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Dieses Buch ist in leichter Sprache geschrieben. Leichte Sprache hilft beim Lesen und Verstehen. Das Buch eignet sich zum Beispiel für Menschen mit Lern- und Leseschwierigkeiten oder um die deutsche Sprache zu lernen (Niveau A1). Wir schreiben nach den Regeln für leichte Sprache. Diese Buchserie ist für alle, die einfache Texte mögen. "Der Schimmelreiter" ist eine der bekanntesten Novellen von Theodor Storm. Die Geschichte, angesiedelt in einem norddeutschen Küstendorf, thematisiert den Kampf des Menschen gegen die Naturgewalten und den Aberglauben der Dorfgemeinschaft. Die Geschichte dreht sich um Hauke Haien, einen ambitionierten und intelligenten jungen Mann, der innovative Ideen zur Verbesserung der Deiche hat. Hauke steigt durch seinen Fleiß und seine Intelligenz auf und heiratet Elke, die Tochter seines Vorgängers, was ihm den Weg ebnet, selbst Deichgraf zu werden. Nachdem er Deichgraf geworden ist, setzt Hauke seine fortschrittlichen Pläne um, einen neuen, besseren Deich zu bauen. Trotz seiner fachlichen Fähigkeiten stößt er jedoch auf Misstrauen und Widerstand in der von Aberglauben durchdrungenen Dorfgemeinschaft. Sein Kampf wird zusätzlich erschwert durch mysteriöse Vorfälle und das Misstrauen, das sein unheimlicher Schimmel bei den Dorfbewohnern weckt. "Der Schimmelreiter" ist eine tiefgründige Erzählung über Menschlichkeit, Isolation und den unerbittlichen Kampf gegen unaufhaltsame Kräfte. Storm verwebt in seiner Novelle Realismus mit Elementen der norddeutschen Sagenwelt und schafft so ein packendes, atmosphärisch dichtes Meisterwerk der deutschen Literatur.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Impressum
Ich reite bei starkem Sturm über einen Damm.
Links sehe ich leeres Land.
Rechts ist das Meer.
Ich sehe nur graue Wellen.
Sie schlagen gegen den Damm.
Das Wasser spritzt mich und mein Pferd nass.
Himmel und Erde sehen gleich aus.
Der Mond ist meistens hinter Wolken versteckt.
Es ist sehr kalt.
Meine Hände sind auch kalt.
Ich kann die Zügel kaum halten.
Es wird dunkel.
Ich sehe kaum noch die Hufe meines Pferdes.
Ich sehe keinen einzigen Menschen.
Das Wetter ist jetzt seit 3 Tagen schlecht.
Ich bin bei einem Verwandten gewesen.
Heute will ich in die Stadt reiten.
Die Stadt ist ein paar Stunden entfernt.
Ich bin am Nach∙mittag losgeritten.
Mein Vetter hat mir nachgerufen:
„Warte, bis du am Meer bist.
Dann wirst du umkehren.
Dein Zimmer bleibt für dich frei!“
Der Wind drückt mich fast vom Damm.
Ich denke kurz:
„Soll ich umkehren?“
Aber der Weg zurück ist länger als der Weg in die Stadt.
Ich reite weiter.
Jetzt sehe ich eine dunkle Gestalt auf dem Damm.
Es ist ein Reiter auf einem weißen Pferd.
Der Reiter trägt einen flatternden, dunklen Mantel.
Ich sehe sein Gesicht.
Es ist bleich.
Seine Augen leuchten.
Sie schauen mich an.
Ich höre keinen Huf∙schlag.
Ich höre kein Atmen vom Pferd.
Aber der Reiter reitet direkt an mir vorbei.
Ich denke noch über die Gestalt nach.
Da fliegt sie plötzlich wieder an mir vorbei.
Der Mantel streift fast meinen Arm.
Dann verschwindet sie lautlos in der Dunkelheit.
Ich reite langsam hinterher.
Unten im Marsch∙land sehe ich Wasser glitzern.
Das Wasser bewegt sich stark.
Ich sehe den Reiter nicht mehr.
Aber ich sehe etwas anderes.
Ich sehe viele Lichter.
Dicht vor mir sehe ich ein großes Haus.
Es liegt auf halber Höhe des Dammes.
Im Haus brennt Licht.
Ich sehe Menschen darin.
Ich höre ihre Stimmen.
Gläser klirren.
Mein Pferd geht von selbst den Weg zum Haus hinunter.
Es bleibt vor der Türe stehen.
Das Haus ist ein Gasthaus.
Ein Knecht kommt mir entgegen.
Ich gebe ihm die Zügel.
Ich frage:
„Ist hier eine Versammlung?“
Der Knecht antwortet:
„Der Deichgraf ist hier.
Und ein paar andere Männer.
Sie sprechen über das Hoch∙wasser.“
Ich trete ein.
Etwa 12 Männer sitzen an einem Tisch.
Auf dem Tisch steht eine große Schale mit Punsch.
Ein besonders stattlicher Mann hat das Wort.
Ich grüße alle Männer.
Ich frage:
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Sie nicken.
Ich sage:
„Sie halten Wache?
Draußen ist schlimmes Wetter.“
Ein Mann sagt:
„Ja.
Wir an der Ost∙seite sind sicher.
Aber auf der anderen Seite ist es gefährlich.
Dort sind die Dämme alt.
Unser Haupt∙damm ist im letzten Jahrhundert verstärkt worden.
Wir müssen noch ein paar Stunden durchhalten.
Draußen sind Leute.
Sie werden uns warnen.“
Jemand schiebt mir ein Glas hin.
Es dampft.
Ich danke.
Der Mann neben mir ist der Deichgraf.
Wir kommen ins Gespräch.
Ich erzähle ihm von meiner Begegnung mit dem Reiter auf dem Damm.
Plötzlich verstummen alle Gespräche.
Der Deichgraf hört aufmerksam zu.
Ein Mann ruft:
„Der Schimmelreiter!“
Alle sehen erschrocken aus.
Der Deichgraf steht auf.
Er sagt:
„Sie müssen keine Angst haben.“
Ich bekomme Gänse∙haut.
Ich frage:
„Was ist mit dem Schimmelreiter?“
Hinter dem Ofen sitzt ein kleiner, dünner Mann.
Er trägt einen schwarzen Rock.
Er hat bisher nichts gesagt.
Aber seine Augen sind wach.
Er schläft nicht.
Der Deichgraf zeigt auf ihn.
Er sagt:
„Das ist unser Schul∙meister.
Er kann die Geschichte am besten erzählen.
Aber nicht so gut wie meine alte Wirtschafterin Antje Vollmers.“
Der Schul∙meister antwortet:
„Sie scherzen, Deichgraf.
Vergleichen Sie mich nicht mit Ihrem dummen Drachen!“
Der Deichgraf lacht:
„Ja, ja, Schulmeister.
Aber solche Geschichten gehören zu den Drachen!“
Der Schulmeister lächelt überlegen.
Er sagt:
„Wir haben da unterschiedliche Meinungen.“
Der Deichgraf flüstert mir ins Ohr:
„Er ist ein bisschen stolz.
Er hat Theologie studiert.
Aber seine Verlobung ist gescheitert.
Jetzt ist er Schulmeister hier.“
Der Schulmeister kommt aus seiner Ecke.
Er setzt sich neben mich an den Tisch.
Einige junge Männer rufen:
„Erzählen Sie!
Erzählen Sie, Schulmeister!“
Der Schulmeister sagt zu mir:
„Gut.
Ich erzähle die Geschichte gern.
Aber es ist viel Aberglaube dabei.“
Ich sage:
„Bitte lassen Sie den Aberglauben nicht weg.
Ich kann selbst Wahrheit und Aberglaube unterscheiden.“
Der alte Mann lächelt mich freundlich an.
Er sagt:
„Also gut!
Ich erzähle jetzt.“
Das ist seine Geschichte:
Ein Deichgraf lebt vor vielen Jahren in dieser Gegend.
Er weiß viel über Dämme und Schleusen.
Aber er liest kaum Bücher.
Er bringt sich alles selbst bei.
Vielleicht habt ihr schon von Hans Mommsen gehört.
Er ist Bauer gewesen.
Trotzdem hat er Kompasse, Uhren, Fernrohre und Orgeln gebaut.
Der Vater vom Deichgrafen ist so ähnlich.
Er hat ein paar Felder und eine Kuh.
Im Herbst und im Frühling vermisst er das Land.
Im Winter sitzt er in seiner Stube und zeichnet.
Der Junge sitzt oft dabei.
Er schaut dem Vater zu.
An einem Abend fragt der Junge den Vater:
„Warum schreibst du alles so genau?
Warum kann es nicht anders sein?“
Der Vater sagt:
„Das weiß ich nicht.
Es ist so.
Willst du mehr wissen?
Dann such morgen auf dem Boden ein Buch.
Es heißt ‚Euklid‘.
Das Buch erklärt dir alles.“
Am nächsten Tag geht der Junge auf den Boden.
Er findet das Buch schnell.
Der Junge legt das Buch auf den Tisch.
Der Vater lacht.
Es ist ein holländischer Euklid.
Beide verstehen kein Holländisch.
Der Vater sagt:
„Ja, ja.
Das Buch ist noch von meinem Vater.
Er hat es verstanden.“
Der Junge schaut den Vater an.
Er fragt:
„Darf ich das Buch behalten?“
Der Vater nickt.
Dann zeigt der Junge noch ein zweites Buch.
Er fragt:
„Auch das?“
Der Vater sagt:
„Nimm beide.
Sie helfen dir wohl nicht viel.“
Aber das zweite Buch ist eine holländische Grammatik.
Der Winter ist noch lang.
Bis im Frühling hat der Junge den Euklid fast ganz verstanden.
Der Schulmeister sagt:
„Das erzählt man auch über Hans Mommsen.
Aber bei uns geht es um Hauke Haien.
So heißt der Junge.“
Dann fährt der Schulmeister fort.
Der Vater merkt:
Hauke interessiert sich nicht für Kühe und Schafe.
Darum schickt der Vater ihn an den Damm.
Hauke soll mit anderen Arbeitern Erde schaufeln.
Der Vater denkt:
„Die harte Arbeit wird ihn vom Denken ablenken.“
Der Junge schaufelt Erde.
Aber er hat den Euklid immer in der Tasche.
Die Arbeiter machen Pause.
Aber Hauke sitzt mit dem Buch auf seinem Schubkarren.
Im Herbst ruht die Arbeit.
Hauke bleibt trotzdem am Damm.
Er schaut lange aufs Wasser.
Er sitzt dort stundenlang.
Er sieht das trübe Wasser.
Es schlägt immer wieder gegen dieselbe Stelle.
Das Wasser gräbt sich in den Damm.
Manchmal erreicht das Wasser seine Füße.
Dann rückt Hauke ein Stück nach oben.
Dort bleibt er wieder sitzen.
Er hört das Wasser nicht.
Er hört auch die Möwen nicht.
Er sieht nur den Rand des Wassers.
Manchmal nickt er.
Manchmal zeichnet er mit der Hand eine Linie in die Luft.
Er will dem Damm einen sanften Abhang geben.
Es wird dunkel.
Er kann nichts mehr sehen.
Erst dann geht Hauke nach Hause.
Seine Kleider sind nass.
An einem Abend tritt Hauke in die Stube.
Der Vater sitzt bei seinen Mess∙geräten.
Der Vater erschrickt.
Er sagt:
„Was machst du draußen?
Das Wasser ist heute gefährlich.“
Hauke sagt:
„Ja.
Aber ich bin nicht ertrunken.“
Der Vater sagt nach einer Pause:
„Diesmal noch nicht.“
Hauke sagt:
„Unsere Dämme sind schlecht.“
Der Vater fragt:
„Was meinst du?