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Angst und Schrecken befallen die Menschen im Mangfalltal. Die Pfarrer auf der Kanzel warnen vor einem umherziehenden muslimischen Prinzen, vor einem Teufel in Menschengestalt. Ein weiterer Fall für Raimund von Fulinpach und Stephan von Tiers, die beiden jungen Ritter aus dem herzoglichen geheimen Dienst. Durch ihre Hilfe findet ein Mann, der seit über zwei Jahrzehnten nach seinem entführten Sohn sucht, nicht nur wieder Ruhe und Gewissheit, sondern auch ein kleines Mädchen eine neue Heimat.
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Seitenzahl: 233
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Sie waren unendlich traurig darüber, ihn getötet zu haben. Gewiss – er hatte ihnen keine Wahl gelassen. Er hatte sie bedroht, er hatte sie beschimpft, er hatte sie verflucht, und vor allem, er hatte unglaublichen Mut besessen gepaart mit einem kämpferischen Können, das seinesgleichen suchte. So verwegen und undurchsichtig, so faszinierend und erfolgreich seine Aktionen vorher auf der Salz-burger Burg gewesen waren, so wahnwitzig und überheblich war seine Selbstverständlichkeit, es mit zwei fast ebenbürtigen Gegnern gleichzeitig aufzunehmen. Mit zwei Gegnern, die sich bis dahin in ihrer noch jugendlichen Leichtigkeit als unbesiegbar betrachteten. Mit zwei Gegnern, die nun eine Lehre erhielten, obwohl sie letztendlich doch den Kampf als Sieger beendeten. Er oder sie, sein Leben oder ihres, er hatte ihnen keine Wahl gelassen. Sie mussten folgerichtig ihn also töten, doch sie waren unendlich traurig darüber - denn sie betrachteten ihn als Freund. Bei allem Hass, den er unerklärlicherweise über sie ausschüttete, er war ihr Freund, nichts anderes.
Und als er tot war, achteten sie ihn nicht nur als Freund, sondern als einen Ritter, einen Kämpfer der Sonderklasse. Zusammen mit dem Hauptmann der Salzburger Büttel sorgten sie dafür, dass er ein Grab bekam, das seiner würdig war. Entgegen dem wütenden Protest des zuständigen Pfarrers hatten sie darüber hinaus ihm sein Schwert mit in den Sarg gelegt.
Eine Zeitlang ließ dieser Hassausbruch, dieses unheimliche Können die beiden jungen Ritter des herzoglichen geheimen Dienstes, Stephan von Tiers und Raimund von Fulinpach, rätseln über das Warum. Aus welchem Grund hatte der ungefähr gleichaltrige Gerold von Wiesenfeld all diese Anschläge auf den Fürst-Bischof zu Salzburg verübt? Aus welchem Grund, zu welchem Zweck oder in wessen Auftrag? Weshalb war er fähig gewesen zu kämpfen wie ein Magier aus einer Sage? Was hatte diesen erbitterten Hass verursacht, mit dem er sie, die sich als seine Freunde betrachteten, mit dem er sie geradezu überschüttet hatte?
Zu einem Teil wurden ihre Fragen beantwortet, als sie sich zum Bericht in der Residenz eingefunden hatten. Der Herzog war mittlerweile vom geheimen Dienst der Kirche gewarnt worden, dass vom islamischen Machtbereich Cordobas Attentäter ausgeschickt worden seien, doch konnte niemand sagen, wohin und mit welchen Aufträgen, und genauso wenig, ob Männer, Frauen oder gar Kinder. Für den Schwarzen und den Weißen, wie die beiden jungen Ritter bei ihren Kameraden hießen - Stephan war weißblond und Raimund besaß pechschwarze Haare - für die beiden also blieb im Dunkeln, welche Motive und welche Ursachen hinter dem Warum standen. Nach außen hin hatten sie ihren Auftrag erfolgreich erledigt : Die Anschläge waren gestoppt, der Täter war ermittelt, weitere Verbrechen wurden verhindert.
Im Laufe der Zeit verblasste das vordergründige Warum, aktuelle Geschehnisse, neue Aufträge verdrängten es in den weiten Nebel der Erinnerungen.
Was blieb, war das Bewusstsein, einen Freund verloren zu haben.
Bis nach drei Jahren etwas geschah, das das Warum wieder ganz in den Vordergrund rückte - und für die beiden jungen Ritter aus dem herzoglichen geheimen Dienst den getöteten Freund wieder aufleben ließ.
* * *
Der Salzburger Büttel Ferdl schüttelte den Kopf, als sein Vorgesetzter Hauptmann Albert den Raum betrat, er schüttelte den Kopf, dass seine langen Haare im schmalen Streifen Sonnenlicht, mehr ließ das kleine Fenster nicht zu, fast leuchtend herumwirbelten.
„Bin ich froh, dass Ihr kommt, Hauptmann,“ er zeigte mit dem Daumen über die rechte Schulter, „da will einer was. Also ich kapier’s nicht, was der daherredet, und ich hab‘ ja auch gar keine Zeit für so lange Geschichten, mein Rundgang ist doch fällig, und Ihr wisst doch, wenn ich zu spät an der Brücke bin, dann …“
Albert winkte ab. „Marschier du zu, Ferdl, ich kümmere mich darum.“
Seine Miene verriet nicht, was er dachte, als er den Mann musterte, der auf der harten Holzbank im Eck saß. Dieser war schon etwas älter, wohl bereits in den Fünfzigern, ärmlich gekleidet, den abgewetzten, eingedrückten Hut ein Stück weit weg neben sich auf der Bank, denn dicht neben ihm war seine mehrfach geflickte Tasche, die er mit der rechten Hand festhielt, und auf seinem Schoß ein Kind, das er mit der linken Hand gegen ein Herunterfallen absicherte.
Hauptmann Albert sprach ihn nicht sofort an. Er war schon lange als Büttel im Dienst der Gemeinde, hatte gelernt, scharf und genau zu beobachten und jedes vorschnelle Urteil zu vermeiden. Außerdem besaß er die Fähigkeit, Menschen ziemlich gut einschätzen zu können, er spürte es jedes Mal fast körperlich, wenn jemand versuchte, ihn anzulügen.
Das Gesicht des Mannes passte nicht zur Kleidung, es zeigte nicht die geringste Unterwürfigkeit, sondern strahlte Selbstbewusstsein, ja irgendwie sogar Autorität aus. Jedes Mal, wenn er zu dem Kind auf seinem Schoß sah, ein kleines Mädchen von vielleicht drei Jahren, huschte ein zärtliches Lächeln über sein Gesicht.
Dieser Mann hat bessere Tage erlebt oder verstellt sich aus irgend einem Grund, konstatierte Albert bei sich, und die Art, wie er das Kind ansieht, beweist vermutlich Verwandtschaft. Der Großvater vielleicht? Auf alle Fälle hatte er ihn noch nie hier gesehen, es musste ein Fremder sein. Der Hauptmann entschied sich dafür, den Mann nicht - wie es Büttel sonst gerne bei Armen machen - mit du anzureden.
„Ich bin der Hauptmann der Salzburger Büttel,“ sprach er ihn nun an, „was kann ich für Euch tun?“
Überrascht sah der ärmlich Gekleidete bei der höflichen Anrede auf, erhob sich, wobei er das Mädchen auf die Bank setzte und bot Albert die Hand.
„Ich brauche eine Auskunft,“ sagte er, „eine Auskunft, die ungeheuer wichtig ist für mich. Für mich und für meine Enkelin.“
Albert registrierte, dass er in Punkto Kind richtig vermutet hatte und auch, dass der Mann sehr saubere Finger besaß, was mehr als ungewöhnlich war bei armen Leuten.
„Nun ja,“ meinte er, „eine Auskunft könnt Ihr jederzeit haben. Mein Kollege sagte allerdings etwas von einer längeren Geschichte.“
Er wies mit der Hand zur Bank und fügte hinzu : „Nehmt doch wieder Platz.“
Erneut war zu spüren, dass dieser Mann nicht wirklich aus ärmeren Schichten stammte, denn bevor er sich wieder hinsetzte, dankte er und sprach dann leise ein paar Worte in einer fremden Sprache zu dem Kind, das daraufhin brav mit dem Kopf nickte.
„Ich bin,“ wandte er sich an den Hauptmann, „ich bin auf der Suche nach einem jungen Ritter. Ihr seid sehr freundlich zu mir, Herr Hauptmann, deshalb wage ich es dazu zu sagen, dass es eine verzweifelte Suche ist.“
Albert sah ihn nachdenklich an.
„Der richtige Ort für eine solche Auskunft ist die Burg. Entweder hat man Euch dort abgewiesen oder Ihr habt gar nicht erst an dieser Stelle nachgefragt, entweder also steht Euch nicht zu, Euch um einen Ritter zu kümmern oder aber Ihr habt einen triftigen Grund, Euch mit Eurem – sagen wir mal bescheidenem – Äußeren nicht als jemanden zu erkennen zu geben, der sehr wohl etwas mit Adel und Ritter zu tun hat.“
Der Mann zögerte etwas, und Albert schien es, als ob eine Art Müdigkeit in sein Gesicht einzog, doch dann drückte er das Kind an sich und seine Miene wurde augenblicklich wieder wie vorher.
„Ich habe alles Recht, mich nach diesem jungen Ritter zu erkundigen. Glaubt mir, alles Recht dieser Welt, ich muss ihn finden, denn er ist mein Sohn. Ich muss ihn finden für dieses Mädchen, das meine Enkelin ist und für mein Seelenheil.“ Einen Moment schwieg er, dann setzte er hinzu : „Und für das Seelenheil meiner verstorbenen Frau. Bitte glaubt mir.“
Albert lächelte. „Nun, für so dramatisch halte ich eine Auskunft nun doch nicht, damit enthülle ich ja weder Geheimnis noch Staatsangelegenheiten. Wie heißt denn der junge Mann?“
Ein zweites Mal zog diese Müdigkeit durch das Gesicht und der Mann schüttelte leicht den Kopf.
„Das kann ich nicht sagen, denn ich weiß es nicht.“
„Ihr wisst nicht, wie Euer Sohn heißt?“
„Ich weiß, auf welchen Namen er getauft wurde. Aber mit diesem Namen ist er nicht aufgewachsen, er kennt ihn nicht einmal. Ich kann Euch sagen, mit welchem Namen er ein Mann wurde, doch dieser Name wiederum wird Euch nichts helfen bei einer Auskunft, denn wenn er hier war oder noch ist, wird er diesen Namen ganz sicher nicht verwendet haben, sondern einen anderen erfunden haben.“
Albert rieb sich die Stirn, er war mit diesem Gespräch vermutlich an der Stelle angelangt, an der sein Untergebener Ferdl aufgegeben hatte, irgend etwas zu verstehen.
„Dann,“ meinte er, „wenn ich helfen soll mit einer Auskunft, dann beschreibt mir mal Euren Sohn, vielleicht kenne ich ihn an Hand der Beschreibung.“
Das Gesicht des Mannes wurde düster und er schluckte.
Leise sagte er : „Ich habe meinen Sohn das letzte Mal gesehen, da war er so alt wie jetzt meine Enkelin, drei Jahre.“
Er streichelte das Mädchen und schwieg.
Auch Albert schwieg und betrachtete die beiden.
„Ich würde Euch gerne helfen,“ seine Stimme war so leise wie vorher die seines Gegenübers, „aber Ihr müsst zugeben, dass ich ohne Namen oder Beschreibung so viel Auskunft geben kann wie ein alter zerlöcherter Eimer Wasser hält. Wie also habt Ihr Euch das vorgestellt?“
Erstaunt registrierte er, dass in die Augen des Mannes ein Funkeln trat, das so scharf und deutlich war, dass es das gesamte Gesicht veränderte.
„Ihr könnt mir helfen, Herr Hauptmann,“ antwortete er mit fester, klarer Stimme, „Ihr könnt mir ganz gewiss helfen, wenn Ihr mir erlaubt, meine Geschichte zu erzählen.“
Er strich seiner Enkelin zärtlich übers Haar. „Meine Geschichte, und die meines Sohnes, der mir gestohlen wurde, und die meiner Frau, die an gebrochenem Herz starb, und die eines jungen Mannes, der wahrscheinlich unwissentlich Verbrechen begangen hat, und egal wie es ausgeht, es wird wohl auch die Geschichte dieses Kindes werden.“
Lange Zeit sah ihn Albert schweigend und nachdenklich an.
„Gut,“ sagte er nach einer Weile, „Ihr beeindruckt mich auf eine eigenartige Weise, und ich möchte mir diese Geschichte anhören. Habt Ihr schon ein Quartier in Salzburg?“
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Gut,“ wiederholte Albert, „dann lade ich Euch ein. Ich wohne gleich nebenan, eines der Zimmer wird sicher bereit sein für Euch und Eure Enkelin, und meine Frau wird sich freuen, wieder mal ein Kind im Haus zu haben. Und dann haben wir heute Abend genügend Zeit für Eure Geschichte. Wenn sie mir Grundlage genug ist, um Auskünfte über Euren Sohn zu ermöglichen, dann will ich Euch helfen nach bestem Wissen und Können.“
* * *
Der Mönch Petrus war mittlerweile, seit Raimund von Fulinpach und Stephan von Tiers ihn kennengelernt hatten, in der Hierarchie der Kirche einige Stufen nach oben geklettert. Eine Zeitlang hatte er zusammen mit seinem besten Freund, dem Ritter Johann von Aschau, die Kontaktstelle der beiden geheimen Dienste geleistet, er als Vertreter des geheimen Dienstes der Kirche und Johann als Vertreter des herzoglichen geheimen Dienstes, und Petrus war in dieser Funktion zum Bischof ernannt worden. Völlig überraschend war er nunmehr von Rom ausersehen worden dazu, dem Kardinal im Amt nachzufolgen, der seit längerem wegen einer schweren Verletzung seiner Tätigkeit als einer der beiden Führer des kirchlichen geheimen Dienstes in herzoglichem Gebiet nicht mehr nachkommen konnte. Dazu musste er natürlich aus der Residenzstadt wechseln in das zuständige Hauptquartier, das sich im Kloster Berchtesgaden befand.
Reisen von der Kontaktstelle zum Kloster und zurück hatte Petrus ja schon sehr oft machen müssen, so gut wie immer ohne Begleitung, Auseinandersetzungen oder sogar Kampf hätte er heute wie früher nicht zu fürchten, denn seine Ausbildung stand der der herzoglichen Männer in nichts nach. Aber einen zukünftigen Kardinal ließ der Herzog natürlich auf keinen Fall ohne Leibwache abreisen, und für diesen Schutz wurden zu ihrer Freude Stephan und Raimund eingeteilt. Für alle drei sah nun der Weg nach Berchtesgaden eher wie ein Ausflug aus.
Als die drei in einer Schenke im Markt Rosenheim zum Mittagessen einkehrten, trafen sie dort den reisenden Bader Quirin, mit dem sie nicht nur Freundschaft verband. Seit einem gemeinsamen Abenteuer war Quirin einer der wenigen Menschen, die über den geheimen herzoglichen Dienst Bescheid wussten, und sie waren zwei unter noch weniger, die seine Zugehörigkeit zum gefürchteten und mit viel sagenhaften Geschichten umwobenen Feme-Gericht kannten.
Als der Bader erfuhr, dass sie unterwegs nach Berchtesgaden und durchaus nicht in Eile waren, bat er sie um einen Gefallen. Wie in den meisten Orten und Berufsständen hatte die Feme auch bei den Fischern am Chiemsee ihren Verbindungsmann, den Fischer Franz Xaver, mit dem Stephan und Raimund bei der Suche nach den verschwundenen Kindern zu tun gehabt hatten. Ihn sollten sie aufsuchen und ihm einen wichtigen Termin mitteilen.
Diesen Auftrag nahmen sie gern an, der Chiemsee lag ja auf ihrem Weg, und die Frau des Fischers war als gute Köchin bekannt; es würde also auf eine angenehme Reiseunterbrechung hinauslaufen.
Als sie am späten Nachmittag desselben Tages zwischen den ersten beiden Fischerhütten hindurch ritten, lagen zwei Eigentümlichkeiten in der Luft. Mit der ersten war zu rechnen gewesen, penetranter Fischgeruch gehörte nun mal zum Berufsstand der Menschen, die so nah am Ufer des Chiemsees wohnten und von dem lebten, das der See ihnen bot. Das zweite allerdings war eine schrille Frauenstimme, die aber keineswegs sich anhörte, als wäre eine biedere Fischersfrau am Schimpfen, vielmehr klang die Stimme - wenn auch kreischend und grell - durchaus so, als käme sie von jemandem, der das Befehlen gewohnt war, dieses längst verinnerlicht hat und es bewusst so zur Wirkung brachte.
Petrus, Raimund und Stephan spitzten die Ohren und sahen überrascht auf die kleine Gruppe von Leuten, die sich kurz vor einem langen hölzernen Steg, an dem links und rechts vier, fünf Boote im sanften Wind schaukelten, um zwei Nonnen scharten, eine ältere und eine noch sehr junge.
„Ich untersage jedem von euch,“ schrie die ältere und fuchtelte mit ihren Händen in der Luft vor sich herum, während die junge nur stumm zu Boden sah, „ich verbiete jedem kraft meines Amtes, das Gott mir gegeben hat, auch nur einen Fuß auf die Insel zu setzen!“
„Ehrwürdige Mutter,“ der Fischer, der nun sprach, drehte dabei seinen Hut in den Händen, „wollt Ihr denn Eure Mitschwestern ohne Schutz lassen? Wenn wir mit vier Booten übersetzen, dann sind wir genug Männer, um ….“
Die ältere Nonne sah aus, als ob sie dem Sprecher an den Kragen gehen wollte.
„Kein Mann betritt die Klosterinsel,“ ihr Gesicht, das Stephan jetzt genau sehen konnte, war zornesrot, „niemals wird ein Mann die Insel unseres Ordens betreten! Habt ihr das verstanden? Gott wird uns schützen, wir sind alle in Gottes Hand!“
In diesem Moment sah einer der Fischer hoch, es war Franz-Xaver. Er stutzte, als er Raimund und Stephan erkannte, löste sich aus der Gruppe und kam mit eiligem Schritt auf sie zu.
„Schnell, kommt mit, bevor euch die Alte sieht,“ er winkte in Richtung auf sein Haus zu, „sonst denkt sie noch, wir haben gegen ihren Willen die Obrigkeit informiert.“
„Was ist denn los?“ fragte Petrus, als sie in dem kleinen Garten die Pferde absattelten.
Franz-Xaver wartete mit einer Antwort, hielt ihnen die niedrige Tür seines Hauses auf, verweilte, bis sie drinnen waren, sah sich kurz um und folgte den dreien dann ins Haus.
„Setzt euch bitte,“ er wies mit der Hand zu Tisch und Eckbank, beides gegenüber der Feuerstelle in dem recht düsteren Raum, der sich ohne Flur an die Haustür anschloss.
„Meine Frau ist heute bei einer Base,“ entschuldigte er sich, „die liegt im Kindsbett und es geht ihr nicht so gut. Also groß bewirten kann ich euch leider nicht,“ er zeigte mit dem Daumen zum Nachbarhaus, „ich selbst hab‘ heute beim Nachbarn gegessen. Was führt euch zu meiner Wenigkeit? Oder seid ihr etwa zufällig vorbeigekommen?“
Stephan berichtete ihm vom reisenden Bader, und Franz-Xaver nickte.
„Passt mir im Moment gut,“ meinte er und grinste, „da kriegt meine Frau gar nichts mit davon und meine Nachbarn denken höchstens, dass ich mir wieder mal eine angelacht hab‘ und deswegen über Nacht weg bin. Schade, dass mir in echt da gar keine Zeit dazu bleibt.“
„Und was ist hier bei euch los?“ fragte Petrus ein zweites Mal.
„Ach ja, die alte Wachtel, ihr habt sie ja keifen gehört. Ich erklär’s euch.“
Bei der jungen Nonne handelte es sich um eine Novizin, die von ihrem Vater in die ‚Obhut‘ des Klosters gesteckt worden war, weil sie sich in einen nicht standesgemäßen jungen Mann verliebt hatte. Die ältere Nonne war Luitgard, die Äbtissin des Klosters auf der ersten der drei Inseln, die deswegen von den Menschen hier die Insel der Frauen, die Fraueninsel genannt wurde. Mit der jungen Novizin hatte sie gemeinsam, dass auch sie vor etlichen Jahren von ihrem Vater hier untergebracht worden war, allerdings war der Grund ein anderer gewesen und auch die Zukunftsaussichten sahen damals völlig verschieden aus. Sie stammte aus einer sehr reichen adeligen Familie, jedoch war aufgrund der Tatsache, dass sie unter sechs Geschwistern die jüngste, also in keiner Hinsicht erbberechtigt war und zudem wegen ihrer Hässlichkeit auch niemals einen Freier finden würde, nur der Weg ins Kloster geblieben, die adelige Herkunft sicherte ihr von Anfang an den Posten an der Spitze des Klosters. Derart vom Leben benachteiligt war sie verbittert und boshaft geworden, besaß einen abgrundtiefen Hass allem Männlichen gegenüber - nicht einmal ein Kater durfte es wagen, seine Anwesenheit auf der Insel zu erkennen zu geben - und traktierte ihre untergebenen Mitschwestern in einer Art, die ihnen das Leben in dieser als eigentlich christlich gedachten Gemeinschaft oft genug zur Hölle machte.
„Dieser junge Kerl, und wer will’s ihm verdenken,“ Franz-Xaver zwinkerte mit dem rechten Auge, „dieser verliebte junge Dackel ist jetzt gestern mit zwei oder drei oder mehr Freunden, keiner weiß was Genaues, also die sind auf der Fraueninsel gelandet und haben versucht, seine Holde mit Gewalt aus diesem Karzer herauszuholen. Besonders geschickt hat er’s wohl nicht gemacht, was weiß ich, jedenfalls hat sich die alte Bissgurrn die Kleine geschnappt und sich von ihr zu uns herüberrudern lassen.“
„Und ihr Fischer wolltet hinüber und den Nonnen helfen?“ fragte Stephan und Raimund sagte fast gleichzeitig : „Also sind diese, äh, Befreier noch auf der Insel?“
„Was mich betrifft,“ Franz-Xaver schüttelte den Kopf, „ich selbst hätt‘ gar nicht erst angefangen, der Alten so was anzubieten, ihr wisst ja, ich hab’s nicht so mit dem religiösen Dingsbums, und außerdem war mir im Vorhinein klar, dass sie ablehnen würde. Aber meine Kollegen,“ er zuckte mit den Schultern, „meine lieben Fischerkollegen, für die ist doch jedes Wort, das aus dem Mund von jemandem aus der Kirche kommt, schon was Heiliges, entschuldige Petrus, ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaub halt nicht …. Na ja, ihr wisst schon.“
Der Angesprochene lächelte. „Wir sind ja unter uns. Aber die Obrigkeit, ihr habt doch einen Gutsherren dort vorn im Schafwaschener Winkl, der hat doch sicher jede Menge Knechte, warum soll der nicht eingreifen?“
„Zuständig ist er schon mal nicht, das Kloster hat mit ihm nichts zu tun, und selbst wenn, seine Knechte bestehen doch aus lauter Männern!“ Franz-Xaver grinste. „Und auch wenn die in den Kleidern ihrer Frauen daherkämen, ich garantier‘ euch, die Alte riecht das sofort. Nein,“ er schüttelte den Kopf, „nein, nein, die kriegt keine andre Hilfe als die vom lieben Gott, und da ist noch die Frage, ob sie sie annimmt, wenn sie sieht, dass der ein Mann ist.“
Er wurde ernst. „Und ganz ehrlich : Soll ich mich vielleicht rumprü-geln mit einem armen Teufel, der seine Liebste wiederhaben will? Ich würd‘ den Kerl eher mit ihr zusammen in mein Boot setzen und an gegenüberliegende Ufer bringen, das sag ich euch.“
„Dann ist ja gut, dass wir da sind,“ meinte Raimund trocken, „mit uns liegt doch die Lösung auf der Hand.“
„Auf keinen Fall,“ wehrte Franz-Xaver ab, „ihr seht viel zu sehr nach Obrigkeit aus. Keine weltliche Obrigkeit, keine Männer, das lässt die Alte niemals zu.“
Stephan wusste, woraus Raimund aus wollte. „Wie steht’s denn mit Petrus? Die Hilfe eines Geistlichen müsste der Äbtissin doch recht sein, oder?“
„Aha,“ Petrus hob vier Finger in die Höhe, „erstens, wenn du damit andeuten willst, dass ich kein Mann bin, dann irrst du dich, zweitens, die korrekte Anrede lautet Ehrwürdige Mutter, drittens, ich bin noch ganz gut in Form, aber allein gegen eine unbekannte Anzahl von Leuten, über deren Bewaffnung nichts bekannt ist, das meine ich ist schon etwas unüberlegt, und viertens, ich kenne die Dame vom Hörensagen, die lässt auch keinen Mönch in die Nähe ihrer Nonnen.“
„Aber du stehst doch als künftiger Kardinal im Rang sicher über einer Ehrwürdigen Mutter?“ Raimund ließ nicht locker. „Sie wird sich dir doch kaum widersetzen können, wenn du bestimmst, was zu geschehen hat.“
Petrus seufzte. „Das mit dem Kardinal kannst du vergessen. Ja,“ wandte er sich an Franz-Xaver, der ihn erstaunt mit offenem Mund anstarrte, „du kannst die Klappe wieder zumachen, du hast richtig gehört, ich werde demnächst zum Kardinal ernannt. Aber ist euch denn nicht klar, dass davon offiziell nichts verlauten wird? Im Sinne unserer Arbeit ist es nicht notwendig und wäre ja sogar schädlich. Also meinen Rang brauche ich nirgends rauskehren. Schon gar nicht bei der Leiterin eines Klosters, denn ich bin ja nur per Zufall und nicht in kirchlichem Auftrag hier.“
Einen Moment schwiegen sie alle vier.
„Und doch,“ meinte Stephan dann mit einem spitzbübischen Grinsen, „und doch ist gerade der Kardinalsrang der richtige Weg. Petrus, du gehst jetzt gleich zur Äbtissin, redest sie an, wie du es für richtig hältst und verkündest ihr, dass das Kloster mit dem Besuch eines Kardinals zu rechnen hat. Setz sie ruhig ein bisschen unter Druck, dass sie kapiert, dass sofort etwas geschehen muss mit den unliebsamen männlichen Gästen auf ihrer Insel, was weiß ich, vielleicht dass der hohe Gast von so was doch auf keinen Fall etwas miterleben darf und so weiter und biete ihr Hilfe an.“
Raimund nickte verstehend und setzte hinzu : „Und von solch einem Vorhaben zu reden, ist ja nicht einmal gelogen. Wenn die Äbtissin zustimmt, dann wird der ‚Besuch des Kardinals‘ ja tatsächlich erfolgen.“ Er grinste bis über beide Ohren. „Bloß, dass sie es dann in ihrem ganzen Leben nicht mitkriegen wird. Und auch nicht so, wie sie es sich vorstellt, aber für ihre Gedanken können wir ja nichts.“
* * *
Albert schenkte seinem Gast und sich selbst Wein ein.
„So,“ meinte er und lehnte sich zurück, „jetzt wird uns niemand mehr stören, und ich warte mit Interesse auf Eure Geschichte. Ihr braucht Euch ganz sicher keine Sorgen machen,“ setzte er beschwichtigend hinzu, als er den Blick des Mannes zur Seitentür bemerkte, „nein, gewiss nicht, ich versichere Euch, dass meine Frau die Kleine nicht aus den Augen lassen wird, ihr kann in meinem Haus nichts passieren. Sie kann gar nicht anders, sie wird ruhig und unbelästigt schlafen.“
Alberts Frau, die ihre beiden Enkel viel zu selten sah - die Tochter war weit außerhalb Salzburgs verheiratet - war selig, sich um das kleine Mädchen kümmern zu können, hatte alles, was von der jüngeren Enkelin an Spielzeug noch vorhanden war, zusammengesucht und nach dem Abendmahl mit dem Kind zu spielen begonnen. Energisch hatte sie protestiert, als der Gast wollte, dass das Kind auf der Bank neben ihm schlafen müsse, da er es nicht einen Moment aus den Augen lassen wollte.
„Ein Kind in diesem Alter gehört in ein richtiges Bett,“ hatte sie unmissverständlich erklärt, „und nicht auf eine Holzbank. Wenn Ihr so viel Angst um Eure Enkelin habt, dann bleibe ich bei ihr im Gästezimmer und passe auf sie auf, bis Ihr mit meinem Mann fertig geredet habt und selber ins Bett wollt.“
Es fiel dem Mann offensichtlich unheimlich schwer, sich von dem Kind zu trennen, auch wenn es nur durch ein anderes Zimmer war, und so hatte sie in weichem und doch strengen Ton hinzugefügt : „Es ist schön zu sehen, dass jemand sein Enkelkind so lieb hat. Aber hier in unserem Haus ist sie sicher, ganz genauso wie Ihr. Mein Mann ist Hauptmann der Büttel und das nicht erst seit gestern, Ihr dürft darauf vertrauen, dass das, was wir sagen, gültig ist.“
Sie hatte die übermüdete Kleine auf den Arm genommen, sich zur Tür gewandt und gelächelt.
„Und es wird Euch sehr schwer fallen, im Haus des obersten Salzburger Büttels zu erleben, dass ein Missetäter auch nur die geringste Möglichkeit findet, jemandem etwas anzutun. Gute Nacht.“
Die beiden Männer prosteten sich zu, und nach drei großen, langsamen Schlucken begann der Gast mit seiner Erzählung.
„Ich muss vorausschicken, dass ich am Unglück meiner Familie selbst schuld bin, weil ich nicht auf die Warnung und Forderung meines Schwiegervaters gehört habe. Mein Gott, ich war jung, zu jung, unerfahren und übermütig, gerade erst zum Ritter geschlagen worden und kurz darauf mit einem Mädchen vermählt, von dem alle meine Freunde geträumt hatten.
Einer meiner Freunde war gut zehn Jahre älter als ich, ein brillanter Kopf, wusste mehr als wir anderen alle zusammen, geschickt in allem, was in Politik und Diplomatie notwendig war. Als er vom Herzog den Auftrag bekam, als Gesandter an den Hof von Cordoba zu gehen für die eigentlich überschaubare Zeit von fünf Jahren, da brauchte er eine kleine Mannschaft, nicht nur als Sicherung zur Reise, sondern auch für die ganzen fünf Jahre. Mich bat er auch an dieser Mission teilzunehmen. Ehefrauen, Diener, alles gehörte mit dazu, für alles war gesorgt in dieser berühmten andalusischen Stadt. Ich war begeistert. Das Abenteuer meines Lebens stand bevor, Leben in einer fremden Welt, niemandem dort untertan, nach wie vor ein Mann des Herzogs, und alles andere, was sich ein junger Mensch in seiner Phantasie so ausmalt.
Mein Schwiegervater hatte kurz zuvor seine Frau verloren durch eine heimtückische Krankheit, meine Frau war sein einziges Kind. Heute weiß ich, was er gelitten hat, aber damals? Was denkt ein junger unbedarfter Abenteurer an Sorgen, an Kummer?
Ob es wahr war, was er mir sagte, weiß ich nicht, jedenfalls warnte er mich eindringlich, denn er hätte angeblich geträumt, dass alles, was aus dem sarazenischen Land wieder heimkehren würde, wäre die Nachricht von unserem Tod. Heute schäme ich mich, damals lachte ich laut.
Kurz vor unserer Abreise suchte er mich noch einmal auf. Er forderte von mir ein letztes Mal, hier zu bleiben. Andernfalls würde er sofort nach unserem Aufbruch sein gesamtes Gut dem nächstliegenden Kloster schenken.
Ich verstand damals sehr wohl, was er damit ausdrücken wollte, dass wir nämlich hier dann keine Heimat, keinen Besitz, kein Zuhau-se mehr hätten. Doch zum einen glaubte ich nicht, dass er so etwas wirklich in die Tat umsetzen würde, und zum andern dachte ich es nicht nötig zu haben, mich erpressen zu lassen, denn schon damals besaß ich die urkundliche Zusicherung des Erbes einer kinderlosen Großtante, die ich zwar im Leben noch nie gesehen hatte, der Name des Gutes aber war vermerkt, es hieß Gut Kaltafa. Von diesem Erbe also wusste mein Schwiegervater nichts, und ich hütete mich natürlich, ihm was davon zu sagen.
Die Reise….., ach was, die ist unwichtig. Wichtig ist, dass meine Frau schon im ersten Jahr in Cordoba ein Kind bekam, einen kräftigen Knaben, unser ganzer Stolz. Alles war eitel Sonnenschein, das freie, bequeme und unheimlich luxuriöse Leben in Cordoba, das Glück mit Frau und Sohn, dann mein allmählich aufkeimendes Interesse an der Kultur der Sarazenen, ich fühlte mich wie im Himmel, kein Gedanke galt mehr dem nörgelnden Schwiegervater.
Diese ungewohnte Sauberkeit überall, kein Gestank in und zwischen den Wohnstätten, stets sauberes Wasser, bei Krankheit kein herum-pfuschender, aderlassender Bader, sondern Männer, die wirklich Ärzte sind, die wirklich etwas von Krankheiten und Heilmitteln verstehen, übrigens fast immer Juden, sympathisch, ehrlich, vernünftig. Ich fand Freunde unter den Juden, ich fand Freunde unter den Sarazenen, ich fand sogar großen Gefallen daran, ihre Sprache zu erlernen und dann auch zu sprechen.
Und was für ein Kind war unser Sohn! Frei von allen Vorurteilen, frei von irgendwelchen Zwängen spielte er mit sarazenischen, mit christlichen, mit jüdischen Kindern. Im Alter von drei Jahren konnte er sich in drei Sprachen fließend verständigen, stellt Euch das vor! Was für ein Spaß war es zuhause, wenn er mit meiner Frau in unserer Muttersprache redete und gleich darauf mit mir sarazenisch. Und dabei zeigte er in diesem Alter - ich weiß, alle Väter sind stolz auf ihre Kinder und übertreiben oft, aber es war wirklich so - bei allem, was er sagte, zeigte er ein Denken und eine Intelligenz, die uns Erwachsene verblüffte.