Herzensflammen: Ein Roman aus der Zeit der Völkerschlacht - Susan Hastings - E-Book
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Herzensflammen: Ein Roman aus der Zeit der Völkerschlacht E-Book

Susan Hastings

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Beschreibung

Eine Liebe in Zeiten des Krieges: Der mitreißende historische Roman »Herzensflammen« von Susan Hastings jetzt als eBook bei dotbooks. 1811 in Leipzig: Die Bevölkerung leidet unter der französischen Besatzung und auch Karl kann sich als Schustergehilfe nur mit Mühe und Not über Wasser halten. Sein einziger Lichtblick in diesen dunklen Tagen ist Friederike, die hübsche Tochter des Milchhändlers. Das selbstbewusste Mädchen ist für ihn jedoch unerreichbar, scheint sie doch vom jungen Studenten Philipp zu träumen. Um sie zu beeindrucken und ihre Liebe zu gewinnen, will Karl sich auf dem Feld der Ehre beweisen und drängt darauf, sich den sächsischen Truppen anzuschließen. In den Wirren des nahenden Krieges werden Karl und Friederike auseinandergerissen: Während Karl um sein Überleben kämpft, gibt er die Hoffnung doch nie auf, seine große Liebe wiederzufinden – und endlich ihr Herz zu gewinnen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bildgewaltig erzählte historische Roman »Herzensflammen« von Susan Hastings lässt die Zeit der Völkerschlacht bei Leipzig lebendig werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 490

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Über dieses Buch:

1811 in Leipzig: Die Bevölkerung leidet unter der französischen Besatzung und auch Karl kann sich als Schustergehilfe nur mit Mühe und Not über Wasser halten. Sein einziger Lichtblick in diesen dunklen Tagen ist Friederike, die hübsche Tochter des Milchhändlers. Das selbstbewusste Mädchen ist für ihn jedoch unerreichbar, scheint sie doch vom jungen Studenten Philipp zu träumen. Um sie zu beeindrucken und ihre Liebe zu gewinnen, will Karl sich auf dem Feld der Ehre beweisen und drängt darauf, sich den sächsischen Truppen anzuschließen. In den Wirren des nahenden Krieges werden Karl und Friederike auseinandergerissen: Während Karl um sein Überleben kämpft, gibt er die Hoffnung doch nie auf, seine große Liebe wiederzufinden – und endlich ihr Herz zu gewinnen …

Über die Autorin:

Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.

Bei dotbooks sind von Susan Hastings auch die folgenden historischen Romane erschienen: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Die Sehnsucht der Nonne«, »Der schwarze Magier«, »Die Liebe der Wollhändlerin« und »Die Himmelsträumerin« sowie die historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Die Sklavin und der Wikinger«, »Die Geliebte des Wüstenkriegers«, »Das Verlangen des Gladiators«, »In den Armen des Raubritters«, außerdem »Irische Träume« und »Dark Heat – Gefährliche Leidenschaft«.

Drei ihrer historischen Liebesromane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Verführt – Im Bann der Krieger« erhältlich, mit den Romanen »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Das Verlangen des Gladiators« und »Die Geliebte des Wüstenkriegers«.

Die Website der Autorin: www.susan-hastings.de

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Akutalisierte eBook-Neuausgabe Oktober 2020

Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel »Schusterjunge Karl« im Plöttner Verlag und 2017 unter dem Titel »Die Liebe des Milchmädchens« bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2012 Plöttner Verlag UG

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung verschiedener Bildmotive von © shutterstock/Pictureguy, shutterstock/Extezy, shutterstock/athySG sowie Johann Peter Krafft, Leipziger Völkerschlacht

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-537-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Hastings

Herzensflammen

Roman

dotbooks.

Vorwort

Im Oktober 2013 jährt sich zum zweihundertsten Mal die große Völkerschlacht bei Leipzig. Napoleon mit seiner großen Armee wurde von den verbündeten Streitkräften der Russen, Österreicher, Preußen und Westfalen vernichtend geschlagen. Mittendrin wurde die sächsische Armee zwischen den Fronten aufgerieben. Der sächsische König hielt bis zur Katastrophe zu Napoleon. Erst während der dreitägigen Schlacht wechselten die Sachsen die Fronten, dem König brachte es trotzdem die Gefangenschaft ein.

Viel wurde und wird über die Feldherren dieser Schlacht geschrieben, ihre Heldentaten gepriesen, ihnen Denkmäler erbaut.

Kaum jemand aber weiß um die Schicksale der unzähligen Namenlosen, die unter dem Großmachtstreben wahnwitziger Tyrannen leiden mussten, die sowohl von Siegern wie Besiegten geplündert, geschändet, verletzt oder getötet wurden.

Es gibt viele Augenzeugenberichte und zahllose Briefe aus der damaligen Zeit, die von dem unsäglichen Leid der Zivilbevölkerung und jener Soldaten erzählen, die als Kanonenfutter ins Feld geschickt wurden.

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die in den Wirren der Besatzung und der Kriege ihr Hab und Gut, ihre Gesundheit und Unversehrtheit, ihre Würde und ihr Leben verloren haben.

Susan Hastings

Oskar Hempel

Die Leipziger Fleischergasse wimmelte von Menschen, Karren und Getier. Gesäumt von unansehnlichen Fachwerkhäusern, teils mit vorspringendem Oberstockwerk, verlief die Gasse abschüssig und krumm zum Ranstädter Tor hinab. Unzählige Geräusche mischten sich mit dem strengen Geruch nach Unrat, Küchendunst, Abwasser und Rauch. Das Schnattern aufgeregter Gänse übertönte bisweilen das Rumpeln der Fuhrwerke, die Ochsentreiber und Mietkutscher schrien sich den Weg frei und vor dem »Roten Krebs« versuchte der Wirt unter wüstem Schimpfen die Hinterlassenschaft eines Ochsengespanns zu beseitigen. Zudem war die krumme Gasse viel zu schmal für die breiten Karren.

Mitten durch dieses Gewirr bahnten sich zwei recht unterschiedlich aussehende Männer ihren Weg. Der eine war jung, lang aufgeschossen, etwas ungelenk. Er trug eine zu kurze Hose, die seine dünnen Waden preisgab, eine geflickte Weste über dem groben Hemd und eine Mütze von unbestimmter Form. Seine Füße steckten in hölzernen Pantoffeln, die über das Kopfsteinpflaster klapperten. Der andere war deutlich älter, sein Rücken gekrümmt und sein Gang steif. Auch er trug einfache Kleidung, allerdings reicht seine Hose bis zu den Knöcheln, das Hemd von undefinierbarer Farbe wurde von einer Jacke aus grobem Stoff verdeckt. Auf dem Kopf trug er eine ähnliche Mütze wie sein jüngerer Begleiter. Es war Schuster Oskar Hempel mit seinem Lehrjungen Karl Fritzsche.

Dank seiner langen dünnen Beine war Karl immer einen Schritt schneller als der von Alter und Arbeit gebeugte Schuster. Bis dieser mit seinen knotigen Fingern seinen Lehrling an der Schulter packte und unsanft zurückzog.

»Es gehört sich nicht, vor dem Meister zu laufen«, knurrte Oskar Hempel unwirsch und atmete dabei mühsam.

»Jawohl, Meister.« Karl bemühte sich nun um kleinere Schritte und musste dabei ständig entgegenkommenden Passanten ausweichen. Sie befanden sich auf dem Weg zum Fleischmarkt in der Nähe des Brühls, wo seit dem Mittelalter die Gerber ihr stinkendes Gewerbe hatten. Ein Stück weiter handelten die Juden mit Pelzen und Fellen.

Karl hatte Schuster Hempel aus Versehen bereits wieder überholt, als es einen gewaltigen Knall gab. Zwei Karren hatten sich mit den Rädern ineinander verhakt. Der Ochsentreiber schlug wütend auf seine Tiere ein. Als von dem Karren schließlich das Rad absprang, gerieten die mächtigen Tiere in Panik. Einer der Ochsen stürmte mit aufgerissenen Augen vorwärts, wobei er das zerrissene Zugseil hinter sich herschleifte. Verzweifelt fuchtelte der Ochsentreiber mit den Armen. »Haltet ihn, haltet ihn auf«, schrie er. Doch die Rufe des Mannes gingen im panischen Geschrei der Passanten unter. Karren kippten um, Waren fielen auf das Pflaster, Menschen wurden überrannt. Eine Frau kreischte hysterisch mit hoch erhobenen Armen. Der Bulle stürmte direkt auf Oskar Hempel zu. Im Bruchteil eines Herzschlags warf sich Karl zur Seite, packte seinen Meister und riss ihn mit sich zu Boden. Karl spürte das heiße, stoßweise Atmen des Tieres, sah noch das Weiße in den in Panik aufgerissenen Augen, verspürte das Vibrieren des Bodens unter den stampfenden Hufen. Im nächsten Augenblick stürmte der Bulle über sie hinweg.

Karl wagte nicht, den Kopf zu heben. Wenn seinem Meister etwas passiert wäre – nicht auszudenken! Etwas bewegte sich unter ihm.

»Meister, Meister, ist alles in Ordnung?«

Ächzend setzte sich Oskar Hempel auf. Der Bulle indessen blieb direkt vor dem Büro zur Empfangnahme von Requisitionen stehen. Menschen, die kurz zuvor noch Soldatenröcke, Tuche, Schuhe und Stiefel, sogar Wein und vor allem Geld an die französischen Besatzer dort abgeben mussten, stoben wie nach einer Explosion auseinander.

Beherzte Männer fingen das verwirrte Tier ein und hielten es am Rest des Strickes fest.

»Haste das gesehen?« Hempel blickte ungläubig um sich. »So ein blöder Ochse!«

»Vielleicht war der gar nicht so blöd«, erwiderte Karl und rappelte sich auf. »Ich würde mich auch nicht gern schlagen lassen.« Der Meister hätte ruhig etwas dankbarer sein können, hatte Karl ihm doch gerade das Leben gerettet.

Umständlich erhob sich Hempel und klopfte seine ohnehin speckige Hose ab. Sie hatte einen Riss am Hosenbein abbekommen. »Da kommt die Schürze drüber, das sieht man nicht«, meinte er und blickte dann seinen Lehrjungen scharf an. »Kein Wort zu meiner Alten, verstanden? Die hat immer Angst, ich würde vor ihr sterben... Ich sollte sie zum Fleischmarkt schicken.« Unbeeindruckt ging er weiter. Karl blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Dabei schlug ihm noch das Herz bis zum Hals.

Der Fleischmarkt kündigte sich schon durch seinen üblen Geruch an. In der Nähe des Ranstädter Tors gelegen, trug die vorüberfließende Pleiße den Geruch weit in die Vorstadt hinein. Schuster Hempel zwängte sich durch die eng stehende Menschenmenge, die sich um einen Ausrufer scharte. Er beugte sich zu dem Stapel einfach gegerbter Häute herunter, der zu Füßen des Marktschreiers lag. Intensiv befühlte er die Ware, zog, zerrte, roch daran und warf sie wieder hin.

»Schlechtes Zeug«, brummelte er.

Der Verkäufer stutzte. »Was meckerst du, Hempel? Die kannst du dir doch gar nicht leisten. Verschwinde, alter Flickschuster. Du vergraulst mir nur die Kunden.«

Mit einer wegwerfenden Handbewegung zeigte der Schuster seine Verachtung und ging weiter. »Hier, das nehmen wir«, sagte er und zeigte auf einige geschnittene Häute, die auf einer Stange hingen.

»Aber Meister, die sind doch noch schlechter als...«

»Halts Maul«, knurrte der Alte und kramte in seiner Tasche nach einigen Münzen. Karl zog den Kopf ein. Auch wenn er einen ganzen Kopf größer war als sein Meister, hatte er ihm nicht zu widersprechen, was ihm oftmals nicht ganz leicht fiel. Er lud sich die zusammengerollten Häute auf die Schulter und folgte Oskar Hempel zurück bis zum Markt. Diesmal mieden sie die Fleischergasse, gingen stattdessen durch die Katharinenstraße, wo sich die Häuser der Pelzhändler und jüdischen Kaufleute aneinanderreihten. Am Markt bemerkten sie einen Menschenauflauf, der sich vor dem Rathaus drängte. Oskar Hempel zögerte, überlegte, ob er schauen sollte, was der Grund für diese Menschenmenge war. »Bleib mal kurz hier«, wies er Karl an, doch dann winkte er ihm zu folgen. Ihr aufdringlicher Ledergeruch verschaffte ihnen Platz in der Menge.

»Hempel, musst du unsere Nasen beleidigen?«, fuhr ihn einer an. Oskar Hempel grinste nur. »Was gibt es denn?«, wollte er wissen.

»Wieder ein Aushang. Die wollen noch mehr Geld aus uns herauspressen«, knurrte ein anderer. »Jetzt soll ein General schon fünf Taler Verpflegungsgeld erhalten, für einen Stabsoffizier wollen sie vier Taler und sogar für jeden Gefangenen vier Groschen. Wer soll denn das bezahlen? Wir haben doch selbst kaum noch etwas.«

»Du solltest den Mund nicht so aufreißen«, tadelte ihn sein Nachbar. »Hier drücken sich genug Spitzel herum, die einen an die Geheimpolizei verraten. Die französische Spinne lauert überall.«

»Sind es nicht die königlichen Kommissare, die uns auf die Finger schlagen, nur weil wir noch ein paar englische Waren am Lager haben?«

»Franzosen, Sachsen, ist doch alles gleich. Unser König macht, was der Franzose ihm befiehlt. Was für ein König!«

»Komm, wir gehen heim«, drängte Oskar Hempel und schob Karl mit seiner Last rückwärts durch die drängenden Menschen. »Die reden sich hier um Kopf und Kragen. Ich will meinen noch behalten.«

»Ihr habt doch nichts zu befürchten, Meister«, grinste Karl. »Dieses Leder stammt von uraltem sächsischem Vieh.«

Sie bogen in das Salzgässchen ein, querten die Reichsstraße und erreichten die enge Schuhmachergasse, wo sich mittendrin ein windschiefes Haus befand. Das Haus war gerade so breit wie die Eingangstür und besaß ein mit undurchsichtigem gelbem Glas gefertigtes Fenster. Dahinter befand sich die Werkstatt. Es war eng. An der Wand standen Regale, in denen sich Leisten an Leisten reihte, auch einige lederne Schuhe, höchst einfach genäht und dementsprechend billig. In einer Kiste türmten sich Holzpantoffeln, die weitaus mehr gekauft wurden als lederne Schuhe. Die geschnitzte Sohle benagelte Hempel mit einer ledernen Kappe. Aber meist hielt er sich und seine Frau mit der Reparatur von Schuhen, Stiefeln und Pantoffeln über Wasser. Die Zeiten waren schlecht. Er hätte auch gern für die Franzosen gearbeitet, die seit einigen Jahren Leipzig besetzt hielten, aber die hatten sich andere Schuster in der Gasse gesucht, um ihre Stiefel reparieren zu lassen. Hempel war eben nur ein armer Flickschuster.

Karl hing die erworbenen Häute auf Stangen, die quer durch die winzige Werkstatt gingen. Dadurch wurde es noch enger. Auch der Geruch wurde unangenehmer und mischte sich mit den Kohldünsten, die aus der dahinter liegenden Küche zu ihnen drangen. Nur ein zerschlissener Vorhang trennte diese von der Werkstatt.

»Da seid ihr ja endlich! Wie lange soll ich noch mit dem Essen warten?« Helene Hempel besaß eine unangenehme Stimme, konnte aber noch aus den ärmlichsten Resten eine Mahlzeit zaubern. Karl zog seine Mütze vom Kopf und stopfte sie in seine Hosentasche. Umständlich verstaute er seine langen Beine unter dem Küchentisch.

»Komme schon«, gab Schuster Hempel zurück. An das Gekeife seiner Frau hatte er sich gewöhnt, das brachte ihn nicht aus der Ruhe. Nur dass sein Lehrjunge schon vor ihm am Tisch saß, behagte ihm nicht. »Beim Essen bist du immer der Erste«, stellte er missmutig fest, während er seinen Stuhl zurechtrückte. Helene Hempel teilte mit einer großen Kelle den Kohleintopf aus. Sie hatte ihn mit Mehl gebunden, sogar ein paar Kartoffelstückchen fand Karl dazwischen. Speck gab es nur am Sonntag, wenn überhaupt.

»Schon wieder Kohl, da hebt sich wieder die Bettdecke.« Oskar Hempel rührte mit dem Löffel in seiner Schüssel und pustete. Wenigstens heiß war die Suppe.

»Wenn du mehr verdienen würdest, könnte ich auch etwas anderes auf den Tisch bringen.« Helene Hempel warf die Kelle in den Topf, dass es spritzte.

»Wie denn, wenn uns der Stadtrat wieder alles aus der Tasche zieht. Am Rathaus hängt die nächste Liste mit den Verpflegungssätzen für durchziehende Truppen. Ich sage dir, ich würde lieber zu den Soldaten gehen, die verdienen ihr Geld leichter als wir. Die nehmen’s einfach von den Bürgern.«

Karls Schüssel war noch leer. Jetzt gab es wieder den obligatorischen Streit zwischen den beiden und ihm knurrte der Magen. Vorsichtig hob er die Hand und griff nach der Kelle.

»Ja, und du frisst uns die Haare vom Kopf«, richtete sich Helenes Zorn nun gegen Karl. »Bei so einem langen Kerl wie dir rutscht alles nur so durch. Ich war gleich dagegen, ihn als Lehrjungen zu nehmen.«

Karl schwieg vergnatzt. Helene Hempel hatte keinen Grund zu klagen. Schließlich bezahlte Karls Mutter für ihn Lehrgeld, obwohl er als Halbwaise keines zahlen müsste. Aber Flickschuster Hempel war kein Mitglied der Zunft, die in solchen Fällen für diese Lehrjungen einspringen würde. Er war nicht einmal Meister und hätte gar keinen Lehrling ausbilden dürfen. Es war also eine Gnade, dass Karl bei Hempels aufgenommen worden war. Zwar behauptete die Nachbarin Elsa Kübler, Hempels hätten es nur auf das Lehrgeld abgesehen, aber Karl war dankbar, dass er bei Oskar Hempel das Handwerk eines Flickschusters erlernen durfte. Man wusste ja nie, wie man es später gebrauchen konnte. Schuhe gingen immer kaputt.

»Ein paar Knochen vom Ochsenschwanz wären nicht verkehrt. Ich gebe dir doch genug Haushaltsgeld. Dafür wird’s wohl reichen«, bemerkte Oskar mit vollem Mund.

»O ja, solche wie von dem verrückten Ochsen, der vorhin auf die Gasse ge...« Ein heftiger Tritt gegen sein Schienbein ließ Karl den Rest des Satzes verschlucken.

»Was war denn los?« Helene horchte auf. »Ist etwas geschehen?«

»Nichts«, knurrte der Schuster. »Halts Maul und iss jetzt.«

Helene schwieg nun auch und Karl konnte sich seine Schüssel füllen. Schweigend löffelten sie den Kohleintopf. Jeder bekam noch ein kleines Stück trockenes Brot dazu.

Zwischen Karls Füßen pickten die drei Hühner, die zur Wirtschaft von Frau Helene gehörten. Nachts sperrte sie sie in den kleinen Küchenschrank ein, dessen Tür durch ein Gitter ersetzt worden war. Tagsüber aber durften sie in der Küche und im Hof herumlaufen und sich ihr Futter suchen. Nicht selten flatterten sie über den Holzstapel am Zaun zum Nachbarn Kübler hinüber. Dann gab es ein großes Geschrei, denn Elsa Kübler bewachte ihren kleinen Gemüsegarten mit Argusaugen. Jedes Mal verlangte sie von Helene Hempel eine Entschädigung und jedes Mal drohte im Gegenzug Helene Hempel mit einem Knüppel oder dem Kochlöffel. In jedem Fall musste Karl am Ende immer über den Holzstapel klettern und die abtrünnigen Hühner zurückholen. Dabei fürchtete er Küblers Hund, einen bissigen, giftigen und stets kläffenden Spitz mit geflecktem Fell und geringeltem Schwanz. Einmal wollte Heinrich Kübler die Hühner nicht herausgeben und behauptete, es seien seine. Doch damit kam er weder gegen seine Frau noch gegen Helene an. Keiner besaß so magere Hühner wie Helene Hempel, und Elsa Kübler beschwor ihren Mann, nicht wegen dieser drei Galgenvögel vor dem Richter zu landen. Lieber wollte sie einige Kupfergroschen für die zerhackten Steckrüben einklagen. Es war doch ein Unterschied, auf welcher Seite man vor dem Gesetz stand.

Unwillig schob Karl die pickenden Hühner beiseite. Von ihm würde kein Krümel auf den Boden fallen, mochten die Viecher noch so an seinem Hosenbein herumhacken. Zum Dank platzierte eines der Hühner ihm einen weißlichen Klecks auf seinem Holzpantoffel.

Anna Fritzsche

»Du willst dich doch nur um den Morgenmesse drücken.« Helene Hempel stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte Karl strafend an.

»Nein, nein, Frau Meisterin. Wenn ich mich beeile, kann ich noch meine Mutter zum Kirchgang begleiten.«

Der Blick der Frau wurde noch strenger. »Lügst du auch nicht? Es ist noch jede Menge zu tun!«

»Nun lass doch den Jungen in Ruhe«, mischte sich ihr Mann ein. »Es ist doch ehrsam, wenn er sich um seine Mutter kümmert. Außerdem ist alles getan, was getan werden muss.« Er zwinkerte Karl zu. »Iss dein Frühstück und verschwinde dann. Morgen bist du wieder da, verstanden?«

»Verstanden, Meister. Und – danke!«

Karl tunkte das Brot in die saure Milch und stopfte es sich in die Backen. Kauend nahm er seine Joppe vom Haken, setzte den Hut auf und griff zum Beutel.

»Warte, Junge!« Der Schuster hielt ihn am Ärmel fest und schob ihm ein kleines Päckchen unter den Arm. »Für deine Mutter, sie wird es sicher gebrauchen können. Zur Vorsicht solltest du es dir umlegen, wegen der Wache.« Er blinzelte wieder verschmitzt und verzog sein faltiges Gesicht. »Und sag nichts davon meiner Alten.«

Karl ertastete ein Kaninchenfell, nicht sehr dick, mit einigen Löchern im Leder, aber zwei angenähten Bändern. Man konnte es gut als Nierenwärmer benutzen.

»Die Mutter wird es Euch danken, Meister!«

Er schob das Fell unter sein Hemd und zurrte es am Bauch fest. Dann schloss er die Weste und zog die Joppe über. So gerüstet ging er mit weit ausholenden Schritten durch die Reichsstraße zum Halleschen Tor hinter dem Brühl.

Die französischen Wachsoldaten waren bestens gelaunt, wahrscheinlich weil es neben der etwas üppigeren Sonntagsration auch noch einen Feiertagszuschlag an Branntwein und Fleisch gab.

Sie winkten Karl einfach durch. Doch ankommende Reisende und Fuhrleute wurden akribisch kontrolliert. Konnte es doch sein, dass für die Osterfeiertage verbotene Waren in die Stadt gebracht wurden. Die Handelsleute, die zur Ostermesse nach Leipzig kamen, hatten diese Kontrollwut schon schmerzlich erfahren müssen. Seit Leipzig unter der französischen Besatzung stand, wurde der Handel drastisch erschwert. Viele Händler kamen gar nicht mehr zur Messe.

Hinter dem Halleschen Tor schloss sich die nördliche Vorstadt entlang der Gerbergasse an. Dazwischen lag ein ansehnlicher freier Rasenplatz, der von der Chaussee in zwei Teile getrennt wurde, umgrenzt von Platanen und schlanken, säulenförmigen Pappeln.

In der Gerbergasse reihten sich zu beiden Seiten die Wohnhäuser der Lohgerber, meist enge Fachwerkhäuser, aber es gab auch ansehnliche Bauten. Gleich im zweiten Haus zur linken Hand befand sich der Gasthof »Zum Palmbaum«, nur zwei Häuser weiter der Gasthof »Zur goldenen Sonne«, gegenüber der Gasthof »Zum schwarzen Kreuze« und auf halber Strecke westseitig »Zum schwarzen Rosse«. Gern hätte Karl hier ein kühles Bier getrunken, um seinen bevorstehenden Fußmarsch erträglicher zu machen, allein ihm fehlte das Geld dafür. Er war schon froh, dass seine Mutter das Lehrgeld für ihn aufbringen konnte.

An der steinernen Brücke, die über die Parthe führte, befand sich das Äußere Hallische Tor. Noch einmal musste Karl eine Kontrolle passieren. Zwei sächsische Soldaten gehörten dort zur Wachmannschaft, von denen Karl zum Glück einen ganz gut kannte.

»Frohe Ostern, Gottfried«, grüßte Karl.

»Frohe Ostern, Karl«, grüßte Gottfried zurück. »Gehst du deine Mutter besuchen?«

»Ja, es wird Zeit. Habe sie zu Weihnachten das letzte Mal gesehen. Es gibt so viel zu tun.«

»Na dann guten Weg, Schusterjunge!«

Karl winkte grüßend und schon befand er sich außerhalb der Stadt. Er atmete tief durch. Er fühlte sich plötzlich frei und guter Dinge. Das Frühstück in seinem Bauch gab ihm Kraft. Es war eine gute halbe Postmeile1 bis zum Dorf, immer die Hallesche Straße entlang, die stark ausgefahren, oft schlammig und manchmal kaum passierbar war. Doch sie war eine wichtige Verbindung für Händler und Reisende in Richtung Norden und Nordwesten oder von dort in die quirlige Handelsstadt. Nur heute, am Sonntag, wurde sie von leichten Reisekutschen und Spaziergängern bevölkert. Karl kam gut vorwärts.

Er ließ Leipzig hinter sich, links das Vorwerk Pfaffendorf, rechts die Scharfrichterei. Er richtete seinen Blick nach vorn und summte ein Liedchen vor sich hin. Einige Reiter überholten ihn, Soldaten, die zum täglichen Anblick in und um Leipzig gehörten, und fein gekleidete Herren in grauen Reitröcken und blank geputzten Stiefeln.

Die Straße war die beste Verbindung in das kleine Dörfchen Möckern, das eine gute Stunde nordwestlich der Stadt lag und wo seine Mutter in einer kleinen Hütte wohnte. Vorbei an der Ortschaft Gohlis westlich zur Aue hin gewahrte er schließlich den Kirschberg mit seinen sonnigen Obstgärten. Dahinter lag es: das Dorf Möckern.

Es war sein Heimatdorf. Karl hatte große Hoffnungen gehegt, dass es ihm als Lehrjunge in der Stadt besser gehen würde. Möckern bestand nur aus gut zwanzig Gehöften jenseits der Halleschen Straße auf dem Hang zur Aue. Zudem gab es einen Gasthof, ein Gefängnis, eine Landwirtschaftliche Anstalt, ein Spritzenhaus2, eine Schule, die Karl vier Jahre besucht hatte, und sogar eine ansehnliche Holländermühle. Am Ende der Dorfgasse befand sich das Rittergut, trutzig von einer hohen Mauer umschlossen. Als Kind hatte Karl hier viel gespielt. Noch lieber aber tummelte er sich am Kirschberg. In den dortigen Obstgärten hatte er mehr als einmal köstliche Kirschen stibitzen können – man durfte sich nur nicht erwischen lassen.

Schon von weitem sah Karl seine Mutter vom Kirchgang aus Wahren kommen. Auch sie hatte die bequemere Straße den schmalen Pfaden durch die Aue vorgezogen. Zum ersten Mal bemerkte er, wie klein sie war, wie schleppend ihr Schritt und wie krumm ihr Rücken. Seit einigen Jahren war sie verwitwet, musste alle Arbeit allein erledigen. Karl hätte ihr eine Hilfe sein können, aber zwei Personen ernährten die winzigen Felder nicht. In der Hoffnung, die Mutter mit etwas Geld unterstützen zu können, war er vor einiger Zeit in die Stadt gegangen. Seine Hoffnung hatte sich jedoch nicht erfüllt. Schuster Hempel war nicht reicher als Mutter Fritzsche, im Gegenteil! Fand sich auf dem Feld oder im Garten von Mutter Fritzsche immer noch etwas zu essen, herrschte bei Hempels meist Trostlosigkeit in der Küche.

So musste die Mutter das kleine Feld, das der Vater bearbeitet hatte, abgeben und ihr Leben als Häuslerin fristen. Die Fronarbeit auf dem Gut war schwer. Doch es gab niemanden, der sie davon hätte erlösen können. Manchmal überlegte Karl, ob er nicht hätte daheim bleiben sollen, um die Felder zu beackern. Vielleicht hätte es doch für beide gereicht. Aber damals, als Vater starb, war er erst zehn Jahre alt gewesen.

Karl winkte mit beiden Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. Es dauerte eine Weile, bis die Mutter ihn bemerkte. Ihr Gesicht hellte sich sofort auf und ihr Schritt beschleunigte sich. Sie trug ihr bestes, allerdings recht abgetragenes Kleid, eine Haube auf dem Kopf und ein wollenes Tuch über den Schultern gegen die noch etwas kühle Frühlingsluft.

»Habe ich es doch gewusst, dass du mich heute besuchen kommst, mein Junge.« Anna Fritzsche umarmte Karl, der dazu etwas in die Hocke gehen musste.

»Es ist Ostern«, gab Karl etwas verlegen zurück. Gern hätte er seine Mutter öfters besucht, allein der weite Weg und die besonderen Umstände in Leipzig machten es ihm nicht möglich. »Der Meister lässt dir Grüße übermitteln.«

»Das ist sehr freundlich von deinem Meister«, erwiderte Anna Fritzsche. Sie bogen gemeinsam am Spritzenhaus von der Halleschen Straße in die abschüssige Dorfstraße ab. Am Gefängnisturm teilte sich der Weg in zwei Gassen. Linker Hand hinter dem runden Gefängnisturm mit dem Spitzhaubendach lag das kleine Grundstück der Fritzsches, eingezwängt zwischen zwei ebenso langen und schmalen Bauerngehöften, die sich zur Elsteraue hin erstreckten.

Fritzsches Haus war nur eine windschiefe Hütte mit einem hölzernen Gartentor davor.

Anna Fritzsche kramte aus ihrem Beutel, den sie am Gürtel trug, einen Schlüssel hervor und öffnete die Haustür. Ein säuerlicher Geruch aus Essen, Misthaufen und feuchten Wänden schlug ihnen entgegen. Vorher war Karl das nie aufgefallen.

»Weil ich weiß, dass meine Kinder mich heute besuchen werden, habe ich natürlich ein Festessen gekocht«, sagte sie, nachdem sie das Schultertuch abgelegt hatte.

»Wieso? Kommt Karoline auch?«

»Aber natürlich«, freute sich Anna Fritzsche. Karls Freude hielt sich dagegen in Grenzen. Nicht, dass er seine Schwester nicht mochte. Der Grund war Karolines Mann.

»Sie müssten auch gleich da sein. Komm, wir müssen uns sputen, das Essen anzurichten.« Sie hantierte am Ofen, um ihn anzuheizen.

»Bratfischs kommen tatsächlich? Muss der Herr Pfarrer nicht seine Sonntagspredigt halten?«

Karls Schwester Karoline hatte vor zwei Jahren Pfarrer Gottlieb Bratfisch aus Lindenthal geheiratet und lebte seitdem im dortigen Pfarrhaus. Im Grunde hatte Karl nichts gegen Pfarrer, wenn der Schwager nicht so ein griesgrämiger, besserwisserischer und geiziger Mann gewesen wäre. Er hatte nie verstanden, was Karoline an ihm fand. Mutter Fritzsche war indes zufrieden, weil sie ihre Tochter in wohlgeordneten und gesicherten Verhältnissen wusste. Immerhin erhielt Gottlieb Bratfisch zu seinen zweihundert Gulden Jahresgehalt noch achtzig Pester Metzen3 Frucht, sechs Klafter4 Holz sowie eine Session5 Feld.

Das Holz knackte im Ofen und Anna Fritzsche schob die Töpfe geschäftig hin und her. Dann breitete sie ein Leinentischtuch auf dem Küchentisch aus, um die tiefen Scharten im Holz zu verdecken. Aus dem Schrank nahm sie das braune Steingutgeschirr, das nur zu Sonn- und Feiertagen benutzt wurde, und deckte den Tisch ein. Nach Karls Meinung war das Frauenarbeit, trotzdem wollte er ihr behilflich sein. Er nahm den Eimer, um am Brunnen Wasser zu holen. Im Garten blickte er sich um. Die Mutter hatte bereits angefangen, die Beete zu bestellen. Auf einem stand noch etwas Grünkohl vom Winter, dazwischen suchten sich die Hühner ihr Futter. Sie würden wohl den Rest vom Kohl vertilgen. In einem Gatter schnatterten junge Gänse. Die beiden Ziegen und die Kuh befanden sich wahrscheinlich schon auf der gemeindeeigenen Hütung.

Die Seilrolle am Brunnen quietschte, als Karl den Schöpfeimer hochzog. Wie rückschrittlich hier alles noch war. In der Stadt besaßen sie eine Schwengelpumpe. Bessere Häuser waren sogar an die städtische Wasserleitung angeschlossen.

Karl brachte das Wasser in die Küche. »Was gibt es denn Feines?«, wollte er wissen.

Anna Fritzsche hob einen Topfdeckel an. »Hühnchen in Petersiliensoße mit Mehlklößen und Steckrübengemüse.«

Karl nickte stumm. Zumindest roch es besser als Helene Hempels Kohlsuppe. Dass die Mutter ein Huhn geschlachtet hatte, war ein wirklich großes Opfer. Immerhin lieferten die Hühner übers Jahr Eier und mussten auch die nächste Generation aufziehen. Wahrscheinlich hatte ein ausgedientes Legehuhn daran glauben müssen, das mindestens zwei Stunden gekocht werden musste, um das Fleisch beißen zu können.

»Ich hole mal noch Holz«, sagte er und nahm den löcherigen Weidenkorb. Am Hausgiebel befand sich der Holzstapel, säuberlich aufgeschichtete Scheite, die Karl im vergangenen Winter für die Mutter gehackt hatte. Der Stapel war stark geschrumpft.

»Mein Brüderchen ist ja auch schon da«, vernahm er die Stimme seiner Schwester. Er drehte sich um. Karoline winkte ihm lachend zu, während sie den anderen Arm bei ihrem Mann untergehakt hatte. Sie trug ein schlichtes Kleid, das sie mit einer bunten Falbel6 etwas aufgelockert hatte. Pfarrer Bratfisch stapfte im abgewetzten Gehrock und steifem Kragen neben ihr her. Mit seinem Spazierstock stach er Löcher in den trockenen Lehm der Dorfstraße.

»Ist er nicht immer der Erste, wenn es etwas zu essen gibt?«, spöttelte er statt eines Grußes.

»Sei nicht so streng zu ihm«, erwiderte Karoline. »Er ist ein guter Junge.«

Verbissen stapelte Karl die Holzscheite in den Korb und trug ihn in die Küche, während Karoline und ihr Mann das Haus durch die Vordertür betraten.

»Guten Tag, Herr Pfarrer«, murmelte Karl kaum hörbar, dafür schenkte er Karoline ein kleines Lächeln. »Guten Tag, Schwesterchen. Wie ich sehe, habt ihr auch den Weg nach Möckern gefunden.«

»Warum nicht? Gottlieb hat sich extra mit der Predigt beeilt.«

»Das ist gut so«, stellte Anna Fritzsche fest, nachdem sie Tochter und Schwiegersohn begrüßt hatte. »Das Essen ist gleich fertig.«

»Ich helfe dir, Mutter«, bot sich Karoline an, doch Anna lehnte empört ab.

»Ihr seid meine Gäste, da werdet ihr doch nicht arbeiten.«

»Recht so, schließlich ist es der Tag des Herrn, da wird nicht gearbeitet«, warf Gottlieb Bratfisch ein und blickte missbilligend zu Karl, der die Holzscheite neben den Ofen stapelte. Er setzte sich an den gedeckten Tisch und reckte genüsslich die Beine. »Wie gut doch so ein Spaziergang tut, und wie er Appetit macht.«

Mutter Anna stellte die Schüssel mit den dampfenden Klößen auf den Tisch. Gottlieb Bratfisch schob schnuppernd seine Nase darüber. »Das Mehl wird auch von Jahr zu Jahr schlechter«, stellte er fest, hieb aber dann seine Gabel in einen Kloß und legte ihn sich auf den Teller. Karoline nahm die Schüssel mit dem Steckrübengemüse, während Anna Fritzsche das gekochte und anschließend geschmorte Hühnchen auf die Bratenplatte legte. Es war wirklich ein Festessen.

Karl wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und setzte sich als Letzter an den Tisch. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, während sein Magen vernehmlich knurrte. Mutter Anna zerteilte das Hühnchen.

»Wollen wir nicht erst ein Tischgebet sprechen, bevor wir beginnen zu essen?«, fragte Karoline.

»Das kann Karl machen«, bestimmte Gottlieb Bratfisch und fixierte Karl durch seinen Kneifer auf der Nase. »Ich wette, du hast dich heute um den Kirchgang gedrückt.«

»Nein«, log Karl. »In Leipzig gibt es dafür ja die Morgenmesse.«

»Dann wirst du ja noch ein ordentliches Tischgebet zustande bringen.«

»Sind Sie dafür nicht besser geeignet, Herr Pfarrer?«

Gottlieb Bratfisch schnappte nach Luft. »Frech ist der Bengel auch noch. Dein Meister hat dir wohl zu wenige Backpfeifen gegeben? Komm du nur zum Militär, da wird dir die große Klappe noch vergehen. Hattest du nicht mal geschworen, ein besserer Mensch zu werden und deine Untugenden abzulegen?«

In der Tat, das hatte Karl mal in einem schwachen Moment getan. Da hatte er sich von Pfarrer Bratfisch beeindrucken lassen, als er im Gestühl der Lindenthaler Kirche saß und blessiert nach einer Rauferei mit den Jungs aus Gohlis auf Drängen seiner Mutter Besserung gelobte. Der Pfarrer hatte ihn im Angesicht Gottes vor der Kanzel beim Wort genommen, was Karl am liebsten schnell wieder vergessen hätte. Denn ihm fiel nicht ein, wo er sich hätte bessern sollen. Anna Fritzsche hatte versichert, dass Karl ja ein braver, fleißiger und friedlicher Junge sei, der nur ab und zu seine überschüssige Kraft gegen die provokanten Burschen des Nachbardorfes richtete. Seit jener Beichte aber waren zwei Jahre vergangen, in denen Karl die Welt und vor allem Bratfischs Ansichten nicht mehr ganz so widerspruchslos hinnahm.

»Aber, aber... Heute ist Sonntag«, versuchte Anna die Gemüter zu beruhigen. »Ich werde das Tischgebet sprechen.« Sie faltete die Hände. »Komm, lieber Herr Jesus, sei unser Gast und siehe, was du uns bescheret hast.«

Mit Annas letztem Wort bohrte Gottlieb Bratfisch seine Gabel in einen Hühnerschenkel und legte ihn sich auf den Teller. »Reich mir die Soße«, forderte er seine Frau auf, die nach der kleinen Kanne mit dem Petersiliensud griff.

Karl beobachtete ihn mit stillem Groll. Er widersprach nur selten, aber diesmal konnte er den Mund nicht halten. »Mutter hat dieses Essen gemacht«, murmelte er. »Sie hat doch das Huhn gefüttert, sie hat die Rüben gesät und geerntet, sie hat das Mehl für die Klöße gekauft. Nicht der Herr Jesus.«

Eine bedrohliche Stille folgte Karls Worten

»Sagte ich es nicht? Er lässt es am nötigen Respekt fehlen. Bist du vielleicht Anhänger dieser gotteslästerlichen Menschen, dieser Freidenker, die immer aufsässiger werden? In der Stadt treibt sich so viel Gesindel herum, das die Obrigkeit verspottet. Die Franzosen haben die gottgewollte Ordnung ganz durcheinander gebracht. Alle Menschen sind gleich – dass ich nicht lache! Die sind Revolutionäre.« Gottlieb Bratfischs Gesicht verfärbte sich zornesrot.

»Karl ist ein gottesfürchtiger Junge, trotz der Franzosen«, widersprach Karoline. »Außerdem sind die Franzosen doch ebenfalls Christen, oder?« Sie schaute fragend in die Runde.

»Kinder, es ist Sonntag«, beschwichtigte die Mutter. »Da müssen wir nicht über Politik sprechen. Außerdem kommt doch alles von Gott, nicht wahr? Jedes Lebewesen auf Erden. Übrigens habe ich ein ganzes Gelege junger Gänse vom Rittergut abkaufen können, sehr günstig. Weihnachten wird es also einen schönen Gänsebraten geben. Und nun greift zu.«

Der Pfarrer ließ sich nicht zweimal bitten und verschlang lautstark schmatzend das Hühnerfleisch. »An der Gans wird hoffentlich mehr dran sein als an diesem Huhn.« Er fuchtelte mit der Gabel in der Luft herum.

Anna Fritzsche legte Karl ein Flügelchen mit Brustfleisch auf den Teller. »Du bist so schmal geworden, Junge. Bekommst du bei deinem Meister nicht genug zu essen?«

Karl schob sich einen Löffel voll Rübengemüse in den Mund, um nicht antworten zu müssen. Vor seinem Schwager wollte er nicht eingestehen, wie kärglich es oft bei Hempels zuging. Sich selbst nahm die Mutter nur das magere Rückenstück.

Schweigend aßen sie. Karl musste zugeben, dass die Mutter wahre Wunder vollbracht hatte. Nach dem Kücheneinerlei bei Hempels war es ein wahrer Festschmaus. Karl verdrückte drei Mehlklöße und einen Nachschlag Steckrübengemüse mit viel Soße.

»Es ist noch ein Keulchen da«, stellte Karoline fest. Karl warf einen begehrlichen Blick darauf. Obwohl er liebend gern selbst die Keule noch gegessen hätte, so gönnte er sie aber auch seiner Mutter. Im gleichen Moment schoss Gottliebs Hand vor und spießte die Hühnerkeule auf. »Dann lasst es uns vernichten«, sagte er kauend und zersäbelte sie mit dem Messer in große Stücke. Karl warf dem Schwager einen vernichtenden Blick zu. Der bemerkte es nicht oder wollte es nicht bemerken. Selbstzufrieden verdrückte er auch die zweite Hühnerkeule, genehmigte sich noch einen Kloß und den Rest der Petersiliensoße. Erst als er den Teller bis auf das letzte Pfützchen gelehrt hatte, legte er das Besteck beiseite. »Preisen wir Gott für das gute Mahl«, sagte er und griente über Karls wütendes Gesicht. Er erhob sich und stakste steifbeinig die wenigen Schritte hinüber in das winzige Stübchen. Dort gab es ein kleines Kanapee mit verschlissenem Bezug, einen winzigen runden Tisch mit einer gehäkelten Tischdecke, auf dem ein Kerzenleuchter stand und die Bibel lag, sowie ein kleines Wandbord. Es waren Überbleibsel aus besseren Zeiten, als Karl Otto Fritzsche noch lebte. Die Mutter nahm eine Flasche und ein winziges Schnapsgläschen vom Wandbord, während Gottlieb Bratfisch sich auf dem Kanapee niederließ.

»Holunderlikör vom letzten Jahr«, sagte sie, während Karoline begann, den Tisch abzuräumen. »Nun lass doch, Mädel«, wehrte Anna ab. »Ihr seid meine Gäste. Den Abwasch kann ich selbst erledigen.« Sie band sich wieder ihre Schürze um. »Stellt euch vor, den Franz Schwabe haben sie beim Schmuggel erwischt. Nun sitzt er im Gefängnisturm. Dabei hat er daheim so viele Mäuler zu stopfen. Was kann denn der einfache Bauer dafür, wenn sich der Herr General Napoleon nicht mit den Engländern versteht?«

»Was hat er denn geschmuggelt?«, wollte Karoline wissen.

»Zucker. Er wollte einfach seinen Kindern etwas Süßes gönnen.«

»Na ja, wenn’s verboten ist...« Karoline zuckte mit den Schultern.

»Seit dieser General alles blockiert, geht es uns gar nicht mehr gut. Selbst das Zuckerwerk für Kinder stellt er unter Strafe. Ich weiß nicht, wohin das noch führen soll.« Anna Fritzsche schüttelte missbilligend den Kopf.

»Anscheinend will dein werter Herr General gar nicht, dass alle Menschen gleich sind«, ließ sich Pfarrer Bratfisch aus dem Stübchen vernehmen.

Karl verließ daraufhin wortlos die Küche und ging in den Garten. Sein werter General? Dieser Bratfisch hatte ja keine Ahnung. Karl atmete tief durch und ließ den Blick über die dicht bewaldete Aue schweifen. Vor dem Waldrand lagen die schmalen Felder der Dörfler, ein Flickenteppich, gewebt aus Erinnerungen. Früher hatte er das winzige Dorf gehasst, er fand es eng und ärmlich und wollte es so schnell wie möglich verlassen. Nun überlegte er, ob es ein Fehler war, die Mutter allein zu lassen. Der Boden war nicht so fruchtbar, dafür schwer und feucht. Immer wieder faulten die angebauten Kartoffeln und in manchen Jahren auch das Getreide. Allein der Garten trug reichlich Gemüse. Es gab nicht viel an Vieh in der kleinen Wirtschaft: nur zwei Ziegen und eine Kuh, die Milch lieferten und aus der Mutter Anna Käse bereitete. Zum Brotbacken musste sie Mehl kaufen. Die Preise dafür stiegen von Jahr zu Jahr.

»Ach, hier bist du.« Karoline kam in den Garten geschlendert.

»Wo sollte ich sonst sein?« Karl stopfte seine Hände in die Hosentaschen. Er verspürte das warme Hasenfell auf seinem Rücken. Er würde es der Mutter geben, wenn die Bratfischs wieder gegangen waren.

»Du hast es doch jetzt gut, wo du in der Stadt lebst«, seufzte Karoline. »Ich beneide dich darum. Auf dem Dorf ist ja alles so öde und langweilig, keine Läden, keine Menschen, keine Abwechslung.« Mit einer theatralischen Geste blickte sie zum Himmel.

»Bist du nicht glücklich als Frau Bratfisch?«, wollte Karl wissen.

»Wo denkst du hin«, rief sie betont laut. »Aber es wäre natürlich vorteilhaft, wenn Gottlieb eine Pfarrstelle in Leipzig bekäme. Leider hoffen wir bislang vergebens.«

»Glaubst du wirklich, in der Stadt ist es besser? Die Franzosen kontrollieren alles, suchen ständig nach verbotenen Waren. Und zu essen gibt es auch viel weniger.«

»Ist dein Meister so geizig? Schließlich bezahlt Mutter doch für dich das Lehrgeld.«

»Nicht geiziger als dein Mann«, gab Karl unwirsch zurück. »Aber er musste fünfzehn Paar Schuhe im Requisitionsbüro abgeben. Dabei besitzt er selbst nur ein altes Paar.«

»Du magst die Franzosen wohl nicht so sehr?«

Er wandte sich ab und zuckte mit den Schultern. »Ich finde ihre Revolution gut, der Gedanke, dass alle Menschen gleich sind. Freiheit, Brüderlichkeit, das klingt doch gut.«

»Also hat Gottlieb doch recht«, kicherte Karoline und klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Angst, ich verrate dich nicht. Aber diese Ideen verstoßen gegen die göttliche Ordnung. Wie können denn alle Menschen gleich sein?«

Karl zuckte wieder mit den Schultern. »Wenn der große General Napoleon erst ganz Europa erobert hat, wird er diese Gesellschaft überall einführen. Dann gibt es auch nicht mehr so viel Hunger und Elend.«

»Du warst schon immer ein Idealist.« Karoline legte ihren Arm um Karls Schulter, während sie langsam zurück zur Küche schlenderten. Die Mutter hatte das Geschirr währenddessen abgewaschen und im Schrank verstaut, die Leinentischdecke zusammengefaltet und die Töpfe auf das Wandbrett gestellt. Nur etwas Steckrübengemüse war übrig geblieben. Das ergab für Anna Fritzsche noch gut zwei Mahlzeiten.

»Wollt ihr auch ein Gläschen Holunderlikör kosten?« Auf Zehenspitzen schlich sie in die kleine Stube, wo Gottlieb auf dem Kanapee eingeschlafen war, und holte weitere Schnapsgläschen vom Wandbord.

Sie nahmen am nun kahlen Küchentisch Platz. »In diesem Jahr hat der Frühling schon zeitig begonnen«, begann sie zu plaudern, während sie die fingerhutgroßen Gläschen füllte. Die Freude über den Familienbesuch stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. »Deshalb gab es schon die Gössel. Sie gedeihen gut. Gelbe Möhren habe ich auch schon ausgesät. Der Grünkohl ist nur noch was für die Hühner, es ist bereits zu warm. Wann konnten wir das letzte Mal Ostern ohne dicken Mantel zur Kirche gehen?«

»Dafür war der Winter sehr kalt. In unserem Garten sind sogar die Rosen erfroren.« Karoline leerte ihr Likörgläschen.

»Der Holzstapel ist recht klein geworden«, sagte Karl beiläufig. »Ich werde es dir wieder hacken, wenn du welches bekommst.«

»Ja, wenn«, erwiderte Anna Fritzsche gedehnt. »Auch wenn man den Wald vor der Nase hat, heißt das nicht, dass man sich davon bedienen darf.«

»Wir werden Holz für dich bekommen.« Karl sagte es so bestimmt, dass Karoline ihn erstaunt anschaute.

»Dafür braucht man aber Geld. Hast du welches übrig?«

Er zuckte wieder mit den Schultern. »Meister Hempel ist kein reicher Mann. Das Lehrgeld reicht gerade für die Unkosten. Da bleibt nichts übrig.«

»Und woher willst du dann Geld für das Holz bekommen?«

»Überlass das nur mir. Vielleicht gehe ich auch zu den Soldaten. Da hätte ich mein Auskommen. Sie rekrutieren derzeit in der Stadt. Leider bin ich zu jung. Sie nehmen nur Männer ab neunzehn Jahren.«

»Und du bist erst siebzehn, mein Kleiner.« Karoline strich ihm tröstend über die Wange. »So ein Pech!«

»Spotte du nur. Du wirst schon sehen, dass ich für die Ideale kämpfen werde. General Napoleon ist ein großartiger Mann. Und dann sind alle Menschen gleich.« Er zuckte zusammen, als Gottlieb Bratfisch plötzlich in der niedrigen Stubentür stand.

»Wusste ich doch, dass der Bengel obrigkeitsfeindliches Gedankengut hegt und verbreitet. Und das in der eigenen Familie. Komm, Karoline, wir müssen uns auf den Rückweg begeben. Es wird bald dunkel.« Er gähnte ungeniert und zog seine Weste zurecht.

Karl war nicht böse über den plötzlichen Aufbruch. Dann konnte er der Mutter sein Geschenk überreichen. Sein Schwager sollte davon nichts mitbekommen. Der würde doch nur denken, er hätte das Fell gestohlen. Für seinen Schwager war Karl das schwarze Schaf in der Familie.

Philipp LaMotte

Die Sonne zauberte funkelnde Sternchen auf die Spitzen der kleinen Wellen und Wasserwirbel des Pleißemühlgrabens. Gern hätte Karl seine nackten Füße darin gekühlt, allein die steile Uferböschung des Grabens hielt ihn davon ab. So hockte er sich unter einen der Bäume, die die Promenade zwischen Barfüßer- und Thomaspförtchen flankierten. Die wenigen Passanten, die hier flanierten, beachteten ihn nicht. Es hätte ein schöner Tag sein können, wenn ihm nicht so der Magen knurren würde. Doch etwas zu Essen würde er erst am Abend bekommen, wenn Schuster Oskar Hempel seine Werkstatt schloss und die Küche dahinter betrat, wo seine Frau Kohlsuppe kochte und graues Brot dazu reichte. Doch bis dahin waren es noch einige Stunden. Er schaute flüchtig über die Schulter zur Stadt – die große, stolze und reiche Handelsstadt Leipzig. Längst hatte sie sich über die Grenzen der alten Stadtmauer ausgedehnt, mussten vor den Toren Vortore errichtet werden, an denen die französischen Besatzungssoldaten Wache hielten und jeden kontrollierten, der in die Stadt hinein oder aus der Stadt heraus wollte. Heute war Karl ohne Kontrolle durchgekommen. Die Wachsoldaten kannten ihn und wussten, dass bei ihm keine Schmuggelware zu finden war.

Unwillkürlich strich sich Karl über seinen mageren Körper, den der großzügig geschnittene braune Kittel gnädig verhüllte. Seine Mütze hatte er zusammengeknüllt und neben sich gelegt. Es war angenehm warm. Er hätte jetzt gern einige Krebse fangen, die es noch vor einiger Zeit zuhauf im Fluss gab, aber seitdem immer mehr schmutzige Abwässer aus den sich im Umkreis ansiedelnden Manufakturen und Werkstätten, Wohnhäusern und öffentlichen Einrichtungen eingeleitet wurden, gab es sie kaum noch. Und die wenigen, die das überlebten, wurden von den Jungs gefangen, die seit jeher hier Krebse fingen und sie verkauften. Immer waren es vier bis fünf Jungs, die ihm offen Prügel androhten, falls er selbst Krebse fing.

Einmal hatte er es gewagt. Die Krebse wurden ihm jedoch sofort von den Franzosen abgenommen und landeten im Kochtopf der Wachsoldaten, während Karl hungrig nach Hause schlich.

Er dachte an sein Zuhause im Dörfchen Möckern, an die Zeit bei seiner Mutter. Sie waren zwar arm, aber niemand hatte hungern müssen. Bei Schuster Hempel hingegen gab es nur einen Strohsack, eine kratzige Decke und einen Nagel im Balken, an den er seine verschlissene Jacke hing. Er besaß nichts weiter als diese Jacke und eine Mütze mit Schild, so wie sie die französischen Revolutionäre trugen. Ja, auch Karl fand diese Revolution und den neuen Kaiser der Franzosen imponierend, der fast ganz Europa unterworfen hatte. Karl war nicht böse auf die französische Besatzungsmacht, auch wenn ihm die Soldaten seine Krebse abgenommen hatten. Dafür ließen sie ihn nun einfach passieren. Man musste sich eben nur mit den Umständen arrangieren.

»Ach, hier bist du!« Eine helle Mädchenstimme riss ihn aus den Gedanken. Gleich darauf setzte sich Friederike zu ihm ins Gras.

»Wo sollte ich sonst sein?« Karl versuchte, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen, obwohl er sich freute, dass Friederike ihn gesucht hatte.

»Hast du nichts in der Werkstatt zu tun?«

Karl zuckte mit der linken Schulter. »Habe ein Paar Schuhe ausgeliefert. Für den Rest des Tages braucht mich der Meister nicht mehr.«

Friederike blickte ihn nicht an. Sie wusste, dass es Karl peinlich war. Oskar Hempel war eben nur ein Flickschuster, der sich notdürftig mit Reparaturarbeiten über Wasser hielt.

»Wieso bist du heute hier?« Mit dieser Frage wandte sich Karl endlich zu ihr um. Friederike sah wie immer adrett aus, trug ein Kleid aus buntem Stoff, das unter der Brust mit dem gleichen Band geschnürt wurde, das auch ihre blonden Zöpfe schmückte. Er presste die Lippen zusammen.

»Ich gehe nicht mehr in die Schule«, erwiderte sie. »Ich helfe dem Vater.«

»Und wo ist er?«

Sie deutete hinter sich zur Stadt. »Er verkauft die Milch am Naschmarkt. Er hat die Papiere dafür bekommen.«

Weiß der Teufel, wie er das geschafft hatte. Karl kaute auf der Unterlippe herum. Friederikes Vater war Milchmann, der vom Dorf Liebertwolkwitz seine Ware auf einem zweirädrigen Wagen, den ein Maultier geduldig zog, in die Stadt brachte. Dazu waren gültige Papiere notwendig, für die er einen ganzen Taler löhnen musste. Doch nicht einmal das Geld versicherte ihm die Erlaubnis, denn die wurde von den Franzosen recht willkürlich erteilt.

Friederikes Familie war nicht reich, aber es ging ihnen anscheinend deutlich besser als Karl bei seinem Lehrmeister. Er war noch nie auf Friederikes Bauernhof gewesen. Liebertwolkwitz lag nur wenige Meilen vor Leipzig, allerdings durfte Karl die Stadt nicht ohne weiteres verlassen. Oskar hatte es ihm verboten. Es war schon ein Stück Freiheit, dass er den Nachmittag am Mühlgraben verbringen konnte.

Überhaupt Freiheit! Die Franzosen hatten es vorgemacht. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das waren ihre Parolen, als sie ihren König aufs Schafott schickten. Seitdem hatte sich viel getan. Frankreich und der kleine große General, der sich selbst zum Kaiser krönte, hatten ganz Europa durcheinandergewirbelt.

»Warum bist du jetzt nicht bei deinem Vater in der Stadt? Wolltest du ihm nicht helfen?« Karl kaute auf einem Grashalm, während er mit den Zehen spielte.

»Ich bin heute nicht mit durchs Tor gegangen. Die Soldaten sehen mich immer so eigenartig an.« Sie streckte ihre Beine aus, um bequemer sitzen zu können. Mit Kennerblick sah Karl, dass sie nur einfache Schuhe trug, aus dünnem, leicht verschlissenem Leder. Mit viel Geschick hatte jemand ein Stoffband über die Kanten genäht, passend zum Kleid. Karl fand die Idee nachahmenswert, verlor aber kein Wort darüber. Von einem Mädchen würde er keinen Rat annehmen. Doch Friederike kam gar nicht darauf. Sie öffnete ein verknotetes Leinentuch, das sie die ganze Zeit an ihren Körper gepresst hielt. Brot, Käse, eine Flasche Milch und zwei verschrumpelte Äpfel kamen zum Vorschein.

»Greif zu«, forderte ihn Friederike auf. »Du hast doch sicher Hunger.«

Karl zögerte. »Eigentlich nicht viel«, log er. »Und du?«

»Das reicht für uns beide«, erwiderte Friederike. Karl war es unangenehm, aber nachdem sie sich etwas Brot mit Käse genommen hatte, griff auch er zu. Gierig verschlang er das Essen. Friederike reichte ihm auch die Milchflasche, die er ebenso dankbar annahm. Seit Wochen trank Karl zum ersten Mal wieder frische Milch. Friederike freute sich, dass es Karl schmeckte.

Sie hatten sich vor einem Jahr kennengelernt, an dieser Stelle, ganz zufällig. Seitdem trafen sie sich regelmäßig, mehr oder weniger zufällig an eben dieser Stelle, wenn Friederike ihren Vater mit seinem Milchwagen begleitete. Sie mochte Karl, auch wenn sie es ihm nie sagen würde. Stattdessen versuchte sie, ihm kleine Freuden zu bereiten, mit etwas zu essen, ein paar Schlückchen Milch, Geschichten aus ihrem Dorf. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob Karl sie auch mochte.

Sie schwiegen eine Weile, bis es ihr langsam unangenehm wurde.

»Hast du zu Ostern deine Mutter besucht?«, wollte sie wissen.

»Hm.«

»Hat sie sich gefreut?«

»Hm.«

»Gab es was Gutes zu essen?«

»Hm.«

»Dein Meister hat dich wirklich mal gehen lassen?«

»Hm.«

Sie schwiegen wieder und schauten auf das träge vorbeifließende Wasser.

»Hast du mal nach Krebsen geschaut?«

»Nö.«

»Willst du nach Krebsen schauen?«

»Nö.«

»Magst wohl keine mehr?«

»Nö.«

Friederike wandte sich um. Ein junger Mann kam vom Thomaspförtchen über die Brücke geschlendert. Unter dem Arm trug er ein Bündel zerlesener Bücher. Am auffälligsten aber war seine seltsam geformte Mütze mit dem nach vorn gebogenen Zipfel. Anfangs hatte Friederike darüber gelacht, doch Karl hatte sie aufgeklärt, dass es eine Jakobinermütze sei. Der Student Philipp war ein glühender Anhänger der französischen Revolution und des französischen Generals Bonaparte. Philipp war durch und durch Franzose, obwohl er doch nun hier in Leipzig studierte. Warum es ihn hierher verschlagen hatte, darüber schwieg er sich aus.

Ihre Augen begannen zu leuchten. So sehr sie den Schusterjungen auch mochte, war es mit Philipp doch etwas ganz anderes. Er war so klug, konnte sich begeistern und Friederike mit seiner Begeisterung anstecken. Er sprach über politische Dinge, über Dinge in der Natur, über die menschliche Gesellschaft. Friederike hätte ihm stundenlang zuhören können.

Karl bemerkte das Aufleuchten in Friederikes Augen und wandte sich ebenfalls um. Es gab ihm einen Stich in der Magengegend, als er Philipp bemerkte. Der Student winkte ihnen kurz zu und suchte sich ein Plätzchen etwas abseits, um sich ins Gras zu legen und seine Bücher zu studieren.

Was fand Friederike nur an dem, dass ihre Augen aufleuchteten, wenn sie ihn nur sah? Es störte Karl, aber er wusste nicht, wie er das hätte ändern können. Er besaß weder Bücher, in denen er hätte lesen können – wenn er hätte lesen können – noch eine Jakobinermütze.

»Solltest du deinen Vater nicht lieber helfen?« Es war wohl das Blödeste, was er hätte sagen können. Im gleichen Moment bereute er seine Worte.

»Willst du mich loswerden?« Friederikes blaue Augen weiteten sich und bekamen einen feuchten Schimmer. Doch dann grub sich eine steile Falte zwischen ihre Augenbrauen. Entschlossen knotete sie das Tuch zusammen und erhob sich. Ohne sich umzudrehen, lief sie zu Philipp und setzte sich neben ihn ins Gras. Er lächelte, legte bereitwillig sein Buch beiseite.

Karl ärgerte sich. Doch es war zu spät. Die beiden plauderten miteinander, er hörte Friederikes glockenhelles Lachen. Warum konnte Karl sie nicht zum Lachen bringen? Wütend warf er einen Stein in die Pleiße. Sein Blick fiel auf die halb ausgetrunkene Milchflasche, die Friederike offensichtlich vergessen hatte. Ihr Lachen ließ in ihm einen Entschluss reifen. Er musste ihr zeigen, dass ihm mehr an ihr lag, als einfach nur dumm neben ihr zu sitzen und ihre Wegzehrung wegzuessen. Er nahm die Flasche und wollte sich erheben, da erblickte er plötzlich zwei blank geputzte Schnallenschuhe neben seiner Hand. Darüber erhoben sich zwei stramme Waden in weißen Strümpfen, die in einer Kniebundhose endeten. Die Hose wölbte sich über einen deutlichen Bauchansatz, den auch die Weste nicht kaschieren konnte. Es war Heinrich, der Sohn des Kaufmanns Krell. Karl mochte Heinrich nicht. Heinrich protzte mit seinem Reichtum, den er seinem Vater zu verdanken hatte. Die halbe Stadt wusste, dass Krell schmuggelte. Zugleich steckte er sicher mit den französischen Besatzern unter einer Decke, sonst wäre er wohl schon längst ins Gefängnis gewandert wie der unglückliche Franz Schwabe in Möckern.

»Na, haste nichts zu tun?« Heinrich grinste und blickte über seinen Schwabbelbauch auf Karl herab.

»Was weißt du denn schon davon«, gab Karl unwirsch zurück und drückte die Flasche gegen seine Brust.

»Weil du um diese Zeit schon hier herumlungerst. Da kann ja die Schusterei zu nichts kommen.«

»Arbeitest du denn?« Karls Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Natürlich. Ich helfe meinem Vater bei seinen Geschäften. Wir haben eine Lieferung Holz aus dem Gebirge bekommen. Das liegt jetzt draußen auf dem Holzplatz vorm Halleschen Tor und muss verkauft werden. Ich habe ihm geholfen es zu vermessen.«

Wieder gab es Karl einen Stich in den Bauch. Heinrich besuchte die Bürgerschule, sein Vater konnte es sich leisten. Heinrich konnte schreiben, lesen und gut rechnen. Er würde bestimmt einmal ein ebenso reicher Kaufmann wie sein Vater werden.

»Geschäfte!« Karl blies abfällig die Backen auf. »Ist schon seltsam, dass ihr Geschäfte machen könnt, wo doch der ganze Handel behindert wird.«

»Du redest, wie du es verstehst, Schusterjunge. Mein Vater ist Kaufmann, er muss damit unsere Familie ernähren.«

»Scheint gut zu gehen«, erwiderte Karl und pikste seinen Zeigefinger in Heinrichs Bauchfett.

»Blödmann! Weißt du eigentlich, was wir jeden Tag auf den Tisch bringen müssen? Bei uns wurden gleich zwei Offiziere einquartiert.«

»Ich weiß, was die Franzosen beanspruchen. Am Rathaus sind ja die Bekanntmachungen angeschlagen.«

»Sag bloß, du kannst lesen«, spöttelte Heinrich. Karl schlüpfte zähneknirschend in seine Holzpantoffeln, um endlich zu Friederike zu gehen.

Heinrich stellte sich ihm in den Weg. »Was hast 'n da?« Er zeigte auf die Milchflasche.

»Das geht dich nichts an. Die gehört Friederike.«

»Gib mal her. Mal sehen, ob die Milch schmeckt.«

Karl zog die Flasche zurück. »Finger weg!«

»Ich habe auch was für dich.« Mit einer versöhnlichen Geste zog Heinrich zwei trockene Mehlklöße aus seiner Tasche und streckte sie Karl hin. »Habe ich vom Mittagstisch geklaut.«

Karl zögerte kurz. Sein Magen knurrte noch immer und die beiden Klöße würden seinen Hunger für einige Stunden besiegen können. Friederikes Lachen riss ihn schließlich wieder aus seinen Gedanken.

»Steck sie dir sonst wohin«, gab er zurück und ging an Heinrich vorbei. Vom Thomaspförtchen her kam ein Mädchen gelaufen. Sie schien etwas jünger als Friederike und gut gekleidet. Es war Heinrichs Schwester Sophie.

»Ach, Heinrich! Ich habe dich überall gesucht. Du sollst dich doch nicht mit dem Pöbel herumtreiben, hat Mutter gesagt. Das ist kein Umgang für dich.« Sie blieb vor Karl stehen und schaute ihn herausfordernd von unten an. Dabei stützte sie ihre kleinen Fäuste in die Hüften.

»Niemand hat euch gezwungen, hier zu sein«, erwiderte Karl. »Mit Pfeffersäcken müssen wir uns nicht abgeben.«

Empört blies Sophie die Backen auf. »Hast du das gehört, Heinrich? Dieser abgerissene Schusterjunge hat mich beleidigt.«

»Geschieht dir recht«, fuhr Heinrich seine Schwester an. »Du hast hier auch nichts zu suchen. Geh heim zur Mutter, sie wird dich schon vermissen.«

»Was hast du da in der Hand?« Sophie zerrte an Heinrichs Ärmel, der seine Hände hinter dem Rücken versteckte.

»Das geht dich nichts an. Und nun verschwinde!«

»Ich denke gar nicht daran«, kreischte Sophie. »Erst zeigst du mir, was du da hast.«

Heinrich wehrte sich gegen Sophies Attacken, dann warf er die beiden Klöße in hohem Bogen ins Wasser. »Ich füttere die Fische.«

Für einen Augenblick bedauerte Karl, dass er die Klöße nicht gegen Friederikes Milch eingetauscht hatte. Doch dann grinste er. Mochten die beiden sich streiten, was ging es ihn an?

Er schlenderte zu Friederike hinüber, die nichts von dem kleinen Zwischenfall mitbekommen hatte. Sie plauderte angeregt mit Philipp. Karl blieb neben ihr stehen. »Hier, du hast deine Milch stehen lassen. Musst du nicht zu deinem...?«

»Oh, danke! Für Philipp war das Brot viel zu trocken.« Sie reichte Philipp die Flasche, die er in einem Zug leerte.

»Ich habe die Milch vor Heinrich gerettet«, stotterte Karl. Erst jetzt bemerkte er das Tuch zwischen Friederike und Philipp. Weder Brot noch Käse waren darauf zu finden. Auch die beiden verschrumpelten Äpfel waren verschwunden. Sie hatten alles gegessen.

»Das ist wirklich nett von dir.« Friederike blickte Karl nicht an. Sie hatte nur Augen für Philipp.

Philipp wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Wie ich schon sagte«, fuhr er in seinem Gespräch mit Friederike fort, »bin ich ein glühender Verehrer unseres großen Generals. Er ist ein Genie. Er war mit seiner Armee sogar in Ägypten. Das ist ein Land weit weg von hier, wo es statt Häuser viereckige Pyramiden gibt, die fast bis in den Himmel reichen. Die sind gefüllt mit Gold und Schätzen, die der große General nach Paris brachte. Ach, könnte ich ihn doch auf diesen Feldzügen begleiten.«

»Ist das nicht gefährlich?« In Friederikes Stimme schwang Besorgnis.

Wieso machte sie sich Sorgen um diesen Studiosus? Karl trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er überlegte fieberhaft, wie er Friederikes Aufmerksamkeit wieder auf sich ziehen konnte.

»In seiner Armee? Das ist eine Ehre.« Philipp lachte, warf sich auf den Rücken und blickte in den blauen Sommerhimmel. »Wir Franzosen haben doch die Welt verändert«, sagte er versonnen. »Die Menschen mussten aufgeklärt werden über ihr klägliches Schicksal unter den mottenzerfressenen Monarchen. Nein, nein, der Kampf um die bürgerlichen Freiheitsrechte war und ist etwas ganz Großes, das nicht nur Frankreich, sondern die Welt verändert hat. Die liberté muss in alle Länder getragen werden. Natürlich geht das nicht ohne Kampf. Schließlich wollen diese verdammten Monarchen nicht auf ihre Macht und ihre Privilegien verzichten.«

»Was sollen wir denn machen? Unseren König ermorden?« Als Friederike diese Frage stellte, weiteten sich vor Entsetzen ihre Augen.

»Zum Beispiel«, erwiderte Philipp beiläufig. »Der französische König ist ja auch auf dem Schafott gestorben. Das war ein Plaisier.«

Friederike schüttelte sich, gleichzeitig rückte sie ein Stück näher zu Philipp. »Du bist ja ein richtiger Revolutionär.« Sie blickte ihn bewundernd und ehrfürchtig an.

»Deshalb will ich auch den großen General dabei unterstützen, seinen politischen Geist in ganz Europa zu verbreiten.« Er klopfte auf den Buchdeckel. »Hier habe ich alles gelesen mit der Demokratie und der Republik und so. Die französische Nationalversammlung hat das Feudalregime zerbrochen. Leibeigenschaft und Frondienste wurden abgeschafft, den Bürgern ihre Rechte zugesichert. Von Geburt an sind und bleiben die Menschen frei und an Rechten einander gleich.«

»Heißt das Freiheit, Gleichheit...«

»... und Brüderlichkeit, jawohl! Alle Menschen sind Brüder und vereint im allgemeinen Glück.«

»Und die Schwestern?« Friederikes arglose Frage ließ Philipp auffahren. »Frauen sind Frauen«, sagte er herablassend. »Was haben die mit der Demokratie zu tun?« Er ließ sich wieder ins Gras fallen und zog seine Jakobinermütze vom Kopf. »Die habe ich von einem Mann, den ein Anhänger der Monarchie erschlagen hatte. Mitten auf der Straße. Schau, da klebt sogar noch sein Blut dran.«

Friederike starrte mit wohligem Gruseln auf den schwarzen Fleck. »Aber das ist schon lange her«, seufzte Philipp. »Es gibt keine aufrichtigen Jakobiner mehr. Jetzt werden sie als Königsmörder beschimpft. Diese Unseligen begreifen nicht, dass nur die freiheitlich-demokratischen Grundrechte sie aus der Tyrannei der Monarchen befreien können. Nieder mit Österreich, England und Russland! Ihre Monarchen unterdrücken das Volk und bestreiten das Recht des Volkes auf Freiheit und Gleichheit. Wenn es das Volk selbst nicht begreift, dann muss man es eben zu seinem Glück zwingen.« Er vollführte eine eindeutige Handbewegung. »Der große General bringt den Völkern das Glück und ewigen Frieden.«

»Und Sachsen?« Friederike rückte noch ein Stück näher an Philipp heran. »Wir haben doch auch einen König. Muss er nun sterben?«

Philipp blies die Backen auf. »Man muss ihn ja nicht gleich umbringen. Vielleicht dankt er auch von allein ab. Wenigstens ist er ein Verbündeter des großen Generals.«