Der Spiegel des Dämons 2 - Matthias Binder - E-Book

Der Spiegel des Dämons 2 E-Book

Matthias Binder

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Michl hofft, im Land der Sarazenen den Mörder seines Vaters zu finden. Dort angekommen, gibt es ungeahnte Wunder zu sehen, aber dann gerät er mehrfach in große Gefahr - im Wasser, in der Wüste, in einer Folterkammer. Aber er lernt den Mönch¬svater Paulos kennen. Und der rät ihm, zurück zu den Anfängen zu gehen. Seine Abenteuer führen ihn weiter nach Famagusta, dann nach Morea. Der Michl verliert seine Fäden und stößt stattdessen auf anderes. Er trifft auf alte Feinde, neue Freunde, Gottes Liebe, und auf einen Bruder. Doch was wird aus seiner eigentlichen Suche? Er merkt: Mit der Gerechtigkeit sieht es nicht gerade so aus, wie er sich das vorgestellt hatte. Band 2 eines historischen Romans, der sich als Reise weit durch die Welt des 14. Jahrhunderts gestaltet. Kultur und Arbeitswelt, Völker und Religionen zwischen Alpenland, Mittelmeer und Orient bilden den reichhaltigen Hintergrund der beiden Bände. Und die Einsicht, dass schon damals nirgendwo die Menschen über einen Kamm geschert werden konnten. Am Ende wird die Suche des Michl zum theologischen Gleichnis.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt Band II

10 Sarazenen

11 Babylon

12 Balsam

13 Antoniuspilger

14 Auskehr

15 Gärten

16 Alphonso

17 Morea

18 Am Anfang

Zeittafel

Karte

Inhalt Band I

1 Rotgülden

2 Sankt Martin

3 Welschland

4 Pineda

5 Darsena

6 Herbergen

7 Meer

8 Der Sizilianer

9 Abreise

10 Sarazenen

Während Zöllner das Schiff durchsuchten, erklärte der Henrigo dem Michele, auf was er achten muss, wenn sie morgen an Land gehen. Während er das tat, betrachtete der Michl einstweilen die vorgelagerte Halbinsel von Alexandria. Dort war die Ruine des alten Faro zu sehen. So nannten jedenfalls die Marinai die Ruine, und sie behaupteten, dass auf diesem Faro früher einmal ein unauslöschliches Feuer gebrannt hat, das man schon aus einer Entfernung von zwei Schiffstagereisen gesehen haben soll, übers Meer hinweg. Nachts natürlich nur. Der Michl wusste nicht, ob er so etwas glauben soll, aber er merkte schon, dass dieses Gebäude einmal etwas sehr Besonderes gewesen sein muss. Jetzt stand davon nur noch eine Wand. Ganz gewiss konnte hier niemand ein Feuer entzünden. Nicht nur im Drautal kann ein Erdbeben Dinge zum Einsturz bringen, dachte sich der Michl. Einer der Zöllner schob sich am Michl vorbei, in seinen glänzenden sehr weiten Beinkleidern. Seta.

Dann fragte er den Henrigo nach etwas, was ihn verwundert hatte an dessen Worten. Wie soll er sich das vorstellen, fragte er? Kein Geld, keine Waren, keine Waffen mit ins Land der Sarazenen nehmen? Er soll es sich so vorstellen, wie es er es gehört hat, sagte der Henrigo. Der sarazenische Admirato nimmt es genau. Admirato, fragte der Michl? Das ist ein oberster Amtmann, erklärte der Henrigo. Sie haben für alle möglichen Dinge einen obersten Amtmann. Wir müssen zum Admirato vom Zoll. Ihr Oberhaupt wiederum nennen die Amtmänner in Alexandria einen König, und über einem König steht der Sultan, aber der ist in Kairo. Aber die Kaufleute, fragte der Michl, und die ganze Muda? Die Waren sind doch der einzige Grund, dass wir hergekommen sind! Das ist etwas Anderes, entgegnete der Henrigo. Sie zeigen dem Admirato alles an, was sie einführen, und sie bezahlen etwas dafür. Das ist nichts Ungewöhnliches. Und warum keine Waffen, fragte der Michl? Glaub es einfach einem erfahrenen Schiffszimmermann, sagte der Henrigo. Und wenn man doch etwas mitnimmt, fragte der Michl? Versuch es, sagte der Henrigo, du wirst sehen, was das für Wellen schlägt. Aber der Padrone freut sich nicht, wenn er dich hinterher aus dem Gefängnis freikaufen muss. Vielleicht brauchen wir auch einen Arzt, der dich dann wieder zusammenflickt. Ein wenig Geld ist erlaubt. Wenn du viel hast, musst du ihnen auch davon etwas geben. Lass es besser auf dem Schiff. Eine Waffe erst recht, das geht überhaupt nicht.

Dann mischte sich der Baldoino ein. Er hatte den beiden schon eine Weile zugehört. Er sagte zum Michl: oder du gibst alles dem guten alten Baldoino, der schafft es für dich an Land. Wie denn das, wollte der Michl wissen? Indem du dem Baldoino eine Münze gibst, sagte der Baldoino. Alles andere ist nicht deine Sorge. Du Sarazene, sagte der Henrigo zum Baldoino. Warum Sarazene, fragte dieser zurück? Mit ein bisschen Geld ist alles möglich, sagte der Henrigo. Aber das ist ja auf der ganzen Welt so, sagte der Baldoino.

Der Michl bat um etwas Zeit, sich zu entscheiden. Einstweilen legte er sich, mit einigen anderen Marinai, zum Schlafen. Es war der Abend des Sankt Gilgentags. Der Michl sprach ein eigenes Vaterunser für den Bruder Niklas und eines, wie versprochen, für den Bruder Otto.

Er erwachte von einem Traum und musste nachdenken. Es hatte ihn von der Zhanwas geträumt. Die Zhanwas hatte wieder das Messer genommen und ins Wasser geworfen. Dann hatte sie gesagt, schau, tatsächlich, es gibt Wellen im Wasser. Der Michl hatte geschaut. Schau die Wellen, wie sie das Bild der Sonne zerstreuen. Und schau, hatte sie gesagt, wie du durch die Wellen hindurchschauen kannst, zwischen den Sonnensplittern hindurch. Bis zum Grund hinab, wo die Sogliole sich verstecken.

Es kommt nicht oft vor, dass dem Michl beim Aufwachen ein Traum noch so klar in Erinnerung ist. Was sollte er nun damit anfangen? Denn von den Wellen hatte am Abend auch der Henrigo gesprochen. Wenn der Admirato der Sarazenen eine Waffe fände, das würde Wellen schlagen. Aber dann, was ist damit: dass die Wellen das Spiegelbild der Sonne zerschlagen. Und nicht nur zerschlagen, sondern dass sie dir erlauben, manchmal, zwischen den Sonnensplittern einen ganz flüchtigen Blick zum Grund hinunter zu tun. Denn wenn sich die Sonne auf der glatten Wasserfläche spiegelt, siehst du den Grund gewiss nicht. Woher hatte die Zhanwas das gewusst, im Traum? Der Michl wusste es, er wusste es aus der Zeit im Fischteich von Sankt Martin. Er hatte es oft versucht, mit einem Stein, und hatte es manchmal gesehen. Aber er hat es niemandem gesagt. Dem Rupert, am Plöditschsee, hatte er es sagen wollen, aber so weit waren sie nicht gekommen mit dem Gespräch, weil der Rupert niemals vieles auf einmal hören kann. Und nein, der Zhanwas hatte er solche Dinge nicht gesagt. Am Meer hatte er ihr nie vom See erzählt.

Der Michl musste sich nun entscheiden. Ein Traumgesicht? Der Michl war an sich der Meinung, dass kaum ein Engel ausgerechnet zu ihm in seinen Traum kommen wird, um ihm eine Nachricht zu bringen, denn das geschieht gewöhnlich nur einem heiligen Menschen. Der Michl musste vielmehr gewärtig sein, dass es leicht ein Dämon ist, der ihm einen Traum bringt. Und es versteht sich von selbst, dass er auf einen solchen Traum des Dämons nichts gibt. Aber, so hatte es der Bruder Niklas gesagt, die Dämonen wissen nur, was gesprochen worden ist. Sie können dagegen deine Gedanken nicht lesen. Das ist eine wichtige Lehre, denn du lernst achtzugeben, was du sagst. Du lernst, den Dämonen nicht deine schwachen Stellen zu sagen. Jetzt aber, in diesem Traum: etwas, das sie nicht gewusst haben können, weil es der Michl niemals einem Menschen gesagt hat. Der Michl bekreuzigte sich, und er entschied, es war ein Engel, der den Traum gebracht hat. Die Wellen also. Sie geben manchmal den Blick frei zum Grund hinab, weil sie die Sonne in Splitter verwandeln.

Dann drehte er sich um. Nach einer Weile schlief er wieder ein.

Sie standen alle in einer Reihe. Vor einem Gebäude, das in die Stadtmauer hinein gebaut war. Und warteten. Die Mauer trennte das Hafenviertel von der Stadt. Um an Land zu gelangen, musst du durch die Stadt. Sie haben das klug gebaut, die Sarazenen. Ein Marinaio nach dem anderen musste eintreten und alles herzeigen, was er hatte. Aber ohne medizinische Exploratio, obwohl man gehört hat, dass sie in Ägypten noch große Schwierigkeiten haben wegen der Seuche. Alles würden sie auf den Boden legen müssen, auf eine Matte, alles, was im Bündel war. Der Henrigo, hinter dem Michl wartend, konnte nicht aufhören, es immer wieder zu erklären. Dann konnten die beiden miteinander eintreten, mussten hier aber weiter in der Reihe stehen.

Der Michl hatte in Venedig einige Male einen Sarazenen gesehen, und sich gewundert. Aber diese zwei Männer hier waren für ihn noch verwunderlicher. Nicht nur, weil auch sie einfach nur ein weißes, weites langes Hemd trugen, das bis zum Boden reicht, ein reiches weißes Hemd immerhin, aus sehr feinem Stoff, mit einem breiten goldbestickten Tuch um die Hüften, an Stelle eines Gürtels. Das Hemd ließ sie wie Schlafwandler aussehen, und das Tuch wie Frauen. Aber es schien ihnen nicht peinlich zu sein. Noch verwunderlicher waren ihre Hüte, noch größere Hüte, als er es in Venedig gesehen hatte. Sie bestanden aus großen Ballen aus weißem Stoff. Diese mächtigen Ballen waren so breit um den Kopf herumgewickelt, dass der Michl sie mit seinen Armen keinesfalls hätte umfassen können. Dafür gab es überhaupt keinen Vergleich.

Der Henrigo sagte dem Michl, dass der linke von den beiden ein Amtmann des Admirato ist, und der andere Mann ein Dragoman. Ein Dragoman übersetzt alles. Dann fragte er ihn, ob er dem Baldoino seine Dinge gegeben hat. Das Geld schon, sagte der Michl. Was heißt das, fragte der Henrigo, heißt das, du hast noch etwas Anderes dabei? Hier dabei? Ja, sagte der Michl. Bist du wahnsinnig, fragte der Henrigo? Und er wollte dem Michl noch einmal alles sagen, was er gestern gesagt hatte. Aber der Michl machte es kurz und sagte, dass er nichts Verbotenes tut, denn er tut es nicht heimlich, er bittet nur höflich. Sie werden es nicht als Höflichkeit verstehen, sagte der Henrigo aufgeregt, aber so leise wie möglich. Der Michl sagte, ein klein wenig Wellen braucht es in diesem Fall. Es kann helfen, auf den Grund zu sehen, wo sonst alles nur glänzende Oberfläche ist. Der Henrigo konnte nichts mehr dazu sagen, weil der Michl jetzt an der Matte angekommen war.

Der Dragoman fragte den Michl, wie er heißt und woher er kommt, und der Amtmann schrieb die Antwort auf. Warum er nach Alexandria gekommen ist, fragte er dann? Der Michl sagte alles, was ihm der Henrigo vorbereitet hatte. Er ist ein Marinaio und bleibt nur solange die Muda da ist, und wohnt in dieser Zeit im Fontego der Venezianer. Dem Michl fiel auf, dass der Dragoman alle Fragen in einem so reinen Venezianisch fragte, als sei er selbst ein Venezianer. Aber er sah dennoch ganz wie ein Sarazene aus. Dann, der Amtmann. Er schrieb völlig andere Zeichen, als sie der Michl vom Bruder Niklas gelernt hatte. Das war also arabische Schrift. Der Alphonso Bonihominis hätte so etwas lesen können, niemand sonst.

Dann sagte der Amtmann etwas, und es war das erste Mal, dass der Michl etwas auf Arabisch hat sagen hören. Der Dragoman übersetzte es für den Michl, er sagte, der Michele wird ja nichts Verbotenes in seinem Bündel haben, dann kann er weitergehen. Man merkte, sie hatten keine Lust mehr. Sie hatten ja zuerst die ganzen Kaufleute von drei Schiffen aufnehmen müssen, bevor die Marinai an die Reihe kamen, also diejenigen Marinai, die an Land gehen durften. Und morgen würden sie die Schiffsladungen durchsehen müssen, der Admirato und seine Männer.

Aber was tun? Wenn der Michl jetzt weiterging, und wenn sie es sich anders überlegten, und sein Bündel doch noch durchsuchten, dann würde etwas Verbotenes herauskommen. Das war gefährlich. Wenn er jetzt weiterging, und nichts würde geschehen, dann wiederum würde es keine Wellen geben. Schon allein deshalb konnte er nicht weitergehen. Also kramte der Michl sein Messer heraus, er hielt es an der Klinge, erstens damit es nicht gefährlich aussieht für die Sarazenen, und zweitens, damit vor allem der Griff deutlich sichtbar wird. Er hielt es den beiden Männern hin und sagte, er möchte es gerne mitnehmen, weil er daran hängt und er es nicht verlieren will, und er will gerne einen Preis dafür bezahlen, und hielt auch eine Handvoll venezianische Groschen hin. Daraufhin gab es ein arabisches Gespräch, und dann musste der Michl beides auf die Matte legen, Messer und Münzen. Der Amtmann des Admirato nahm das Messer und tat es in einen Korb, der hinter ihm stand. Der Michl legte noch einige Münzen auf die Matte. Er sagte, er hängt sehr an dem Messer. Der Amtmann nahm die Münzen und legte sie auch in den Korb. Der Michl fragte, wie er das Messer wiederbekommen kann. Dafür habe er ja die Münzen gegeben. Der Dragoman sagte, die Münzen bekommt der Amir, dafür, dass der Michele nicht gleich die Bastonade bekommt für sein unverschämtes Verhalten. Und er soll jetzt lieber weitergehen, bevor sie es sich anders überlegen mit der Bastonade.

Der Michl ging weiter. Der Engel, der den Traum mit den Wellen geschickt hatte, hatte es vielleicht anders gemeint. Der Michl sagte sich, dass er schon noch erfahren wird, wie er es machen muss. Die Wellen waren noch nicht so, dass man dazwischen etwas erkennen konnte, und das mit dem Faden, mit dessen Hilfe man das Messer wieder heraufziehen kann, auch das gelang noch nicht. Aber dass der Traum eines Engels Unglück bringen würde, das war eigentlich nicht denkbar. Und der Michl konnte im Moment nicht viel grübeln, da er abgelenkt war von einem Wort. Sein erstes arabisches Wort. Wo die Welschen sagen, Admirato, da sagen die Sarazenen, Amir.

Die Marinai, und mit ihnen die drei Zimmerleute und die drei Calafai der drei Schiffe, wurden von zwei Bewaffneten zum Fontego der Venezianer geführt. Die bewaffneten Sarazenen schienen nicht sehr besorgt zu sein. Sie trugen keinerlei Brustpanzer oder Beinschienen oder so etwas, nur einen kleinen Helm. Als der Michl den Henrigo darauf ansprach, bekam er zur Antwort, dass die Sarazenen fast nie Rüstung tragen, und dass man nicht denken soll, es ist gefährlicher für sie, sondern es ist gefährlicher für die lateinischen Ritter, weil so die Sarazenen beweglicher sind auf ihren Pferden. Daher übrigens, fürs Reiten, trugen die Bewaffneten auch kein langes Hemd, sondern Beinkleider. Das verstand der Michl, und er blieb vorsichtig.

Zu den übrigen Sarazenen, denjenigen, welche auf der Gasse unterwegs waren, hielt er ebenso Abstand. Sie wirkten stolz und ehrgebietend auf ihn. Einige wenige trugen an Stelle eines weißen Hutballens einen gelben, andere einen blauen. Manche trugen aber ärmliche Sachen, und hatten zum Beispiel eine einfache Kappe auf dem Kopf, dann weißt du nicht, vielleicht sind sie zu allem bereit. Etliche hatten auch den Kopf ganz verhüllt. Erst nach einer Weile verstand der Michl, dass dies die Frauen sind. Bei manchen von ihnen sah man die Augen herausschauen, manche hatten die Augen hinter einem Netz versteckt, manche sogar hinter einem Schleier aus Seta. Wenn die Damen in Venedig einen Schleier tragen, dann entsteht ein Spiel aus Hinein- und Hinausschauen. Aber hier war es, für den Michl, ein wenig unheimlich. Jedenfalls: wenn das die Frauen sind, dann haben in Alexandria die Frauen Beinkleider an, gerade nicht die Männer. Nicht, dass man von diesen Beinkleidern viel gesehen hätte, sie waren vom Übergewand einigermaßen verdeckt.

Es waren nicht viele Menschen unterwegs, und der Michl vermutete, dass es wegen der Seuche ist, denn man hatte ihm gesagt, bei den Sarazenen hat die Seuche noch größere Lücken gerissen als bei den Welschen. Deswegen, so sagte er dem Henrigo, sind sicher auch so viele Läden an den Seiten der Gasse geschlossen.

Aber der Henrigo wusste es besser. Dort kauft man die Speisen, sagte er, obwohl das die geschlossenen Läden nicht erklärte. Bei den Sarazenen kocht niemand bei sich zuhause, denn sie haben nicht viel Holz, denn hinter der Stadt und hinter den Gärten beginnt die Wüste. So gibt es nur in den öffentlichen Kochstuben Öfen, und auf diese Weise verbrauchen sie nicht so viel Holz. Dass es bei den Sarazenen wenig Holz gibt, wusste der Michl, denn genau aus dem Grund hatten sie den Rumpf der Bevegnuda zur einen Hälfte vollgeladen mit Holz aus dem Cadore. Aber wenn hier gekocht wird, dann müssten die Läden ja offen stehen, rief er! Erst nachts, sagte der Zimmermann. Essen sie nur nachts, wunderte sich der Michl? Das ist, weil noch der Fastenmonat ist, sagte der Henrigo. Sie essen den ganzen Tag keinen Bissen, sie trinken nicht einmal einen Schluck. Nur in der Nacht. Heute Nacht wird sicher alles voll sein hier, sagte er, dann holen sie die Mahlzeit nach. Das war dem Michl so fremd, dass er nicht einmal wusste, soll er darüber staunen, oder sich ärgern. Fasten, um sogleich alles wieder nachzuholen.

Er schaute lieber auf die Häuser. Sie waren ihm auch fremd, aber da hatte der Michl sowieso wenig Möglichkeiten, etwas zu vergleichen. Außer Venedig hatte er nur die kleinen Städte in den Bergen gekannt. Murau und das Spital an der Drau, Pontafel, Spengenberg. Bald merkte er, dass ihm diese fremden Häuser dennoch gefielen. Hier leuchteten viele in strahlendem Weiß, und sauber waren sie auch. Sie strahlten selbst im Schatten. Die heiße Sonne gelangte nicht überall hin, und darüber war der Michl schon froh. Der Schatten trotz der hochstehenden Sonne kam daher, dass die Häuser bis zu vier Stockwerke hoch waren. Manche Welsche hatten angekündigt, es sei furchtbar eng in den Sarazenengassen, aber man muss sagen, so ganz ohne Canali konnte man sich hier dennoch freier bewegen.

Die sarazenischen Bewacher bogen nach links in eine kleinere Gasse. Der Michl erlaubte sich, kurz stehen zu bleiben und in der Gasse geradeaus weiter zu schauen, in der sie gekommen waren. Eine breite und lange Gasse, und so geradlinig, wie der Michl es noch nie gesehen hatte. Tatsächlich. Sie waren erst kurz unterwegs gewesen vom Nordtor her, und es wäre noch weit bis zum anderen Tor, dem Südtor. Und doch konnte er es schon sehen. So genau war diese Gasse gebaut. Eng? Vielleicht wenn zu anderen Zeiten mehr Menschen hier waren. Bei seinem Blick geradeaus fiel dem Michl auch die Linie der Hausdächer auf. Sie waren zwar flach. Aber auf vielen von ihnen gab es kleine und große Konstruktionen. Als ob kleine Hütten darauf stehen. Seltsam. Aber nun wurde er gerufen und musste in die kleine Gasse nach links.

Gleich an der Ecke gab es ein besonders hübsches Gebäude. Die weiße Wand war gegliedert mit Hölzern, die schöne geschnitzte Verzierungen trugen, und dazu mit farbigen Kacheln. Es stand auch ein Turm dabei. Beim Weitergehen sagte der Henrigo, das sei eine Kirche der Sarazenen. Auf ihrem Vorhof stand ein Brunnen. Hätte der Bruder Otto dem Michl nicht gesagt, dass die Sarazenen an einen Gott glauben, obwohl sie ja Heiden sind, dann hätte er sich jetzt noch mehr gewundert. Kirchen bei den Sarazenen! Bei Menschen, die eigentlich eine Gefahr sind, dachte der Michl.

Einstweilen war es dem Henrigo wichtig zu erklären, dass so ein Turm neben einer Sarazenenkirche keine Glocken hat, sondern dass stattdessen zwölfmal am Tag ein Priester auf den Turm steigt und etwas hinunterbrüllt. Erst brüllt er ein Gebet aus der Bibel der Sarazenen, dann am Schluss brüllt er noch, sie sollen zu ihren Frauen gehen und fruchtbar sein und sich vermehren. So sagte es der Henrigo, mit einem missbilligenden Ausdruck. Der Michl staunte. Warum tun sie das, fragte er? Sie sind ein sehr lüsternes Volk, sagte der Henrigo, sie sind sehr verweichlicht. Das sieht man auch daran, sagte er, dass sie den Tag über fasten, und dann in der Nacht essen, so viel sie nur können.

Der Michl war froh, kein Sarazene zu sein, und er fragte sich, wie es dazu kommt, dass ein Volk so sehr verweichlicht. Der Dämon der Unzucht, der Luxuria, klar, das ist nichts Neues. Aber ein ganzes Volk davon ergriffen? Er hätte fast Mitleid mit diesen Menschen bekommen, hätte nicht seine Furcht überwogen. Dann fiel ihm etwas ein. Er fragte den Henrigo, ob er ihm einiges von der sarazenischen Sprache beibringen kann? Nein, konnte er nicht. Aber er versteht doch ein wenig davon, was die sarazenischen Priester vom Turm herunter brüllen? Aber nein nein, was die Sarazenenpriester täglich brüllen, das sind ja Dinge, die alle wissen. Alle, die jedes Jahr mit der Muda kommen. Der Henrigo weiß es jedenfalls von den Marinai, das, was von den Türmen heruntergebrüllt wird. Aber die arabische Sprache, nein, niemand von den Marinai versteht sie.

Der Fontego der Venezianer in Alexandria lag nicht weit hinter diesem Turm, wiederum linker Hand in derselben Gasse. Er war wirklich nicht unähnlich dem Fontego dei Todeschi in Venedig. Mit einem Innenhof, von dem aus die Kammern betreten werden. Aber der Raum, den sie zugeteilt bekamen, hatte keinerlei Bettstatt, sondern es gab nur Strohmatten auf dem Boden. Immerhin, so muss man sagen, er war auf dem Boden nicht kalt. Sie legten ihre Bündel ab. Dann wurde ihnen die Kapelle gezeigt. Dann sollten sie in den Innenhof kommen, und hier bekamen sie ihre Speise. Während des Essens hörte der Michl das erste Mal einen sarazenischen Priester, weil ja der Turm nicht weit vom Fontego entfernt war. Ein Brüllen hätte er das zwar nicht genannt, es war sogar eine sehr geübte und klare Stimme. Aber unheimlich war es doch, weil du verstehst es ja nicht. Und weil es solche Töne sind, wie du sie bei den Welschen oder den Salzburgischen nie gehört hast.

Am nachfolgenden Montag, also zwei Tage später, unterblieb im Fontego jedes Kommen und Gehen. Es war dem Michl schon am Abend zuvor erklärt worden, dass es der Tag ist, mit dem sie den Fastenmonat beenden. In der Nacht war es schon recht laut gewesen, da hatten sie schon zu feiern begonnen. Nun feierten sie weiter, und alle fanden es besser, dass sich die Christen nicht daruntermischten. Die Sarazenen fanden es besser, denn sie wollten sie nicht dabeihaben, und die Christen fanden es besser, denn sie wollten nicht zusammengeschlagen werden. Sicherheitshalber ließ der Sultan an so einem Tag die Türen aller christlichen Fonteghi von außen verschließen, richtig mit einem Schlüssel. Man machte es auch jeden Freitag so, denn freitags halten sie ihr großes Gebet. Der Henrigo sagte, sie wollen nicht, dass man ihnen zusieht, wenn sie sich wie die Tiere verhalten, bei ihrem Gebet und nach ihrem Gebet.

Der Michl beschloss, ihnen zuzusehen, wenn sie sich wie die Tiere verhalten. Zu diesem Zweck verhielt er sich selbst wie ein Tier, denn manche Tiere verstehen gut die Kunst, nicht gesehen zu werden. Er machte es wie eine Sogliola und wie ein Eichkatzl. Wie eine Sogliola, indem er dieselbe Farbe annahm wie der Hintergrund. Er kaufte sich von einem Händler im Fontego ein langes weißes Hemd, wie es die Sarazenen tragen, so dass man ihn vor einer weißen Mauer nicht schnell sieht. Aber ohne den großen weißen Hut, denn als Christ sollst du dich nicht mit einem weißen Hut erwischen lassen. So erfuhr der Michl, dass alle, die einen farbigen Hut tragen, keine Sarazenen sind, sondern Christen oder Juden. Und nur die Sarazenen dürfen den weißen haben. Also trug der Michl nur seine gewöhnliche helle Haube. Und die Eichkatzl? Die machen es so, dass sie immer hinter den Baumstamm schlüpfen. Gleich von welcher Seite du hinsiehst, sie sind immer auf der anderen Seite und schauen nur mit dem Kopf heraus. Es wächst ja kein Baum auf dem flachen Dach des Fontego, aber es steht auch da eine solche seltsame Hütte mitten auf dem Dach. Hinter ihr wollte der Michl sich verkriechen, wenn es Schwierigkeiten gibt.

Es gab Schwierigkeiten. Kaum war er oben angelangt, und von der Luke aus zum Rand des Dachs gekrochen, um, auf dem Dach liegend, in die Gasse hinunterzulugen, da fing der sarazenische Priester zu rufen an. Der Michl schaute in seine Richtung, rechts im Westen, schräg gegenüber, er konnte ihn auf dem Turm sehen. Aber noch eine zweite Stimme war aus derselben Richtung zu hören, ganz nah. Das kam vom benachbarten Haus herüber. Der Michl sah dort einen Sarazenen aufs Dach kommen, er hätte hinübergehen und ihm die Hand geben können. Aber er stand da und rief dem Michl erregt etwas zu, und fuchtelte dabei herum, so dass der Michl merkte: er soll fortkriechen. Also drehte er sich herum, und kroch auf allen Vieren an der Dachluke vorbei auf jene Dachhütte zu. Warum kriechen, dachte er sich, der Sarazene stand ja auch in voller Größe dort? Aber die Hütte war niedriger als der Michl, und wenn er gestanden hätte, wäre er zu sehen gewesen, und er wollte sich verkriechen. So kroch der Michl um die rechte Ecke der Hütte herum, zur Ostseite. Aber dort war auch ein Nachbarhaus. Genauso eines mit einem Sarazenen darauf. Der hatte sich auf den Boden gekauert, und als er den Michl sah, fuchtelte er nicht, aber ein Blick von ihm reichte aus, dass der Michl weiterkroch um die nächste Ecke der Hütte. Zur Nordseite hin, wo sich der Innenhof des Fontego anschloss, wo es keine Nachbarn gab. Wo er sich an die Längswand der Hütte drücken wollte. Allerdings fand er heraus: hier an der Nordseite gab es keine Wand. Ja wie!

Hier stand die Hütte völlig offen. Ein einfacher Unterstand, sozusagen, in den man hineinkriechen könnte? Aber das war wiederum unmöglich, denn in der Hütte gab es auch keinen Boden. Sondern ein großes viereckiges Loch im Dach. Verschlossen nur von einem leichten hölzernen Gitter. Weil der Michl es eilig hatte, drückte er sich liegend so weit in den Unterstand, dass er gerade nicht auf das vergitterte Loch zu liegen kam. So war er durch die Bretterwände ausreichend verdeckt vor den beiden Sarazenen. Hier hatte der Michl erst einmal Ruhe, und hier gab es mehreres zu entdecken. Der Michl sah durch das Gitter hinunter in das Haupthaus des Fontego. Nicht so, dass die Kammer unter ihm voll zu sehen war, aber ein gutes Stück davon lag doch offen. Und durch ein weiteres Loch in deren Boden war auch die Kammer unter der Kammer ein Stück weit zu sehen, und das ging so bis zur Erde hinunter, durch alles in allem vier Kammern hindurch. Im zweiten Stockwerk sah er sogar die Schulter und den halben Rücken eines Venezianers. Jetzt hatte der Michl also einen hervorragenden Ausguck, aber keinen zum Hinausschauen, sondern zum Hineinschauen.

Eigentlich hatte er hier oben sehen wollen, wie die Sarazenen sich verhalten. Darum schaute er nun nach Norden hinaus, über den Hof des Fontego hinweg, in dem unten sicher der Henrigo saß. Jenseits des Hofs hatte der Fontego noch ein Dach, und auch dahinter war ein Nachbarhaus. In Alexandria kannst du über die Dächer von Haus zu Haus gelangen. Wenn keine Sarazenen dort sind. Dort im Norden war gerade keiner.

Beim Hinüberschauen nach Norden wurde dem Michl der Wind bewusst. Ins Gesicht, über den Leib blies der Wind, der vom Meer herüberkam, von Norden eben. Er streifte über ihn hinweg, angenehm kühl, und geradewegs in diese Hütte hinein. Aha. Dazu war sie da. Den Wind einzufangen und ins Haus hineinzuleiten. So erklärte sich der Michl jetzt die Hütte, die keine ist.

Der Michl schaute sich die anderen Hausdächer an. Jetzt war es klar, dass solche Hütten auf den meisten Dächern waren, und sie waren immer gleich angelegt: zum Meer hin offen. Neben den Hütten, ein besseres Wort kannte der Michl ja nicht, neben denselben also waren hier und da auch Sarazenen auf den Dächern zu sehen, und die verhielten sich, nun ja, mit was für einem Tier hätte man das vergleichen sollen. Der Michl kroch wie eine Schlange nach vorn zur Wand und schaute wie ein Eichkatzl um die nächste Ecke herum, um den Sarazenen zu beobachten, der ihn als erstes verscheucht hatte. Wie ein Tier vielleicht, weil er sich auf das flache Dach hinkauerte. Aber kein Tier bleibt eine Weile in knieender Position, um sich dann nach einer Weile auf den Boden zu beugen, und wieder aufzurichten. Manchmal hielt er sich die Hände ans Ohr, als würde er auf etwas lauschen, so wie die Hütte auf den Wind lauscht. Aber das, worauf der Mann lauschte, kam nicht von Norden, sondern von Südosten her, und weil der Michl im Osten saß, zog er sich wieder hinter sein Brett zurück. Er schaute zu den Sarazenen auf den entfernteren Dächern. Sie lauschten und verneigten sich alle nach Südosten.

Der Priester der Sarazenen hatte längst aufgehört zu rufen, und nach und nach standen auch die Männer ringsum wieder auf und stiegen von den Dächern hinunter. Er schaute vorsichtig noch einmal zu seinem ersten Sarazenen hinüber. Der stand bereits, beugte sich hinunter, hob eine Matte auf, klemmte sie sich unter die Arme. Auf ihr hatte er gekniet. Schließlich war er fort, und der Michl konnte wieder auf die vordere Seite des Dachs kriechen. Jetzt schaute er wirklich tief in die Gasse hinab. Da waren nun viele Sarazenen, viel mehr als zwei Tage zuvor. In Wahrheit sah man nur eine Menge großer weißer Hüte, die sich aneinanderdrängten. In Venedig, in einer engen Gasse, drängt sich Bauch an Bauch. In Alexandria drängt sich Hut an Hut, und die Menschen darunter berühren sich fast nicht. Vielleicht, wenn jemand etwas verloren hat und sich hinunterbücken muss zum Gassenboden, vielleicht dass dann sein Hut einstweilen oben bleibt, denn die anderen Hüte halten ihn solange, eingezwängt wie er ist. Die Menschen plauderten und lachten. Sie holten Speisen und Getränke von den Läden. Sie suchten sich einen Platz, wo sie sich niederließen, und verzehrten es. Es sei denn, sie trugen es fort, um sich anderswo einen Platz zu suchen. Es lagen feine Düfte in der Luft. Das, was der Henrigo gesagt hatte, erfüllte sich nicht so ganz, aber ein wenig dann doch. Auf dem Boden zu speisen, das haben sie sich von den Tieren abgeschaut, so musste der Michl es zugeben. Aber das andere, das erfüllte sich gar nicht. Die Sarazenen, als der Priester zu rufen aufgehört hatte, sahen nicht so aus, als wären sie alle schnell zu ihren Frauen geeilt, um fruchtbar zu sein und sich zu vermehren. Die Geselligkeit auf der Gasse war ihnen wichtiger.

Als die Schiffe der Muda entladen waren, mussten die Calafai und die Zimmerleute zum Hafen zurück und die Galia nach Schäden durchsehen. Soweit man das tun kann, ohne das Becken einer Darsena zur Verfügung zu haben. Da hier aber wenig zu finden und auszubessern war, konnten sie nach wenigen Tagen wieder zum Fontego zurückkehren. Es war sogar so wenig auszubessern gewesen, dass ein halber Tontopf von Pech übrigblieb, mit dem man nichts anfangen konnte. Der Michl nahm ihn kurzerhand mit in die Stadt.

Dann ging er mit einer Gruppe von Marinai zum Fontego von Marseille. Dort haben sie Wein. Das ist der Grund, denn es gibt keinen anderen Grund, von einem Fontego zum anderen zu gehen. Ein Fontego ist ein Fontego, da gibt es nichts Neues. Mit dem Wein machen es die Sarazenen jedenfalls kompliziert. Sie verbieten ihn, aber sie mögen ihn auch. Sie schimpfen über die Christen, dass sie ihn trinken, aber die Christen sollen auch mit Wein handeln, damit die christlichen Kaufleute zufrieden sind. Denn sie sollen wiederkommen, um Zölle zu zahlen und Tribute. Und ohne die Christen, die Wein mitbringen, hätten die Sarazenen auch nicht die Gelegenheit, unauf-fällig das eine oder andere Fass für sich zu beschlagnahmen. All das hatte der Henrigo dem Michl unterwegs zu erklären. Sie kamen nun ans Ziel und gingen an einem Sarazenen mit einem besonders prächtigen weißen Hut vorbei zum Tor des Fontego von Marseille. Warum verbieten sie ihn denn dann, den Wein, fragte in dem Moment der Michl?

– Dhalik ʿamal esch-schey

an, ʿinda l-Qur’an al-mukarram.

Das war der Sarazene, der das gesagt hatte. Und der Michl schaute verdutzt drein, und der Sarazene lachte. Der Michl wusste nicht, ist das ein mitleidiges, ein herablassendes Lachen, oder einfach ein Lachen. Dann sagte der Sarazene, in schlechtem Welsch, der ehrwürdige Koran nennt ihn ein Teufelswerk, den Wein. Der Michl fand nicht, dass man mit einem Sarazenen gleich ein freundliches Gespräch beginnen soll, und daher fragte er nicht, wer denn dieser ehrwürdige Koran ist. Er wusste aber nicht, was er stattdessen machen soll. Der Mann hatte ihn angesprochen, aber er machte keine Anstalten, weiter etwas zu sagen oder zu tun. Der Henrigo, der Michl, der Mann, keiner sagte jetzt etwas.

Der Michl fragte sich, ob es nicht sehr gut wäre, einen Sarazenen kennenzulernen. Denn er hatte ja andere Dinge vor, als in die Fonteghi zu gehen und am Ende mit der Muda wieder nach Venedig zu fahren. Ohne die Sarazenen zu kennen, lässt sich kaum ein Mörder finden im Sarazenenland. Aber irgendeinen Sarazenen einfach ansprechen? Es gibt sicher noch mehr von ihnen, die das schlechte Welsch beherrschen.

Dann wurden sie erlöst. Also, die beiden venezianischen Burschen wurden erlöst von dem Schweigen, nicht der Sarazene, denn dem schien das Schweigen nichts auszumachen. Sie wurden erlöst durch einen Jungen, der aus dem Fontego von Marseille herauskam. Der Junge hatte braungebrannte Haut und kurze dunkle Haare. Er sah eher zu Boden als zu den Menschen, er wich ihrem Blick aus. Ob er den Brief hat, fragte der Mann den Jungen in schlechtem Welsch, und das bedeutete, dass der Junge vielleicht kein Sarazene war.

– Naʿam.

So sagte der Junge, und er gab dem Mann einen Brief. Das zweite arabische Wort, das der Michl hiermit gelernt hat. Naʿam, das musste bedeuten, ja. Der Junge war ein Nicht-Sarazene, der dennoch auf Arabisch antwortete. Der Mann schaute den Michl noch einmal nachdenklich an, dann ging er fort. Der Junge hinterher, eilig, wie einer, der keinesfalls zurückfallen will hinter dem Mann, aber der doch gehörigen Abstand hält.

– Schiavo?

So fragte der Henrigo, und der Michl zuckte mit den Schultern, dann nickte er. Ein Christensklave, sagte der Henrigo. So sind sie, die Sarazenen. Pass auf, sagte er zum Michl, dass sie dich nicht einfangen. Der Michl dachte stattdessen an die Zhanwas und den Maqua. Dann gingen die beiden zu den Marinai in den Fontego hinein.

Innen im Hof hatte man drei große Tafeln aufgestellt. An der Tafel mit den Marinai war kein Platz mehr frei. Zu Michls Verwunderung saß an der Tafel daneben, mit einigen christlichen Männern, ein Sarazene. Die beiden jungen Männer wandten sich zu der dritten Tafel, zu der freien. Genau in dem Moment sagte der Sarazene von der zweiten Tafel, auch er in schlechtem Welsch, die beiden Franken sollen sich doch an seinen Tisch setzen.

Der Michl hörte diese Worte und wusste nicht, von was für zwei Franken die Rede war, denn da war überhaupt niemand. Der Henrigo sagte zu ihm, schau nicht so dumm, du bist gemeint, du bist der Franke. Da konnte der Michl dennoch nur dumm schauen. Sie sagen zu uns allen Franken, die Sarazenen, sagte der Henrigo. Ja ja, rief der Sarazene, du bist das, kommt her, hier ist Platz! Nun gut, so setzten sie sich zu ihm und den anderen, den christlichen Männern.

Unter diesen Männern war einer, der ein bisschen edler aussah, und der sagte zum Henrigo etwas in so schlechtem Welsch, dass es nicht zu verstehen war. Der Sarazene sagte zum Henrigo, er soll dem Herrn Yuḥanna nichts glauben. Der Herr Yuḥanna, damit meinte er gewiss den edlen Herrn. Aber der Michl wusste ja nicht einmal, was denn der Herr Yuḥanna gesagt hat, das man nicht glauben soll. Ein dritter Mann verstand, dass die beiden nichts verstanden. Er übernahm das Wort. So erfuhren die beiden, dass die Leute eine Pilgergruppe bildeten, die auf dem Heimweg waren. Der Herr Yuḥanna, der heißt eigentlich Herr Johann, und der Sarazene, ihr Führer, heißt Said. Der Herr Johann hatte in seinem unverständlichen Welsch zum Henrigo gesagt, dass der Said ein Guter ist, neben den kann man sich schon hinsetzen. Der Sarazene, das heißt jetzt der Said, wiederholte, man soll das nicht alles glauben.

Da fragte sich der Michl, warum der Said das sagt. Man konnte vermuten, aus Bescheidenheit. Der Michl fragte sich noch etwas. Der Herr Yuḥanna war richtig Johann genannt worden, nicht zum Beispiel Zuan oder Zani, wie die Venezianer einen Johann nennen würden. Johann heißt einer nur, wenn er aus einem deutschen Land ist. Jetzt war zwar der Michl schon lange niemandes Eigen mehr, sondern ein freier Handwerker mit einem eigenen Ein- und Auskommen. Aber es war für ihn dennoch eine seltsame Sache, den edlen Herrn Johann anzusprechen. Denn der Michl hatte noch nie zu einem Herrn etwas gesagt, bevor er nicht dazu aufgefordert gewesen ist. Das gehört sich ja nicht. Er nahm all seinen Mut zusammen. In möglichst schlechtem Welsch wollte er den edlen Herrn erst einmal ansprechen, aber der Michl wusste nicht, wie man auf Welsch sagt, untertänigst.

Da fuhr es aus ihm in seiner Muttersprache heraus, und er fragte den edlen Herrn untertänigst, ob er den edlen Herrn untertänigst fragen darf, wo er denn herkomme.

Jetzt konnte man es dem Herrn Johann nicht ansehen, ob er sich freut, seine Muttersprache zu hören. Man merkte nur, dass er es verstanden hat. Denn an Stelle einer Antwort fragte er zurück, ob gewiss der Michl ein Erzbischöflich-Salzburgischer ist? Er sagte es in einer Sprache, wie sie fast in Zeiring ein bisschen klingt. Oder vielleicht wie der Baltasar aus Hartberg geklungen hatte. Da wusste der Michl selbst nicht mehr, ob er sich freuen soll. Denn es ist zwar etwas Schönes, wenn einer an deiner Sprache merkt, wo du herkommst. Aber der Michl wusste gar nicht, ob er sagen kann, er ist ein Erzbischöflich-Salzburgischer. Oder ob er es will. Denn dann ist man ja auch kein freier Mann mehr. Und kein venezianischer Calafato. Und es hat dem Michl die Sprache verschlagen.

Da sagte der edle Herr Johann, dass der Michl sich nichts daraus machen soll. Es gehe ihn, den Herrn Johann aus Österreich, ohnehin nichts an, was denn ein erzbischöflich-salzburgischer… nun, Untertan, in einer venezianischen Arbeitstracht im marseillaisischen Fontego im sarazenischen Alexandria zu suchen hat. Und, das müsse man sagen, der Herr im Himmel habe ihnen, den Pilgern, so viel Gnade geschenkt auf ihrer Reise, dass er, der Herr Johann, nun nicht gut gleich ungnädig gestimmt sein könne. Und das habe bereits im Hafen von Jaffa begonnen, am Anfang der Reise im heiligen Land, wo er, der Herr Johann, ohne die Hilfe des Herrn im Himmel und ohne den guten Said, sicher entweder im Kerker verhungert wäre oder von den Sarazenen erschlagen worden wäre oder im besten Fall längst wieder auf dem Schiff auf der Heimreise gewesen wäre, ohne das heilige Grab unseres Herrn je besucht zu haben, und geschweige denn bei dem Ritt auf den Kamelen in der Wüste, aber da unterbrach ihn sein Sitznachbar. Ebenso auf Deutsch sagte er, der junge Mann wollte ja vielleicht gar nicht die ganze Geschichte hören. Und er stellte sich vor, und er hieß Herr Barthel, und er war aus Toblach. In schlechtem Welsch rief er einen Jungen herbei, der mit einigen Krügen Wein unterwegs war.

Sie stießen alle an, außer dem Said. Der Michl schaute zum Said hinüber, ein zierlicher und sehniger Mann mit dichtem schwarzem Schnurrbart. Aber der Said zeigte keine Regung. Der Herr Barthel sagte zum Michl in schlechtem Welsch, dass der Said sich nicht freut, regelmäßig Zeuge von christlichen Weingelagen zu werden. Aber er hat sich daran gewöhnt. Wieder schaute der Michl zum Said, und er wollte wissen, ob der vielleicht spöttisch schmunzeln wird, oder vielleicht die Brauen zusammenziehen wird, aber der Said schaute den Herrn Barthel einfach ruhig an. Der Herr Barthel sagte zum Michl, er soll selbst hinschauen: man braucht vor dem Said nichts zu verstecken und kann alles in der Lingua franca sagen. Der Michl fragte sich, was denn das schon wieder sein soll. Dann fiel ihm ein, dass alle Christen bei den Sarazenen Franken heißen, und dann ist die Lingua franca eben genau das schlechte Welsch, das sie die ganze Zeit redeten. Es hat einen Namen! Er fand es gut, und er ließ es sich gleich bestätigen: Die Lingua franca, ist das die Art, wie wir hier das Welsche sprechen, fragte er den Herrn Barthel?

Statt des Herrn Barthel antwortete der Said selbst. Er sagte, naʿam. Ja. Und er sagte zum Michl, er soll entschuldigen, dass die Sarazenen die christlichen Völker alle Franken nennen. Er, Said, hat als Führer und Dragoman der Pilger schon viele Christen gesehen, die sich selbst nicht Franken nennen. Er sagt es oft seinen Glaubensgenossen, dass es viele Völker sind, nicht nur Franken. Aber sie wollen es sich nicht angewöhnen, die Glaubensgenossen. Der Michl staunte, über was für Dinge sich der Said Gedanken macht. Er hatte ja nur wissen wollen, was die Lingua franca ist.

Dann sagte der Said, es macht ihm nichts aus, wenn die Pilger Wein trinken. Denn sie brauchen ihn ja, sagte er. Er hat schon Fremde gesehen, die sich mit Wasser begnügt haben, dann sind sie krank geworden. Man muss einem Menschen erst einmal das geben, was er gewohnt ist. Der Michl nickte, denn er dachte an den sterbenskranken Pilger auf der Bevegnuda. Der Michl staunte auch, wie gelassen der Said über den Wein sprach. Wie es der Henrigo erklärt hatte, sind die Sarazenen sehr kompliziert mit dem Wein. Der Said aber, das konnte der Henrigo jetzt selbst sehen, war nicht kompliziert damit.

Jetzt widersprach aber der Herr Barthel dem Said. Er sagte, wer ein Franke ist, ist zwar den Wein gewohnt, aber man kann ja doch ohne ihn leben. Es gibt ja Franken, die Sarazenen geworden sind, sagte er, und sie haben fortan ohne den Wein leben können. Der Said nickte, und er sagte,

– InschaʾLlah.

Der Herr Barthel erklärte es dem Michl. Inscha’Llah, das heißt, so Gott will. Kann denn der Herr Barthel arabisch, fragte der Michl? Nein, aber das sagt ja der Said immerzu, sagte der Herr Barthel, inscha’Llah. Und dann sagte er noch, man muss ja nur einmal zu den Marinai an der anderen Tafel hinüberschauen, dann sieht man, dass es auch nicht so gut ist, wenn Leute den Wein gewohnt sind. Der Michl wunderte sich über diese Rede, denn was man da sehen konnte, das waren einfach nur betrunkene Marinai. Manche schrien laut herum, manche schliefen schon. Aber was daran nicht gut ist, wusste er nicht, denn sie störten niemanden. Oder sollte es so sein, dass der Herr Barthel sich daran störte? Dann wäre das ein ungewöhnlicher Mensch. Immerhin, er war ein Pilger, vielleicht war er dann auch ein Asket. Der Henrigo fragte, und, was ist jetzt mit den Marinai? Sie sind betrunken, und man sieht, so sagte er, dass sie den Wein eben gerade nicht genug gewohnt sind. Auf dem Schiff hat man immer nur eine begrenzte Portion bekommen, verdünnt, jetzt vertragen sie ihn nicht mehr.

Dann fragte der Henrigo, ob das denn kein Wein ist, das, was der Said da in seinem Krug hat? Es sieht doch gerade so aus. Nein nein, und es war der Herr Barthel, der das sagte, als ob es der Said nicht selbst sagen könnte. In seinem Krug ist eine Scherbet. Da schaute natürlich der Henrigo verwundert, und einer der Pilger erklärte es ihm. Sie machen sich das Wasser süß mit Früchten und mit Zucchero, sagte er. Am besten schmeckt es, wenn sie etwas Zitrone hineintun, sagte ein anderer. Aber das hier, das ist mit Melagrana, sagte der erste. Bei Melagrana musste der Michl an den Calussio denken und an Codissago. Eine Melagrana, das würde ihm schon wieder einmal gut schmecken. Wenn es sein muss, auch in einer Scherbet.

Der Said räusperte sich, und er sagte, er bedankt sich für die Gesellschaft. Heute im Fontego, und während der ganzen Wochen. Er sei in guter Gesellschaft gewesen, wiederholte er. Der Michl merkte, das wird jetzt ein Abschied. Und die anderen Männer wollten keinen Abschied. Sie waren es doch selbst, die bei ihm in guter Gesellschaft waren, sagte einer. Er war der beste Dragoman, den es gibt, sagte ein anderer. Ja, fast so gut, wie wenn es ein Christ gemacht hätte, sagte sein Nachbar. Der Herr Barthel sagte, er soll doch noch bleiben.

Der Herr Johann sagte etwas in schlechter Lingua franca. Der Michl ahnte nur so viel, dass es etwas mit Essen zu tun hatte. Der Michl hatte richtig geahnt. Denn der Herr Barthel sagte daraufhin auf Deutsch zu dem Herrn Johann, dass er doch weiß, dass der Said bei einem christlichen Koch nie etwas isst. Ja, er hat Angst, dass etwas vom Schwein darin ist, sagte der Herr Johann ein klein wenig ärgerlich, obwohl doch unser Koch bei den Sarazenen eingekauft hat. Da kann nichts vom Schwein darin sein. Aber er hat keine Sicherheit, sagte der Herr Barthel. Der Said schaute zu und verstand kein Wort. Aber vielleicht wusste er doch, um was es geht, denn warum hätten sie sonst auf Deutsch zu reden angefangen. Dann sagte der Said, ich erzähle euch etwas.*

Der Prophet Muḥammed, Friede sei auf ihm, hat ein Schwein am Rand der Straße liegen sehen, es lag mit vielen kleinen Ferkeln dort im Schlamm, und die Ferkel tranken von der Mutter. Und der Prophet freute sich daran, und sagte, wie schön das von Gott gemacht ist. Und als er das gesagt hatte, sprang das Schwein auf aus dem Schlamm, und dabei sprang auch der Schlamm von der schmutzigen Seite des Schweins auf den Mantel des Propheten, so dass auch er sehr schmutzig wurde. Da wurde der Prophet ärgerlich, und er sagte, kein Gläubiger soll je von dieser schmutzigen Seite des Schweins etwas essen. Und die Gläubigen hielten sich daran. Doch kurz darauf wussten sie nicht mehr, welche Seite des Schweins die schmutzige gewesen war. Was sollten sie tun?

Die Männer am Tisch lachten. Sie haben beide Seiten nicht mehr gegessen, sagte einer. So ist er, unser Said, sagte einer, und, ja, so ist er, sagte noch einer, und dieser zweite beugte sich herüber und klopfte ihm auf die Schulter. Der Said lächelte ohne zu lachen, und er sah so freundlich wie schon die ganze Zeit aus seinen beweglichen Augen. Der Michl vermutete, dass der Said die Geschichte vor allem aus dem Grund erzählt hatte, damit ihm die Christen nicht wütend sind, dass er ihre Gastfreundschaft ausschlägt. Wer richtig lacht, ist nicht wütend.

Dann stand der Said wirklich auf. Er verabschiedete sich von jedem einzeln. So wie einer, dem seine Pilgergruppe etwas bedeutet. Als der Henrigo an die Reihe kam, sagte der Said, wenn die beiden jungen Männer auch eine Pilgerfahrt machen wollen, dann will er, Said, ihnen gerne zu Diensten sein. Der Henrigo lachte. Wir fahren bald nach Venedig zurück, sagte er. Dann drehte sich der Said zum Michl. Der Michl wollte gerne fragen, wohin der Said ihn denn führen könnte, wann es losgeht, was es kostet. Solche Dinge eben. Aber der Henrigo sollte ja nicht wissen, was sein Plan war. Und dann: der Said ist trotz allem ein Sarazene. Der kann dir vielleicht nicht weiterhelfen bei dem, was du suchst. Allerdings wusste der Michl, dass ihm auch schon ein Ketzerpaar weitergeholfen hat, und dass ihm eine Zichi, eine Heidin, sogar unvergleichlich viel weitergeholfen hat. Heiden können womöglich Werkzeuge Gottes sein. Aber was tun, wo doch der Henrigo jetzt dabei war?

Vielleicht weil der Michl so abwesend ausgeschaut hat, jedenfalls, als ob der Said seine Gedanken hören konnte, sagte er, vielleicht überlegt ihr es euch noch einmal. Der Said wollte in Alexandria warten, ob neue Pilger kommen, und das konnte lange dauern, da seit der Seuche nur wenige Pilger auf die Reise gehen. Der Said reist immer im Wechsel mit einer Gruppe von Jerusalem zum Sinai und nach Alexandria, und dann denselben Weg mit einer anderen Gruppe zurück. Aber länger als bis in den Dezember wollte er nicht warten. Denn er musste im Frühjahr auch wieder zu seiner Familie nach Ramlah kommen. Der Michl sagte, ja, danke für die Auskunft. Er versuchte es zu sagen wie einer, dem es eigentlich gleichgültig ist. Der Said sagte, wenn sie als Marinai eingeschrieben sind beim Amir von Alexandria, dann können sie dennoch beim obersten Dragoman neu eingeschrieben werden als Pilger. Das macht man in Kairo. Der Michl sagte wieder, ja, danke, wie einer, der nicht unhöflich sein will. Der Herr Johann sagte, auf Deutsch, er versteht sein Geschäft, der Said. Dann verließ der zierliche Dragoman unter seinem großen Hut endgültig den Fontego. So ein kleiner Mann unter einem so großen Turbante, sagte der Herr Barthel. So ein kleiner Mann, und so ein starker Wille, sagte sein Nachbar. Du meinst, wie er um neue Pilger wirbt, fragte der Herr Barthel? Nein, sein Willen, keinen Tropfen Wein anzurühren, sagte der andere. Als ob er Angst hätte, er könnte ihn dann nie mehr loslassen. Da hast du recht, sagte der Herr Barthel, das hat uns der Said erzählt. Was meinst du, fragt ein anderer? Ich meine, wie er einen kennengelernt hat, der den Wein nicht mehr gelassen hat, bis er gestorben ist wie ein Hund. So etwas gibt es ja auch, sagte der Herr Barthel, und er sagte, ich glaube, die Sarazenen halten jeden von uns für einen Hund, der sterben wird wie ein Hund.

Und der Michl kam auf diese Weise auf einen Gedanken. Er brauchte nicht lange zu warten. Dann fiel am anderen Tisch einer der Marinai betrunken von der Bank herunter. An dessen Stelle setzte sich nun der Michl.

Als es fast dunkel war, und das ist gefährlich, denn wenn es ganz dunkel ist, dann darf bei den Sarazenen kein Franke mehr auf der Gasse sein, als es also fast dunkel war, torkelte der Michl durch die Gasse, und der Henrigo stützte ihn, dass er nicht hinfiel. Bist du von Sinnen, fragte der Henrigo, dass du dein ganzes Geld für den Wein hergibst? Geld isss genug da da, lallte der Michl. Nicht so laut, flüsterte der Henrigo, und woher willst du so viel Geld nehmen? Der Baltha… der Banto… der Baldoino hat es dem alten Michele an Laland gebracht, lallte der Michl. Reiß dich zusammen, befahl ihm der Henrigo, siehst du nicht, wie grimmig die Sarazenen schauen? Ich bin müüde, lallte der Michl. Lass uns aufm Berg steischalafen. Da ist kein Berg, zischte der Henrigo. Wir sind in Alexandria. Dadoch, ein Berg, protestierte der Michl sehr laut. Sch, zischte der Henrigo. Aber da war wirklich ein Berg. Der Michl hatte ihn mit scharfen Augen von weitem erkannt.

Jetzt standen sie vor ihm, das heißt, der Henrigo stand vor dem Berg, und der Michl hing am Henrigo. Sie hatten womöglich den Weg verloren, denn zwischen den Fonteghi hatten sie noch nie einen Berg gesehen. Mitten in der Stadt! Ein Sarazene kam auf sie zu und fuchtelte mit den Armen. Sie verstanden ihn nicht. Doch, sie verstanden ihn, es war klar, dass er sie von hier weghaben wollte. Frangi, sagte der Sarazene, und verwehrte den Weg mit den Händen. Frangi, das sind wir Franken, sagte der Henrigo zum Michl. Und zu dem Sarazenen sagte der Henrigo, Funduq Venis. Der Sarazene zeigte ihnen, wohin sie gehen mussten zum Fontego der Venezianer. Er zeigte es ihnen sichtlich gerne, denn so konnte er den grölenden Michl aus seiner Gasse loswerden.

Als der Henrigo einige Abende später schon wieder mit dem Michl auf dem Heimweg war, diesmal vom Funduq der Aragonier, oder man muss sagen, als der Michl vom Henrigo zum Funduq der Venezianer heimgeschleppt wurde, da zischte der Henrigo wütend, er geht mit dem Michl in keinen einzigen Fontego mehr. Und er sagte, er hat ja nicht gewusst, dass man bei denen von Aragón auch Wein bekommt, wenn man genug Geld dabeihat. Und er sagte, dem Michl wird es wahrscheinlich sogar gelingen, in einer Sarazenenkirche Wein zu bekommen, mit seinem Geld. Und er sagte, er ist dieses Mal nur aus dem Grund wieder mit dem Michl gekommen, weil er gehofft hat, ihn zu beschützen, nachdem er schon dreimal betrunken vom Saufen heimgekehrt ist. Und er sagte, man kann aber den Michl nicht vor sich selbst beschützen. Und er sagte, der Michl soll ruhig all das Geld, das er in sieben Jahren in Venedig verdient hat, in drei Wochen in Alexandria ausgeben für den Wein, dann kann er es wieder sieben Jahre lang sammeln, und danach wieder nach Alexandria kommen und alles ausgeben. Er selbst, der Henrigo, wird sein Geld weiterhin in Venedig lassen, und nicht mehr lange, dann kann er sich dort eine Frau nehmen, und eine ehrliche Schiffszimmermannsfamilie gründen.

Einen Tag lang war der Michl wieder zu nichts zu gebrauchen. Am Tag darauf musste er noch einmal auf die Bevegnuda kommen, um sie auf die Heimreise vorbereiten zu helfen. Der Michl musste am Ende dieses Tages auch vor dem Padrone erscheinen. Er musste sich etwas anhören.

Der Padrone sagte, man habe gehört, der Michele kennt schon alle Spelunken der Stadt. Und wenn man den Michele irgendwann im Kerker besuchen muss, dann wäre das schade um den Michele. Aber das heißt: schade um jenen Michele, den man auf der Seereise kennengelernt hat. Nicht schade um diesen Michele, der neuerdings beim Arbeiten das Pech überlaufen lässt, und der die Nägel krumm schlägt, und der am Ende einen ganzen Hammer ins Wasser fallen lässt. Der dann bald auch selbst ins Wasser fallen wird. Oder in den Wein. Denn wenn du voll Wein etwas Krummes machst, da sind die Sarazenen nicht lustig. Also so viel Geld, diesen neuen Michele aus dem Kerker der Sarazenen wieder freizukaufen, so viel Geld hat der Padrone nicht. Denn so viel Geld hat bereits der verlorene Hammer gekostet. Was übrigens am Ende vom Lohn abgezogen wird. Und der Padrone sagte, es gibt im Fontego von Marseille einen Kaplan, bei dem kann er das Sakrament der Beichte empfangen, und dann wird ihm der Herr Jesus Christus vielleicht noch einmal auf den geraden Weg helfen. Der Michl war dem Padrone sehr dankbar für diesen Vorschlag. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht.

Am dritten Tag sagte der Michl also dem Henrigo, er geht zum Kaplan von Marseille. Wenn der Michl so etwas sagt, dann lügt er nicht.

Nach dem Besuch beim Herrn Kaplan und dem Empfang des Sakraments der Beichte – es war schließlich unbekannt, wann es dazu in den nächsten Wochen wieder Gelegenheit geben würde – ging der Michl geradewegs wieder in den Fontego von Aragón. Und setzte sich in eine kleine Kammer und wartete auf den Lenart. So, wie die beiden es verabredet hatten. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Lenart kam, obwohl der ihn beim Hereinkommen schon gesehen hatte. Als der Lenart dann kam, kam er nicht allein, sondern er brachte den Hauswirt des Fontego mit und stellte die beiden einander vor. Michele, das ist der Esteni, und Esteni, das ist der Michele.

Der Esteni sagte dem Michl, er weiß schon Bescheid, der Michele ist der, der den fehlenden Dienstburschen ersetzen kann. Er sagte, das geht zwar eigentlich gar nicht, ein Venezianer als Bursche im Fontego von Aragón. Aber, so sagte er, er hat schon mit dem Herrn Consul von Aragón gesprochen, und der Consul ist einverstanden, denn der Esteni braucht unbedingt einen neuen Burschen. Der Consul wird also aus dem Michele amtlich einen Miguel machen, einen Spanier. So wie er auch den Lenart aus Udine amtlich zu einem Lleonard gemacht hatte, nachdem die Seuche am schlimmsten gewütet hatte. Der Consul muss dem Amir der Sarazenen glaubhaft machen, woher er mit einem Mal diesen neuen Burschen hat. Wenn es dem Michl nichts ausmacht, ein Spanier zu sein, sagte der Esteni. Dem Michl machte es nichts aus.

Pass auf, sagte der Esteni zum Michl. Du heißt Miguel, du bist ein Bursche aus dem Land von Valencia. Der Michl nickte, er kannte bereits solche Maßnahmen mit Angabe einer falschen Herkunft. Dich haben die spanischen Sarazenen gefangen, fuhr der Esteni fort, und sie haben dich nach Ägypten verkauft, an einen gewissen Sarazenen namens Yusuf. Den gibt es wirklich. Der Michl nickte. Der Consul von Aragón hat dich dem Yusuf abgekauft, und der Yusuf bestätigt es ihm auf einem Papier. Der Michl nickte, aber er fragte, es ist ja dann keine gültige Urkunde, auf Papier statt auf Ziegenhaut? Der Esteni hob die rechte Augenbraue und sagte, oho, wir bekommen hier einen Doctor Miguel in den Fontego. Aber er sagte auch, bei den Sarazenen ist es nicht so; das Papier genügt ihnen. Nur, sagte er schließlich, man gibt dem Yusuf einige Dirham für das Papier und einige für den Dienst. Also, der Michl gibt es ihm. Der Michl nickte, denn genau so war es ausgemacht mit dem Lenart. Er zog die Münzen heraus und kaufte sich damit ein neues, ein katalanisches Leben.

Das war dann doch etwas Besonderes. Selbst Katalane zu sein! Er dachte an den Misser Antoni, und Gott weiß an wen alles. Maciá, Lorién, Felipe. Ramón, der ihn schwer verprügelt hatte. Jordi, den er gar nicht kannte. Die er hoffentlich beide in Ägypten finden würde. Der Michl war jetzt einer von ihnen allen. Er fragte sich, wie lange dieses neue Leben halten würde.

Der Esteni war noch nicht fertig. Der Michele muss erst aus dem venezianischen Leben verschwinden, bevor er Miguel werden kann, sagte er. Das ist nicht schwer, sagte der Michl. Er erklärte, dass man dort denken wird, er habe den Wein nicht mehr lassen können, und er sei irgendwo umgekommen wie ein Hund. Da schnalzte der Lenart mit der Zunge. Deswegen die ganze Gaukelei, rief er! Welche Gaukelei, fragte der Esteni? Der Lenart erklärte dem Esteni, wie er dem Michele, als er zusammen mit dem Henrigo da gewesen war, einen Krug mit roter Scherbet nach dem anderen hat einschenken müssen, und dass der Michele sehr begabt darin ist, einen Suff vorzugaukeln. Der Miguel ist mutig, sagte der Lenart stolz, er hat sogar auf der Gasse laut gegrölt, mitten unter all den Sarazenen. Aber an dieser Stelle kam unerwartet Widerspruch vom Esteni. Das, so sagte er sofort sehr scharf, das darf der Miguel nie mehr tun. Denn was die Sarazenen mit dem Miguel machen, das ist zwar seine eigene Sache. Aber dass der Fontego von Aragón einen schlechten Ruf bekommt, das darf nicht geschehen. Denn die Sarazenen sind sehr kompliziert mit dem Wein, sagte er. Manche von ihnen nehmen gern die Steuern, die auf dem Wein sind, andere kaufen sich gern selbst ein feines kleines Fass mit Zyperwein. Aber wenn eine zornige, den Wein hassende Volksmenge über einen Fontego herfällt und alles kleinschlägt, dann wagt es kein Admirato der Welt, die Rasenden aufzuhalten.

Der Michl nickte erschrocken. Er versprach, es nie mehr zu tun. Es war nicht schwer zu versprechen, denn dieser Teil des Plans war bereits ausgeführt.

Dann sagte der Esteni, dass seine Gaukelei dem Miguel sicher helfen wird, aber dass der Consul der Venezianer den Michele trotzdem suchen wird, und da wird er in den Fonteghi der anderen Franken nachsehen. Wenn er nicht sogar zum Admirato geht. Da müsse sich der Miguel noch etwas ausdenken, sagte er. Hier im Fontego sich zu verstecken, das geht jedenfalls nicht. Denn man kann nicht allen, die hier wohnen, erklären, dass der Michele in Wahrheit gar nicht da ist. Der Michl nickte. Dann dankte er dem Esteni herzlich, und er sagte, er ist sehr erfreut, dass ihm jetzt in Alexandria ein Katalane aus der Not hilft, wie es in Venedig schon einer getan hat. Der Esteni schaute den Lenart an. Ein Katalane, der dem Miguel aus der Not hilft? Welchen Katalanen meint er, fragte er? Die beiden grinsten. Dann sagte der Lenart aus Udine, dass der Esteni aus Narbonne ein Provenzale ist. Der Michl fragte, ob es dann im Fontego von Aragón überhaupt einen Katalanen gibt? Es kann sein, dass der Herr Consul einer ist, sagte der Esteni. Sein Lachen war noch zu hören, als er schon aus der kleinen Kammer hinaus war.

Dann fragte der Michl den Lenart, ob nach ihm gefragt worden ist. Ja, sagte der Lenart, zuerst war der Henrigo einmal da und hat nach dir gefragt, und dann ist noch ein Padrone von der venezianischen Muda in höchsteigener Person dagewesen. Ich habe beiden gesagt, wie verabredet, du warst zwar da, aber du bist soeben wieder fortgegangen, und du hast drei oder vier Krüge Wein getrunken, wie viel genau, weiß ich nicht mehr. Der Michl bedankte sich, und er gab dem Lenart noch einen Groschen.

Und was wird der Miguel nun machen, fragte der Lenart den Michl? Damit er den Venezianern verloren geht? Der Michl sagte, er hat den Berg in Alexandria gesehen. Auf einem Berg kann man auch unter freiem Himmel gut einmal übernachten, sagte er. Der Lenart schaute entsetzt. Das ist kein Berg, rief er! Das ist der Abfallhaufen der Stadt! Der Michl staunte, aber er hatte es schon bemerkt, dass es dort stinkt. Aber er sagte, dort hat er arme Gestalten hinaufsteigen sehen, und manche haben dagelegen und geschlafen. Eine arme Gestalt kann er selbst auch leicht abgeben, sagte er. Er bat nur den Lenart, wenn es soweit war, erstens einige Sachen aus Michls Bündel im Fontego aufzubewahren. Nur einige Sachen, denn das Bündel musste der Michl natürlich bei den Venezianern lassen. Es sollte ja nicht aussehen, als sei er absichtlich fortgegangen. Zweitens bat er den Lenart, falls man wieder nach ihm sucht, zu sagen, der Michl sei betrunken in die Gasse hinausgejagt worden, und man habe ihm gesagt, er soll sich nicht mehr blicken lassen.

Und wie gesagt, sagte der Michl. Ich suche auch den Ramón. Mit oder ohne Messer. Er muss ja irgendwann im Fontego von Aragón erscheinen. Ramón, Ramón, wer ist das, fragte der Lenart? Der Michl zog die Augenbrauen zusammen und wollte etwas sagen. Nein, lass, sagte der Lenart, es war nur Spaß. Ich weiß schon. Ramón, dick, alt. Narbe. Messer mit gestreiftem Griff. Wie gesagt.

Am Tag bevor die Handwerker das Schiff endgültig besteigen mussten, am Vormittag, lud der Michl den Henrigo zu einer Scherbet ein