Der Tote hinter dem Knick - Renate Folkers - E-Book

Der Tote hinter dem Knick E-Book

Renate Folkers

4,5

Beschreibung

Wer ist der Tote, der in Schobüll hinter dem Knick* gefunden wird? Nichts lässt zunächst auf die Identität des Mannes schließen. Einzige Spur ist die Visitenkarte einer kleinen Pension, die die Leiche bei sich trägt. Unerwartet schnell findet Nane Lüders, Hauptermittler der Kripo Husum, heraus, dass es sich um den Hamburger Arzt Leander Hagedorn handelt. Doch als auch noch dessen tatverdächtige Ehefrau am nächsten Tag tot in ihrer Villa in Blankenese aufgefunden wird, gestaltet sich der Fall immer undurchsichtiger: Viele hatten ein begründetes Interesse, den Arzt loswerden zu wollen. In einem Sumpf menschlicher Abgründe waten die Ermittler aus Husum, Flensburg und Hamburg, denn Hagedorn stand nicht nur auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie. * mit Bäumen oder Sträuchern bepflanzter Erdwall, Lebensraum für Pflanzen- und Tierwelt sowie Begrenzung landwirtschaftlich genutzter Flächen.

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Ähnliche


Inhalt

Titelseite

Impressum

Über den Autor

Urlaub auf dem Bauernhof

Feierabend

Zum Krug

Erste Ermittlungen

Leander Hagedorn

Bei Lisbeth und Hinnerk Peters

Bei den Hamburger Kollegen

Im Husumer Krankenhaus

Bei Jonas Jeute

Ich will hier raus

Ohne Termin, keine Beratung

Brainstorming auf der Husumer Dienststelle

Zufallsbegegnung

Katz und Maus

Verena Hagedorn

Praxis für Psychotherapie

Sexuelle Übergriffe

Beziehungen

Geburtstag in Halebüll

Mertens bei Britta Jeute

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Ein Praktikant auf der Station

Zwischen Traum und Wirklichkeit

In der Bethmann Bank

Bei Professor Doktor Gramm

Die Grillparty

Ein guter Start in die Woche

Das Testament

Die letzte Reise

Eine ganz heiße Spur

Es wird eng

Minden

Festnahme

Nachtzug nach Sylt

Das Geständnis

Mittagspause

Und noch ein Geständnis

Das letzte Kapitel

Danksagung

Renate Folkers

Der Tote hinter dem Knick

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in deer

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2014 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Der Umschlag verwendet Motive von shutterstock.com

Doctor and stethoscope Jeng Niamwhan 2013,

Landsape of dunes ... forestpath 2013

eISBN: 978-3-8271-9859-4

EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de

Der Roman spielt hauptsächlich in allseits bekannten Stätten um Husum, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

Über die Autorin:

1950 auf Nordstrand bei Husum geboren

nach der Schule Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten

insgesamt über 25 Jahre an Schreibtischen öffentlicher Arbeitgeber

von 1978 bis 1988 Familiengründung und Kindererziehung (4)

2001 Lebensmittelpunkt nach Minden verlegt

2009 Abschied aus dem Berufsleben und mit dem Schreiben begonnen

größte Herausforderung als Autorin der nunmehr fertiggestellte Kriminalroman „Der Tote hinter dem Knick“

Mehr über Renate Folkers und ihre Aktivitäten erfahren Sie auf Facebook.

Urlaub auf dem Bauernhof

Verträumt schaut Lisbeth Peters ihren Gästen Verena und Leander Hagedorn nach, wie sie eng umschlungen Richtung Deich schlendern.

,Was für ein schönes Paar und so verliebt‘, schwärmt die Pensionswirtin.

An diesem Augusttag steht die Luft vor Hitze, die Lerchen trällern, auf der benachbarten Koppel wiehert ein Pferd.

‚Ich werde meine Gäste heute zum Grillen einladen‘, entschließt sich Lisbeth spontan. ‚Kleinemeiers, Hagedorns, Hinnerk und ich, eine gute Mischung.‘

Verena und Leander Hagedorn steigen indessen die Treppenstufen zum Seedeich hinauf. Es ist Flut und gute Sicht. Schafe blöken aus der Ferne. Die Luft riecht nach Salz und Meer und ein bisschen auch nach Schafmist.

„Ich liebe dieses Fleckchen Erde hier. Schnupper mal, dieser würzige Duft. Ich kann gar nicht genug davon bekommen.“

Verena schmiegt sich an ihren Mann, der sie in die Arme nimmt und leidenschaftlich küsst.

„Ich liebe dich, Verena.“

Sie fassen sich bei den Händen und laufen den Deich hinunter. Leanders Handy läutet.

„Entschuldige, Liebling. Hallo Jonas, was gibt’s? Ja, wenn’s so wichtig ist? Um neunzehn Uhr bei dir, sagst du? Ich glaube, da gibt mir Verena frei. Bis dahin.“

„Ein Herrenabend, mein Schatz?“, mutmaßt Verena lächelnd und legt ihren Arm um Leanders Taille.

„Ich glaube, Jonas braucht meinen seelischen Beistand. Die Sache mit Britta macht ihm sehr zu schaffen. Sie sind nicht zu beneiden, die zwei. Ich werde vorsorglich ein Zimmer in der Stadt nehmen. Ein Abend mit Jonas kann nicht nur lang, sondern auch feuchtfröhlich werden. Wirst du eine Nacht ohne mich auskommen können, mein Schatz?“

Eng umschlungen machen sie sich auf den Rückweg zu ihrer Pension.

„Sieh mal, eine Einladung von Lisbeth zum Grillen und davor ein Klotstockspringen für uns Männer. Passt prima, was denkst du?“ Inzwischen sind sie in ihrem Zimmer angekommen.

„Ich glaub’, da mach’ ich mit, bevor ich zu Jonas fahre. Doch bis dahin haben wir noch Zeit ...“

Leanders Arme umschließen Verenas Körper von hinten und er lässt keinen Zweifel daran, wie sehr ihre erotische Ausstrahlung sein Verlangen entfacht.

Gemeinsam schließen sie die Vorhänge und Verena beginnt, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, den Blick dabei lustvoll provozierend auf ihren Mann gerichtet. Berauscht von ihrer Sinnlichkeit, beginnt er genussvoll ihren inzwischen entblößten schlanken Körper zu liebkosen, um ihn schließlich behutsam auf das Bett zu dirigieren ...

Es ist fast siebzehn Uhr, als Verena auf die Uhr blinzelt. Zärtlich streichen ihre Fingerkuppen über Leanders nackten Rücken, der in Bauchlage noch fest zu schlafen scheint. Die Frau huscht aus dem Bett und genießt ausgiebig die weich herabfallenden Wassertropfen der Wellnessdusche.

Auf dem Hof haben sich die Gäste zum Klotstock springen eingefunden. Zum Anwärmen und Mut machen gibt’s einen ‚Friesengeist‘, und weil man auf einem Bein nicht stehen kann, wie Hinnerk Peters weiß, schenkt er rasch einen zweiten ein. Hochprozentig und lecker. Dann geht es los. Der Bauer erklärt, wie der Sprung mit Hilfe des langen Stockes über den Graben zu bewerkstelligen ist und macht seinen Gästen das Ganze einmal vor.

„Das Wichtigste is’ Anlauf, Schwung und rüber mit dem Mors. Alles andere wird ’ne feuchte Angelegenheit.“

„Na, wer traut sich denn als Erster? Doktor Hagedorn?“

„Klar. Kann so schwer nicht sein. So breit ist der Graben ja nicht.“

Durch ungeschickte Verlagerung seines Gewichtes reicht Leanders Schwung nur bis zur Grabenmitte und der Doktor landet mit dem Hosenboden im Wasser.

„Is’ doch mein Reden, Hagedorn, knapp daneben is’ auch vorbei. Die Weite macht’s, nich’ die Höhe. Aber man kann nich’ alles können. Der Mors is’ jedenfalls nass.“

Hinnerk Peters verbirgt seine Freude nicht und fragt mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht: „Na, gleich noch mal versuchen?“

Der Gast, ein bisschen ärgerlich, befreit sich umständlich aus dem flachen Wasser.

„Blöder Spruch – blöder Bauer“, entfährt es ihm versehentlich, aber immerhin so laut, dass Hinnerk es hört. Eigentlich hat er es so gar nicht gemeint, aber missgelaunt über sich selbst, dazu der Kommentar von Hinnerk, da ist es ihm nun mal rausgerutscht.

‚Hätte mir zumindest aus dem Wasser helfen können‘, brummelt er vor sich hin und mogelt sich ungesehen hinter den Damen, die sich auf dem Hofplatz zum Plausch eingefunden haben, vorbei ins Haus.

Kurze Zeit später gesellt er sich frisch geduscht zu den Frauen, die sich immer noch angeregt unterhalten.

„Vielen Dank für die Einladung zum Grillen, Lisbeth. Leider muss ich heute Abend einen Freund in der Stadt treffen, kann also beim Grillen nicht dabei sein.“

Lisbeth errötet ein wenig.

‚Finde ich auch schade‘, denkt sie bei sich, fragt aber gleich: „Wollten Sie nicht beim Klotstockspringen mitmachen?“

„Bin schon durch damit, hat nicht so gut geklappt.“

Das Taxi, das Leander in die Osterhusumer Straße zu Jonas Jeute bringen soll, rollt auf den Hof.

„Einen schönen Abend allerseits“, ruft er in die Runde, während ihn Verena zum Auto begleitet.

Jonas ist vom blendenden Aussehen seines Besuchers beeindruckt.

„Hey, mein lieber Alter, braun gebrannt, total entspannte Gesichtszüge. Du überraschst mich, Leander. Deine Verena scheint dir echt gutzutun, komm’ rein.“

„Danke für die Blumen, Kleiner. Erzähl’, was gibt’s Neues?“

„Läuft alles ziemlich gut. Hatte ein Gespräch mit dem Professor. Die Medikation sei gut ausgewählt und zeigt bereits Wirkung, hat er gesagt. Das bedeutet, dass unser Konzept einen guten Verlauf nimmt. Ich kann’s kaum erwarten, dass wir unsere Zelte hier abbrechen.“

„Gemach, gemach, mein Lieber. Bloß nicht gleich abheben. Aber du hast recht, auf jeden Fall sollten wir darauf einen trinken, oder auch zwei. Ich habe im Hotel Hinrichsen ein Zimmer bestellt, für alle Fälle.“

Beim nahe gelegenen Griechen in der Osterhusumer Straße hat Jonas einen Tisch reserviert. Bester Laune machen sich die Männer auf den Weg.

Der Wirt führt sie zu ihrem Platz in den hinteren Gastraum, in dem sie vorerst die einzigen Gäste sind. Sie bestellen Getränke und studieren die Speisekarte.

„Sag’ mal, bist du dir wirklich sicher, dass uns niemand an die Karre pinkeln kann, was Brittas Medikamente betrifft? Manchmal überkommt mich das große Muffensausen, dass etwas schiefgehen könnte“, will Jonas wissen.

„Nun mach’ dir mal nicht in die Hosen, Jonas. Warst eben noch am Jubeln und jetzt die großen Fragezeichen auf der Stirn? Wir sind auf der absolut sicheren Seite. Seit Mai gibt es ein überarbeitetes umfangreiches Nachschlagewerk für Psychiater. Hier tummeln sich die Erfinder von Krankheiten und Medikamenten, verhelfen sich selbst zu Ruhm und Ehre und drehen Geldhähne auf, unter die sie die eigenen Geldsäcke hängen. Eine richtige Spielwiese für unseren Berufsstand. In diesem Regelwerk wird auf tausend Seiten entschieden, wer bekloppt ist, wer welcher Pillen bedarf und wer weggesperrt gehört, und da sind wir glücklicherweise mit im Boot und partizipieren ein ganz kleines bisschen von dem riesig großen Kuchen. Außerdem ist bei Medikamenten, deren Wirkstoff noch nicht zugelassen ist, der Nachweis aus Datenschutzgründen unmöglich. Personen und Indikation sind schlichtweg nicht zu ermitteln. Die Pharmafirmen haben natürlich ein großes Interesse, diese Medikamente an Patienten zu testen. Und deshalb sind sie meist auch die Sponsoren, die hierfür ansehnliche Summen zur Verfügung haben und sichauch bei den Ärzten nicht unbedingt knickerig zeigen. Alles ganz legal und nicht zu unserem Nachteil. Und was deine Frau betrifft, es war ihr innigster Wunsch, dass ihre Krankheit mit wirksamen Medikamenten behandelt wird. Das beinhaltet auch eine eventuelle Gefährdung bei nicht ausreichend geprüften Arzneimitteln, wenn solche angewendet werden. Und davon machen wir Gebrauch. Aber im Ernst: Nun nenn’ mir mal ein Medikament, das Nebenwirkungen ausschließt. Deine Frau hat ihr schriftliches Einverständnis für die Behandlung gegeben. Wir alle gehen doch von der größtmöglichen Wirkung aus, jeder auf seine Weise. Glaub’ mir, wir sind Tante Claires Nachlass ganz nah. Und nun reicht’s mit den Zweifeln, Herr Bundesbedenkenträger. Lass uns zum gemütlichen Teil übergehen.“

Leander streckt seinem Gegenüber die Hand entgegen, Jonas schlägt ein.

„Hast recht, Leander, tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen.“

„Herr Ober, bitte noch zwei Bier und das Essen haben wir auch ausgewählt. Zweimal den großen Grillteller und eine Extraportion Tsatsiki, bitte.“

Stundenlang sitzen die Männer am kleinen Ecktisch, stecken immer wieder die Köpfe zusammen, tuscheln, und bestellen Bier nach. Sie sind allerbester Laune, und Jonas’ Zweifel endgültig verflogen.

Der Wirt löscht das Licht über den Tischen. Die Männer verspüren absolut kein Bedürfnis, ihren Abend zu beenden.

„So, meine Herren, das letzte Bier. Wir machen Feierabend“, erklärt der Chef und stellt Jonas und Leander ein frisch gezapftes Bier vor die Nase. Es geht auf zwei Uhr morgens zu.

„Wir haben etwas supergroßes Geniales zu feiern, Mann“, lallt Leander in Richtung Wirt.

„Stell dich nicht so an, komm, ich geb’ noch ’ne Runde Ouzo aus, für dich auch einen. Mach schon, einer geht noch.“

„Einverstanden, aber dann ist wirklich Schluss.“

Der Grieche greift kopfschüttelnd nach der Schnapsflasche und füllt drei Gläser bis zum Stehkragen mit der trüben Flüssigkeit.

„Prost, die Herren. Was gibt’ s denn zu feiern, wenn ich fragen darf? Ist Nachwuchs in Aussicht?“, fragt er in Richtung Jonas.

„Nachwuchs? Ja, kann man so sagen, Zuwachs ist Nachwuchs. Tote Tante, Erbschaft, nachwachsender Rohstoff, Kohle. Also Nachwuchs, trifft irgendwie zu. Prost.“

Genüsslich leert Jonas sein Glas. Der Wirt legt die Rechnung auf den Tisch.

„Zusammen oder getrennt?“

„Zusammen, so was macht man zusammen, Amigo.“

Nachdem Jonas gezahlt hat, machen sich die beiden auf unsicheren Beinen auf den Heimweg.

„Ich könnte mich kaputtlachen, Leander. Weißt du noch, wann wir das letzte Mal so opulent zusammen gesoffen haben? Ich weiß es noch ganz genau. Es war in dem Jahr, als du Verena geheiratet und ihren Namen angenommen hast. Als du dich sozusagen damit selbst aus dem Dreck gezogen hast. Mit neuem Namen das alte Leben hinter sich lassen. Erinnerst du dich?“

„Schrei nicht so herum, Blödmann, muss doch nicht die ganze Welt mithören. Ist sowieso Schnee von gestern. Davon redet kein Mensch mehr.“

„Nichts für ungut, aber das Besäufnis war schon allererste Sahne, oder? Kurz vor der Bewusstlosigkeit, wenn ich mich recht erinnere.“

Sie torkeln den Gehsteig entlang und kommen schließlich vor dem Haus von Jonas und Britta an.

„Komm gut in die Falle, alter Junge. Willst nicht lieber ’n Taxi nehmen? Bis zum Hotel Hinrichsen in der Süderstraße ist es in deinem Zustand ein ganz schön langer Ritt“, verabschiedet sich Jonas.

„Du mich auch“, hört er Leander nuscheln, bevor die Haustür ins Schloss fällt.

Helles Sonnenlicht fällt durch die Vorhänge, als Leander nach dem strammen Abend in seinem Hotelzimmer aufwacht.

Total verkatert verspürt er einen fahlen Geschmack in seiner Kehle. Er setzt die Wasserflasche an und leert sie in einem Zug. Erinnerungen an den gestrigen Abend drängen sich in den Fokus. Der Gedanke, beinahe einen Umweg über die Neustadt riskiert und der Spielhölle einen Besuch abgestattet zu haben, setzt ihm ganz schön zu. Um ein Haar wäre er der Verlockung erlegen.

Es ist nicht nur der übermäßige Alkoholkonsum, der sich im Kopf bemerkbar macht. Auch die ungeheure Anstrengung, der Versuchung widerstanden zu haben, hat Kraft gekostet. Er schmeckt bitter und süß zugleich, der Lockruf der Spieltempel. Die Erleichterung hatte er sich versagt, sich für die Bitterkeit entschieden, und nur das zählte.

Nachdem er sich von Jonas verabschiedet hatte, war er eine Weile an einer Hauswand stehen geblieben. Dass Jonas die Namensänderung wieder ausgegraben hatte, traf ihn ins Mark. Durch die Eheschließung mit Verena war aus Leander Preuss Leander Hagedorn geworden. An Leander Preuss wollte er sich möglichst nie wieder erinnern, schon gar nicht von jemand anders daran erinnert werden. Außer seinem Neffen wusste in seiner neuen Umgebung nur sein Chef, Professor Harald Gramm, von seiner Vergangenheit.

Niemand in seinem Umfeld ahnte etwas von den Seilschaften, in die er verstrickt gewesen, und die ihm immer wieder Geldbeschaffungsquelle gewesen waren. Geld, das er immerhin niemandem gestohlen hatte.

Ein wenig in der Grauzone hatte er sich befunden. Hatte Menschen, die ohnehin tot oder auf dem Weg dorthin waren, etwas zu entnehmen gestattet, was sie nicht mehr benötigten, beruhigte er sich. Was war daran verwerflich? Das war durch eine einfache Unterschrift erledigt, wirklich kein großes Ding. Im Übrigen musste er sich als Arzt für das Leben entscheiden und das Leben gehört zweifellos dem Spendenempfänger.

Sein Bedarf an Bargeld war groß, damals. Die Spielhallen lockten täglich aufs Neue.

Vor seinen Augen flimmerten die Lichter einer Unmenge sich aneinanderreihender Geldspielgeräte. In den Ohren der berauschende und nicht enden wollende Sound sich prasselnd entleerender Geldspielautomaten. Geld in Hülle und Fülle, der Griff in die Mulde, das schöne, viele, herbeigesehnte Geld, sein Geld! Er hatte gespürt, wie es durch seine Finger rann und sich zu einem großen Berg auftürmte.

Das war sein ,Rien ne va plus‘, das war der Puls allen Lebens.

Aber nicht nur die Lichter der Spielhalle und das Prasseln der Geldstücke bemächtigten sich seiner. Bilder an die Klinik, an Gefälligkeiten, die große Summen hatten fließen lassen, die aufgedeckten, aber nicht nachzuweisenden Fehlbestände im Medikamentenbestand des Krankenhauses.

Die zielführenden Gespräche unter vier Augen mit Angehörigen von Schwerverletzten zu der Zeit, als er noch verantwortlicher Neurologe auf der Intensivstation in Heidelberg war. Vor seine Augen traten die klagenden Angehörigen.

Von hinten leerte jemand einen Geldsack über seinem Kopf aus.

Vom Schwindelgefühl überwältigt hatte er sich am Fenstersims eines Hauses festgeklammert. Die Scheinwerfer eines Autos trafen ihn unvermittelt. Er erkannte ein Taxi und winkte es heran.

„Hotel Hinrichsen, Süderstrasse, bitte.“

Er hatte sich auf den Rücksitz fallen lassen und die Schweißperlen auf der Stirn immer wieder mit dem Jackenärmel fortgewischt.

„Ich, Leander Hagedorn, bin kein Spieler, ich bin kein Spieler. Ich habe mich in Therapie begeben, ich bin kein Spieler. Ich bin Leander Hagedorn, Arzt, Neurologe. Psychiater und Psychologe. Ich heiße Leander und bin Hagedorn, äh, Arzt ...“

„Ich habe Sie nicht verstanden“, hatte sich der Taxifahrer an ihn gewandt.

„Nicht so wichtig.“

„Drei Euro neunzig, dann bitte.“ Er hatte dem Fahrer einen Zehn-Euro-Schein gereicht und war mit den Worten ‚stimmt so’ aus dem Taxi gestiegen, was vom Chauffeur kopfschüttelnd aber freudig angenommen wurde.

Leander spürt, wie die Erinnerungen zu einer schmerzhaften Verkrampfung der Muskulatur führen.

‚Bleib locker, alles nur ein böser Traum‘, redet er sich ein und atmet einige Male tief in den Bauch.

Er schaut auf die Uhr. Viel zu früh zum Aufstehen, denkt er sich. Dennoch sucht er das Bad auf und braust die Nachwehen vom Vorabend gründlich fort. Kalt und heiß, immer im Wechsel. Dann schlüpft er noch einmal unter die Bettdecke. In der noch warmen Mulde räkelt er sich und denkt an Verena, die er in diesem Augenblick gerade sehr zu vermissen beginnt.

Meine schöne Verena, dich hat mir der Himmel geschickt, gehen seine Gedanken auf die Reise und er erinnert sich an den Abend, an dem er sie zum ersten Mal sah.

Es war kurze Zeit, nachdem er in Hamburg sein kleines Appartement bezogen hatte. Sein Chef, Professor Doktor Harald Gramm, hatte ihn als neuen Mitarbeiter der Station zu einer Fortbildungsveranstaltung einer Arzneimittelfirma mit anschließendem Empfang eingeladen. Unter den etwa zweihundert Gästen war auch Verena Hagedorn gewesen.

„Meine liebe Verena, darf ich dich mit meinem neuen Mitarbeiter bekanntmachen? Doktor Leander Preuss. Doktor, das ist meine liebe langjährige Freundin Verena Hagedorn. Ich habe Verena überredet, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Die schöne Dame verlässt seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren nur ungern ihr Haus. Aber sagen Sie selbst, was wäre uns entgangen, sie heute nicht bei uns zu haben.“

„Sehr erfreut, gnädige Frau, Sie sehen umwerfend aus, wenn ich das mal so geradeheraus sagen darf.“

Leander hatte Verena die Hand gereicht und ihr gentlemanlike einen Kuss auf den Handrücken gehaucht und dabei nicht aufgehört, in ihr unerhört schönes Gesicht zu schauen. ‚Was für eine Schönheit sie ist‘, hatte er gedacht, ,sie ähnelt einer zerbrechlichen Porzellanpuppe. Die transparente Haut, die wasserblauen Augen, der schön geschwungene Mund. Alles umrahmt von welligen, blonden Haaren.‘

„Dann mache ich Sie mal für den Rest des Abends dafür verantwortlich, dass sich Verena wohlfühlt, Herr Kollege. Ich werde nachher noch einmal vorbeischauen.“

„Darf ich Sie zu einem Glas Champagner einladen, Verena?“, hatte sich Leander sogleich ohne Umschweife der Dame in dem roten körperbetonten Seidenkleid zugewandt und ihr seinen Arm angeboten.

„Sehr gern. Wir können den Champagner auf der Dachterrasse nehmen. Von dort aus hat man einen herrlichen Ausblick auf die Alster. Das wird Ihnen gefallen.“

Verena hakte sich bei ihm ein und gemeinsam steuerten sie auf die Bar zu. Die Berührung der Frau hatte Leander elektrisiert. Ihm war sofort klar: sie oder keine. Sein ganzer Körper signalisierte, wie die erotische Eleganz dieser wunderschönen Frau von ihm Besitz ergriff. Ihre Kleidung, die schlanke Figur, vor allem der Duft, den sie verströmte, betäubten seine Sinne. Mit seinem blütenweißen Stofftaschentuch tupfte er sich diskret die feuchte Stirn.

„Eine gute Idee, nach draußen zu gehen. Ich freue mich, den Abend an Ihrer Seite verbringen zu dürfen, Verena. Erzählen Sie mir von sich. Wohnen Sie hier im Stadtteil?“ Es ging auf ein Uhr morgens zu, als die Lichter im Vortragssaal verlöschten und auch die Zahl der Gäste sich bis auf einige wenige reduziert hatte.

Verena hatte Leander in ihren Bann gezogen. Aber auch umgekehrt, war Verena seit diesem Abend wie ausgewechselt.

Sie gestattete Leander, sie nach Hause zu begleiten, und versprach, sich bei ihm zu melden. Seit ihrem Zusammentreffen spürte sie einen Zauber, von dem sie glaubte, sie könne sich an ihm nähren.

Als Leander an diesem Abend allein unter seine Bettdecke geschlüpft war, hatte sein Körper sich genau wie jetzt verzehrt nach dieser ästhetisch betörenden Schönheit.

‚Immer noch geht dieser unwiderstehliche Charme von ihr aus‘, sinniert der Mann vor sich hin, ‚gleich werde ich dich in meinen Armen halten‘, träumt er weiter, als jemand an der Zimmertür klopft.

„Roomservice, ist jemand da? Can I clean the room, please?“

„Ja, Moment.“

Leander schlingt ein Handtuch um seine Hüften und öffnet einen Spaltbreit die Tür. Hinter einem Putzwagen steht ein junger Schwarzer in Kittelschürze mit hellblauen Gummihandschuhen.

„Moin, can I clean the room now?“

Feierabend

Oke Brandt vom Kriminalkommissariat Husum befördert die lose auf seinem Schreibtisch herumliegenden Aktenvermerke und Notizzettel in die oberste Schublade und verschließt sie. Er freut sich besonders auf den heutigen Abend. Gerlinde hat Geburtstag und zur Feier des Tages wollen sie essen gehen. Oke hat in dem historischen Restaurant ,Zum Krug‘ in Hockensbüll für neunzehn Uhr einen Tisch bestellt. Das kleine Restaurant ist eine exzellente Adresse, was das Essen betrifft, aber auch von außen lädt das denkmalgeschützte Friesenhaus zum Verweilen ein. Im vorigen Jahr hatten er und Gerlinde mit Freunden den Silvesterabend dort verbracht.

Er freut sich auf den Abend mit seiner Frau. Schon bei dem Gedanken daran, huscht ihm ein Lächeln über das Gesicht. War längst mal wieder fällig, so ein Abend zu zweit. Er schaut auf die Uhr. Noch ist Zeit für ein Jogging entlang der Aue und ein ausgiebiges Bad danach.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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