Der Selfie-Killer - Paul Buderath - E-Book
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Der Selfie-Killer E-Book

Paul Buderath

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Beschreibung

Kommissar Alex Michelsen steht vor einem schockierenden Fall: Ein brutaler Frauenmörder zwingt seine Opfer, den Moment ihres eigenen Todes in einem Selfie zu verewigen. Die abscheulichen Fotos postet der Wahnsinnige auf den Social-Media-Accounts der jungen Frauen. Wer wird als Nächstes im Visier des perfiden Selfie-Killers stehen? Als die Polizeipraktikantin Laura Stürmer von der Mordserie erfährt, packt sie ein schrecklicher Verdacht. Und als ihre Freundin Robyn spurlos verschwindet, schlägt Laura bei Michelsen Alarm ...

Ein neuer Fall für das unkonventionelle Ermittlerduo Michelsen und Stürmer, der sie in die tiefen Abgründe hinter der perfekten Fassade der Sozialen Medien führt.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!



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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors:

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

Epilog

Weitere Titel des Autors:

Der Künstler

Dein böses Herz

Über dieses Buch

Kommissar Alex Michelsen steht vor einem schockierenden Fall: Ein brutaler Frauenmörder zwingt seine Opfer, den Moment ihres eigenen Todes in einem Selfie zu verewigen. Die abscheulichen Fotos postet der Wahnsinnige auf den Social-Media-Accounts der jungen Frauen. Wer wird als Nächstes im Visier des perfiden Selfie-Killers stehen? Als die Polizeipraktikantin Laura Stürmer von der Mordserie erfährt, packt sie ein schrecklicher Verdacht. Und als ihre Freundin Robyn spurlos verschwindet, schlägt Laura bei Michelsen Alarm ...

Über den Autor

Paul Buderath, geboren 1981, lebt mit seiner Familie in Essen, im Herzen des Ruhrgebiets. Dort scheibt er nervenzerreißende Geschichten, wie sie nur im Moloch der Großstadt entstehen können. Bisher erschienene Thriller: DER KÜNSTLER, DEIN BÖSES HERZ und DER SELFIE-KILLER.

Paul Buderath

Der Selfie-Killer

Dein letztes Foto

Thriller

Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Nadine Buranaseda

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © iStock / Getty Images Plus (ViktorCap | STILLFX | fongfong2 | MaYcaL)

eBook-Erstellung: 3 w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-1572-0

be-thrilled.de

lesejury.de

Prolog

Zufrieden scrollte Inga Wilde durch die Statistiken ihres Instalife-Accounts. Die Auswertung gab ihr einen Überblick über ihren Erfolg auf der Fotoplattform. Siebenhundertvierundfünfzig neue Abonnenten diese Woche, hundertdreiundzwanzig mehr als in der Woche davor. Das Foto aus der Umkleide bei Breuninger in Düsseldorf hatte die fünfhundert Likes bereits nach einer Stunde geknackt. Inga klickte den Beitrag an und lächelte. Das Selfie war wirklich gelungen. Von schräg oben aufgenommen, ließ es ihren Körper schlanker erscheinen, als er war. Im Spiegel hinter ihr war der Palm-Angels-Schriftzug des knallgelben Hoodies spiegelverkehrt zu erkennen. Das Preisschild hatte sie geschickt unter ihren Haaren verborgen, und der Bildausschnitt war so gewählt, dass der Betrachter ohne Weiteres glauben mochte, sie stünde vor dem heimischen Ankleidespiegel.

Ich feier meinen neuen Hoodie von @palmangels zu krass! #palmangels #fashionvictim #fashionfavourite, hatte sie als Kommentar unter das Foto geschrieben. Dazu ein paar weitere beliebte Hashtags wie #fashion, #instamodel und #models-ofinstalife. Angesagte Marken zogen ihre Zielgruppe, vorrangig Mädchen und junge Frauen zwischen vierzehn und dreißig, magisch an. Klar, das Bikinibild von vorgestern war deutlich beliebter. Siebenundvierzig neue Kommentare. Sie scannte die Beiträge.

Super siehst du aus!, gefolgt von drei Herzen und einem Smiley mit Kussmund.

Ohne nachzudenken, likte sie den Kommentar und antwortete: Danke Liebes!

Hot! Wanna chat?, schrieb ein gewisser enrico230490.

Mit drei kurzen Klicks hatte sie den Typen blockiert. Anzügliche Kommentare und Belästigungen gehörten zum Influencer-Geschäft. Sie nahm solche Botschaften kaum noch wahr.

Im Postfach warteten zwölf Nachrichtenanfragen. Erfahrungsgemäß handelte es sich zum größten Teil um verzweifelte Flirtversuche. Wenn sie Glück hatte, war eine ernst zu nehmende Anfrage für eine Kollaboration oder ein Shooting dabei. Sie überflog die Messages. Anscheinend hatte sie heute kein Glück.

»Schöne Aussicht.«

Die automatische Haltestellenansage schreckte Inga auf. Ohne das iPhone aus der Hand zu legen, erhob sie sich von ihrem Platz und wartete, bis der Bus zum Stehen gekommen war.

Es war ein heißer Sommertag, die Luft war dick wie Sirup. Kein Lüftchen bewegte die Blätter der Bäume an der Heisinger Straße. Schnellen Schrittes lief sie ein Stück den Gehsteig hinauf und wandte sich nach links Richtung Ruhr. Beidseits der Straße standen die Autos dicht an dicht. Das Restaurant Jagdhaus Schellenberg mit seinem traumhaft gelegenen Biergarten zog bei diesem Wetter die Gäste in Scharen an. Inga hatte allerdings keine Zeit für ein Radler in der Nachmittagssonne. Eigentlich wäre sie am liebsten nach Hause gefahren und hätte endlich die Füße hochgelegt. Aber das Licht war perfekt für ein Selfie über dem Baldeneysee – die Gelegenheit konnte sie sich nicht entgehen lassen.

Sie folgte dem schmalen Weg in das umliegende Waldgebiet hinein. Hier, im Schatten der Baumkronen, war zumindest das Klima etwas erträglicher. Paare und Familien schlenderten den staubigen Pfad entlang oder saßen auf den Bänken, die alle paar Hundert Meter am Wegrand aufgestellt waren. Inga bog in einen Trampelpfad ab. Der Boden war uneben, Wurzeln und Steine erforderten ihre Konzentration. Sie überquerte eine ungepflasterte Straße, die nur für den Forstverkehr freigegeben war, und drang auf der gegenüberliegenden Seite einige Meter in den Wald ein.

Von hier hatte man einen herrlichen Blick über den See, der sich blau glitzernd in der Landschaft erstreckte. Hätte sie es nicht besser gewusst, wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass sie sich mitten im Ruhrgebiet befand. Inga hatte nicht viel übrig für die Natur. Sie war Stadtkind durch und durch. Doch aus irgendeinem Grund liebten es die Follower, wenn zwischen Posts, auf denen sie die neueste Designermode präsentierte, ein paar spontan wirkende Fotos im Grünen auftauchten. #entschleunigung, #digitaldetox, würde sie unter das Foto schreiben. Als hätte sie Zeit, draußen die Seele baumeln zu lassen. Vermutlich genauso wenig wie ihre Follower. Vielleicht war das der Trick. Sie log den anderen Entspannung und Freizeit vor und erfüllte damit stellvertretend deren geheime Sehnsüchte.

Inga drehte sich mit dem Rücken zum Wasser und schob die Sonnenbrille ins Haar. Bilder, auf denen die Augen zu sehen waren, erhielten grundsätzlich mehr Likes. Sie aktivierte die Selfie-Kamera ihres Handys und begutachtete sich. Mit der freien Hand löste sie das Haargummi und schüttelte ihre Mähne. Vorhin in der Umkleide hatte sie einen Pferdeschwanz getragen, also musste sie jetzt etwas anderes bieten. Das Licht war ein bisschen zu grell, aber das würde sich später mit einem Filter problemlos beheben lassen. Sie schoss ein Testfoto. Nicht übel, nur der Bildausschnitt stimmte noch nicht ganz. Der See war nicht richtig zu erkennen. Sie streckte das Telefon weiter weg vom Körper und probierte es erneut. Das tausendfach geübte Lächeln saß. Das würde ein super Selfie werden.

Inga stieß einen spitzen Schrei aus, als sie ein Gesicht neben ihrem eigenen auf dem Display erblickte. Instinktiv machte sie einen Satz zur Seite, doch der Unbekannte riss sie brutal zurück. Ehe sie um Hilfe rufen konnte, spürte sie etwas Scharfes, Hartes an ihrem Hals. Gelähmt vor Entsetzen starrte sie auf das Handy, das sie immer noch vor sich hielt. Als sie das riesige Messer an ihrer Kehle entdeckte, wurde ihr übel.

»Was hast du denn?«, fragte der Unbekannte seelenruhig. »Hast du Angst, dass ich dir das Foto versaue?«

Panisch wandte Inga die Augen nach rechts und links. Es musste jemanden geben, der ihr helfen konnte. Ein Stück weiter standen zwei Menschen auf der Straße. Die Spaziergänger drehten ihr jedoch den Rücken zu.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie mit erstickter Stimme.

»Ich will, dass wir ein Foto machen«, erwiderte der Mann.

»Was?« Inga verstand kein Wort.

»Ein Foto«, wiederholte er. »Darin bist du schließlich Profi. Also, worauf wartest du? Bitte lächeln!«

1. Kapitel   

Alexander Michelsen atmete tief ein und zog den breiten Ledergürtel fest um seine Taille. Er vergewisserte sich, dass der Gurt richtig saß, ging in die Hocke und fasste die Hantelstange mit beiden Händen. Mit tausendfach geübten Handgriffen wickelte er die Zughilfen um das kalte Metall, Lederriemen, die eine Schlaufe um seine Handgelenke bildeten und mit dem freien Ende um die Stange geschlungen waren. Das verhinderte, dass ihm das hundertsiebzig Kilo schwere Gewicht entglitt. Er warf einen Blick in den Spiegel, streckte den Rücken durch, stemmte die Hacken in den Boden und hob die Hantel Zentimeter um Zentimeter an. Als er aufrecht stand, nahm er die Schultern zurück, ehe er die Last genauso langsam wieder absinken ließ.

Die Scheiben an beiden Enden der verchromten Stange klapperten bei der Bewegung. Michelsen verzichtete grundsätzlich auf die Klammern, mit denen man die Metallplatten fixieren konnte. Das zwang ihn, die Hantel gerade zu halten. Außerdem liebte er das Geräusch des gegeneinanderschlagenden Eisens.

Am tiefsten Punkt ließ er die Hantel nur ganz leicht den Boden berühren, bevor er sich erneut aufrichtete. Er spürte die Spannung in der Muskulatur zu beiden Seiten seiner Wirbelsäule. Jede Wiederholung brannte mehr als die vorangegangene.

Drei.

Vier.

Fünf.

Als er die Hantel gerade zum zehnten Mal anhob, klingelte sein Handy auf dem Boden. Michelsen biss sich auf die Unterlippe. Ausgerechnet jetzt! Er setzte die Hantel unter lautem Scheppern ab.

Mike Stanojevic ruft an.

Natürlich, die Arbeit.

»Du störst!«, begrüßte er seinen Partner.

Sie arbeiteten lange genug zusammen bei der Mordkommission, um es mit den Umgangsformen nicht so genau zu nehmen.

»Dachte ich mir«, sagte Stanojevic. »Wo erwische ich dich?«

»Beim Yoga.«

»Okay. Wenn du es geschafft hast, aus dem Lotussitz aufzustehen, wäre es schön, wenn du ins Präsidium kommst. Ich habe da was, das ich dir zeigen muss.«

Michelsen verdrehte die Augen. Bisher war seine Bereitschaftswoche ruhig verlaufen, und er hatte es endlich geschafft, den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch wenigstens zur Hälfte abzuarbeiten. Wenn Stanojevic ihm etwas zeigen wollte, bedeutete das mit Sicherheit, dass die entspannten Tage vorbei waren.

Er seufzte und steckte das Handy in die Tasche seiner Sporthose. Michelsen hasste es, sein Training abbrechen zu müssen. Die Arbeit bei der Mordkommission machte einen geregelten Tagesablauf häufig sowieso unmöglich. Sechsmal in der Woche für eine Stunde ungestört Gewichte zu stemmen, war da ein dringend benötigter Ausgleich. Er absolvierte das Workout am liebsten morgens. So stellte er sicher, dass dieser Tagesordnungspunkt abgehakt war, bevor er das Büro betrat. Umso ärgerlicher, wenn ihm der Job einen Strich durch die Rechnung machte. Er packte Trinkflasche und Handtuch und brach auf.

Um kurz vor acht saß er mit Stanojevic in seinem Büro.

»Ich weiß zwar noch nicht, was los ist. Doch wenn du frühmorgens schon so einen Wind machst, hat wohl jemand eine Leiche gefunden«, vermutete er.

»Denkste.« Stanojevic schob sich zwei Gummibärchen aus der Tüte in seiner Hand in den Mund.

Michelsen sah ihn fragend an.

»Wir haben die Leiche bisher nicht gefunden. Aber wir haben ein Foto von ihr.« Mit diesen Worten klappte Stanojevic seinen Laptop auf.

Nachdem Michelsen das Foto gesehen hatte, ließ er sofort alle Mitglieder der Mordkommission im Besprechungsraum versammeln. Wenn es keinen Mordfall gab, waren die Beamten mit verschiedenen Aufgaben im Fachkommissariat für Tötungsdelikte betraut. Als Kommission traten sie nur zusammen, wenn ein ungeklärtes Verbrechen anlag, dessen Aufklärung einen größeren Ermittlungsaufwand vermuten ließ, oder Gefahr im Verzug war.

»Morgen zusammen«, begrüßte Michelsen die Anwesenden und ließ sich am Kopf des Konferenztischs nieder.

Ein vielstimmig gemurmeltes »Morgen« war die Antwort.

Michelsen wartete, bis alle Kollegen Platz genommen hatten. Nach ein paar einführenden Worten gab er das Signal, den Beamer einzuschalten.

Kaum erschien das Bild auf der Leinwand, ging ein Raunen durch den Raum. Die Fotografie war in der Tat verstörend. Eine junge Frau starrte mit grenzenlos entsetzter Miene in die Kamera, hinter ihr stand ein schwarz gekleideter Mann. Das Messer in seiner Hand schnitt eine tiefe Wunde in den Hals der Frau, aus der ein dicker Strahl Blut schoss. Das Gesicht des Täters war mit einem Smiley-Emoticon unkenntlich gemacht worden. Wie ein zynischer Kommentar prangte das gelbe Grinsegesicht über der schrecklichen Szene. Noch schockierender als die abgebildete Bluttat fand Michelsen den Aufnahmewinkel des Fotos. Der Armhaltung des Opfers nach zu urteilen, handelte es sich um ein Selfie. Mit der linken Hand hielt der Mörder den Arm seines Opfers nach vorne vom Körper weggestreckt. Die junge Frau hatte sich selbst fotografiert, während ihr Mörder ihr den Hals durchschnitt. Unter dem Bild war ein Text zu lesen.

Hi, Leute. Das hier wird mein letzter Post. Ich will nur, dass ihr wisst, dass ich in Wirklichkeit nicht mal Kohle für 'ne eigene Bude habe. Deshalb wohne ich noch zu Hause. Und die Klamotten gehören alle nicht mir. Ich hoffe, das Foto gefällt euch.

Love&Kisses

Inga

#selfie #instagood #picoftheday #goodtimes #meinletztesfoto

»Was wir hier sehen, ist das letzte Foto auf dem Instalife-Profil von Inga Wilde«, erklärte Michelsen. Stanojevic hatte ihm in der Kürze der Zeit die wichtigsten Eckdaten mitgeteilt, ehe die Kollegen eingetroffen waren.

»Ist das die Frau auf dem Foto?«, fragte ein Beamter.

Stanojevic nickte. »Genau. Das Foto ist heute Nacht auf ihrem Account aufgetaucht. Es wurde innerhalb kürzester Zeit wieder gelöscht, da es gegen die Gemeinschaftsrichtlinien von Instalife verstößt. Vorher hatten einige Leute Screenshots angefertigt und die Polizei informiert. Unter anderem Ingas Schwester.«

Michelsen massierte seine Schläfen. Gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstoßen. Schön ausgedrückt. In fast zwanzig Jahren bei der Kriminalpolizei war ihm nichts Vergleichbares begegnet. Er hatte grässlich zugerichtete Leichen jeden Alters und jeder sozialen Stellung gesehen. Manchmal gab es Aufnahmen eines Mordes auf Überwachungskameras. Aber das hier war etwas ganz anderes: ein Mord, fotografisch festgehalten vom Opfer, gepostet in den sozialen Medien. Die krankhaften Auswüchse der Gesellschaft schafften es immer wieder, ihn zu überraschen.

»Du sagtest vorhin, dass wir wissen, wo das Foto aufgenommen wurde«, wandte er sich an Stanojevic, nachdem er den Blick mühsam von dem Bild gelöst hatte.

»In Heisingen, in der Nähe des Jagdhaus Schellenberg. Mehrere Zeugen, die das Foto gemeldet haben, erkannten die Umgebung sofort«, erläuterte sein Partner. »Die Spurensicherung ist schon vor Ort. Saskia kann uns sicher mehr berichten. Nach allem, was ich gehört habe, ist die Leiche bisher nicht gefunden worden.«

Ein Foto auf Instalife. Keine Leiche. Was war das für ein Mist?

»Wenn das Foto nur so kurz online war, wieso haben es dann so viele Leute gesehen?«, fragte Michelsen. »Ist diese Inga berühmt oder so?«

»Berühmt nicht«, antwortete Stanojevic. »Aber ihr Profil hat zweihundertdreiunddreißigtausend Follower. Als Insta-Model war sie nicht ganz erfolglos.«

»Vielleicht hat das jemandem nicht gefallen«, dachte Michelsen laut.

»Möglich. Die Inszenierung lässt darauf schließen, dass der Mord in Verbindung zu Ingas Online-Aktivitäten steht.«

»Dann sollten wir uns auch im Netz nach dem Täter umsehen.« Michelsen betrachtete das Foto noch einmal. Die lachende Fratze neben der sterbenden jungen Frau war unerträglich anzusehen. Der Smiley verdeckte den Kopf des Angreifers komplett. Von seinem Körper waren nur ein kleiner Teil des Oberkörpers, ein blasser Arm und die Hand zu sehen, die das Messer hielt. Jeder konnte sich dahinter verbergen. Dennoch, ein Foto, das den Mörder zeigte, war für den Start der Ermittlungen in einer mutmaßlichen Mordsache weit mehr, als sie normalerweise hatten.

2. Kapitel   

Herrlich, diese Stille. Die Dunkelheit. Wie angenehm kühl es hier drinnen war. Aber vor allem still. Nicht nur leise, sondern absolut, vollkommen still. Totenstill.

Das Echo des eigenen Atems von den nackten Wänden war beruhigend. Vorhin hatte alles ganz schnell gehen müssen. Das, was er tat, funktionierte nur, wenn er unentdeckt blieb. Erst als er die eiserne Tür hinter sich geschlossen und sich auf den harten Boden gesetzt hatte, war er in der Lage gewesen, einen geordneten Gedanken zu fassen. Endlich durchzuatmen. Es war vollbracht.

Die letzten Tage hatte er in gespannter Erwartung verbracht. Immer bereit, die Chance zu ergreifen, wenn sie sich bot. Er wusste, dass der perfekte Augenblick irgendwann kommen würde. Zuletzt war er doch ungeduldig geworden. Es war an der Zeit. Mehr noch, längst überfällig.

Der Moment war sogar schöner gewesen, als er sich ihn ausgemalt hatte. Einfach perfekt. Wie es wohl sein mochte, einen Menschen zu töten, hatte er sich oft gefragt. Die Wirklichkeit war ganz anders als jede Vorstellung. Leichter. Belangloser. Eigentlich, dachte er, geht die Frage am Thema vorbei. Streng genommen hatte er keinen Menschen getötet. Vielmehr ein Phantom ausgelöscht. Ein Profil deaktiviert. Den Stecker gezogen. Ausgeknipst. Klick.

Nur das Blut, das Blut war echt. Es klebte nach wie vor an seinen Händen. Zu Hause würde er duschen und alles abwaschen. Alles. Es genauso verschwinden lassen wie den Rest der Illusion.

Sind Sie sich sicher, dass Sie Ihr Profil endgültig löschen möchten?

Er zog sein Handy aus der Tasche und lächelte. Kein Empfang. Was für eine herrliche Pointe.

Er stand auf. Es war höchste Zeit aufzubrechen. Er hatte schon zu viele Stunden hier gesessen. Draußen ging bereits die Sonne auf. Dort rätselten sie, was es mit dem letzten Selfie der schönen Inga auf sich hatte. Wer der Mann ohne Gesicht war. Und wo, zum Henker, sich die Leiche befand. Viel Spaß beim Suchen, dachte er und strich ein letztes Mal durch Ingas blutverkrustetes Haar. Viel Spaß!

3. Kapitel   

Mit einem Satz sprang Laura aus dem Mercedes Sprinter und sog die sommerliche Morgenluft ein. Seit zwei Wochen kletterte das Thermometer täglich über dreißig Grad. Die Medien sprachen von einem Jahrhundertsommer, doch um diese Zeit war es noch nicht so unerträglich heiß wie mittags. Ein leichter Windzug wirkte geradezu erfrischend.

»Hier ist es?«, fragte Anna, die nach Laura und Max aus dem Führerhäuschen geklettert war.

»Ja. Spektakulär, oder?«

»Das werden wir ja drinnen sehen«, meinte Anna. »Hauptsache, Mama ist zufrieden«, fügte sie lachend hinzu und deutete mit dem Kopf zu der A-Klasse, die am Straßenrand gegenüber einparkte.

»Die ist sowieso nie zufrieden.« Laura winkte ab. »Wenn es nach ihr ginge, würde ich bis zur Rente zu Hause wohnen.«

Tatsächlich hatte ihre Mutter bis zuletzt versucht, Laura zu überzeugen, dass es besser sei, im Elternhaus wohnen zu bleiben. Nach allem, was vorgefallen war, machte sie sich Sorgen um ihr Nesthäkchen. Ihre Schwester Anna lebte längst in München und studierte Medizin. An diesem Wochenende war sie mit ihrem Freund nach Essen gekommen, um Laura beim Umzug zu helfen und gleichzeitig endlich mal wieder Mama und Papa zu besuchen.

Sie warteten, bis ihre Mutter ausgestiegen und zu ihnen gestoßen war, ehe Laura die Schelle betätigte. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis die Tür aufgedrückt wurde. Offensichtlich wurden sie erwartet.

Lauras Herz pochte, während sie schweigend die Treppe in die erste Etage hinaufstiegen. Sie ging voraus, ihre Mutter folgte ihr auf dem Fuß. Anna und Max hielten sich im Hintergrund. Laura war gespannt auf die Meinung ihrer Familie zu ihrer neuen Bleibe. Sie hatte das WG-Zimmer allein ausgesucht und verboten, dass ihre Mutter vor dem Einzug einen Blick hineinwarf. WGs genossen im Hause Stürmer einen schlechten Ruf. Insbesondere ihre Mutter war davon überzeugt, dass ein Haufen Studenten unter einem Dach zwangsläufig zu Partyexzessen, Streit über den Putzplan und schlechten Noten führte. Laura konnte die Bedenken nachvollziehen. Sie legte großen Wert auf ihre Privatsphäre und einen ungestörten Schlaf. Doch seit ihrer Entführung und der nachfolgenden posttraumatischen Belastungsstörung verbrachte sie ungern die Nacht allein. Eine Wohngemeinschaft schien da genau das Richtige zu sein. Ewig bei Mama und Papa zu leben, war keine Option.

»Hi, Laura!«, rief Robyn Wysocka, die in grauen Sweatpants und einem übergroßen T-Shirt in der Tür stand. »Alles klar bei dir?«

»Alles super«, antwortete Laura. »Ich hoffe, wir haben dich nicht aus dem Bett geworfen.«

»Quatsch. Ich freue mich schon den ganzen Morgen, dass du endlich einziehst.« Robyn war die Hauptmieterin der WG und hatte die Anzeige im Internet aufgegeben, auf die Laura sich gemeldet hatte. Sie studierte Kommunikationswissenschaften und war ein Jahr älter als Laura.

Zur Begrüßung umarmten sie sich kurz, bevor Laura erst ihre Mutter und dann Anna und Max vorstellte. Ihre Mutter sah sich sofort neugierig um. Nachdem sie sich die letzten Wochen in Geduld hatte üben müssen, brannte sie nun darauf zu sehen, wo Laura untergekommen war.

Robyn führte die Neuankömmlinge durch die Wohnung. Dabei redete sie pausenlos in ihrer exaltierten Art, die Laura schon vom Vorstellungsgespräch und den Telefonaten her kannte. Amüsiert registrierte sie, dass Robyn ihre Mutter duzte.

»Hier ist das Bad. Nicht besonders groß, aber alles drin, was man braucht. Wir haben Laura schon ein Fach im Regal freigeräumt.« Sie deutete auf das klapprige Holzmöbel von IKEA neben der Dusche. »Wenn du mehr Platz brauchst, können wir ein bisschen zusammenrücken. Oder wir kaufen ein größeres Regal, das Ding ist eh schon uralt.«

Die Tür rechts neben dem Bad führte in die Küche. Der Raum war groß genug, um einer durchgesessenen weinroten Couch vor dem Fenster und einem quadratischen Holztisch mit vier Stühlen Platz zu bieten.

»Gerät man nicht häufig aneinander bei so vielen verschiedenen Leuten?«, erkundigte sich Lauras Mutter.

»Ach, die Regeln sind eigentlich ganz easy. Im Kühlschrank gilt: Wenn nichts draufsteht, darf jeder ran. Den Abwasch macht immer der neueste Mitbewohner.« Robyn streckte Laura die Zunge heraus. »Spaß. Jeder macht seine Sachen selber sauber. Gibt eigentlich nie Stress.«

Laura konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Eigentlich schätzte sie es nicht besonders, wenn jemand ohne Punkt und Komma redete. Aber Robyns natürliche Fröhlichkeit war ansteckend und machte es ihr leicht, sich willkommen zu fühlen. Sie blieben einen Moment in der Küche stehen, und Lauras Mutter gab sich keine besondere Mühe zu verbergen, dass sie die Sauberkeit und den Zustand der Spüle und Arbeitsplatte eingehend musterte.

»Sieht doch ganz ordentlich aus«, raunte sie Laura zu.

Robyn spitzte die Lippen und schnitt eine Grimasse, die offensichtlich eine Karikatur einer übertrieben peniblen alten Dame darstellen sollte. Laura prustete, und auch Max lachte auf, wofür er von Anna einen Hieb mit dem Ellenbogen in die Rippen kassierte. Als sich Lauras Mutter umdrehte, um den Grund für die allgemeine Heiterkeit zu ergründen, war Robyns Gesicht wieder genauso einladend freundlich wie zuvor.

»Kommt, ich zeige euch die anderen Zimmer«, sagte sie.

Robyn war eine auffallend hübsche junge Frau, mit ungewöhnlich großen, weit auseinanderliegenden kastanienbraunen Augen. Ihre dichten Haare, die die gleiche Farbe hatten, trug sie heute zu einem unordentlichen Dutt auf dem Kopf zusammengebunden. Einzelne Strähnen fielen ihr scheinbar zufällig in Gesicht und Nacken.

»Dort wohne ich.« Robyn deutete auf das nächste Zimmer. »Da sieht's momentan ein bisschen unordentlich aus, deshalb lassen wir die Tür lieber zu. Daneben wohnt Felix, der ist nur im Moment nicht da. Und Laura wird hier wohnen.«

Nacheinander trat Familie Stürmer in den Raum, der gegenüber der Küche vom Flur abging. Vierzehn Quadratmeter. Grauer Linoleumboden. Ein Fenster. Nicht gerade ein Palast, aber immerhin ihr eigenes Reich.

»Müsste vielleicht mal gestrichen werden«, bemerkte Lauras Mutter.

»Mama!«, fuhr Anna sie an.

Max hinter ihr konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Ich finde es total okay«, meinte Laura. »Und ich habe, ehrlich gesagt, auch keine Lust zu renovieren.«

»Und dieser junge Mann? Lernen wir den noch kennen?«, wollte ihre Mutter wissen.

»Ich kenn ihn ja schon.« Laura seufzte.

»Mich interessiert, mit wem du zusammenwohnst«, sagte ihre Mutter.

»Keine Sorge«, lachte Robyn. »Felix ist harmlos.«

»Das sind die Schlimmsten«, warf ihre Schwester mit gespieltem Ernst ein. »Jetzt wo Laura wieder Single ist ...«

»Halt die Klappe!«, zischte Laura.

Sie hatte keine Lust, sich aufziehen zu lassen. Außerdem schmerzten Bemerkungen über ihre gescheiterte Beziehung zu Pierre immer noch, auch wenn Anna es nicht böse meinte.

»Wollt ihr was trinken, bevor ihr loslegt?«, fragte Robyn in die Runde.

»Nein danke. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, antwortete Laura rasch, ehe ihre Mutter auf dumme Gedanken kam. »Mama fährt jetzt nach Hause, und wir holen die Sachen aus dem Wagen.«

4. Kapitel   

Am Samstagvormittag waren die Waldgebiete am Seeufer ein beliebtes Ausflugsziel, besonders bei gutem Wetter. Die verschlungenen Spazierwege und der herrliche Blick über das Wasser boten ein Naturerlebnis mitten in der Großstadt. Viele Familien genossen hier eine Auszeit vom stressigen Alltag und kehrten in den verschiedenen Lokalen mit ihren Panoramaterrassen ein.

Heute jedoch hielten Polizeiabsperrungen die Spaziergänger fern. Schon nach dem Abbiegen von der Heisinger Straße kontrollierten Beamte jedes ankommende Fahrzeug. Michelsen zeigte seine Dienstmarke und lenkte den dunkelblauen Passat auf einen Parkplatz, auf dem schon mehrere Polizeifahrzeuge standen. Er grüßte die Kollegen von der Schutzpolizei und stieg über das rot-weiße Flatterband, das Unbefugten den Zugang zum Tatort verwehrte. Eine Menschentraube in einiger Entfernung verriet ihm, wohin er musste. Gefolgt von Stanojevic überquerte er eine unbefestigte Straße und bahnte sich seinen Weg vorbei an Polizeibeamten und Fotografen zu einem mannshohen Gebüsch. Im Hintergrund lag der See. Ungefähr hier musste das Foto aufgenommen worden sein.

Im Gebüsch knackte und raschelte es. Michelsen wandte den Kopf und erkannte den weißen Ganzkörperanzug von Saskia Dudek zwischen den Ästen und Blättern.

»Versteckst du dich im Gebüsch?«, rief er der Spurensicherungsexpertin zu.

»Kannst mich gerne ablösen!« Sie steckte den Kopf heraus. »Aber nicht, dass du mir die Spuren zertrampelst.« Lachfältchen tanzten um ihre Augen.

»Nein danke. Vielleicht kannst du uns erzählen, was es da drin zu sehen gibt.«

Auf allen vieren kroch Saskia aus dem Strauchwerk hervor.

»In diesem Busch muss sich der Täter versteckt haben«, berichtete sie, nachdem sie sich aufgerichtet hatte. »Das Opfer stand zum Zeitpunkt der Tat ziemlich genau ...« Sie machte einen Schritt zur Seite. »... hier.«

Michelsen ließ den Blick über das Tal schweifen und nickte. Er erkannte den Ausblick wieder. Genau da war das verhängnisvolle Selfie aufgenommen worden. Er schaute auf den Boden. Dunkles Blut verklebte den ausgetrockneten Untergrund.

»Wie es aussieht, hat er die Leiche danach in diesen Busch gezerrt«, fuhr Saskia fort. »Es gibt jede Menge abgebrochene Zweige und Blutspuren.«

»Und wo ist die Leiche jetzt?«, schaltete sich Stanojevic ein.

»Auf jeden Fall nicht mehr hier«, sagte Saskia schulterzuckend. »Den Spuren nach zu urteilen, hat er den Körper später auf demselben Weg herausgeschleift.« Sie deutete Richtung Straße.

»Und dann hat er sie mit dem Auto abtransportiert«, vervollständigte Michelsen das Szenario.

»Das ist das Wahrscheinlichste. Dort verliert sich jedenfalls die Spur«, bestätigte Saskia.

»Ist schon verwunderlich, dass niemand etwas mitbekommen haben will«, bemerkte Stanojevic.

Michelsen blickte sich um. Der Tatort war kaum zwei Meter von der Straße entfernt. Nach rechts machte die Fahrbahn eine Biegung, sodass die Stelle von dort schlecht einsehbar war. Autos verkehrten hier sicherlich kaum. Spaziergänger, die in der anderen Richtung unterwegs waren oder den Ort des Verbrechens passierten, hätten etwas hören oder die Blutspuren bemerken können. Aber die Erfahrung zeigte, dass die meisten Menschen zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um wahrzunehmen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung vor sich ging. Erst letzte Woche hatten die Kollegen des Kriminalkommissariats 12 von einer Vergewaltigung in einer gut besetzten U-Bahn berichtet, die angeblich niemandem aufgefallen war.

»Abends ist hier immer viel los«, berichtete Saskia. »Ich wohne ja in Heisingen und bin gelegentlich im Jagdhaus Schellenberg. Der Täter muss einen günstigen Moment abgepasst haben. Einen Mord zu begehen ist das eine. Zumindest für den Abtransport der Leiche wird er jedoch einige ungestörte Minuten gebraucht haben.«

»Das Foto wurde um halb zwölf nachts gepostet«, gab Michelsen zu bedenken. »Es kann sich dabei nicht um die Tatzeit handeln, denn auf dem Bild war es hell. Es muss also einige Stunden eher entstanden sein.«

»Würde passen, denn im Hellen wird er kaum die Leiche weggeschafft haben«, ergänzte Stanojevic.

»Würde ich wenigstens nicht tun«, sagte Michelsen. »Wenn der Mord am Nachmittag geschehen ist und er die Tote bei Nacht erst mitgenommen hat, vermute ich, dass er mit seinem Opfer im Gebüsch gewartet hat, bis es dunkel war.«

»Die Frage ist, wohin hat er die Frau gebracht? Und warum?«, resümierte Stanojevic.

Michelsen klopfte seinem Partner auf die Schulter. »Das können wir uns ja beim Essen überlegen.«

5. Kapitel   

Nachdem sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hatte, lud Laura mit Anna und Max die Möbel und Kartons aus und schleppte sie in die Wohnung. Allzu viel hatte sie absichtlich nicht mitgenommen. Sie wollte das kleine Zimmer nicht gleich mit unnützem Kram vollstellen. Der Auszug war nach ihrer unfreiwilligen Auszeit und der Zeit unter Mamas Fittichen der Beginn eines neuen Lebensabschnitts, den sie mit so wenig Ballast wie möglich angehen wollte. Außerdem war es nur ein Katzensprung bis nach Werden, wo ihre Eltern wohnten, sodass sie jederzeit holen konnte, was sie womöglich vergessen hatte.

Nach nicht einmal einer Stunde hatten sie die spärliche Einrichtung hochgetragen. Lauras Lesesessel, einen Couchtisch auf Rollen. Ihren Schreibtisch samt Stuhl. Bett und Schrank hatten sie letzte Woche bei IKEA gekauft und bereits in die WG geschafft. Während Anna und Laura die leichteren Kisten mit Kleidung aus dem Auto holten, machte sich Max daran, die Möbel aufzubauen. Robyn schaute zwischendurch herein und fragte, ob sie irgendetwas brauchten.

»Nein, alles super«, sagte Laura.

»Ich kann euch gerne helfen, wenn ihr mögt.«

»Das ist wirklich nicht nötig. Wir sind bald fertig. Seid ihr heute Abend zu Hause? Ich würde gerne einen kleinen Einstand geben.«

»Kannst du später machen, komm ruhig erst mal an, Laura. Ich muss jetzt sowieso los. Und wann Felix aufkreuzt, weiß ich nicht.«

Robyn verabschiedete sich und verließ die Wohnung. So gesellig schien das WG-Leben doch nicht zu sein. Schweigend räumte Laura ihre Bücher ins Regal, Max schraubte den Lattenrost zusammen. Am Nachmittag bestellten sie Pizza auf Lauras Rechnung, ehe Anna und Max sie verließen.

Erschöpft ließ sich Laura aufs Bett sinken und betrachtete die gestapelten Umzugskisten und die beiden prall gefüllten Reisetaschen. Eigentlich hatte sie ihre neuen Wohnungsgenossen zum Essen einladen wollen. Nun war sie allein in der Wohnung und hatte den ganzen Abend Zeit, ihre Klamotten auszupacken und einzusortieren. Doch zunächst musste sie sich etwas ausruhen.

Stimmen im Flur ließen Laura aufschrecken. Sie hatte nur kurz die Augen schließen wollen und musste eingeschlafen sein. Sie sah auf die Uhr. Halb neun. Hastig sprang sie auf und richtete ihre Haare im Spiegel an der Schranktür. Sie sah genauso mitgenommen aus, wie sie sich fühlte. Aber zum Hallosagen würde es reichen.

Sie fand Robyn und Felix am Küchentisch sitzend. Die Küche diente als Treffpunkt und Aufenthaltsraum. Ein Wohnzimmer gab es nicht.

»Hey, Laura!«, rief Robyn freudig und erhob sich. »Hast du dich schon eingerichtet?«

»Nicht so ganz.« Laura lachte. »Aber wird schon.«

Felix hatte die Füße auf dem Stuhl neben seinem abgestellt und den Rücken an die Wand gelehnt. Als Laura die Küche betrat, nahm er die Beine herunter und legte das Handy, mit dem er sich beschäftigt hatte, auf den Tisch. »Hi!«

Er war ein übergewichtiger junger Mann mit kurzen blonden Haaren und einem runden, freundlichen Gesicht. Wie bei ihrer ersten Begegnung trug er bunt gemusterte Bermudashorts und ein kurzärmliges kariertes Hemd. Seinetwegen brauchte sich ihre Mutter keine Sorgen zu machen. Ein Aufreißer sah definitiv anders aus.

Robyn hingegen hatte sich in der Zwischenzeit komplett aufgetakelt und trug ein silbrig glänzendes, tief ausgeschnittenes Top zu weiten schwarzen Shorts, die nicht einmal die Hälfte ihrer schmalen Oberschenkel bedeckten. Die auftoupierten Haare und das auffällige Make-up ließen darauf schließen, dass sie heute Abend feiern ging.

»Hey, Laura! Ich hab vorhin schon mal bei dir geklopft, aber du hast nicht reagiert.«

»Sorry, bin eingepennt«, sagte sie.

»Nicht schlimm.« Robyn nahm eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und machte sich am Korken zu schaffen. »Jetzt stoßen wir erst mal auf deinen Einzug an.« Sie öffnete die Flasche, stellte drei Gläser auf den Tisch und schenkte ein. »Der Kuchen ist übrigens für dich.« Sie deutete auf den Küchentisch, in dessen Mitte ein Marmorkuchen mit Schokoladenguss stand, als präsentierte sie den Hauptgewinn bei einer Fernsehlotterie.

»Jetzt fühle ich mich schlecht«, sagte Laura. »Ich habe nicht mal einen Einstand gegeben, und ihr backt schon für mich.«

»Betonung auf ›ihr‹«, erwiderte Felix lachend.

»Ich habe die Knethaken abgeschleckt«, erklärte Robyn mit einem Zwinkern.

Es tat gut, mit offenen Armen empfangen zu werden. Immer wieder hatte Laura ihren Entschluss, in eine WG zu ziehen, angezweifelt. Zu abschreckend erschien ihr der Gedanke, ständig mit fremden Menschen unter einem Dach zu leben. Aber ganz allein zu wohnen war noch schlimmer, das hatte sie während ihres Studiums in Paris erfahren, wo sie auf neun Quadratmetern im Studentenwohnheim gehaust hatte.

Als sie nach der Rückkehr nach Deutschland wieder bei ihren Eltern eingezogen war, hatte die Fürsorge ihrer Mutter sie beinahe erdrückt. Eigentlich hatte sie damals vorgehabt, sich möglichst schnell eine eigene Wohnung zu suchen. Doch nachdem sie in ihrem Praktikum bei der Kripo fast einem Serienkiller zum Opfer gefallen wäre, war an einen Auszug nicht zu denken. Ein Jahr lang war sie in psychotherapeutischer Behandlung, danach klammerte ihre Mutter mehr denn je, als wollte sie Laura für den Rest ihres Lebens vor der bösen Welt beschützen. Verständlich. Schließlich hatte sich Laura auf eigene Faust in die Ermittlungen zu einem Mordfall eingemischt. Mit dem Ergebnis, dass sie von einem geisteskranken Mörder gekidnappt wurde und ihren Peiniger in Notwehr erstach.

Ihre Mutter war sich sicher, dass sich Lauras fixe Idee von einer Karriere bei der Kripo mit diesem Trauma erledigt hatte. Schon nach wenigen Wochen begann Laura jedoch, sich wieder für die Polizeiausbildung zu interessieren, und irgendwann sah ihre Mutter ein, dass es für sie keinen anderen Weg geben konnte. An dem Tag, an dem Laura ihr Studium für die höhere Beamtenlaufbahn an der Polizeiakademie begann, hatte ihre Mutter geweint. Mittlerweile hatte sie sich mit dem Berufswunsch ihrer Tochter abgefunden.

»Auf dich und eine coole Zeit!«, rief Robyn.

Sie ließen die Gläser klingen, Felix schnitt den Kuchen an.

»Du hast kein Auto, oder?«, erkundigte sich ihre neue Mitbewohnerin.

Laura verneinte.

»Wenn du eins brauchst, kannst du den Ferrari nehmen. Der Schlüssel ist immer vorne am Schlüsselbrett. Wer leer macht, tankt.«

»Ferrari?«, wiederholte Laura.

»So nennen wir Robyns Fiat«, erläuterte Felix.

»Er ist immerhin rot«, meinte Robyn. »Jedenfalls darf ihn jeder benutzen, ich brauche ihn zurzeit nicht.«

»Ihr Lappen ist mal wieder weg«, raunte Felix Laura zu.

»Ich hab noch nie in einer WG gewohnt«, entschuldigte sich Laura. »Ihr müsst mir sagen, wenn ich was falsch mache.«

»Da musst du Felix fragen.« Robyn lachte und goss sich das zweite Glas Sekt ein. »Ich bin eher der Chaostyp.«

»Ab Mitternacht wär's cool, wenn man schlafen kann«, murmelte Felix zwischen zwei Bissen. »Und das Bad sollte sauber hinterlassen werden.«

»Und kein Sex in den Gemeinschaftsräumen!«, ergänzte Robyn mit erhobenem Zeigefinger.

»Ähm, okay, das kriege ich hin«, sagte Laura.

»Keine Sorge, schlechter als Robyn kannst du die Regeln nicht einhalten.«

Robyn versetzte Felix einen scherzhaften Schlag gegen den Kopf.

»Bloß kein Streit!«, bat Laura.

»Wir streiten uns nie, oder, Felix?«

»Nö«, antwortete er. »Du quatschst, und ich sage ›Du hast recht‹.«

Robyn zuckte mit den Schultern. »Wenn das alle Männer so machen würden, wäre die Welt ein besserer Ort.«