Der Spatz in der Hand - ist die Taube ... - Hanna-Laura Noack - E-Book

Der Spatz in der Hand - ist die Taube ... E-Book

Hanna-Laura Noack

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Beschreibung

Nach fünfundzwanzig Ehejahren kriselt es bedrohlich zwischen der Schriftstellerin Eva Mai und ihrem Mann Jürgen. Eva fühlt sich von Jürgen "wie ein ausrangiertes, altes Möbelstück" behandelt und leidet schon unter Alpträumen. Sie beschließt, etwas zu ändern. Unter dem Vorwand, einen Protagonisten für ihren nächsten Roman zu suchen, gibt Eva eine Kontaktanzeige auf. Evas beste Freundin Monika ist entsetzt. "Bist du verrückt? Dein Jürgen ist doch so ein Lieber!" Eva schluchzt: "Scheidung ist besser als Mord". Als sich auf ihre Anzeige hin der charismatische französische Arzt Jean-Jacques de la Pommelière meldet und sie sich ihm gegenüber als ledig ausgibt, scheint ihr Plan aufzugehen. Doch Freundin Monika hält ihn für einen Betrüger und auch Eva beginnt zu zweifeln. Zusammen stellen sie Nachforschungen an ... und stoßen auf ein erschütterndes Geheimnis.

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Seitenzahl: 358

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Die Handlung dieses Buches ist frei erfunden. Personen und Unternehmen sind fiktiv oder, falls doch real, rein fiktional verwendet, ohne deren tatsächliche Handlungen beschreiben zu wollen.

Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach!

(Deutsches Sprichwort)

Inhaltsverzeichnis

Haare

Nägel mit Köpfen

Beste Freundinnen

Donnerstag

‚Flönz‘

Fünfundsechzig!

Haushaltskasse und Rendezvous

Abflug

Portemonnaies, Handtaschen und Brassens

Deutsche Sprache – schwere Sprache

Hiltrud braucht Rat

Düsseldorf

Scheißleben!

Schlesische Mohnklöße

Samstag

Etwas ist angebrannt

‚Kumme looße!‘ heißt abwarten.

Putzmunter

Wie Hiltrud Eva den Politiker verkauft

Missverständnisse, die sich nutzen lassen

Schnippisch

Jürgens Geheimnis

Auch das noch!

Töchter- und andere Problemlösungen

Tod eines Franzosen

Der Tipp des Anwalts

Eva verliert die Geduld

Jeunesse dorée, diesmal in grün

Was Männer über Frauen und Frauen über

Und was ist mit der Beerdigung?

Markus

Hiltrud stürzt ab

Die Überraschung

Ein seltsames Zebra

Jürgen

Eva lässt sich (nicht) überraschen

Paris

Einladung

In Whisky veritas

Anhang

Haare

Eva Mai starrt in das Dunkel des Schlafzimmers. Richtig glücklich war ich seit bestimmt schon zwei Jahren nicht mehr, rumort es in ihrem Kopf. Und kreist und kreist. Sie hatte bisher nur gedöst, ohne Schlaf zu finden und sich klein gemacht, ganz klein, weil Jürgens lang ausgestreckte Arme und sein haariger Körper ihre halbe Bettseite okkupieren.

Morgen früh werden die Laken wieder aussehen, wie ein Kissen im Hundekörbchen. Dass Hunde haaren, ist ja völlig normal, denkt Eva, ganz schmal, auf der äußersten Kante ihrer Betthälfte, vor allem zum Wechsel der Jahreszeiten, auf die sich die Viecher dann umstellen. Aber erstens ist Jürgen kein Hund und zweitens könnte er etwas dagegen tun, aber der, denkt Eva, der stellt sich nicht um. Nicht einmal ein stellt der sich, auf mich, beispielsweise. Andere Männer, schießt es ihr in den Kopf, tragen heutzutage keine so dicken Haarpolster mehr. Gut, dieser Sean Connery, kultiviert ganze Nester davon auf der Brust, aber doch nicht auch noch auf dem Rücken. Es sei denn, Eva lässt ein Bein über die Bettkante baumeln, die filmen den nackt immer nur von vorne. Sowieso zählt doch nur noch, was gerade angesagt ist. Die neuen Männer, wie Brad Pitt oder Matt Damon, haben entweder gar keine Körperbehaarung oder sie lassen sich die entfernen, damit es beim Sex nicht so kratzt.

Sex? Ach je, ihre Brust war immer ganz rotgescheuert danach. Doch seinen Haarteppich für sie mit Wachs entfernen zu lassen, daran würde Jürgen nicht einmal im Traum denken! Neulich hatte sie ihm aus Versehen ein paar Haare eingeklemmt. Der Aufschrei war so markerschütternd, als hätte man ihm narkosefrei einen Backenzahn gezogen. Zu Tode erschrocken hatte sie eine Entschuldigung gestammelt, vor Schreck ihr Glas mit gerade gebrühtem Tee umgekippt und sich großflächig den linken Oberschenkel verbrannt. Und was machte er? Er grinste, wie immer, wenn sie verstört war. Ohne geringste Bereitschaft, seine Angewohnheit, die ihre Wirkung auf Eva nur selten verfehlt, abzustellen. Dabei zitterte sie noch Minuten danach, ihr Blutdruck stieg fühlbar an, - und sie fühlte sich ganz elend, klein und gedemütigt. In solchen Momenten verabscheut sie ihn, empfindet sein Verhalten als unfair und zynisch. Seine unverhohlene, geradezu diebische Freude, wenn er sie so erschüttert sieht, trägt für sie deutlich sadistische Züge. Spricht sie ihn darauf an, lacht er sie aus. Das seien doch keine Respektlosigkeiten. Schließlich kenne sie ihn lange genug, um ein¬schät¬zen zu können, dass er „nur Spaß“ mache, schließlich reagiere er „immer so“. Selbstverständlich, habe er „auch Fehler“, „wie alle Männer“, aber sie sei doch „seine Beste“, „sein Engelchen“, und wisse das ganz genau. Eva fühlt sich ver …, ein Wort, das sie lieber nicht ausspricht. Nennen wir es: Verschaukelt. Zurück bleibt ihre Wut. Eines Tages, schwört sie sich, bin ich weg.

Eva fühlt sich hellwach. Mit geweiteten Augen fixiert sie die Zimmerdecke, erkennt jedoch nur deren Umrisse und die schwachen Konturen des Kristalllüsters. Nach den Erlebnissen vom Vortag enttäuscht und zum Schlafen zu aufgedreht, häuft sie einen Berg seiner Sünden vor sich an, den ganzen Katalog seiner Verfehlungen. Wie soll sie da einschlafen können? Welche Frau kann das? Wenn er sie nicht ernst nimmt, muss sie selbst etwas ändern, es würde sonst immer so weiter gehen. Aber was?

Sie hört Jürgen grummeln und knipst das Nachtlicht an. Sein Mund ist leicht geöffnet und an den sich unter den Lidern bewegenden Pupillen erkennt sie, dass er träumt. Er wirkt so friedlich, denkt sie, und wie gut seine Haut riecht! Wär‘ doch mal schön, wenn er jetzt aufwachte, und … Blödsinn!

Sie klopft ihr Kopfkissen auf, schiebt es sich unter den Nacken und starrt an die Zimmerdecke. Da! Was ist denn das? Eva dreht ihren Kopf herum, langt nach der auf ihrem Nachttisch liegenden Gleitsichtbrille und setzt sie sich auf. Das darf doch nicht wahr sein! Geistesgegenwärtig kramt sie ein Päckchen Papiertaschentücher aus ihrer Nachttischschublade.

Sie hat es erst kürzlich gelesen: Jeder Mensch verschluckt in seinem Leben mindestens drei Mal eine Spinne! Igitt! Und neben ihr schläft Jürgen mit offenem Mund. Er würde das nicht einmal merken. Genau in diesem Moment lässt sich das Insekt herab, fällt ruckartig und Stück für Stück auf Jürgen zu. Im Nu richtet Eva sich auf, breitbeinig und leicht schwankend auf der unter ihrem Gewicht nachgebenden Matratze. Sie ist die Schutzgöttin Frija, die Gattin Wotans, die Mutter der Menschen - mit einem Papiertaschentuch in der Hand. Damit wird sie die Spinne zwischen ihren Fingern zerdrücken, bevor diese sich auf ihrem Wotan niederlässt, ihm womöglich noch in den Mund krabbelt. Dafür steht sie so grade wie möglich und so wackelig wie immer es nötig ist.

„Hast du Sportstunde?“, entrüstet sich Jürgen mit geschlossenen Augen. „Schlaf!“, grummelt er im Befehlston und rollt sich auf seinen anderen Arm.

Sekundenschnell hat sich die Spinne an ihrem Faden zu ihrem Netz an der Decke zurückgezogen.

„Und mach das Licht aus!“

Evas Blick streift kurz seinen schwarzen, zerzausten Haarschopf. Jürgen ist nicht dein Diktator, denkt sie, und was macht ein Diktator, wenn keiner mehr mitspielt?

Eben!

Die Spinne muss weg!

Eva schlüpft in die Hausschuhe vor ihrem Bett. Sie schleicht in die Küche, kehrt mit einem Schrubber zurück, bedeckt dessen Borsten mit dem Taschentuch und steigt erneut auf die Matratze. Das Insekt ist genau über ihr.

Jetzt krieg‘ ich dich, das wär‘ doch gelacht!

Aber das gibt es doch gar nicht! Neben dem Schrubberstiel schießt die Spinne hinab, krabbelt blitzschnell über die Bettdecke, verschwindet vor Evas Augen in einer Bettfalte. Der Schrubber knallt auf den Parkettboden. Jürgen gibt einen lauten Unwilligkeitsstöhner von sich.

Na warte, gleich hab ich dich!

Zwischen den Fingern ihrer beiden Hände presst Eva den Bezug an der Stelle des Spinnenverstecks zusammen, drückt ihn gegen die Matratze und schlägt sicherheitshalber mit dem Handballen noch einmal darauf. So! Als sie die Falte auseinander zieht, verzieht sie ihr Gesicht. Der eklige, braun-gelbe Fleck befindet sich am unteren Ende des Bezugs. Eva reibt darüber, versucht, den Fleck so gut wie möglich mit dem Papier zu entfernen.

Morgen früh wechsele ich sowieso die Bettwäsche.

Aber nun ist ihr kalt, das Fenster steht in Kippstellung. Eine Gänsehaut überzieht ihre Arme und Beine. Obwohl sie schnell friert, könnte die Temperatur im Schlafzimmer, wenn es nach Jürgen geht, bis auf Polarkälte herunter gefahren werden. Hastig schlüpft sie unter die Decke zurück, wo Jürgens schweißnasse Rückenpartie die Hitze eines gerade aus dem Ofen geholten Backsteins abstrahlt. Jeder halbwegs normale Mann, denkt Eva, muss doch be¬greifen, dass man nachts einen Schlafanzug anzieht. Zumindest ein T-Shirt, damit der Schweiß nicht die Laken verklebt. Jürgen schläft nackt, immer. Zitternd löscht sie das Licht und kuschelt sich unter die Decke.

Sie hört den Regen auf die Dachrinne über dem Schlafzimmerfenster trommeln. Jetzt sollte sie endlich einschlafen! Bis zum Aufstehen bleiben ihr höchstens noch vier bis fünf Stunden. Unter solchen Bedingungen schreibt sie nie einen guten Roman.

Da stülpt ihr Jürgen, Unverständliches grummelnd, seine Arme über Schultern und Kopf, so hart und schwer, dass Eva sich kaum mehr zu rühren vermag. Besitz¬ergreifend und einengend, denkt sie verbittert, so ist er, sogar noch im Schlaf.

Es geht nicht anders, irgendwie muss sie ihn von ihrer Bettseite kriegen. Kurz überlegt sie, die Bettseiten zu tauschen. Allein der Gedanke, dort noch mehr Haare als auf ihrem eigenen Laken vorzufinden, schreckt sie ab. Kurz entschlossen kniet sie sich hin. Resolut kreuzt sie ihrem Ehemann die Arme vor der Brust und schiebt seinen Oberkörper unter Ganzkörpereinsatz auf dessen eigene Bettseite hinüber.

Jürgen quengelt missmutig im Schlaf.

Egal! Jetzt noch die Beine, beschließt Eva, erneut verwundert über die Sanftheit seiner Gesichtszüge im Widerschein des beleuchteten Radioweckers. Warum nicht gleich so! Erleichtert will sie aufatmen, als er sich stöhnend herumdreht und Rücken und Hinterteil auf ihre Bettseite zurückschiebt, als sei es die einzig wahre, ihm angestammte Lage.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, empört sich Eva.

Jürgen beginnt leise zu schnarchen.

Was sagte er früher immer? Ich will dich mit Haut und Haar. Pah! Und sie hielt das noch für eine Liebeserklärung! Pikiert schiebt sie seinen Arm beiseite und fährt sich mit dem Zeigefinger unter die kribbelnden Nasenlöcher, in denen sich Büschel von Jürgens Armbehaarung eingenistet haben.

Wofür ist sie überhaupt noch gut? Um seine Haarbüschel nachts in sich eindringen zu lassen?

Einfach scheußlich, wenn einem so abwegige Gedanken kommen, mitten in der Nacht. Sie knipst die Nachttischlampe an. Halb vier. Knipst sie wieder aus. Was für ein Leben, denkt sie ratlos und starrt in die Dunkelheit. Zum Glück ist wenigstens keine Spinne mehr da.

Sie denkt daran, was sie sich als Teenager vorgestellt hat, unter einem Mann, der einem den Schlaf raubt und eine Gänsehaut macht. Das Ergebnis dieser Fehleinschätzung liegt neben ihr, seit mehr als zwanzig Ehejahren! Oder etwa schon fünfundzwanzig? Sie merkt sich das Jahr ihrer Hochzeit nicht, und nachrechnen will sie schon gar nicht. Sie ist nicht wie andere Frauen. Auf das Jetzt kommt es ihr an.

Was bedeutet sie ihm eigentlich noch? Wertlos wie der hässliche Vitrineneckschrank seiner Mutter kommt sie sich vor. Den kann er nicht leiden, doch stellt er ihn nicht in den Keller. Aus lauter Bequemlichkeit. Aber selbst so ein Wohnzimmermöbel wird ab und an noch mal anständig poliert. Ein Glucksen entweicht ihr. Sie grinst, wenn auch leicht gequält, in die Schwärze des Zimmers.

Eine Veränderung muss her, eine wesentliche. Sie wird ihn vollstopfen, ihren symbolischen Schrank, mit lauter schönen Sachen, so voll, dass Jürgen Mühe haben wird, ihn zu bewegen.

Anders geht’s nicht. Durch diese neue Zukunftsperspektive halbwegs beruhigt, schmiegt sie sich in ihr Kissen. Kurz darauf fangen Morpheus’ erlösende Arme sie auf und übergeben sie ihren Träumen.

Kurze Zeit später, nach einem Aufschrei und am ganzen Körper zitternd, sitzt sie aufrecht in ihrem Bett. Mit angezogenen Beinen, die Daunendecke bis an das Kinn hochgezogen, tastet sie nach dem Schalter der Nachttischlampe. Ein Albtraum, denkt Eva, bleischwer atmend, es war nur ein Albtraum, doch das unheimliche Gefühl hält an. Sie öffnet die Augen, um es zu vertreiben.

Die Morgendämmerung kauert bereits in den Schlafzimmerecken, als sie blinzelnd einen Blick auf den Radiowecker wirft. Halb sechs. Vom Nachbargrundstück kräht der Hahn und der Morgenzug rauscht vorbei. Sie erinnert sich an ihr Vorhaben. Gleich nach dem Aufstehen wird sie es umsetzen. Dann schläft sie noch einmal für kurze Zeit ein.

Nägel mit Köpfen

Etwas unangenehm ist es ihr Jürgen gegenüber nun doch. Aber noch hängt ja alles von seiner Reaktion ab. Sie steigt die Treppe hinauf, in sein chronisch unaufgeräumtes Home-Office. Wie viel Unrat hier wieder herumliegt in diesem Büro, für das seine amerikanische Halbleiterfirma nicht einmal Miete zahlt! Dafür müssen Briefumschläge, Briefmarken, Druckerpatronen minutiös abgerechnet, und ausgemusterte Geräte der Firma wieder abgeliefert werden. Ihr Vorhaben, einem weniger betuchten Autorenkollegen mit einem der ausgedienten Laptops zu beglücken, kann Eva jedenfalls vergessen.

Worauf es ankommt, ist ‚getting the job done‘. Jürgen könnte ebenso gut auf einer Müllkippe arbeiten, seinen Vorgesetzten wäre das gleichgültig, solange er sich pünktlich zu den Telefonkonferenzen andockt und die Mails sogar nachts hin- und herfliegen. Weniger egal sind der Direktion die ihm zustehenden quartalsmäßigen Bonis, die ihm regelmäßig, mit den perfidesten Begründungen, heruntergekürzt werden.

Eva sieht ihn mit gebeugtem Rücken vor seinem Rechner sitzen. Irgendwie tut er ihr leid, so angestrengt wie er vor ihr auf den Bildschirm starrt und schnell, so dass sie keine der aufgeführten Positionen erkennen kann, irgendwelche Tabellen herunterscrollt. Anscheinend arbeitet er gerade sein ‚Weekly‘ aus und will für den Eva unendlich erscheinenden Rest des Tages, von ihr wie immer nicht gestört werden. Wortlos stellt sie sich neben ihn, bis er mürrisch den Blick hebt und wie abwesend murmelt:

„Was ist?“

„Ich will dich nicht lange stören.“ So rasch und deutlich wie möglich schildert sie ihm ihr Vorhaben, nicht ohne nebenbei zu erwähnen, dass sie – seinetwegen! – die Nacht über kaum geschlafen hat. Er bewegt seine Maus, blickt kurz auf, grummelt: „Ist gut, meinetwegen.“

„Ist das alles?“

„Ja, mach!“ Er macht eine abweisende Geste und wendet sich erneut seinem Bildschirm zu.

Na, wenn das so ist! Erbost hechtet Eva in ihr Arbeitszimmer zurück, sucht im Telefonbuch die Nummer der „Kölner Morgenzeitung“ heraus und verlangt die Anzeigenabteilung.

Eine Stimme, so sanft und wohlwollend wie Abwehrspray für bissige Hunde, bellt ihr durch den Hörer ins Ohr:

„Kölner Morgenpost, Anzeigenabteilung Schmitz - Rubrik?“

„Wie bitte? Ach so ja, also … Bekanntschaften … glaube ich.“

„Gläuve es joot för de Kirch!“

„Wie bitte?“

„Jo han Se sech dat nit vürher üvverlaaht?“ *1

„Entschuldigen Sie bitte, ich mach‘ sowas zum ersten Mal.“

„Se roofe he an un wesse dat nit?“ *2

„Doch, ich sagte es doch: Bekanntschaften.“

„Name? Adress?“

„Meine?“

„Wat söns, meine Dame, nu maache Se ens.“ *3

„Eva Mai, Maivögelweg drei.“

„Mai, wie de Johreszigg?“ *4

„Ja, wie der Monat.“

„Adress!“

„Maivögelweg drei.“

„Vögel wie et vöjele?“ *5

„Maivögel.“

„Sin ich ne Doof? Vögelnweg, richtig?“

„Ja, aber Mai, Maivögelweg 3.“

„Zweimol Mai?“

„Ja, aber Vögel ohne N hinten!“

„Dat es alsu wie dä chines Künsler. Weiwei demnoh, nor mit en m?“ *6

„Ja, aber mit A.“

„Zweimol A?“

„Ja!“

„Ich widderholle: Name: Eva Maimai, mit A, Vögelnweg – Huusnummer?“ *7

„Nein, bitte, nur einmal Mai, Eva Mai …“

„Do weste beklopp! Ich hat Se jrad jefrog un se han zweimol Mai jesaat!“ *8

„Mai, Maivögelweg drei! Zweimal Mai.“

„Saach ich doch, alsu: Eva Mai-Mai, Maiweg, Huusnummer?“

„Drei.“

„Drei? Se han doch jrad zwei jesaat! Hürens, Frau Mai-Mai, nemme se dat nit krumm, ävver ich han kein Zick för eröm ze spille, ich kann dat doch nit wesse, un wenn Se dat nit wesse dun, es dat janz schlech, hüren Se, Se sin nit allein he in dä Leitung …“ *9

„Nein, hören Sie mal bitte richtig zu, ich heiße Mai, nicht Maimai, und wohne im Maivögelweg drei!“

„Saach ich doch de janze Zick, ävver Se ungerbräsche misch unungerbroche. Isch widderholle: Eva Mai, Maiweg, Huusnummer, Veedel?“ *10

„Wie bitte?“

„Dat Veedel, de Poßleitzahl, de Huusnummer?“ *11

„Vogelsang, Postleitzahl 50829, Hausnummer drei.“

„Jetz künne Se et ävver zojeve, dat Se zwei jesaaht han!“ *12

„Möchten Sie mir vielleicht besser eine Ihrer Kolleginnen geben?“

„He es et wie et es, no maache Se mich doch nit verröck, wat kütt dann jetz noch? Nä, nä, dat han se noch nit jehoot …“ *13

„Auf Wiederhören!“

„Wat fott es, es fott, wat wellste maache!“ *14

Eva knallt den Hörer auf. Wo ist heute wohl nicht der Wurm drin? Sie setzt sich vor die Tastatur ihres PCs, tippt ihren Namen, ihre Adresse und den Text ein, und bittet um Veröffentlichung in der Wochenendausgabe:

Autorin sucht Protagonisten - männlich-markantes Modell (ab 50) - als Vorlage für nächsten Bestseller. Nur ernst gemeinte Zuschriften unter: [email protected].

Dann druckt sie die Seite aus, steckt sie in einen Briefumschlag, schreitet mit erhobenem Kopf in das Gästebad auf der gleichen Etage und wirft einen Blick in den Spiegel. „Wie Angelina Jolie“, murmelt sie, „werde ich nie aussehen, aber mit Christine Neubauer kann ich noch allemal mithalten. Und das nicht nur, weil ich schlanker bin und nicht so ölig daherrede.“

Aber am Haaransatz entdeckt sie ein paar weiße Strähnen. An einer Straßenecke in ihrer Nähe hat ein italienischer Friseur einen neuen Salon eröffnet. Bei dem wird sie sich einen Termin geben lassen, zum Tönen oder Nachfärben und nach Einbruch der Dunkelheit wird sie eine Runde drehen um frische Luft zu schnappen und den Umschlag eigenhändig in den Briefkasten stecken.

Beste Freundinnen

„Ist nicht dein Ernst!“, empört sich Monika auf der anderen Rheinseite durchs Telefon, „sag mal, was suchst du eigentlich? Eine von diesen salmonellenverseuchten Tauben auf dem Dach? Die schneeweiße Taube, von der du träumst, gibt es nicht! Was glaubst du wohl, warum ich keinen Kerl habe? Dein Jürgen ist doch wirklich ein Lieber!“

Das also zum Thema Freundschaft! Eva sieht die Freundin kopfschüttelnd vor sich. So reagiert sie auf meine Probleme?, fragt sie sich pikiert. Monika mag Jürgen, klar, aber zuerst ist sie schließlich ihre beste Freundin!

Monika Martens, eine brünette, einst gertenschlanke Orthopädin, seit fast fünfzehn Jahren geschieden, arbeitet in eigener Praxis. Als junge Frau eine hervorragende Sportlerin, hat sich die jetzt dralle Fünfzigjährige früh auf Sportmedizin spezialisiert. Seit ihre Kinder aus dem Haus sind, lassen sie kaum von sich hören. Ein großer Kummer, den die langjährig alleinerziehende Frau tapfer zu verbergen sucht.

„Ein Lieber, genau“, kontert Eva verbohrt, „nur dass dieser ach so liebe mir Angetraute sein Büro vor 22 Uhr nicht verlässt, sein Abendessen wortlos verdrückt und sich danach vor die Glotze pflanzt und zwar für den großartigen Rest unseres heimeligen, ehelichen Abends. Das geht bestimmt schon zwei Jahren so.“

Darüber, dass er auch genauso lange mit jener männlichen Lieblingsbeschäftigung geizt, zu der einen bestens beleumundete Wetterfrösche angeblich mit Messern zu zwingen belieben, will sie mit Monika nicht reden. Noch nicht.

„Wenn er aber doch so viel Arbeit hat …?“ Als Alleinverdienerin weiß Monika wovon sie spricht. Doch Eva ist ganz und gar nicht in der Stimmung, ihre mühsam gewonnene nächtliche Erleuchtung so bald überschatten zu lassen.

„Ich hab‘ schon Schlafstörungen seinetwegen! Aber er bemerkt eher einen Temperaturabfall um anderthalb Grad vor dem Fenster, als dass er von mir etwas mitkriegt!“

„Um anderthalb Grad? Alle Achtung, das ist doch sehr feinfühlig!“

„Du kennst eben den Unterschied zwischen den halb nackten Femen und unserer Ehe nicht!“, entrüstet sich Eva.

„Nackte Femen?“

„Hast du das nicht gelesen? Die sind doch auf der Hauptstraße im Zentrum von Tunis barbusig und bemalt aufgetreten! Das musst du dir einmal vorstellen, ausgerechnet in so einem Land, wo es mehr als genug von diesen Moslembrüdern gibt, denen sie dadurch obendrein politisches Futter liefern.“

„Und was hat das mit eurer Ehe zu tun?“

„Für die Femen war der Albtraum ihres anschließenden Gefängnisaufenthalts wenigstens nach wenigen Monaten beendet.“

Eine Weile herrscht Funkstille. Eva fragt sich, ob sie Monika mit ihrem Problem wohl zu viel wird, als diese den Faden wieder aufgreift.

„Komm Eva, nun sag schon was los ist, also hattest du einen Albtraum?“

Vermutlich hält Monika das alles für kindisch und streckt den Hörer kopfschüttelnd vom Ohr weg, denkt Eva. Und dieses Wohlwollen in ihrer Stimme! Versteht sie mich überhaupt noch? Eva ist unsicher, andererseits will sie diese Frage nicht verneinen und antwortet.

„Genau.“ Ihre Zustimmung platzt wie ein Schluchzer aus ihr heraus. Mit der freien Hand sucht sie in den Jeanstaschen nach einem Taschentuch. Jetzt bloß nicht auch noch heulen!

„Na komm, spuck’s schon aus!“, drängt Monika.

Eva zögert einen kurzen Moment, denkt: Sie ist ungeduldig. Wer weiß, was sie in Unkenntnis der Situation aus diesem Traum alles ableitet?

Tränen sind salzig und machen alt!

Eva tupft sich die Wangen ab, etwas widerstrebend stammelt sie dann aber doch: „Es war absolut furchtbar … Da stand eine Abfalltonne in unserem Flur, so eine graue, du weißt schon, wie für den Restmüll ...“

Monika räuspert sich.

„Interessiert dich das überhaupt?“

„Natürlich! Was soll die Frage?“

„Also, da warf jemand vor meinen Augen ein brennendes Holzscheit hinein, stopfte Zeitungspapier darüber und verschloss den Deckel.“

„Verstehe, und danach brannte dann euer Haus ab?“

„Schlimmer!“

„Meine Güte Eva, das war ein Traum, vielleicht hattest du vorher zu viel gegessen? Fette Sachen, die schwer im Magen lagen?“

„Nein, abends doch nicht! Sag mal, langweile ich dich?“

„Nein, tust du nicht, aber was soll das, du fragst mich das jetzt schon zum zweiten Mal!“

„Bin eben immer noch angeknackst wegen der schlaflosen Nacht - es war wirklich grauenvoll.“

„Na komm, erzähl schon!“

„Ich hatte mich gerade beruhigt, und da es auch nach einer Weile aus der Tonne nicht qualmte, nahm ich an, dass das Feuer mangels Luftzufuhr erstickt sei. Dann kam dieser Typ zurück, der mit dem brennenden Holzscheit und kippte lebende Singvögel aus einem Käfig direkt in die Tonne, stopfte Kartons und zerknülltes Zeitungspapier darüber, ließ aber diesmal den Deckel offen. Es fiepte, raschelte und verbrannte Papierfetzen flatterten nach oben. Ich starrte wie gebannt auf die Tonne. Kein einziger Vogel schaffte es heraus - die auf ihnen liegende Last war zu schwer. Statt dessen stieg eine dicke Rauchfahne auf. Wie versteinert lauschte ich zu der Tonne hin, bis das Geräusch der Flügelschläge sich abschwächte und schließlich erstarb.“

„Und dann?“

„Bin ich aufgewacht, von meinem eigenen Schrei.“

„Verstehe, aber mach dir doch keine Vorwürfe, dir kann man beim besten Willen keine Gleichgültigkeit vorwerfen. Du hättest die Vögel doch sofort befreit.“

„Im Traum aber nicht, ich konnte es nicht. Das ist es ja gerade.“

„Man träumt allen möglichen Mist“, sagt Monika mitfühlend.

„Begreifst du denn nicht? In diesem Traum ging es um mich! Ich bin es, die so hilflos wie einer dieser Vögel herumstrampelt. Das wollte der Traum mir doch ganz bestimmt sagen.“

„Und was hat Jürgen damit zu tun?“

Mit schräg gestelltem Fuß scharrt Eva über den Teppichboden.

„Ich nehme ständig Rücksicht auf ihn, aber umgekehrt? Kannst du vergessen! Er unterstützt mich nicht, wenn ich ihn brauche.“

„Gib mal ein Beispiel.“

„Gestern Nachmittag, ich hatte ein Problem mit dem Rechner und er natürlich mal wieder keine Zeit. Verstehe ich ja, deshalb habe ich geduldig gewartet! Glaub‘ ja nicht, dass er nach meiner Bitte irgendwann zu mir herunter kam, um mir zu helfen! Als abends in der Glotze die Reklame lief, sprach ich ihn ein zweites Mal darauf an. Aber meinst du, der kriegt seinen Hintern für mich hoch? Pustekuchen!“

„Er will eben mehrfach von dir gebeten werden.“

„Genau! Ich muss dauernd betteln! Ihm ist es egal, wenn bei mir was nicht klappt, er nimmt es nicht ernst. Soll ich ihm die Füße küssen, damit er mir hilft? Als er sich endlich bequemte, das PC-Dilemma unter die Lupe zu nehmen, wurde er anmaßend, ‚gib es doch zu‘, sagte er, ‚du hast wieder mal an irgendeiner Stelle die Maus gedrückt und alles verstellt‘, klopfte abgedroschene Macho-Sprüche und grinste wie immer dabei. In Wirklichkeit kapierte er nämlich selbst nicht, was mit dem blöden Kasten los war, hatte Angst, seine dämliche Sendung zu verpassen. Da hast du den Beweis: Alles ist ihm wichtiger als ich.“

„Und wie hast du darauf reagiert?“

„Beherrscht, hab‘ ich mich, wie immer zuerst, aber es fehlte nicht viel und ich hätte losgeheult. Ich fühlte mich so ohnmächtig und von ihm abhängig. Um das abzuwehren, wurde ich wütend. Ist es ein Wunder, dass ich danach diesen Traum hatte? Ich habe ihn angeschrien: divorce is better than murder! Da hat er gelacht, kam auf mich zu und wollte mich auch noch umarmen! ‚Du bist doch meine Beste!‘, sagte er. Mit so einem Mist veräppelt er mich ständig in solchen Situationen …“

„Ach, der meint das doch nicht so! Aber sich scheiden lassen? Was für ein Quatsch! Wegen sowas? Von Jürgen? Du spinnst! Gut, der mosert vielleicht ein bisschen herum, aber das gibt sich. Ist doch kein Zufall, dass ihr schon so lange zusammen seid.“

„Kriegsjahre zählen doppelt. Aber im Ernst: Ich wäre schon lange gegangen!"

„Ach, und was hat dich daran gehindert?“

„Du klingst sarkastisch, aber ich will es dir sagen: Meine Überzeugung. Eine Ehe ist schließlich kein Weihnachtsfest. Geschenklose Zwischenzeiten müssen geduldig überwunden werden. Nur deshalb hab‘ ich das bisher ausgehalten! Aber ich kann nicht mehr, bin am Ende mit meinem Latein. Ich will etwas verbessern, ändere mein Verhalten, gebe mir Mühe. Alles prallt an ihm ab. Mag sein, dass ich es nicht richtig anstelle, aber ich überprüfe mich, hol‘ mir ständig Rückmeldungen von dir. Er würde nie sowas machen. Also bringt das doch alles nichts.“ Eva stiert hilflos vor sich hin.

Monika hüstelt bedeutungsvoll. „Und wenn du selbst in die Bedienungsanleitung guckst?“

„Hab‘ ihn mehrfach danach gefragt, er sagt, er hat keine.“

„Dann besorg dir Ersatz aus dem Internet, du bist doch sonst so patent.“

„Du verstehst das nicht! Ich will schreiben! Wenn ich mich dafür erst zur Computerspezialistin entwickeln muss, kann ich meinen Roman gleich vergessen. Ich soll ständig drei Sachen gleichzeitig erledigen, aber er nimmt sich nicht einmal Zeit für mich, wenn die beschissene Fernsehreklame läuft? Wieso hilft er mir nicht?“

„Weil Männer nun einmal so sind, das was du kannst, können die nicht!“

„Ach so? Genau damit rechtfertigt er sich nämlich! ‚Frauen‘ sagt er, ‚sind es gewohnt, drei Sachen auf einmal zu machen‘. Das ist doch das Letzte! Also darf er seine Arbeit in Ruhe erledigen und meine geht ihm am Allerwertesten vorbei? Da spiel ich nicht mit!“

„Nun beruhige dich erst mal, auf jeden Fall ist es zu spät.“

„Wofür zu spät?“, mault Eva uneinsichtig.

„Für einen Ersatzmann. Den findet man nur, wenn man jung ist!“

„Ach komm, sieh dir die Leute doch an, heutzutage wechseln die ihre Partner fast schneller als ihre Zahnbürsten“

„Und wohin führt das?“

„Zu ständig steigenden Scheidungsraten.“

„Eben. Dann sagst du es ja selbst, wechseln bringt auch nichts. In unserem Alter bleibt man bei dem, was man hat.“

„Also keine Chance, eine richtig gute Partnerschaft zu wagen?“, entrüstet sich Eva. „Die Kinder sind aus dem Haus, man muss doch nicht unbedingt heiraten. Ich hab‘ ewig gebraucht, um sämtliche dämlichen Weiberklischees in meinem Hirn auszulöschen und noch länger, sie durch realistische Einstellungen zu ersetzen. War schon verdammt lange volljährig, als ich begriff, dass ich für das, was mir gut tut, selbst sorgen muss. Folglich spielt das Alter dabei eine ganz andere Rolle. Jürgen will mich abhängig von sich, zu einem Kleinkind machen. Das Schlimme ist: Ich ertappe mich immer öfter dabei, dass ich mich schon wie eines benehme.“

„Das macht es ein gutes Stück einfacher für ihn.“

„Eben. Erinnerst du dich, wie gut ich früher mit Technik umgehen konnte? Eine kurze Erklärung durch den Techniker und der Ablauf meiner Seminare war gesichert. Heute kann ich mit dem neuen HD-Fernseher, den Jürgen natürlich ohne mich gekauft hat, nicht einmal mehr eine Sendung aufnehmen. Steh‘ wie ein blökendes Rindvieh vor dem dämlichen Kasten. Jürgen erklärt mir nichts, gar nichts, und wenn ich ihn um Erklärungen bitte, hat er gerade keine Zeit, eine Bedienungsanleitung hat er angeblich nicht. Es ist genau, wie du sagst: Muss unheimlich beruhigend sein, seine Frau von sich abhängig zu wissen.“

„Trotzdem, auf seine Art liebt er dich. Midlife-Crisis, Burnout-Syndrom, was weiß denn ich? Vermutlich ist er schlicht und einfach überarbeitet. Außerdem: Er ist Ingenieur, was erwartest du da? Die kommen während des Studiums mit Frauen kaum in Berührung und später fehlt ihnen dafür die Zeit. Wie sollen sie denn lernen, dass eine Frau anders tickt als ein technisches Gerät? Wo sie doch selbst nicht mal Zeit haben, Bedienungsanleitungen zu lesen, aber ständig die technischen Experten sein müssen.“

„Bedienungsanleitung, gutes Stichwort! Ich habe mir echt überlegt, ihm eine für mich aufzuschreiben. Gerade noch rechtzeitig besann ich mich darauf, wie sinnlos das wäre. Noch mehr verlorene Zeit wär‘ das gewesen. Lesen würde er sie ja sowieso nicht. Aber was ist denn seit Jahren das Lieblingsthema sämtlicher Frauenzeitschriften? Partnerprobleme! Der Literaturmarkt wird von Ratgebern überschwemmt. Und wer liest das? Ausschließlich Frauen! Ständig bemüht, ihre Kerle zu verstehen, trotz Berufsstress, Kindern und Haushalt. Und was lesen die Männer? Fachzeitschriften. Nur das Fach Partnerschaft studieren sie offenbar nie. Übrigens, Elodie gegenüber reagiert er ganz anders. Einmal habe ich ihn darauf hingewiesen, auf den Unterschied seiner Reaktionen ihr und mir gegenüber. Weißt du, was er mir geantwortet hat?“

„Na?“

„Deine Lieblingstochter versteht ja auch etwas von Technik! - Meine Güte, die ist damit aufgewachsen, hat jede Menge männliche Freunde, die sich nicht zu schade sind, ihr alles geduldig zu erklären. Entschuldige, dass ich dich zumülle mit meinem Mist, aber ich musste das wirklich mal abladen.“

„Keine Sorge, ich mach den Deckel zu, wenn mein Mülleimer voll ist, ohne Vögel. Aber wenn ich an die Engelsgeduld denke, die du für deine Tochter aufbringst, verdienst du glatt einen Heiligenschein und hast auf jeden Fall mein Verständnis. Was treibt die denn eigentlich?“

„O je. Neulich war ich bei ihr in der Nähe. Geh mal kurz zu ihr hoch, dachte ich, auf einen Kaffee. Sie öffnete die Tür, und ich glaubte, ich sehe nicht recht. Behängt wie ein Weihnachtsbaum war sie, nur statt mit Lametta mit blauen Bändchen.“

„Die Tür?“

„Nicht die Tür, Elodie!“

„Aber wieso …mit was für Bändchen?“

„Frag‘ mich was Leichteres! Eines hatte sie sich sogar um die Ohrmuschel gebunden.“

„Und wozu soll das gut sein?“

„Für ihr Hals- und Kehlkopfchakra, erklärte sie mir. Keine Angst, ich hab‘ nichts gesagt, hätte ja doch nur Ärger gegeben. Aber du kennst mich, wir leben im 21. Jahrhundert und da gibt es Leute, die ticken, als lebten sie im Mittelalter, entfernen sich mit haltlosen Glaubenstheorien oder esoterischen Spinnereien von der Realität. Wir müssen die schließlich auch aushalten! Aber wenn es sich dabei um deine eigene Tochter handelt, könntest du verrückt werden, oder nicht? Darf gar nicht daran denken, so regt mich das auf. Weißt du was? Ich dreh‘ jetzt mal ‘ne Runde mit dem Fahrrad durch den Wald.“

„Gute Idee. Versuch, dich zu beruhigen.“

„Genau! Tschö, ne, machet joot.“

Wie Federbälle werfen die beiden Nichtkölnerinnen sich gegenseitig die wenigen, ihnen geläufigen Brocken Kölsch zu. Eine Gewohnheit, die sie zusammenschweißt.

„Machet besser.“

„Du och.“

„Bis die Tage.“

„Tschö, ne.“

„Tschötschö.“

Nur ihr Portemonnaie braucht Eva noch, auf dem Rückweg will sie Gemüse für das Mittagessen einkaufen. Nachdem sie vier verschiedene Handtaschen nach ihrer Geldbörse durchpflügt hat, wird sie in ihrer Nachttischschublade fündig. Finde ich es nicht, findet es auch ein Einbrecher nicht so schnell, irgendwie beruhigend, sinniert sie.

Donnerstag

22:30 Uhr. Noch immer hockt Jürgen in seinem Büro. Eva entkleidet sich, lässt heißes Badewasser einlaufen, ohne dabei gleichzeitig den Kaltwasserhahn aufzudrehen. Fliesen und Spiegel beschlagen. Beim Einfüllen flutscht ihr die volle Flasche mit dem Badezusatz aus den Händen und fällt in die Wanne, aus der jetzt Schaum aufsteigt, sehr viel Schaum. Eine Duftmischung von Patchouli, Zimt und Vanille erfüllt den Raum. Eva steckt kurz ihren Arm ins Wasser und zieht ihn ruckartig wieder zurück. Hastig dreht sie am Kaltwasserhahn, tastet durch den Schaum nach der Flasche. Verdammt, was ist heute bloß los?

Sie betrachtet ihren feuerroten Arm, wobei ihr die Worte der Frau von der Anzeigenaufnahme einfallen: Sin ich ne Doof?, sie unwillkürlich zu lachen beginnt und überlegt, den Ablaufstöpsel zu ziehen. Aber was soll das bringen? Das Wasser läuft ab und der Schaum bleibt in der Wanne. Also wartet sie einen Moment, hievt einen Fuß über den Rand und taucht ihn ein, um die Höhe der unsichtbaren Wannenfüllung und die erreichte Wassertemperatur abzutasten. Nach einer Weile manövriert sie ihren Körper in die erst halb volle Wanne. Ist doch filmreif, denkt Eva, ein alternder Star in einem Hollywoodschmachtfetzen. Aber es ist nicht Gary Grant, der jetzt die Tür öffnet und seinen Kopf hereinschiebt, sondern Jürgen.

„Na dir geht’s aber gut!“

„Ja-a, ginge es noch jemandem so gut wie mir, hätte ich eine Zwillingsschwester! Aber wieso sagst du das?“

„Ich freu‘ mich, dass wir gesund sind und uns noch dazu lieben.“

Ungläubig starrt Eva aus ihrem Badeschaumsarkophag.

„Ja mein Gott“, sagt Jürgen, „stell dir bloß einmal vor, wir lebten in Syrien, im Iran oder in Ghaza ... habe gerade die Nachrichten gehört.“

Ein wenig schämt Eva sich schon, aber kontert sie betont süßsauer: „Göttin!“

Das Ritual hat sich bei ihnen eingeschlichen, wie der Hühnerdieb unters Federvieh.

„Aber klar, meine einzige Göttin, ich freue mich, dass du es dir gut gehen lässt.“ Er kommt auf sie zu.

„Wenn du nicht nachts um halb elf noch die US-Welt retten müsstest, könntest du jetzt hier neben mir liegen.“

Halb lüstern, halb bedauernd sieht er sie an und streicht ihr übers Haar.

„Die Welt retten? In solcher Erwartung verliehen sie Obama den Friedensnobelpreis. Jetzt schau dir mal an, was daraus geworden ist!“ Er steckt seine Hand in das Badewasser und zieht sie sofort zurück.

„Unglaublich, wie heiß ihr Frauen baden könnt, das hältst du aus?“

„Für mich gab‘s in letzter Zeit Schlimmeres, als heißes Badewasser …“, bemerkt Eva trocken, in der Hoffnung, er würde nun nachfragen.

Aber er sagt nur: “Mein armes Schmäuschen“, und drückt ihr schnell einen Kuss auf die Stirn.

„Was soll das überhaupt heißen?“

„Was?“

„Dieses idiotische Wort, mit dem du mich ständig traktierst, Schmäuschen.“

„Das ist eine Abkürzung von Schmusemäuschen“, sagt er und grinst.

„Schau mal in die oberste Schublade von meinem Schreibtisch“, sagt Eva.

„Was liegt da?“

„Ein Stapel Visitenkarten, auf denen mein Name steht, ziemlich groß sogar. Ich kann diese Kindereien nicht ausstehen!“

„Mein armes Schmäuschen, was hast du nur für einen Ehemann! Ich versprech‘ dir, ich mach‘ nicht mehr lange, bis gleich.“ Er grinst, dreht sich um und schließt die Tür hinter sich.

Einen Moment lang starrt Eva fassungslos auf die Tür. Der Typ ist wirklich …! Sie rutscht bis zum Kinn unter Wasser, wozu sie die Beine anwinkeln muss. Dann geistert der Ohrwurm von Helga Feddersen und Dieter Hallervorden in ihrem Kopf herum: Die Wanne ist voll! Auch wenn diese Tatsache, außer was den bis über den Rand aufsteigendem Schaum angeht, hier bisher noch immer nicht zutrifft.

Der sich wiederholende Text entspannt Eva ebenso, wie er sie verstört. Würde sie, wie die Feddersen in dem Lied, ihren Mann dazu auffordern, mit ihr gemeinsam in die Wanne zu steigen, wäre das hoffnungslos. Er duscht lieber, und zwar alleine. Eva blickt den durch die Luft fliegenden Schaumbällchen nach und überdenkt ihren in der letzten Nacht gefassten Plan.

Würde Monika Jürgen nicht jedes Mal so heftig verteidigen, wäre sie wahrscheinlich längst bei einem Anwalt gelandet. Und zwar mit Sicherheit wieder bei einem, dem die Beziehungen und Gefühle seiner Mandanten völlig egal sind. Wie bei ihrer Scheidung von Werner, dem der Anwalt ein provozierendes Schreiben gesandt hatte. Sie strebe kein Schlachtfest, sondern eine faire Scheidung an, hatte sie protestiert, schließlich sei sie viele Jahre mit diesem Menschen verheiratet gewesen. Worauf der Anwalt sie fragte, ob sie ihren Ehemann wiederhaben wolle und ihr anbot, sein Mandat niederzulegen. Doch der Brief war schon raus und der gegnerische Anwalt unterschied sich in keinster Weise von dem ihren, und wusste die daraus entstandene Missstimmung bestens zu nutzen.

Bei Streit und unter Stressbedingungen trifft man keine Entscheidungen, denkt Eva. Aber auch jetzt ist ein Brief bereits abgeschickt.

Die Ehe ist wie eine Wanne mit Badewasser, stellt Eva fest. Es dauert ziemlich lange, bis es so angenehm temperiert ist, dass man sich darin wohlfühlen kann. Aber kaum liegt man länger darin, kühlt es sich ab. Und füllt man dann heißes Wasser nach, riskiert man, sich zu verbrennen.

Eva ist überzeugt, sich Jürgen gegenüber vernünftig und fair zu verhalten. Aber sie ist der Meinung, dass spätestens dann, wenn sich ihr Kerl abends im Bett umdreht, ihr seinen haarigen Rücken entgegenstreckt und das Gutenacht-Sagen vergisst, eine Frau kräftig die Alarmglocken ziehen sollte. Welche Frau außer ihr konsultiert bei Eheproblemen schon eine Freundin, die beständig die Interessen ihres Partners verteidigt? Noch fairer kann man nicht sein! Allerdings wäre sie mit Eheproblemen niemals zu Hiltrud gegangen!

O je, Hiltrud! Was aus der wohl geworden ist? Ob sie tatsächlich schon in ein Kloster gezogen ist? Krebsrot lugt Eva aus ihrem Schaumbad. Vergiss sie, weist sie sich an.

Und nein, mangelnde Fairness kann man ihr nicht unterstellen. Schließlich sorgt sie sich um Jürgen. Aber was ist bloß los mit dem Kerl? Stellt sie zu hohe Ansprüche? Ist sie ihm zu bieder geworden? Zu hausbacken? Soll sie noch mehr oder eher weniger für ihn tun?

Jetzt aber raus aus der Wanne! Sie rubbelt sich ab, streift sich ein langes Nachthemd über, schnappt sich ein Buch und legt sich ins Bett. Doch kann sie sich nicht konzentrieren. Unruhige Gedanken umschwirren sie wie ein Schwarm asiatischer Heuschrecken. Einfach nicht bewegen, beschließt sie, vielleicht lassen die dann von mir ab und ich schlafe von allein ein.

Jetzt, mit fünfundfünfzig, ist Jürgen noch immer der lep¬to¬some Nicolas Cage-Typ, in den sie sich vor einer Ewigkeit verliebt hat, obwohl sie damals eigentlich für blonde Männer schwärmte. Heute hält sie Jürgen für wesentlich attraktiver. Außerdem ist er wahrscheinlich nicht schwul. Ist dieser Cage überhaupt schwul? Richtig sicher ist sie sich bei beiden nicht. Das ist es ja gerade.

Morgens im Schlafzimmer, wenn er an ihr vorbei ins angrenzende Bad schleicht, öffnet sie einen Spalt breit die Augen. Dann grummelt er ihr schlaftrunken zu: „Mach die Augen zu, schlaf weiter.“

Kommentiert sie das, was sich ihr hoch aufgerichtet in Bestform präsentiert, mit Worten wie: „Wow, was für ein leckerer Kerl“, und streckt ihre Arme nach ihm aus, sagt er strahlend: „Gehört alles dir!“

Rituale, Rituale. Nur, dass die gesamte, ihr eben zum Eigentum deklarierte Pracht kurz darauf mit ihm hinter der Badezimmertür verschwindet. Es ist zum verrückt werden.

Deshalb will es Eva nicht aus dem Kopf. Für so viel vergeudete Libido muss es doch eine Erklärung geben. Womöglich ist er ja schwul geworden. Männer, deren Coming-out in höherem Lebensalter erfolgt, sollen psychisch besonders gefährdet sein. Das las sie erst kürzlich, im Wartezimmer ihres Zahnarztes. Ob Jürgen sich vielleicht nur nicht traut, mit ihr darüber zu reden?

Doch seine Agenda erstickt jeden Zweifel. Der Mann ist eine hart arbeitende Hochleistungsmaschine, was jede Kontrolle nicht nur überflüssig, sondern grotesk erscheinen lässt. Sortiert sie seine Anzüge für die Reinigung aus, findet sie jede Menge vergessenes Zeug in den Taschen, aber nie einen zweideutigen Hotel- oder Gastronomiebeleg. Sein Terminkalender enthält keine mehrdeutigen Einträge, und die eingehenden Telefonate sind ausnahmslos rein beruflicher Natur. Fünfundzwanzig Jahre lang niemals ein zweideutiges Glucksen am Telefon, niemals ein unbekanntes Frauenhaar in seinem Dienstwagen, nie auch nur die Spur eines Lippenstiftes, worauf auch immer man den vermuten könnte, kurz: Nicht die geringste Auffälligkeit.

Aber er teilt sich nicht mit und deshalb, ob begründet oder nicht, erscheint sein Verhalten ihr undurchsichtig. Nur kurz nach Karneval, wenn die Wartezimmer umliegender Psychotherapiepraxen von empörten, außer sich geratenen Ehefrauen überborden, streichelt Eva heimlich ihr Ego. Sie hat einen deutlich aus der rheinischen Rolle herausfallenden Ehemann.

Irgendwann, an einem herrlichen Frühsommertag im Juni, sprach sie ihn auf ihr Problem an. „Man kann es auch übertreiben“, entrüstete er sich sichtlich erheitert und fügte, mit Emils allerbestem Schwyzerdütsch-Akzent hinzu: „Ijjch werrde alt, deshalb ischt Ooschterrn jetzt öfterr!“

Und nachts schläft er nach wie vor im Naturpelz, sommers wie winters, weigert sich strikt, einen Pyjama anzuschaffen.

„Was, wenn du plötzlich ins Krankenhaus musst, im Ausland?“, entrüstet sich Eva vor jeder Reise. „Du besitzt keinen einzigen Schlafanzug.“

„Ja und?“

Wie, außer blöde zu grinsen, sollte sie auf solche Aussagen reagieren?

Sexualität hat viele Facetten. Aus früheren Beziehungen weiß Eva, dass Sinnlichkeit lodern kann wie ein bretonisches Kaminfeuer, auch ohne miteinander zu schlafen. Ihr Ehemann aber scheint auf die sexuelle Bewusstseinsstufe eines Dreijährigen zurückgefallen zu sein. Zweifellos ist er ihr treu. Doch will sie so eine Treue überhaupt?

Bereits zwei Jahre, in denen Ostern öfter war, sind seitdem vergangen. Immerhin bringen Jürgen und sie es im Schnitt noch auf einbis zweimal alle sechs Monate, jedoch ausschließlich, wenn es von ihm ausgeht. Setzt Eva sich abends zu ihm auf die Couch vor den Fernseher, wehrt er ihre Streicheleien ab. Fragt sie ihn nach dem Grund dafür, serviert er sie mit ironischen Bemerkungen ab. Aber noch immer nennt er sie ‚mein kleines Häschen‘, und legt ihr ab und an einen eingepackten Blumenstrauß auf den Küchentisch.

Unbemerkt wie der Morgenmond, ist ihre Sehnsucht nach ihm verblasst. Beim Schreiben vergisst sie die Zeit und ihr zweiter Roman ist fast fertig. Jürgen hat keinen von beiden gelesen.

In letzter Zeit sitzt Eva oft länger als er am PC und fühlt sich zunehmend besser dabei. Er ist es nun, der abends auf sie wartet. Aber er zeigt sich verständnisvoll, freundlicher, als sie es in ähnlichen Situationen ihm gegenüber meist war. Auch kommt es vor, dass er, von plötzlichen Hungerattacken gepeinigt, das Abendessen für sie beide zubereitet, nicht selten erst kurz vor Mitternacht. Dann ruft er Eva aus ihrem Büro, öffnet eine Flasche Menetou-Salon oder Saint-Véran und sie prosten sich zu. Eva verschlingt gierig das von ihm zubereitete Essen, das ausnahmslos gut schmeckt. Schweigend dinieren sie und manchmal legt er eine ihrer Lieblings-CDs auf, Musik der italienischen Renaissance: Monteverdi, Gesualdo, Frescobaldi. Danach duschen sie und sinken müde ins Bett.

Auch wenn solche Gesten Eva kurzzeitig anrühren, fragt sie sich, ob das alles sein soll, was sie noch zu erwarten hat: Ein Leben zwischen Aufstehen, Rechner, Glotze, Langeweile im Ehebett und zweimal im Jahr eine Hetze in den Urlaub hin, eine Hetze aus dem Urlaub zurück.

Selbst die anrührendsten Aussprüche nutzen sich ab, wenn sie stereotyp produziert und beständig wiederholt werden, obendrein nur ersatzweise für – ja, für was eigentlich? Hat sie es womöglich selbst schon vergessen?

Vergessen. Oh Segen des keuschen, mönchischen Lebens! Denn was bliebe übrig von der Ruhe der Geistlichen, steigerte sich deren Fleischesqual stetig und unbarmherzig bis zum St. Nimmerleinstag? Der Herrgott beschützt seine Schäfchen und Kinder mit Vergessen und Verdrängen, wenn er der Disziplin seiner Vertreter auf Erden auch nicht gänzlich vertrauen kann. Wie ungerecht verteilt er seine Schätze auf Erden! Hinter Jürgens Witzen oder ironischen Bemerkungen kann sich ein Honigkuchenpferd nur verstecken. Aber irgendwann klingt auch sein letzter Ulk so abgenutzt, dass er Eva nicht mehr das schmallippigste Grinsen entlockt.

Bald, erinnert sich Eva vor dem Einschlafen, werden die ersten E-Mails auf ihre Anzeige eintrudeln. Irgendwas wird dabei schon herauskommen. Nichts ist schlimmer, als ohne Hoffnung zu sein.

‚Flönz‘

Vor lauter Aufregung hat sie ihr Kölsch zu schnell hinuntergekippt. Frustriert starrt Eva in ihr leeres Glas, bewegt aber heftig den Zeigefinger von links nach rechts, als der Köbes mit voller Kölsch-Palette nun schon zum zweiten Mal an ihren Tisch tritt. Schließlich will sie Monsieur nicht mit dem Geruch einer angefaulten Bierleiche empfangen. Obwohl ihm das kaum auffallen würde, so, wie es hier nach Kneipe riecht. Sie schnüffelt herum, nimmt den Geruch noch stärker wahr und erfasst mit einem Blick, wer hier offensichtlich zum Stammpublikum gehört. Unglaublich, was der menschliche Genpool an Sonderarten bereit hält. Und welche Gerüche die absondern! Der Bierdunst hängt ihr sicher schon in den Haaren. Gut, dass man drinnen wenigstens nicht mehr rauchen darf. Jürgen würde sonst wieder fragen, ob sie mit Kubanern auf Krebsfang gewesen sei. Auf Kuba gäbe es die höchste Krebsneuerkrankungsrate. Was weiß der schon von Krebs, denkt Eva. Als ob man mit so etwas Witze macht! Bei seinem Stress kann er froh sein, wenn er nicht selbst daran erkrankt. Sie aber muss aufpassen, bei so einem Mann ist man Risikopatientin!