Der Schwesternzauber - Katja Ludwig - E-Book

Der Schwesternzauber E-Book

Katja Ludwig

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Beschreibung

Ein Sommer der Geheimnisse

Was für ein Sommer! Trudi und Teresa fahren das erste Mal alleine weg - zu Großeltern, die sie nur von Fotos kennen ... Sind die beiden, die sie da an der einsamen Bahnstation in Empfang nehmen, überhaupt ihre Großeltern?, fragen sich die Mädchen. Noch geheimnisvoller wird es, als sie zu viert einen Ausflug auf den Markt jenseits des großen Flusses machen. Dort entdecken sie einen Stand, wo ein zwielichtiger Verkäufer russische Matroschka-Puppen anbietet. Trudi und Teresa sind ganz verzaubert von den Püppchen und kratzen ihr gesamtes Taschengeld zusammen, um sich eine Matroschka zu kaufen. Was sie nicht ahnen: Ihre Matroschka ist quicklebendig und führt ein magisches Eigenleben! Und sie braucht dringend Hilfe ...

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Seitenzahl: 160

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Katja Ludwig

Der Schwesternzauber

Vignetten von Susanne Göhlich

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Coverkonzeption und – illustration: Susanne Göhlich

Coverfertigstellung: Lena Ellermann

CK · Herstellung: AJ

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-22924-5V001

www.cbj-verlag.de

für Milla und Paula

1. Kapitel

Wir sind gleich da“, sagte Teresa streng.

„Ich muss aber ganz nötig“, jammerte Trudi.

Teresa schüttelte ungehalten den Kopf. „Warum musstest du dir unbedingt diese blöde Cola kaufen?“

„Du wolltest ja wohl auch probieren!“ Trudi nahm den letzten Schluck aus der Flasche. Obwohl sie eigentlich nichts mehr runterkriegte, ohne vorher aufs Klo zu gehen. Aber die Cola im Zug war teuer gewesen und so durfte kein Tropfen verschwendet werden.

Teresa und Trudi fuhren das erste Mal alleine mit dem Zug zu Oma und Opa aufs Land. Es waren Trudis erste richtige Sommerferien. Nach den Ferien würde sie in die zweite Klasse kommen.

„Wir schaffen das schon, Mama!“, hatte Teresa ihrer Mutter versichert.

„Mach dir keine Sorgen“, hatte Trudi hinzugefügt und sich bei ihrer großen Schwester eingehakt, ohne dass diese sie gleich – wie sonst immer – unwirsch abgeschüttelt hatte. Teresa war zehn und Trudi sieben. Sie hatten ihre Großeltern seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Mama und Papa mussten viel arbeiten, manchmal sogar am Wochenende. Opa verreiste grundsätzlich nicht, und Oma wollte nicht ohne ihn fahren.

Teresa und Trudi kannten ihre Großeltern deshalb eigentlich nur von Fotos.

Der Zug tutete und verlangsamte seine Fahrt.

„Los komm, da sind sie!“, rief Teresa und zog rasch am Haargummi, um ihren Zopf zu lösen. Ihre blonden Haare wellten sich um ihren Kopf. Straßenköterblond, wie die blöde Rhea, die über ihnen wohnte, immer betonte. Honigblond, sagte Mama. Trudi öffnete auch ihren Zopf. Sie hatte fast die gleiche Haarfarbe wie Teresa, aber krisseligere Locken. Spirellilocken, sagte Rhea dazu und es klang, als wären sie irgendetwas Billiges aus dem Supermarkt.

„Musst du mir immer alles nachmachen?“, fauchte Teresa und zerrte ihre Schwester zur Tür. Ihre Mutter hatte ihnen heute Morgen auch noch die gleichen Klamotten rausgelegt. Mütter fanden das süß, aber Trudi wusste, dass große Schwestern es hassten. Da die anderen Sachen jedoch schon in ihren Rucksäcken verstaut gewesen waren und sie es eilig gehabt hatten, trugen Trudi und Teresa nun das gleiche rote Cordkleid mit der großen Vordertasche am Latz. Trudi liebte es, so auszusehen wie ihre Schwester. Im Zug hatte sie heute jemand sogar für Zwillinge gehalten! So können uns unsere Großeltern doch auch gleich viel besser erkennen!, dachte sie zufrieden.

Quietschend hielt der Zug.

„Sie sehen ganz anders aus, als ich sie in Erinnerung habe“, meinte Teresa.

„Und wenn die da es jetzt gar nicht sind?“, flüsterte Trudi und versuchte, nicht an ihre volle Blase zu denken.

Auf einem verwilderten Bahnsteig stand ein älteres Pärchen und winkte. Als sich die Türen öffneten, stürmte Trudi als Erste aus dem Zug. Außer ihrer Schwester stieg sonst niemand aus. Verwechslung mit anderen Großeltern wohl nicht möglich, schoss es Trudi durch den Kopf, obwohl ihr das in diesem Augenblick ziemlich egal war. An den vermeintlichen Großeltern vorbei verschwand sie im Gebüsch neben dem Wartehäuschen. Auch die Brennnesseln waren ihr schnuppe. Hauptsache pullern. Als sie fertig war und sich die Unterhose wieder hochzog, sah sie sich um: Der Bahnhof war irgendwie gar kein richtiger Bahnhof, sondern nur ein einsames kleines Wartehäuschen in der Knallsonne. Hier ist alles so anders, dachte sie. Wie in einem anderen Land.

Als Trudi mit hochgestreckten Armen aus dem Gebüsch kam, warteten die anderen schon am Auto. „Scheißbrennesseln!“, schimpfte sie.

„Bist du groß geworden, Trudchen!“, meinte die Oma.

Was sonst?, dachte Trudi, die sich sicher war, diese beiden alten Leute noch nie gesehen zu haben. Ok, beim letzten Mal war ich ja fast noch ein Baby. Aber sie sehen anders aus als auf den Fotos. Der vermeintliche Opa reichte ihr stumm eine braun gebrannte faltige Hand mit schmutzigen Fingernägeln. Der guckt aber grummelig, dachte Trudi und fand ihn ein bisschen unheimlich. Die Oma steckte ihr eine Margerite ins Haar, wie sie es offensichtlich auch schon bei Teresa gemacht hatte. „Willkommen in Zäck!“, sagte sie. „Habt ihr Hunger?“

Die Mädchen nickten.

„Ich brauch noch Sechskantschrauben und Hutmuttern“, brummte der Opa.

„Dann fahren wir am besten nach drüben auf den Markt“, sagte Oma Zäck. „Schrauben kaufen und Schaschlik essen. Oder Kartoffelpuffer. Und ein bisschen bummeln.“

2. Kapitel

Oma und Opa Zäck wohnten in Zäck, einem Dorf, das ganz am Rand von Deutschland lag. „Dort, wo in Deutschland morgens immer zuerst die Sonne aufgeht“, hatte Papa gesagt, aber nicht so wahnsinnig begeistert ausgesehen. „Am Ende ihres Gartens kommen dann nur noch der Deich und ein Fluss, der Oder heißt. Drüben, also auf der anderen Flussseite, ist man in einem anderen Land, nämlich in Polen.“

Hier soll also Papa als Kind gewohnt haben, dachte Trudi und sah neugierig aus dem Fenster.

In Opas hellblauem Trabi fuhren sie über die große Brücke in das Land am anderen Flussufer. Es sah eigentlich genauso aus wie in Deutschland: das gleiche trockene Sommergras, Pappeln, die im warmen Wind leise raschelten. Gleich am Ufer befand sich der Parkplatz. Sie ließen Opa in einer der Werkzeugbuden und schlenderten über den riesigen Markt. Hier gibt’s ja wirklich alles, dachte Trudi. Hochzeitskleider, Schaukelpferde, Räucherfisch, sogar Frisörbuden. Oma begutachtete die Spankörbchen mit den ersten Pfifferlingen des Jahres. „Mögt ihr Pilzomelett?“, fragte sie die Mädchen und es war ihr genau anzuhören, wie sie Pilzomelett fand. „Mit Speck und Petersilie?“

Teresa und Trudi sahen sich an. Wir können ihr doch jetzt nicht sagen, dass wir Pilze hassen, dachte Trudi. Wo wir uns doch gerade erst fünf Minuten kennen.

„Blaubeeren essen wir lieber“, meinte Teresa vorsichtig. Sie sieht richtig grün im Gesicht aus, fand Trudi. Aber Teresa musste sich ja auch schon allein bei dem Gedanken an Pizza Funghi übergeben.

Die Verkäuferin lachte. Oma nahm Pilze und Blaubeeren. Die Mädchen bekamen eine Extraportion in die Hand. Neben einem Stand mit riesigen Aquarien voller glitzernder Goldfische verkaufte jemand Plastiktiere, Rehe, Schafe und Schweine, ja sogar Löwen und Einhörner in Lebensgröße, die man sich in den Garten stellen konnte. Sie sahen täuschend echt aus. „Schade, dass wir keinen Garten haben“, sagte Trudi und überlegte, ob wenigstens eine Plastikeule auf ihren Balkon passte. „Die Rehkitze sind ja so süß.“

„Papa und Mama finden das bestimmt kitschig“, sagte Teresa. Trudi nickte seufzend und steckte sich eine Blaubeere in den Mund.

„Wer kauft denn das ganze olle Zeug bloß noch?“, meinte Oma Zäck kopfschüttelnd und blieb an einem Stand mit grauen Fellmützen, alten Orden und zerschlissenen DDR-Fahnen stehen. „Schapkas“, sagte sie und deutete auf die grauen Fellmützen mit den Ohrenklappen. Der Verkäufer, der wahrscheinlich aus Werbegründen trotz des Sommerwetters eine dieser Mützen trug, war bereits dabei, seine Sachen zusammenzupacken. Seine Laune schien nicht die beste zu sein. Er fuhr sich mit der Zunge über seine glänzenden Goldzähne und verzog den Mund zu einem falschen Lächeln.

„Kommt weiter, Kinder,“ sagte Oma und warf ihm einen finsteren Blick zu. Hungrig sog sie den Duft von Schaschlik ein. „Lasst uns was essen gehen.“ Sie drehte sich um und ging zurück in Richtung Werkzeugbude.

Opa Zäck kramte in einer Kiste mit Rohrzangen. „Wolltest du nicht Schrauben kaufen?“, meinte Oma und blickte sich suchend um. „Wo ist denn deine Schwester?“, fragte sie Teresa. Teresa sah, dass Trudi immer noch am Fellmützenstand war. Eine der alten roten Fahnen flatterte neben ihr in der nachmittäglichen Brise.

Teresa lief zurück, um sie zu holen. „Komm jetzt, Oma und Opa warten!“

Aber Trudi stand wie angewurzelt da und rührte sich nicht.

Neugierig guckte Teresa über Trudis Schulter. Der Fellmützenmann war gerade dabei, eine Reihe von bunt lackierten Holzpuppen vor ihr aufzustellen. Sie waren unterschiedlich groß, sahen sonst aber alle gleich aus: In jeder Puppe steckte immer eine etwas kleinere.

„Matroschkas“, sagte er, und jetzt war sein Lächeln echt. „Sie sind wie Schneeflocken. Alle sehen gleich aus und trotzdem gleicht keine der anderen.“ Seine Goldzähne glänzten jetzt so sehr, dass sich die Mädchen darin spiegeln konnten. „Eine ist keine“, raunte er ihnen zu. „Sind aber mehrere darin, macht jede Puppe Sinn. Kinder und Kindeskinder sind das hier, oder wenn ihr es wollt – Schwestern, so wie ihr.“

„Hast du noch mehr?“, fragte Trudi fasziniert. Er griff in eine Kiste und holte weitere Puppen hervor. Keine Matroschka war wie die andere, alle waren unterschiedlich bemalt. Die Mädchen waren hingerissen: sieben Puppen in einer und alle gleich, bis auf die Größe! Die beiden Schwestern waren sich sofort einig, dass sie solche Puppen unbedingt haben mussten.

„Was kosten die?“, fragte Teresa.

„Die Siebenteiligen kosten 20 Euro“, sagte der Mann, „und die Fünfteiligen 18. Sind alle handbemalt, in Heimarbeit von armen russischen Babuschkas.“ Er beugte sich vor und tat so, als ob er fröstelte. „In einsamen Winternächten vor dem Ofen.“

Trudi sah ihn misstrauisch an.

Teresa rechnete indes fieberhaft ihr Taschengeld zusammen. „Wir haben insgesamt nur vierzehn Euro“, flüsterte sie Trudi ins Ohr. „Wenn du im Zug nicht die blöde Cola gekauft hättest, könnten wir uns jetzt wenigstens eine Puppe leisten.“

Trudi schaute sich suchend nach ihren Großeltern um.

„Was ist jetzt?“, brummte der Fellmützenmann. Mit den Mädels war offensichtlich genauso wenig Geschäft zu machen wie mit deren Oma.

„14 Euro reichen ja sicher auch“, sagte Trudi zu ihm. „Wenigstens für eine fünfteilige Puppe, oder?“

„Bitte“, fügte Teresa hinzu.

Der Verkäufer sah sie an und pulte nachdenklich mit einem trockenen Grashalm zwischen seinen Zähnen. „Sucht euch eine aus, aber schnell. Ich will Feierabend machen“, knurrte er und begann, die einzelnen Puppen wieder zusammenzustecken.

Die Blicke der Mädchen irrten von einer Puppe zur anderen. Alle waren so schön, wie sollten sie sich da entscheiden?

Der Verkäufer verlor langsam die Geduld. Er schien sich auch schon über seine Großzügigkeit zu ärgern. Suchend sah er sich um und griff scheinbar wahllos eine der Puppen. Er polierte sie kurz mit seinem Hemdsärmel und drückte sie dann Trudi in die Hand.

„Hier“, sagte er und streckte Teresa fordernd die offene Hand entgegen. Teresa reichte ihm wortlos das Geld.

„Und tschüss.“ Er wedelte mit der Hand, als ob er sie verscheuchen wollte. „Los, eure Omi wartet sicher schon.“

3. Kapitel

Sie machten einen kleinen Umweg, um ein Stück am Flussufer entlangzulaufen. Ein langer Kohlenfrachter schipperte vorbei. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und spiegelte das Himmelsblau. Trudi blieb stehen, hielt die Matroschka hoch und winkte. Teresa zog ihre Schwester unsanft weiter.

„Ej, lass das! Ich hab die Matroschka in der Hand!“, schimpfte Trudi und stolperte im nächsten Moment über eine flache Betonkante.

„Scheiße!“, heulte sie. „Du bist schuld!“ Trudi rieb sich die aufgeschürften Knie mit betont gequältem Gesicht.

„Das kommt nur, weil du immer rumtrödelst“, motzte Teresa, „und ich immer auf dich aufpassen muss. Wie auf ein Baby!“

„Musst du ja gar nicht!“, heulte Trudi.

Teresa besah sich die aufgeschürften Knie ihrer Schwester. „Is’ ja wohl nicht so schlimm!“ Dann griff sie nach der Matroschka, die ein Stück weiter im Schilf lag.

„Nur ein bisschen nass“, sagte sie, wischte die Puppe an ihrem Kleid ab und reichte sie Trudi. „Glück gehabt.“

Sie rannten dem Schaschlikduft entgegen. Die Puppe klapperte im Rhythmus ihrer Schritte. Die Oma saß schon an einem der wackeligen Plastiktische, vor sich einen Turm von Kartoffelpuffern. Opa balancierte einen Teller mit Schaschlikspießen.

„Was habt ihr denn da?“, mümmelte Oma Zäck mit vollen Backen. „Herrje, eine russische Schachtelpuppe? So eine hatte ich als Kind auch! Weiß gar nicht, wo die geblieben ist.“

„Nun greift mal zu Mädels, bevor alles kalt wird“, brummte Opa Zäck.

Oma Zäck klatschte jedem der Mädchen gleich drei Kartoffelpuffer auf den Teller und schob ihnen die Zuckerdose hin. Opa legte einen Schaschlikspieß dazu. Während sie futterten, besahen sich Trudi und Teresa eingehend ihre Puppe. Sie trug ein leuchtend gelbes Schürzenkleid und unter ihrem roten Kopftuch lugten lange, dunkle Zöpfe hervor. Gelb und rot sind auch meine Lieblingsfarben, dachte Trudi und freute sich.

„Komisch“, mampfte Teresa, „obwohl er so unfreundlich war, hat er uns, glaub ich, die schönste Puppe gegeben.“

„Find ich auch“, stimmte Trudi ihr zu. „Echt merkwürdig.“

Sie wischte sich ihre klebrigen Hände heimlich an der Tischdecke ab und griff nach der Matroschka. Die quietschte beim Öffnen. Trudi stellte die Püppchen der Größe nach auf und stieß ihre Schwester in die Seite.

„Da fehlt eine!“, sagte sie fassungslos.

„Stimmt, die Zweitgrößte fehlt!“, rief Teresa entsetzt. „Darum also hat er sie uns billiger gelassen!“

Trudi fing an zu weinen. Ihr ganzes Geld hatten sie für die Puppe ausgegeben!

„So ein Gauner!“, schimpfte nun auch Oma Zäck, steckte die Matroschka wieder zusammen und erhob sich. „Kommt, Kinder, das lassen wir uns nicht gefallen!“ Wutschnaubend verließ sie die dampfende Imbissbude. Die Mädchen folgten ihr.

Der Platz, wo der Fellmützenmann gerade eben noch gestanden hatte, war leer. Nichts als platt gedrückte Wiese weit und breit, dahinter nur der Fluss.

„Morgen ist hier auch Markt. Da fahren wir wieder hin und dann werd ich dem was erzählen!“, wetterte Oma Zäck. „Kleine Kinder betrügen und ihnen das Geld aus den Taschen ziehen!“

„Wir sind nicht klein“, schniefte Trudi.

„Meinst du, er hat uns absichtlich betrogen?“, meinte Teresa, als sie sich wieder zu Opa und den Kartoffelpuffern gesetzt hatten.

Betrübt stellte Trudi die Matroschka neben ihren Teller und ließ ihre Finger über das glänzende Holz gleiten. Der Appetit war ihr vergangen. Sie sah, wie sich ihr verheultes Gesicht in der schmierigen Plexiglasverkleidung der Imbissbude spiegelte, neben ihr die hübsche Matroschka mit ihren langen dunklen Zöpfen. „Du bist so schön“, murmelte Trudi und starrte auf das Spiegelbild.

Mit einem Mal schien ihr es, als ob das Gesicht der Puppe nicht nur einfach so aufgemalt war. Es sah genauso lebendig aus wie ihr eigenes, fand sie. Nur nicht so verheult. Die Puppenaugen blitzten und die Matroschka lächelte Trudi schüchtern an. Ihre hölzernen Wangen färbten sich rosa. Zögernd trat sie vor: zwei winzige Schritte.

Hä??, schluckte Trudi. Wie bitte?

4. Kapitel

Mensch Trudi, pass doch auf!“, schrie Teresa. Es schepperte, und der Teller mit den Kartoffelpuffern landete auf der festgetretenen Erde zwischen den Tischchen, schön verteilt neben Senfklecksen und angetrockneten Mayonnaiseresten.

„Die schönen Puffer“, knurrte Opa Zäck finster.

„Wir nehmen sie den Hühnern mit, die freuen sich über so was“, sagte Oma Zäck, bückte sich und stopfte sie in die Plastiktüte zu der Rohrzange und den Sechskantschrauben. „Kommt Mädels, wir fahren nach Hause. Ihr müsst hundemüde sein. Nachtisch gibt’s im Garten!“ Sie schnappte sich die Matroschka und steckte sie in die Vordertasche von Trudis rotem Cordkleid. Mit Trudi an der Hand stapfte sie aus der Schaschlikbude in Richtung Parkplatz. Opa und Teresa folgten. Kurz darauf knatterte der alte hellblaue Trabi über die Brücke zurück nach Deutschland.

Auf der Rückbank versuchte Trudi verzweifelt, ihrer Schwester etwas ins Ohr zu flüstern.

„Mann, du musst lauter reden, ich versteh nichts“, meinte Teresa genervt.

„Sie leeebt“, wisperte Trudi, starrte stur geradeaus und zeigte dabei auf die Matroschka in der Vordertasche ihres Kleides. Sie traute sich plötzlich nicht mehr, die Puppe anzufassen.

„Ich – ver – steh – dich – nicht“, wiederholte Teresa und guckte die Matroschka an. Sie schien nichts Ungewöhnliches zu bemerken.

Trudi packte Teresa am Arm und zeigte nach vorne in den Rückspiegel des Autos. Teresa hob den Blick und erstarrte. Denn jetzt sah sie es auch: Die Matroschka in Trudis Rocktasche plinkerte schüchtern mit den Augen. Der Lack auf ihren Wangen schien zu glühen.

„Ist alles in Ordnung, Mädels?“, fragte Oma Zäck und drehte sich zu ihnen um.

Die beiden nickten stumm.

„Wir sind ja gleich da“, knurrte Opa und bog auf einen rumpeligen Schotterweg. Das lange Gras am Wegrand klatschte gegen das Auto. An einem rostigen Tor, in das mannshohe Brombeerranken eingewachsen waren, sodass niemand es mehr schließen konnte, saß der alte Erich. Den kannten sie auch von Fotos. Erich war der Grund, warum Teresa unbedingt die Ferien hier verbringen wollte. Sie wünschte sich schon lange einen Hund.

„Unsere graue Eminenz erwartet euch schon“, sagte die Oma. Erich war ein riesiger, zotteliger Hund unklarer Rasse, der jetzt ganz unmajestätisch die Ohren anlegte und dabei seine Schnauze zu einem freudigen Grinsen verzog. Gemächlichen Schrittes trabte er hinter dem Auto her. Obwohl alle ihn den ollen Erich nannten, war er nicht wirklich alt. Er hieß nur so.

„Seit er ausgewachsen ist, passt er nicht mehr ins Auto. Wir haben uns da ein bisschen vertan, als wir ihn als Welpen kauften“, sagte Oma Zäck. „Deshalb muss er auf dem Hof bleiben, bis wir uns mal ein größeres Auto zulegen.“

Erich war so riesig, dass er bequem ins Auto gucken konnte.

Die Mädchen stiegen aus. Draußen roch es nach modrigem Wasser und blühendem Jasmin. Sie streichelten Erich und sahen sich um.

„Na“, sagte Oma Zäck, „erkennt ihr es wieder?“

Die Mädchen schüttelten den Kopf. Was für ein Quatsch! Bei ihrem letzten Besuch hier hatte Trudi noch im Kinderwagen gesessen. Und das war Ewigkeiten her, schließlich war sie inzwischen Schulkind mit Seepferdchen und Füllerdiplom. Wenn es überhaupt unsere richtigen Großeltern sind, fügte sie in Gedanken hinzu. Trudi war sich da immer noch nicht so ganz sicher.

Die alte Fischerkate, in der die Großeltern wohnten, war zwar nicht groß, aber ziemlich merkwürdig. Außen hatte sich um den grauen, bröseligen Putz Efeu und wilder Wein gewickelt, die das ganze Haus irgendwie zusammenzuhalten schienen. Die Eingangstür des Hauses lag nach hinten raus, Richtung Deich. Durch den Vordereingang kam man nur bis in die Küche. Und von der Küche gab es keine Tür zum Rest des Hauses, nur eine schmale Durchreiche ins Esszimmer, die der Opa in die Wand gehauen hatte. „Damit die Klöße und der Braten nicht kalt werden“, sagte Oma Zäck. „Früher mussten wir immer alles ums Haus tragen, wenn wir am Sonntag oder zu Weihnachten im Esszimmer essen wollten.“

Teresa und Trudi nickten verständnisvoll, aber Trudi flüsterte ihrer Schwester zu: „Das gibt’s doch nicht! Als das Haus gebaut wurde, haben die wirklich die Küche vergessen?“

Teresa kicherte: „Und als sie die dann nachträglich angebaut haben, haben sie die Tür von der Küche ins Haus vergessen. Wie blöd ist das denn?“

„Kein Wunder, dass Papa hier wegwollte. Bei so einer Verwandtschaft“, meinte Trudi.

„Psst! Vielleicht waren sie ja ganz arm und hatten kein Geld mehr für eine Tür,“ flüsterte Teresa.

Trudi wandte sich an ihre Großmutter. „Wer hat denn eigentlich das Haus gebaut?“, erkundigte sie sich.

„Keine Ahnung“, meinte Oma Zäck, „euer Urgroßvater hat es damals von der krummen Elfriede geschenkt bekommen, seiner Tante. Als der die Gegend hier im Alter zu feucht wurde, ist sie in eines der Höhendörfer gezogen und hat das Haus eurem frisch vermählten Urgroßvater Stani überlassen, Stani, dem Oderfischer.“

Die Mädchen waren ziemlich erleichtert, als sie hörten, dass Opa Zäck vor ein paar Jahren ein Toilettenhäuschen direkt ans Haus gebaut hatte, sodass man nachts nicht mehr draußen auf das alte Plumpsklo musste. Von dem schrecklichen Plumpsklo voller Spinnweben und Fliegenleichen hatte Papa ihnen erzählt. Deswegen wären sie beinahe nicht alleine hierhergefahren.