. »Ich wußte, daß Sie kommen würden, Sam, mein Junge«, sagte Pat, während er herumschlurfte, Feuer machte, Kaffee kochte und ein großes Stück Bärenfleisch briet. »Der Junge kommt heute nacht nicht nach Hause. Das Fleisch geht uns aus, und da ist er bei Sonnenuntergang weggegangen, um einen Hirsch zu schießen. Aber ich will Ihnen noch nichts von ihm erzählen. Warten Sie nur, bis Sie ihn sehen. Morgen früh kommt er heim, und dann können Sie draußen einen Versuch mit ihm machen. Dort liegen die Handschuhe. Aber warten Sie nur, bis Sie ihn gesehen haben.

Was mich betrifft, bin ich fertig. Im kommenden Januar werde ich einundachtzig, und das ist recht hübsch für einen früheren Boxer. Aber ich habe auch nie gegen meine Natur gewütet, mich nie spät in der Nacht schlafen gelegt und mein Licht nie an beiden Enden angezündet. Ich hab' ein ganz hübsches Licht gehabt und soviel wie möglich daraus hervorgeholt, wie Sie zugeben werden, wenn Sie mich ansehen. Und das hab' ich auch dem Jungen eingetrichtert.

Ich weiß nicht, was Sie zu einem Burschen von zweiundzwanzig sagen, der noch nie im Leben Alkohol getrunken oder Tabak geschmeckt hat? So ist er. Er ist ein Riese und hat sein Leben lang natürlich gelebt. Warten Sie nur, bis er mit Ihnen auf die Jagd geht! Sie würden einen Herzschlag von dem kriegen, was ihm so leicht wie gar nichts fällt, und dabei können Sie ihn ruhig Ihr ganzes Gepäck und einen großen Rehbock obendrein schleppen lassen. Er ist im Freien aufgewachsen und hat weder Sommer noch Winter je mit einem Dach über dem Kopf geschlafen.

Frische Luft ist das beste für ihn, das hab' ich ihm beigebracht. Und das ist es auch eigentlich, wovor ich die meiste Angst habe: Wie wird es ihm bekommen, in einem Haus zu schlafen, und wie soll er den Tabaksrauch ertragen können, wenn er in den Ring steigt? Das ist so ziemlich das Schlimmste, was ich kenne, dieser Tabaksrauch, wenn man kämpft und nach Luft schnappt!

Aber jetzt genug davon, Sam, mein Junge. Sie sind müde und hätten längst schlafen sollen. Warten Sie, bis Sie ihn sehen, mehr sage ich nicht. Warten Sie, bis Sie ihn sehen!«

Aber die Geschwätzigkeit des Alters war über Pat gekommen, und es dauerte noch lange, bis er Stubener erlaubte, die Augen zu schließen.

»Er kann mit seinen Beinen einen Hirsch einholen, der Bengel«, rief er wieder. »Das ist gerade das rechte Training für die Lunge, das Jägerleben. Sonst weiß er nicht viel, wenn er auch ein paar Bücher mit so poetischem Zeug gelesen hat. Er ist der reine Naturmensch, wie Sie selber sehen werden, wenn Sie ihn erst vor Augen haben. Die alte irische Kraft ist in ihm.

Manchmal, wenn er so herumschwärmt, liegt der Gedanke nahe, daß er an Märchen und dergleichen glaubt. Er liebt die Natur so heiß wie nur einer, aber vor den Städten hat er Angst. Er weiß von ihnen nur das, was er von ihnen gelesen hat, und die größte, die er kennt, ist Deer Lick. Es gefiel ihm nicht, daß dort so viele Menschen waren. Das ist jetzt zwei Jahre her, und dort sah er das erste und letzte Mal eine Eisenbahn.

Manchmal denke ich, ob es nicht falsch von mir war, daß ich ihn so erzogen habe. Aber er hat doch dadurch eine gute Lunge und Ausdauer und Kraft wie ein Ochse gekriegt. Ich möchte den Städter sehen, der ihm gegenüber etwas ausrichten könnte. Ich möchte wetten, daß ihm selbst Jeffries in seiner besten Zeit nicht allzuviel zu schaffen gemacht haben würde. Der Bengel würde ihn geknickt haben wie einen Strohhalm. – Dabei sieht er gar nicht danach aus. Das ist das ewige Wunder! Scheinbar ist er nur ein Knabe; aber die Muskeln sind von der rechten Art, das ist der Witz. Warten Sie nur, bis Sie ihn sehen, mehr sage ich nicht.

Merkwürdig, welche Vorliebe der Junge für Poesie hat, für kleine Wiesen, für ein paar Fichten mit dem Mond darüber, für wolkige Sonnenuntergänge oder für Sonnenaufgänge, vom Gipfel des alten Baldy aus gesehen. Und er ist ganz verrückt nach Zeichnungen und nach Ergüssen von ›Lucifer oder Nacht‹, wie er sie aus den Gedichtbüchern kennt, die er sich von der rothaarigen Lehrerin lieh.

Ein gutes ist, daß er weiberscheu ist. Für die ersten Jahre wird er sich nicht mit ihnen abgeben. Er hat gar kein Verständnis für diese Geschöpfe, und im übrigen verflucht wenige davon gesehen.

Da war die Schullehrerin von Samsons Flat, die ihm all diese Poesie in den Kopf gesetzt hat, sie war wie verrückt hinter dem Jungen her, aber er merkte es gar nicht. Sie war ein warmherziges Mädel – nicht aus den Bergen, sondern aus der Ebene – und sie wurde allmählich ganz wild, so daß man sich schämen mußte, wie sie hinter ihm her war.

Und was meinen Sie, was der Junge tat, als er die Geschichte merkte? Er kriegte es mit der Angst wie ein Hase, packte Decken und Munition zusammen und machte, daß er in die Wälder kam.

Einen Monat lang sah und hörte ich nichts von ihm, dann kam er eines Abends, als es dunkel geworden war, aber am nächsten Morgen war er wieder weg. Ihre Briefe wollte er nicht mal angucken.

›Verbrenn sie‹, sagte er.

Und ich verbrannte sie.

Zweimal kam sie den ganzen Weg von Samsons Flat hierher geritten, mir tat das junge Ding direkt leid. So verrannt war sie in den Bengel, daß jeder es ihr ansehen konnte.

Nach drei Monaten gab sie dann die Schule auf und ging wieder in ihre Heimat, und erst da kam der Junge zu mir zurück.

Die Weiber haben manchen guten Boxer auf dem Gewissen, aber ihn werden sie nicht verderben. Er wird rot wie ein Mädel, wenn irgendein junges Ding in Röcken ihn auch nur eine Sekunde zu lange anguckt. Und sie gucken ihn alle an.

Wenn er aber kämpft, wenn er kämpft! – Herrgott, dann meldet sich der alte irische Urmensch in ihm und setzt seine Arme in Gang.

Nicht daß er durchdrehte! Glauben Sie das nicht. In meiner besten Zeit war ich nicht so kaltblütig wie er. Ich glaube, an meinem Pech war immer mein übergroßer Eifer schuld.

Aber er ist wie ein Eisberg. Er ist heiß und kalt zugleich, ein Feuerherz in einer Eisbrust.«

Stubener war eingenickt, als das Geschwätz des Alten ihn wieder weckte. Er hörte schläfrig zu.

»Ich hab, weiß Gott, einen Mann aus ihm gemacht. Ich hab einen Mann aus ihm gemacht mit zwei Fäusten, die er zu gebrauchen weiß, einem Paar Beinen, auf denen er stehen kann, und einem Paar scharfer Augen.

Und ich kenne den Sport, ich bin mit der Zeit gegangen und kenne die modernen Methoden.

Crouch? Sicher, er weiß, wie man seine Kräfte schont. Er bewegt sie nie um zwei Zoll, wenn anderthalb genügen. Und wenn er will, kann er wie ein Känguruh springen.

Infighting? Warten Sie nur, bis Sie ihn sehen! Ich sage Ihnen, ich habe ihm alles beigebracht, jeden Trick, und was er gelernt hat, das hat er selbst noch verbessert.

Er ist das reine Boxgenie. Und er hat oft Gelegenheit gehabt, es mit den rohen Kerlen aus den Bergen zu probieren.

Ich lehrte ihn die Kunst, und sie lehrten ihn das Schlagen – da gibt es keinen, der einem Streit aus dem Wege geht. Brüllende Ochsen und große Grizzlybären sind sie, sie hauen beim Clinchen und haben mächtige Schwinger.

Und er spielt mit ihnen, wie Sie und ich mit jungen Hunden spielen würden.«

Als Stubener wieder einmal aufwachte, hörte er den Alten schwatzen.

»Und das Komische bei der Sache ist, daß er das Boxen gar nicht ernst nimmt. Es fällt ihm zu leicht, es ist eine Spielerei für ihn. Aber wenn es mal ernst wird, dann werden Sie sehen. Ich sage nur: Warten Sie es ab. Dann werden Sie sehen, wie der Saft, der in ihm eingefroren war, aufbraust und wie alles, was er gelernt hat, an den Tag kommt.«

In der kühlen grauen Dämmerung der Berge wurde Stubener von dem alten Pat aus den Decken gejagt. »Jetzt kommt er«, flüsterte er heiser. »Heraus mit Ihnen, und sehen Sie sich den größten Boxer an, der jemals in den Ring steigt.«

Der Manager sah, sich den Schlaf aus den Augen reibend, zur offenen Tür hinaus und erblickte einen jungen Riesen in der Lichtung.

In der einen Hand hielt er ein Gewehr, und über den Schultern lag ein schwerer Hirsch. Der junge Jäger war derb gekleidet, trug einen blauen Overall und ein wollenes, am Halse offenes Hemd, an den Füßen Mokassins.

Stubener bemerkte, daß sein Gang leicht und weich wie der einer Katze war trotz seiner zweihundert Pfund und dem Gewicht des Hirsches. Gleich der erste Anblick machte Eindruck auf den Manager. Herrlich gewachsen war der junge Bursche sicher, aber der Beobachter sah noch etwas Merkwürdiges und Ungewöhnliches an ihm.

Er war ein neuer Typ, ganz anders als der große Haufen der übrigen Boxer. Dies war ein Geschöpf aus dem Urwald, mehr ein umherschweifender Naturmensch aus den alten Sagen als ein junger Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert.

Eines entdeckte Stubener sehr bald: Der junge Pat war kein Schwätzer. Als der alte Pat die Vorstellung erledigt hatte, drückte er ihm wortlos die Hand und begann schweigend Feuer zu machen und das Frühstück zu bereiten. Die Fragen seines Vaters beantwortete er einsilbig. Als der Vater ihn zum Beispiel fragte, wo er den Hirsch erlegt hätte, antwortete er nur:

»South Fork.«

»Elf Meilen über die Berge«, erklärte der Alte dem Manager stolz, »und ein Weg, daß Sie einen Herzschlag gekriegt hätten.«

Das Frühstück bestand aus schwarzem Kaffee, Brot und einer ungeheuren Menge von über den Kohlen gebratenem Bärenfleisch.

Der junge Mann machte sich gierig darüber her, und Stubener zog den Schluß, daß beide Glendons fast ausschließlich von Fleisch lebten.

Der alte Pat besorgte die ganze Unterhaltung, aber erst nach beendeter Mahlzeit kam er auf das zu sprechen, was ihm am Herzen lag.

»Pat, mein Junge«, begann er. »Du weißt ja, wer der Herr ist.«

Der junge Pat nickte und warf einen schnellen verstehenden Blick auf den Manager.

»Na ja, er will dich also mit nach San Franzisko nehmen.«

»Ich möchte lieber hierbleiben, Vater«, lautete die Antwort.

Stubener fühlte sich enttäuscht. Der Schein hatte also getrogen. Dies war also gar kein Boxer, der auf Kampf versessen war. Seine mächtigen Muskeln galten nichts. Das war nichts Neues. Das waren diese großen Kerle, die meistens mit der Zeit dick wurden. Aber jetzt flammte der Zorn des alten Pat auf, und seine Stimme klang hart und gebieterisch:

»Du wirst in die Städte gehen und kämpfen, mein Junge. Dazu hab' ich dich erzogen, und du wirst es tun.«

»Gut«, lautete die unerwartete Antwort, die gleichgültig aus tiefer Brust kam.

»Und kämpfen wie der Deubel«, fügte der Alte hinzu. Wieder war Stubener enttäuscht über den Mangel an Feuer und Begeisterung in den Augen des jungen Mannes, als er antwortete:

»Gut, wann reisen wir ab?«

»Sam möchte erst ein bißchen auf die Jagd gehen und fischen, und er möchte auch gern mal einen Gang mit dir versuchen.«

Er sah Sam an, und der nickte.

»Ich denke, du ziehst dir das Hemd aus und gibst ihm eine kleine Probe von deinem Können.«

Eine Stunde später waren Sam Stubener die Augen geöffnet. Früher selbst Boxer, und zwar Schwergewichtler, war seine Stärke doch die Beurteilung von Boxern, und noch nie hatte er einen Mann gesehen, der solche Vorzüge aufzuweisen hatte.

»Sehen Sie seine Geschmeidigkeit«, sang der alte Pat sein Loblied. »Er ist aus dem richtigen Stoff gemacht. Sehen Sie die Schräge seiner Schultern und seine Brust! Sauber, alles ist sauber, und nicht ein schlechter Blutstropfen ist in ihm. So einen Mann wie den da haben Sie noch nie gesehen, Sam. Nicht eine Muskel in ihm ist steif. Und dabei macht er kein Gewichtstemmen oder Sandowsche Übungen. Seine Muskeln sind wie weiche Schlangen, die sich träge unter der Haut winden. Er steht seine vierzig Runden und, wenn es sein muß, auch hundert. Also los! Time!«

Sie boxten in Drei-Minuten-Runden mit je einer Minute Pause, und Sam Stubener wurde diesmal nicht enttäuscht.

Jetzt gab es kein Fett, keine Interesselosigkeit mehr, nur ein fast zögerndes, gutmütiges Spiel mit den Handschuhen, und dabei eine Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit und Härte, wie es nur – das wußte Sam – der geübte Boxer mit dem richtigen Instinkt zeigen konnte.

»Leicht, immer leicht«, warnte der alte Pat. »Sam ist nicht mehr wie früher.«

Das reizte Sam nur, was auch beabsichtigt gewesen war, und er versuchte es jetzt mit seinen berühmten Tricks und seinem Lieblingsschlag – eine Finte, als wolle er in Clinch gehen, und dann ein gerader Rechter in die Magengrube.

Aber so schnell er auch war, der junge Pat sah es doch und ging zurück, als sein Gegner den Schlag landete. Das nächste Mal aber ging er nicht zurück. In dem Augenblick, als Sam zu dem Schlage ansetzte, machte er eine Bewegung seinem Gegner entgegen und kehrte ihm die Hüfte zu.

Er drehte sich nur um wenige Zoll, aber er blockte dadurch den Schlag. Und jetzt konnte Stubener es, so oft er wollte, versuchen, sein Handschuh traf immer nur die Hüfte.

Stubener hatte seinerzeit gegen manchen großen Boxer gestanden, und in Schaukämpfen hatte er immer seinen Mann gestellt. Hier aber sah er sich verraten und verkauft. Der junge Pat spielte mit ihm und ließ ihn sich beim Clinch kraftlos wie ein kleines Kind fühlen. Sein Gegner landete seine Schläge anscheinend ganz nach Belieben; faßte und blockte ihn mit meisterhafter Genauigkeit und dabei fast, als nähme er gar keine Notiz von seiner Existenz. Während der Hälfte der Zeit schien der junge Pat träumerisch die Landschaft um sich her zu betrachten.

Und gerade da beging Stubener wieder einen Fehler. Er hielt das für einen Trick, den der alte Pat seinem Sohn beim Training beigebracht hatte, und versuchte unerwartet einen kurzen Stoß mit gebeugtem Arm zu landen. Aber im selben Augenblick saß sein Arm fest, und er bekam zum Dank für seine Mühe ein paar Ohrfeigen mit dem flachen Handschuh.

»Er weiß instinktiv, wenn ein Schlag kommt«, grunzte der alte Pat. »Das hab' ich ihm nicht beigebracht, will ich Ihnen sagen. Er ist der reine Hexenmeister. Er weiß, ohne hinzugucken, wann der Schlag kommt, wie schnell er ist und wie weit er reicht. Es ist die reine Inspiration. Es ist angeboren.«

Bei einem überraschenden Clinch stemmte der Manager seinen Handschuh dem jungen Pat gegen den Mund, und die Art und Weise, wie er das machte, war nicht ganz ohne eine gewisse Tücke. Aber einen Augenblick später, beim nächsten Clinch, wurde Sam der Handschuh des andern selbst gegen den Mund gepreßt. Das geschah durchaus nicht gewaltsam, aber durch den langsamen, gleichmäßigen Druck wurde der Kopf ihm zurückgepreßt, bis ihm die Halswirbel knackten und er glaubte, das Genick gebrochen zu haben. Er ließ seinen Körper schlaff werden und die Arme sinken, zum Zeichen, daß der Kampf beendet war. Im selben Augenblick fühlte er sich frei und taumelte zurück.

»Er ist – er ist richtig«, ächzte er, und sein Blick zeigte die Bewunderung, die in Worten auszudrücken ihm der Atem fehlte.

Die Augen des alten Pat schimmerten feucht vor Stolz und Freude.

»Und was, meinen Sie, geschieht, wenn irgend so ein verfluchter Kerl den gemeinen Kniff im Ernst an ihm versucht?« fragte er.

»Er bringt ihn um, bestimmt«, meinte Stubener.

»Nein, dazu ist er zu kaltblütig; er gibt ihm nur seine Strafe für die Dreckigkeit.«

»Also lassen Sie uns den Kontrakt aufsetzen«, sagte der Manager.

»Warten Sie, bis Sie ganz über ihn Bescheid wissen!« antwortete der alte Pat. »Es sind schwere Bedingungen, die ich stellen werde. Gehen Sie jetzt erst mal mit dem Jungen auf die Hirschjagd in den Bergen und lernen Sie seine Lunge und seine Beine kennen. Nachher wappnen Sie sich und unterschreiben den Kontrakt.«

Stubener war zwei Tage lang auf dieser Jagd und erfuhr noch mehr, als der alte Pat ihm versprochen hatte.

Vollkommen erschöpft und sehr klein kam er zurück. Die Unwissenheit des jungen Mannes in bezug auf die Welt hatte den abgebrühten Sam in Erstaunen gesetzt, aber er hatte doch gemerkt, daß er sich von niemand an der Nase nehmen ließ.

Sein Geist war jungfräulich, unberührt von allem, außer den Erfahrungen, die die nahen Berge ihm schenken konnten, und doch erwies er sich im Besitz von Scharfsinn und Verschlagenheit über den Durchschnitt hinaus.

Auf seine Weise war er ein Rätsel für Sam, der den unerschütterlichen Gleichmut des jungen Mannes nicht verstehen konnte. Nichts war ihm unangenehm, über nichts konnte er sich ärgern, und seine Geduld war von einer nie versagenden Einfalt. Nie fluchte er, nie gebrauchte er die üblichen nichtssagenden Kraftworte, die junge Leute seines Alters stets im Munde führten.

Der alte Pat schloß den Vertrag und verabschiedete sich vor dem Hause von ihnen.

»Es wird nicht lange dauern, bis ich in den Zeitungen über dich lese, Pat, mein Junge. Ich würde dich am liebsten begleiten, aber ich glaube doch, es ist am besten für dich, wenn ich bis ans Ende meiner Tage hier in den Bergen bleibe.«

Und dann zog der Alte den Manager beiseite und wandte sich in fast drohendem Ton an ihn:

»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen immer wieder gesagt habe. Der Junge hat ein reines und ehrliches Herz. Er weiß nichts von den Schiebungen beim Sport. Davon hab' ich ihm nie was erzählt, will ich Ihnen sagen. Er kennt den Schwindel nicht. Er kennt nur die Tapferkeit, die Romantik und den Ruhm des Kämpfers, denn ich habe ihm tausend Geschichten von den alten Helden des Rings erzählt, obgleich das wenig genug geholfen hat, ihn zu begeistern.

Mann, Mann, ich sage Ihnen, ich habe die Sportberichte aus den Zeitungen ausgeschnitten, unter dem Vorwand, daß ich sie für mein Sammelbuch brauchte, nur damit er sie nicht lesen sollte. Daher hat er nie etwas von Boxern gehört, die aufgaben oder sich absichtlich besiegen ließen. Bringen Sie dem Jungen nichts Schlechtes bei.

Das ist der Grund, daß ich den Ungültigkeitsparagraphen in den Kontrakt eingefügt habe. Die erste Schiebung stößt den Kontrakt um. Keine verabredete Kassenteilung. Keine geheimen Vereinbarungen mit Filmleuten, die eine gewisse Dauer der Kämpfe für ihre Aufnahmen garantiert haben wollen.

Es bleibt noch genug Geld zu verdienen für euch beide. Aber ehrliches Spiel, oder es ist aus. Haben Sie mich verstanden?«

Und als eine letzte Ermahnung an den jungen Pat, der schon zu Pferde saß und das Tier pflichtschuldig zügelte, um zu hören, sagte der alte Pat:

»Und was auch immer geschieht, nimm dich vor den Weibern in acht. Weiber bedeuten Tod und Verdammung, vergiß das nicht. Wenn du aber die eine, die einzige findest, dann lasse sie nicht. Sie wird mehr für dich sein als Geld und Ruhm.

Aber zuerst mußt du deiner Sache sicher sein, ganz sicher, und wenn du das bist, dann lasse sie nicht wieder aus den Fingern. Halte sie fest mit beiden Händen und laß nicht locker. Halt sie fest, und wenn die Welt zusammenstürzt.

Pat, mein Junge, eine gute Frau ist ... nun eben eine gute Frau. Das ist mein erstes Wort und mein letztes.«

***

Kaum waren sie in San Franzisko, so begannen auch schon die Schwierigkeiten für Sam Stubener. Nicht, daß der junge Pat unfreundlich oder träge gewesen wäre, wie sein Vater gefürchtet hatte. Im Gegenteil, er war unsagbar milde und sanft. Aber er hatte Heimweh nach seinen geliebten Bergen, und dann stieß die Stadt ihn im geheimen ab, wenn er auch ihre lärmenden Straßen mit der Unermüdlichkeit eines Indianers durchstreifte.

»Ich bin hierhergekommen, um zu boxen«, verkündete er nach Ablauf der ersten Woche. »Wo ist Jim Hanford?«

Stubener stieß einen leisen Pfiff aus.

»Ein großer Champion wie der sieht Sie gar nicht an«, lautete die Antwort. »›Geh erst, und schaff dir einen Namen‹, würde er sagen.«

»Ich kann ihn besiegen.«

»Aber das weiß das Publikum nicht. Wenn Sie ihn besiegten, würden Sie Weltmeister sein, und das ist noch keiner bei seinem ersten Kampf geworden.«

»Ich kann es.«

»Aber das weiß das Publikum nicht. Es würde niemand kommen, um sich den Kampf anzusehen. Und die Zuschauer sind es doch, die das Geld und die großen Börsen bringen. Das ist auch der Grund, daß Jim Hanford nicht eine Sekunde daran denken würde, mit Ihnen zu kämpfen. Bei einem solchen Kampf könnte er nichts verdienen.

Außerdem verdient er jetzt gerade dreitausend wöchentlich an einem Varieté. Glauben Sie, darauf würde er verzichten, um mit einem Mann zu kämpfen, den kein Mensch kennt?

Zuerst müssen Sie mal was geleistet haben, eine Rekordliste aufweisen. Sie müssen mit den kleinen lokalen Größen anfangen, die die weitere Öffentlichkeit nicht kennt, Vogelscheuchen wie Klempner-Collins, Kittchen-Kelly und dem Fliegenden Holländer.

Wenn Sie die erledigt haben, dann stehen Sie erst auf der untersten Sprosse der Leiter. Aber dann werden Sie auch steigen wie ein Luftballon.«

»Ich will mit den dreien hintereinander im selben Ring antreten«, sagte Pat. »Arrangieren Sie die Sache nur.«

Stubener lachte.

»Warum lachen Sie? Glauben Sie nicht, daß ich mit denen fertig werde?«

»Das weiß ich, daß Sie das können«, versicherte Stubener ihm. »Aber so läßt sich das nicht machen. Sie müssen sich immer einen zur Zeit vornehmen. Vergessen Sie nicht, daß ich das Geschäft verstehe. Es muß alles genau zurechtgelegt werden, und ich weiß, wie. Wenn alles klappt, können Sie in einem Jahr oben sein, Weltmeister werden und Geld scheffeln.«

Pat seufzte über diese Aussicht, dann aber klärte sich sein Gesicht auf. »Und dann kann ich mich zurückziehen und wieder nach Hause zu dem Alten gehen.«

Stubener wollte antworten, besann sich aber. War dieser Anwärter auf die Meisterschaft auch recht sonderbar, so war er doch davon überzeugt, daß der junge Mann, wenn er das Ziel erst erreicht hatte, genau so werden würde wie die andern, die es so weit gebracht hatten, wie sie konnten. Außerdem waren zwei Jahre eine lange Zeit, und unterdessen konnte viel geschehen.

Als Pat sich in der Gegend herumzutreiben begann und unaufhörlich Gedichtbücher und Romane las, die er sich aus einer öffentlichen Bibliothek holte, schickte Stubener ihn auf eine Ranch auf der andern Seite der Bucht, wo er unter der Aufsicht von Spider Walsh leben sollte.

Aber nach einer Woche kam Spider und erklärte, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sein Zögling war von morgens bis abends verschwunden, war über alle Berge, angelte Forellen in den Gebirgsbächen, schoß Wachteln und Kaninchen und schoß den einsamen Rehbock, der Dutzenden von Jägern, die es auf ihn abgesehen hatten, entgangen war.

Spider saß faul herum und wurde dick, während sein Zögling gut in Form blieb.

Es ging, wie Stubener erwartet hatte. Die Manager der Boxklubs lachten, wenn er mit seinem neuen Mann kam. Waren die Wälder nicht voll von Unbekannten, die sich plötzlich für die Meisterschaftskämpfe meldeten? Einen Kampf auf vier Runden, um das Programm zu füllen ja, darüber ließ sich reden. Aber als Hauptnummer – nie.

Stubener hatte sich indessen in den Kopf gesetzt, daß der junge Pat gerade als Hauptnummer anfangen sollte, und durch das Gewicht seines eigenen Namens setzte er es schließlich durch. Nach vielem Hin und Her willigte der Missionsklub ein, Pat Glendon auf fünfzehn Runden gegen Zuchthaus-Kelly zu stellen, und zwar um eine Börse von hundert Dollar.

Es war etwas ganz Übliches, daß junge Boxer die Namen der alten Helden des Rings annahmen, und deshalb kam keiner auf den Gedanken, daß der junge Pat ein Sohn des großen Pat Glendon sein könnte. Stubener sagte auch nichts davon. Es konnte später gut als Sensation für die Presse gebraucht werden.

Einen Monat mußten sie warten, dann kam endlich der Abend, an dem der Kampf stattfinden sollte. Stubener war sehr nervös. Er hatte seinen Namen dafür eingesetzt, daß sein Schützling eine Sehenswürdigkeit wäre, und zu seinem Entsetzen sah er jetzt, daß Pat, als er kaum fünf Minuten in seiner Ecke des Ringes gesessen hatte, die Farbe verlor und ganz fahl wurde.

»Kopf hoch, mein Junge«, sagte Stubener und klopfte ihm auf die Schulter. »Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn man das erste Mal im Ring steht, und Kelly hat den Trick, daß er seinen Gegner warten läßt, in der Hoffnung, daß er Lampenfieber kriegt.«

»Das ist es nicht«, antwortete Pat. »Es ist der Tabakrauch. Ich bin ihn nicht gewohnt, und er macht mich ganz krank.«

Der Manager atmete erleichtert auf. Wenn es nur der Tabakrauch war – an den würde sich der Junge schon gewöhnen.

Der Eintritt des jungen Pat in den Ring erfolgte unter allgemeinem Schweigen, während Zuchthaus-Kelly mit ohrenbetäubendem Beifall begrüßt wurde, als er unter den Seilen hindurchkletterte.

Er war ein Mann von wirklich furchteinflößendem Aussehen, dunkelhäutig, stark behaart und mit gewaltigen Muskeln, der gut hundertachtzig Pfund wog. Pat betrachtete ihn neugierig und mußte dafür einen bösen Blick einstecken.

Als sie beide dem Publikum vorgestellt waren, mußten sie sich die Hände reichen. Und sogar, als ihre Handschuhe sich berührten, knirschte Kelly mit den Zähnen, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, und er knurrte:

»Du hast doch wohl keine Angst?«

Roh schlug er Pats Hand beiseite und zischte:

»Ich will dich bei lebendigem Leibe fressen, du kleiner Köter.«

Das Publikum lachte; es hatte erraten, was Kelly gesagt haben mußte, und freute sich darüber.

Als Pat wieder in seine Ecke kam, um dort auf den Schlag des Gongs zu warten, wandte er sich zu Stubener und fragte:

»Warum ist er böse auf mich?«

»Das ist er gar nicht«, antwortete Stubener. »Das ist seine Art, er will versuchen, Sie einzuschüchtern. Das ist nur Großmäuligkeit.«

»Aber das ist doch kein Boxen«, meinte Pat, und Stubener, der einen schnellen Blick auf ihn warf, bemerkte, daß seine blauen Augen so mild wie immer waren.

»Aber passen Sie auf!« warnte er Pat, als der Gong zur ersten Runde ertönte. »Er wird wie ein Menschenfresser auf Sie losgehen.«

Und wie ein Menschenfresser ging Kelly auf ihn los, schoß in wilder Wut durch den Ring.

Pat, der in seiner leichten Art nur zwei Schritte vorwärts gemacht hatte, berechnete die Schnelligkeit des andern, tanzte seitwärts und landete einen rechten Kinnhaken. Dann blieb er stehen und wartete neugierig, was da kommen würde.

Der Kampf war aus. Kelly war wie ein vor die Stirn geschlagener Ochse auf den Boden gegangen und lag da, ohne sich zu rühren. Der Schiedsrichter beugte sich über ihn und zählte mit lauter Stimme die zehn Sekunden aus.

Als Kellys Sekundanten nach Ablauf der zehn Sekunden in den Ring sprangen, um ihn fortzutragen, kam Pat ihnen zuvor. Er las das große, schlaffe menschliche Bündel auf und trug es in die Ecke des Ringes, wo er es auf den Stuhl setzte und den Sekundanten zu weiterer Behandlung überließ.

Nach einer halben Minute hob Kelly den Kopf und öffnete die Augen. Er sah sich verwirrt im Saal um, dann wandte er sich zu dem einen seiner Sekundanten.

»Was ist geschehen?« fragte er heiser. »Ist das Dach über mir eingestürzt?«

***

Im allgemeinen herrschte die Ansicht, Pat habe lediglich durch einen Zufall gesiegt, aber trotzdem verschaffte der Sieg über Kelly ihm doch einen Kampf mit Rufe Mason.

Dieser Kampf wurde drei Wochen später vom Sierra-Klub in Dreamland Rink arrangiert, aber das Publikum bekam nicht zu sehen, was geschah.

Rufe Mason war ein Schwergewichtler, der in gewissen Kreisen seiner Tüchtigkeit wegen einen guten Ruf genoß. Als der Gong das Zeichen zum Beginn der ersten Runde gegeben hatte, trafen sich die beiden in der Mitte des Ringes. Keiner von ihnen griff an, keiner schlug zu, sie umschlichen sich mit gebeugten Armen einander so nahe, daß ihre Handschuhe sich fast berührten.

Dann geschah es und so schnell, daß kaum einer von hundert Zuschauern es sah. Rufe Mason machte mit der Rechten eine Finte. Es war augenscheinlich nicht einmal eine richtige Finte, nur ein Versuch, einen Ausfall vorzutäuschen.

In diesem Augenblick landete Pat seinen Schlag. Sie waren so dicht aneinander, daß ein freier Raum von kaum zwanzig Zentimetern vorhanden war, und es war ein Haken mit dem linken Vorderarm, von einer Schulterdrehung begleitet.

Der Schlag traf Rufe Masons Kinn, und das erstaunte Publikum sah, wie die Beine des Mannes nachgaben und er auf der Stelle, wo er stand, zusammenbrach. Der Schiedsrichter hatte genug gesehen und begann gleich zu zählen, und wieder trug Pat den Gegner an seinen Platz. Als Rufe Mason zehn Minuten später imstande war, den Ring zu verlassen, mußten seine Sekundanten ihn stützen, seine Knie waren noch schlaff und seine Augen matt.

»Kein Wunder«, sagte er später zu seinen Sekundanten, »daß Zuchthaus-Kelly glaubte, das Dach wäre über ihm eingestürzt.«

Nachdem Pat auch Klempner-Collins in der zwölften Sekunde der ersten Runde eines Matches von fünfzehn Runden k. o. geschlagen hatte, sah Stubener sich genötigt, mit Pat Glendon zu reden.

»Wissen Sie, wie die Leute Sie nennen?« fragte er. Pat schüttelte den Kopf.

»Den Einschlag-Glendon.«

Pat lächelte höflich. Es interessierte ihn durchaus nicht, wie die Leute ihn nannten. Er wußte, daß er eine gewisse Arbeit zu leisten hatte, ehe er in seine Berge zurückkehren konnte, und er tat diese Arbeit, ohne sich weiter aufzuregen, das war alles.

»Das geht nicht«, fuhr der Manager fort und schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. »Sie können die Leute nicht immer gleich k. o. schlagen. Sie müssen ihnen mehr Zeit lassen.«

»Bin ich denn nicht hier, um zu kämpfen?« fragte Pat überrascht.

Wieder schüttelte Stubener den Kopf.

»Die Sache ist so, Pat, Sie wollen doch als guter und großmütiger Boxer gelten. Bringen Sie nicht alle andern Boxer gegen sich auf. Und es ist auch nicht anständig gegen das Publikum. Das will was sehen für sein Geld. Und es endet noch damit, daß Sie keinen finden, der gegen Sie antreten will. Sie kriegen es ja alle mit der Angst. Und Zehn-Sekunden-Kämpfe ziehen nicht. Bitte, sagen Sie selbst: Würden Sie einen Dollar oder gar fünf bezahlen, um einen Kampf zu sehen, der nicht mehr als zehn Sekunden dauert?«

Pat sah es ein und versprach, dem Publikum etwas für sein Geld zu geben, wenn er es auch nicht begriff; er persönlich ging lieber fischen, als daß er sich einen Boxkampf von hundert Runden ansah.