Der Schatten über Innsmouth - H.P. Lovecraft - E-Book

Der Schatten über Innsmouth E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

Irgendwo in Massachusetts, nicht weit entfernt von dem berüchtigten Arkham, liegt die einsame Hafenstadt Innsmouth. Ihre Einwohner gelten als sonderbar und verschlossen, und die Leute aus den Nachbarorten meiden nach Möglichkeiten jeden Kontakt zu ihnen. Doch eines Tages verschlägt es einen Fremden nach Innsmouth, und ein grässliches Geheimnis kommt ans Licht ... Das Meisterwerk H. P. Lovecrafts über menschliche Habgier und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit in ungekürzter Neuübersetzung, der es erstmals gelingt, Lovecrafts speziellen Stil und die besondere Atmosphäre seiner Erzählung in deutscher Sprache schillern zu lassen. »H. P. Lovecraft ist der bedeutendste Horror-Autor des 20. Jahrhunderts.« Stephen King Unter dem Titel »The Shadow over Innsmouth« erstmals veröffentlicht 1936 in der Visionary Publishing Company. Erstdruck der Übersetzung in»H. P. Lovecraft – Das Werk« (FISCHER Tor, 2017)

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Seitenzahl: 135

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H. P. Lovecraft

Der Schatten über Innsmouth

Erzählung

Aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann

FISCHER digiBook

Inhalt

I.II.III.IV.V.

I.

Im Winter 1927/28 unternahmen Beamte der Bundesregierung eine merkwürdige und geheime Untersuchung gewisser Zustände in der alten Hafenstadt Innsmouth in Massachusetts. Die Öffentlichkeit erfuhr erstmals im Februar davon, als es zu zahlreichen Polizeirazzien und Verhaftungen kam, in deren Gefolge eine enormen Zahl baufälliger, wurmstichiger und angeblich leerer Häuser an der verlassenen Küste planmäßig und unter angemessenen Sicherheitsvorkehrungen niedergebrannt oder gesprengt wurden. Schlichte Gemüter taten diese Ereignisse als einen der größeren Zusammenstöße im wechselhaften Krieg gegen den Alkohol ab.

Aufmerksamere Zeitungsleser fragten sich jedoch, warum es so erstaunlich viele Verhaftungen gegeben hatte, warum dafür so ungewöhnlich viele Polizisten nötig gewesen waren und warum man geheim hielt, wie mit den Gefangenen weiter verfahren wurde. Man hörte nichts von Gerichtsverhandlungen, ja nicht einmal von eindeutigen Anklagen, und man traf die Gefangenen auch später nicht in normalen Landeshaftanstalten an. Man munkelte über Seuchen und Konzentrationslager und später über ihre Verteilung auf verschiedene Marine- und Militärgefängnisse, doch ergab sich daraus nie ein klares Bild. Innsmouth blieb fast menschenleer zurück, und sogar heute noch beginnt die Stadt nur zaghaft ins Leben zurückzufinden.

Beschwerden zahlreicher liberaler Organisationen wurden mit langen vertraulichen Gesprächen beantwortet, und ihren Vertretern wurden gewisse Lager und Gefängnisse gezeigt. Jene Organisationen blieben hernach überraschend untätig und verschwiegen. Die Zeitungsreporter konnte man nicht so leicht abfertigen, sie schienen aber letztendlich mit der Regierung zu kooperieren. Nur eine Zeitung – ein Boulevardblatt, das man wegen seiner wilden Spekulationen nicht ernst nahm – erwähnte das tieftauchende Unterseeboot, das Torpedos in die Meeresschlucht hinter dem Devil Reef abfeuerte. Dieser Artikel, eher zufällig in einer Seemannskneipe aufgeschnappt, schien tatsächlich ziemlich weit hergeholt, denn das flache schwarze Riff liegt ganze eineinhalb Meilen vom Hafen von Innsmouth entfernt.

Die Menschen der Umgebung und in den umliegenden Städten tauschten murmelnd Gerüchte aus, sagten aber nur wenig zu Außenstehenden. Sie sprachen schon seit einem guten Jahrhundert über das sterbende und halbverlassene Innsmouth, und nichts konnte verrückter oder erschreckender sein als das, was sie in den Jahren zuvor geflüstert und angedeutet hatten. Die Umstände hatten sie gelehrt, Stillschweigen zu bewahren, und nun war es nicht notwendig, sie zum Schweigen zu zwingen. Außerdem wussten sie im Grunde nur sehr wenig über Innsmouth, da weitläufige, einsame und unbesiedelte Salzmarschen die landeinwärts wohnenden Nachbarn von der Stadt fernhielten.

Ich werde jedoch nun endlich dem Redeverbot zu diesem Thema trotzen. Ich bin mir sicher, dass die Aktion derart erfolgreich verlief, dass ein Hinweis darauf, was jenes entsetzte Einsatzkommando in Innsmouth vorfand, der Öffentlichkeit nicht weiter schaden kann und ihr lediglich Abscheu und Schrecken einjagen wird. Zudem kann das, was man fand, mehr als nur eine Erklärung haben. Ich weiß nicht einmal, wie viel von der ganzen Geschichte man mir offenbart hat, und wünsche aus vielerlei Gründen nicht, der Sache weiter nachzugehen. Denn ich war tiefer darin verwickelt als jeder andere Außenstehende und habe Eindrücke gewonnen, die mich in Zukunft zu drastischen Maßnahmen zwingen könnten.

Ich war es, der am frühen Morgen des 16. Juli 1927 panisch aus Innsmouth flüchtete und dessen verängstigte Bitten um amtliche Nachforschungen und Maßnahmen die ganze oben beschriebene Episode auslösten. Ich war nur allzu gern bereit, Stillschweigen zu bewahren, solange die Angelegenheit noch neu und ungeklärt war, doch nun, da es nur noch eine alte Geschichte ist und das Interesse und die Neugier der Öffentlichkeit abgeflaut sind, empfinde ich ein seltsames Verlangen danach, im Flüsterton über jene wenigen furchterregenden Stunden in dem übel beleumundeten und von bösen Schatten verdunkelten Hafen des Todes und der gottlosen Abnormitäten zu sprechen. Das bloße Erzählen hilft mir, das Vertrauen in meine Sinnesvermögen zurückzugewinnen und mir selbst zu versichern, dass ich nicht einfach der Erste war, der einer ansteckenden und albtraumhaften Täuschung erlag. Es hilft mir auch dabei, mir über einen gewissen schrecklichen Schritt klarzuwerden, der noch vor mir liegt.

Ich hatte noch nie von Innsmouth gehört, ehe ich die Stadt zum ersten und – bislang – letzten Mal sah. Ich feierte meine Volljährigkeit mit einer Rundreise durch Neuengland – besuchte Sehenswürdigkeiten, interessierte mich für Altertümer und Ahnenforschung – und hatte geplant, vom uralten Newburyport direkt nach Arkham zu fahren, wo die Familie meiner Mutter ihre Wurzeln hatte. Ich besaß keinen Wagen, sondern fuhr mit dem Zug, der Straßenbahn und dem Autobus und wählte stets die billigste Route. In Newburyport erzählte man mir, dass man nach Arkham am besten die Eisenbahn nahm, und erst am Fahrkartenschalter des Bahnhofs, als ich wegen der teuren Zugverbindung zögerte, erfuhr ich von Innsmouth. Der stämmige, intelligent wirkende Verkäufer, dessen Dialekt bewies, dass er aus einer anderen Gegend stammte, schien meine Bemühungen um Sparsamkeit nachfühlen zu können und schlug eine Möglichkeit vor, von der mir niemand anders, mit dem ich gesprochen hatte, etwas gesagt hatte.

»Sie könnten wohl den alten Bus nehmen«, sagte er mit merklichem Zögern, »aber die Hiesigen halten nicht viel davon. Er fährt durch Innsmouth – Sie haben vielleicht davon gehört – und deshalb mögen ihn die Leute nicht. Der Fahrer – Joe Sargent – ist aus Innsmouth, hat hier aber nie Kundschaft, ebenso wenig in Arkham, nehme ich an. Ich frage mich, warum die Verbindung nicht längst eingestellt wurde. Ist wohl recht preiswert, habe allerdings nie mehr als zwei oder drei Leute im Bus gesehen – alle aus Innsmouth. Abfahrt um 10 Uhr vormittags und 7 Uhr abends am Platz vor Hammonds Drugstore, wenn sie es nicht kürzlich geändert haben. Sieht wie eine schreckliche Klapperkiste aus – bin noch nie mitgefahren.«

Das war das erste Mal, dass ich vom schattenumringten Innsmouth hörte. Jeder Hinweis auf eine Stadt, die auf gewöhnlichen Karten oder in aktuellen Reiseführern nicht verzeichnet ist, interessierte mich, und die sonderbare Art des Verkäufers, Andeutungen einzuflechten, machte mich einigermaßen neugierig. Eine Stadt, die bei ihren Nachbarn derart verpönt war, müsse zumindest recht ungewöhnlich sein, dachte ich mir, und könnte es wert sein, von einem Touristen besichtigt zu werden. Falls sie auf der Strecke nach Arkham lag, würde ich dort einen Zwischenhalt einlegen, und so bat ich den Fahrkartenverkäufer, mir etwas über die Stadt zu erzählen. Er wählte seine Worte sehr bedächtig, als wüsste er mehr, als er preisgeben wollte.

»Innsmouth? Na, das ist eine komische Stadt an der Mündung des Manuxet. War mal fast eine richtige Stadt – ein ziemlich wichtiger Hafen im Krieg von 1812 –, doch in den letzten hundert Jahren ging alles den Bach runter. Heute gibt es keine Bahnverbindung mehr – B. & M. ist dort nie durchgefahren, und die Nebenstrecke von Rowley wurde vor Jahren aufgegeben.

Ich schätze, dort gibt’s mehr leere Häuser als Einwohner und keine nennenswerte Wirtschaft, abgesehen von Fischerei und Hummerfang. Der Handel spielt sich größtenteils hier, in Arkham oder Ipswich ab. Einst hatten sie ein paar Fabriken, aber davon ist nichts übriggeblieben, bis auf eine Goldraffinerie, die aber nur noch sporadisch arbeitet.

Die Raffinerie war allerdings früher dick im Geschäft, und der Besitzer, der alte Marsh, muss wohl reicher als Krösus sein. Ist aber ein komischer alter Kauz, der kaum aus dem Haus geht. Angeblich hat er im Alter eine Hautkrankheit oder eine Missbildung entwickelt, die ihn zwingt, Gesellschaft zu meiden. Ist ein Enkel von Captain Obed Marsh, der das Unternehmen gründete. Seine Mutter war wohl Ausländerin – angeblich von den pazifischen Inseln –, weshalb alle ein großes Geschrei machten, als er vor fünfzig Jahren ein Mädchen aus Ipswich heiratete. Das machen sie immer, wenn es um Leute aus Innsmouth geht, und die Hiesigen versuchen es immer zu verheimlichen, wenn sie Verwandte aus Innsmouth haben. Doch Marshs Kinder und Enkelkinder sehen aus wie jeder andere, soweit ich das beurteilen kann. Jemand hat sie mir mal gezeigt – aber wenn ich recht überlege, waren die älteren Kinder wohl in letzter Zeit nicht mehr hier. Den Alten habe ich nie gesehen.

Warum hier so schlecht über Innsmouth geredet wird? Na, junger Mann, Sie dürfen das Gerede der hiesigen Leute nicht so ernst nehmen. Sie kommen nur schwer in die Gänge, aber wenn sie mal loslegen, sind sie kaum zu bremsen. Die haben wohl schon seit hundert Jahren Geschichten über Innsmouth erzählt – oder eher geflüstert –, und ich glaube, sie tun das vor allem aus Furcht. Über einige der Geschichten würden Sie lachen – über den alten Captain Marsh, der einen Pakt mit dem Teufel einging und Dämonen aus der Hölle in Innsmouth ansiedelte oder über irgendeine Art von Teufelsanbetung und grauenvolle Opfer an einem Ort in der Nähe der Kais, der um 1845 ausgehoben wurde –, aber ich stamme aus Panton, Vermont, und glaube nicht an derlei Quatsch.

Sie sollten aber mal hören, was einige der alten Leute über das schwarze Riff vor der Küste erzählen – Devil Reef nennen sie es, Teufelsriff. Es ragt meist ein gutes Stück weit aus dem Wasser und liegt nie tief unter der Oberfläche, aber als Insel kann man es deswegen noch nicht bezeichnen. Angeblich sieht man auf diesem Riff manchmal eine ganze Legion Teufel – sie lümmeln herum oder flitzen an irgendwelchen Höhlen am Kamm ein und aus. Es ist ein zerklüftetes, unebenes Ding, ein bisschen mehr als eine Meile weit draußen, und ehe man den Hafen endgültig dichtmachte, nahmen die Seeleute große Umwege in Kauf, nur um es zu meiden.

Das heißt Seeleute, die nicht aus Innsmouth stammten. Einer der Vorwürfe, die sie dem alten Captain Marsh machten, drehte sich darum, dass er angeblich in manchen Nächten dort landete, wenn die Gezeiten günstig waren. Vielleicht hat er’s getan, denn die Felsformationen waren wohl interessant, und es ist durchaus möglich, dass er nach Piratenschätzen suchte und sie sogar gefunden hat, doch man munkelte, er mache dort Geschäfte mit Dämonen. Ich schätze, letztlich war es im Grunde der Captain, der für den schlechten Ruf des Riffs verantwortlich war.

Das war vor der großen Epidemie von 1846, von der mehr als die Hälfte der Leute in Innsmouth dahingerafft wurden. Sie fanden nie wirklich raus, welche Krankheit es war, aber wahrscheinlich handelte es sich um irgendeine fremdländische Seuche, die auf den Schiffen von China oder anderswo eingeschleppt wurde. Jedenfalls war es eine richtig üble Sache – es hat deswegen Unruhen gegeben und alle möglichen unheimlichen Machenschaften, von denen man außerhalb der Stadt wohl nie erfahren hat –, und hinterher war die Stadt schrecklich heruntergekommen. Hat sich nie davon erholt – heute dürfte sie nicht mehr als drei- bis vierhundert Einwohner haben.

Doch eigentlich stecken hinter der Abneigung der Leute nur Rassenvorurteile – und ich kann nicht behaupten, dass ich sie ihnen übelnehme. Mir sind diese Innsmouther selbst zuwider, und keine zehn Pferde würden mich dazu bringen, ihre Stadt zu besuchen. Sie wissen wohl – obwohl ich an ihrer Sprechweise erkenne, dass Sie aus dem Westen kommen –, was viele unserer neuenglischen Schiffe mit eigenartigen Häfen in Afrika, Asien und der Südsee zu schaffen hatten und was für merkwürdige Leute sie manchmal von ihren Reisen mitbrachten. Sie haben wahrscheinlich von dem Mann aus Salem gehört, der mit einer chinesischen Frau heimkam, und sie wissen vielleicht, dass heute noch ein paar Fidschi-Insulaner irgendwo bei Cape Cod hausen.

Na, bei den Innsmouthern muss etwas Ähnliches dahinterstecken. Der Ort war schon immer durch Sümpfe und Flüsse vom Rest des Landes getrennt, und wir haben im Grunde keine Ahnung, wie es dort wirklich zugeht. Allerdings ist ziemlich klar, dass der alte Captain Marsh ein paar seltsame Exemplare nach Hause gebracht haben muss, als in den Zwanzigern und Dreißigern seine drei Schiffe auf große Fahrt gingen. Die Innsmouther, denen man heute begegnet, haben alle einen seltsamen Einschlag – ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber sie sind irgendwie unheimlich. Sie werden etwas davon bei Sargent bemerken, wenn Sie seinen Bus nehmen. Einige von ihnen haben merkwürdig schmale Köpfe mit flachen Nasen und hervortretenden Glotzaugen, die sie nie zu schließen scheinen, und mit ihrer Haut stimmt etwas nicht. Rau und schuppig, und seitlich am Hals ist sie ganz schrumpelig oder faltig. Werden schon in jungen Jahren kahl. Die Älteren sehen am schlimmsten aus – eigentlich glaube ich nicht, je jemanden von dort gesehen zu haben, der wirklich alt war. Sterben wohl, wenn sie in den Spiegel gucken! Tiere verabscheuen sie – sie hatten ständig Probleme mit ihren Pferden, ehe die Automobile aufkamen.

Niemand von hier oder aus Arkham oder Ipswich will mit denen irgendwas zu tun haben, und sie benehmen sich selber ziemlich abweisend, wenn sie in die Stadt kommen oder jemand versucht, in ihren Fanggründen zu fischen. Schon komisch, wie viele Fische es immer vor dem Hafen von Innsmouth gibt, während sich sonst wo keine blicken lassen – aber versuchen Sie nur einmal selber, dort zu fischen, und schauen Sie, wie die Leute Sie fortjagen! Früher sind diese Leute mit dem Zug hergekommen – sind zum Bahnhof in Rowley marschiert, nachdem die Nebenstrecke aufgegeben wurde –, aber jetzt fahren sie mit dem Bus.

Ja, es gibt ein Hotel in Innsmouth – es heißt Gilman House –, ich glaube aber nicht, dass es viel hermacht. Ich würde Ihnen davon abraten, es auszuprobieren. Bleiben Sie lieber hier und nehmen morgen früh den Bus um zehn Uhr; dann können Sie von dort um acht Uhr nach Arkham weiterfahren. Vor ein paar Jahren hat mal ein Wirtschaftsprüfer im Gilman übernachtet, und er machte jede Menge unschöner Andeutungen darüber. Anscheinend haben die dort eigenartige Gäste, denn der Bursche hörte Stimmen in den anderen Zimmern – obwohl die meisten davon nicht belegt waren –, die ihm eine Gänsehaut verursachten. Er dachte, sie hätten sich in einer fremden Sprache unterhalten, doch das Üble, sagte er, sei eine bestimmte Art von Stimme gewesen, die manchmal das Wort ergriffen habe. Sie habe so unnatürlich geklungen – wie ein Schlürfen, sagte er –, dass er es nicht gewagt habe, sich auszuziehen und schlafen zu gehen. Er wartete, ohne ein Auge zu schließen, und machte sich im Morgengrauen aus dem Staub. Die Gespräche hätten fast die ganze Nacht angedauert.

Dieser Bursche – Casey hieß er – hatte so einiges darüber zu sagen, wie die Innsmouther ihn beobachteten und anscheinend stets irgendwie auf der Hut blieben. Die Marsh-Raffinerie hielt er für merkwürdig – das ist eine alte Mühle an den unteren Wasserfällen des Manuxet. Caseys Geschichten passten zu dem, was ich sonst gehört hatte. Die Bücher in Unordnung und keine nachvollziehbaren Abrechnungen irgendwelcher Geschäfte. Na ja, es war schon immer irgendwie eigenartig, woher die Marshes das Gold haben, das sie veredeln. Sie haben in dem Bereich wohl nie viele Einkäufe getätigt, vor einigen Jahren aber eine gewaltige Menge Barren verschifft.

Es gab Gerede über seltsamen ausländischen Schmuck, den die Matrosen und Fabrikarbeiter manchmal unter der Hand verkauften oder den man ein-, zweimal Frauen aus Innsmouth hat tragen sehen. Einige meinten, dass der alte Captain Obed die Sachen vielleicht in irgendeinem heidnischen Hafen erworben hat, besonders, weil er immer große Mengen Glasperlen und wertlosen Plunder bestellte, so wie Seeleute ihn im Tauschhandel mit Eingeborenen verwenden. Andere glaubten und glauben immer noch, dass er auf Devil Reef einen alten Piratenschatz entdeckt hat. Aber was das Eigenartigste ist – der alte Captain ist seit sechzig Jahren tot, und seit dem Bürgerkrieg ist kein größeres Schiff mehr von dort ausgelaufen, doch die Marshes kaufen weiterhin diesen Eingeborenenkram – meist Kinkerlitzchen aus Glas und Gummi, hab ich gehört. Vielleicht schmücken die Innsmouther sich gern selbst damit – weiß Gott, die sind inzwischen genauso übel wie Südseekannibalen und Wilde aus Guinea.

Die Pest von ’46 hat wohl das beste Blut dort versiegen lassen. Jedenfalls lebt da mittlerweile eine zweifelhafte Bande, und die Marshes und die anderen Reichen sind so schlimm wie alle anderen. Wie ich Ihnen schon sagte, wohnen wahrscheinlich nicht mehr als 400 Leute in der ganzen Stadt, trotz der vielen Straßen, die es dort angeblich gibt. Ich schätze, die sind das, was man drunten im Süden White Trash nennt – gesetzlos und hinterhältig und in geheime Machenschaften verwickelt. Sie fangen viele Fische und Hummer und exportieren sie mit Lastwagen. Schon komisch, warum die Fische sich ausgerechnet dort scharenweise tummeln und nirgendwo sonst.

Niemand schafft es, diesen Leuten auf die Schliche zu kommen, und die Beamten von der staatlichen Schulbehörde und vom statistischen Bundesamt raufen sich die Haare. Sie können darauf wetten, dass neugierige Fremde in Innsmouth nicht willkommen sind. Ich habe persönlich von mehr als einem Geschäftsreisenden oder Regierungsbeamten gehört, der dort verschwunden ist, und es gibt Gerüchte über einen, der den Verstand verlor und jetzt in Danvers einsitzt. Die müssen dem Kerl einen Mordsschrecken eingejagt haben.