Der Tote im Baggersee - Hans A. Poignée - E-Book

Der Tote im Baggersee E-Book

Hans A. Poignee

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Beschreibung

Ein Kriminalroman aus der beschaulichen Stadt Ettlingen. Zwischen vielschichtigen Menschen, zwischen Politik, Städtebau und Wirtschaft, zwischen Robberg und Kreuzelberg gedeiht eine für ihre Geschichte und Schönheit bekannte Stadt in den Jahren 2010 bis 2020. Mit ihr geht es auch mit einem Arzt aufwärts. Oder etwa doch nicht?

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Seitenzahl: 184

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Buchcover unter Verwendung eines Fotos von Hans A. Poignée

Inhalt

Vorwort

Tornado

Kalte Dusche für Weinlaub

Eine Leiche im Baggersee

In der Gerichtsmedizin

Inspektor Steiner ermittelt

Dr. Weinlaub rechnet ab

Gerda Klein am Morgen

Wilhelm Weinlaub erinnert sich

Die Bisamratte

Frau Dimiglu hat einen guten Mann

Gesine isst einen Keks

Olga Weinlaub liest die „Bunte“

Lyrisches Zwischenspiel

Weinlaub entspannt

Wolfskind

Der Jäger

Dr. Semmelweiß fährt Rad

Der geheilte Patient

Pfandflaschen

Herumtreiber

Richy reinigt seine Glock 17

Städtepartnerschaft

Vergilbte Blätter

Bahnwärter Theil

Auf Blumen marschieren

Dr. Weinlaub rüstet auf

Verkalkt

Eine Boxweltmeisterin im Tiziano

Paragrafenreiter

Oxford

Alischa ist die Nummer drei

Akbas der Syrer

OB Arnold lädt ein

Die Gärtnerei

Auf dem Golfplatz

Sauerbraten, Piroggen und Sluba

Vogler mag keine Statistik

Mundart I: Inspektion

Die verschwundene Achatschale

Über alle Brücken gehen

Dr. Geißler bereitet den Weg

Modenschau I

Modenschau II

Radtour durch Ettlingen

Todesanzeige

Prominenz in Ettlingen

OB Arnold und die Finanzen

Die Couponschneider

Dienstliches Rendezvous

Kriminalität am anderen Ende der Welt

Ein Hinweis

Aufklärungsgespräch

Der blaue Guru

Demonstration

Lob der Stillen

Notdienst Dr. Weinlaub

Die Schlange

Testen - ein Erfolgsmodell

Dr. Weinlaub mag Durbacher Wein

Die Straße nach Mendozino

Mundart II: Die zwei Schwäne

Schwäne II

Paradigmenwechsel

Beethoven im Birdland

Voglers Alptraum

Radtour im Oberwald

Voglers Flucht

England und London

Der Glaspalast

Frau Klein kennt sich bei Krimis aus

Olga spricht mit ihrem Mann

Hand in Hand mit Alischa

Im Kräutergarten

La Casa Rubio

Der Sturm

Das Weiße Haus am Robberg

Die rote Badehose- ein Monolog

Olga sucht ihren Mann

Wo ist Steiner?

Das Alibi

Die AfD lädt in die Stadthalle ein

Mundart III: Fies bade oder Kneipp

Olga schäumt

Siddhartha

Paragrafenreiter II

Napoli

Das Würfelspiel

Polizei und FKK

Todesursache

Ein Hauch von Liebe

Ist Herrenalb attraktiv?

Auf dem Weg zum Friedhof

Stille Trauer

Idylle

Sibyllas Nachwort

Personenregister

Belletristik von Hans Poignée

Danksagungen

Vorwort

Eine Wasserleiche im Baggersee

Ein übereifriger Reporter, der der Pharmaindustrie auf der Spur ist, ein Arzt, der seine Einnahmen optimieren muss, ein Oberbürgermeister, der zwischen den Interessen von Banken und Bürgern vermitteln möchte, ein geheimnisvoller Flaschensammler, der nicht das ist, was man von ihm hält, ein Bahnwärter, der ein Blutbad verhindert, das Monster von Horbach und, ein wunderbarer Pianist, ein charmanter Rechtsanwalt, ein hilfreicher Professor, ein antiquierter Ökomediziner, eine Arzthelferin, die der Polizei auf die Spur hilft.

Diese kleine Stadt Ettlingen lebt, vibriert, will größer werden und geht gestärkt aus Krisen hervor.

Und hinter allem dieser Tote und der ermittelnde Kommissar Steiner. Welche Rolle spielten die Recherchen dieses Martin Voglers, welche Ziele verfolgt der Arzt Erwin Weinlaub, der nicht der einzige ist, der den „unaufhaltsamen Aufstieg“ anstrebt. Wird die Polizei diesen Fall lösen können?

Ich möchte dieser Stadt, in der ich seit 1960 lebe, ein Denkmal setzten, nicht für eine einzelne Person, nicht nur für die lange Historie, sondern den vielen unterschiedlichen Menschen, von denen ich ein paar kennengelernt habe. Alle sind in Rollen geschlüpft, keine Person ist real.

Ettlingen, im August 2021

Hans Poignée

Tornado

Als am 7. August 2019 die Medien eine Unwetterwarnung für Ettlingen sendeten, war man sich nicht einig, ob es ein Tornado werden könnte. Martin Vogler fühlte sich sicher. Er stand im Esszimmer hinter dem Fenster und hoffte auf ein Wunder. Vor dem Fenster drehten sich riesige Wedel, wie sie in Autowaschanlagen als Monster um das Auto herumkreisen und dabei Unmengen von Wasser verspritzen.

Es hörte nicht auf. Er konnte den Druck gegen die Scheibe spüren. Es sind extrem stabile Scheiben mit modernen Kunststoffrahmen, aber er fürchtete, die Rahmen würden aus der Mauer gerissen.

Daran erinnerte er sich an einem wunderschönen Sommertag im Juli 2020. Vielleicht, weil der Pfad zum FKK-Platz am Sulzbacher Baggersee noch immer von zerfetzten Bäumen gesäumt war. Als er seinen Platz erreichte, war die kleine Wiese, dazwischen einige Pappeln, schon belegt mit etwa 20 Nackedeis. In dieser Umgebung fühlte er sich geschützt. Dort würde sich niemand den Spaß erlauben, seine Kleidung zu verstecken. Er streckte sich im Halbschatten aus, blickte über den See und vertiefte sich in sein Buch. Zwischendurch schwamm er mehrmals im kühlen Wasser, kraulte, legte sich auf den Rücken, tauchte. Das war sein Element. Er erinnerte sich an die Radtour von Paris nach London die sein Leben verändert hatte.

Drei Stunden später hatten sich die anderen Gäste verabschiedet.

Die Abendsonne verschwand, danach wanderte sie als Abendrot durch den Wald am gegenüberliegenden Ufer. Die Färbung erfasste die braunen Stämme, die Äste färbten sich röter, schließlich purpur. Ein Leuchten überzog den glatten See. Ein mächtiges Glühen ging durch die Baumkronen. Vogler bereitete sich auf seine Fahrt vor. Legte die Kleidung sorgfältig zusammen, versteckte seinen Fahrradschlüssel im Gebüsch. Er balancierte über die glitschigen Steine und blickte auf den nachtschwarzen See hinaus. Fast glaubte er ein Boot zu sehen, auf dem der graue Charon in die Ferne blickte. Schließlich glitt Vogler lautlos in das dunkle Gewässer.

Kalte Dusche für Weinlaub

September 2020. In der Personaltoilette rieb sich Dr. Weinlaub das Gesicht mit kaltem Wasser ab. Er schaute in den Spiegel. Dunkle Ringe hatten sich um seine Augen gelegt. Es blieben ihm noch fünf Minuten, bevor die ersten Patienten eintreffen.

Er wusste nicht mehr aus und ein. Sein Beruf, sein Ansehen, seine Ehe, alles schien auseinander zu brechen. Seine Frau Olga wollte ihn verlassen und ihm dabei die Hälfte seines Vermögens, der Villa, abknöpfen. Den teuersten Anwalt von Ettlingen hatte sie sich dabei genommen. Diese Blutsauger, die wussten immer, wo es warm rauskommt.

Die Polizei hatte ihn vorgeladen. Er wusste, was das hieß. Er stand unter Mordverdacht. Sein Ansehen in der Ettlinger High Society stand vor dem Aus. Gleich muss er vor seine Patienten treten und seine Mitarbeiterinnen treffen.

Eine Leiche im Baggersee

Am Abend des 15. August 2020 herrschte eine ungewöhnliche Stimmung am Sulzbacher Baggersee. Wie üblich war die Zufahrtsstraße von Oberweier mit Autos zugeparkt, obwohl das verboten war. Die Kinder tobten am flachen nördlichen Strand zwischen den Weidenbüschen. Die linke Seeseite sah aus wie ein Schlachtfeld, nachdem der Tornado alle Bäume abgeknickt hatte, sogar den aus massivem Eisen geschweißten Beleuchtungsmast des Fußballvereins.

Weiter hinten hatten sich unter den noch vorhandenen Bäumen die Nudisten breit gemacht unter das sich auch einige Bekleidete gemischt hatten. Kein Grund zur Aufregung. Der See gehörte schließlich allen, auch den Anglern am Südende des Sees. Der Tag ging zur Neige, einige Schleierwolken waren im Westen herangeschwebt. Die Badegäste, die sogar von Pforzheim oder Leonberg angefahren kamen, schleppten ihre Luftmatratzen und Picknickkörbe, ihre SUPs und Kindertragen Richtung Parkplatz.

Plötzlich entstand eine hektische Betriebsamkeit. Ein Polizeiwagen fuhr mit Blaulicht bis zur Schranke. Die Polizisten eilten am Sandstrand auf die Stelle zu, von der aus eine junge Dame winkte. Sie war muskulös und hatte einen weißen Bikini an.

„Stella Kunz. Ich wohne in Malsch und schwimme hier jeden Tag. Das Ding, das mir da in den Weg geschwommen kam, war richtig eklig. Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin schnell weiter geschwommen.“

Sie zeigte in die Richtung. Die Beamten konnten jedoch nichts wahrnehmen.

„Hast du Lust, da mal rüber zu schwimmen?“, fragte Edgar Rind seinen jüngeren Kollegen.

Der schüttelte den Kopf: „Ich liebe es, wenn du mir den Vortritt lässt, aber ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf Ufos. Egal ob das ein Riesenwels ist oder ein Krokodil oder sonst was.“

Sie riefen das DLRG-Team an. Nach einer halben Stunde, in der sie sich freundlich mit der Zeugin unterhalten hatten, trafen die beiden Herren ein. Sie hatten sich für ein Stand-up-Paddle (SUP) entschieden, da es zu schwierig war, ein Boot zu organisieren, weil der Buchtzigsee zu Zeiten von Corona nicht geöffnet war. Ralf Meier übernahm die Aufsicht und verfolgte das Geschehen mit einem Fernglas, Dieter Barendt paddelte vorsichtig in die angegebene Richtung. Alle starrten gespannt hin. Dieter fand nach einiger Suche das Teil. Ralf sah sogar in seinem Fernglas, wie Dieter angewidert das Gesicht verzog und schnell zurückpaddelte.

„Haben sie einen Schnaps?“, war des Erste, was er die Polizisten fragte.

„Wollen Sie uns verarschen? Alkohol im Dienst?“, gab Edgar Rind zu verstehen.

Dieter war kreidebleich.

„Das ist eindeutig eine Wasserleiche, ziemlich aufgedunsen, Mann oder Frau, keine Ahnung. Das Rausholen überlassen wir besser dem THW.“

In der Gerichtsmedizin

Dr. Bernhard Sauer in Heidelberg zog die stählerne Schublade auf. Auf dem blauen Zettel am Fuß des Toten stand „unbekannt“. Er rief seinen Assistenten und gemeinsam hoben Sie die Leiche auf eine Trage, die dann in den Nebenraum geschoben wurde. Die Untersuchung ergab auf den ersten Blick keine Anzeichen von Gewalt. Der Mann durfte etwa 60 Jahre alt sein. Dr. Sauer entdeckte einen winzigen roten Fleck an der Schulter. Ein Schnakenstich?

Er ließ sich Zeit, immer wieder zog er an seiner Pfeife, um den unangenehmen Geruch zu vertreiben. Auch die inneren Organe waren ohne pathologischen Befund. Eine Blutprobe ergab keinen ungewöhnlichen Befund. Die Thrombozyten waren etwas erhöht. Dr. Sauer machte sich eine Notiz.

Inspektor Steiner ermittelt

Inspektor Steiner wandte sich an seine Kollegin Greiner. „Was wissen wir inzwischen von dem Toten im See?“

Er war noch müde von der gestrigen Gartenparty mit immerhin zwei Gästen. Das war gerade noch erlaubt in Corona-Zeiten. Kerstin Greiner bot ihm einen Kaffee aus der Kanne an. Sie kannte diesen Morgenmuffel. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, fühlte er sich besser. Kerstin nahm die schmale Akte von ihrem Schreibtisch.

„Er heißt Martin Vogler, 61 Jahre alt. Er fuhr fast täglich zum Sulzbacher Baggersee. Am FKK-Strand wurden die letzten Badegäste darauf aufmerksam, dass seine Kleider und Handtuch immer noch da lagen. Das war am 19. Juli 2020. Er war nicht näher bekannt. Sie riefen hier auf dem Revier an und haben uns die Personalien durchgegeben, die in seiner Brieftasche waren. Die Rechtsmedizin hat noch keinen abschließenden Bericht geschickt. Wir müssen noch ein paar Tage warten. Der Kollege Rind und Ralf Maier waren vor Ort, als der Leichnam geborgen wurde. Das Ufer dort ist wenig besucht, weil es recht steil ist. Aber der Mann ist wohl von der gegenüberliegenden Seite herübergeschwommen. Keine besondere Belastung für einen 60-Jährigen. Sein Herz scheint keine Schäden aufzuweisen. Also keinen Verdacht auf Herzinfarkt oder so was.

„Es ist immer wieder ärgerlich“, schimpfte Inspektor Steiner, „dieses wilde Baden an dem unbewachten See. Wir sollten dort wieder Streife fahren!“.

„Wollen Sie die Ausweise der FKKler kontrollieren lassen?“, unkte Kerstin.

„Nein, lieber nicht, aber Präsenz zeigen. Wir lassen uns sowieso zu selten blicken. Der Bürger muss mehr Gefühl von Sicherheit bekommen.“

Dr. Weinlaub rechnet ab

Wie verbringst du deinen Sommer?“ Eine dämliche Frage, über die Erwin im Mai 2005 häufig nachdachte. Es war wie eine Sucht, ein Tick, irgendetwas an dieser Frage war wichtig für ihn. Andere Menschen, wenn man sie auf der Straße angesprochen hätte, wären sofort auf die passenden Antworten gekommen: Schwimmen gehen, Eis essen, in Urlaub fahren, Picknick im Park, die Füße in den Horbachsee hängen, den Kopf mit einem schicken neuen Hut bedecken, endlich kurze Hosen und T-Shirts anziehen. Erwin wäre enttäuscht über diese Antworten.

Für ihn waren die Sommermonate die unschönsten des Jahres. Seine Kleidung abzustreifen bis auf leichte Sommerkleidung oder sogar eine Badehose zu tragen, war ihm unangenehm. Er hasste seine blasse Haut, die selbst bei stundenlangem Sonnenbad nicht braun werden wollte. Er tröstete sich damit, dass er wenigstens nie einen Sonnenbrand bekam, wie einige seiner Patienten.

Im Sommer hatte er als Durchgangsarzt viel zu tun Er hasste diese Berufsbezeichnung, lieber war ihm „Facharzt für Allgemeinmedizin“. Durchgangsarzt zu sein war natürlich seine Aufgabe. Erstdiagnose, dann, bei einfachen Leiden ein Rezept ausstellen. Alles andere musste er an die werten Kollegen weitergeben. Die HNO-Ärzte, die Rheumatologen, die Kardiologen, Orthopäden und wie sie sonst noch hießen.

Niemand blieb lange bei ihm, so lange, dass er genügend Ziffern der Gebührenordnung hätte aufschreiben können, damit sich das Geschäft rentierte. Überhaupt die Gebührenordnung:

Beratung

4,66 €

Untersuchung

4,66 €

Nachtzuschlag

18,65 €

Hausbesuch

18,65 €

Krankenschein

2,33 €

I.m. Injektion

2,33 €

Verband

2,62 €

Davon kann kein Arzt existieren.

Für solche Beträge kommt kein Handwerker ins Haus. Und die verlangen dann noch Pauschalen für die Anfahrt, Einsatz besonderer Maschinen, fahren zurück in die Werkstatt, um ein vergessenes Werkzeug zu holen und stellen die Zeit in Rechnung, bringen einen Lehrling mit, der dumm herumsteht, aber Geld kostet.

Unwillig ruckelte er auf seinem Stuhl. Fast hätte er den Mann vergessen, dessen Rücken er geduldig abtastete. „Atmen Sie langsam aus!“ wiederholte er zum dritten Mal. Beim besten Willen konnte er keinen krankhaften Befund feststellen. Keine Rasselgeräusche. Der Mann war gesund. Keine Frage, der Patient,- wie hieß er gleich- er warf einen schnellen Blick auf die Krankenakte. „Herr-Meier, es ist alles in Ordnung“.

Der Angesprochene lächelte verlegen: “Aber Herr Doktor, ich fühle mich so schwach. Könnten Sie mich nicht -?“ Dr. med. Erwin Weinlaub wusste, was nun kommen würde, dafür war er schließlich schon fünf Jahre im Geschäft. Er griff in die Schublade mit den gelben Zetteln.

Was blieb ihm übrig, als das Ausweichen in die Menge. Wenn es schon zu viele Ärzte gab und zu wenig Kranke, musste die Behandlung des einzelnen Patienten umfangreicher werden. Er ließ sich Zeit, bis er den nächsten Patienten aufrief.

Der neue Gedanke war gut, sehr gut.

Gerda Klein am Morgen

Es war schon hell an diesem Maimorgen, als Gerda Klein sich auf den Weg zur Arbeit machte. Es waren nur wenige Menschen unterwegs, hauptsächlich Schichtarbeiter der Firma Lorenz, die zu Fuß von Ettlingen West zu ihrer Arbeit eilten. Sie hatten keinen Blick auf die duftig blühenden Oleanderbüsche in der Forchheimer Allee und ignorierten die hübschen Häuschen, die sich der Laubenallee entlang aneinander drängten.

Die Siedlung hat etwas Ländliches an sich: Die Namen der Straßen aus der Botanik: Birkenweg, Ahornweg, Fliederweg. Eine Menge kleiner Marshallplan-Häuschen auf großzügigen Gartengrundstücken, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren.

Für Gerda Klein war der Weg zur Arbeit zugleich ihr täglicher Spaziergang. Die Praxis von Erwin Weinlaub lag vierhundert Meter von ihrer Wohnung am Rande von Ettlingen-West entfernt. Morgens hatte sie schon den Blick auf die Schrebergarten-Siedlung, hörte neben dem fernen Rauschen der Autobahn oft das Schlagen der Amseln und das Gezwitscher der Spatzen.

Gerda Klein war Weinlaubs rechte Hand. Ohne sie lief in der Praxis nichts. Schon bei Dr. Weinlaub Senior hatte sie die Praxis geschmissen. Das war ihr Leben. Sie fühlte sich für alle Vorgänge verantwortlich.

Überhaupt die Praxis: Außer dem Flur war da das Sprechzimmer, natürlich, das Allerheiligste, zwei Behandlungszimmer, ein Warteraum und der Empfang. Alle Räume waren knapp bemessen. Morgens war es hier noch kühl und angenehm ruhig. Gerda Klein genoss es, allein durch die Räume zu gehen, die Fenster weit aufzureißen, die frische Luft hereinzulassen, da und dort ein wenig hinter Frau Dimiglu nach zu wischen und die Topfpflanzen zu gießen.

Der Chef hat dafür gesorgt, dass auch im Flur Grünpflanzen standen, ein Philodendron, diesmal nicht aus dem Regenwald Brasiliens, sondern aus dem Billigmarkt, ein Plastikprodukt. Gerda Klein liebte es nicht, aber das musste sie auch nicht, denn das Teil brauchte nicht einmal Gießwasser. Frau Dimiglu hatte den Auftrag, den Philodendron bei Bedarf abzustauben, aber der Flur war nicht so hell, dass sie das erkennen konnte.

Punkt acht Uhr wird der hektische Betrieb beginnen. Die junge Kollegin Gesine erscheint in letzter Minute, und die ersten Patienten warten en schon fünf vor acht vor dem Eingang des viergeschossigen Gebäudes. Wenn das Wartezimmer mit zehn Leuten besetzt ist, stehen die Patienten im Flur vor der Theke. Hinter der Theke Gesine und sie.

Ein Lautsprecher kündigt „Der Nächste bitte“ an. Diese Nächsten zu organisieren war ihre Aufgabe. Sie machte das gerne, sie liebte den Kontakt zu Menschen^

Wilhelm Weinlaub erinnert sich

Wilhelm Weinlaub hatte vierzig Jahre Arbeit in seine Praxis gesteckt und sich als der einzige Arzt in dieser Arbeitersiedlung verdient gemacht, Als er mit sechsundsechzig aufhörte, konnte er seinem Sohn Erwin einen großen Patientenstamm übergeben. Er war froh und stolz, in seinem Sohn einen Nachfolger gefunden zu haben.

Von den Kollegen, wusste er, dass viele mit ihren Kindern im Streit lagen, weil diese die harte Arbeit als Allgemeinmediziner ablehnten. Sie hatten auch keine Lust, sich von Vater oder Mutter einweisen zu lassen und sattelten lieber noch einen Facharzt drauf, um in einer angenehmen Gegend mit zahlreichen Privatpatienten sehr viel besser zu verdienen.

Aber Dr. Wilhelm Weinlaub war stolz auf das Erreichte, seine Verbundenheit mit der einfachen Bevölkerung, bei der er etwas galt, eben der Herr Doktor.

Er hat sich auch selten zu einem Zubrot im Dienst der Pharmaindustrie hinreißen lassen. Einmal hat ein Pharmavertreter einige Packungen eines Magenmittels dagelassen und Weinlaub hat es einigen Patienten gegeben. - „Probieren Sie mal das“- Zwei Monate später wurde das Medikament vom Markt genommen. Glücklicherweise hat sich kein Patient beschwert. Viele, das wusste der Wilhelm Weinlaub auch, kamen zu ihm nur wegen eines Krankenscheins und sie warfen die Medikamente und Rezepte einfach weg. Er hatte gelernt, damit zu leben.

Die Bisamratte

Es war immer das gleiche auf der Bulacher Straße: Die Bahnschranken waren zu. Immer. Jedes Mal. Es war zum Auswachsen. Oder meditieren - Je nachdem. Er stellte den Motor seines Volvos aus und ließ seine Erinnerung lebendig werden.

Damals, 1978 hatte die gute alte Alb Hochwasser, und wie! Nicht, dass es das nicht schon gegeben hätte in den letzten dreihundert Jahren: Altstadt und Mühlen unter Wasser. Aber damals? Neben dem Straßendamm steht das Wasser. Eine See hat sich gebildet. Eine Menge Schrebergartenhäuser standen bis zum Dach unter Wasser. Die Vögel, Enten, Hasen waren bereits abgesoffen.

Was für ein Schaden für die Kleingärtner.

„Ob die den Schaden wohl überleben werden?“, fragte er seinen Bruder, der als Katastrophentourist neben ihm stand.

„Die Stadt wird denen schon helfen. Aber erst muss ein richtiger Damm her. Und ein Rückhaltebecken. Da hat keiner daran gedacht. Und die Bewohner müssen an anderer Stelle einen neuen Pachtgarten bekommen.“

„Glaubst du wirklich, die Stadt ist so spendabel?“

„Die können nicht anders. Das sind dreihundert Wähler, ohne ihre Angehörigen und Freunde. Ettlingen West kann man nicht hängen lassen.“

Martin Vogler wurde es langweilig. Er schlenderte die Straße entlang. Im Rinnstein lag ein totes Tier mit einem langen Schwanz. Wohl auch ersoffen. Regte sich nicht. Sah aus wie eine Ratte, nur größer, fast 70 cm lang. Vielleicht ein Biber?“

„Das ist eine Bisamratte, die leben hier überall in der Uferböschung. Eine Landplage!“

Er möchte sich die Unterseite des Tiers ansehen und rollt es mit seinem Schuh zur Seite.

Ein lauter Schrei. Aus seinem eigenen Mund. Die Bisamratte ist lebendig geworden, springt auf, beißt sich an ihm fest. Es ist nur sein Hosenbein. Er schüttelt sich, er versucht, nach ihr zu treten. Ohne Erfolg. Erst als sein Bruder einen kräftigen Tritt mit seinem Wanderstiefel landet, rennt das Tier die Böschung hinunter und verschwindet im Wasser.

Vogler tauchte aus seinen Erinnerungen auf. Er war auf dem Weg zu einem Interview in der Kleingartenkolonie in Ettlingen West. Zuerst wollte in der Gaststätte des Kleingartenvereins „Rosine“ ein saftiges 200 g Steak mit Pommes und Salat zu sich nehmen. Und danach eine gute Bekannte interviewen.

Eva-Marie Wutke war eine redselige Frau.

„Mit der Ankunft der neuen Bewohner im westlichen Stadtteil von Ettlingen, in der Siedlung - vor 80 Jahren, beginnt die Geschichte des Kleingartenvereins. Viele dieser Menschen kam aus ländlichen Gebieten, hatten selbst landwirtschaftliche Anwesen oder auch große Gärten. Sie mussten feststellen, dass es für sie in der Landwirtschaft keine Zukunft gab. Arbeit fanden sie schnell in Fabriken und Gewerbebetrieben.

Es fehlte aber an einem Stück Land zur Selbstversorgung. Da half die Stadt Ettlingen mit einem Ackerstreifen auf der Eiswiese, das Gelände an der Bahn und der Bulacher Straße. Die Siedler konnten dort Kartoffeln und Gemüse anbauen und es entstanden Hütten und Ställe für Kleintiere. Die Arbeit im Garten war für viele ein willkommener Ausgleich für die ungewohnte Arbeit in der Fabrik und das selbst erzeugte Gemüse, das Obst oder auch die frischen Eier entlasteten die schmale Haushaltskasse. Schnell war auf der Eiswiese kein Streifen Land mehr frei.“

„Eva-Marie, ist ja gut.“, warf Vogler ein. „Aber leg‘ doch mal das Prospekt weg. Ich bin Reporter und brauche eine lebendige Geschichte.“

„Also, die meisten wollen Gemüse und Obst anbauen oder einfach nur ein Wochenendgrundstück als Ausgleich für die Arbeit in der Fabrik. Die Stadt hat uns gleich zu Beginn Wasserzapfstellen aufgebaut. Später hatte die Stadt keine Lust mehr auf die Abrechnung der Pachten und die Kleingärtner gründeten einen eigenen Verein. Und der baute in Eigenarbeit das hier: Die „Rosine“, unser Vereinslokal. Die Stadt hat nur einen Architekten geschickt. Strom haben wir auch alle bekommen. Bei der Landesgartenschau, ich glaub das war so 1988, gab es noch ein paar neue Schrebergärten am Horbach dazu.

Und hier ist übrigens auch der „Rudolstädter Platz“. Weißt du sicher nicht warum. Wir hatten nämlich schon 1989 eine Städtepartnerschaft mit…genau.

Inzwischen gibt es Kachelöfen mit Gas für den Winter und einen Kühlraum für die Getränke.“

„Darf ich mal kurz unterbrechen - wie ist es denn so untereinander?

„Ja prima. Man kennt natürlich nicht alle Mitglieder. Aber die Nachbarn drum herum und die sind freundlich und helfen einander.“

„Und wie ist es mit Bio-Anbau?“

„Na ja, ein paar Leute haben das probiert. Aber wenn die meisten immer noch Blaukorn und Schneckenkorn streuen, hast du keine guten Karten. Dann kriegst du nur ein müdes Lächeln, wenn du deine mickrigen Kohlrabi mit ihren vergleichst. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“

„Wollen wir noch ein alkoholfreies Bier trinken? Ich lade dich natürlich ein.“

„Gerne, für mich aber ein Weißbier. Ich kann ja nach Hause laufen.“

Frau Dimiglu hat einen guten Mann