Der Sarg / Das Rachespiel / Das Dorf - Drei Strobel-Thriller in einem Band - Arno Strobel - E-Book

Der Sarg / Das Rachespiel / Das Dorf - Drei Strobel-Thriller in einem Band E-Book

Arno Strobel

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Beschreibung

Drei Thriller von SPIEGEL-Bestsellerautor Arno Strobel in einem Band Der Sarg: Eine junge Frau hat einen immer wiederkehrenden Traum. Sie wacht in einem Sarg auf, sie ist gefangen, hilflos, panisch. Sie kämpft, will sich befreien und liegt irgendwann einfach wieder in ihrem Bett. Als sei nichts geschehen. Doch da sind Blutergüsse und Kratzspuren an ihren Händen, Armen und Beinen … Das Rachespiel: Frank Geissler glaubt an einen Scherz, als er die Website aufruft: Ein Mann, nackt, am Boden festgekettet, in Todesangst. Daneben ein Käfig voller Ratten, unruhig, ausgehungert. Frank kann den Mann retten, wenn er Teil des »Spiels« wird. Einem Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht – für Frank, für seine Frau. Und für seine Tochter … Das Dorf: Auf der Suche nach seiner verschwundenen Freundin strandet Bastian Thanner in einem Dorf, das ihm von Anfang an unheimlich ist. Dort deuten überall Spuren auf Anna, doch niemand will ihm weiterhelfen. Bis zu dem Abend, als Bastian Zeuge einer schrecklichen Zusammenkunft wird. Und auf den Mann trifft, der genau weiß, was mit Anna geschehen ist …

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Seitenzahl: 1206

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Arno Strobel

Im Angesicht des Grauens: Die Bestseller »Der Sarg«, »Das Rachespiel« und »Das Dorf« in einem E-Book

 

 

Über dieses Buch

 

 

Der Sarg:

Eine junge Frau hat einen immer wiederkehrenden Traum. Sie wacht in einem Sarg auf, sie ist gefangen, hilflos, panisch. Sie kämpft, will sich befreien und liegt irgendwann einfach wieder in ihrem Bett. Als sei nichts geschehen. Doch da sind Blutergüsse und Kratzspuren an ihren Händen, Armen und Beinen …

 

 

Das Rachespiel:

Frank Geissler glaubt an einen Scherz, als er die Website aufruft: Ein Mann, nackt, am Boden festgekettet, in Todesangst. Daneben ein Käfig voller Ratten, unruhig, ausgehungert. Frank kann den Mann retten, wenn er Teil des »Spiels« wird. Einem Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht – für Frank, für seine Frau. Und für seine Tochter …

 

 

Das Dorf:

Auf der Suche nach seiner verschwundenen Freundin strandet Bastian Thanner in einem Dorf, das ihm von Anfang an unheimlich ist. Dort deuten überall Spuren auf Anna, doch niemand will ihm weiterhelfen. Bis zu dem Abend, als Bastian Zeuge einer schrecklichen Zusammenkunft wird. Und auf den Mann trifft, der genau weiß, was mit Anna geschehen ist …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Arno Strobel, 1962 in Saarlouis geboren, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren. Alle seine Romane sind Bestseller. Bevor er sich ganz auf das Schreiben konzentrierte, arbeitete er lange bei einer großen deutschen Bank in Luxemburg. Arno Strobel lebt mit seiner Familie in der Nähe von Trier.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Buch 1 - Der Sarg

In der Brust eines

Für dich

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

Dank

Buch 2 - Das Rachespiel

Für all die lieben [...]

Schuld stirbt in Vergebung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Damals …

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Damals …

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Damals …

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Damals …

16. Kapitel

Damals …

17. Kapitel

18. Kapitel

Damals …

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Damals … Manu

Damals … Manu

Damals … Manu

Damals … Manu

40. Kapitel

41. Kapitel

Dank

Buch 3 - Das Dorf

Widmung

Motto

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Entwurf Tag 12

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Entwurf Tag 16

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Entwurf Tag 20

12. Kapitel

13. Kapitel

Entwurf Tag 23 – morgens um drei Uhr

14. Kapitel

15. Kapitel

Entwurf Tag 25

16. Kapitel

17. Kapitel

Entwurf Tag 27

18. Kapitel

Entwurf Noch immer Tag 27 dreiundzwanzig Uhr

19. Kapitel

20. Kapitel

Entwurf Tag 28

21. Kapitel

Entwurf Tag 28 Gegen zwei Uhr

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

Entwurf Tag 28 Zwei Uhr dreißig

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

Epilog

Mein Dank …

In der Brust eines

jeden Menschen

schläft ein entsetzlicher

Keim von Wahnsinn.

Ringt mittelst aller

heitern und tätigen Kräfte,

daß er nie erwache!

Ernst Freiherr von Feuchtersleben

Für dich

1

Eva erwachte in vollkommener Dunkelheit.

Ihr träges Bewusstsein tastete sich vor, versuchte sich zu orientieren. Sie konnte nicht einordnen, was diese Schwärze zu bedeuten hatte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie vielleicht die Augen noch gar nicht geöffnet hatte, und blinzelte zwei-, dreimal, doch die schwarze Wand blieb undurchdringbar.

In ihrem Schlafzimmer gab es einige Stellen, an denen sich ihr Blick festhalten konnte, wenn sie nachts aufwachte. Das grün schimmernde Display des Radioweckers oder der schwache Lichtschimmer, der sich durch das Fenster drückte wie durch ein engmaschiges Sieb, um sich dann als leicht phosphoreszierender Staub auf die Konturen ihrer Kommode zu legen. Sie waren wichtig, diese Punkte. Sie waren beruhigend. Sie fehlten.

Oder waren sie da, und sie konnte sie nicht sehen, weil etwas mit ihren Augen nicht stimmte? Ihr Atem beschleunigte sich, in kurzen, schnaufenden Zügen sog sie die Luft durch den geöffneten Mund ein. Stickige Luft. Warme, verbrauchte Luft.

Mit einem Ruck wollte sie sich aufrichten, doch die Bewegung wurde jäh gestoppt, als ihre Stirn mit einem dumpfen Knall aufschlug und ihr Kopf ins Kissen zurückfiel. Benommen registrierte sie den Schmerz, doch nur für einen Augenblick, dann erfasste sie Panik und fegte alle anderen Empfindungen beiseite.

Hektisch wollte sie die Arme anheben, zur Seite drücken – sie stieß gegen Wände. Sie versuchte die Knie anzuziehen, aber es gelang ihr nicht. Sie strampelte mit den Füßen, doch nach wenigen Zentimetern wurden die Bewegungen mit einem dumpfen Ton gestoppt. Sie war eingeschlossen. Immer schneller wand sich ihr Körper in dem engen Gefängnis, immer panischer wurde sie in dem Drang, sich bewegen, sich aus der schwarzen Enge befreien zu müssen. Sie begann zu schreien, zu weinen, sie trommelte mit den Fäusten gegen die Decke, immer und immer wieder … und lag schließlich still.

Ihr Brustkorb hob und senkte sich im Sekundentakt, jedes Ausatmen wurde von einem wimmernden Geräusch begleitet. Sie hörte sich selbst zu, während ihr Verstand auf der Suche nach einer Erklärung in der Leere herumstocherte, die in ihrem Kopf herrschte. Minutenlang, bis sich schließlich eine Schleuse öffnete und ihr Bewusstsein mit einem ganzen Schwall Gedanken flutete. Sie musste es schaffen, diese Gedanken aufzugreifen, die Panik zu unterdrücken. Sie musste nachdenken. Gott, sie war eingeschlossen. Angst … Nachdenken … Jetzt.

Um sie herum war nach allen Seiten nur wenige Zentimeter Platz. Die Luft roch verbraucht, schmeckte alt. Ihre Schläge gegen die Wände und die Decke ihres Gefängnisses waren durch etwas abgedämpft worden, ihr Kopf lag auf etwas Weichem, einem Kissen.

Diese Schwärze machte sie wahnsinnig.

Vorsichtig hob sie eine Hand, ließ die Fingerspitzen tastend über das Material der Wand gleiten, drückte dabei immer wieder ungewollt fest dagegen, weil ihr Körper ihr nicht gehorchen wollte, von zittrigen Schüben geschüttelt wurde. Das Material fühlte sich glatt an, wie Satin. Oder Seide. Auch die Decke über ihr war mit dem gleichen Material ausgekleidet. Wie … wie … Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, immer schneller. Sie hielt den Atem an. Wie in einem Sarg.

Sie atmete nicht, dachte nicht, rührte sich nicht. Stille. Grabesstille.

»Nein«, flüsterte sie. »O Gott, bitte nicht. Nicht das. Bitte.« Ein Sarg. Sie lag in einem Sarg.

»NEIIIN!«, schrie sie, so laut sie konnte. Es tat ihr in den Ohren weh. Sie musste husten, ihr Körper krampfte sich derart zusammen, dass ihr Kopf wieder gegen den Deckel knallte. Sie wand sich, versuchte sich umzudrehen, noch immer hustend, schaffte es nicht. Sie verschluckte sich, drohte zu ersticken. Einem epileptischen Anfall gleich zuckten ihre Gliedmaßen unkontrolliert, knallten in einem unregelmäßigen Stakkato gegen die Wände und den Deckel. Sie verlor in ihrer panischen Raserei komplett die Orientierung, wand sich und schlug mit aller Kraft nach allen Seiten.

Irgendwann hörte sie auf, sie hatte keine Kraft mehr. Im Bruchteil einer Sekunde erschlaffte sie, als hätte man einen Stecker gezogen, und lag mit verdrehten Gliedmaßen da, das Gesicht schräg nach unten. Sie atmete in das kalte, glatte Kissen, hörte dem Rauschen zu, mit dem das Blut durch ihre Adern schoss. Sie weinte.

Wie war sie nur hierhin gekommen? Hatte man sie für tot gehalten? Warum? War sie scheintot gewesen? Wann? Sie hatte mal gelesen, dass es immer wieder Fälle gab, bei denen man in Gräbern seltsam verkrümmte Skelette fand. Särge, deren Deckel von innen mit bloßen Fingernägeln zerkratzt worden waren. Hatte man sie etwa auch lebendig begraben? Lagen über ihr mehr als eineinhalb Meter Erde? Nein, nein, das konnte doch nicht … das … Sie musste hier raus, sofort. »Nein!« Sie kreischte förmlich. »NEIN!« Sie mobilisierte all ihre Kräfte, drehte sich auf den Rücken, begann mit beiden Fäusten in die Schwärze hinein wie besessen gegen den Deckel über sich zu hämmern. Sie schrie so laut, dass sie das Gefühl hatte, ihre Lunge müsste platzen. Es war ihr egal, nur raus, nur raus, weiter hämmern, schreien, schreien. Plötzlich kippte sie nach hinten weg, sie …

 

Sie öffnete die Augen und kniff sie sofort wieder zusammen. Die gleißende Helligkeit schmerzte. Aber warum? Wo kam diese Helligkeit plötzlich her? Das dumpfe Gefühl der Angst hatte sie noch immer fest im Griff. Vorsichtig hob sie die Lider, ein kleines Stück nur. Die Kommode, der Schrank, das Fenster … diese Helligkeit … sie war so wundervoll. Aber wie war das möglich? Gerade noch … der Sarg … begraben … ein Traum.

Sie hatte einen fürchterlichen Traum gehabt. Nur einen Traum.

Eva war derart erleichtert, dass sie kurz auflachte. Sie lag in ihrem Bett, sie lag wirklich in ihrem Bett, und alles war gut. Mehr noch, alles war phantastisch. Sie kuschelte sich tief in ihre Bettdecke, zog die Knie an und drückte einen Bettzipfel gegen ihre Wange. Da lag sie nun, eine siebenunddreißigjährige Frau, Inhaberin der Rossbach Maschinenbaubetriebe, zusammengerollt wie ein Baby, und war überglücklich, dass sie sich nicht lebendig begraben in einem Sarg befand, sondern nach einem bösen Albtraum zu Hause in ihrem Bett. Dass es ihr gutging. Besser sogar als sonst oft beim Aufwachen.

Ihr Blick fiel auf den Radiowecker. Zehn vor neun, so lange hatte sie ewig nicht mehr geschlafen. Sie würde jetzt aufstehen und sich einen Kaffee machen. Mit einem Ruck schlug sie die Bettdecke zurück und hielt im nächsten Moment inne. Ihr Arm schmerzte, und nicht nur der. Ihr ganzer Körper tat ihr weh, besonders die Hände. Wieso merkte sie das erst jetzt? War die Erleichterung gerade beim Erwachen so groß gewesen, dass sie alles andere überdeckt hatte? Aber … wo kamen diese Schmerzen her?

Vorsichtig richtete Eva sich auf und schob die Decke ganz zurück. Dabei fuhr ihr erneut ein stechender Schmerz in ihr Handgelenk und den Ellbogen. Sie drehte den rechten Arm und entdeckte rötliche Flecken, die sich über die Handkante bis hin zu den Fingerknochen zogen. Sie drehte den Arm ein Stück weiter. Der Ellbogen war ebenfalls gerötet. Der linke Arm sah nicht besser aus, und auch das linke Knie war rot. Sie bewegte die Füße. Die Fußgelenke schmerzten, und sogar die Zehen taten weh.

Wo hatte sie diese Verletzungen her? Hatte sie die schon am Abend gehabt, als sie ins Bett gegangen war? Aber wann war sie überhaupt ins Bett gegangen? Und wie? Sie konnte sich nicht erinnern. Wieder einmal. Aber dieses Mal war es anders, so hatte sie es noch nie erlebt. Dieser furchtbare Traum … Eva stand auf, zog ihren Morgenmantel von der Stuhllehne vor der Kommode und stieß einen Schmerzenslaut aus, als sie die Schulter nach hinten drückte und den Arm hob, um in den seidenen Ärmel schlüpfen zu können. Der ganze Körper tat ihr weh.

Langsam ging sie in die Küche und machte sich einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand stellte sie sich vor das Küchenfenster und starrte nach draußen. Es war neblig an diesem Morgen. Vereinzelt stachen die nackten Äste der Bäume kalt glänzend aus dem Grau hervor wie skelettierte Finger, die nach ihr greifen wollten. Die abgeworfenen Blätter bildeten großflächige, faulende Teppiche rund um die Stämme. Ihr Garten, der im Sommer mit seiner tausendfachen Farbenpracht ihre Sinne streichelte, in dem sie sich in jeder freien Minute aufhielt, kam ihr fremd vor, abweisend und feindlich.

Eva war verwirrt, es fiel ihr schwer, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Sie konnte sich an jede Einzelheit dieses Traums erinnern, er war ihr so real erschienen, dass sie noch immer die Ausläufer der Panik spürte. Und doch – es konnte nur ein Traum gewesen sein. Schließlich war sie in ihrem Bett wach geworden und nicht in einem Sarg, fast zwei Meter unter der Erde.

Und die Verletzungen?

Eva stellte die Kaffeetasse auf der Arbeitsplatte ab und betrachtete wieder die roten Stellen an ihren Händen. Es gab dafür nur eine Erklärung: Sie war wieder geschlafwandelt und hatte sich dabei verletzt.

Es passierte ihr relativ häufig, dass sie sich irgendwo wiederfand und nicht mehr wusste, wie sie dorthin gekommen war. Manchmal geschah das sogar am helllichten Tag. Dann war sie in einem Café oder in der Fußgängerzone, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie dort wollte. Als Jugendliche hatte sie aus Scham mit niemandem darüber gesprochen. Später dann, als erwachsene Frau, hatte sie sich ihrem Hausarzt anvertraut, der ihr autogenes Training empfohlen hatte und, für den Fall, dass das nichts brachte, den Besuch bei einem Psychologen. Damals hatte sie beschlossen, das Ganze nicht wieder zu thematisieren. Ein Psychologe. Das kam auf keinen Fall in Frage.

Sie wischte den Gedanken fort, darum ging es jetzt nicht. Wichtiger war die Frage, was mit ihr in der letzten Nacht geschehen war. Ihr wurde flau im Magen, sie stützte sich mit den Händen auf der Arbeitsplatte ab und senkte den Kopf. Sie dachte an Arme, Hände, Knie und Beine, die gegen Wände schlugen. Dünn gepolsterte Wände.

Sie dachte an einen Sarg und musste sich übergeben.

2

Hauptkommissar Bernd Menkhoff warf die Fotos mit einem Seufzer auf seinen Schreibtisch und ließ sich gegen die Rückenlehne seines Bürostuhls fallen. Auch die Routine von fast dreißig Dienstjahren konnte nicht verhindern, dass er noch immer unter dem Einfluss dessen stand, was er wenige Stunden zuvor am Fundort der Frauenleiche gesehen hatte.

Der Körper der Frau hatte in gekrümmter Haltung in dem Sarg gelegen, einer aus ungehobelten Brettern gezimmerten, stabilen Holzkiste. Die Leiche war nackt, ihr Körper übersät mit Verletzungen, aus denen besonders an Ellbogen, Knien und Handgelenken kleine und größere Holzsplitter herausstanden.

Über Augen und Mund klebte jeweils ein breiter grauer Streifen Klebeband. Ihre Handgelenke waren mit einem Seil gefesselt, dessen langes Ende der Täter mit einer dicken Schraube, die durch das Holz gebohrt und auf der anderen Seite mit einer Mutter gesichert war, am Fußteil der Kiste festgemacht hatte. Das Seil ließ den Händen des Opfers gerade so viel Spielraum, dass die Frau den Deckel und die Seitenwände, nicht aber ihren Kopf berühren konnte.

Das raue Holz der Sargwände und des Deckels war mit dunklen Flecken durchsetzt, bei denen es sich wahrscheinlich um getrocknetes Blut handelte. An manchen Fingern fehlten die Fingerkuppen, an ihrer Stelle ragten die gelblichen Spitzen der Knochen aus den schwarzgeränderten Enden der Stümpfe hervor. An anderen standen die abgebrochenen Reste der Fingernägel schräg heraus. Die Frau hatte in dem verzweifelten Versuch, sich aus ihrem engen Gefängnis zu befreien, das Fleisch ihrer Fingerkuppen am Sargdeckel abgeschabt.

Menkhoff wurde vom Läuten des Telefons aus seinen Gedanken gerissen und griff nach dem Hörer. »Ja, Bernd, ich bin’s.« Die Stimme von Gerd Brosius, Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter des KK11. »Komm bitte mal rüber.«

Als Menkhoff das Büro seines Chefs betrat, zeigte der auf den Stuhl schräg vor seinem Schreibtisch und wartete, bis Menkhoff saß. »Ich habe ja schon einiges gesehen, was irgendwelche durchgedrehten Psychopathen angestellt haben, aber das da …« Er deutete mit der Kinnspitze auf die Tatortfotos, die in einem Stapel vor ihm auf dem Tisch lagen, und schüttelte den Kopf. »Lebendig begraben. Es ist immer wieder unfassbar, wozu Menschen fähig sind. Die Presse wird sich auf diese Sache stürzen wie die Aasgeier.«

Menkhoff nickte. »Ja, ich weiß. Du kannst froh sein, dass du heute Morgen nicht da draußen warst, ich hätte auf den Anblick verzichten können.« Er beugte sich vor, ergriff das oberste Foto und betrachtete es. Dabei kam ihm kurz der Gedanke, dass er damit seinen letzten Satz quasi ad absurdum führte.

Es war eine Ganzkörperaufnahme der Frau, wie sie gefesselt in der Kiste lag. Gestochen scharf waren darauf ihre Verletzungen zu erkennen.

Menkhoff dachte daran, was die Frau durchgemacht haben musste, als sie bei vollem Bewusstsein in der geschlossenen Kiste gelegen und gehört hatte, wie Schaufel um Schaufel die Erde auf den Deckel geworfen wurde. Und erst die Obduktion würde zeigen, ob das alles war, was sie hatte durchleiden müssen, bevor sie erstickt war. Er legte das Foto zurück und suchte sich ein anderes aus dem Stapel. Es zeigte nicht die Frau, sondern den Zettel mit den Hinweisen, der bei der Polizei abgegeben worden war. Über der genauen Beschreibung der Stelle, an der sie die vergrabene Kiste mit der Frau darin schließlich gefunden hatten, stand ein Satz, der darauf hindeutete, dass sie es mit ziemlicher Sicherheit mit einem Psychopathen zu tun hatten:

Strafe ist die bittersüße Schwester der Gelehrsamkeit für schamlose Miststücke. Das Ende jedes Schmerzes beginnt mit seiner Akzeptanz.

»Diese Fotos dürfen auf keinen Fall rausgehen«, unterbrach Brosius erneut Menkhoffs Überlegungen. »Die Pressefritzen werden auch so schon einen Riesenwirbel veranstalten.« Er hielt einen Moment inne, als erwarte er eine Antwort. Als die nicht kam, sagte er mit deutlich leiserer Stimme: »Alles in Ordnung, Bernd?«

»Ja. Alles okay.«

»Auch in Aachen?«

Menkhoff sah seinen Vorgesetzten eine Weile an, dann nickte er. »Ja, da auch. Wie kommst du jetzt ausgerechnet darauf?«

Brosius trommelte mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte, wobei er Menkhoff eingehend musterte. »Weil ich wissen möchte, ob du die Ermittlungen leiten kannst.«

Menkhoffs Oberkörper straffte sich. »Natürlich kann ich das, was gibt’s denn da zu überlegen?« Sie sahen sich weiter schweigend an, bis Menkhoff sich schließlich entspannte. »Es ist wirklich alles okay, ich habe gestern Abend noch mit Theresa telefoniert. Sie hat mich angerufen und sich erkundigt, wie es mir geht. Wir haben uns gut unterhalten.« Er machte eine kurze Pause. »Besser als während der letzten Zeit, in der ich noch in Aachen gewohnt habe. Ich kann meine Tochter sehen, wann immer ich möchte, und ich merke an Louisas Verhalten, dass zu Hause kein böses Wort über mich fällt. Du siehst – alles in Ordnung.«

»Gut.« Brosius warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sehen uns in zwanzig Minuten bei der Besprechung. Bereite dich vor, ich werde dir dort offiziell die Leitung des Falles übertragen. Und du weißt, dass das nicht allen Kollegen gefallen wird.«

Menkhoff nickte. Ihm war klar, auf wen sein Chef anspielte.

3

Britta stieg an der Haltestelle Am Kölnberg aus und blieb einen Moment stehen, den Blick auf die düsteren Wohnbunker vor sich gerichtet. Kalt und abweisend, dicht nebeneinander in die Erde gerammt standen sie am Rande einer riesigen Ackerfläche. Manche von ihnen waren an die dreißig Etagen hoch und quetschen Hunderte von Wohnungen in ihrem Inneren zusammen. Sie dachte an die Typen, die in ihnen hausten, Tausende beschissene Verlierer mit großer Klappe.

Eine eisige Windböe strich ihr am Hals entlang, und sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke weiter zu. Ein paar Tage zuvor waren die Temperaturen noch angenehm gewesen, zu warm für Mitte November. Dann war es plötzlich saukalt geworden.

Eine Frau stieß sie im Vorbeigehen an der Schulter an, blieb abrupt stehen und sah sie mit heruntergezogenen Mundwinkeln und feindseligem Blick an. Britta musterte sie von oben bis unten. Sie mochte Anfang zwanzig sein. Die weißblond gefärbten Haare lagen strähnig auf ihren Schultern, die Kleidung war billig, ihr Aussehen auch. Mit einem verächtlichen Zischlaut wandte die Frau sich ab und ging weiter. Britta drückte die Stöpsel ihres MP3-Players in die Ohren und ging ebenfalls los. Nach ein paar hundert Metern bog sie An der Fuhr ein und steuerte auf den Betonblock zu, in dem ihre Wohnung lag.

Sie hatte die vergammelte Eingangstür fast erreicht, als ein Kerl sich ihr in den Weg stellte. Sie hatte ihn nicht bemerkt, war wohl zu sehr in Gedanken gewesen. Sein Mund bewegte sich, irgendwas schien er von ihr zu wollen. Britta warf einen Blick zur Seite, wo zwei weitere Typen standen, die Hände tief in den Taschen ihrer Jogginghosen vergraben, und sie dümmlich angrinsten. Sie stieß einen Fluch aus, und zog an dem dünnen Kabel unter ihrem Kinn. Der Sound von Metallicas Nothing else matters wurde ersetzt durch die typische Geräuschesuppe aus Gemurmel und Geschrei, Motorenlärm von der Straße und basslastigen Musikfetzen, die über die verrosteten Geländer einiger Balkone der Häuserblocks quollen.

» … schon lange nicht mehr gesehen. Wo hast du dich rumgetrieben? Siehst wieder scharf aus für dein Alter.«

Britta verdrehte die Augen und musterte den Fünfundzwanzigjährigen mit den kurz geschorenen Haaren, der eigentlich Bernd hieß, den aber alle Jacko nannten, weil er sich ununterbrochen in den Schritt fasste. »Verpiss dich, Jacko.« Sie ließ ihn stehen und ignorierte, dass er ihr noch etwas nachrief.

Ihre Wohnung lag im achten Stock, am Ende eines engen Flurs mit kahlen Betonwänden. Das Tageslicht, das durch das winzige Fenster neben dem Aufzug hereinfiel, reichte nicht bis zu ihrer Tür, und die Neonröhre an der Decke war eigentlich immer kaputt. Wenn der versoffene Hausmeister tatsächlich mal eine neue einsetzte, dauerte es meist nur Stunden, bis irgendein Idiot sie wieder kaputttrat. Auch als Britta jetzt den mit Schmierereien übersäten Aufzug verließ, funktionierte die Lampe nicht, so dass sie auf den letzten Metern bis zu ihrer Tür so gut wie nichts mehr sah und sich das Türschloss ertasten musste.

Im Inneren ihrer Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung zog sie die Jacke aus, schmiss sie achtlos auf das alte Sideboard, das einen großen Teil des winzigen Flurs einnahm, und ging ins Bad. Dort warf sie einen Blick in den ovalen Spiegel, der an manchen Stellen an den Rändern blind war. Das abgespannte Gesicht, das sie anglotzte, sah nicht aus, als gehöre es einer Frau Anfang dreißig, sondern eher wie das einer mindestens Vierzigjährigen. Die schulterlangen roten Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, Augen und Mund waren stark geschminkt, auf den Wangen lag eine dicke Schicht Rouge. Sie hatte keine Lust mehr auf diese Fratze, wandte sich ab und ging in die Küche. Die meisten der wenigen wild durcheinandergewürfelten Schränke und Elektrogeräte hatten ihr ein paar Typen aus der Nachbarschaft besorgt, als sie vor einem halben Jahr mal wieder umgezogen und hierher gekommen war. Kerle wie Jacko. Sie hatten ihr gute Preise gemacht, und es war ihr egal gewesen, woher sie die Sachen hatten. Genauso wie es diesen Leuten egal war, wo Britta herkam, was sie machte, wer sie war. Ihr war ihr Leben sowieso egal.

Sie öffnete den Kühlschrank und nahm die halbvolle Colaflasche heraus, die neben drei verrunzelten Äpfeln, einem Glas mit ein paar eingelegten Gurken in trüber Flüssigkeit und einer flachen Pizzaschachtel voller Fettflecke den gesamten Inhalt darstellte. Die Cola schmeckte schal, obwohl sie kühl gestanden hatte.

Britta nahm die Flasche mit und blieb am Durchgang zum Wohnzimmer stehen. Die Einrichtung des Raums bestand aus einem zweiteiligen vergammelten Eichenschrank, an dem eine Tür fehlte, einem schäbigen Tisch mit zwei Campingklappstühlen und einem Holzstuhl sowie einem zerschlissenen, braunen Cordzweisitzer direkt vor dem Fenster. »Pissbude«, zischte Britta, durchquerte den Raum und ließ sich schnaufend auf den Zweisitzer fallen. Das Fenster vor ihr reichte bis zum Boden, Gardinen gab es keine, so dass sie von dort die Felder sehen konnte, die sich entlang der Brühler Landstraße in Richtung Kölner Stadtzentrum erstreckten. Im Sommer hatte sie oft dagesessen und dabei zugesehen, wie der Wind die Gräser und Ähren hin und her gebogen hatte. Jetzt war alles kahl. Braune, leblose Flächen, soweit das Auge reichte, durchsetzt von schlammigen Pfützen.

Britta wandte den Blick ab, stand wieder auf und ging zu dem kleinen Fernseher auf einem der Eichenschränke. Sie nahm den schmutzigen Bleistiftstummel, der daneben lag, und schaltete das Gerät damit ein, indem sie das stumpfe Ende in das Loch unter der Mattscheibe drückte, wo mal ein Einschaltknopf gewesen war. Eine Weile war nur ein Knistern zu hören, dann eine weinerliche weibliche Stimme. Sekunden später kam das passende Bild dazu. Britta wusste auf den ersten Blick, welche Sendung gerade lief, sie hatte es schon gewusst, bevor das Bild da gewesen war. Eine tägliche Gerichtsshow, in der ein paar Amateure in Gerichtssälen irgendwelche hirnrissigen Dialoge vor sich hin stammelten. Sie ließ die Sendung trotzdem laufen und ging zurück zum Sofa. Nach wenigen Minuten war die Show zu Ende, und es folgten Nachrichten. Britta fluchte und suchte nach der Fernbedienung, sie hatte keine Lust auf das Elend in der Welt.

Sie hatte sie gerade gefunden, eingeklemmt in der Ritze zwischen dem zerschlissenen Cordsitzkissen und der Rückenlehne, als eine Meldung sie stocken ließ: »… ist heute Vormittag in einem Waldstück bei Köln die Leiche einer Frau gefunden worden. Wie ein Polizeisprecher mitteilte, lag sie in einem vergrabenen Sarg. Es deute einiges darauf hin, dass die Frau lebendig begraben wurde. Für nähere Einzelheiten zu der Todesursache müsse aber das Ergebnis der Obduktion abgewartet werden. Wie die Polizei weiter mitteilte, sei am frühen Vormittag im Polizeipräsidium eine Nachricht abgegeben worden mit einer genauen Beschreibung der Fundstelle. Bisher fehlt jeder Hinweis auf den Täter.« Ein Moment Pause, dann: »In Brüssel haben sich gestern Abend die EU-Finanzminister …«

»Arschloch«, sagte Britta, stand auf und schaltete den Fernseher aus.

4

Eva schreckte hoch. Verwirrt blickte sie sich in der Dunkelheit um und erlebte einen Anflug von Panik. Doch dann registrierte sie, dass sie nicht wie befürchtet von tiefer Schwärze, sondern eher von fortgeschrittener Dämmerung umgeben war. Sie erkannte die Konturen von Möbeln und erinnerte sich daran, dass ihr in der Küche schlecht geworden war. Sie hatte sich wohl auf die Ledercouch im Wohnzimmer gelegt und musste wieder eingeschlafen sein. Aber wenn es nun schon fast wieder dunkel war … Sie warf einen Blick auf die Uhr in Form einer kleinen silbernen Säule, die auf dem Esche-Sideboard schräg gegenüber stand. Fast sechs. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen. Aber war das ein Wunder, nach der furchtbaren Nacht? Sie hatte …

Der Türgong ließ sie zusammenfahren. Während sie aufstand, überlegte sie, dass derjenige, der vor ihrer Tür stand, wahrscheinlich schon einmal geklingelt und sie damit geweckt hatte. Ihre Knie und das rechte Handgelenk erinnerten sie pochend an die vergangene Nacht.

Als sie die Tür öffnete, lächelte ihr Dr. Hubert Wiebking entgegen, der seit dem Tod ihres Vaters die Firma für sie leitete. »Guten Abend, Eva, ich bin froh, dich wohlauf zu sehen.«

»Guten Abend, Hubert.« Eva zog ihren Morgenmantel am Hals ein wenig enger zusammen und trat einen Schritt zur Seite. »Bitte, komm doch rein.«

Dr. Wiebking machte ein paar Schritte, blieb aber gleich hinter Eva in der geräumigen Diele stehen und drehte sich zu ihr um. »Ich habe tagsüber ein paarmal versucht, dich zu erreichen, und habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht ans Telefon gegangen bist und der Anrufbeantworter ausgeschaltet war. Und als du jetzt erst nicht geöffnet hast … Ich hatte schon überlegt, nach Hause zu fahren und den Ersatzschlüssel zu deiner Wohnung zu holen. Dir hätte ja etwas passiert sein können …«

»Ja, ich … es tut mir leid, mir ging es nicht gut heute Morgen, ich habe mich hingelegt und bin eben erst wieder aufgewacht.«

Ein ernster Ausdruck legte sich über Wiebkings Gesicht. »Meine Sorge war also berechtigt. Aber was fehlt dir denn, Eva? Kann ich etwas für dich tun?«

»Nein, schon gut«, wiegelte sie ab und ging an ihm vorbei. »Es geht mir schon wieder besser. Komm doch rein, bitte.« Wiebking folgte ihr ins Wohnzimmer, zog seinen braunen Mantel aus und legte ihn zusammen mit dem dunklen Kaschmirschal über die Rückenlehne eines der wuchtigen Sessel. Auf dem daneben ließ er sich nieder und strich sich, kaum dass er saß, mehrfach über die Beine der Maßanzughose, als müsse er sie von Fusseln befreien. Erst dann legte sich sein besorgter Blick wieder auf Eva, die ihm gegenüber auf der Couch Platz genommen hatte. »So, jetzt erzähl mal, was mit dir los war, ich bestehe darauf.«

Sie dachte einen Moment darüber nach, ihm von dem furchtbaren Traum zu erzählen, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Er würde sie nur für hysterisch halten, wenn sie ihm sagte, dass sie wegen eines schlechten Traums den ganzen Tag auf der Couch gelegen hatte. Und würde sie höchstwahrscheinlich zu einem Psychiater schicken, wenn sie dann noch die Verletzungen erwähnte. Damit hätte er wohl sogar recht. Wer konnte wissen, was sie in der vergangenen Nacht während dieses Traums alles angestellt hatte. Vielleicht hatte sie sich …

»Eva, bitte, rede mit mir. Ich mache mir wirklich große Sorgen um dich. Du weißt, ich habe deinem Vater versprochen, auf dich aufzupassen, und ich nehme dieses Versprechen sehr ernst. Also?« Er sah sie tatsächlich an wie ein strenger Vater, und Eva musste lächeln. »Es ist sehr lieb von dir, dass du dich um mich sorgst, aber es ist wirklich nichts Schlimmes. Ich habe einfach nur schlecht geschlafen in der letzten Nacht und hatte deswegen heute Morgen Kopfschmerzen. Du musst dir keine Sorgen machen.«

Wiebking schien noch nicht ganz überzeugt, nickte aber schließlich. »Also gut. Und du bist sicher, dass es dir wieder besser geht?«

»Ja, alles in Ordnung. Aber weshalb hast du versucht, mich zu erreichen? Ist etwas in der Firma?«

Wiebking leitete die Rossbach Maschinenbaubetriebe selbständig und meldete sich im Allgemeinen nur bei ihr, wenn für einen Vorgang ihre Unterschrift als Inhaberin notwendig war. In den meisten Fällen wusste sie überhaupt nicht, was sie unterschrieb, aber es interessierte sie auch nicht. Ihr Vater hatte Hubert als Geschäftsführer eingesetzt, er würde schon dafür sorgen, dass alles seinen Weg ging.

Wiebking wehrte mit beiden Händen ab. »Nein, nein, in der Firma ist alles in Ordnung. Der Anruf war privater Natur, liebe Eva. Jörg kommt heute Abend zum Essen zu uns, und Christiane und ich, wir dachten, es wäre doch nett, wenn du uns auch besuchen würdest.«

»Ah«, machte sie und sah auf ihre Hände. Wiebkings Sohn war zwei Jahre jünger als sie selbst und arbeitete als Ingenieur in ihrem Betrieb. Sie konnte nicht recht einschätzen, wie sie dazu stand, so, wie sie die meisten Dinge nicht einschätzen oder abwägen konnte. Sie war noch nie sehr gut darin gewesen, Entscheidungen zu treffen, aber nachdem ihr Vater zwei Jahre zuvor an einem Herzinfarkt gestorben war …

»Wenn es dir allerdings noch nicht wirklich gutgeht«, wurde sie von Wiebking aus ihren Gedanken gerissen, »kann ich natürlich verstehen, wenn du lieber zu Hause bleiben möchtest. Schade wäre es zwar, aber dafür wird auch Jörg sicher Verständnis haben.«

Eva horchte in sich hinein und versuchte herauszufinden, was sie bei dem Gedanken empfand, Jörg Wiebking an diesem Abend zu treffen. Es fühlte sich nicht gut an. »Es tut mir leid, Hubert, mir geht es zwar wieder besser, aber ich fühle mich nicht danach, heute Abend noch etwas zu unternehmen. Sei mir bitte nicht böse, ein anderes Mal gerne.«

Wiebking hob die Hände. »Schon in Ordnung. Wenn es dir nicht gutgeht …« Sein Lächeln wirkte aufgesetzt. »Dann mache ich mich jetzt mal wieder auf den Weg, damit du deine Ruhe hast. Kann ich noch etwas für dich tun?«

»Nein, danke, ich habe alles, was ich brauche.«

Als Eva die Haustür hinter ihm geschlossen hatte, drehte sie sich um und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Das Gefühl der Angst war wieder da. Nicht mehr so dumpf wie zuvor, aber immer noch wahrnehmbar. Sie würde keine Erklärung für die vergangene Nacht finden, das ahnte sie. Sie hatte noch nie eine Erklärung gefunden, wenn ihre Erinnerung lückenhaft war oder sie nicht wusste, wie sie an einen bestimmten Ort gekommen war. Jedenfalls keine, die einer genaueren Betrachtung standgehalten hätte.

Aber vielleicht war das ja auch gut so. Vielleicht war es besser, wenn sie nicht wusste, was dieser Traum zu bedeuten hatte und wie die Verletzungen zustande gekommen waren.

Sie drückte sich von der Tür ab und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch legte und die Knie anzog. Sie hatte Kopfschmerzen, und obwohl sie fast den ganzen Tag geschlafen hatte, fühlte sie sich unendlich müde. Wurde sie krank? Eine aufziehende Erkältung vielleicht?

Oder waren das die Nachwirkungen der vergangenen Nacht? Vielleicht war sie geschlafwandelt und hatte dabei tatsächlich um sich geschlagen, als sie im Traum panisch versuchte, sich aus dem Sarg zu befreien? Vielleicht hatte sie sich dabei auch den Kopf irgendwo gestoßen? Andererseits … warum sollte sie schlafwandeln, während sie davon träumte, in einem Sarg eingeschlossen zu sein? Das ergab doch keinen Sinn!

Ein kalter Schauer überzog Evas Körper. Sie richtete sich ein Stück weit auf und griff sich die braune Decke, die zusammengefaltet auf einem kleinen Tisch neben der Couch lag. Nachdem sie ihre Füße darin eingewickelt hatte, zog sie das andere Ende bis zum Hals hoch und drückte es mit eingezogenem Kopf gegen das Kinn. Der weiche Stoff umgab sie jetzt wie ein schützender Kokon und teilte die Welt in ein Drinnen und ein Draußen. Sie war müde, so schrecklich müde, und riss doch krampfhaft die Augen wieder auf, wenn sie ihr zufielen. Sie hatte Angst davor, einzuschlafen und wieder zu träumen.

Sie hatte Angst vor dem Sarg.

5

Es war kurz nach neunzehn Uhr. Zehn Männer und zwei Frauen saßen in dem großen Büro, das als Besprechungs- und Schulungsraum diente, und warteten auf den Leiter des KK11. Am vorderen Ende war ein junger Kollege mit dem aufgeklappten Laptop beschäftigt und justierte gerade per Fernsteuerung den Beamer, der an einer Halterung von der Decke hing und das Abbild des Computerbildschirms auf die weiße Stirnwand projizierte. Menkhoff hatte sich in die vorderste der aus jeweils fünf Stühlen bestehenden Reihen gleich neben Jutta Reithöfer gesetzt. Er mochte die Oberkommissarin, deren Äußeres schon so manchen ihrer Kunden zu der Fehleinschätzung verleitet hatte, es mit einer zarten, ängstlichen Frau zu tun zu haben. Auch Menkhoff hatte sich bei ihrem ersten Zusammentreffen einige Monate zuvor von den langen blonden Haaren und dem zart wirkenden Gesicht mit den blauen Augen täuschen lassen. Sie hatte diesen falschen Eindruck mit einigen knappen, scharfen Sätzen aber schnell zurechtgerückt. Menkhoff hatte sie nach einem kurzen Moment der Überraschung angelächelt und gewusst, dass er sich mit ihr gut verstehen würde.

Nun saß Jutta Reithöfer mit übereinandergeschlagenen Beinen neben ihm und wippte nervös mit dem Fuß, so dass ihr blonder Pferdeschwanz im Rhythmus mitschwang. Hinter ihr hatte sich KHK Udo Riedel niedergelassen, ein großer, stämmiger Mittvierziger mit immer leicht geröteter, glänzender Haut und geradezu maskenhaften Gesichtszügen, an denen nur in den seltensten Fällen eine Gemütsregung abzulesen war.

Menkhoff hatte sich im Laufe der neun Monate, die seit seiner Versetzung von Aachen nach Köln vergangen waren, gut eingelebt und kam mit den meisten seiner neuen Kollegen gut aus. Ausnahmen bildeten eben jener Udo Riedel und sein ständiger Partner, Oberkommissar Guido Borens, der äußerlich das genaue Gegenteil Riedels darstellte. Er war erst Anfang vierzig, aber sein kleiner, dürrer Körper und die grau schimmernde Haut, die sich dünn über die eingefallenen Wangen und die hervorstehenden Knochen legte, ließen ihn krank und älter erscheinen. Wenn Riedel und Borens nebeneinander standen, erinnerten sie Menkhoff an Pat und Patachon, das dänische Komikerduo aus der Stummfilmzeit.

Borens hockte neben Riedel und tuschelte angeregt mit ihm. Menkhoff erinnerte sich an seinen ersten Tag in Köln, als er Riedel gegenüberstand, nachdem er sich mit den meisten seiner neuen Kolleginnen und Kollegen bekannt gemacht und von allen ein paar freundliche Worte zum Einstand bekommen hatte. Riedel hatte ihn mit seinen dunklen Augen angestarrt und gesagt: »Wir haben hier schon einiges von Ihnen gehört, Menkhoff, und auch wenn die Kollegen Sie freundlich anlachen, ich sage, was ich denke. Wir sind nicht begeistert davon, jemanden in der Truppe zu haben, der Beweismittel manipuliert und denkt, er kann sich alles erlauben, weil er der Superermittler ist. Was immer Sie ausgerechnet nach Köln getrieben hat – Sie sollten wissen, dass es hier anders läuft.«

Menkhoff hatte damals dem Impuls widerstanden, dem Kerl zu sagen, was er davon hielt, angeblafft zu werden, noch bevor er die Möglichkeit hatte, ein Wort zu sagen. Er hatte an die vielen Stunden gedacht, die er mit Dr. Winkelmann verbracht hatte, dem Aachener Polizeipsychologen, der ihm eine cholerische Persönlichkeit attestiert und ihm viele Schwierigkeiten prophezeit hatte, wenn er das nicht in den Griff bekam. An Schwierigkeiten hatte es zu der Zeit weiß Gott nicht gemangelt.

Also hatte Menkhoff nur genickt und sich abgewandt, um seinen Schreibtisch einzuräumen. Als der Ärger in ihm sich verzogen hatte, war er stolz auf sich gewesen. Mit der Zeit hatten sowohl Riedel als auch er gelernt, aneinander vorbeizukommen, oder, wenn es gar nicht anders ging, notgedrungen zusammenzuarbeiten, auch wenn sie nie Freunde werden würden. Nun aber würde eine neue Situation entstehen, und Menkhoff war gespannt, wie Riedel darauf reagierte, wenn er erfuhr, was der Chef allen gleich eröffnen würde.

Brosius kam in den Raum, ging mit schnellen Schritten an den Stuhlreihen vorbei und legte die Unterlagen, die er mitgebracht hatte, auf dem Schreibtisch ab. Das leise Gemurmel verstummte, der Kollege, der sich mit dem Laptop beschäftigt hatte, sagte leise ein paar Worte und zeigte dabei auf den Beamer, dann setzte er sich auf den Stuhl neben Jutta Reithöfer.

»Alle da?«, fragte Brosius mit schnellem Blick über die Stuhlreihen. »Sieht so aus, fangen wir also an.« Mit einem Mausklick projizierte der Beamer ein übergroßes Foto der toten Frau auf die Wand. Es stammte vom Fundort und zeigte den geschundenen Körper in der geöffneten Holzkiste, die auf dem Waldboden direkt neben dem Loch stand, aus dem sie ausgegraben worden war.

»Inge Glöckner, fünfunddreißig Jahre alt, recht vermögend, wohnt zusammen mit ihrem Mann in Hahnwald. Sie war vor drei Tagen abends mit einer Freundin zum Essen verabredet und hat sich von ihr gegen halb zwölf verabschiedet. Als ihr Mann vorgestern Morgen wach wurde, war das Bett neben ihm leer. Nach etlichen Telefonaten hat er sie dann am späteren Vormittag als vermisst gemeldet. Da es weder einen Verdacht auf Selbsttötung oder auf ein Verbrechen noch eine medizinische Indikation gab, hatten die Kollegen erst gestern die Ermittlungen aufgenommen. Ein bekanntlich vollkommen normales Vorgehen, was sich in diesem speziellen Fall aber spätestens heute Vormittag als Fehler erwiesen hat.« Er machte eine Pause, dann nickte er Menkhoff zu. »Der Kollege Menkhoff wird den Fall leiten und daher ab jetzt übernehmen.«

Sofort setzte wieder Gemurmel ein, und Menkhoff zwang sich dazu, nicht zu Riedel und Borens zu sehen. Noch während er sich erhob, sagte Riedel prompt: »Also, ich möchte mich ja nicht in deine Entscheidungen einmischen, Gerd, aber denkst du …«

»Dann tu es auch nicht«, antwortete Brosius bestimmt. »Bernd wird diesen Fall leiten, darüber gibt es keine Diskussion. Er hat nicht nur die meiste Erfahrung, sondern auch eine ganz beachtliche Erfolgsquote, und ich erwarte, dass er eure volle Unterstützung erhält.«

Riedel murmelte noch etwas, das Menkhoff, der nun neben Brosius stand, nicht verstehen konnte. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann atmete er tief durch. »Gut, sehen wir uns also an, was wir bisher haben. Zurzeit deutet alles darauf hin, dass die Frau lebendig begraben wurde und erstickt ist. Als Todeszeitpunkt …«

»Entschuldigung, wie soll sie denn sonst gestorben sein, wenn sie lebendig begraben wurde? Selbstmord vielleicht?« Riedel hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah Menkhoff ausdruckslos an. Den überraschte es kaum, dass Riedel die erstbeste Gelegenheit für einen überflüssigen Kommentar genutzt hatte. Verwundert war er nur über die Plumpheit, mit der er das tat. Riedel war nicht dumm und hätte eigentlich wissen müssen, wie blödsinnig dieser Einwand gewesen war, und dass er ihm damit eher eine Steilvorlage bot, als ihm zu schaden. Es musste Riedel tatsächlich viel mehr ärgern, als Menkhoff es für möglich gehalten hätte, dass ausgerechnet er den Fall leitete. »Zum fachlichen Gehalt deiner Bemerkung möchte ich mich an der Stelle nicht äußern«, sagte Menkhoff betont gelassen. »Ich wäre dir aber dankbar, wenn du mich nicht unterbrechen würdest, auch wenn dich die Fakten des Falls langweilen. Dein Einverständnis vorausgesetzt, würde ich dann jetzt gerne mit den Infos zu dem Fall für alle Kolleginnen und Kollegen fortfahren, die daran interessiert sind, diesen Mord schnellstmöglich aufzuklären. Ich hoffe doch, ich darf dich auch dazurechnen?« Einige Sekunden lang sahen sie sich an, und Menkhoff war sich bewusst, dass alle Augen auf ihm und Riedel ruhten, vor allem die seines Chefs. Er war fest entschlossen, sich von Riedel das Heft nicht aus der Hand nehmen zu lassen, und sich doch so besonnen zu verhalten, dass man ihm nicht mehr nachsagen konnte, cholerisch zu reagieren. Brosius gab ihm trotz der unschönen Passagen in seiner Personalakte die Leitung dieses wichtigen Falles, und er musste nun zeigen, dass das Vertrauen in ihn gerechtfertigt war.

Riedel deutete mit einer großzügigen Geste an, er könne weitermachen, und Menkhoff glaubte dabei sogar so etwas wie ein Grinsen auf seinem Gesicht zu entdecken.

»Also noch einmal: Die Spuren am Körper, und hier besonders an den Fingern, weisen deutlich darauf hin, dass die Frau noch gelebt hat, als sie in die Kiste gesteckt und vergraben wurde. Wie die Obduktion sicher bestätigen wird, ist sie qualvoll erstickt, nachdem sie sich bei ihren Versuchen, sich zu befreien, das Fleisch von den Fingerkuppen geschabt hat. Dazu die auf besondere Art gefesselten Hände sowie die zugeklebten Augen und der Mund … das alles könnte auf einen Ritualmord hindeuten, wir werden also als Erstes herausfinden müssen, ob eine Gruppierung bekannt ist, die solche Scheußlichkeiten begeht. Vielleicht war sie sogar selbst Mitglied einer Sekte oder Ähnlichem.« Menkhoff berichtete noch über den Todeszeitpunkt, der laut ersten Einschätzungen des Gerichtsmediziners wahrscheinlich in der Nacht ihres Verschwindens liegen musste, und über die Vernehmung ihres Mannes. Er hatte geschlafen und erst am Morgen das Verschwinden seiner Frau bemerkt. Schließlich schaltete Menkhoff den Beamer aus und klappte den Computer zu. »Die Grausamkeit, mit der der Täter vorgegangen ist – oder auch die Täter –, wird für ein riesiges Medienspektakel sorgen, darüber sind wir uns wohl alle im Klaren. Das heißt, wir stehen ab sofort unter genauer Beobachtung der Öffentlichkeit und der Boulevardpresse und können uns keine Patzer erlauben. Ich erwarte von allen hundertprozentigen Einsatz. Danke, das war’s fürs Erste.«

»Dann wollen wir mal hoffen, dass die Presse keine alten Kamellen ausgräbt, nicht wahr, Bernd?«, sagte Riedel und erhob sich.

6

Er schlug die Augen auf und war wie immer sofort hellwach. Ein schneller Blick zur Uhr – es war kurz nach vier in der Nacht. Ohne Verzögerung begann sein Verstand Gedanken zu produzieren, düstere Bilder, bizarre Skulpturen, Zeugnisse des abgrundtiefen Hasses, der sein gesamtes Bewusstsein durchzog wie gleißende Lava.

Er sprang auf, streifte mit wütenden, hastigen Griffen T-Shirt und Unterhose ab. Er durfte nichts auf der Haut tragen, es war falsch. Seine Hände strichen grob über seine Haut, verharrten hier und da einen Moment, wanderten weiter über den schmutzigen Körper, den er so hasste.

Ihm war heiß, und doch begann er zu zittern. Er ließ die Arme sinken, stand nur da und ertrug die vibrierenden Schübe, die durch seine Muskeln rasten. Dann war es vorbei, er wurde ruhiger, hörte sich beim Atmen zu.

Er sah ihr Gesicht wieder vor sich, die hündische Angst in ihren Augen. »Wer Angst hat, ist unfähig, sich dem Leben zu stellen«, hatte er ihr gesagt, aber sie hatte es nicht verstanden. Also hatte er ihr einen weiteren Hinweis gegeben: »Die Angst ist es, die Menschen zu schmutzigen, kleinen Lügnern werden lässt.« Doch sie hatte ihn noch immer nur mit wirrem Blick angesehen, und die Panik hatte sich in ihren Pupillen widergespiegelt. Er hörte ihre Schreie noch einmal, sah seine eigene Hand, die sich auf ihr Gesicht zubewegte und diese Schreie zu einem gurgelnden Wimmern werden ließ, das er wieder in ihren Mund zurückdrückte. Feige war sie, und sie verstand es nicht einmal, das hatte er deutlich gespürt. Sie war zu dumm zu verstehen. »Strafe ist die bittersüße Schwester der Gelehrsamkeit«, hatte er ihr einen weiteren Hinweis gegeben. »Sie muss sein und ist der richtige und einzige Weg, die Gesellschaft vor der Verderbtheit zu bewahren.« Dann hatte er sie weggesperrt, und er wusste, dass er das Richtige getan hatte. Ob sie da endlich verstanden hatte?

Er verharrte noch lange reglos in der Dunkelheit und hörte der Stimme zu, die mit einem Mal wieder in seinem Kopf war.

Sie erzählte ihm von unvorstellbar schrecklichen Dingen.

7

Eva hatte das Gefühl, in das Gesicht einer Fremden zu blicken, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Die Erleichterung darüber, dass sich dieser fürchterliche Traum nicht wiederholt hatte, war vom Erschrecken über ihr Aussehen überschattet worden. Ihre Augen schienen sich nicht ganz öffnen zu wollen, sie blickten ihr stumpf aus tiefen, dunklen Höhlen entgegen. Die Haut wirkte fahl und schlaff, und als sie mit den Fingerspitzen über ihre Wangen strich, bemerkte sie, dass sie zitterten.

Eva war schon öfter morgens vollkommen abgekämpft aufgewacht, obwohl sie acht oder neun Stunden geschlafen hatte. Aber selten hatte sie sich so ausgelaugt gefühlt und so übermüdet ausgesehen.

Sie zog sich aus und ging unter die Dusche. Die Wassertemperatur stellte sie so heiß ein, dass sie es gerade eben noch aushielt. Das Brennen auf der Haut tat ihr gut und weckte ihre Lebensgeister ein wenig.

Nachdem sie sich angezogen und die kurzen braunen Haare getrocknet hatte, machte sie sich die dritte Tasse Kaffee für diesen Morgen und stellte sie auf dem Küchentisch ab. Sie ging zur Haustür, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, und dachte darüber nach, ob sie Wiebke anrufen sollte. Es war kurz vor acht, um diese Zeit war Wiebke normalerweise schon unterwegs. Sie arbeitete als Immobilienmaklerin und hatte die ersten Besichtigungstermine meist schon früh morgens.

Es gab nicht viele Menschen, die Eva in ihrer Nähe ertragen konnte. Sie mied Gesellschaften und Partys, wo es ging, und lebte sehr zurückgezogen. Wiebke war die Einzige, die sie als ihre Freundin bezeichnete, obwohl sie sich nur sporadisch sahen. Sie hatten sich erst zwei Jahre zuvor auf einem Reiterhof kennengelernt, doch aus einem unerfindlichen Grund hatte Eva vom ersten Moment an das Gefühl gehabt, dieser blonden Frau mit dem natürlichen Lächeln vertrauen zu können. Es lag eine Wärme in Wiebkes blauen Augen, die schwer zu erklären war.

Auch Wiebke wusste längst nicht alles von ihr, aber Eva hatte ihr doch schon mehr von sich anvertraut als sonst jemandem. Sie hatte ihr schon recht früh von ihrer Vergesslichkeit erzählt, dass es vorkam, dass sie einfach nicht mehr wusste, warum sie irgendwohin gegangen oder wie sie dorthin gekommen war. Oder dass sie etwas tun wollte und ihr erst viel später auffiel, dass sie es nicht getan hatte, ohne dass sie den Grund dafür kannte. Vielleicht war es ein Test gewesen in der Gewissheit, dass sich ihre neue Bekannte schnell wieder von ihr abwenden würde, doch Wiebke hatte stattdessen nachgefragt und ihr versichert, dass sie sie weder für verrückt noch für eine Lügnerin hielt. Natürlich hatte Wiebke ihr geraten, zu einem Arzt zu gehen, doch nachdem Eva ihr deutlich gemacht hatte, dass das nicht in Frage kam, hatte sie das akzeptiert. Wiebke würde sie von diesem Traum erzählen können und von den seltsamen Verletzungen, ohne befürchten zu müssen, dass sie sie gleich zu einem Psychiater schicken würde. Ja, es würde ihr guttun, mit ihr zu sprechen, und vielleicht hatte sie ja sogar eine Erklärung für das alles? Vielleicht gab es etwas, das so naheliegend war, dass Eva selbst einfach nicht darauf kam?

Zurück in der Küche, legte sie die noch immer zusammengefaltete Zeitung auf dem Tisch ab und suchte eines der mobilen Telefone, die stets überall in der Wohnung verteilt lagen. Sie fand eines der Geräte auf der Ablage neben dem Kühlschrank und erreichte ihre Freundin auf der Fahrt zu ihrem ersten Termin, der etwa eine halbe Stunde dauern würde. Danach, so erklärte Wiebke, hatte sie eineinhalb Stunden bis zur nächsten Besichtigung, Zeit genug, um auf eine Tasse Kaffee bei Eva in Marienburg vorbeizukommen.

Eva verspürte Erleichterung, als sie das Telefon wieder weglegte. Es war zwar unwahrscheinlich, dass Wiebke tatsächlich eine Erklärung für das alles fand, aber allein die Aussicht, ihr davon erzählen zu können und nicht mehr ganz allein dazustehen mit dieser seltsamen und beängstigenden Erfahrung, ließ Eva hoffen, dass sie sich danach besser fühlen würde. Sie setzte sich an den Tisch, nahm einen Schluck des nicht mehr ganz heißen Kaffees und schlug die Zeitung auf. Die Überschrift sprang sie sofort in großen Lettern an, und alle Aussicht auf Erleichterung war mit einem Schlag wie weggewischt.

GRAUSIGER FUND: FRAU LEBENDIG BEGRABEN

Und darunter, etwas kleiner:

Polizei bekommt anonymen Hinweis auf Grab im Gremberger Wäldchen.

Eine Frau? Lebendig begraben? Ausgerechnet nachdem sie, Eva, diesen Traum gehabt hatte? Aber schlimmer noch als die Überschrift war etwas anderes: Jemand hatte die fetten Buchstaben mehrfach mit einem roten Filzstift unterstrichen und daneben auf den Rand der Zeitung mit krakeliger Schrift gekritzelt:

Wach endlich auf!

Als würde sie ein Eigenleben führen, hob sich Evas freie Hand und legte sich mit einer unendlich langsamen Bewegung auf ihren Mund, während ihr Blick wie gebannt an den drei handgeschriebenen Worten hing. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wer hatte das in ihre Zeitung gekritzelt, und was sollte es bedeuten? Aufwachen? Woraus sollte sie aufwachen? Aus einem Traum vielleicht? Lebendig begraben … das war doch ihr Albtraum gewesen. Aber wie konnte jemand überhaupt davon wissen? Und wieso hatte sie diesen Traum ausgerechnet jetzt, kurz bevor tatsächlich jemand … Was, wenn es am Ende gar kein Traum gewesen war? »O mein Gott«, flüsterte sie gegen die Hand. Dann stand sie ruckartig auf, ging in der Küche auf und ab. Sie bemerkte, dass sie dabei unentwegt ihre Hände rieb und die Finger ineinander verschränkte und wieder löste. Sie war vollkommen durcheinander.

Hatte sie vielleicht so etwas wie hellseherische Fähigkeiten? Nein, das war natürlich Blödsinn, obwohl … Der Traum war ihr so real erschienen, vielleicht war sie wie ein Medium in eine Art Trance gefallen und hatte das erlebt, was kurz danach diese Frau … Sie machte drei große Schritte zum Tisch, setzte sich wieder und rückte die Zeitung so zurecht, dass sie den Artikel lesen konnte. »O Gott, o Gott …«

In der dritten Zeile stieß Eva auf den Namen der Frau.

Den Blick starr auf die beiden Wörter gerichtet, hatte sie das Gefühl, ihr Herz bliebe einfach stehen.

Lange verblasste Erinnerungen tauchten auf, wechselten sich in einem verstörenden Durcheinander mit Bildern von dem Sarg aus ihrem Traum ab, mit Gesichtern, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte.

Endlich schaffte es Eva, ihre Augen von dem Namen loszureißen. Sie hob den Kopf und starrte gegen die pastellgelbe Küchenwand. Dieser Name. Wie konnte das nur sein, ausgerechnet sie.

Inge war im Gremberger Wäldchen gefunden worden, hatte in dem Artikel gestanden. Das lag auf der anderen Rheinseite, einige Kilometer von ihrem Haus hier in Marienburg entfernt. Aber es war Köln. Mitten in ihrer Heimatstadt hatte jemand Inge bei lebendigem Leib begraben, so dass sie qualvoll erstickt war. Inge … Eva beugte sich wieder über die Zeitung, aber sie konnte nicht weiterlesen. Die Erinnerungen überrannten sie. An Inge, an das Gefühl, in einem Sarg eingesperrt zu sein. Zu furchtbar war der Gedanke, dass sie genau das geträumt hatte, was ausgerechnet Inge tatsächlich zugestoßen war. Wie war das nur möglich?

8

Der Türgong ließ Eva aufschrecken. Hastig stand sie auf und ging mit unsicheren Schritten zur Haustür. Als sie sie öffnete, lächelte Wiebke sie an und breitete die Arme aus. »Da bin ich.«

»Wiebke … Ist dein Termin ausgefallen? Sagtest du nicht, du brauchst mindestens eine dreiviertel Stunde, bis du hier sein kannst. Ist es denn … Ach, ich bin ganz durcheinander.«

Das Lächeln in Wiebkes Gesicht veränderte sich nur leicht. »Eine Dreiviertelstunde, stimmt, und das ist jetzt genau …«, sie hob den Arm und warf einen Blick auf die sportliche weiße Uhr an ihrem Handgelenk, »… vierzig Minuten her. Ich habe mich extra für dich beeilt.«

Vierzig Minuten sollte ihr Telefonat her sein? Eva hätte geschworen, dass höchstens zehn Minuten verstrichen waren, seit sie den Telefonhörer weggelegt hatte. Sie musste tief in Gedanken versunken gewesen sein. Sie bemerkte Wiebkes fragenden Blick und machte einen Schritt zur Seite. »Bitte entschuldige, komm doch rein. Ich … ich habe nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen ist.«

Wiebke winkte ab und ging an ihr vorbei. »Ach, das kenne ich, das passiert mir auch häufig, wenn ich beschäftigt bin.« Ohne auf Eva zu warten schlug sie den Weg zur Küche ein. Dort saßen sie sich bei ihren Besuchen meist an dem kleinen Tisch gegenüber, tranken Kaffee oder Cappuccino, unterhielten sich und lachten häufig. Das waren seltene Momente, die Eva liebte, weil sie sich dabei unbeschwert fühlte wie ein Teenager. Wiebke war der einzige Mensch, mit dem Eva herumalbern und von Herzen lachen konnte.

Als sie sich nun gemeinsam an den Tisch setzten und Wiebkes Blick dabei zuerst auf die aufgeschlagene Zeitung mit den handgeschriebenen Worten am Rand fiel, und sich dann fragend auf Eva richtete, war ihr allerdings nicht nach Lachen zumute.

»Ich weiß nicht, wer das dahin geschrieben hat«, sagte sie leise. »Das stand schon dort, als ich die Zeitung reingeholt habe.«

Wiebke zog das Blatt näher zu sich heran. »Ich habe den Artikel heute Morgen auch schon gelesen. Eine ganz furchtbare Sache. Aber was soll das bedeuten – wach endlich auf? Wer verkritzelt denn eine fremde Zeitung? Da hat sich doch jemand einen Scherz erlaubt. Der Zusteller vielleicht?«

Eva stand auf, ging zur Kaffeemaschine und nahm zwei frische Tassen von der Wärmplatte. »Das glaube ich nicht.« Sie zögerte einen Moment, dann gab sie sich einen Ruck. »Ich habe das geträumt, Wiebke, genau das. Und jetzt schreibt jemand so was in meine Zeitung und unterstreicht die Überschrift.«

Wiebkes Augen wurden groß. »Du hast geträumt, dass dir jemand etwas in die Zeitung schreibt?«

»Nein, ich habe geträumt, dass ich in einem Sarg liege und nicht raus kann. Du weißt schon, lebendig begraben. Und ich weiß nicht einmal, ob das alles tatsächlich nur ein Traum war, oder …«

Wiebke runzelte die Stirn. »Oder was?«

Eva drückte den Knopf an der Kaffeemaschine. »Gleich, erst muss ich dir etwas anderes sagen.« Als das Mahlwerk mit seiner geräuschvollen Arbeit fertig und auch die zweite Tasse mit frischem Kaffee gefüllt war, stellte Eva sie auf dem Tisch ab, setzte sich Wiebke gegenüber und sah sie an. »Diese Frau, die lebendig begraben worden ist, Inge Glöckner … sie ist … sie war meine Halbschwester.«

Wiebke riss die Augen auf. »Was? Deine … aber … ich wusste gar nicht, dass du eine Halbschwester hast. Und sie ist diese Frau? Gott, wie furchtbar. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

»Schon gut. Wir hatten schon sehr lange keinen Kontakt mehr, unser Verhältnis war nie besonders gut. Sie ist für mich eher wie eine Fremde. Ich habe mich nur sehr erschrocken, als ich plötzlich ihren Namen in dem Artikel gelesen habe.«

Wiebke nickte. »Ich verstehe. Aber das ist doch trotzdem ganz furchtbar. Deine Halbschwester. Ich darf gar nicht darüber nachdenken. Wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?«

»Ach, das ist mindestens schon fünfzehn Jahre her, wenn nicht länger. Sie hat mich zwar zu ihrer Hochzeit vor neun Jahren eingeladen, aber ich weiß, dass sie das nur auf Druck meines Vaters gemacht hat. Mich wollte sie sicher nicht an diesem Tag um sich haben. Ich bin nicht hingegangen.«

Wiebke legte eine Hand auf ihre, und Eva widerstand dem Impuls, den Arm zurückzuziehen. »Du hast mir bisher so gut wie nichts über deine Familie erzählt, und du wirst sicher deine Gründe dafür haben, aber … deine Halbschwester … ihr habt den gleichen Vater?«

»Ja.«

»Darf ich fragen, was mit deiner leiblichen Mutter ist?«

»Sie ist tot.« Eva sagte es ohne Zögern. »Ich habe sie nie kennengelernt, sie starb bei meiner Geburt.«

»Oh, das tut mir leid.«

»Ja, mir auch.«

»Und dein Vater hat dann wieder geheiratet.«

»Ja, und mit dieser Frau noch eine Tochter bekommen. Inge. Aber können wir bitte das Thema wechseln?«

»Ja, natürlich, entschuldige. Ich wollte dir wirklich nicht …« Wiebke war sichtlich verstört. »Ich bin ganz durcheinander. Aber du wolltest mir doch von diesem Traum erzählen. Und was hast du damit gemeint, du bist dir nicht sicher, ob es ein Traum war?«

Stockend begann Eva zu erzählen. Wiebke hörte ihr zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Eva fertig war, sah Wiebke sie fassungslos an. »O Gott, Eva, das ist … ich verstehe das alles nicht, aber wenn du das so erlebt hast, und dann diese Nachricht auf der Zeitung, an dem Artikel über … vielleicht solltest du die Polizei verständigen?«

Eva schüttelte den Kopf. »Nein, die werden bestimmt sowieso bald wegen Inge zu mir kommen. Aber von diesem Traum werde ich ihnen nichts sagen. Das ist zu … verrückt. Und bitte, Wiebke, du darfst auch keinem Menschen davon erzählen, das musst du mir versprechen.«

»Ich werde mit niemandem darüber reden, Eva. Aber sag mal, die Verletzungen, die du danach hattest, die sind doch real! Wenn du ihnen die zeigst?«

»Aber das ist es ja gerade, was die Geschichte so komplett verrückt macht. Dass ich nicht wirklich in einem Sarg gelegen haben kann! Wie sollte das auch gehen? Aber dann sind da die Verletzungen. Hab ich mir die etwa selber zugefügt? Und jemand, der sich selbst verletzt, in Verbindung mit der Tatsache, dass er sich an manche Dinge nicht erinnern kann …«

Wiebke dachte einen Moment nach, dann nickte sie. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Diese Sache ist auch wirklich seltsam.« Ihr Blick fiel wieder auf die Nachricht am Zeitungsrand. »Und du hast überhaupt keine Idee, wer das gewesen sein könnte? Vielleicht wollte sich ja doch jemand einen schlechten Scherz mit dir erlauben?«

»Nein, ich wüsste niemanden, dem ich so was zutrauen würde. Und woher sollte jemand von meinem Traum wissen? Das ist doch vollkommen verrückt. Nein, das ist kein Scherz.«

Wiebke starrte einen kurzen Moment auf die Tasse vor sich, dann sah sie Eva eindringlich an. »Es gibt da jemanden, an den du dich wenden könntest.«

»Wen meinst du?«

Wieder zögerte Wiebke. Sie senkte den Blick, und es schien fast, als würde sie überlegen, ob sie wirklich weiterreden sollte. Schließlich sah sie Eva an. »Ich habe einen Freund, der absolut vertrauenswürdig ist und sich mit solchen Dingen sehr gut auskennt.«

»Mit welchen Dingen?«

»Na ja, mit seltsamen Erlebnissen, für die man keine Erklärung hat, und auch …«

»Ein Esoteriker?«

»Nein, Eva, Burghard Leienberg ist kein Esoteriker, er ist Psychiater.«

Eine Weile sahen sie sich an, dann stand Eva auf: »Tut mir leid, aber ich habe noch einiges zu erledigen.«

Auch Wiebke erhob sich. »Eva, bitte, ich möchte doch nur helfen, und ich glaube wirklich, ein Gespräch mit …«

»Nein«, schnitt Eva ihr das Wort ab. Wiebke nickte und legte ihr noch einmal die Hand auf den Arm. Dann zog sie ihre Handtasche von der Stuhllehne und verließ die Küche.

9

»Wir wissen, dass Vater und Mutter tot sind, aber wie ich gerade erst von ihrem Mann erfahren habe, gibt es eine Halbschwester in Marienburg. Eva Rossbach, siebenunddreißig Jahre alt, Inhaberin der Rossbach Maschinenbaubetriebe, nicht gerade ein kleiner Betrieb.«

Jutta Reithöfer legte ihre Notizen vor Menkhoff ab und ließ sich in den Stuhl fallen, der schräg neben dem Schreibtisch stand. Menkhoff überflog das Blatt kurz und legte es dann wieder hin. »Ah, daher kommt also das Vermögen. Wieso erfahren wir das erst jetzt?«