Der Streichelmörder ... oder "Black Touch" - Ursula Jaensch - E-Book

Der Streichelmörder ... oder "Black Touch" E-Book

Ursula Jaensch

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Beschreibung

Ein Mann ist wie ein starker Baum, der Wind und Sturm entgegentrotzt, aber im Sturm der Liebe ist er ein Halm, vielleicht ein Grashalm, von Emotionen geschüttelt. Würde er noch einmal schwach werden, seinem unheimlichen Drang nachzugeben, dem Gedanken zu folgen, eine geliebte Frau für immer nur für sich allein zu besitzen? Er schauderte, war sich nicht sicher und dachte an die traumhaften letzten Stunden mit seiner Gina. Und wieder kam er zu seinem Wunschdenken zurück. Er redete es sich schön: "Die Liebe ist etwas Seltsames, ein Gefühl von Hoffen, Bangen und Sehnen. Verschmelzung miteinander, ineinander." Und wenn das Fünkchen überspringt, was würde dann mit ihm geschehen? Dieser Frage versucht Kommissar Ravenna auf den Grund zu gehen. Ein spannender Psycho-Thriller, der unter die Haut geht. Die Autorin Ursula Jaensch nimmt uns mit in das Reich der Psyche. Sie beschreibt das Seelenleben des Gartenbauarchitekten Clemens Horn. Der Leser erhält Einblicke in das Bewusste, Unbewusste eines gestörten Menschen mit all seinen Höhen und Tiefen.

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Übereinstimmungen mit lebenden Personen und tatsächlichen Ereignissen sind zwar nicht zufällig, aber dennoch fiktiv.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Entscheidung in Italien

Kapitel 2: Meine jüngste Liebe

Kapitel 3: »Einmal selbst sehen, ist mehr wert, als hundert Neuigkeiten zu hören«

Kapitel 4: Ausflug nach Caserta

Kapitel 5: War ich auf dem richtigen Weg?

Kapitel 6: Wie konnte ich Gina dazu bewegen, bei mir zu bleiben?

Kapitel 7: Glut über Caserta

Kapitel 8: Träume nicht vom Leben, sondern lebe deinen Traum

Kapitel 9: Abschied von Gina

Kapitel 10: Gina auf der Heimreise

Kapitel 11: Das Schicksal nimmt seinen Lauf

Kapitel 12: Hatte ich mich rechtzeitig von Caserta entfernt?

Kapitel 13: Marco Zucci unter Verdacht

Kapitel 14: Clemens Horn: meine Rückkehr nach Deutschland

Kapitel 15: Kommissar Ravenna ist mir auf der Spur

Kapitel 16: Gespieltes Entsetzen

Kapitel 17: Durchsuchungsbefehl für Marco Zucci

Kapitel 18: Für Kommissar Ravenna ist Clemens Horn der Mörder

Kapitel 19: Gina lässt mich nicht los

Kapitel 20: Die Familie macht sich Sorgen

Kapitel 21: Der Pathologe spricht Klartext

Kapitel 22: Großmutter Anne ahnt etwas

Kapitel 23: Es ist vollbracht

Kapitel 24: Viele Jahre sind vergangen

Kapitel 25: Ich erstarrte zu Eis

Erklärung: Der Wunsch nach Vernichtung

Vorwort

Die Liebe ist etwas Seltsames, ein Gefühl von Hoffen, Bangen und Sehnen, von Anlehnung an eine Leidenschaft, die einem mehr bedeutet als man selbst. Verschmelzung miteinander, ineinander, ein gleiches Feuer wohnt in zwei Seelen, zwei Körpern, nicht ahnend, dass plötzlich alles anders ist. Denn Liebende sind gefangen in sich selbst und im Anderen, wollen gefallen. Loslassen gibt es nicht, man kämpft mit allen Mitteln um das, was man liebt. Und wenn das Fünkchen überspringt, dann sieht, hört und fühlt man anders als vorher, denn der Himmel ist blauer und höher, das Meer rauscht intensiver. Die Bäume wispern einem mit zarten Blätterrauschen Dinge zu, die man bereitwillig als etwas Esoterisches, Mystisches in sich aufnimmt und so badet man sich in diesen Gefühlen. Man steht über allen Dingen, hat Flügel. Ein Mann ist wie ein starker Baum, der Wind und Sturm entgegentrotzt, aber im Sturm der Liebe ist er ein Halm, vielleicht ein Grashalm, der von Emotionen geschüttelt wird.

Wenn aber die Liebe übermächtig und besitzergreifend wird, dann hilft einem nur das eigene Fingerspitzengefühl. Nichts und niemand, nur man selbst kann eine Lösung finden, um sich zu befreien.

Kapitel 1:Entscheidung in Italien

Eine kühle Brise kam vom Meer herüber. Ich saß auf der Terrasse der Villa Margarita über meinen Unterlagen und las in einem Buch über englische Gärten. Ich war verliebt in dieses Werk. Unhandlich war es, weil es ein unübliches, großes Format hatte, und schwer war es, weil das Papier matt und seidig glänzte. Aber es ließ mich nicht mehr los, ich war gefangen von seiner Fülle. Hier prangten mir Bilder von englischen Gärten entgegen, die in ihren Anlagen so viel Schönheit, Ausgewogenheit, Strenge, aber auch Verspieltheit aufzeigten, dass ich gar nicht aufhören konnte, mir diese Pracht immer und immer wieder anzuschauen. Es war nicht das erste Buch dieser Art, dass ich in den Händen hielt, aber dieses bewunderte ich ganz besonders. Denn ein Satz im Vorwort ließ mich einfach nicht wieder los: Gärten sind dafür gemacht, um die Sinne zu entfachen.

Bevor ich nach Italien kam, wusste ich lange nicht, was ich studieren sollte. Ich konnte mich für nichts so recht entscheiden. Meine Eltern drängten mich, deshalb war ich in den Süden gereist, um mir über meinen Berufswunsch klar zu werden. Nach Italien hatte es mich schon öfter gezogen. Anfangs war ich mit Vater und Mutter nach Malcesine zum Gardasee gefahren. Das italienische Flair und das Haus von Mutters Freundin Tiziana bezauberten mich. Ich fühlte mich wohl in dem alten, geräumigen Kasten mit seinen vielen schönen Zimmern, Ecken und Erkern, die es zu entdecken galt. Und auch der Garten lockte mit seiner einzigartigen Anlage. Er stieg den Berg in mehreren kleinen Ebenen hinan, auf denen es grünte und blühte. Kleine Pinien und Zypressen begrenzten das Grundstück. Das Haus, mit seinem Eingang oben an der Straße, stieg den Berg hinunter. Auf beinahe jeder Etage befand sich eine Terrasse, auf der verschiedene Palmenarten des Mittelmeerraums in großen Kübeln standen. Jede dieser Plattformen erschloss eine andere Sicht auf den herrlichen See, mit seinen unbeschreiblich tiefen, blauen und grünen Wassern.

Die Landschaft, ein angenehmes Klima und südländisches Leben sind keineswegs die einzigen Anziehungspunkte. Die bewegte Geschichte spiegelt sich für mich noch heute in einzigartigen Baudenkmälern und fantastischen Garten- und Parkanlagen wider. Ich war gefangen von der Natur, der Mächtigkeit der Berge und der Sanftheit der unteren Regionen des Gardasees in all der südländischen Schönheit mit seinen herrlich weißen Stränden und Palmen. Die englischen Gärten waren wohl auch Ausgangspunkt für meinen Berufswunsch, jedoch schreckte mich das Klima mit viel Nebel und Regen in England.

Deshalb reiste ich weiter nach Süden nach Neapel. Jeder kennt das bekannte Sprichwort ›Neapel sehen und sterben‹. So erging es mir, denn kaum ein anderer Landstrich Italiens kann sich an landschaftlicher Schönheit mit dem Golf von Neapel messen. Der Besuch der Stadt allein genügt nicht, es ist die großartige Vielfalt der Umgebung, die mich immer wieder begeistert. Neapel mit seinem lebhaften Verkehr und dem Menschengewühl fand ich anfangs verwirrend, doch die Menschen sind nicht nur geschäftstüchtig, sondern sie sind aufgeschlossen, warmherzig und sehr hilfsbereit, das habe ich oft erleben dürfen.

Für mich stand nach kurzer Zeit unwiderruflich fest, zukünftig werde ich in Neapel mit seiner grandiosen, landschaftlichen Vielfalt mein Studium als Gartenbauarchitekt beginnen, um endlich das umzusetzen, was ich mir immer gewünscht hatte.

Kapitel 2:Meine jüngste Liebe

Zwanzig Jahre war ich alt. Es war eine Zeit des blühenden Lebens, als ich endgültig nach Italien ging. Ich sah mir die Gärten auf den Inseln an und dachte bei jedem von ihnen, dass der liebe Gott diese herrlichen Landschaften, in denen sich Gärten besonders gut gestalten ließen, sicher am siebten Tag seines Wirkens erschuf. Für mich war so viel Pracht auf einmal kaum zu ertragen, besonders weil ich nun endgültig beschloss, selbst Gartenträume, Parks und Anlagen zu verwirklichen. Meine Eltern steckte ich nach meinen Italienbesuchen mit meiner Begeisterung an und riss sie mit in den Traum, den ich zu beleben gedachte. Ich war in meinem jugendlichen Elan nicht mehr zu bremsen und beschloss, recht bald in Neapel zu studieren. Nach vielen Überredungskünsten hatte ich die Eltern soweit und mein Vater sagte: »Na gut, Junge, wenn du meinst, dann soll es so sein. Ich sehe schon, wir können dir diese Idee mit dem Auslandsstudium nicht ausreden und Italien ist ja wirklich ein Land wie kein anderes. Mir hat es ja auch das mediterrane Wohlfühlklima angetan.«

Mutter nickte nur und resümierte: »Ich habe schon lange gewusst, dass er für eine Banktätigkeit, wie du sie bevorzugt hast, nicht das geringste Interesse zeigt und sich nie einer Tätigkeit im Büro widmen würde. Er war von Anfang an ein ›Draußenkind‹. Nur bei ganz schlechtem Wetter hielt er es im Haus aus. Ich finde es gut, dass er sich etwas gesucht hat, das seinen Neigungen und seinem Interesse entspricht. Ich glaube, dass das Studium zum Gartenbauarchitekten genau das Richtige ist. Es hat zwar ein Weilchen gedauert, bis er sich dazu entschlossen hat, aber wenn ich noch an seine Begeisterung denke, die er bei der Villa D’Este, den schönen Kaskaden und dem herrlichen Park in der Nähe von Rom gezeigt hat, dann musste es etwas in dieser Richtung sein. Ich dachte, er würde vielleicht in Richtung Kunstgeschichte gehen, weil er sich ja auch immer für die Restauration alter Häuser, Kirchen und Bilder interessiert hat, aber da wäre er zum größten Teil nicht draußen. Ich denke, er hat eine gute Wahl getroffen.«

Und so gaben mir meine Eltern ihren Segen und ich konnte mit meinem Studium beginnen. So ganz einfach war das natürlich nicht, denn ich hatte zwar Grundkenntnisse der italienischen Sprache, aber für ein Studium reichte es bei Weitem nicht aus. So nahm ich den Rat meiner Großmutter Anne an, der mir noch im Ohr war: »Schaff’ dir eine kleine, hübsche, italienische Freundin an! Du wirst sehen, dass du im Handumdrehen die Sprache erlernst. Natürlich brauchst du auch professionelle Hilfe, aber das Beste für das Erlernen einer fremden Sprache ist der Umgang mit den Menschen, und da ist eine Freundin genau richtig für dich. Glaub’ einer alten Frau, ich kenne mich aus, denn du weißt ja, dass ich deinen Großvater auch in Frankreich kennen- und lieben gelernt habe. Meinetwegen ist er nach Deutschland gekommen und hat in Windeseile meine Muttersprache gelernt. Nur manchmal kam noch der kleine Franzose durch, hauptsächlich, wenn es ums Essen ging.« So nahm ich ihren Rat mit auf den Weg, nicht ahnend, dass sich bald einiges in dieser Richtung ereignen sollte.

Zuerst einmal musste ich mir eine günstige Bleibe suchen. Neapel ist eine Millionenstadt – wo sollte ich also anfangen? Sie ist die pulsierende Metropole Kampaniens und besticht durch ihre einzigartige Lage. Lebenskunst in Neapel: Das stellte ich mir wahnsinnig interessant vor. Keine andere Stadt beherrscht es besser, ihre Attraktionen in ein buntes, kontrastreiches Volksschauspiel einzubinden, ganz abgesehen vom wohl malerischsten Panorama der Welt. Bezaubert war ich von der Villa Floridiana im Ortsteil Vomero, die ich mit der zentralen Seilbahn oder mit der Funicolare di Chiaia erreichte. Diese Villa und ihr terrassierter Park waren einst Liebes- und Trostgeschenke König Ferdinands des IV. von Bourbon an seine langjährige Geliebte Lucia Migliaccio Paranna. Dieser Teil der Stadt zog mich an wie ein Magnet.

Welcher Bezirk würde wohl für mich infrage kommen? Nach wie vor hing ich am Geldtropf meiner Eltern. Billig sollte die Unterkunft sein, aber mein Sinn für Ästhetik schloss einiges aus. Wenigstens ein bisschen Grün, nicht nur die überwiegend von der Sonne ausgelaugten, ehemals rostroten Fassaden wünschte ich mir in meiner Umgebung. So kam es, dass ich bei der Suche nach einem Zimmer zunehmend verzweifelt und niedergeschmettert war. Alles, was ich mir ansah, beleidigte meine Augen.

Derzeit lebte ich im Hotel Fiori in Vico Equense in der Nähe von Sorrent – eine sagenhaft betörende Landschaft mit Steilküste – an der sich die Wellen des azurblauen Mittelmeers brechen. Stundenlang sah ich ihnen zu, ohne müde zu werden. Ich liebte es, wenn die Schaumkrönchen hüpften. Oft sah es in der Ferne so aus, als schwebten tausende von zarten Balletttänzerinnen über das Wasser, bis der Wind sie wieder an die Steilküste trieb und sie dort zerschmetterte. Hier wollte ich gern bleiben, aber es war viel zu weit weg von Neapel. Von hier aus versuchte ich, die gemachten Kontakte auszuwerten. Bis jetzt hatte ich rund zehn Angebote angesehen und war teilweise erschüttert, denn Preis und Leistung klafften meilenweit auseinander. Sollte mein Studienwunsch daran scheitern, dass ich keine entsprechende Bleibe fände?

Als ich eines Abends in mein Zimmer zurückkam, fand ich eine Nachricht meiner Hotelwirtin auf dem Tisch: »Bitte melden Sie sich gleich bei mir, ich habe vielleicht eine Unterkunft für Sie.« So schnell mich meine Füße trugen, stürmte ich die fünf Etagen des Hotels nach unten zur Rezeption, denn es war in die Steilküste gebaut, lag also direkt am Berg. Da stand sie und fuchtelte wild mit einem Stück Papier in der Gegend herum. »Signore Horn, schnell, gerade hat meine Tante Signora Bruna angerufen, Sie müssten den Weg zurück in Richtung Neapel machen, wenn Sie Interesse an diesem Zimmer hier haben. Meine Tante wohnt in Torre del Greco, circa zwanzig Kilometer südöstlich von Neapel am Golf. Ich kenne ihr Haus, es ist im neo-byzantinisch-arabischen Stil erbaut und sehr imposant.« Das gefaxte Bild, das sie in den Händen hielt und mir überreichte, verschlug mir den Atem. Wenn das Zimmer nur annähernd so gut aussah, wie das Haus und der Blick übers Meer … Mein Herz hüpfte schon vor Freude, vielleicht war mir das Glück ja hold, denn meine Wirtin hatte ihrer Tante bestimmt erzählt, dass ich ein armer Student aus Deutschland war. Ich schwang mich auf die alte Vespa, die mir die Wirtin schon bei meiner Ankunft gegen eine kleine Gebühr überlassen hatte und düste los in Richtung Torre del Greco.

Signora Bruna empfing mich herzlich und sprach sogar einige Brocken Deutsch. Wir einigten uns recht schnell, denn ich entflammte sofort für die Unterkunft, als ich das Zimmer mit Balkon zur Golfseite sah. Enthusiastisch rannte ich auf den Balkon und rief laut: »Mein Gott ist das schön, hier muss ich ganz einfach bleiben, genauso habe ich mir mein italienisches Zuhause vorgestellt!« Doch im selben Moment drehte ich mich verlegen um und stammelte: »Was soll es denn monatlich kosten?« Mein Gesicht verriet wohl meine Sorge, denn die Signora lächelte mild. »Sie wollen also Gartenarchitekt werden? Dann fangen Sie doch gleich mal mit der Praxis an. Wenn Sie mir bei der Gartenarbeit helfen, dann komme ich Ihnen mit dem Preis für das Zimmer entgegen. Ich habe einen älteren Gärtner, aber bei den Hecken und Büschen an den Hängen ist er nicht mehr so wendig, kann schlecht auf der Leiter stehen. Es wäre schön, wenn er ab und an eine Hilfe hätte. Ich weiß ja, Sie wollen studieren, aber an der frischen Luft sein, ist bestimmt genauso wichtig. Ich denke, wir können uns da schon einigen.«

Als sie mir den Preis für das Zimmer sagte, stockte mir das Herz vor lauter Freude. Das Grundstück war herrlich gepflegt. Wenn also nur ab und zu Gartenarbeit für mich anfiel, war es ein tolles Angebot für mich. Überglücklich fuhr ich nach Vico Equense ins Hotel Fiori zurück und fiel meiner Wirtin vor Freude fast um den Hals. Ein paar Flaschen Wein, frisches Obst und Käse hatte ich von unterwegs als kleines Dankeschön mitgebracht. Und so saß ich mit meiner Hotelwirtin auf der Terrasse, sah auf der einen Seite zum »Il Vesuvio« und auf der anderen Seite zur »Isola Capri«, und das bei untergehender Sonne. Ein Traumbild, das man nie mehr in seinem Leben vergisst.

Daher fiel es mir schon etwas schwer, zwei Tage später das Hotel Fiori und meine Wirtin zu verlassen. Meine Habseligkeiten lud ich in ein Auto mit kleinem Hänger. Mein Umzug dauerte nur knapp zwei Stunden und schon aß ich auf meiner neuen Terrasse im Haus von Signora Bruna zu Abend. Zu diesem Ereignis servierte ich mir herrliche Früchte, Parmaschinken, Salami, Baguette und, wie es sich gehört, eine gut gekühlte Flasche Prosecco. So feierte ich diesen Tag, der für mich nicht nur wegen des grandiosen Zimmers ein ganz besonderes Datum wurde.

Denn auf dem Balkon über mir hörte ich plötzlich ein Geräusch, so unangenehm, dass sich mir die Haare am Körper kräuselten und ich stumpfe Zähne bekam. Was war das? Mit dem Glas in der Hand ging ich an die Brüstung und schaute nach oben. Zuerst sah ich nichts. Dann erschien eine junge Frau, die ungläubig nach unten sah. Lange dunkle Locken umspielten ihr Gesicht. Im Hintergrund hörte ich Signora Brunas Stimme: »Gina, für heute ist es genug, du kannst mit dem Putzen der Fensterbleche aufhören. Wir haben inzwischen einen neuen Mieter. Komm mit nach unten, damit ich dir Signore Horn vorstellen kann. Er wohnt ab heute bei uns.«

Es dauerte ein Weilchen, dann erschienen die beiden Frauen vor meinem Zimmer und wir stellten uns gegenseitig vor. Wie sich im Gespräch herausstellte, war Gina eine Mitbewohnerin, die ebenfalls in Neapel studierte. Zudem war sie Signora Brunas Nichte aus Perugia. Gina war jung und schön. Ach, was sage ich, schön, was ist das für ein trivialer Ausdruck. Alles, was man einer typischen Italienerin andichtet, das verkörperte sie. Für mich war sie eine italienische Erleuchtung. Sie hatte eine strahlend gelbe Bluse an, die einen Teil ihrer Schultern freigab und sie umschmeichelte ihre samtene, gebräunte Haut. Ich vernahm das erste Mal ihre helle, angenehme Stimme, sie sagte: »Ach, Sie studieren auch und wollen Gartenarchitekt werden, das trifft sich gut, meine Fakultät ist gleich neben der Ihren. Da können wir sicherlich das eine oder andere Mal gemeinsam nach Neapel fahren. Ich habe einen kleinen Fiat Topolino, ein altes Ding, aber es fährt. Und auf ihrer Vespa könnte ich vielleicht auch einmal ein Plätzchen finden?« Sie lachte über die ganze Breite ihres Gesichts, sodass ich ein strahlendes Gebiss und zwei kleine Grübchen wahrnehmen konnte. »Ein hübsches Mädchen«, ging es mir durch den Kopf, »weder eingebildet noch schüchtern, sondern ganz natürlich«.

Wir machten es uns auf meinem Balkon gemütlich und es wurde ein geselliger Nachmittag mit vielen interessanten Gesprächen. So erfuhr ich von Gina viel Neues über unsere Universität, hörte zu, als sie von den alten Teilen der Lehranstalt erzählte. Meine zwei verbliebenen Flaschen Montepulciano leisteten mir gute Dienste bei unserem Zusammensein. Dieser Rotwein aus den Abruzzen schmeckte mir besonders gut. Etwas Käse rundete unseren Imbiss ab.

So verbuchte ich den ersten Tag im Haus von Signora Bruna und Gina als vollen Erfolg. Denn ich fühlte mich in Gegenwart der jungen Frau wohl. Sie war von einer ansteckenden Fröhlichkeit und ließ mich spüren, dass sie gern mit mir zusammen war. Vor allem ihre offene Art, mit der sie mir viele Tipps für meinen Unieinstieg gab, nahm mich für sie ein. Schnell war ich sicher, dass ich mit Gina jemanden gefunden hatte, der sich in der Uni und auch in Neapel und Umgebung auskannte.

Nachdem für den nächsten Tag alles geplant war, verabschiedeten sich die beiden Damen und Gina flötete auf der halben Treppe nach oben: »Also dann, bis morgen, ich hole dich um neun Uhr ab, aber bitte nicht verschlafen, denn meine morgige Vorlesung ist mir besonders wichtig, da darf ich nicht fehlen! Streng dich an, damit du beizeiten aus den Federn kommst!«

Woher wusste sie, dass ich morgens immer ein bisschen bummelte? Trommelte schon der Buschfunk zwischen den zwei Signoras? Überglücklich schlief ich am Abend in meinem neuen Domizil bei offenem Fenster ein. Der Duft aus dem unter mir liegenden Garten wehte zu mir herauf und ich genoss es, Gina in meine Träume mitzunehmen. Gina Pitrelli, so hieß sie, hatte mich sofort verzaubert.

Die erste Woche an der Universität Neapel Federico II, gegründet 1224 von einem deutschen Kaiser, verging wie im Fluge. Schließlich gab es viel für mich zu tun. Aber dank Ginas Hilfe fand ich sofort das große Gebäude der Agrarwissenschaften, also die Facoltà di Agraria und den Bereich um Professore Giancarlo Barbieri. So konnte ich zügig meine Immatrikulation erledigen.

Der Studentenausweis war ein begehrtes Stück Papier, das mich als Student für den Bereich Serre di Agronomia und Serre di Botanica auswies, und das ich für vieles brauchte – etwa für den Zutritt zu allen großen Bibliotheken und zu den Hörsälen innerhalb und außerhalb der Uni. Zudem eröffnete der Ausweis mir den Zugang zu allen Sehenswürdigkeiten, zu Theatern, Museen und anderen Kulturstätten in aller Welt, nicht allein in Italien.

Bereits vor einigen Wochen hatte ich meine Unterlagen schriftlich eingereicht. So war die Einschreibung schnell getan, und ich freute mich auf die baldige Immatrikulationsfeier, bei der alle neuen Studenten eingewiesen und vorgestellt wurden. Ich wusste bereits, dass sich noch zwei andere junge deutsche Männer für das Studium der Gartenarchitektur eingeschrieben hatten. Daher stellte ich mir vor, dass ich bestimmt nicht vereinsamen würde. Sicher wäre mir zumindest einer der beiden sympathisch. »Man geht ja in der Fremde eher aufeinander zu als zu Hause«, dachte ich.

So war ich gespannt auf die nächsten Tage und freute mich, dass bis jetzt alles wie am Schnürchen lief. Natürlich schrieb ich den Eltern und sie waren ebenso begeistert von meiner Nachricht und wünschten mir viel Glück. Einige Fotos vom Haus, von meinem neuen Zimmer und von der Uni legte ich bei. Natürlich auch ein Bild von Gina Pitrelli.

Bald besuchte ich meine ersten Vorlesungen und traf auf einige hoch gelobte Dozenten und Professoren. Unter ihnen war eine junge Professorin, die mir besonders gut gefiel. Denn sie machte uns drei Studenten aus Deutschland gleich klar, dass sie bei der Stoffvermittlung auf uns keine Rücksicht zu nehmen gedachte. »Es liegt an Ihnen, meine Herren«, mahnte Signora Professore Landini, »dem Lehrstoff zu folgen. Ich hoffe für Sie, dass Ihr Italienisch gut genug ist. Ansonsten würde ich Ihnen empfehlen, zuerst einmal die Sprache zu erlernen, bevor Sie uns hier die Zeit stehlen! Papier ist geduldig, Sie haben ja alle drei schriftlich versichert, dem Studium in unserer Landessprache folgen zu können.«

Nach dieser kurzen Ansprache nahm sie uns tatsächlich mit in die Mensa und spendierte jedem von uns einen Cappuccino. Die Unterhaltung, die wir mit ihr auf Italienisch führten, schien sie zufriedenzustellen, denn am Ende ihrer Pause verabschiedete sie sich mit den Worten: »Ich konnte mich davon überzeugen, dass Sie alle drei so einigermaßen den Anforderungen gewachsen sind, also packen Sie es an, mal sehen, wer von Ihnen der Beste sein wird!« Sie hob die Hand, lächelte wissend und hatte uns schon mit Ihrem Charme eingefangen, denn jeder von uns nahm sich insgeheim vor, der Beste bei ihr zu werden.