Der schwarze Magier - Susan Hastings - E-Book
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Der schwarze Magier E-Book

Susan Hastings

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Beschreibung

Eine abenteuerliche Reise in der Tradition von Noah Gordons „Medicus“: „Der schwarze Magier“ von Susan Hastings jetzt als eBook bei dotbooks. Südengland im 12. Jahrhundert: Mit seinen ungewöhnlichen Methoden zieht der junge Medicus Rupert de Cazeville den Zorn der Inquisition auf sich. Obwohl er längst auf der Flucht sein sollte, heilt er einen Ritter – und gewinnt damit unerwartet das Vertrauen von Richard Löwenherz. Als Leibarzt und Berater folgt er dem König auf den Kreuzzug ins Heilige Land. Doch die Jahre, die Rupert bei keltischen Druiden und der schönen Heilerin Rigana verbracht hat, haben ihn zu einem freiheitsliebenden Mann gemacht, der sich niemandem beugt – auch keinem König. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis er in der Hitze des Krieges zwischen alle Fronten gerät … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der historische Roman „Der schwarze Magier“ von Susan Hastings. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 672

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Über dieses Buch:

Südengland im 12. Jahrhundert: Mit seinen ungewöhnlichen Methoden zieht der junge Medicus Rupert de Cazeville den Zorn der Inquisition auf sich. Obwohl er längst auf der Flucht sein sollte, heilt er einen Ritter – und gewinnt damit unerwartet das Vertrauen von Richard Löwenherz. Als Leibarzt und Berater folgt er dem König auf den Kreuzzug ins Heilige Land. Doch die Jahre, die Rupert bei keltischen Druiden und der schönen Heilerin Rigana verbracht hat, haben ihn zu einem freiheitsliebenden Mann gemacht, der sich niemandem beugt – auch keinem König. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis er in der Hitze des Krieges zwischen alle Fronten gerät …

Über die Autorin:

Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.

Bei dotbooks sind von Susan Hastings die folgenden historischen Romane erschienen: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Die Sehnsucht der Nonne«, »Die Liebe der Wollhändlerin«, »Herzensflammen«, »Die Leidenschaft der Nonne« und »Die Himmelsträumerin«.

Weiterhin erschienen bei dotbooks die historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Die Sklavin und der Wikinger«, »Die Geliebte des Wüstenkriegers«, »Das Verlangen des Gladiators«, außerdem der Liebesroman »Irische Träume« und der Erotikthriller »Dark Heat – Gefährliche Leidenschaft«.

Drei ihrer historischen Liebesromane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Verführt – Im Bann der Krieger« erhältlich, mit den Romanen »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Das Verlangen des Gladiators« und »Die Geliebte des Wüstenkriegers«.

Die Autorin im Internet: http://www.susan-hastings.de/

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2003 area verlag gmbh, Erftstadt

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shuterstock/Marcel Jancovic und eines Gemäldes von Alexandre Jean Baptiste Hesse »The taking of Beirut«

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-948-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Hastings

Der schwarze Magier

Roman

dotbooks.

Mein herzlicher Dank gilt meiner Ärztin Anne K. für ihre wertvolle Hilfe in allen medizinischen Fragen und ihre selbstlose Mitarbeit am Manuskript.

VORWORT

Im Jahr 1157 wird auf einer alten Burg im Südwesten Englands ein Knabe geboren. Es ist der dritte Sohn des normannischen Ritters Guy de Cazeville und seiner Gemahlin Marjorie. Der Ritter leert mit seinen Knappen und Gefolgsleuten einen Krug Sauerbier zu Ehren seines Sohnes, ansonsten wartet er die Zeit ab, bis dieser Junge, den sie Rupert nennen, herangewachsen und so weit zu Kräften gekommen ist, dass er selbst als Ritter für König und Reich kämpfen kann. Und natürlich soll er dem Namen der Familie de Cazeville zu Ehren verhelfen. Auf ein Erbe der väterlichen Burg kann Rupert nicht hoffen, stehen doch seine beiden älteren Brüder in der Erbfolge vor ihm. Aber immerhin ist Rupert ein männlicher Nachkomme und dieser Umstand allein genügt Ritter Guy de Cazeville für ein gewisses Maß an Stolz und Freude. Der Junge bleibt bis zu seinem zehnten Lebensjahr mehr oder weniger sich selbst überlassen und lernt, sich gegen ältere Brüder, feindliche Nachbarn und den Rest der Welt zu wehren. Während dieser Zeit entdeckt er, dass ihm eine seltsame Gabe in die Wiege gelegt wurde, eine Gabe, die sein späteres Schicksal entscheidend bestimmen wird.

Im gleichen Jahr wird unweit der normannischen Burg, in Oxford, ebenfalls ein Knabe geboren. Es ist der dritte Sohn des englischen Königs Heinrich II. und seiner Gemahlin Eleonore von Aquitanien. Der König feiert ein jubelndes Fest zu Ehren seines Sohnes, den sie Richard nennen. Auf ein Erbe des englischen Thrones kann Richard nicht hoffen, stehen doch seine beiden älteren Brüder in der Erbfolge vor ihm. Doch ist Richard ein männlicher Nachkomme, der einmal den Namen der Plantagenets in der Welt des Hochadels weiterführen soll. Vor allem seine Mutter Eleonore liebt ihren Sohn Richard über alles und bringt den Jungen schon bald aus dem nasskalten England fort an ihren glanzvollen Hof im französischen Poitiers, wo er behütet und geliebt aufwächst. Dichter, Troubadoure, Musikanten, edle Ritter und schöne Damen gehören zu seinem Umfeld, er lernt das Reiten, den Umgang mit dem Schwert und die hohe Schule der Minne. Und er spürt, dass in seinem gesunden, sportlichen Körper ein überaus kluger und wendiger Geist wohnt, der ihn zu viel mehr befähigt, als er in seiner zarten Jugend je ahnt.

Jahre später kreuzen sich auf schicksalhafte Weise die Wege dieser beiden so unterschiedlichen Menschen, des Arztes und Magiers Rupert de Cazeville und des englischen Königs Richard Löwenherz.

DIE NORMANNISCHE BURG

»Wehr dich, du Feigling!« John keuchte und setzte einen Ausfallschritt nach vorn. Sein stumpfes Schwert krachte klirrend gegen das Schwert seines Bruders Rupert.

Verbissen parierte der Jüngere Johns Angriffe. Er handhabte das Schwert geschickt, doch seinem Gesicht war anzusehen, dass er zu diesem Kampf keine Lust hatte. Seine schwarzen Augen fixierten hasserfüllt seinen Bruder. Er verwünschte ihn in den hintersten Winkel der großen väterlichen Burg. Doch im Augenblick musste er sich gegen Johns Attacken wehren. Sie versetzten ihn in Wut. Diese Wut brodelte unter seiner Haut, in seinen Adern.

»Na, was ist?« John hielt sein Schwert mit beiden Händen erhoben und provozierte Rupert zum Angriff. Der schlanke, schwarzhaarige Junge setzte seinerseits einen Ausfallschritt nach vorn und hieb sein Schwert gegen seinen Bruder. John parierte den Hieb mit einer Hand, während seine Linke zielsicher an Ruperts Kinn flog. Mit einem dumpfen Laut schlug Rupert rücklings in den Sand.

Rupert fühlte sein Gesicht wie hinter einer tauben Maske, während in seinen Ohren überlaut Johns hämisches Lachen dröhnte.

»Du darfst deine Deckung nicht vernachlässigen«, höhnte John. »Und du musst immer damit rechnen, dass dein Gegner noch gemeiner denkt als du.«

Er wandte sich ab und Cedric, der Waffenmeister, nickte ihm anerkennend zu. »Das war eine wirkungsvolle Finte. Aber du hättest nicht so hart zuzuschlagen brauchen.«

Cedric reichte Rupert die Hand, doch der Junge schlug sie verärgert aus. Er rappelte sich hoch und wischte mit dem Handrücken den dünnen Blutfaden weg, der aus seinem Mundwinkel sickerte. Er warf einen grimmigen Blick auf seinen immer noch grinsenden Bruder und schleuderte mit einer wütenden Bewegung das Schwert vor Cedrics Füße.

Der große, muskulöse Mann, der am Rande des Platzes die Szene beobachtete, schüttelte missbilligend den Kopf. Langsam schlenderten John und Cedric zu ihm hin.

»Was soll bloß aus dem Jungen werden?«, seufzte der Ältere. »Wie war ich, Vater?«, fragte John und blickte mit strahlenden Augen auf.

»Ganz passabel. Deine Angriffe kommen noch zu zögerlich. Wenn du jemanden töten musst, dann schlage mit dem Schwert zu, ohne nachzudenken.«

»Ich denke nie nach, Vater«, erwiderte John.

Guy de Cazeville kratzte sich nachdenklich seinen struppigen Bart. »Ich werde in der kommenden Woche mit Lord Heathcliff reden, ob er dich als Knappen nimmt.«

»Oh, das wäre eine Auszeichnung, Vater!« Johns Augen glänzten noch um eine Spur heller.

»Verzeihung, Mylord, aber ich finde es zu zeitig. Wir sollten erst noch seine Technik etwas verbessern …«

Guy de Cazeville legte Cedric seine Hand auf die Schulter. »Lasst es gut sein, Sir Cedric. Ich weiß selbst, dass er noch längst nicht perfekt ist. Aber er hat hier keinen ebenbürtigen Gegner … außer Euch natürlich. Was er noch lernen muss, lernt er bei Lord Heathcliff. Deshalb halte ich die Zeit für gekommen, dass er als Knappe in seine Dienste tritt. Auf Heathcliff kann ich mich verlassen.«

»Ja, Mylord«, erwiderte der Ritter. Er schlenderte neben seinem Herrn her. Um Rupert kümmerte sich niemand.

Aufatmend schlüpfte der Junge in den Pferdestall und verkroch sich hinter einem Berg Heu. Wie er die Waffengänge hasste! Natürlich wusste er, dass es seine Pflicht war, und irgendwann würde sein Vater ihn auch als Knappen in den Dienst eines befreundeten Ritters stellen, aber er tat das alles ohne Lust und innere Bereitschaft.

Verlegen tupfte er das Blut aus seinem Gesicht und kramte unter dem Heu ein dickes, in dunkles Leder gebundenes Buch hervor. Behutsam öffnete er das vergilbte Pergament und versenkte sich in die Zeichen und Bilder. Es war ein Buch über die Natur, über Pflanzen und Tiere, über den Kreislauf der Jahreszeiten und das Werden und Vergehen des Lebens. Es war in Latein abgefasst und er wünschte sich, diese Sprache besser zu beherrschen, um den Inhalt der Schrift zu verstehen.

Guy de Cazeville hielt es für verschwendete Zeit, wenn seine drei Söhne über Büchern brüteten. Er wollte sie zu ordentlichen Rittern erziehen, die mit dem Schwert umzugehen wussten und sich ihren Platz bei Hofe durch Mut und Tapferkeit errangen. Erst die Normannen, so meinte Lord Guy, hatten den bäuerlichen Angelsachsen die hohe Kriegskunst gebracht und schon allein deshalb war er stolz auf seine eroberungsfreudigen Vorfahren.

John und Roger kamen in diesem Sinn auch ganz nach ihrem Vater, übten sich schon beizeiten an den Waffen und waren bald berüchtigte Raufbolde in der Umgebung der Burg. Ab und zu musste der Vater sie zügeln, damit sie nicht mit ihrem Temperament übers Ziel hinausschossen, denn schließlich stand ihnen noch eine ruhmreiche Karriere bevor. Ein Makel auf der Rüstung eines de Cazeville konnte bei Hofe ein ernsthaftes Hindernis werden.

Nur Rupert schlug aus der Art und Lord Guy hasste seinen Sohn deshalb. Der Junge verkroch sich schon als kleines Kind lieber in der Bibliothek, ließ sich von seiner Mutter Geschichten erzählen und stellte unzählige Fragen, die weder der Magister noch der Kaplan noch Lady Marjorie beantworten konnten.

Lady Marjorie war eine feinsinnige, gebildete Frau, die viel Wert auf die Kunst des Schreibens und Lesens legte. Sie hatte es gegen den Willen ihres Gatten durchgesetzt, dass ein Magister auf die Burg gerufen wurde, um sich der Bildung der Kinder anzunehmen. Mit John und Roger hatte er gewaltige Probleme, denn sie schwänzten konsequent den Unterricht. Und blieben sie tatsächlich einmal einige Stunden auf den harten Stühlen der Bibliothek sitzen, verärgerten sie den Magister mit allerlei Dummheiten und garstigen Streichen, sodass er gar nicht so unglücklich darüber war, wenn sie dem Unterricht fernblieben.

Mit gestelzten Schritten umrundete Roger das junge Mädchen, das sich bemühte, ihr Kichern zu unterdrücken. Der Musikant begleitete die ungelenken Tanzversuche auf einer Fiedel. Lady Marjorie klatschte im Takt dazu, schüttelte aber immer wieder missbilligend den Kopf.

»Warum soll ein junger Mann denn so etwas lernen?«, knurrte Guy de Cazeville. »Wichtiger ist doch, dass er mutig und gewandt ist und mit den Waffen umgehen kann.«

Seine Gattin blinzelte ihm lächelnd zu. »Wenn er bei Hofe etwas werden will, dann muss er die Kunst des Tanzes und der Minne beherrschen. Die neue Königin gilt als sehr Kunst liebend. Sie soll in ihrer Heimat in Aquitanien einen glänzenden Hof führen mit Dichtern, Troubadouren, Künstlern aller Art …«

»Pah, musst du alles nachäffen, was die neue Königin macht? Gutes Benehmen und die Bereitschaft zu dienen sind Bestandteil der Ritterehre und ich glaube, dass meine Söhne sich dessen bewusst sind …« Er unterbrach sich. »Was ich bei Rupert bezweifle.« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Er tanzt nicht einmal.«

»Weil John alle auslacht. John, lach deinen Bruder Roger nicht aus, er tanzt wunderbar!« Lady Marjorie munterte ihren zweitältesten Sohn auf. Im gleichen Augenblick trat er der jungen Dame auf den Saum ihres Kleides. Und als sie sich einen Schritt von ihm fortbewegte, gab es einen lauten Ratsch. Mit einem Aufschrei und rotem Kopf starrte sie auf ihr zerrissenes Kleid, hob den Rock schnell auf und hastete aus der Halle.

»Trampel!«, zischte sie im Weglaufen Roger ins Ohr. Als Tochter einer der Gesellschaftsdamen Lady Marjories sollte es ihr zwar eine Ehre sein, als Tanzpartnerin der jungen Herren zu dienen, aber diese stellten sich derart linkisch an, dass man dabei schon die Beherrschung verlieren konnte. Auch wenn es der Kleinen nicht zustand, Roger derart zu beleidigen, fühlte sich dieser schuldig. Mit einem Hilfe suchenden Blick zu seiner Mutter bat er: »Darf ich es nicht erst einmal mit einem Gedicht versuchen? Eines zur Entschuldigung.«

Seine Mutter nickte. »Gern, sie wird sich sicher darüber freuen und dir deinen kleinen Fehltritt nicht übel nehmen.«

Sie wandte sich John zu. »Und nun du, mein Sohn.« Sie übersah geflissentlich Johns sauertöpfische Miene.

»Ich bitte dich, Marjorie, die Jungs machen sich doch zum Narren. Kannst du dieses alberne Gehopse nicht lassen? Ich will sie mit Sir Cedric lieber noch etwas an den Waffen üben lassen. Für John wird es Zeit, dass ich ihn in Lord Heathcliffs Obhut gebe. Der Junge ist so weit. Er soll eine glänzende Vorstellung geben, wenn ich mit ihm nächste Woche …«

»Nächste Woche? Aber er ist doch noch ein Kind!«, ereiferte sich Lady Marjorie.

»Ein Kind? Er ist zwölf Jahre alt! Es wird höchste Zeit, dass er Knappe wird. Willst du aus ihm so ein Muttersöhnchen machen wie Rupert?« Zornig stand er von seinem Lehnstuhl auf und straffte sich. »Genug der peinlichen Vorstellungen. Wir werden jetzt etwas an den Waffen üben. Alle drei!« Mit Genugtuung bemerkte er, wie Rupert zusammenzuckte, während Roger und John erleichtert aufatmeten.

»Rupert hat sein Gedicht noch nicht vorgetragen«, warf Lady Marjorie hastig ein.

»Dann soll er rezitieren«, erwiderte Lord Guy im Hinausgehen. »Für ihn sehe ich sowieso schwarz.«

Rupert kniete sich zu Füßen seiner Mutter, die ihm liebevoll über den Kopf strich. Unwillig nickte Rupert ab. Sie war daran schuld, dass sein Vater und die Brüder ihn hänselten. »Nun, mein Sohn, lass dein Gedicht hören«, forderte sie ihn mit sanfter Stimme auf.

»Ich habe kein Gedicht geschrieben«, erwiderte er leise. »Ich weiß nicht, wem ich es widmen soll.«

»Irgendeiner feinen Dame. Es gibt doch genug nette Mädchen hier. Hauptsache, es erzählt von Freude und Qualen der unerfüllten Liebe.«

»Ich mag die Mädchen nicht, die sind so albern und zickig. Und wieso soll ich über die Liebe schreiben, wenn sie Qualen bereitet? Wieso bereitet sie Qualen und auch Freuden? Das ist doch ein Widerspruch.«

»Ach, du mit deinen philosophischen Diskussionen! Hast du darüber nicht mit dem Kaplan oder deinem Lehrer gesprochen?«

»Er gibt mir keine erschöpfende Antwort darauf. Der Kaplan sagt, er ist nur für die himmlische Liebe zuständig. Alles andere ist Sünde.«

Lady Marjorie lächelte nachsichtig. »Damit hat er natürlich Recht. Zumindest zum Teil. Aber für jeden Edelmann ist es Pflicht, sich unglücklich in eine Dame zu verlieben, zu deren Ehren er Heldentaten vollbringt und Lieder und Verse dichtet.«

»Warum ist er dann unglücklich?«

»Weil diese Liebe keine Erfüllung finden wird. Und von dieser Qual singt er dann.«

»So ein Unsinn!« Rupert sprang auf. »Wozu verliebt er sich dann? Ich werde mich nicht verlieben!«

»Aber am Hof des Königs erlangst du nur Ansehen, wenn du auch ein guter Troubadour bist. Die Damen werden dir zu Füßen liegen.«

Rupert stand schon an der Tür. »Dazu hat man doch Hunde«, erwiderte er verächtlich.

»Hier steckst du!« Eine helle Mädchenstimme erklang vom Tor her und Rupert zog den Kopf ein. »Du brauchst dich nicht zu verstecken, ich habe dich entdeckt!«

Alice hopste auf den Heuberg und ließ sich neben ihren Bruder fallen. Rupert klappte das Buch zu und starrte seine kleine Schwester unfreundlich an.

»Keine Angst, ich verrate nicht, dass du gelesen hast«, sagte sie versöhnlich und lächelte. »Ich möchte es ja auch gern lernen. Aber du weißt ja, dass Vater nicht viel davon hält. Dass Mädchen lesen können, gleich gar nicht. Meine mageren Schreibkünste habe ich Mutter zu verdanken.« Sie seufzte, doch im gleichen Moment sprang sie schon wieder auf und Übermut kehrte in ihr Gesicht zurück. »Hast du Lust, mit mir auszureiten? Am Bach blühen die ersten Krokusse.«

Rupert erhob sich. »Gern. Wenn es Vater erlaubt.«

»Wir werden Vater nicht fragen, denn er erlaubt es nicht. Ich will nicht, dass er uns eine Begleiteskorte mitschickt. Sie passen auf, dass ich den Damensattel benutze, nicht zu schnell reite und nicht auf die Bäume klettere …«

Rupert lächelte. Es verlieh seinem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht mit den kohlschwarzen Augen einen weichen Ausdruck. Beide rutschten den Heuberg herunter, nahmen zwei leichte Sättel aus der Sattelkammer und legten sie ihren Pferden auf. Dann legten sie das Zaumzeug an und führten die Tiere leise auf den Hof hinaus. Niemand war zu sehen, der Lord hielt sich sicher mit Cedric und seinen beiden älteren Söhnen in der Waffenkammer auf. Lady Marjorie stickte mit ihren Gesellschaftsdamen an einem großen Wandteppich. Niemand vermisste die Kinder.

Sie trieben ihre Pferde an und galoppierten über die sanften Hügel hinab in das Tal, wo sich ein Bach seinen Weg suchte. Weiden säumten seinen gewundenen Lauf, an deren Zweigen sich das erste zarte Grün der Sonne entgegenstreckte. Auf den Südhängen blühten die Boten des Frühlings, in den Hecken zwitscherten die Vögel. Über den Wiesen lag ein zarter Schleier aus Nebel und tauchte das Land in ein geheimnisvolles Licht, das die Trennung von Himmel und Erde aufhob. Schwarze Raben krächzten in den uralten, knorrigen Bäumen, die in einzelnen Gruppen auf den weitläufigen Grashügeln standen. Einige Vögel, aufgescheucht durch die beiden Reiter, flogen wie schwarze Schatten über ihre Köpfe hinweg.

Rupert ließ seinen Blick über die erwachende Natur streifen und atmete den intensiven Duft nach Erde ein. Doch plötzlich schob sich ein anderes Bild vor seine Augen, drei rote Knäuel, oder waren es Feuer?

Unwillig schüttelte er den Kopf. Es ängstigte ihn, dass er manchmal von seltsamen Visionen heimgesucht wurde. Einmal hatte er mit seiner Mutter darüber gesprochen, doch die hatte ihn nur entsetzt angeschaut und händeringend gebeten, mit niemandem darüber zu sprechen. Es musste etwas Schreckliches sein, Krankhaftes oder sogar Schlimmeres. So machte er es mit sich selbst aus und versuchte diese Bilder, die ihm dann und wann erschienen, zu verdrängen.

Die Pferde schnaubten leise, ihre Hufe malten eine Spur in das saftige Gras am Bachufer. Alice seufzte zufrieden, als der laue Frühlingswind durch ihr Haar fuhr. Alles schien still und friedlich, das Wasser des Baches gluckste und perlte lebhaft nach der Schneeschmelze.

Rupert war nicht überrascht, als er die roten Schöpfe von Pete, Hengist und Tom entdeckte. Es waren die Söhne von Lord Kynance, einem angelsächsischen Ritter, dessen Ländereien an die von Lord de Cazeville grenzten. Seit Rupert denken konnte, befehdeten sich die beiden Familien.

»He, du normannisches Arschloch, hast du die Hosen voll?«, brüllte Tom. Rupert bereute, sein Schwert nicht angelegt zu haben. Alice’ Gesicht war fahl geworden.

Die Jungs hatten die Pferde umringt und beunruhigten sie, indem sie mit Weidenruten nach ihnen schlugen. Zum Glück saß Alice auf einem Herrensattel und konnte sich mit den Knien festklammern, als ihr Pferd nervös stieg.

»Halt dich fest!«, rief Rupert ihr zu und trieb sein Pferd vorwärts. Doch Hengist hatte ihm in die Zügel gegriffen und Pete zerrte ihn aus dem Sattel. Zu dritt warfen sie sich auf Rupert und schlugen mit den Fäusten auf ihn ein. Sie umringten ihn derart, dass er die Arme nicht heben konnte. Ein Schlag traf ihn mit voller Wucht an die Schläfe. Schwindel und Übelkeit übermannten ihn. Ein Stoß in die Magengrube ließ ihn in die Knie sinken. Er machte den schwachen Versuch, seinen Peinigern wenigstens auf die Hirschlederstiefel zu kotzen, aber der Schmerz überwältigte ihn. Mit den Stiefeln traten sie in sein Gesicht und er hörte, wie sein Nasenbein brach. Warmes Blut rann über sein Gesicht. Mühsam schnappte er nach Luft. Seine Zunge schien unförmig anzuschwellen. Irgendwo schrie Alice. Als sich Rupert nicht mehr wehrte, ließen sie von ihm ab und wandten sich dem Mädchen zu.

»Lauf weg!«, rief Rupert ihr zu, doch ein erneuter Tritt ins Gesicht brachte ihn zum Schweigen. Staub drang in seine Augen, in Mund und Nase, er krächzte und spuckte schwarzes Blut. Wie durch einen Nebel sah er, wie sie Alice packten. Hengist und Tom hielten sie an Armen und Beinen fest, während Pete ihren Rock zerriss.

»Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind«, stöhnte Rupert und seine Hände krallten sich in den Boden. Alice schrie aus Leibeskräften, doch ihre Schreie gingen im höhnischen Lachen der rothaarigen Jungen unter.

Unter Aufbietung aller Kräfte rappelte Rupert sich auf und stürzte sich von hinten auf Pete. Seine Finger schlossen sich um den schlanken Hals des Jungen, ertasteten den Kehlkopf. Plötzlich wurde Rupert ganz ruhig. Er spürte keinen Schmerz, sein Körper schien neue Energien aufzutanken. Und gleichzeitig wandelten sich diese Energien in eine unheimliche Kraft, die in seine Hände floss. Seine Finger schlossen sich, er hörte das Knirschen des Knorpels im Kehlkopf. Er ließ erst los, als Petes Körper kraftlos nach vorn sackte.

Alice starrte entsetzt auf Petes Gesicht, das sich grauenvoll verzerrte. Seine Augen traten aus den Höhlen, die Zunge quoll hervor. Ihr folgte ein Schwall hellen Blutes.

Tom und Hengist ließen Alice los. Sie wand sich wie ein Wurm unter dem leblosen Körper von Pete hervor. Rupert richtete sich auf und streckte seine Hände vor.

»Wer ist der Nächste?«, fragte er mit sich überschlagender Stimme. Die Jungs wichen vor seinen Händen zurück wie vor einem Dämon. Dann wandten sie sich um und rannten Hals über Kopf davon.

Rupert blieb stehen und blickte ihnen nach. Er stieg über Petes Leiche hinweg und hob seine Schwester auf. Alice lag erstarrt in seinen Armen. Er trug sie bis zum Bach und setzte sie vorsichtig ins junge Gras.

Plötzlich überkam Alice ein heftiges Schütteln und ihre Zähne schlugen aufeinander. »Ich hatte solche Angst«, flüsterte sie mit aufgerissenen Augen.

»Es ist ja alles gut«, tröstete Rupert. »Pete ist tot und die anderen sind weg.«

Alice schüttelte mechanisch den Kopf, tiefes Grauen in ihrem Blick. »Ich hatte Angst vor dir.«

Es war totenstill in dem kalten Raum, nur der heftige Atem Guy de Cazevilles klang wie fernes Meeresbrausen. Rupert kniete auf dem harten Boden, den Kopf gesenkt. Über ihm, mit unheilvollem Gesicht, stand sein Vater, übermächtig und allgewaltig. Aus den Augenwinkeln sah Rupert seine beiden Brüder John und Roger. Rogers Miene war ernst, seine Augen jedoch weit aufgerissen, als erwarteten sie etwas Schreckliches. Um Johns Mundwinkel dagegen zuckte ein hämisches Grinsen. Alice war nicht anwesend.

»Rache!«, brüllte Guy de Cazeville. »Lord Kynance will Rache!« Rupert zuckte bei jedem Wort zusammen. »Rache für einen feigen Mord!«

Rupert holte Luft, um etwas zu entgegnen, doch mit einer herrischen Armbewegung gebot ihm sein Vater zu schweigen.

»Warum bist du nicht gleich nach deiner Geburt gestorben?«, schrie Lord Guy weiter. »Stattdessen muss ich meinen missratenen und schwächlichen Sohn auf der Turnierbahn verteidigen. Du bist eine Schande für die Familie!«

Rupert warf einen verstohlenen Blick auf seine Mutter, die ihm jetzt noch zarter und verletzlicher erschien. Sie saß, um Haltung bemüht, auf dem schweren Audienzstuhl, die Augen auf ihren Gatten gerichtet. »Ich kann dich ja nicht einmal selbst in die Fehde schicken, will ich mich nicht dem Hohn und Spott aller Ritter Englands aussetzen, weil du nicht einmal ein Schwert richtig handhaben kannst.« Rupert hörte John kichern. Zu seinem Erstaunen trat Roger vor.

»Vater, wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich an meines Bruders statt kämpfen. Schließlich gilt es, dem Namen de Cazeville wieder die Ehre zurückzugeben.«

»Bist du verrückt?«, zischte John. Rogers Augen lagen fest in denen seines Vaters. Der strich sich, nachdenklich geworden, seinen Bart.

»Es ehrt dich, mein Sohn, dass dir Stolz und Familienehre so viel wert sind, dass du auch einen schwächlichen Spross unserer Sippe verteidigen willst. Ja, es entspricht den ritterlichen Idealen, dass der Starke den Schwachen verteidigt. Aber hier liegt der Fall etwas anders. Dieser da«, sein Zeigefinger schoss wie ein Pfeil auf Rupert zu, »ist nicht nur schwach, sondern auch dumm und hinterhältig. Denn er musste sich nicht vor einem Gegner zur Wehr setzen, sondern hat hinterhältig und hinterrücks gemeuchelt. Dafür verdient er den Strang, aufgeknüpft wie ein gemeiner Verbrecher.«

»Vater, er hat nur unsere Schwester verteidigt«, wandte Roger ein.

»Halt doch den Mund«, versuchte John ihn leise zum Schweigen zu bewegen.

»Es war zutiefst verantwortungslos, einfach mit Alice allein auszureiten. Er hat sie erst in diese Gefahr gebracht. Nein, es gibt kein Wort der Verteidigung für ihn. Und du bist mir zu schade, für diesen Nichtsnutz in die Fehde zu gehen. Aus dir soll ein mutiger Ritter werden, du wirst in deinem Leben noch genug Gelegenheit bekommen, Schwächere zu beschützen. Schwächere, die deinen Schutz verdienen, mein Sohn.« Guy de Cazeville stemmte seine Fäuste in die breiten Hüften. »Dieses eine Mal werde ich die Sache selbst in die Hand nehmen. Der alte Kynance ist zwar nicht mein Freund, aber ich werde ihn in die Schranken weisen. Und du«, wandte er sich wieder an Rupert, »wirst eine angemessene Strafe bekommen. Du gehst sofort in deine Kammer und verlässt sie erst, wenn ich dich rufen lasse. Auch ihr, meine Söhne, seid entlassen.«

»Meinst du nicht, dass du zu hart mit ihm warst«, wagte Lady Marjorie einzuwenden, als ihre Söhne den Saal verlassen hatten.

Guy de Cazeville lachte höhnisch auf. »Zu hart für diese Schande, die er mir bereitet hat? Es gibt überhaupt keine Strafe, die angemessen wäre, außer der Tod!«

»Du versündigst dich«, flüsterte Lady Marjorie und bekreuzigte sich.

»Ach? Warum ist denn der Bengel so ein Versager? Weil du ihn verzärtelst und ihn wie ein Mädchen erziehst! Wozu muss ein Mann Lesen und Schreiben können wie ein Klosterbruder? Ich kann es auch nicht, bin ich deshalb ein schlechterer Ritter? Ich setze meinen Willen mit dem Schwert durch, das ist das überzeugendste Argument. Ich habe Rupert beim Waffengang beobachtet. Es ist eine Schande!« Hektisch marschierte Guy de Cazeville auf und ab und raufte sich seine Haare.

»Dann lass ihn doch ins Kloster gehen«, bat Lady Marjorie. »Er hat eben ein anderes Wesen.«

»Ja, und ich frage mich wieso. Ist das überhaupt ein de Cazeville, ist das überhaupt mein Sohn?«

Marjorie errötete bis unter die Haarwurzeln und bemühte sich um Fassung. »Mein Gemahl, was unterstellst du mir?«, hauchte sie mit erstickter Stimme.

»Er sieht so anders aus. Alle Männer meiner Familie sind richtige Normannen, groß, kräftig, mit hellem Haar und blauen Augen. Dieser Nichtsnutz ist schwarzhaarig, hat Augen wie glühende Kohlen und eine braune Haut.«

»Wie ich, jawohl«, verteidigte sich Lady Marjorie. Sie war immer noch eine rassige Schönheit, wenngleich sie sie hinter dem dichten Schleier versteckte, der Haar und Hals verhüllte und nur das schmale Gesicht frei ließ. »Und wie Alice.«

»Aber er ist kein Mädchen!«, ereiferte sich Guy de Cazeville. »Wieso ist er dann anders?«

Lady Marjorie schwieg. Sie konnte ihrem Gatten nicht sagen, wie anders Rupert war. Hätte er von den Visionen des Jungen, von seiner seltenen Gabe des zweiten Gesichtes, von seinen seherischen Fähigkeiten erfahren, er hätte ihm wahrscheinlich sein Schwert ins Herz gebohrt wie einem lebensschwachen Stück Vieh.

»Er ist dazu ausersehen, einen anderen Weg zu gehen, mein Gemahl«, versuchte Lady Marjorie eine erneute Rettung. Mit warmer, demütiger Stimme bat sie: »Gott wollte, dass er den geistlichen Weg einschlägt. Lass ihn in ein Kloster gehen, wo er Gottes Wort leben, wo er die Schrift studieren kann. Es ist nichts Schlechtes daran, Gott zu dienen. Es ist seine Berufung.«

»Mein Sohn ein Pfaffe«, schnaubte Guy de Cazeville verächtlich. »Schon das allein ist eine Schande. Aber immerhin besser als ein unfähiger Ritter. Soll er gehen, ich will ihn nie wieder sehen!«

Lady Marjorie atmete heimlich auf und sandte ein Stoßgebet zu Gott. Ich danke dir für deine Güte, HERR, dass du meinen Gemahl zur Einsicht gebracht hast. Laut sagte sie: »Ich habe mich bereits erkundigt, wo sich ein geeignetes Kloster befindet.«

»Das ist mir egal, nur weit weg von hier. Am besten nach Wales.«

»Nach Wales?«, rief Lady Marjorie entsetzt. »Nein, nein, dort herrschen noch schreckliche Sitten, wo Geistliche heiraten dürfen. Ich dachte an Irland.«

DAS KLOSTER AUF DER GRÜNEN INSEL

Die Schwärze der Nacht hielt die alten Gemäuer des Klosters fest im Griff. Der runde Fluchtturm ragte wie ein unheilvoller Finger in den Himmel, seine Konturen verschmolzen mit der Dunkelheit. Leise klagte ein Kauz, lautlose Schatten huschten zwischen den kahlen Zweigen der Bäume einher. Ein seltsamer Zug dunkler Gestalten ergoss sich aus dem Kreuzgang, der den inneren Hof des Klosters umgab, und strebte der kleinen Kapelle zu. Die Mönche trugen dunkle Kutten, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Dort, wo die Fackeln ihre Schatten an die Wand warfen, verzerrten sie sich zu grotesken Figuren. Die feuchte Luft mischte sich mit dem Geruch der Pechfackeln. Zwei aufgeschreckte Tauben flatterten mit klatschenden Flügelschlägen aus dem Gebälk der niedrigen Kapelle.

Unsanft wurde Rupert von einer Hand geschüttelt. »Wach auf«, zischte eine Stimme an seinem Ohr. Unwillig schüttelte er die Hand ab, doch sie krallte sich wieder in seine Kutte. »Mach dich nicht unglücklich und steh auf!« Es war Luke.

»Großer Gott, es ist mitten in der Nacht!« Rupert warf sich auf die andere Seite.

»Hier werden die Hähne von den Mönchen geweckt. Schau, sie sind schon auf dem Weg in die Kapelle. Beeil dich!«

Taumelnd folgte Rupert dem schweigenden Zug der dunkel gekleideten Gestalten. Nur das Schlurfen der Sandalen auf dem nackten Steinboden war zu vernehmen.

Die Mönche hatten sich in der Kapelle zur Vigilie versammelt, ihr getragener Gesang hallte im Gewölbe wider. Rupert fröstelte und seine mageren Schultern zogen sich zusammen. Apathisch ließ er das erste Chorgebet über sich ergehen und schlurfte mit den anderen zurück. Er konnte sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten. Es war lausig kalt, die alten Gemäuer speicherten die Feuchtigkeit. Neben Rupert wankte Luke, der etwa zwei Jahre ältere Novize, dessen harte Holzpritsche neben der von Rupert im Dormitorium stand. Es war üblich, dass nach der Nachtruhe, die eine Stunde nach Mitternacht durch eine Glocke abrupt beendet wurde, jeder seinen Nachbarn weckte. Luke tat das noch aus einem besonderen Grund, denn es gab stets einige Mönche, die nur zu gern ihre Mitbrüder denunzierten, wenn sie sie bei einem Regelverstoß erwischten. Und der Möglichkeiten gab es viele. Dann verhängte der Abt eine saftige Buße.

Die Regeln des Benediktinerklosters waren hart. Es galt der oberste Grundsatz, dass das Kloster ein treues Abbild einer wahrhaft christlichen Familie sei. Die Mönche schuldeten ihrem pius pater kindlichen Gehorsam. Die drei Ordensgelübde hießen oboedentia, der unbedingte Gehorsam, conversatio morum, die Bereitschaft zur Umkehr, und stabilitas, die Beständigkeit. Es gab keinen Unterschied zwischen Klerikern und Laienbrüdern, sie lebten im Kloster unter einem Dach. Hungern war an der Tagesordnung. Es gab ohnehin nur eine kärgliche Mahlzeit am Tag. Deshalb war es schlimm, wenn man wegen einer kleinen Unachtsamkeit diese eine Mahlzeit gestrichen bekam.

Die Ordensregeln wurden den Konventsangehörigen immer wieder vorgelesen. Doch schnell hatte Rupert begriffen, nach welchen sehr unchristlichen Gesetzen das Leben im Kloster verlief. Die Novizen wurden nur zu den schmutzigsten und unangenehmsten Arbeiten eingeteilt. Beten und Arbeiten bestimmte ihren Tagesrhythmus. Alle drei Stunden erfolgte das Chorgebet. Daran hatten alle Bewohner des Klosters teilzunehmen, außer den Glücklichen, die bei der Feldarbeit waren oder beim Fischen oder im Wald die Schweine hüteten. Die durften ihre Tagesgebete auch unter Gottes freiem Himmel verrichten. Rupert sehnte sich danach, über eine Wiese zu laufen, den Geruch frisch gebrochener Erde einzuatmen oder die Kühle des Waldes zu spüren. Doch er war hinter den Klostermauern gefangen wie in einem Kerker. Seine Hoffnung, im Kloster richtig Lesen und Schreiben zu lernen, hatte sich schon schnell zerschlagen. Es gab eine Bibliothek und eine Schreibstube, doch es waren vorwiegend ältere Mönche, die sich mit der Gestaltung von Abschriften biblischer Texte beschäftigten. Auch wurden hier Schriften verwahrt, gelesen, bedacht, kommentiert und diskutiert, doch alles in einem kleinen Kreis, denen nur bestimmte Mönche angehörten. Für Rupert blieben, wie für die anderen Novizen und Laienbrüder, die kein eigenes Vermögen in das Kloster eingebracht hatten, die niederen Tätigkeiten.

Begehrt war die Küchenarbeit, denn die Küche war neben der Wärmestube der einzige Raum, in dem ein Feuer brannte. Bei der ständigen Kälte in den Gemäuern ließ es sich in der Küche noch am ehesten aushalten. Das Calefactorium, eine backofenförmige Kammer neben der Küche, wurde nur selten beheizt.

Nach der Prim, die beim ersten Tageslicht abgehalten wurde, versammelten sich alle im Kapitelsaal, wo die Arbeit eingeteilt wurde. Doch Rupert hatte Pech. Zum wiederholten Male musste er die Latrine säubern, die sich gleich neben dem Dormitorium befand. Mit Todesverachtung schleppte er Kübel mit Wasser vom Brunnen herbei, um die Latrinengrube zu spülen. Alles floss über eine Rinne unter der Klostermauer hindurch den Abhang hinab, wo auch der Müll aus der Küche hinausgeworfen wurde. Besonders im Sommer drang von dort ein übler Gestank bis ins Dormitorium.

Rupert pfiff laut, als er mit den schwappenden Wassereimern zur Latrine ging. Er hatte Glück, keiner der Mönche befand sich hinter dem Holzverschlag. Einmal hatte er Bruder Andreas überrascht, wie er sich, über den Balken gebeugt, selbst befriedigte. Rupert wusste, dass Andreas dafür streng bestraft werden würde und dass es Ruperts Pflicht war, dies beim Abt zu melden. Warum Rupert es nicht getan hatte, konnte er selbst nicht sagen, doch er bereute es schon bald. Bruder Andreas dankte Ruperts Verschwiegenheit, indem er Rupert bei jeder Gelegenheit in die Arme zog, ihn streichelte und küsste und ihm heiße Dankesworte zuflüsterte.

»Hör auf damit, ich hasse das«, hatte Rupert den Mönch angefaucht, der überhaupt nicht begriff, warum Rupert ihn derart brüsk zurückwies.

»Du musst ihn verstehen«, klärte Luke ihn auf. »Bruder Andreas ist schon häufig denunziert worden, weil er auf der Latrine … na, du weißt ja. Aus dem Grund hat der Abt angeordnet, dass keiner allein auf die Latrine gehen darf. Weil Andreas mehrmals erwischt wurde, haben sie ihn gegeißelt.«

»Nur deshalb?«

Luke nickte. »Das reicht doch. Es ist eine Sünde. Hieronymus hat ihn angeschwärzt. Und weißt du was? Ich habe Hieronymus beobachtet, als sie Andreas im Schuldkapitel ausgepeitscht haben. Der hat sich dabei bepinkelt!«

Die Mönche saßen beidseits der langen Tafel im Refektorium zur gemeinsamen Mahlzeit, die nach der Non am frühen Nachmittag eingenommen wurde. Es gab eine Gemüsesuppe mit Kräuterbrot, anschließend gedünsteten Fisch mit Rüben. Es war eine der üppigen Mahlzeiten, von denen ausnahmsweise auch Rupert einmal satt wurde. Verstohlen blickte er sich um. Am Kopf der Tafel saß Bruder Gregorius, der als Tischleser an der Reihe war. Mit monotoner Stimme las er aus der Bibel vor, während die anderen schweigend ihre Mahlzeit einnahmen.

»Wo ist Bruder Bartholomäus?«, flüsterte Rupert zu Luke. »Im Krankenzimmer.«

»Was ist passiert? Ist wieder eine Seuche ausgebrochen?«

Luke grinste breit. »Du weißt doch, Kranke bekommen Fleisch zu essen. Was denkst du, warum er ständig krank ist?«

Ein lautstarkes Räuspern unterbrach die geflüsterte Unterhaltung der beiden Jungen. Bruder Benediktus, der Novizenmeister, blickte Luke scharf an. Der senkte sofort den Blick und löffelte seine Suppe. Doch er konnte den Mönch nicht täuschen. Als die zwei Novizen vom Küchendienst den Fisch hereinbrachten, unterband Benediktus mit einer Handbewegung, dass Luke seine Portion erhielt. Rupert krallte seine Finger in die Tischkante, doch Luke stieß ihn warnend mit dem Fuß unter der Tafel an. Es wäre zwecklos gewesen, auch Rupert wäre wieder einer Bestrafung unterzogen worden. Zähneknirschend senkte er den Kopf. Dabei gehörte er bereits zu den Privilegierten. In der Erfolgsleiter war Rupert inzwischen vom Latrinenreiniger über den Küchendienst zum Feldarbeiter aufgestiegen. Nach zwei Jahren durfte er das erste Mal die Klostermauern verlassen, um auf den Feldern zu arbeiten, die um das Kloster herum verstreut lagen. Auch wenn die Arbeit körperlich schwer war, so war er froh, wenigstens ein kleines Stück Freiheit zu genießen. Seinem großen Traum, Lesen und Schreiben zu lernen, war er jedoch keinen Schritt näher gekommen.

Deshalb nahm er seinen ganzen Mut zusammen und bat um eine Audienz beim pius pater. Es dauerte mehrere Wochen und Rupert musste seine Bitte mehrmals vortragen, bis er vom Abt empfangen wurde.

»Ehrwürdiger Vater«, sagte Rupert. »Euer Kloster ist in der glücklichen Lage, zahlreiche Bücher und Schriften sein Eigen zu nennen. Das Beherrschen der Schrift ist eine hohe Tätigkeit. Ich möchte sie erlernen. Bereits in meiner Familie wurde ich unterrichtet in Latein, in Mathematik und Glaubenslehre. Ich bitte Euch, mir eine Arbeit in der Bibliothek oder im Skriptorium zuweisen zu lassen.« Er atmete tief durch. Nun war es heraus! Er blickte dem Abt fest in die Augen. Dieser hob mit leichtem Erstaunen die dünnen Augenbrauen.

»Bist du mit deiner Arbeit nicht zufrieden?«, wollte er wissen.

Rupert schüttelte den Kopf. »Ich möchte Lesen und Schreiben lernen.«

Der Abt lehnte sich zurück und betrachtete Rupert unter gesenkten Lidern. »Als du in dieses Kloster kamst, da lerntest du als erstes die wichtigsten Regeln, ohne die ein Zusammenleben nicht möglich ist: Demut, Keuschheit, Armut, Gehorsam, Schweigen. Daran erinnerst du dich doch, mein Sohn?«, fragte er mit weicher Stimme. Rupert nickte. »Gut. Der erste Grad der Demut ist der ausnahmslose Gehorsam. Er ist für jene, denen Christus das Teuerste ist, wegen des heiligen Dienstes, den sie gelobt haben, oder aus Furcht vor der Hölle oder wegen der Herrlichkeit des ewigen Lebens. Sie kennen kein Säumen, diese Arbeit auszuführen. Wenn etwas von Oberen angeordnet wird, dann ist es gerade, als wäre es ein Befehl Gottes. Und gegen den willst du dich stellen?«

»Nein, ehrwürdiger Vater, doch ich glaube, dass ich Gott im Skriptorium besser dienen kann als auf der Latrine oder in der Küche.«

»Der Wille Gottes lässt sich nicht vorhersagen und es wird die Zeit mit sich bringen, ob Gott will, dass du im Skriptorium deinen Platz findest. Er wird dich prüfen, mein Sohn. Vergiss nicht, Demut, Gehorsam, Keuschheit, Schweigen sind der Maßstab, an denen Gott dich messen wird.«

In Rupert brodelte es wie in einem kochenden Kessel. Mit unbewegtem Gesicht verließ er die Kanzlei des Abtes, verfolgt von den Blicken der beiden Kanzlisten. Es waren Bruder Hieronymus und Bruder Eusebius, die beide ebenfalls im Skriptorium tätig waren, daneben aber auch in der Verwaltung des Klosters. Ob sie ihm vielleicht … Aber den Gedanken verwarf er sofort. Bruder Hieronymus war dafür bekannt, dass er unbarmherzig Verfehlungen der Brüder, die ihm zu Ohren kamen, dem Abt meldete und die Bußen überwachte.

Die Sonne glitzerte im glasklaren Wasser des Baches, als Rupert mit Luke die ausgeworfenen Angeln einholte. Es war ein wunderschöner Sommertag, die Forellen bissen zu Ruperts Freude gut und sie hatten schon ein kleines Netz voll Fische. Die beiden Jungs hockten auf dem moosbewachsenen Ufer, Luke hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und blickte den Wolken am Himmel nach.

»Weißt du, Bruder Rupertus, manchmal denke ich, im Kloster ist es gar nicht so schlecht. Ich sollte Ritter werden wie meine Brüder. Aber weil ich ein schwaches Bein habe, war ich ihnen stets unterlegen. Ich wäre nur ein verachteter Knecht geworden. Zwei meiner drei Brüder starben im Kampf. Zwar sagen alle, es sei ruhmreich, im Kampf zu sterben, aber manchmal hänge ich doch am Leben.«

Rupert blickte ihn von der Seite an. Er hatte bereits bemerkt, dass Luke beim Laufen ein Bein nachzog. Er hatte nie danach gefragt.

»Und warum bist du ins Kloster gegangen? So frömmelnd scheinst du nicht zu sein.«

»Nein«, erwiderte Rupert gedehnt. »Aber ich wollte gern die Bücher studieren.«

Luke lachte auf. »Studieren kannst du hier genug, du musst nur Augen und Ohren aufhalten.«

»Was meinst du damit?«

Luke wurde einer Antwort enthoben, als sie den Gesang der Mönche vernahmen, die einer Prozession gleich den steinigen Weg am Hang entlangschritten. Der erste Mönch trug ein Kreuz voran, dahinter schritt würdevoll der Abt. Etwa zehn Mönche schlossen sich an.

»Wohin gehen sie?«, wollte Rupert wissen.

»Zu den Heiligen Jungfrauen. Das ist ein Nonnenkloster drüben auf der anderen Seite des Tales. Es gehört zur Abtei und der pius pater hat die Aufsicht.«

»Was beaufsichtigt er denn?«

»Die Arbeit der Nonnen und ihre Verwaltung. Sie spinnen und weben Stoffe, verrichten Näh- und Stickarbeiten, ich glaube, sie arbeiten auch auf den Feldern. Aber das ist nicht der Grund, warum es einmal im Monat diese Prozession gibt.« Luke grinste breit.

Rupert runzelte ärgerlich die Stirn. »Bruder Lukas, du ergehst dich in dunklen Andeutungen.«

Lukes Grinsen verbreiterte sich. »Du willst doch das klösterliche Leben studieren, oder? Willst du nicht sehen, was die Mönche dort treiben?«

»Was sollen sie denn treiben?«, fragte Rupert ahnungslos. »Komm mit! Wir verstecken die gefangenen Fische unter den Steinen, bis wir zurückkommen.«

Sie liefen der seltsamen Prozession nach, stets darauf bedacht, einen genügend großen Abstand zu halten. Die Mönche waren bereits im Kloster verschwunden, als sie beide außer Atem ankamen.

»Hier entlang!« Luke winkte Rupert zur hinteren Mauer, wo sich ein gewaltiger Müllberg türmte. Er nahm bereits die halbe Höhe der Klostermauer ein und es war nicht schwierig, die Mauer auf diesem Wege zu überwinden. Sie schlichen sich zu den schmalen hohen Fenstern des Refektoriums. Wie im Mönchskloster war auch hier eine lange Tafel aufgestellt, aber seltsamerweise saßen Nonnen auf der einen, die Mönche auf der anderen Seite der Tafel. Es gab keinen Tischleser, dafür war die Tafel übervoll gedeckt mit den herrlichsten Leckereien. Käse, Schinken, kalter Braten, gedünstete Nierchen, Kapaun im Speckmantel, Hasenkeule, Schweineschulter, Lammkotelett, verschiedene Sorten Brot, Wein, Bohnen, Möhren, Salat und verschiedene leckere Fischsorten lagen überreichlich auf Platten und Tellern aufgehäuft. Die Mönche hatten ihre Messer gezückt, die sie stets am Gürtel trugen, und hielten sich schadlos. Es war eine unvergleichliche Völlerei, eine Fressorgie ohne Beispiel. Lachend, scherzend, mit vollen Backen kauend, vertilgten sie die Köstlichkeiten, wobei sich die Nonnen anfangs zurückhielten.

Es waren nur etwa zehn Nonnen, während im Mönchskloster mindestens vierzig Brüder lebten. Doch an dieser seltsamen Visite nahmen auch nur zehn Mönche teil.

»Der innere Kreis des Abtes«, flüsterte Luke. »So weit kann man kommen, wenn man gehorsam und demütig ist und seine lieben Mitbrüder anschwärzt. Dann gehört man dazu.«

»Das ist ja unglaublich«, hauchte Rupert. »Ist das ihre Auslegung von Armut? Wir hungern seit Jahren und hier schlagen sie sich ihre Bäuche voll.« Ihm wurde fast übel vom Zuschauen.

»Warte nur, es kommt noch besser«, gab Luke ihm zu verstehen.

»Noch mehr Essen?«

»Noch mehr Sünde!«

»Welche?«

»Das wirst du gleich sehen.«

Einige der Mönche und Nonnen hatten sich erhoben und tauschten die Plätze, sodass jetzt alle durcheinander saßen. Ungeniert legten sie die Arme umeinander, ein Mönch griff einer der Nonnen an die Brust und sie kicherte dabei.

»Was tun die da?«

»Sie frönen der fleischlichen Lust und der Unkeuschheit. Ja, sie scheinen das Höllenfeuer nicht zu fürchten.«

Die Nonnen und Mönche küssten und streichelten sich, manche ließen sich gleich unter den Tisch fallen, andere Paare verließen das Refektorium.

»Komm mit, hier kannst du es besser sehen.« Luke zog Rupert zu einem Seitenbau. »Die Nonnen bewohnen einzelne Kammern.«

Sie hockten auf dem verkrüppelten Pflaumenbaum, der an der Mauer stand, und spähten in die winzige Zelle, auf deren Pritsche sich die Nonne jetzt entkleidet hatte. Sie war rundlich und drall. Fassungslos starrte Rupert auf ihre großen Brüste. Der Anblick faszinierte ihn und stieß ihn gleichzeitig ab. Zugleich spürte er wieder dieses drängende Gefühl irgendwo unten in seinem Körper. In letzter Zeit verspürte er es häufig, aber es war noch nie so stark gewesen. Er klemmte seine Hände zwischen die Beine und presste seine Knie zusammen. In der Zwischenzeit hatte der Mönch sich auch entkleidet. Es war Bruder Patrizius. Sein weißer, schlaffer Bauch hing herab, aber sein Geschlecht hob sich deutlich ab. Der Blick der Nonne glitt lüstern über seinen Körper. Dann begannen sie sich gegenseitig zu streicheln.

Ruperts Atem ging heftiger. Die Nonne lag auf dem Rücken, sie trug nur noch ihren Schleier. Bruder Patrizius legte seine Hände auf ihre angewinkelten Knie und drückte sie auseinander. Rupert stockte der Atem und er reckte den Hals. Doch der breite Rücken des Mönches verdeckte ihm die Sicht. Er legte sich zwischen die Beine der Nonne und begann gleich darauf, sich rhythmisch auf und ab zu bewegen. Die Bewegungen der beiden Körper wurden schneller, heftiger, beide stöhnten und keuchten um die Wette. Aber es klang nicht so, als ob es ein Schmerz wäre, eher wie … Rupert fand keine Worte dafür. Es war Vergnügen, Lust, Wonne, beide schienen weltentrückt zu sein. Er spürte das Blut in seinem Kopf pulsieren, ihm wurde ungeheuer heiß. Gleichzeitig verstärkte sich der Druck in seinen Lenden. Die Nonne warf die Beine hoch und stieß kleine spitze Schreie aus. Ihre Haube war vom Kopf gerutscht und entblößte den kahl rasierten Schädel. Er bringt sie um, schoss es durch Ruperts Kopf, doch er konnte seine Augen nicht abwenden. Beide grunzten und stöhnten, dann krümmten sie sich wie im Todeskampf umeinander. Es dauerte eine Weile, bis die beiden Körper schlaff voneinander abfielen.

Doch sie waren nicht tot. Im Gesicht der Nonne konnte Rupert eine selige Entspannung erkennen, während Bruder Patrizius sich den Schweiß von der Stirn wischte und zufrieden lächelte.

Rupert spürte etwas unter seiner Kutte und versuchte, mit den Händen das Unheil zu verhindern. Mit einem Plumps fiel er vom Ast und landete im Gras. Er unterdrückte einen Fluch. Luke ließ sich ebenfalls von seinem Aussichtspunkt herab und kniete neben Rupert nieder. »Na, habe ich dir zu viel versprochen?«, grinste er.

»Mein Gott, ist mir schlecht«, stöhnte Rupert. »Die machen es ja wie die Tiere.«

»Wie sollen sie es sonst machen?« Luke schien enttäuscht. »Aber es sind doch Menschen. Das ist es, was sie Sünde nennen?«

»Menschen machen es auch nicht anders als die Tiere. Eben so. Was glaubst du wohl, wie deine Eltern es getan haben?«

Rupert fuhr auf. »Doch nicht so!«

»Wenn sich der Mensch vermehren will, muss er es so machen.«

»Warum wollen sich die Nonnen vermehren?«

»Das wollen sie nicht. Sie machen es, weil es … weil es Spaß macht.«

Rupert krümmte sich wieder zusammen. »Nein«, sagte er mit Bestimmtheit, »es ist abscheulich! Das kann keinen Spaß machen. Aber warum, warum …?« Er hob seinen verzweifelten Blick zu Luke, seine Hände klemmten noch immer zwischen seinen Beinen. Er ekelte sich plötzlich vor sich selbst.

Gottes Prüfung überkam Rupert in Gestalt von Bruder Eusebius. Er fing Rupert an der Pforte zum Klostergarten ab, wo er allein gearbeitet hatte. »Du kleiner Scheißer willst dich beim Abt einschmeicheln«, zischte er und packte Rupert schmerzhaft am Ohr. »Ich werde Bruder Benediktus dafür rügen müssen, dass er dir als Novizen nicht genug Demut und Gehorsam beigebracht hat. Nun, das können wir auch nachholen. Du wirst gehorsam sein, nämlich mir. Wenn du je das Skriptorium von innen sehen willst, dann gehorchst du mir.« Er verdrehte Rupert das Ohr, dass er vor Schmerz in die Knie ging. »Siehst du, du kniest ja schon in Demut vor mir nieder. Nun hebe deine Kutte, ich will sehen, ob dein Körper auch rein ist.«

»Nein, das werde ich nicht!«, wehrte sich Rupert mit verzerrtem Gesicht. Bruder Eusebius beugte sich zu ihm herunter.

»Ich sagte eben etwas über Gehorsam. Wirst du jetzt Gehorsam zeigen?«

»Nein!«

Der Mönch zerrte mit einer Hand an Ruperts Kutte, während er mit der anderen immer noch das Ohr malträtierte. »Ich will sehen, wie du gebaut bist und ob du …«

»Du hast wohl noch nicht genug von den Heiligen Jungfrauen?«, keuchte Rupert und setzte Eusebius einen heftigen Faustschlag zwischen die Augen. Mit einem Grunzlaut kippte er vornüber und blieb bäuchlings im Beet mit der Brunnenkresse liegen. Rupert erhob sich und klopfte seine Kutte ab. Dann verließ er pfeifend den Garten.

Am Nachmittag wurde Bruder Eusebius gefunden, mit einer leichten Gehirnerschütterung und einer großen Beule am Kopf. Rupert kniete vor dem Abt nieder.

»Es tut mir Leid, ehrwürdiger Vater, und ich bereue aufrichtig meine Unaufmerksamkeit, dass ich die Harke im Garten habe liegen lassen und Bruder Eusebius auf die Zinken trat, dass ihm der Stiel …« Er stockte, als er bemerkte, dass der Abt sich ein Grinsen verkniff. »Ich möchte Buße tun und den Bruder gesund pflegen. Ich habe Kräuter aus dem Garten für lindernde Umschläge gepflückt.«

Der Abt hob die Hand. »Ich vergebe dir, mein Sohn, wenn du zehn Mal das Vaterunser betest und deine Pflicht in der Krankenstube erfüllst. Ich glaube, unser Bruder Eusebius wird schon bald wieder auf den Beinen sein.«

Rupert kniete allein vor dem schlichten Altar in der Kapelle, doch er betete keine Vaterunser und auch nicht für Bruder Eusebius’ Genesung. »Gott, sag mir, ob es dein Wille ist, dass sich Mann und Frau wirklich in dieser Weise vereinigen. Sag, dass man dafür nicht in die Hölle kommt, wenn man es tut. Dann würden doch alle Menschen in die Hölle kommen, die Kinder gezeugt und geboren haben, jeder König, jeder Ritter, jeder Bauer – alle! Und die Mönche und Nonnen auch, weil – weil – sie haben keine Kinder gezeugt, sie haben es getan, weil – weil es ihnen Lust bereitet hat. Ist es die Lust, die Sünde ist? Warum verspüre ich sie dann auch? Und warum sind die Brüder ganz verrückt darauf? Ist es deine Prüfung für mich? Aber wenn du den Menschen nach deinem Ebenbild geschaffen hast, dann besitzt du auch so ein Teil und empfindest so, oder … ?« Er ballte die Fäuste zusammen und schlug sie erzürnt auf den Betstuhl. »Verdammt, warum tust du mir das an?«

Es roch nach Leder, Pergament und gewachstem Holz. In den schräg einfallenden Sonnenstrahlen tanzten unzählige Staubpartikel wie Sterne in der Luft. Die Stille im Skriptorium wurde nur durch das Kratzen der Feder auf dem Pergament unterbrochen. Konzentriert zog Rupert die verschnörkelten Linien nach, Buchstabe reihte sich an Buchstabe. Vor ihm auf dem Pult lag ein kostbares Buch aufgeschlagen. Aus diesem kopierte er den Text auf Pergament. Es war ein Text auf Lateinisch. Bruder Gregorius, der Leiter des Skriptoriums und der Bibliothek, blickte über Ruperts Schulter und zeigte auf eine Stelle des Textes. »Den Anstrich musst du weicher setzen, damit die Linie sich erst allmählich verdickt. Wenn du die Feder zu stark aufdrückst, fehlt dem Strich die Eleganz. Versuch es noch einmal.«

Rupert spitzte die Feder mit einem feinen Messer an und rieb die Spitze dann in dem Keramikschälchen, das die Tinte enthielt. Auf dem Tisch lagen kunstvoll verzierte Schreibgriffel, kleine Wachstäfelchen, daneben Schälchen zum Mischen der Tinte und der Farben zum Kolorieren der Zeichnungen. In den hohen Regalen an den Wänden reihten sich die Bücher, die meisten in Leder gebunden, manche mit Goldschlösser versiegelt. An den anderen Schreibpulten saßen Mönche, die entweder Texte kopierten, Textseiten mit Ornamenten und Zeichnungen verzierten oder alte Bücher übersetzten.

Es gab neben lateinischen Werken auch solche in Hebräisch und Griechisch. Sehnsuchtsvoll ließ Rupert seinen Blick darüber wandern, bis er sich wieder seiner Tätigkeit zuwandte. Es war doch nicht so einfach, eine kunstvoll gestaltete Textseite zu schreiben. Seine schwertgewohnte Hand war einfach noch zu schwer. Doch er übte unermüdlich.

Es blieb Rupert ein Rätsel, wie der schnelle Sinneswandel des Abtes zustande kam, als er eines Morgens nach der Prim bei der üblichen Arbeitseinteilung verlauten ließ, dass Bruder Rupertus sich in das Skriptorium zu begeben habe. Dort wurde er von Bruder Gregorius empfangen und herumgeführt. Gregorius war einer der gemäßigten Brüder des Klosters, der wirklich seine Liebe den Büchern widmete. Er betrachtete jedes einzelne Werk als große Kostbarkeit und allmählich begriff Rupert, wie viel Mühe es machte, diese wunderschönen Bände zu gestalten. Neben dem Skriptorium gab es eine kleine Werkstatt, in der Bücher gebunden, ältere Exemplare auch sorgsam restauriert wurden.

»Du hattest bereits Unterricht in lateinischer Schrift?«, fragte Bruder Gregorius.

Rupert nickte. »Ja, meine Brüder und ich wurden unterrichtet im Schreiben und Lesen der Heiligen Schrift. Unser Magister besaß aber auch zwei Werke von antiken Autoren. Leider konnte ich sie nicht lesen. Ich würde gern besser Latein verstehen, nicht nur abschreiben.«

»Dann übersetze nachher den Text, den du jetzt kopierst, auf dieses minderwertige Pergament. Ich prüfe danach deine Übersetzung und weise dich auf die Fehler hin.«

»Danke, Bruder Gregorius.«

Rupert spürte einen langen Blick, der von Eusebius kam. Der Mönch saß an einem anderen Schreibpult, doch seine Augen wanderten wieder und wieder zu Rupert. Er versuchte, diese Blicke zu ignorieren, doch er konnte es nicht. Nur zu deutlich hatte Eusebius ihm zu verstehen gegeben, dass er von Rupert eine Leistung verlangte, einen Gefallen, wie er sich ausdrückte. Doch bislang konnte Rupert den aufdringlichen Mönch auf Distanz halten, indem er nirgendwo allein blieb. Stets versuchte er, mit mindestens einem weiteren Mönch im Raum zu sein, selbst auf die Latrine ging er nur noch in Begleitung.

»Nimm dich vor Eusebius in Acht«, hatte Luke ihn gewarnt. »Er hat ein Auge auf dich geworfen.«

»Was will er von mir? Er sprach von einem Gefallen.«

»Na, was wohl, dem geilen Bock platzen die Lenden. Er hat es auf dich abgesehen.«

»Auf mich?« Rupert starrte Luke entsetzt an. »Aber ich bin doch ein Junge!«

»Eben!« Luke grinste. »Er hofft, dass du noch unbehaart bist. Darauf sind sie ganz wild.«

»Sie? Wer?«

Luke pustete die Luft aus und verdrehte die Augen überlegend. »Eusebius, Hieronymus, Bartholomäus, Patrizius …«

»Aber … ich verstehe das nicht. Sie gehen doch zu den Heiligen Jungfrauen. Was wollen sie dann mit Knaben?«

»Ach, wo hast du denn bisher gelebt?«, seufzte Luke und schob ihn in eine Nische des Wandelganges, wo sie nicht zufällig entdeckt werden konnten. »Die Sache mit der Keuschheit ist eben etwas, an das sich keiner so richtig halten kann – und will. Der Teufel hat uns nun mal die Lust in den Schwanz gesteckt und es ist ganz schwer, dagegen anzukämpfen. Manche Brüder sind schon verrückt geworden, wenn sie ihren Drang nicht loswerden konnten. Aber was sollten sie machen? Masturbieren ist eine Sünde und wird bestraft. Mit Frauen zu verkehren ist eine Sünde und wird bestraft. Mit Jungen zu verkehren ist eine Sünde …«

»… und wird bestraft. Alles ist Sünde, was den Körper betrifft.«

»Bruder Benediktus sagt, dass es an den Frauen liege. Sie verleiten den Mann zur Sünde. So war es schon im Paradies und es hat sich nicht geändert. Vorn bieten sie allen Liebreiz und hinten sind sie ganz verwurmt.«

»Und deswegen machen sie das lieber mit Knaben?« Rupert schüttelte ungläubig den Kopf.

»Es sind die Prüfungen, die uns Gott auferlegt.« Luke zuckte mit seinen mageren Schultern. »Immerhin haben die Novizen und die jüngeren Brüder so die Möglichkeit, in den Genuss gewisser Privilegien zu kommen, wenn sie den Älteren willig sind. Hast du nicht bemerkt, was die Novizen machen, wenn sie heißes Wasser in der Küche holen?«

»Na, für die Rasur der Mönche, das weiß ich doch.«

»Du weißt nicht alles. Nachdem die Brüder ihre Bärte und ihre Tonsur rasiert haben, scheren sich die Novizen das Schamhaar ab, wenn sie schon welches haben. Denn die älteren Brüder mögen nur Knaben, die noch unbehaart sind.«

»Die Novizen machen das freiwillig mit?«, fragte Rupert entsetzt.

»Nein, aber ihnen bleibt nichts anderes übrig. Du warst doch auch lange genug Novize, hat dich keiner … ?«

»Ich habe mich gewehrt. Was meinst du, warum ich zwei Jahre lang die Latrinen scheuern musste und mehr Prügel als zu essen bekam?«

Der kleine Raum, der als Schule diente, war gedrängt voll. Auf Bänken und Stühlen hockten die Klosterschüler. Bruder Gregorius unterrichtete lateinische Grammatik. Wie immer, war Rupert einer der wissbegierigsten Schüler. Und sein Fleiß, fremde Sprachen zu erlernen, trug Früchte, als Bruder Gregorius ihm ein Pergament überreichte, auf dem hebräische Schriftzeichen standen, darunter die lateinische Übersetzung. Mit vor Eifer glühenden Ohren machte Rupert sich ans Werk, diese seltsamen, fremden Zeichen zu erlernen.

Es schien, als wäre er am Ziel seiner Sehnsucht angekommen. Er arbeitete in der Bibliothek und im Skriptorium, lernte neben Latein auch Hebräisch und prägte sich alle Bücher ein, die ihm unter die Augen kamen. Meist waren es theologische Werke, aber es gab auch Bücher über die Natur, über das Leben von Heiligen, über geheime Rezepte für Arzneien und Drogen.

Und es sollte sogar Bücher über die Heilkunst, über Magie, über den Teufel geben. Doch diese Bücher standen auf dem Index und wurden sorgsam in einem fest verschlossenen Wandfach der Bibliothek aufbewahrt. Gerade diese Bücher waren es, die Ruperts Neugier weckten. Das Wissen, das die Mönche freiwillig vermittelten, reichte ihm schon lange nicht mehr.

Luke wusste auch hier Rat. Er war handwerklich geschickt und arbeitete tagsüber oft in der Schmiede, reparierte die Ackergeräte, Türangeln oder Schlösser. »Wenn es dir gelingt, den Schlüssel, den Bruder Gregorius immer an seinem Gürtel trägt, in ein kleines Wachstäfelchen zu drücken, kann ich dir einen zweiten Schlüssel nach dem Muster bauen«, bot er Rupert an.

Es war nicht einfach, doch Rupert gelang es nach mehrmaligen Versuchen, einen Abdruck des Schlüssels herzustellen. Das Wachstäfelchen verbarg er unter seiner Kutte, bis er es Luke geben konnte.

Wenige Tage später hielt er den begehrten Schlüssel in der Hand. Nachts schlich sich Rupert heimlich in die Bibliothek und öffnete den geheimen Schrank. Manchmal war auch Luke mit dabei und sie schauten sich gemeinsam die Bilder an, die in manchen Büchern waren. Es waren seltsame Bilder, von der Erschaffung des Menschen durch Gott, aber auch nackte Menschen, eine gezeichnete Geburt, erzählende Dichtungen über Helden, die zugleich Märtyrer, Heilige und lebensfreudige Ritter waren.

»Hör mal, hier: Süßeste Nonne, prüf meine Liebe. Jetzt erschallen die Wälder von Liedern. Nun singen die Vögel im Wald. Wie findest du das?«

»Na, glaubst du mir nun? Von wegen der Lebensinhalt eines Mönches ist nur der christliche Glaube. Aber was willst du mit solchen Büchern anfangen?«

»Ich weiß nicht. Ich lese sie einfach und ich behalte sie in meinem Kopf. Vielleicht brauche ich dieses Wissen einmal.«

»Wo denn? Wir werden bis an unser Lebensende hinter diesen Mauern bleiben und selbst nach unserem Tod kommen wir auf den Friedhof hinter der Kapelle, wo man uns ein Kreuz auf das Grab setzt und ein paar Psalmen singt.«

Rupert schüttelte energisch den Kopf. »Mir hat zwar am Leben da draußen vieles missfallen, deshalb habe ich gern darauf verzichtet. Aber auch hier will mir vieles nicht behagen, es ist mir sogar noch mehr zuwider. Der ständige Kampf gegen die Versuchungen, diese Verlogenheit und die heimlichen Kämpfe untereinander, ich halte sie nicht aus.«

»Unsinn, du hast alles, was du zum Leben brauchst, Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, heiligen Beistand. Und dazu lernst du Lesen und Schreiben, liest sogar Bücher, die für deine Augen verboten sind. Was willst du mehr?«

»Mehr, ich will mehr. Das kann doch nicht alles sein!«

»Du bist verrückt, wirklich verrückt! Du solltest nicht so viel lesen und mehr schlafen. Ich für meinen Teil lege mich aufs Ohr. Zur Nokturn läutet die Glocke, das ist in zwei Stunden.«

Luke wollte aufstehen, doch ein Geräusch an der Tür ließ ihn zusammenfahren. Rupert blies sofort die Kerze aus, in deren Schein sie das Buch betrachtet hatten. Mit klopfenden Herzen drückten sich die beiden Jungen an die Wand. Jemand kam in die Bibliothek, doch es wurde kein Talglicht angezündet.

»Leise!«, zischte Luke und zog Rupert hinter ein Regal. Vorsichtig schob er einige Bücher beiseite und spähte durch die Lücke. »Ich ahne etwas.« Dann nickte er und rückte beiseite, damit Rupert hindurchsehen konnte.

Zunächst sah er gar nichts, hörte nur ein leises Wispern und Tuscheln, dann ein seltsames Wimmern. Im matten Schein des Mondlichtes, das durch das hohe Fenster der Bibliothek fiel, erkannte er einen bleichen, mageren Körper, der sich über einen Lesetisch beugte. Langsam gewöhnten sich Ruperts Augen an die Dämmerung. Jetzt bewegte sich der Körper und er sah, dass es Nick war, einer der neuen Novizen. Seine Hände krallten sich um die Tischkante und sein nackter, dünner Körper bog sich.

»Siehst du, es geht doch«, vernahm er eine zweite Stimme. Es war die von Bruder Hieronymus. Er stand hinter Nick und presste ihm die geballte Faust ins Kreuz. Mit der anderen Hand hob er seine Soutane. Ein praller, blau geäderter Penis kam zum Vorschein, der wie eine Lanze von seinem schwabbeligen Bauch abstand.