DER TÖDLICHE SPUK - H. B. Kaye - E-Book

DER TÖDLICHE SPUK E-Book

H. B. Kaye

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Für Red Rafferty beginnt die Geschichte zunächst wie ein Ferienerlebnis: Drei fragwürdige Gestalten wollen eine junge, recht attraktive Dame, offensichtlich sehr gegen ihren Willen, zu einer gemeinsamen Autofahrt bewegen. Rafferty zögert keinen Augenblick, sich ritterlich einzumischen, und die drei zwielichtigen Rowdys machen seine Bekanntschaft auf eine durchaus unerfreuliche Weise. Für Rafferty jedoch erweist sich diese Begegnung als der erste Schritt in ein gefährliches und kaum einzuschätzendes Abenteuer...    Der Roman   DER TÖDLICHE SPUK   des US-amerikanischen Krimi- und Thriller-Schriftstellers H. B. Kaye (* 1916; † 1979) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1960.    Der Apex-Verlag veröffentlicht   DER TÖDLICHE SPUK   in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

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Ähnliche


 

 

 

 

H. B. KAYE

 

 

Der tödliche Spuk

 

Roman

 

 

 

 

Apex Noir, Band 13

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER TÖDLICHE SPUK 

Auftakt 

Erstes Kapitel: JULIA FÄHRT NICHT MIT 

Zweites Kapitel: RAFFERTY MACHT EINEN BESUCH 

Drittes Kapitel: EIN CHAUFFEUR FÄHRT ZU SCHNELL 

Viertes Kapitel: HESTER IST HERAUSFORDERND 

Fünftes Kapitel: ELIZA GERÄT IN NOT 

Sechstes Kapitel: STRIPTEASE FÜR RAFFERTY 

Siebtes Kapitel: SIR FRANCIS VERSCHWINDET 

Achtes Kapitel: RAFFERTY VERTRITT RECHT UND ORDNUNG 

Neuntes Kapitel: UND WIEDER VERSCHWUNDEN 

Zehntes Kapitel: KEIN VERGNÜGEN FÜR RAFFERTY 

Elftes Kapitel: HESTERS STUNDE 

 

 

Das Buch

 

Für Red Rafferty beginnt die Geschichte zunächst wie ein Ferienerlebnis: Drei fragwürdige Gestalten wollen eine junge, recht attraktive Dame, offensichtlich sehr gegen ihren Willen, zu einer gemeinsamen Autofahrt bewegen. Rafferty zögert keinen Augenblick, sich ritterlich einzumischen, und die drei zwielichtigen Rowdys machen seine Bekanntschaft auf eine durchaus unerfreuliche Weise.

Für Rafferty jedoch erweist sich diese Begegnung als der erste Schritt in ein gefährliches und kaum einzuschätzendes Abenteuer...

 

Der Roman Der tödliche Spuk des US-amerikanischen Krimi- und Thriller-Schriftstellers H. B. Kaye (* 1916; † 1979) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1960.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht Der tödliche Spuk in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DER TÖDLICHE SPUK

 

 

 

 

 

 

 

  Auftakt

 

 

...Das Dunkel, das Dunkel! Hab’ mich noch nie davor gefürchtet - werde jetzt nicht damit anfangen, aber wie schwarz es ist! Dicke, dicke Schwärze, die mich an der Kehle packt. Schwarz, aber tausend Augen darin, die sie durchdringen, blinzeln, warten. Sie warten darauf, dass ich wahnsinnig werde. Die Geräusche, die Anfälle - Gott! Mensch oder Maus? Das Schwein Osaki - der schmutzige, kleine gelbe Schurke, dessen Finger sich in meine Kehle pressen. Nein - Haltung! Lass dich nicht unterkriegen. Ein Ausgleiten in dem Strom, und Wogen des Wahnsinns überfluten dich, wieder und wieder... Vorsicht jetzt. Spähende, versteckte Augen, gelbe Hände warten auf mich. Jetzt hinauf - die Stufen zählen... Eins - zwei... neunzehn die erste Treppe... dann einundzwanzig. Ah! Jetzt der Absatz. Das Herz schlägt wie toll! Geschafft. Nur noch drei Stufen - dann ins Bett und schlafen, schlafen, schnell schlafen, ehe neue Gedanken kommen. Hier sind sie... Eine... zwei und jetzt... Nein! Oh, Gott! Bitte, lieber Gott, schaffe die dritte Stufe her... Es ist da, es ist da!... Der Wahnsinn ist da! Die Stufe ist verloren, die dritte Stufe... Sie ist verloren... verloren...

Verloren!

  Erstes Kapitel: JULIA FÄHRT NICHT MIT

 

 

Das Mädchen kam die stille Dorfstraße entlang. Ihre Schuhe klapperten auf den Pflastersteinen. Es war das einzige Geräusch in der stillen, trägen Nachmittagsluft.

Rafferty beobachtete sie beiläufig. Es war angenehm, nur so im Schatten zu stehen, außerhalb der brennenden Sonne, und sich gelassen zu fragen, was man mit dem Nachmittag anfangen solle. Wahrscheinlich war das Naheliegendste das Beste: einfach am Strand zu liegen, auf dem warmen, feinen Sand, der, von ein paar Fischern abgesehen, verlassen war, und nach einer Weile in dem kühlen Salzwasser zu schwimmen, um den Sand und den Schweiß abzuspülen.

Er lächelte vor sich hin. Es bestand wirklich kein Grund mehr, noch länger zu faulenzen; das wusste er selbst. Tonys lange Messerwunde an seiner Seite war prachtvoll verheilt, und er fühlte sich so gesund und kräftig wie eh und je. Nun, und Tony lag jetzt lange unter der Erde und war nicht mehr in der Lage, ihm noch ein paar zusätzliche Urlaubstage zu missgönnen.

Es schien seltsam, dass außer ihm und dem Mädchen niemand zu sehen war. Es erinnerte fast an ein spanisches Dorf während der Zeit der Siesta, obwohl man dort hin und wieder einen Schläfer am Straßenrand unter einem Sonnensegel oder sonst einer Stelle, die ein wenig Schatten bot, finden konnte.

Das Mädchen war zweifellos anziehend, aber ausnahmsweise dachte Rafferty einmal an etwas anderes. Er nahm nur undeutlich das Glänzen der Sonne auf ihrem dunklen, braunen Haar wahr, die weiche gebräunte Haut darunter, die fast seiner eigenen Bräune entsprach, und das kontrastierende Rot des festen, aber großzügig geschnittenen Mundes. Selbst ihre schlanke Gestalt und die Anmut ihres Ganges konnten ihn nicht aus seinen Gedanken reißen und seinen üblichen stummen Beifall erwecken. Denn obwohl das Bild, das sich ihm bot, vollkommen war, lag etwas darin, das ihn beunruhigte und das er nicht erklären konnte. Sein Unterbewusstsein registrierte ein kaum wahrnehmbares Alarmzeichen und versuchte, sich bemerkbar zu machen.

Plötzlich bemerkte er, was es war. Hier war ein kleines, fast verlassenes Dorf, dessen Einwohner alle zu schlafen oder in ihren Häusern wenigstens still zu ruhen schienen, und darüber stand eine sengende Sonne, die Lethargie und träge Bewegungen herausforderte. Und mitten durch dieses Panorama kam eine junge Frau, ging schneller als in der Hitze angenehm sein konnte und sah sich immer wieder nach allen Seiten ängstlich um. Ihre Eile war es, die eine falsche Note in das Bild brachte.

Sie schritt jetzt an ihm vorbei, aber er hatte ihr Zusammenzucken bemerkt, als sie ihn erblickt hatte, und dann das Zögern in ihrem Schritt, ehe sie weiterging.

Und auf einmal erfüllte ein anderer Laut außer dem Klappern ihrer Schritte auf den Pflastersteinen die Stille. Es war das schwache Motorengeräusch eines starken Wagens, das schnell lauter wurde, bis der Wagen selbst dröhnend in Sicht kam, über das holprige Pflaster schwankte und kurz vor dem Mädchen anhielt. Der Fahrer, in Chauffeursuniform, blieb hinter dem Steuer sitzen, während zwei Männer aus dem Wagen stiegen und ihr in den Weg traten.

Als die beiden sich ihr näherten, blieb sie einen Augenblick stehen und wollte dann an ihnen vorbei. Sofort trat der eine einen Schritt zur Seite und hielt sie auf. Dann begann er zu sprechen. Rafferty konnte unmöglich hören, was er zu ihr sagte, aber er deutete ein paarmal auf den Wagen, und es war offensichtlich, dass er das Mädchen aufforderte, einzusteigen und sie zu begleiten.

Er konnte ebenfalls sehen, dass sie sich heftig weigerte und wurde neugierig, wie die Komödie wohl enden würde. Die Männer verlangten von dem Mädchen, sie solle mit ihnen mitfahren, und sie war offensichtlich fest entschlossen, nichts dergleichen zu tun. Was konnten sie von ihr wollen? Der Mann, der fast ausschließlich die Unterhaltung bestritt, wirkte kaum wie ihr Freund, mit dem sie sich vielleicht gestritten hatte. Zweifellos gab er sich alle Mühe, sie zu überreden, aber er schien alles andere als ihr Typ zu sein. Tatsächlich glich er eher einem Schläger, den man zu seinem Unbehagen in einen ordentlichen, aber schlecht sitzenden Anzug gesteckt hatte.

Es war unverkennbar, dass keine der beiden Parteien der anderen nachgeben wollte, weder der Mann noch das Mädchen. Schließlich forderte sie eindeutig von ihm, ihr aus dem Wege zu gehen. Ihr Gesicht war zorngerötet und ihr Auftreten gebieterisch.

Der Mann zuckte mit den Schultern. Er warf einen schnellen Blick nach vorn, zur Seite und hinter sich, bemerkte Rafferty nicht, der völlig bewegungslos im Schatten stand, und gab seinem Begleiter dann ein Zeichen. Sofort traten beide Männer schnell und entschlossen auf sie zu, und noch ehe sie ihre Absicht erraten konnte, packte jeder der beiden sie an einem Arm, und sie begannen sie zu dem Wagen zu zerren, in dem immer noch der Chauffeur saß und gleichgültig und ungerührt eine Zigarette rauchte.

Unverzüglich begann sich das Mädchen nach Kräften zu wehren. Es gelang ihr, einen Arm freizubekommen, und sie ohrfeigte den Mann an ihrer Seite, ein kleines, untersetztes Individuum mit scharfen Gesichtszügen. Er fluchte, packte sie wieder am Arm und drehte ihn so brutal um, dass das Mädchen auf schrie.

Der Mann kicherte, aber dieses Geräusch erstickte zu einem Gurgeln, als Rafferty ihm seine Hände um den Hals legte und liebevoll zudrückte.

Als die Männer das Mädchen gepackt hatten, spürte Rafferty die freudige Erregung, die ihn immer bei derartigen Anlässen ergriff. Das Leben meinte es gut mit ihm. Zwei ganze Monate lang war er untätig gewesen und hatte schon zu fürchten begonnen, dass er Geschmack an diesem Zustand finden werde. Aber nun rührte sich etwas. Das Abenteuer hatte ihn nicht verlassen. Es folgte ihm nach, wie es das immer getan hatte und hoffentlich immer tun würde.

»Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als...«, deklamierte er glücklich vor sich hin. als er seine lange Gestalt von der Wand löste, um rasch auf der anderen Straßenseite einzugreifen.

»Verzeihung, ist das Ihr Hals?«, fragte er den Mann liebenswürdig, der den Arm des Mädchens fahrengelassen hatte.

Von einem erstickten Laut abgesehen, schien der Mann nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Die Hände immer noch um den Hals des motorisierten Schlägers, hob Rafferty den Mann ein paar Zentimeter vom Boden. Sich mit seiner Last schnell herumwirbelnd, vermochte er gerade noch rechtzeitig den kräftigen Schlag des anderen Mannes mit seinem menschlichen Schild aufzufangen. Der Hieb landete auf dessen Hinterkopf. Zweifellos war es ein wirksamer Schlag, denn der Mann wurde sofort unter Raffertys Händen schlaff, und Rafferty ließ ihn schnell fallen, während er sich dem zweiten, dem in dem schlechtsitzenden Anzug, zudrehte.

»Sehr freundlich von Ihnen«, sagte er heiter. »Wenn Sie sich selbst jetzt auch so einen verpassen, würden Sie mir viel Mühe ersparen.«

Die einzige Antwort darauf war ein Schwinger nach seinem Kinn. Glücklicherweise ging er vorbei, wenn auch aus dem einleuchtenden Grund, dass Raffertys Gesicht sich nicht mehr an der Stelle befand, wo es sein sollte. Augenscheinlich hatte der Mann einige Erfahrung im Boxen, denn er reagierte sofort auf Raffertys erste Finte. Indessen hatte er nicht erwartet, dass ihr mit blitzartiger Genauigkeit eine zweite folgen würde, und es war der dritte und anschließende Schlag, der ihn am meisten aus der Fassung brachte. Er empfing ihn zwischen die Augen, quittierte mit einem Grunzen, das alles Mögliche bedeuten konnte, aber die beiden nächsten blitzschnellen harten Haken auf Kehle und Kinn überzeugten ihn, es sei angebracht, sich mit einem Seufzer langzulegen, der wie die ausströmende Luft aus einem durchlöcherten Autoreifen klang.

Etwas enttäuscht über die Schnelligkeit, mit der seine Gegner aufgaben, wandte sich Rafferty dem Mädchen zu. Er sah sie ihren Mund öffnen und hörte ihren Schrei. Ihr Blick ging an ihm vorbei, und instinktiv riss er seinen Kopf zur Seite. Damit entging er der vollen Wucht des Schlages, war aber nicht schnell genug, um ihm ganz auszuweichen.

Der schwere Schraubenschlüssel traf ihn auf die Schulter, und eine Sekunde lang lief ein lähmender, glühend heißer Schmerz durch seinen Arm. Dann befand sich die Hand, die das Werkzeug umschloss, zwischen seinen eigenen Händen, und der Körper des Chauffeurs flog in einem anmutigen Bogen über Raffertys Schulter, um mit einem weniger anmutigen und markerschütternden Krachen ein paar Meter entfernt aufzuschlagen.

»Narr«, beschimpfte Rafferty sich selbst mit einem Stirnrunzeln, während er seine Hand unwillkürlich zu seiner schmerzenden Schulter hob. Einen Augenblick lang hatte er den dritten Mann völlig vergessen.

Der Chauffeur begann, sich taumelnd zu erheben, um gegen etwas zu laufen, was ihm wie eine Eisenstange erschien, in Wirklichkeit aber eine fachmännisch platzierte Faust war. Er legte sich also wieder hin und schloss sich dem Schlummer seiner Gefährten an.

Aufs Neue wandte Rafferty sich dem Mädchen zu, und diesmal fand er, dass sie ihn mit unverkennbarer Bewunderung anlächelte. Bewunderung, die vielleicht durch einen leichten Anflug von Belustigung in dem festen Blick ihrer blauen Augen gemildert wurde.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte sie, und ihr warmer Ton enthielt kaum wahrnehmbar ein Lachen, das zu dem Ausdruck ihrer Augen passte. »Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Sie nicht gekommen wären.«

Dann konnte sie ihre Heiterkeit nicht länger unterdrücken und brach in ein leises, perlendes Lachen aus. »Ich kann ihre Gesichter wirklich nicht vergessen. Sie wurden so schnell mit ihnen fertig, und die Überraschung, die sie zeigten - einfach herrlich.«

Rafferty betrachtete sie mit gesteigertem Interesse. Zweifellos besaß sie eine Menge Mut. Vor ein paar Minuten wurde sie von zwei, um es gemäßigt auszudrücken, höchst ungemütlichen Burschen zu einem Wagen gezerrt, und jetzt lachte sie nur über deren Missgeschick. Sie war nicht verstört oder erschrecken, wie er erwartet hatte, sondern durchaus bereit, darüber zu lachen.

»Ich freue mich, dass Ihnen nichts passiert ist«, antwortete er, »aber wollen Sie mir nicht sagen, was hier gespielt wird?«

Sie zögerte. »Nun, ich war tatsächlich dabei, jemanden deswegen aufzusuchen, aber...« Ihre Blicke glitten über seine große, drahtige Gestalt, das flammende Haar, das wie eine Herausforderung wirkte, und die scharfen, lachenden, grauen Augen, die ruhig und leidenschaftslos in die Welt sahen und Männer als das nahmen, was sie waren, und nicht das, was sie vielleicht sein konnten, »Aber vielleicht«, fuhr sie kühl fort, »vielleicht genügen Sie.«

Rafferty grinste. »Zu großzügig von Ihnen. Ich hoffe, ich kann mich gebauchpinselt fühlen. Ehe Sie allerdings mit Ihrer Lebensgeschichte beginnen, ist es vielleicht ganz gut, wenn wir die Scherben hier beseitigen. Die Straße sieht so unsauber aus.«

Er handelte seinen Worten entsprechend und packte die drei Männer in den Wagen. Dann zog er zur Überraschung des Mädchens eine kleine Flasche aus seiner Tasche und betupfte die Lippen der Männer mit Brandy,

»Eine schandbare Vergeudung«, murmelte er dabei, »aber im Dienst einer guten Sache.«

»Weshalb tun Sie denn das?«, fragte das Mädchen. Es war offensichtlich, dass es nicht in der Absicht geschah, ihnen zum Bewusstsein zurück zu verhelfen,

»Wenn Sie mitkommen« - er lächelte ihr zu - »werden Sie es sehen.«

Sie folgte ihm zu der Telefonzelle an der Ecke. Er nahm den Hörer ab und sagte nach einem Augenblick: »Polizei, bitte!«

Mit völlig verstellter Stimme unterrichtete er darauf den erstaunten Dorfpolizisten, dass drei Betrunkene auf der Straße eine Schlägerei begonnen hatten, ob er vielleicht bitte etwas dagegen zu unternehmen beabsichtige. Und ehe noch eine Frage an ihn gerichtet werden konnte, hängte er entschlossen ein und zog das Mädchen mit sich fort.

»Ich nehme an, dass damit alles geregelt ist«, sagte er gelassen.

 

In seinem Hotel (dem Hotel) beschaffte er auf geheimnisvolle Weise zwei über jede Kritik erhabene Gläser Gin und Lime-Saft, stellte eines davon vor seine Begleiterin und ließ sich in einen Sessel neben ihr in der menschenleeren Halle nieder.

Er hob sein Glas. »Nun, Julia«, sagte er, »haben Sie das Wort.«

Das Mädchen holte überrascht Luft. »Woher wissen Sie meinen Namen?«, fragte sie misstrauisch.

Er zog sein Zigarettenetui, und während sie sich bediente, stopfte er sich eine Pfeife.

»Einfach Köpfchen«, erwiderte er. Dann deutete er auf ihre Tasche, die von ihrer Schulter hing, und die die silbernen Initialen J. F. trug.

»Sie konnten entweder nur Julia oder Jeremia heißen. Sonst weiß ich keinen Namen mit J. Ich tippte auf Julia. Das war alles. Ganz einfach, nicht wahr?«

Sie erwiderte sein Lächeln und zeigte ihre kleinen ebenmäßigen Zähne. »Es hätte doch Jill sein können.«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Sie sehen nicht aus wie eine Jill.«

»Glauben Sie, dass die Menschen immer passende Namen haben?«

»Immer nicht«, antwortete er, »aber doch sehr oft. Wie heiße ich, zum Beispiel, Ihrer Meinung nach?«

Ihre Mundwinkel zuckten. »Wie wäre es mit Red?«, meinte sie dann.

»Da haben Sie’s«, erwiderte er und nahm die glimmende Pfeife aus den Zähnen. »Genauso werde ich im Allgemeinen genannt. Mein voller Name lautet Rafferty, Paul Rafferty.«

Nachdenklich zog sie die Stirn kraus. »Das kommt mir ganz entfernt irgendwie bekannt vor«, sagte sie schließlich.

»Das ist durchaus möglich«, antwortete er unbescheiden. »Auf meine unscheinbare Weise bin ich nicht völlig unbekannt. Aber da es hier um Ihre Lebensgeschichte geht, wollen Sie mir nicht das F hinter dem Julia erklären?«

»French«, antwortete sie folgsam.

»Miss French?«

Sie zog die Augenbrauen hoch, aber das beeindruckte Rafferty nicht.

»Es ist gelegentlich ganz nützlich, das zu wissen«, erklärte er den hochgezogenen Augenbrauen.

»Wie Sie meinen«, sagte sie kühl. »Es heißt Miss. Und um die Personalien zu vervollständigen: ich bin vierundzwanzig und von Beruf Krankenschwester.«

»Das genügt«, meinte Rafferty. »Und worauf hatten es die drei großen, bösen Wölfe abgesehen? Hoffentlich sind sie keine Patienten von Ihnen.«

»Nein, aber ich habe einen Patienten hier. Er heißt Sir Francis True-Fenton. Haben Sie je von ihm gehört?«

»Könnte ich nicht sagen.«

»Vielleicht haben Sie aber von Stratton, seinem Besitz, gehört?«

»Meinen Sie damit etwa das große Gebäude, ungefähr zweieinhalb Kilometer von hier, mit einer hohen Mauer darum herum?«

»Das ist es«, nickte sie eifrig. »Ich bin vor drei Wochen hingekommen. Ich wurde von Hilary True-Fenton, Sir Francis’ Vetter, engagiert. Er ist Arzt, ein Kanadier, und behandelt Sir Francis angeblich.«

Rafferty klopfte Asche aus seiner Pfeife. »Das klingt nicht, als wären Sie von Ihrem Arbeitgeber sonderlich begeistert.«

»Wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich finde ihn grässlich. Wenn mir Sir Francis nicht so leid täte, würde ich nicht bleiben.«

Sie errötete, als sie das sagte, und Rafferty fragte sich, ob ihre Abneigung gegen Hilary oder vielleicht auch ihre Sympathie für den Vetter Francis einen persönlichen Grund haben mochten.

»Was fehlt Francis denn?«, fragte er.

Die Frage verwirrte sie. »Ich weiß es wirklich nicht«, gab sie zu. »Anscheinend war er während des letzten Krieges lange in einem japanischen Kriegsgefangenenlager, und ich vermute, dass es irgendwie seinen Verstand angegriffen haben muss. Er ist nicht geisteskrank«, fügte sie schnell hinzu, »oder etwas Derartiges. Er ist nur, nun, sehr neurotisch, und es hat ihn natürlich auch körperlich mitgenommen. Soviel ich verstanden habe, wurde er lange Zeit vermisst und war bereits totgesagt. Als er dann wieder auftauchte, hatte Hilary als sein nächster Verwandter Anspruch auf den Besitz erhoben. Er war mit seiner Frau und seiner - hm - seiner Sekretärin von Kanada herübergekommen. Seine Frau heißt Rita und seine Sekretärin heißt Hester Wayne.«

Die Art, mit der sie bei dem Wort Sekretärin zögerte, fand Rafferty bemerkenswert, aber die Klärung dieses Punktes hatte noch Zeit.

»Ah so«, sagte er. »Demnach vermute ich, dass Freund Hilary leicht unangenehm überrascht war, als sein Vetter wieder auftauchte. Oder fiel er ihm weinend um den Hals und vergoss Ströme von Freudentränen?«

»Das weiß ich nicht«, gestand das Mädchen. »Ich weiß nur, was ich von ihm denke, aber vermutlich bin ich voreingenommen.«

»Verzeihen Sie mir das deutliche Wort, oh, Dame in Bedrängnis, aber mir scheint, dass wir auf diese Weise der Geschichte mit Ihren drei aufdringlichen Spielgefährten da draußen nicht näherkommen.« Er winkte zur Straße hin.

Sie errötete. »Oh, entschuldigen Sie, ich dachte, ich sollte Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Aber ich bin mir völlig bewusst, dass ich kein Recht habe, Sie damit zu belästigen.«

Sie stand auf.

»Es ist wirklich nicht sehr wichtig, und ich kann das alles dem Arzt erzählen, der hier wohnen soll. Ich kenne ihn nicht, aber ich nehme an. dass er mir in irgendeiner Weise raten kann. Sie haben schon genug für mich getan. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit. Guten Tag...«

Sie wandte sich um, um zu gehen, und spürte, wie sie innerhalb einer Zeitspanne, die ihr wie ein Augenblinzeln erschien, hochgehoben und sanft in ihren Sessel zurückgesetzt wurde.

»Ganz gewiss«, sagte Rafferty und lehnte sich wieder in seinen eigenen Sessel zurück, als wenn er sich gar nicht bewegt hätte, »ganz gewiss brauche ich Ihnen gegenüber doch nicht auch grob zu werden? Verzeihen Sie mir meine Bemerkung, ich wollte Sie nicht kränken. Aber ich begreife noch nicht ganz, in welchem Zusammenhang Hilary und Francis und so weiter mit dem Auftritt hier von heute Nachmittag stehen. Aber wahrscheinlich erzählen Sie es mir am besten auf Ihre Weise. Im Übrigen interessiert es mich, und außerdem« - er lächelte breit - »kann ich Ihnen viel besser helfen als irgendein unbekannter Quacksalber. Zudem«, fügte er völlig zusammenhanglos hinzu, »haben Sie ungewöhnlich hübsches Haar.«

Als sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, sagte sie: »Ich fürchte, ich habe vergessen, wo ich war. Mr. - hm - Mr.?«

»Ich heiße Red, und das Mr. sparen Sie sich bitte, Julia. Sie berichteten mir gerade über Hilarys tiefe Liebe für seinen Vetter.«

»Nun, darüber weiß ich nichts, wie ich schon gesagt habe. Nach außen gibt sich Hilary zweifellos so, wie man es von ihm erwarten sollte. Er erscheint gegenüber seinem Vetter immer freundlich und rücksichtsvoll. Aber irgendetwas beunruhigt mich, wenn ich auch nicht sagen kann, was es ist.«

»Hat Francis volles Zutrauen zu ihm?«

»Ja. Er scheint sich vorbehaltlos auf ihn zu verlassen. Aber ich will Ihnen ganz offen sagen, was ich denke. Und wenn es Ihnen passt, können Sie über mich lachen. An Francis nagt eine große Sorge, die ihn seelisch bedrückt. Er fürchtet, dass er wahnsinnig wird. Und ich glaube«, fuhr sie langsam fort, »dass Hilary alles tut, was er kann, um die Vorstellung zu fördern, damit dieser Wahn Wirklichkeit wird.«

Rafferty nahm diese überraschende Behauptung mit verhältnismäßigem Gleichmut auf. Er zog einen Flunsch und blies Luft aus. Dabei entstand ein leises pfeifendes Geräusch.

»Jetzt wird’s interessant«, murmelte er.

»Ich weiß, dass es verwegen klingt«, sagte das Mädchen schnell. »Bisher habe ich kaum gewagt, es mir selbst zuzugeben, aber mein Argwohn bewegt sich schon seit einiger Zeit in dieser Richtung. Zuerst, als ich ankam, verhielt sich Sir Francis mir gegenüber sehr ablehnend. Wahrscheinlich gefiel es ihm nicht, dass er eine Krankenpflegerin hatte. Ich vermute«, sagte sie dann leise, »dass er früher ein gutaussehender, sehr männlicher Mann war. Es gefällt ihm nicht, dass er jetzt wie ein Schwächling wirkt. Jedenfalls nicht vor einer Frau, einer Fremden.«

»Sehr verständlich«, räumte Rafferty ein.

»Nicht wahr? Ich spürte es sofort und gab mir Mühe, mich von meiner besten Seite zu zeigen, damit er mich leiden konnte.«

»Das dürfte Ihnen nicht schwergefallen sein, falls er überhaupt noch normale Gefühle hat.«

Julia errötete reizend. »Jedenfalls gelang es mir schließlich, und er begann sich mir anzuvertrauen. Er gestand mir, dass in seinem Kopf seltsame Geräusche erklängen, meistens nachts. Sie müssten in seinem Kopf sein, behauptet er, weil niemand anders sie jemals hörte, weder Hilary noch Rita, nicht einmal jemand von den Angestellten.«

Sie atmete tief auf.

»Ja und?«, drängte Rafferty freundlich.

»Aber ich habe sie gehört, Red. Manche davon sind schrecklich. Ich werde ja schließlich nicht verrückt, und ich habe sie gehört.«

»Haben Sie mit jemand darüber gesprochen?«

»Ich sagte es Francis, aber er wollte mir nicht glauben. Er denkt, ich wolle ihm nur gut zureden und ihn trösten und wurde recht wütend über mich. Und dann war da die Geschichte mit der Stufe.«

»Mit der Stufe?«, wiederholte Rafferty verwundert.

Das Mädchen trank seinen Gin aus.

»Ja, Francis hat es mir erzählt. Um in sein Schlafzimmer zu gelangen, muss man erst die Treppe hinauf und dann ein paar Stufen wieder hinunter. Verstehen Sie? Zuerst geht man über die Treppe nach oben, dann über einen Treppenabsatz und muss dann ein paar Stufen hinunter.«

»Ja, ich verstehe. Der Fußboden seines Zimmers liegt nicht auf der gleichen Höhe wie der Treppenabsatz, sondern ein kleines Stück tiefer.«

»Ganz richtig. Es ist ein altes Haus, wirklich ein riesiger Bau, aber ein Teil davon wird nicht bewohnt. Natürlich findet sich Francis, der dort sein ganzes Leben verbracht hat, mit verbundenen Augen darin zurecht. Er kann im Dunkel die Treppen hinauf- und hinuntergehen und weiß genau, wieviel Stufen es sind. Nun, die paar Stufen zu seinem Zimmer...« Sie sprach jetzt schneller, und ihr rasches Atmen verriet ihre Erregung. »Es waren drei. Keine hohen Stufen. Zwei ganz normal, aber die dritte sehr Hach und kaum halb so hoch wie die anderen. Zwei Nächte, ehe ich kam, ging er aus irgendeinem Grund nach unten, um sich etwas zu holen. Als er es gefunden hatte, stieg er im Dunkel die Treppe wieder hinauf. Die Vorhänge im Haus schließen sehr dicht, und bei Nacht ist es wirklich dunkel darin, eine absolut schwarze Finsternis. Wie er es schon tausendmal getan hatte, seit er ein kleiner Junge war, zählte er beim Hinaufsteigen die Stufen. Er erreichte den Absatz und ging dann die Stufen zu seinem Zimmer hinunter. Er zählte sie automatisch - eine - zwei - und dann... Können Sie sich seinen Schrecken nicht vorstellen? Ein kranker, unausgeglichener Mann, und die letzte Stufe - sie war nicht da!«

»Unerfreulich«, gab Rafferty freundlich nach einer Pause zu. »Ich hole Ihnen noch was zu trinken.«

»Nein, bitte bemühen Sie sich nicht. Sie glauben mir doch, nicht wahr?«

»Natürlich glaube ich Ihnen. Aber was ist mit Francis? Vielleicht hat er Ihnen nur etwas vorgemacht? Oder vielleicht glaubt er wirklich, was er Ihnen gesagt hat, aber...«

»Aber was?«, drang sie in ihn.

»Nun ja«, er zuckte mit den Schultern. »Sie sagten selbst, er sei etwas unausgeglichen.«

»Mr. Rafferty«, sagte sie flehend und benutzte in ihrer Bedrängnis seinen Nachnamen, »überzeugt es Sie, wenn ich Ihnen versichere, dass ich fest davon überzeugt bin, er sagte mir die Wahrheit?«

Rafferty klopfte seine Pfeife aus. »Also weiter«, antwortete er, »erzählen Sie den Rest.«

»Nachdem er mir das gesagt hatte, untersuchte ich die Stufen. Ich bin kein Zimmermann, aber es war saubere Arbeit, wenn man nicht zu genau hinsah. Die drei Stufen mussten durch zwei ausgetauscht worden sein. Natürlich mussten sie etwas höher werden, um die kleine fehlende Stufe auszugleichen. Nachher wurden wahrscheinlich am frühen Morgen die drei Stufen wieder eingesetzt.«

»Hm«, bemerkte Rafferty. »Das zeigt, dass Freund Hilary eine Neigung zum Teuflischen und Hinterhältigen haben mag. Was taten Sie darauf?«

»Ich berichtete Francis von meiner Entdeckung.«

»Und?«

»Er wollte mir einfach nicht glauben. Er wollte keinerlei Verdächtigungen gegen Hilary hören, der so gut für ihn sorgt, wie er sagte. Ich habe den Verdacht, dass Hilary ihn die meiste Zeit unter der Einwirkung von Betäubungsmitteln hält. Ständig gibt er ihm eine neue Injektion, und er behandelt ihn auch durch Hypnose. Jedenfalls berichtete Francis an Hilary sofort weiter, was ich ihm gesagt hatte - selbstverständlich als einen Witz.«

»Und hat Hilary auch darüber gelacht?«

»Ich hatte danach eine lange Unterredung mit ihm. Er sagte, ich sei hier, um seinen Vetter zu pflegen und nicht, um ihm idiotische Gedanken in den Kopf zu setzen. Und nach dieser Belehrung versuchte er es auf die charmante Tour bei mir.«

Die Erinnerung malte rote Wutflecken auf ihre Wangen.

»Er deutete ferner an, dass ich mich auf dem Grundstück aufzuhalten habe, selbst während meiner Freizeit, damit ich immer greifbar sei. falls ich dringend benötigt würde. Er fürchte, sagte er, dass Francis etwas Unbesonnenes tun könne, und wolle ihn soweit wie möglich unter Beobachtung halten.«

Rafferty legte die Beine übereinander. »Selbstmord etwa?«, fragte er.

»Das wollte er meiner Ansicht nach damit andeuten. Dann bat er mich, ihn immer zu unterrichten, wenn ich die Besitzung verlassen wolle. Ich würde ihm damit einen besonderen Gefallen erweisen«

»Aha. Und was geschah dann heute Nachmittag?«

»Die ganze Angelegenheit beunruhigte mich so sehr, dass ich schließlich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Natürlich hätte ich meine Stellung kündigen können, aber wenn da wirklich etwas im Gange ist, kann ich Sir Francis doch nicht einfach im Stich lassen. Ich kenne keine Menschenseele hier, aber dann fiel mir der Doktor ein. Jemand hatte ihn in meiner Gegenwart erwähnt, und ich sah keine andere Möglichkeit. Ich weiß allerdings auch nicht, was er hätte tun können, aber ich war völlig verzweifelt, verstehen Sie?«

In der Tat sah sie jetzt besorgt aus. Genaugenommen ist sie nicht besser daran als vorher, wenn man davon absieht, dass ich jetzt auf der Bildfläche erschienen bin, dachte Rafferty ungerührt. Er beging niemals die Ungerechtigkeit, sich selbst zu gering einzuschätzen.

»Keine Sorge.« Er lächelte ihr zu. »Onkel Red ist jetzt da, also besteht kein Grund mehr zur Aufregung.« Das entsprach nicht ganz den Tatsachen, denn er hatte noch nicht die geringste Vorstellung, was er unternehmen konnte.

»Sie kamen also ohne Hilarys Erlaubnis ins Dorf, vermute ich, und diese drei Unholde wurden ausgeschickt, um Sie zurückzuholen.«

»Ja. Der Mann behauptete, Hilary habe überall nach mir suchen lassen, und ob ich nicht bitte mit ihm zurückkommen wolle. Natürlich war ich nicht darauf gefasst, dass sie versuchen würden, Gewalt anzuwenden.«

»Es hat den Anschein, dass unser Freund Hilary Ihretwegen beunruhigt ist, vielleicht sogar Misstrauen geschöpft hat. Vielleicht vermutete er, dass Sie zu dem Quacksalber wollten - verzeihen Sie, ich will niemand in seiner Berufsehre kränken.«

Er stand auf und reckte sich. Die Bewegung löste wieder Schmerzen in seiner Schulter aus, er verzog unwillkürlich das Gesicht und griff unbewusst mit der Hand nach der schmerzenden Stelle.

»Meine Güte«, rief Julia reumütig aus, »ich vergaß, dass Sie verletzt wurden.« Ihr beruflicher Instinkt brach durch. »Lassen Sie mich die Sache ansehen.«

»Nein, danke.« Rafferty grinste. »Jemand mit einer lebhaften Phantasie könnte hinzukommen, und die Vertraulichkeiten wollen wir uns doch aufsparen, bis wir ungestört sind, oder nicht?«

»Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie sich so viel aus Vertraulichkeiten machen«, antwortete sie voller Spott.

»Noch eine derartige Äußerung, Julia, und ich sehe mich gezwungen, Sie zu küssen - selbstverständlich nur, wie ein guter Onkel.«

Sie stand auf.

»Wenn ich wirklich nichts für Ihre Schulter tun kann«, erklärte sie kühl, »ist es wohl besser, dass ich gehe.«

»Sie haben ein ungezügeltes Temperament«, erwiderte er. »In einem Augenblick sind Sie flammende Wut und im nächsten ein Eiszapfen. Aber keine Sorge, meine Schulter kommt schon in Ordnung. Vielleicht ist sie vorübergehend etwas steif. Und jetzt können Sie zu Hilary zurückgehen und ihm sagen - ja, was können Sie ihm wohl sagen. Kannten Sie eine dieser drei prächtigen Gestalten?«

»Ja. Der Große ist der Butler. Den Chauffeur habe ich ein- oder zweimal gesehen. Er fuhr mich nach Stratton, als ich ankam. Aber den dritten Mann habe ich noch nie gesehen. Vielleicht ist er ein Gärtner oder so was.«

»Also schön, das muss genügen. Sie gehen nach Stratton zurück und verlangen Hilary zu sprechen. Sie zeigen sich sehr ungehalten und beschweren sich über die Art und Weise, in der sein Hauspersonal Sie behandelte. Drohen Sie, sofort abzureisen, falls Sie noch einmal Grund zu einer Beschwerde haben. Bezeichnen Sie mich als einen völlig Fremden, der nur gerade im richtigen Augenblick erschien, um Ihnen zu helfen, und dann wieder verschwand. Wenn er wissen will, warum Sie fortgingen, ohne seine Erlaubnis einzuholen, dann erklären Sie ihm, Sie hätten ihn gesucht, aber nicht finden können. Wenn er Sie fragt, wo Sie hingegangen seien, dann antworten Sie ihm kühl, das gehe ihn nichts an. Vielleicht können Sie ihn auf die Vermutung lenken, Sie hätten eine Verabredung - hm - nun, mit einem Freund gehabt, ohne das wörtlich auszusprechen. Aber die Hauptsache ist, dass Sie Empörung zeigen. Alles klar?«

»Soweit ist mir alles klar«, antwortete sie. »Aber was soll weiter geschehen?«

»Das überlassen Sie getrost mir«, sagte Rafferty selbstgefällig. »Vielleicht komme ich morgen schon hinüber und sehe mir die Geschichte mal an.«

»Wie, Sie wollen dort einen Besuch machen? Nachdem Sie das Personal derartig behandelt haben?«

»Warum denn nicht? Sie mögen vielleicht nichts davon wissen, mein Kind, aber ich habe gerade erst von Stratton erfahren und mich daran erinnert, dass mein alter Kriegskamerad Francis True-Fenton - was hatte er für einen Dienstgrad?«

»Major.«

»Dass also mein alter Freund Major True-Fenton mir gesagt hat, dass er dort wohne und dass ich ihn selbstverständlich besuchen will. Das werde ich erzählen.«

»Aber er wird Sie nicht wiedererkennen. Ich nehme an, dass Sie ihm nie begegnet sind, oder doch?«

»In dieser Welt jedenfalls nicht«, erklärte er gutgelaunt. »Aber keine Sorge. Wenn er so aufgeweicht ist, wie Sie sagen, wird er es bestimmt nicht bestreiten.«

Er geleitete sie zur Tür. »Überlassen Sie das nur alles mir. Tun Sie so, als ob alles in bester Ordnung wäre. Wir sehen uns bald, wenn Sie es aushalten können, so lange zu warten.«

Wie beabsichtigt, übertrug sich sein frisches Selbstvertrauen auf das Mädchen, und sie verabschiedete sich mit einem warmen, verständnisvollen Lächeln, als sie durch die Tür trat und die Stufen hinunterging.

Er sah ihr nach, wie sie auf ihren hohen, schlanken Beinen sicher über das unebene Kopfsteinpflaster davonschritt. Er summte eine fröhliche Melodie vor sich hin, aber die Gedanken in seinem Kopf waren kühl und klar, als er viele Dinge überlegte und einer Analyse unterzog.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel: RAFFERTY MACHT EINEN BESUCH

 

 

Hilary True-Fenton dröhnte in das Telefon: »Natürlich sind sie meine - das heißt, Sir Francis’ Angestellte. Ja, ich verbürge mich für sie, und dafür, dass sie sich melden, wenn sie vorgeladen werden. Sie lassen sie also sofort wieder frei? Gut, gut!« Sein kanadischer Akzent wurde durch die Schärfe seines Tones noch weit stärker hervorgehoben.

Er hängte ein und runzelte die Stirn. Sein Gesicht mit den zusammengepressten Lippen zeigte einen bösartigen Ausdruck. »Dieser verdammte Idiot von einem Polizisten. Hat sie wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen. Was sagt man dazu?«

Hester Wayne schwang ihre gutgeformten Beine von dem Schreibtisch herunter, auf dem sie saß. »Runzle nicht so die Stirn, mein Schatz, es steht dir nicht gut.« Ihr Akzent war weniger auffällig. Sie war allerdings auch Amerikanerin.

Er stand auf. Er hatte eine schwere und kräftige Figur.

»Warte nur, bis diese dämlichen Idioten wieder da sind. Die werden etwas zu hören bekommen.«

Hester Wayne glitt von dem Schreibtisch herunter, als sich die Tür öffnete. Ihr langes, blondes Haar fiel anmutig auf ihre Schultern, und das Gesicht darunter, mit einer glatten, gepflegten Haut, sorgfältig gezupften Augenbrauen und einem vollen, großen Mund, war hübsch, aber nichtssagend. Sie war schon lange dahintergekommen, dass alles, was von ihr in dieser Welt erwartet wurde, darin bestand, sich so zu geben wie sie war und nicht zu denken. Die Zeit, die sie für ihre Schönheitspflege aufwendete, hatte sich bezahlt gemacht. Nachdenken brachte nur Kopfschmerzen. Die Richtigkeit dieser Überlegung wurde durch die Vollkommenheit ihrer Figur nachdrücklich bestätigt. Sie neigte eher zur Fülle, aber die schön proportionierten Kurven und Umrisse stellten eine Herausforderung dar, deren Reiz man sich nur schwer entziehen konnte. In zehn Jahren, nun ja, die Blüte würde dann schwer und voll aufgegangen und aus dem Fülligen Fett geworden sein. Aber wenn man zehn Jahre vor sich hatte, hielt man das für ein ganzes Leben.

Die Frau, die eintrat, warf zuerst einen finsteren Blick auf Hester, die sich schon lange keine Mühe mehr gab, ihre angeborene Antipathie gegen die andere Frau zu verbergen, und sah dann ihren Mann an. Während Hesters Anziehungskraft in ihrer Blondheit und Wärme und Fülle lag, war auch die ein paar Jahre ältere Rita True-Fenton auf ihre dunkle und geschmeidige Art anziehend. Die Olivtönung ihrer Haut hatte mehr als einen Mann veranlasst, sich zu fragen, ob sie indianisches Blut habe, und das nicht ohne Berechtigung.

»Das Mädchen ist da«, sagte sie scharf, »die Pflegerin. Sie will dich sprechen.«

»Teufel auch«, sagte Hilary, »die kommt mir gerade recht. Ich will sie auch sprechen.«

Die Unterredung verlief allerdings nicht ganz so, wie er beabsichtigt hatte. Julia ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen und begann schäumend vor Empörung.

»Wie können Sie es wagen, mir Ihre Leute nachzuschicken«, herrschte sie ihn an mit dem Ton der beleidigten Unschuld. Sie brauchte sie nicht zu mimen. Der Gedanke an die zwei Männer, die sie gepackt und ihr die Arme umgedreht hatten, brachte sie in echte Wut.