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Eine abenteuerliche Legende um die biblischen Geschehnisse. Auch von nichtreligiösen Menschen als höchst spannende Erzählung einfach als Abenteuer zu lesen! Hinreißende Ereignisschilderungen, gewaltige Szenen und revolutionäre Erkenntnisse führen zu neuen Perspektiven, ohne in Widerspruch zu bestehenden Glaubensfragen zu geraten oder gar als Anregung zur Gründung neuer Religionsgemeinschaften zu dienen. Die faszinierende Verquickung von christlicher Botschaft mit freien Geistergeschichten wie in üblichen FANTASY-Werken bedeutet möglicherweise den Urtyp eines neuen Fachgebietes der Literatur! Ein ganz ungewöhnlicher, einzigartiger Band!
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Seitenzahl: 420
Veröffentlichungsjahr: 2025
PETER NORIS
DER TRENUR
Eine Legende
Liebe Leserinnen und Leser,
die vorliegende Erzählung entführt Sie in Sphären weitab unserer täglichen Wahrnehmung; sie spielt sich im größten denkbaren Umfeld überhaupt ab, nämlich in den drei von der Religion definierten Räumen Erde, Himmel und Hölle, berührt dabei jedoch auch die Reiche hiervon unabhängiger Geistwesen.
Sie versucht, einerseits sowohl die unerforschlichen Abgründe böser Gewalten und andererseits die Herrlichkeit der himmlischen Mächte zu beschreiben – bei der Schwierigkeit dieser Gebiete natürlich zwangsläufig nur in unzureichender Weise –, darüber hinaus möchte sie uns aber diese Kräfte auch nahebringen, indem sie Vergleiche und vermenschlichte Bilder vermittelt und diese Mysterien damit unserem Fassungsvermögen verständlicher macht.
Der moderne aufgeklärte Mensch besitzt eine weitaus kritischere Position zu diesen Erscheinungen als frühere Generationen; deshalb wurden auch durchaus umstrittene, ja, teilweise sogar bis zur scheinbaren Gotteslästerung reichende Gedankengänge angesprochen, eben weil diese in heutigen Ansichtsäußerungen immer wieder auftauchen.
Lassen Sie sich hiervon bitte nicht abhalten, die Lektüre fortzusetzen; Sie werden erleben, wie diese Vorwürfe in der Folge in aller Regel relativiert oder sogar widerlegt werden.
Für die streng wissenschaftliche Richtigkeit sowohl in physikalischer als auch in religiöser Hinsicht kann ich mich nicht verbürgen, diese Gesichtspunkte wurden nur allgemein berücksichtigt, sodass sich durchaus Abweichungen vom derzeitigen Erkenntnisstand ergeben können; das ist aber wohl nicht so entscheidend, denn von Zeit zu Zeit findet hier ohnedies ein grundlegendes Umdenken statt, weil die Forschung manchmal neue Ergebnisse bringt, die die bisher geltenden Anschauungen revolutionieren.
Abschließend möchte ich noch in aller Deutlichkeit betonen, dass die geäußerten Ansichten und Überlegungen in keiner Weise bindende Glaubensdogmen darstellen sollen, sondern lediglich die freie dichterische Abhandlung einer für alle Menschen entscheidenden Thematik; einer Welt, die über den Wolken schwebt.
Wenn dies dazu führen sollte, dass Ihnen hierdurch diese überirdischen Bereiche wieder mehr ins Bewusstsein rücken, dann wird es wohl nicht schaden.
Es werden teilweise auch Begriffe verwendet, die noch aus einer früheren Zeit stammen und u.U. im heutigen Sprachgebrauch verpönt sind, z.B. Liliputaner oder Neger; dies ist eben als Überbleibsel aus der Vergangenheit zu verstehen und hat keinen irgendwie bösartigen Hintergrund.
Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und danke Ihnen für das in mein bescheidenes Werk gesetzte Vertrauen.
Der Autor
Dieses Buch wird Ihren Horizont und Ihre Wahrnehmung
geistiger Zusammenhänge beträchtlich erweitern
– ganz ohne Drogen! –
(in der Reihenfolge ihres Auftretens)
Trenur
Ein aus einem Traum geborener, rein fiktiver Titel - aktuell ein Mensch, der von Gott dazu verurteilt wurde, ihm als Bote zur besonderen Verwendung zu dienen
GOTT oder JAHWE, ALLAH usw.
Ewig und jenseits aller Vorstellungen und Möglichkeiten, ihn zu beschreiben - seine Lieblings- und zugleich Sorgenkinder, die Menschen, bezeichnen sich gerne als „Krone der Schöpfung“, doch diese ist noch nicht beendet
Tramzun
Seine Existenz ist nur für eine begrenzte Zeitdauer geplant - er soll den Trenur beobachten und seine Handlungen protokollieren
ÄonosEr rechnet in Äonen - im göttlichen Auftrag ist er der Öffner und Beschließer von bestimmten Abschnitten im Weltenablauf und führt hierüber genauestens Buch
Dorem
Der Geist des Gitterknaufs - Der Hüter eines Dorfes versteht die Menschen nicht
Luzifer
Wird u.a. auch Beelzebub, Satan, Gottseibeiuns, Asteroth genannt - zum Reich des Höllenfürsten ist der himmlische Gesandte oft unterwegs
Salomo
Auf der Erde war er einst König des großen Jüdischen Reiches - er hat nach seinem Tod einen anderen Herrschaftsbereich gefunden
Uriel - Bedeutung: Gott ist Licht
Gabriel - Bedeutung: Gott ist meine Stärke
Raphael - Bedeutung: Gott heilt
Michael - Bedeutung: Wer ist wie Gott?
Die vier Erzengel dienen von Fall zu Fall als Kontaktpersonen zwischen Gott und dem Trenur
Der große Flucher
Er ist auf seine Weise unglaublich mächtig - seinem Lästermaul entquellen die schlimmsten Verwünschungen
Obrom
Ein wandernder Geist, der sich dem Guten verpflichtet fühlt - glücklicherweise ist er rechtzeitig zur Stelle
Herr Mählich
Ein alternder Mensch - er geht den Weg, der uns allen bestimmt ist
Furiella
Diskretion ist nicht ihre Stärke - sie macht sich ein Vergnügen daraus, die verborgensten Schwächen des Gemütes ans Tageslicht zu zerren
Hoppers
(Gattungsname) springende Geister - sie „impfen“ Lebewesen mit „Geistesblitzen“
Gregor
Sein Name bedeutet auf griechisch „Der Wachsame“ - der Kontrollengel von Dobidu prüft den Entwurf eines neuen Paradieses
Lilinkolani
Die letzte Königin von Hawaii - sie stemmt sich erfolglos den Zeitabläufen entgegen
Amoibos
(sprich: Amo-ibos) - sein amöbenhaftes Wesen bietet keine feste Angriffsfläche, er bewirkt einen ständigen Wechsel der Verhältnisse
Der Zeitdespot
Von Gott als Wächter eingesetzt - er bestraft unerbittlich alle Wesen, die unberechtigt zwischen den Zeitaltern hin und her gleiten
Der geheimnisvolle Meister
Er geht völlig neue Wege - es bleibt offen, ob es sich bei ihm um einen Menschen mit durch Genmutation veränderten Fähigkeiten handelt oder um einen Geist, vielleicht gar den Teufel selbst
Flairs
(Plural, sprich: Flährs - Gattungsname) bedeutet etwa Fluidum, Sphäre - ein anstehender neuer Schritt in der göttlichen Schöpfung
Hudros / Humandros
(Gattungsname) humanoide Androiden - die Menschen werden diese Roboter bauen, denen Gott über die Flairs Gefühle spendet
ACIS, das Auge
Selbst unsichtbar, entgeht ihm nichts
Die Mutter der Gracchen
(sprich: Graachen, das „ch“ tief im Rachen wie in „Aachen“) - die römische Adlige ist stolz auf ihre Kinder: Tiberius und Gajus Gracchus
Garo
Leibwächter des Gangsterbosses - er ist gerade auf der falschen Seite des Hauses
Sankt Petrus
Sein Platz ist am Himmelstor - er wacht über alle, die dort ein- und ausgehen
Laura
Ein schönes junges Mädchen - mit ihr fand Obrom sein größtes Glück
Blaustern
Kind von Laura und Obrom - der Kleine kann entweder als Geist oder Mensch leben
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Die auftretenden Menschen sind mehr oder weniger ganz normale Erdenbürger – so wie du und ich!
In Gedanken versunken schritt ich in der fränkischen Halbmillionenstadt, die meine Heimat war, die Straße entlang, die zum Dutzendteich führte.
Trotz eines aufkommenden Unwohlseins zwang ich mich dazu, meinen Weg fortzusetzen, wobei ich mir meine guten Vorsätze ins Gedächtnis rief, durch diese Spaziergänge meine Gesundheit zu fördern.
Als ich das Ufer erreicht hatte, wurde mir urplötzlich schwach und es gelang mir gerade noch, mich hinzusetzen und gegen ein Gebüsch zu lehnen, dann schwanden mir die Sinne.
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Ich fand mich in einem dunklen Umfeld wieder, doch von vorne leuchtete mir ein strahlend heller Lichtschein entgegen.
Es wurde mir bewusst, dass ich meinen weltlichen Pfad verlassen hatte und am Rande des Jenseits stand, und eine überirdische Stimme verkündete:
„Du hast es verfehlt, die ewige Herrlichkeit zu schauen!
Doch sollst du die Möglichkeit haben, dir die nötigen Verdienste noch zu erwerben!“
Ich erinnerte mich daran, was uns im Religionsunterricht gelehrt worden war:
„Das heißt, .........Fegefeuer?“
Gleich darauf verstummte ich, verunsichert, weil mir soeben einfiel, dass es Behauptungen auch von kirchlichen Kreisen gegeben hatte, die die Existenz dieser Einrichtung in Abrede stellten.
Wenn ich gehofft hatte, eine Aufklärung über dieses Geheimnis zu erhalten, so wurde ich enttäuscht, denn ich erhielt keine Antwort.
Erst nach einer kleinen Pause erscholl die Stimme erneut:
„Ich will dich als meinen Boten verwenden.
Dabei wirst du Anteil nehmen an den Geschicken deiner Mitmenschen, an ihren Sehnsüchten und Nöten, doch auch mit deinen eigenen Erlebnissen und Gedanken wirst du immer wieder konfrontiert werden.
Du wirst halb Mensch, halb ein niedriger Geist sein, das kann sich von Fall zu Fall ändern, je nachdem, wie deine Aufgabe es jeweils erfordert; die Fähigkeiten, die dir hierfür zusätzlich verliehen werden, werden sehr bescheiden sein, so dass du Mühe haben wirst, meinen Willen zu erfüllen.“
Trotz dieser abschließenden Bemerkung vernahm ich diese Entscheidung mit einer gewissen Erleichterung, da ich hiermit womöglich einer lang andauernden Pein entgehen konnte, und stellte mir diese Funktion vor, aber gleich fiel mir eine Merkwürdigkeit auf, die ich zu klären suchte:
„Aber..., aber, ich habe immer gedacht, dafür hast du deine Engel?“
„Gewiss! Doch du sollst mir hierfür zusätzlich dienen. Du wirst dich zwischen drei Ebenen bewegen: Im Himmel, wenn auch einstweilen nur, um dort deine Aufträge zu empfangen und Bericht zu erstatten, außerdem auf der Erde und in der Hölle!“
„Auch in der Hölle?“, fragte ich in höchster Überraschung.
„Ja, denn auch dorthin unterhalte ich ein gewisses Maß an Verbindungen, obwohl mein schlimmster Widersacher dort haust.“
Und als Gott sah, dass ich meine Fassungslosigkeit über diesen Sachverhalt nicht überwinden konnte, erklärte er:
„Das ist so ähnlich wie auf der Erde Staaten diplomatische Gesandtschaften unterhalten, selbst wenn sie einander grundsätzlich feindlich gesinnt sind.
Der Außenbereich ist zwar allgemein zugänglich, aber in das Innere dieses Pfuhls unsäglicher Verkommenheit und Sittenlosigkeit kann ich keinen meiner Engel schicken.
Hierbei wirst du die Schranken von Raum und Zeit überwinden können, soweit es eben nötig ist.
Ganz zum Schluss wirst du erneut vor mir erscheinen, um Eintritt in die ewige Seligkeit zu erlangen.
Doch zunächst wirst du zur Erde zurückkehren, dort habe ich deine neue Bestimmung in die Wege geleitet.
Und nun, geh!“
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Völlig benommen von dem Erlebten zögerte ich, um zuerst wieder einen klaren Kopf zu bekommen, da fand ich mich im freien Raum schweben.
Ich konnte nichts sehen außer einer endlosen Schwärze.
Anfangs schien ich mich dort gut halten zu können, aber nach einiger Zeit bemerkte ich ein ganz allmähliches Absacken in die Richtung, die ich in meiner Orientierungslosigkeit als „unten“ empfand.
Dieser Zug verstärkte sich immer mehr, bald ging es flott abwärts und nun spürte ich auch, wie meine Haut von einer dünnen Materie – war es Luft? – gestreift wurde.
Angst begann in mir aufzusteigen, und ich blickte bange an meinen Füßen hinab, ein verzweifelter Versuch, den Zielort meiner Reise auszumachen, aber noch immer war nichts festzustellen.
Inzwischen war meine Geschwindigkeit so stark angewachsen, dass das dünne Medium, durch das ich stürzte, wie ein Sturm an mir vorbei fauchte, und voller Panik stellte ich fest, dass es meine Kleidung mit sich genommen hatte, und völlig nackt setzte ich meinen unfreiwilligen Weg fort.
Nun geriet ich in ein Trudeln, der Körper legte sich zuerst flach, wendete sich dann ganz um und mit dem Kopf voran raste ich in ein bodenloses Nichts, ringsum erhellten Blitze die ungeheure Szene und vorne leckten mir riesige Flammenzungen entgegen, die mich verschlangen.
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Es war ein heißer Sommertag. Ein dunkles Wolkenfeld war kürzlich über meinen Aufenthaltsort hinweg gezogen, inzwischen aber weiter gewandert. Blau wölbte sich der Himmel über dem Teich und diese Farbe spiegelte sich in seinem Wasser, allerdings in einer etwas dunkleren, satteren Tönung.
Ich fand mich an der Stelle wieder, wo ich vorhin zusammengesunken war, ein schon bejahrter Mann mit einem unsportlichen, bereits von einigen Beschwerden heimgesuchten Leib und stellte erfreut fest, dass ich meine vorangegangene Schwäche überwunden hatte, war jedoch geistig etwas verwirrt, weil ich mich im Augenblick nicht erinnern konnte, was mir in den letzten Minuten widerfahren war.
Meine Kleidung war in der Zwischenzeit wohl durch einen nur ganz kurzen, aber sehr heftigen Regenguss völlig durchnässt worden, aber anscheinend soeben wieder getrocknet; das folgerte ich daraus, dass ich so fror, als sei ich nackt, doch die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen herab und bald war mir wieder warm.
Links vor mir ragten die leeren Anlegestege eines Bootsverleihs in die Wasserfläche hinein, die Fahrzeuge waren alle unterwegs.
Während ich dort hinüberblickte, schienen die Entfernungen zu wachsen; das Ufer, an dem ein Spazierweg zum Stadiongelände geführt hatte, hatte sich weit zur Seite verschoben, so dass sein Ende nicht mehr sichtbar war, und aus dem ursprünglichen flachen Teich war ein See von beachtlichen Ausmaßen – und, wie es schien, auch von größerer Tiefe – entstanden.
Gegenüber, vielleicht in einem Abstand von zwei Kilometern, – so dachte ich, aber gleichzeitig fiel mir ein, wie unerfahren ich als der Seefahrt Fremder doch in der Schätzung von Entfernungen bei Gewässern war – erhob sich der schmale Strand einer Insel und unmittelbar dahinter wiegten sich die Wipfel der Bäume in einer leichten Brise.
Weltverlorenen starrte ich hinüber und hatte nur dieses Panorama vor Augen.
So mochte ich wohl für einige Stunden eingenickt sein, bis mich ein schon länger anhaltender leichter, aber sich allmählich verstärkender Schmerz infolge des langen Sitzens wieder munter werden ließ.
Ich bemerkte, dass sich die Szene belebt hatte: Es gab einen Strom von Leuten, die hinter meinem Rücken von der Stadt kommend an das diesseitige Ufer strebten und gleich mir zur anderen Seite des Sees hinüber spähten.
Freilich waren dies keine träumerischen Blicke, sondern dem ganzen Benehmen der Menschen haftete etwas Zielgerichtetes, Aktives an.
Der ungewöhnlich große Andrang verwunderte mich, ich konnte ihn mir nicht erklären.
Da sah ich unmittelbar rechts neben mir einen jungen Mann auf einer zweiten privaten Anlegestelle sitzen und befragte ihn.
„Weißt du nicht, dass heute der neue Trenur bestimmt wird?“, erwiderte er.
„Dort drüben findet die Wahlversammlung statt!“
Jetzt konnte auch ich mich erinnern, dass ich in der Zeitung hierüber gelesen hatte; doch hatte ich dieser Nachricht keinen besonderen Wert beigemessen, weil ich mir kein rechtes Bild von einem Trenur machen konnte.
Er schien eine mysteriöse geistige Kraft zu sein, jedenfalls hatte ich ihn mir als eine ziemlich abenteuerliche Mischung von einem Heiligen, Rasputin, Savonarola, einem Zauberer und einem Freimaurer vorgestellt.
Indessen war dies etwas, was mich nicht weiter berührte und deshalb auch nicht interessierte.
Wiederum verfiel ich in eine Art Wachtraum, in dem meine Augen auf den Wellen ruhten.
Als ich wieder zu mir kam, war der Menschenstrom verebbt und ich allein – ausgenommen der Jüngling an meiner rechten Seite.
In irgendeiner Weise fühlte ich mich verändert; ich war erholt und innerlich gestärkt, vor allen Dingen aber beherrschte mich nun ein unbedingtes Verlangen, auf das Eiland zu fahren, um dort etwas von größter Wichtigkeit zu vollbringen.
„Ich muss hinüber!“, sagte ich.
Er lachte mich aus: „Dort sind nur die Wahlberechtigten zugelassen. Die Insel ist abgeriegelt und kein Unberechtigter wird dort geduldet.“
Aber ein innerlicher Zwang ließ mich immer weiter in ihn dringen.
Er besaß einen Kahn mit einem kräftigen Außenbordmotor.
Schließlich gab er seinen Widerstand auf und meinte:
„Na gut, dann komm! Ich will es versuchen.“
Nur mit seinen weißen Schwimmshorts bekleidet turnte er geschickt vom Bootssteg hinab und sprang in das Fahrzeug; schwerfällig folgte ich ihm.
Er ließ den Motor an und legte vom Steg ab.
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Pfeilschnell schoss das Boot voran, ein weißer Schaumstreifen bildete sich am Bug, der die leichten Kräuselwellen durchschnitt.
Ein ungeheures Hochgefühl beseelte mich und der Fahrtwind umwehte mein Gesicht, während mich eine ungewohnte Entschlossenheit immer weiter dem jenseitigen geheimnisvollen Gestade entgegentrieb.
Ich saß zusammengekauert auf der Backbordseite; neben mir an Steuerbord lenkte der Bursche mit der Pinne und hielt den Kurs geradeaus.
Bald war der Strand erreicht, wo das Gefährt, nunmehr antriebslos, knirschend auf dem Sand auflief.
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Ich weiß nicht mehr, wie ich es verlassen habe und was alles geschah.
Der Strand und der anschließende Streifen Gehölz lagen bald hinter mir, während ich beim Weitergehen auf die querstehende geschlossene Wand eines Bretterzaunes blickte.
Hinter dieser Abriegelung musste die Versammlung zur Wahl des neuen Trenurs stattfinden!
Ich wandte mich nach links und schritt immer weiter, bis ich zu einer Ecke kam, an der sich ein schmaler Durchlass befand.
Ich passierte diesen und sah mich einer Ansammlung von hölzernen Kabinen gegenüber, die aussahen wie die Umkleidezellen einer Badeanstalt.
Ich hatte schon gehört, dass sich die Mitglieder der Vereinigung bei wichtigen Ereignissen einzeln in Meditation versenkten, und die anstehende Entscheidung über die Wahl eines Trenurs musste wohl die herausragendste Tätigkeit sein, die von ihnen von Zeit zu Zeit zu erledigen war.
So lag der Platz anfangs noch leer vor mir, dann aber erschienen immer mehr würdevolle Personen, die gemessenen Schritts einem bestimmten Punkt links vor mir zustrebten.
Eine schon etwas reifere, sehr kräftig gebaute Dame kam mir besonders nahe und sah mich missbilligend an.
Vor ihren strafenden Blicken wich ich zurück in eine Ecke der Bretterpalisade hinter ein dort abgestelltes Rednerpult und erwartete mit größtem Interesse den weiteren Verlauf der Vorgänge.
Eine Schar von halbwüchsigen Kindern kam angerannt, die von dem Aufenthaltsverbot offensichtlich nicht betroffen waren und die begannen, unter Lärmen und Rufen ihre Spiele aufzuführen und unbekümmert auf dem Gelände herumzutoben.
Da ich nichts zu tun hatte, sah ich ihnen zu.
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Als ich mich nach langer Zeit von ihnen abwandte, bemerkte ich eine Menschenmenge, die mich mit größter Aufmerksamkeit musterte.
Eine Ansammlung von Anhängern des geheimnisvollen Bundes hatte sich vor dem Holzgestell aufgebaut, hinter dem ich stand, und schien auf irgendetwas zu warten.
Ich fühlte mich unsicher, und da sie ihre Blickrichtung weiter beibehielten, drehte ich mich meinerseits um, halb in der Überzeugung, dass vielleicht direkt hinter mir etwas Besonderes sein mochte, was ihr Interesse so sehr in Anspruch nahm, aber da befand sich nur die Ecke des Holzzaunes.
Mich ergriff ein Schauder; lag es an dieser inneren Verlegenheit oder vielleicht daran, dass es inzwischen schon später Nachmittag geworden war und eine frische Brise aufkam?
Ich verspürte ein leichtes Frösteln; so verschränkte ich die Arme zuerst vorne auf der Brust und rieb ein paar Mal über die Haut, um mich zu wärmen.
Dann glitten meine Hände höher zu den Schultern und erfühlten dort eine Art von Stoff.
Nach einem ersten überraschten Zurückzucken ergriffen meine neugierig tastenden Finger so etwas wie einen Umhang von blauer Farbe, der mir plötzlich zusammengefaltet über den Rücken hing.
Ich schlug die beiden Hälften des rätselhaften Gewandes auf und entfaltete es dadurch zu seiner vollen Größe.
An der Innenseite der Pelerine kam überraschend in silbernen Großbuchstaben eine Inschrift zum Vorschein, die beim Auseinanderziehen für die vor mir verharrenden Leute deutlich zu lesen war:
T R E N U R
Auf ein derartiges Zeichen schienen die Versammelten gewartet zu haben.
Sie nahmen eine ehrfürchtige Körperhaltung an und verbeugten sich in schweigender Verehrung, doch ohne den schon vorher beobachteten Ausdruck ihrer eigenen Selbstachtung zu verlieren.
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Voller Erstaunen betrachtete der Trenur die Menschen, die in Ehrerbietung vor ihm verharrten.
Er wollte sie seinerseits grüßen und reckte dankend beide Arme empor, da schien ihn eine geheimnisvolle Kraft in einen Zustand von Schwerelosigkeit zu versetzen.
Er fühlte sich frei, losgelöst von allem Körperlichen.
Ein wohliges Gefühl überkam ihn, und als er seine ganze Gestalt zu seiner Entspannung räkelte und seine Hände aufs Äußerste streckte, schlossen sich die Kontakte eines Kraftfeldes und der Boden schwand unter ihm.
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Und von da an konnte er gewöhnlich, wenn er beide Arme etwas vorgestreckt über den Kopf erhob, die Anziehungskraft der Erde überwinden und in die Lüfte emporschweben.
Zu seinen Missionen in die Gefilde von Himmel und Hölle wurde er dagegen meistens durch eine Art von Entrückung oder andere überirdische Kräfte gebracht.
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Und so, wie es ihm prophezeit worden war, führte er nun ein vielfältig gespaltenes Leben.
Hierbei war er häufig extremen Zuständen zwischen höchster Verzückung und tiefstem Grauen ausgesetzt, je nachdem, in welche Umgebung ihn seine Tätigkeit jeweils führte.
Als Trenur mit außergewöhnlichen, aber oftmals wechselnden Eigenschaften ausgestattet beeinflusste er die weitere Entwicklung der Menschheit, trug ihre Sorgen und Heimsuchungen mit, wohnte ihren Handlungen bei und nahm unzählige Szenen in sich auf.
Besonders eine Fähigkeit sollte ihn von da an ständig auszeichnen, nämlich mit überirdischen Wesen Kontakt herzustellen, sie verstehen und sich ihnen gegenüber auch selbst artikulieren zu können.
Denn er bewegte sich auch in den Sphären zwischen den Geisterwelten, gleich, ob guter oder böser Art, und erfuhr dadurch tausend Dinge von der Erde, von Himmel und Hölle, die ihm als normalem Sterblichen verborgen geblieben wären; indessen war er vielfach verpflichtet, sie geheim zu halten, ja, manchmal wurde ihm nach Erledigung seiner Botschaft die Erinnerung daran genommen.
Dazwischen kamen ihm immer wieder Geschehnisse aus seiner eigenen Vergangenheit in den Sinn, die er nun jedoch mit der Art eines erweiterten Ichs wahrnahm; seine Erlebnisse aus den beiden Funktionen, die er neuerdings verkörperte, sind in der Folge einmal als die eines normalen Menschen und ein andermal als seiner neuen Existenz als Zwitterwesen entstammend beschrieben.
Außer den ringsum in weiter Ferne leuchtenden Sternen war eigentlich nichts zu sehen.
Ein menschliches Auge hätte allenfalls ein leichtes Flackern vor einigen dieser Punkte bemerkt, doch hier gab es kein fleischliches Geschöpf, das mit seinem Körper eine Ausnahme von der allgemeinen Leere gebildet hätte.
Und doch war diese Gegend nicht frei von Leben.
Aber es handelte sich um geistige Gebilde, die diese erwähnte Unstabilität in der optischen Wahrnehmung auslösten.
Ein knappes Dutzend unsichtbarer Wesen war versammelt, um sich zu beraten.
Es waren die Könige einer lockeren Allianz benachbarter magischer Reiche, zu denen Gerüchte gedrungen waren von einem Ereignis, das außerhalb der normalen Abläufe lag:
Auf eine nicht nachvollziehbare Weise – wie das meistens in solchen Fällen ist – hatte man davon gehört, dass ein Mensch bei seinem Erscheinen vor dem Höchsten Richter abgewiesen, aber – und das war das Erstaunliche – anschließend weder der Hölle noch dem Fegefeuer überantwortet worden war.
Er sollte ein undurchsichtiges Aufgabengebiet übernommen haben, und das war es, was die hier versammelten Herrscher zu ihrer Zusammenkunft bewegt hatte.
Sie und ihre Untergeister gehörten nicht zu den Heerscharen der Engel, die den Thron Gottes umgaben, sondern waren ein eigener unabhängiger Zweig von Völkern, die – körperlos und deshalb für gewöhnlich unsichtbar – autarke Reiche und Kolonien bildeten; es gab auch Einzelgänger, die irgendwo im Kosmos ein einsames Dasein führten.
Diese gekrönten Häupter hatten ein Interesse und auch die Verpflichtung, sich über alle Geschehnisse zu unterrichten, die den Bereich von Magie und überirdischen Ereignissen betrafen, seien diese – wie hier – von göttlicher oder in anderen Fällen von teuflischer Prägung, denn sie berührten teilweise auch ihre eigene Existenzebene.
Zunächst tauschten sie die kleinen Bruchstücke an Informationen aus, die sie jeweils erreicht hatten.
Dabei wurde kein Wort gesprochen; zwar besaßen auch sie eine Art Organ, das zur Erzeugung von Schallwellen geeignet war und somit im Bedarfsfall akustische Äußerungen ermöglichte, dieses pflegten sie jedoch nur in Ausnahmefällen zu verwenden.
Untereinander war es üblich, sich durch die gegenseitige Übertragung von Gedankenströmen zu verständigen.
Ihr berechtigter Wissensdurst und auch eine gewisse Art von Neugier ließen sie einen Entschluss fassen, der ihnen bei dem vorliegenden Problem garantieren sollte, in Zukunft aktuelle Nachrichten aus erster Hand zu erhalten:
Es war dringend erforderlich, dass sie an Ort und Stelle einen eigenen Beobachter besaßen, der mit ihnen korrespondieren und ihnen alle Einzelheiten zutragen konnte; doch musste dieser unbemerkt bleiben; dieses uralte Grundgesetz war unbedingt einzuhalten.
Die Details waren rasch besprochen oder eigentlich – da ja keine Worte fielen – zwischen den Konferenzteilnehmern hin und her, kreuz und quer und im Verbund gedacht.
Glücklicherweise waren alle Mitglieder der Versammlung moralisch hochstehende Führer ihrer jeweiligen immateriellen Untertanen, keine bösartigen Tyrannen.
Es war keinesfalls geplant, die zu erwartenden Erkenntnisse in irgendeiner Weise zu missbrauchen, aber – wie bereits erwähnt – es gehörte zu den Obliegenheiten der Anführer, sich über alle Aspekte geistiger und überirdischer Vorkommnisse und Erscheinungsformen informiert zu halten.
Man war sich über die einzuhaltenden Modalitäten einig; die Wege, auf denen der Transport der Neuigkeiten erfolgen sollte, waren festgelegt, und dann sah man vorübergehend vor einigen der durchscheinenden Sternbilder ein leichtes Zittern und ein Aufblitzen von funkelnden Pünktchen; das waren die Begleiterscheinungen, als sich die Tagung auflöste, die Regenten sich verabschiedeten und auf den Heimweg machten.
Nur einer blieb zurück; es war derjenige, der den Vorsitz geführt hatte und der sich eilig anschickte, einen seiner Untergebenen entsprechend dessen besonderer Fähigkeiten mit der Durchführung des Projektes zu beauftragen.
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Von allen Seiten schienen sich leichte Schleier auf einen zentralen Punkt hin zu bewegen, sie vereinigten sich dort, richteten sich auf und formten etwas, was einer griechischen Statue glich.
Der Oberste der hiesigen Geisterwelten spürte in dem magischen Pendant zu dem Organ, das einem menschlichen Ohr entsprach, Druckwellen und ein gleichmäßig ansteigendes Pochen, während leichte Wirbel die Figur umwehten, die unter der Anleitung ihres Erschaffers mehr und mehr zur Vollendung heranreifte.
Ringsumher sammelte sich frei im Raum verfügbare Energie, um der Neuschöpfung zugeordnet zu werden, und aus einem geheimen Arsenal von geistigen Werten und Strömen wurde Substanz entnommen und ihr eingegeben.
Und geraume Zeit verging, bis sich all dies zu einem neuen Geschöpf zusammengefunden hatte, das zum Abschluss mit einer persönlichen Identifikation versehen wurde.
Voller Stolz präsentierte der Spezialist das Produkt seiner Bemühungen, und ein anerkennendes Aufglimmen des Pseudoleibs seines Monarchen und ein wie üblich knappes Lob belohnten ihn dafür.
Und dann rief der Aufsichtführende den Neuen mit seinem soeben erst erfundenen Namen, machte ihn mit seiner Aufgabe vertraut und gab ihm genaue Instruktionen mit auf seinen Weg, den dieser sofort antrat.
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Eine langgestreckte sphärische Gestalt – durchsichtig wie ein Nebelhauch – bewegte sich über der Stadt, direkt unter sich die Straßenzüge der Gemarkung, wo er nun schon seit 40 Jahren wohnte, das Schienenkreuz der Straßenbahn mit den Abzweigungen direkt zum Hauptbahnhof, die Fahrzeuge, die sich neben der Verkehrsinsel je nach der beabsichtigten Fahrtrichtung in die entsprechenden Fahrspuren eingereiht hatten, die Gehsteige mit den hastenden Menschen, die aus der Höhe fast wie Ameisen aussahen, und die Häuser, vielfach noch im Jugendstil erbaut, so wie sie den zweiten Weltkrieg überstanden hatten oder danach wieder aufgerichtet worden waren, alles erschien – da man auch eventuelle Verschmutzungen aus der Höhe nicht sehen konnte – so sauber und akkurat wie auf einer Modellbahnanlage.
Der Trenur schwebte langsam über das Häusermeer, dann schwenkte er nach links ab und verließ das Weichbild des Ortes.
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Ein kleiner Dschinn schaute vom Balkon eines Bauernhauses hinab auf den Trenur.
Tramzun, so lautete sein Name, stand unbeweglich und unsichtbar auf seinem erhöhten Beobachtungsposten und verfolgte mit angespannter Aufmerksamkeit die Begebenheiten, die sich vor seinen Augen entwickelten.
Seine Bestimmung war es, diesen Erdling zu begleiten und über seine Tätigkeiten Bericht zu erstatten.
Er war nur ein schwaches Wesen, aber einem Menschen war er doch deutlich überlegen.
Speziell dafür ausgerüstet, um bestimmte Ereignisse zu verfolgen, in seinem Gedächtnis zu speichern und seine Auftraggeber hiervon zu benachrichtigen, entging ihm nichts, was dieses Geschöpf aus Fleisch und Blut unternahm.
Es entsprach nicht seinem Auftrag, in irgendeiner Weise Einfluss auf es zu nehmen, sondern passiv zu bleiben und lediglich Protokoll zu führen sowie von Zeit zu Zeit einen Report zu verfassen, um die Herrscher der Materielosen über das Verhalten des Beschatteten zu unterrichten.
Es wäre nicht richtig und nicht fair gewesen, ihn als Agenten oder gar als Spion oder Spitzel zu bezeichnen; diese Begriffe hatten einen moralisch abwertenden Gehalt, der hier unberechtigt war, weil er sich mit unlauteren Absichten und Beweggründen der Hintermänner für die Observierung einer Person verbunden hätte.
Dagegen waren die Kreise der Überirdischen nur an einer allgemeinen Kenntnis- und teilweise sogar Anteilnahme am Wirken des Trenurs interessiert.
Mit äußerster Gewissenhaftigkeit verfolgte er die erste Szene, die seine Order beinhaltete.
Ein kleiner Dorfplatz, der von einem quer verlaufenden Zaun aus senkrechten Metallstäben begrenzt wurde; links eine niedrige Bauernkate von pastellgelber Farbe und rechts ein uraltes größeres Anwesen; das alles wurde von den warmen Strahlen der Mittagssonne in ein helles Licht getaucht.
Aus der Gründungszeit des Besitztums vor vielen Generationen schien auch das Tor in der Mitte der Umzäunung zu stammen, dessen beide Flügel durch einzelne stärkere Böen des ansonsten nur leichten Windes in eine sich wiederholende Vor- und Rückschwingung versetzt wurden, begleitet von einem leichten Quietschen und Knarren der Scharniere.
Unten am inneren Ende jeder Flügelhälfte diente jeweils ein Metallriegel zur Festsetzung in einem Schlitz im Boden; durch die über einen langen Zeitraum hinweg aufgetretenen häufigen Bewegungen hatten sich diese Aussparungen stark ausgeweitet und gelockert; darüber – etwa in Brusthöhe – war auf jeder Seite die Hälfte eines schmiedeeisernen Kopfes zu sehen.
Dieser bot einen merkwürdigen Anblick, wenn sich die beiden Teile je nach den Einwirkungen des Windes auf das Gitter gegenseitig verschoben.
Plötzlich schlief diese Luftströmung ein, und gleich darauf schien sich vom Himmel herab ein Nebelstreif zu senken.
Zusehends löste sich dieser auf und aus dem Grau heraus formte sich die Gestalt eines Mannes, der sich den Eisenstäben näherte und direkt davor trat.
Mit allen Sinnen nahm der Trenur das vor ihm liegende Bild in sich auf.
Die Figur zog bald seine besondere Aufmerksamkeit auf sich.
Während er noch wie gebannt darauf starrte, erwachte diese zu einem geheimnisvollen Leben.
Die Fuge, die die beiden Schädelhälften getrennt hatte, war verschwunden, man sah die Muskulatur arbeiten und mit einem unverwechselbaren Ausdruck der Hochachtung und voller Ehrerbietung sowie einem angedeuteten Kopfnicken begrüßte die Skulptur den Besucher.
Und dann begann sie zu sprechen.
Ereignisse aus vielen Jahrhunderten, die die Bewohner des Hauses, ja des ganzen Dorfes erlebt hatten und die in seiner Erinnerung gespeichert waren, raunte der Kopf dem Trenur zu und begleitete seine Erzählungen je nach deren Inhalt mit absonderlichen Verzerrungen seines Gesichts zu dämonenhaften Fratzen.
So wusste der Türknauf Dinge zu berichten von Banalitäten und Unglaublichem, was sich ereignet hatte, von kleinen Begebenheiten und großen geschichtlichen Hintergründen, die das Schicksal der Einheimischen geprägt hatten, selbst Handlungen von unerhörtester Grausamkeit und wahnwitzigem Irrsinn verschwieg der Berichterstatter nicht.
Der Trenur lauschte mit größter Hingabe, denn dieser begleitete seine Schilderungen mit den ausdrucksstärksten Grimassen, ja der gesamte Schädel verformte sich ständig, er schien sich in einer Minute aufzublähen, um dann wiederum in sich zusammenzufallen.
Stunde um Stunde ging dahin und schon nahte die Dämmerung, doch noch immer formten sich voller Leidenschaft die Worte auf dem unheimlichen Mund und er hörte nicht auf, seine Geschichten mit eindrucksvoller Mimik zu untermauern.
Schließlich schwiegen die Lippen.
„Wer bist du?“, fragte der Trenur.
„Ich bin Dorem, einem alten Königsgeschlecht nordischer Trolle entstammend, einstmals der Hüter eines heidnischen Heiligtums und heute der Geist dieses Dorfes und sein Wächter!“
Bei dieser Bekanntgabe seiner Identität blies Dorem seine Wangen auf wie einen Luftballon und schien zu zerplatzen.
Dann entspannten sich seine Züge und sein Gesicht erschien nun eingeschrumpft und welk.
Anklagend reckte sich der Kopf zum Himmel empor.
Als der Trenur weiterhin verharrte, erhob er noch einmal seine Stimme.
Er fragte ihn nach Erklärungen für die Taten der Menschen, und da dieser sie ihm nicht geben konnte, bat er ihn nachzuforschen nach dem Sinn des Lebens, von Freude und Leid, kurz von allem, was er über so lange Zeit hinweg beobachtet, aber nicht verstanden hatte.
Sein Besucher fühlte sich auf irgendeine Weise mit diesem Geist verbunden, ja, sogar eine Art von Seelenverwandtschaft; jedoch – hatte dieser überhaupt eine Seele?
Zwar missbilligte er dessen kritische Einstellung und negative Betrachtungsweise gegenüber der Menschheit, auch seine Herkunft und sein Verhalten waren ihm fremd, aber er spürte doch in seinem ganzen Gebaren den Hintergrund eines berechtigen Verlangens nach Deutungen für all die vielen Begebenheiten, die ihm Dorem anvertraut hatte.
Hier kehrte ihm schlagartig die Erinnerung an die Geschehnisse am Ewigen Tor in sein Gedächtnis zurück und er sah sich zurückversetzt in sein altes Ich, vor dem göttlichen Gericht stehend:
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Vor mir erschienen rechteckige Felder wie in einem Fotoalbum, und darin sah ich – fortlaufend wechselnd – die Bilder aus meiner Vergangenheit erscheinen; alles erwachte in diesem Augenblick wieder neu.
In geisterhafter Stille sprangen sie nacheinander aus diesen Fächern heraus, zogen an mir vorüber in schier endloser Folge wie eine Fronleichnamsprozession; es waren natürlich auch ethisch neutrale Dinge dabei, freudige und lästige, z.B. solche, an die ich mich nicht gerne erinnern mochte, etwa weil sie Zeugnis über eine ärgerliche Ungeschicklichkeit ablegten.
Sie ließen mir keine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen oder sie zu kommentieren, und das war auch nicht nötig, denn jedes von ihnen – ob von vorteilhafter oder schlimmer Bedeutung – sprach so eindeutig für die jeweilige Situation, dass kein Zweifel hierüber aufkommen konnte.
An einem bestimmten Punkt – ohne dass ein Grund hierfür ersichtlich war – änderte sich das Format der Szenen; nun waren die Aufnahmen – um diese Formulierung zu verwenden – rund und in einen Rahmen eingepasst, der aussah wie ein Eierständer, in deren Aussparungen diese tierischen Produkte zur Aufbewahrung eingelegt werden.
Diese gelochte Fläche begann zu pulsieren und eine rhythmische Auf- und Abwärtsbewegung zu vollführen und mit jedem Aufschwung schleuderte sie mir eine Begebenheit aus meinem Dasein entgegen wie mit einem Katapult.
Und bei der Aufmachung dieser Bilanz musste ich zusehen in der Erkenntnis, dass es hier um nichts weniger ging als die Erlangung der Ewigen Seligkeit, und deshalb begann ich mich aus meiner Erstarrung zu lösen und von mir aus meinen gesamten Lebensweg durchzuforsten in der Hoffnung, dabei auf irgendwelche Verdienste zu stoßen, die mich vor dieser höchsten Instanz rechtfertigen mochten.
Und während ich mich bisher mehr oder weniger mit meinem Lebenswandel zufrieden gegeben hatte– man hatte die moralischen Grundsätze im Hinterkopf mit sich herumgetragen und versucht, sich danach zu richten, trotz aller möglichen Anfechtungen höheren Gesetzen Rechnung zu tragen und den Mitmenschen möglichst auf freundliche und friedliche Weise zu begegnen –, wurde mir nun zur Gewissheit, dass dies alles nicht genügen konnte, um hier zu bestehen, und dass ich eigentlich nichts vollbracht hatte, was ich zu meinen Gunsten vorbringen konnte.
Und dann erschien das Ergebnis dieser gnadenlosen Abrechnung:
Die vielen Jahre meines Lebens – sie waren vergeudet, und ich stand mit leeren Händen vor meinem Schöpfer!
Oh, warum hatte ich diesen Mangel nicht früher erkannt; warum nur hatte ich mich mit einem oberflächlichen Wohlverhalten zufrieden gegeben in der mehr oder weniger als selbstverständlich vorausgesetzten heimlichen Erwartung, dass diese Lebensauffassung, die in Wirklichkeit nur eine Selbsttäuschung und ein Fehlen von echter Bemühung, eine Form von selbstgerechter Trägheit gewesen war, ausreichen würde, um dereinst den erstrebten Lohn zu erlangen?
Und von dieser Einsicht getroffen und völlig vernichtet sank ich in die Knie, streckte die leeren Handteller vor mir aus, dem hohen Gericht gerade entgegen, und schluchzte, in der Kindersprache lallend:
„ ... Hab´ nix!!!!... “
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Es waren nicht materielle, berufliche und gesellschaftliche Erfolge – wie sie selbst von manchen religiösen Vereinigungen in den Vordergrund gestellt werden –, sondern ganz andere Kriterien, die den Ausschlag geben sollten.
Das war im vorliegenden Falle zunächst günstig, denn mit solchen Höhepunkten hätte dieser Prüfling, der ein unauffälliges und bescheidenes Leben geführt hatte, auch nicht aufwarten können.
Da dieser im christlichen Sinn erzogen worden war, bildeten die drei christlichen Haupttugenden die entscheidenden Merkmale bei den Bewertungen:
GLAUBE – HOFFNUNG – LIEBE
Gott kannte die Schwäche, die bei den Menschen dieses Zeitalters, die sich auf selbstschmeichelnde Weise „modern“ nannten, allgemein verbreitet war: Das Unvermögen, fest an das zu glauben, was ihnen durch die Heilige Schrift verkündet worden war, und dieser Sünder bildete keine Ausnahme.
In früheren Jahrhunderten war diese Glaubensfähigkeit wenigstens bei den Frommen tief in den Seelen verwurzelt gewesen und hatte die Richtschnur bei allen Entscheidungen auf deren Lebensweg gebildet, mochten auch bei der Auslegung der Vorschriften Irrtümer aufgetreten sein oder in versteckten Winkeln noch Verhaltensreste aus heidnischer Vergangenheit überdauert haben.
Das Fortschreiten der Menschheit in ihrer Entwicklung und die Erlangung einer gewissen Mündigkeit in einer Ära der Aufklärung war durch diesen Verlust teuer bezahlt.
HOFFNUNG?
Hier war wohl Substanz vorhanden, aber gründete sich diese Erwartung nicht eben vielfach auf der Tatsache, dass sich dieser Mann – wie er soeben selbst hatte eingestehen müssen – allzu sorglos auf dem richtigen Weg in den Garten Eden gewähnt hatte?
Und da seufzte auch Gott auf und wandte sich dem dritten Punkt zu.
Und seine unermessliche Güte forschte nach etwas, was man in die Waagschale werfen konnte, um diese Seele in einem positiven Licht erscheinen zu lassen.
Er kannte sie genau, denn er hatte sie – wie alle anderen – ja erschaffen, und er durchleuchtete sie bis ins Innerste darauf, was sie für ihn empfand.
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Und schließlich hatte die Szene mit der Berufung als Trenur und dessen jetziger Mission geendet, und dieser war sich dessen bewusst, dass sie ihn auch dazu verpflichtete, der neuen Forderung, die Dorem gerade an ihn herangetragen hatte, mit den ihm verliehenen Gaben Genüge zu verschaffen.
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Und der Trenur erhob sich in die Lüfte, um die vieltausend Geheimnisse zu ergründen, von denen er in seinem bisherigen Leben nur im tiefsten Unterbewusstsein etwas geahnt hatte, ohne die Möglichkeit zu besitzen, zu ihrem Ursprung zu gelangen, weil die Erfordernisse des unmittelbaren Broterwerbs ihn daran gehindert hatten.
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Es war ein heiterer Tag; ich war zu meinem Vergnügen mit meinem Motorroller in der Ostendstraße nach Mögeldorf unterwegs und erinnerte mich an die vielen Male, da ich als Kind mit der Straßenbahn diesen Weg genommen hatte; ich fuhr schon damals sehr gern diese Strecke, zumal diese Linie in diesem Ortsteil nach rechts in Richtung Tiergarten abbiegt, eine Weile mitten durch ein Waldstück führt, was mich immer besonders fasziniert hat, und in einer großen Schleife an der dortigen Endhaltestelle ankommt.
Da musste ich feststellen, dass ich mich nicht mehr aufrecht auf der Maschine halten konnte, der Oberkörper kippte nach vorne und die Beine streckten sich nach hinten aus; so setzte ich meine Fahrt in Liegestellung fort, den Rücken nach oben; unter mir sah ich in etwa einem Meter Entfernung die breiten Buckel der Pflastersteine vorüber huschen und unter dem Rahmen verschwinden.
Hatte mein Körper anfangs mit Leichtigkeit diese eigenartige Stellung auf dem dahineilenden Gefährt gehalten, so begann er nun immer schwerer zu werden und sich dabei der Straßenoberfläche anzunähern; ich musste befürchten, bald auf den Steinen dahingeschleift zu werden.
Doch ich war gefangen in einem Kraftfeld, das verhinderte, dass ich auf diese Dinge Einfluss nehmen konnte, und so sah ich das Verhängnis immer näherkommen.
Ohne ersichtlichen Grund begann der Motor zu stottern, dann setzte er ganz aus, das Fahrzeug kam nur noch kraftlos ein Stück voran, wurde immer langsamer und rollte schließlich führerlos weiter, bevor sich das Vorderrad schräg zur Fahrrichtung stellte und das Zweirad umkippte; ich behielt dagegen meine Geschwindigkeit bei und ließ es hinter mir zurück.
Waagerecht über der Straße schwebend blickte ich ängstlich auf die unmittelbar unter mir vorbeigleitenden Steine und dann machte sich auch die Schwerkraft entscheidend bemerkbar, ich sank weiter ab und als ich die erste Berührung meiner Zehen mit der Oberfläche fühlte, hielt ich instinktiv beide Hände vor das Gesicht, um es zu schützen.
Erstaunlicherweise war diese Materie nicht hart, sondern von weicher Konsistenz, die irgendwo zwischen Styropor und Watte lag, und so wirkten meine Hände wie Pflugscharen und rissen eine v-förmige Furche in den Belag, die immer breiter und breiter wurde.
Ich folgte mit meinem ganzen Leib dieser Spur, immer weiter ging es in den Graben hinein und ich verschwand unter der Erde.
Nach einer länger andauernden Rutschfahrt durch schwarze Gänge kam ich am Endpunkt der Reise an und stellte mit Schrecken fest, wo ich gelandet war:
Ich hatte eine Pforte zur Unterwelt passiert und vor mir loderten die Feuer der Hölle!
In der Hölle herrschte eine explosive Stimmung.
Etwas ganz Unglaubliches hatte sich ereignet; irgendeiner der Teufel hatte Verrat geübt und Luzifer sann darüber nach, wie er das Komplott aufdecken könne.
Er saß mir direkt gegenüber auf dem Boden, rücklings an eine Mauer mit grauem bröckelndem Putz gelehnt und sich mit ausgebreiteten Beinen auf dem Pflaster abstützend, neben ihm sein Stellvertreter und ein weiterer führender Kopf der höllischen Hierarchie.
Von der linken Seite her kamen alle Unterteufel im Gänsemarsch angeschritten, eine schier endlose Reihe rußiger Gestalten, und vor der Dreiergruppe angekommen mussten sie ihren rechten Unterarm und ihre Hand waagerecht vor sich ausstrecken.
Sie waren teils in einfacher bürgerlicher Kleidung, teils trugen sie eine Art Overall wie Handwerker auf der Erde oder eine lange Hose, ein Hemd mit langen Ärmeln und Halbschuhe.
Mit größter Aufmerksamkeit und stetem Misstrauen beobachtete Satan das Defilee, bereit, beim geringsten Anzeichen einer verräterischen Reaktion den Schuldigen zu bestrafen.
Doch nichts ereignete sich, und auch der Letzte zog mit erleichtertem Aufatmen vorbei.
Dann erfolgte eine Gegenprobe.
Die drei Wartenden streckten ihre rechte Hand vor dem Körper aus.
Satan hielt die seinige stetig in seinem Blickfeld, eine geheimnisvolle Kraft ging von ihr aus und wirkte auf die neben ihm Kauernden ein.
Plötzlich fingen die dem Höllenfürsten abgewendeten Gesichtszüge seines Stellvertreters zu wallen und zu verfallen an, das Fleisch bildete hier Blasen, dann verflüssigte es sich und tropfte auf den steinigen Untergrund herab.
Voller Verzweiflung versuchte er den Vorgang zu verschleiern, er näherte sich dem Oberteufel mit seiner intakten Körperseite und machte eine witzige Bemerkung, um dessen Konzentration zu stören, doch dieser blieb ernst.
Enttäuscht über diese Zurückweisung verstummte er und nahm seine vorherige regungslose Haltung wieder ein.
Kurz darauf zog Luzifer seine Hand zurück, verblüfft darüber, dass seine Prüfung offenbar ohne jeden Erfolg verlaufen war, und blieb ratlos auf dem Boden sitzen.
So verharrte er einige Augenblicke, während er über mögliche Ursachen für seinen Misserfolg nachdachte, und wie er es anstellen könnte, den Verräter doch noch zu überführen.
Da sackte der Kopf des Vizes nach unten weg, er löste sich völlig auf und die ganze sitzende Figur brach zusammen.
Und Luzifer stand auf, ließ sich von seiner übrigen Gefolgschaft huldigen, bevor er sie an ihre üblichen Plätze zurückschickte, und schritt stolz davon.
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Diese Begebenheit hatte der Trenur bei seinem ersten Besuch in diesem dunklen Reich miterleben können, und es lag auf der Hand, dass hierdurch seine Fantasie und seine Gedanken über die Umstände der Verdammnis außerordentlich beflügelt wurden.
Er hatte nie eine Ausbildung über religiöse Themen genossen, wenn man vom Religionsunterricht in seiner Kindheit und den Predigten bei den sonntäglichen Gottesdiensten absah, aber er konnte sich einige Dinge nicht erklären, ja, manches schien sogar einen Widerspruch in sich zu bergen.
So kam er nicht umhin, den Zwängen menschlicher Logik folgend, die theoretischen Möglichkeiten und Zusammenhänge einzeln durchzugehen.
Wenn Gott wirklich allmächtig war, wie von der Kirche mit aller Entschiedenheit behauptet wurde, warum hatte er dann nicht verhindert oder verhindern können, dass sich ein Teil seiner Engel von ihm losgesagt hatte und später obendrein sogar in der Lage war, auch die Menschen dazu zu verleiten, den verhängnisvollen Pfad zur Hölle einzuschlagen?
Hatte er sich demnach einfach damit abgefunden – oder abfinden müssen?
Hieraus ergäbe sich jedoch der Schluss, dass auch die Machtstellung des Herrn in irgendeiner Weise begrenzt war.
Oder waren diese Vorkommnisse für ihn im Extremfall einfach ein Spiel, dessen Ablauf er nicht unterbunden, sondern – um die Paradoxität der vorhandenen Möglichkeiten auf die Spitze zu treiben – eventuell sogar – womöglich als eine Art Zeitvertreib oder zu seiner Erbauung, vielleicht von einer Art Neugierde bestimmt, wie alles ausgehen würde, – mit Absicht in Gang gesetzt hatte?
Oder stand er – auch diese fiktive Möglichkeit sträubte sich der Trenur weiterzudenken – auf irgendeine Weise – sich selbst offensichtlich weitgehend im Hintergrund bedeckt haltend – mit den Abtrünnigen in heimlichem Einvernehmen?
Nach allgemeinem irdischem Rechtsempfinden hätte man die zuletzt genannten Konstellationen, wenn sie zutrafen, als Hochverrat und Betrug gegenüber der Menschheit bezeichnen müssen.
Oder duldete er dieses Geschehen, weil er wusste, dass er eines Tages die Tore zur Hölle doch noch sprengen würde?
Vermutlich lagen die wahren Sachverhalte irgendwo in der Mitte:
Gott hatte seinen Geschöpfen einen Spielraum für ihre Entscheidungen gewährt, in dem sie beweisen konnten, dass sie sich von seinem übergeordneten Wesen angezogen fühlten und sich bemühten, sich ihm durch Einhaltung seiner Gebote anzunähern.
So wie allen Menschen blieben auch dem Trenur die wahren Hintergründe verschlossen, aber er hatte begriffen, dass er durch seine Funktion als himmlischer Kurier außergewöhnliche Möglichkeiten hatte, hierüber zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, und er beschloss, auf seinen künftigen Fahrten die Beziehungsfelder zur Hölle genau zu beobachten und zu versuchen, den Schlüssel zum Verständnis dieser verwirrenden Zusammenhänge zu finden.
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Der Trenur fühlte sich wohl im Kreise seiner Freunde, die, umgeben von einer Atmosphäre von Licht und Zuneigung, in ihrem Tempel umherwandelten.
Der riesige Rundbau, der nur durchsichtige gläserne Wände mit einem leicht diamantblauen Farbton aufwies, wurde nach außen von einem Umgang gesäumt, wo sich die Zuhörer versammelten und den Ratschlägen der Weisen lauschten, ähnlich wie sich dies wohl bei den Philosophen im alten Griechenland abgespielt haben mochte.
Diese Treffen weniger Auserwählter verfolgten neben dem Austausch persönlicher Erfahrungen das Ziel, die Menschheit auf ihrem Weg anzuleiten; deshalb gehörte das Abhalten von Vorträgen zum Pflichtprogramm des Trenurs.
Infolge seiner überirdischen Funktionen war er in der Lage, selbst die exponiertesten Aspekte der Themen zu berücksichtigen, und deshalb scharten sich seine Jünger besonders lernbegierig um ihn.
Das allgemein verbreitete Gerücht, er könne sich unsichtbar machen und unvermittelt von einem Aufenthaltsort entschwinden, umgab ihn mit einer geheimnisvollen Aura, der sich keiner von ihnen entziehen konnte und die sie magisch an ihren Lehrer fesselte.
Für heute hatte er sich vorgenommen, die Eigenheiten der Ewigkeit zu erläutern, und so erklärte er:
„Ich will Ihnen ein einfach verständliches Beispiel geben, um Ihnen dieses Phänomen nahezubringen.
Als ich noch ein kleiner Angestellter war, arbeitete ich in einem Gebäude, das unweit einer großen Ausfallstraße stand.
Dort floss den ganzen Tag auf jeweils zwei Spuren in jeder Richtung lebhafter Verkehr, da ging es hin und her mit Personen- und Lastautos, mehreren Buslinien und natürlich auch mit Fahr- und Motorrädern, nicht zu reden von den Fußgängern, die dort zwar normalerweise nicht so häufig waren, weil die Gegend schon etwas am Rande des bebauten Areals lag, nur bei Arbeitsbeginn und -ende sowie in der Mittagspause schwoll der Menschenstrom besonders von und zu den dort ansässigen Firmen stark an.
Von dieser Schnellstraße bogen viele Fahrzeuge in die beidseitig einmündenden Seitenstraßen ab; andererseits ordneten sich von dort kommende wiederum in diese Vorfahrtstraße ein; sie war zugleich auch eine Hauptzufahrt zum Flughafen, was das Verkehrsaufkommen weiterhin verstärkte.
Mit ihrem umfangreichen und vielfältigen Verkehrsfluss nehmen wir sie deshalb einmal großzügig als die Ewigkeit an.
Auf der stadteinwärts führenden Seite zweigt kurz nach einer Kreuzung ein kleines Sträßchen ab, das eine Zeitlang nur 15 Meter neben der Magistrale direkt zu den Grundstücksausfahrten der dortigen Unternehmen führt.
Während beidseits der Hauptstraße nur eintöniges Gelände liegt, kommt man an der Westseite der Nebenstraße ca. alle 30 Meter an einem anderen Firmengebäude vorbei.
Es handelt sich bei diesem Straßenstück um die alte gepflasterte Bundesstraße, die früher die Verbindung der Stadt mit den weiter nördlich gelegenen Orten bildete und die man beim Neubau der Strecke nicht aufgelassen hatte, weil sie eben auf diesem Abschnitt weiterhin zur Anbindung der Anlieger dienen konnte.
Erst unmittelbar vor der nächsten Straßenkreuzung vereinigt sich diese Abzweigung wieder mit der Hauptstraße, sie verliert sich darin und nichts erinnert mehr an sie.
Diese kleine Sekundärstraße symbolisiert die Zeit.
Sie hat zwar der Ewigkeit gegenüber einen niedrigeren Rang, ist aber allen anderen Dimensionen übergeordnet und dient dazu, Abläufe und die Dauer von Entwicklungen auszudrücken und zu berechnen; sie ist eine Abspaltung, ja, ein Kind der Ewigkeit und wird eines Tages wieder zu ihr zurückströmen und in ihr aufgehen.“
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Kurz nachdem er seine Rede beendet hatte, vernahm er in seinem Inneren die Stimme einer höheren Macht, die ihm auftrug, umgehend eine bestimmte Gegend aufzusuchen, und er zögerte nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten.
Nach einem abschiednehmenden Blick auf seine Gefolgschaft trat er zum weit geschwungenen Portal hinaus, das zwischen den Glasuritwänden nur dadurch erkennbar war, dass an dieser Stelle der Lichtstrom etwas ungebrochener in das Innere der Halle hereinflutete.
Ein unvergleichliches Himmelsblau empfing ihn hier, tief sog er die frische Frühlingsluft in seine Lungen und unternahm einen kurzen Spaziergang in südlicher Richtung auf einem Pfad, der an einer Reihe in voller Blüte stehender Obstbäume vorbeiführte, die in regelmäßigen Abständen entlang eines leichten Abhanges standen.
Von hier aus blickte er hinab auf die Weite der Oberrheinischen Tiefebene und hinüber bis auf das Bergland an der Pfälzer Weinstraße.
Diese Landschaft erschien ihm an diesem wundervollen Morgen wie das Symbol für das Idealbild des Schicksals, wie es der Menschheit eigentlich zugedacht gewesen war: Groß und erhaben über den Niedrigkeiten und materiellen Erfordernissen des Gewöhnlichen schwebend und dadurch fähig, sich auf die Suche nach den wahren Erkenntnissen und vollendeter Ethik zu begeben.
Eine Zeitlang verfolgte er noch seinen Weg entlang der Kette der prachtvollen Bäume an seiner rechten Seite, dann streckte er beide Arme über dem Kopf aus, das Kraftfeld schließend und damit in das Saugfeld eintretend, das ihn empor tragen würde, und schwenkte nach rechts ab, direkt zwischen den Stämmen zweier benachbarter Kirschbäume hindurch, und die Höhe seiner vorigen Position auf der Bergstraße beibehaltend segelte er weit über der friedlichen Landschaft dahin, immer weiter nach Westen.
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Bei seinem nächsten Vortragstermin wollte er sich erneut seinem Lieblingsthema widmen und als er die Augen seines zahlreichen Publikums voller Spannung auf sich gerichtet sah, begann er nach einer kurzen, aber herzlichen Begrüßung mit seinen Ausführungen:
„Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Lassen Sie mich noch einmal an meine neulich hier gehaltene Rede anknüpfen, in der ich versucht habe, Ihnen das Wesen der Ewigkeit zu erläutern.
Uns Menschen sind diese Dinge ja so unverständlich und fremd, auch weil wir zu sehr von den kurzzeitigen Erfordernissen unserer Existenz in Anspruch genommen sind.
Es wird uns niemals gelingen, dieses Phänomen ganz zu begreifen, so sehr wir uns auch darum bemühen, denn unser Verstand müsste gottgleich sein, um uns dies zu ermöglichen.
So sind wir darauf angewiesen, uns diesen Geheimnissen mit letztlich erbärmlich unzureichenden Vergleichen, ja mit einer Art von Gedankenkrücken, wenigstens ein Stück anzunähern.
Ein solches Exempel habe ich Ihnen beim letzten Mal gegeben und zur Vertiefung will ich Ihnen heute ein zweites anbieten.
Alle Beispiele haben die Eigenschaft, dass sie irgendwie hinken; das ist schon bei einfacheren Vergleichen so und natürlich in noch viel größerem Maße bei den ungeheuer schwierigen Verhältnissen, mit denen wir es hier zu tun haben.
Darum wollen wir von vornherein darauf verzichten, zu versuchen, mit großartigen Dingen zu spielen, wenn sie letzten Endes doch unzureichend bleiben müssen.
Nehmen wir deshalb einmal ganz simpel den Nürnberger Großen Dutzendteich als die Ewigkeit an.
Das ist ein Gewässer solcher Größe, dass man es als See bezeichnen könnte; weil es aber sehr flach ist, heißt es eben nur Teich.
Früher war dieses noch etwas größer, das war, bevor die Nazis einen Teil davon für ihre Bauten trockengelegt haben.
Hierin münden aus unterschiedlichen Richtungen zwei Bäche und auch vom benachbarten Kleinen Dutzendteich – denn es gibt in der nächsten Nähe, wie schon der Name sagt, eine Anzahl weiterer Teiche, die aber eine geringere Ausdehnung besitzen – führt hier eine unterirdische Rohrleitung hinein, durch die bei Bedarf ebenfalls Wasser herübergepumpt werden kann.
Dies alles fließt nun durch das ganze Becken hindurch, es vermischt sich vielfach miteinander, am Rand des Laufes bilden sich auch immer Gegenströmungen, die es wieder ein Stück des Weges zurück oder auf die Seite befördern, und Wirbel, die es in einer Spirale abwärts ziehen, wo es sich gleichfalls irgendwohin seitlich verteilt.
Die Zuflüsse sind ziemlich kühl, weil diese Gräben großenteils aus Waldgebieten stammen, wo die Sonnenstrahlen meistens nicht bis zur Erdoberfläche herab dringen; deshalb sinkt die Einlaufmenge zunächst nach unten ab; gerade die geringe Tiefe führt jedoch innerhalb kurzer Zeit zu starker Erwärmung und so beginnt sie bald zur Oberfläche zurückzukehren.
Weil es hier also ein Strömen und Wallen und Fließen in unterschiedliche Richtungen gibt, soll uns dieses gleichzeitige Hin und Her und Auf und Ab die Ewigkeit verdeutlichen.
An der gegenüber liegenden Seite, wo die tiefste Stelle ist, befindet sich der Ablauf mit einem Wehr, durch das der Pegelstand geregelt werden kann; hier verlässt der Überschuss den Teich als Fischbach, der in flottem Lauf teils offen, teils in einem abgedeckten Schacht seinen Weg nach Norden nimmt und in der Altstadt in die Pegnitz mündet.
Dieser Bach versinnbildlicht uns die Zeit; sie ist aus der Ewigkeit geboren so wie dieser aus dem Dutzendteich stammt.