Der Unterhändler der Hanse - Thomas Prinz - E-Book

Der Unterhändler der Hanse E-Book

Thomas Prinz

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Beschreibung

Stralsund im Jahre 1370: Nach 10-jährigem Krieg einigen sich Dänemark und die Hanse, in Stralsund Friedensverhandlungen zu beginnen. Reinekin Kelmer, Lübecker Kaufmann und Schwiegersohn des Bürgermeisters, der sich nach dem Tod seiner Frau von allen öffentlichen Ämtern zurückgezogen hat, soll als Unterhändler Lübecks die Verhandlungen führen, doch er lehnt ab. Selbst eine Serie von Anschlägen auf Ratsendboten aus Bremen, Danzig und Wismar, die ebenso wie Lübeck für einen schnellen Frieden mit Dänemark eintreten, kann ihn nicht umstimmen. Erst als der Lübecker Bürgermeister selbst Opfer eines Anschlags wird, entschließt er sich, die gefährliche Aufgabe zu übernehmen.In Stralsund gilt es nicht nur einen gerechten Frieden auszuhandeln, sondern auch die Anschläge aufzuklären, denn der Mörder ist in der Stadt und er tötet weiter. Doch Kelmer ist ein kluger Kopf, ein geschickter Diplomat und ein hervorragender Schachspieler. Ihm zur Seite steht sein langjähriger venezianischer Freund Pietro Bottone und die junge, geheimnisvolle Frauke Tyrbach. Reinekin fühlt sich zu der außergewöhnlichen Frau hingezogen, doch sie ist schon einem anderen versprochen…

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THOMAS PRINZ

Der Unterhändler der Hanse

Ein Hansekrimi

Die Hanse

© e-book Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2014

Umschlag: Motiv: Detail aus Hans Holbein d.J., »Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London 1532«, © Gemäldegalerie Dahlem der staatlichen Museen zu Berlin / Bridgeman Giraudon

ISBN 978-3-86393-514-6

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung (auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg der Datenübertragung) vorbehalten.

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de

INHALT

Personen

Prolog • Stralsund, 25. Mai 1370

Kapitel 1 • Lübeck, im November 1369

Kapitel 2 • Lübeck, Februar 1370

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40 • Stralsund, 24. Mai 1370

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Epilog

Reinekin Kelmer, Lübecker Kaufmann und Schwiegersohn des Bürgermeisters, hat sich nach dem Tod seiner Frau von allen öffentlichen Ämtern zurückgezogen. Nach zehnjährigem Krieg einigen sich Dänemark und die Hanse, in Stralsund Friedensverhandlungen zu beginnen. Kelmer soll als Unterhändler Lübecks die Verhandlungen führen, doch er lehnt ab. Selbst eine Serie von Anschlägen auf Ratsendboten aus Bremen, Danzig und Wismar, die ebenso wie Lübeck für einen schnellen Frieden mit Dänemark eintreten, kann ihn nicht umstimmen. Erst als der Lübecker Bürgermeister selbst Opfer eines Anschlags wird, entschließt sich Kelmer, die gefährliche Aufgabe zu übernehmen. In Stralsund gilt es nicht nur einen gerechten Frieden auszuhandeln, sondern auch die Anschläge aufzuklären, denn der Mörder ist in der Stadt, und er tötet weiter. Ganz oben auf seiner Liste steht Reinekin Kelmer, doch der ist ein kluger Kopf, ein geschickter Diplomat und ein hervorragender Schachspieler. Ihm zur Seite steht sein langjähriger venezianischer Freund Pietro Bottone und die junge, geheimnisvolle Frauke Tyrbach. Reinekin fühlt sich zu der außergewöhnlichen Frau hingezogen, doch sie ist schon einem anderen versprochen …

Thomas Prinz, 1959 in Wetzlar geboren, arbeitete als freier Journalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. Seit 1990 ist er beim Auswärtigen Amt mit Stationen in Bonn, Bukarest, Jakarta und Berlin tätig. Er veröffentlichte die Krimis »Mode, Morde und Models«, »Ankunft in Bukarest« und »Abschied von Jakarta sowie »Das Silber der Ostsee«.

Am Anfang des Jahres 1370 hatten die Städte mit der Beherrschung des Sundes und Schonens ihre Kriegsziele gegen Dänemark erreicht. Die Fürsten dagegen hatten keinen endgültigen Erfolg gegen Waldemar errungen, so dass sie weiterkämpfen mussten. Nun hatten die Städte die Wahl zwischen Krieg und Frieden. Die Städte wandten sich von der Sache der Fürsten ab. Diese Politik war nicht ohne Gefahr.

Philippe Dollinger, »Die Hanse«

Leicht ist das Fähnlein an die Stange gebunden, aber es ist schwer, es mit Ehren wieder abzunehmen.

Hinrich Castorp, Lübecker Ratsherr, Bürgermeister und Diplomat

PERSONEN

Reinekin Kelmer, Lübecker Kaufmann und Ratsherr

Johanna Kelmer, geb. Grevenrode, seine verstorbene Frau

Jan, Geseke und Johanna, Reinekins Kinder

Balthasar Grevenrode, Bürgermeister von Lübeck und Schwiegervater von Reinekin

Pietro Bottone, Freund und Partner von Reinekin

Hermen Burskup, Lübecker Kaufmann und angehender Bürgermeister

Bertram Wulflam, Bürgermeister von Stralsund

Frauke Tyrbach, Stieftochter des Wirts im Artushof in Stralsund

Heinrich Molteke, Ratsherr aus Danzig, ertrinkt im Hafenbecken

Sievert Classoen, nimmt an Moltekes Stelle an den Verhandlungen teil

Hildebrand Karbow, Ratsherr aus Wismar, wird von einem Armbrustschützen ermordet

Thymme Ghulsowe, nimmt für Karbow an den Verhandlungen teil

Hermen Wackerowe, Bremer Ratsherr, wird in einem Wirtshaus vergiftet

Rudolf Sudermann, nimmt an Wackerowes Stelle an den Verhandlungen teil

Gerkin Wollepont, Hamburger Ratsherr

Henning von Putbus, dänischer Verhandlungsführer

Admiral Johann Nicleson, Mitglied des dänischen Reichsrates

Vicko Diederckes, Kapitän mit zwielichtiger Vergangenheit

Der einäugige Claas, Knecht von Reinekin

Der kleine Claas, Hannes, Söhne des einäugigen Claas

Albert Puster, Armbrustschütze

Die rote Lisbeth, Hure in Stralsund

PROLOG • STRALSUND, 25. MAI 1370

Der zierliche Mann mit dem vernarbten Gesicht, der sich Albert Puster nannte, trat in den eisernen Steigbügel, der mit Hanfseilen am Bogen der Armbrust befestigt war. Dann bückte er sich, hakte die Sehnenklauen des Spanngurts, den er mit einem ledernen Gurt um die Hüfte geschnallt hatte, in die Sehne ein und richtete sich auf. Es bedurfte einer Zugkraft von über einhundert Kilogramm, um die Sehne zu spannen und in der Nuss zu arretieren. Dann nahm er einen der vierzig Zentimeter langen Bolzen mit Metallspitze aus dem Köcher, der an seinem Gürtel hing, und legte den Bolzen in eine Kerbe der Nuss. Die Waffe war nun schussbereit. Er verschloss den Bolzenköcher und kniete hinter einem Stapel mit Fellen nieder. Einen zweiten Bolzen würde er nicht brauchen. Albert Puster war ein Meisterschütze.

Es war die vierte Stunde nach Sonnenaufgang. Durch das halb geöffnete Tor im zweiten Stock des Lagerhauses konnte er den größten Teil des Stralsunder Hafenkais überblicken, ohne im Schatten des Speichers selbst gesehen zu werden. Wie immer hatte er sein Versteck sorgfältig ausgewählt. Ein optimaler Hinterhalt durfte nicht weiter als einhundert Meter vom Ziel entfernt sein und musste die Möglichkeit bieten, schnell und unerkannt zu verschwinden. Das Lagerhaus grenzte an die Stadtmauer, deren Brüstung zwei Meter unter dem Tor verlief, durch das mit Hilfe eines Seilzuges Waren vom Hafen direkt in den Speicher geladen werden konnten. Vor unangenehmen Überraschungen glaubte er sich sicher, denn die beiden Lagerarbeiter, die er seit Tagen beobachtet hatte, lagen mit durchschnittener Kehle im hinteren Teil des Lagerhauses. Vom Strelasund näherten sich Fischerboote und liefen im Fischerhafen ein. Gut siebzig Meter vor ihm plagten sich vier Männer mit dem Beladen einer Schute ab, die zwischen Kai und einer der Koggen pendelte, die draußen im Tiefwasser vor dem Hafenbecken lagen. Noch zwei Ladungen, schätzte der Mann hinter der Armbrust, würde es brauchen, um die am Kai aufgestapelten Säcke zur Kogge zu bringen. Erst danach würde der Lübecker Kaufmann erscheinen, der noch nichts von seinem bevorstehenden Ende ahnte. Er griff in die Tasche seiner Jacke, holte ein Stück harten Stockfisch heraus und biss davon ab. Danach kontrollierte er noch einmal seine Waffe. Sie wies keinerlei Verzierungen auf und hatte ihn dennoch ein kleines Vermögen gekostet. Das Wertvollste an ihr war der Bogen; gefertigt aus einer Kombination von Horn, Holz, Sehnen und Leim. Den Kern bildete ein Block aus zwanzig verleimten Hornplatten zwischen zwei Eibenholzstreifen, umgeben von einem dicken Mantel aus Tiersehnen. Dieser Bogen war wesentlich leichter und biegsamer als der Eschenholzbogen seines Vaters, mit dem er als Kind sein tödliches Handwerk gelernt hatte. Ein Bolzen, der von diesem Bogen abgeschossen wurde, konnte noch auf hundert Meter den Brustpanzer eines Ritters durchschlagen.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als eine Gruppe von sieben Personen, gefolgt von vier Mann der Stadtwache, sich dem Hafenkai näherte. Albert Puster erkannte den Mann sofort, für dessen Tod er bezahlt wurde. Sein Name war Reinekin Kelmer, und er war ein reicher Lübecker Kaufmann, der auf den ersten Blick eher wie ein Handwerker aussah. Seine Kleidung ließ nahezu jeden Prunk vermissen. Er trug ein kurzes gegürtetes Wams, eine ärmellose Weste und eine enge Hose. Dennoch musste es sich um einen bedeutenden Mann handeln, da er vom Stralsunder Bürgermeister begleitet wurde. Kelmer war einen halben Kopf größer als die Personen, mit denen er zusammen war. Er mochte gut über dreißig Jahre sein, bewegte sich aber noch leichtfüßig wie ein Zwanzigjähriger. In seiner Begleitung befand sich ein mittelgroßer südländischer Mann mit schwarzem, langem Haar, das nach der neusten Mode mit einem Brenneisen gekräuselt zu sein schien. Sein Schwert baumelte vom Gürtel einer zweifarbigen Jacke, deren enge Ärmel in glockenförmigen Manschetten endeten, die bis über die Fingerspitzen herabfielen. Der Bürgermeister war an einer schweren silbernen Halskette zu erkennen, die er über einem schwarzen und mit Gold bestickten Mantel trug. An seiner Seite ging ein junger Mann, der leicht als Sohn des Bürgermeisters zu identifizieren war. Er hatte die gleiche Plattnase wie sein Vater und den gleichen kurzen Hals. Neben ihnen gingen zwei Frauen, die gekleidet waren wie adlige Damen. Die jüngere von ihnen trug den dicken Bauch einer Hochschwangeren vor sich her. Die ältere schmückte eine Schmetterlingshaube, deren Spitzen die Köpfe der Männer überragten und von denen ein Schleier über den gesamten Rücken bis fast auf den Boden fiel. Beide Frauen trugen teure Brokatmäntel, deren eingewebte Goldfäden in der Sonne schimmerten. Eine dritte Frau ging an der Seite von Reinekin Kelmer. Sie war einfacher gekleidet. Ihr Haar war unter einer weißen Haube versteckt, wie sie von einfachen Bürgersfrauen getragen wurde, und ihr Kleid war aus blauem Barchent oder einem anderen Baumwollstoff, wie man ihn in den Vierteln der Handwerker sah. Sie hatte sich bei Reinekin Kelmer untergehakt, und der Mann hinter der Armbrust fragte sich, in welcher Beziehung sie zu dem Lübecker stehen mochte. Und wo konnte der Einäugige sein, der sonst immer bei Kelmer war?

Der Schütze hatte sein Ziel deutlich im Visier, aber noch war die Gruppe zu weit entfernt für einen sicheren Schuss. Kelmer war im Gespräch mit dem Bürgermeister. Beide schienen guter Dinge zu sein. Die Stimme des Bürgermeisters war bis in das Lagerhaus zu hören. Er lachte laut, und Kelmer grinste mit einem zustimmenden Kopfnicken. Er hatte ein sympathisches Gesicht, und der Schütze bedauerte, dass es nicht den Bürgermeister oder einen der beiden eitlen Gecken in seinem Gefolge treffen sollte. Aber dafür wurde er nicht bezahlt. Sein Auftrag war eindeutig: Reinekin Kelmer sollte er töten, und das war seinem Auftraggeber eine schöne Summe wert gewesen. Die Hälfte des Geldes hatte er bereits eingesteckt, und die andere sollte er nach Ausführung seines Auftrags erhalten. Das Geld würde ausreichen, um ein paar Jahre ein sorgenfreies Leben zu führen, selbst wenn er einen Teil davon an einen Priester würde bezahlen müssen, um für seine Tat die Absolution zu erhalten. Für zwanzig lübische Mark musste ein Söldner normalerweise ein ganzes Leben lang arbeiten, und selbst sein verhasster Vater, der Burgmann in Bremen gewesen war, hatte nur fünf Mark im Jahr erhalten. Er hatte immer vorgehabt, nach Bremen zurückzukehren und den Alten – bevor er ihn umbringen würde – wissen zu lassen, zu welchem Reichtum er es gebracht hatte. Das ging nicht mehr, denn der Alte war tot. Über ihn brauchte er sich den Kopf nicht mehr zu zerbrechen. Das Einzige, was ihm in den letzten Tagen Sorge bereitet hatte, war die Frage, ob er seinem Auftraggeber vertrauen konnte und tatsächlich die zweite Rate ausgezahlt bekommen würde. Bei dem zuletzt vereinbarten Treffen vor fünf Tagen war der Mann nicht erschienen, und zudem hatte er bei dem letzten Treffen darauf gedrängt, dass der Auftrag vor Christi Himmelfahrt ausgeführt werden müsse. Christi Himmelfahrt lag drei Tage zurück, aber was machte das für einen Unterschied? Er würde sein Geld erhalten, denn er hatte Erkundigungen über seinen Auftraggeber eingezogen und wusste, wo er den Mann zu finden hatte, falls die Zahlung ausblieb. Und bislang hatten noch alle gezahlt – schon aus Angst vor seiner tödlichen Kunst. Dies war sein letzter Auftrag, so hatte er sich vorgenommen. Danach wollte er ein neues Leben beginnen mit der Frau, die ihm in den letzten Wochen Liebe und Geborgenheit geschenkt hatte.

Die Gruppe um Reinekin Kelmer und den Stralsunder Bürgermeister erreichte den Kai an der Stelle, an der die Schute festgemacht hatte. Albert Puster hatte den Finger am Abzug der Armbrust. Mit leichtem Druck würde er den Bügel gegen den Schaft heben. Die Nuss würde sich senken, die Sehne frei geben und den Bolzen mit ungeheurer Wucht ins Ziel schleudern. Er zielte auf die Brust des Lübeckers. Der Zeigefinger seiner rechten Hand fühlte die Spannung des Abzugs. Der Lübecker verneigte sich vor der Frau mit dem Schmetterlingshut, ging auf die jüngere mit dem dicken Bauch zu, schüttelte ihr die Hand, und dann war der Sohn des Bürgermeisters an der Reihe. Albert Puster zögerte. Der Mann mit dem Schwert war in die Flugbahn des Bolzens getreten. Auch er verabschiedete sich. Kelmer umarmte den Bürgermeister, sein Rücken hätte ein perfektes Ziel geboten, aber die Schwangere kam in die Quere, ging auf die Frau an Kelmers Seite zu und drückte ihr die Hand. Kelmer stand in der Mitte der Gruppe. In der Abschiedszeremonie war zu viel Bewegung, aber irgendwann würde er sich lösen müssen. Einen guten Schützen zeichnete genau diese Geduld aus, die es brauchte, um den sicheren Schuss zu setzen. Nur dafür wurde er bezahlt, und er hatte nur einen Schuss. Zum Nachladen würde keine Zeit bleiben. Jetzt traten die beiden reichen Frauen zurück. Der Bürgermeister und sein Sohn standen an der Kaimauer, der Bootsmann streckte eine Hand aus und half der Frau an Kelmers Seite in die Schute. Sie kehrte dem Schützen den Rücken zu. Kelmer sprang auf das andere Ende des Lastkahns, der leicht schaukelte. Albert Puster zielte über den Kopf der Frau und hatte Kelmers Brust im Visier. Der Schuss würde tödlich sein. Der Schütze hielt den Atem an. Die Armbrust lag warm in seinen Händen. Er genoss diesen Sekundenbruchteil zwischen dem Entschluss, jetzt zu schießen, dem Drücken des Metallbügels gegen den Schaft und dem satten Geräusch, wenn sich die Sehne entspannte, den Bolzen über dem Lauf aus feinstem Eibenholz beschleunigte und ihn auf seinen unaufhaltsam tödlichen Weg sandte. Er genoss diesen Augenblick der Entscheidung genauso wie beim ersten Mal, als er den Bolzen auf den Weg geschickt hatte, der den Hals seines Bruders durchschlug.

KAPITEL 1 • LÜBECK, IM NOVEMBER 1369

»Um mancherlei Unrecht und Schaden, den die Könige dem gemeinen Kaufmann tun und angetan haben, wollen die Städte ihre Feinde werden und eine der anderen treulich helfen. – So haben wir es zu Köln im Jahre des Herrn 1367 beschlossen, und heute, gut zwei Jahre später, sind wir am Ziel, liebe Freunde. Der große dänische König, Waldemar Atterdag, liegt am Boden. Kopenhagen ist zerstört, und die ganze dänische Küste hinauf bis nach Norwegen haben sich die Städte und Festungen ergeben. Waldemar Atterdag bittet uns, die hansischen Städte, um Frieden.« Balthasar Grevenrode, der grauhaarige Lübecker Bürgermeister, hielt inne und blickte in die Runde der an die hundert Ratsherren. In die Stille brach ein zunächst verhaltener, dann anschwellender und schließlich donnernder Applaus.

»Hoch lebe die Hanse«, rief ein Wismarer Ratsherr. »Hoch lebe die Hanse«, schallte es aus hundert Mündern zurück.

Balthasar Grevenrode genoss den Triumph. Für Lübeck hatte in diesem Krieg viel auf dem Spiel gestanden, und zwei seiner Vorgänger hatte die Auseinandersetzung mit den Dänen den Kopf gekostet. Für Johan Wittenborg galt dies im wahrsten Sinne des Wortes. Er war nach verlorenem Kampf gegen die Dänen vor sechs Jahren in Lübeck geköpft worden, und Brun Warendorp war in der Schlacht gefallen. Balthasar Grevenrode streckte besänftigend beide Hände aus und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.

»Liebe Freunde«, rief er in den großen Saal des Lübecker Rathauses. »Liebe Freunde, nach dem großen Sieg gilt es nun, einen gerechten Frieden zu schließen. Deshalb haben wir, der Rat der Stadt Lübeck, Euch hergebeten. Sobald die Winterstürme vorbei sind und die Ostsee wieder sicher befahrbar ist, wird Waldemar Atterdag eine Delegation entsenden, um die Bedingungen eines gerechten Friedens auszuhandeln.«

»Die Dänen sollen bluten«, rief der Bremer Ratsherr Rudolf Sudermann.

»Richtig, sie sollen bezahlen, doppelt und dreifach«, stimmte ein Hamburger Kaufmann ein, der trotz seines fortgeschrittenen Alters ein modisches rot-blaues Wams trug und dessen Schnabelschuhe mit Abstand die längsten waren, die man je im Lübecker Rathaus gesehen hatte. Der Saal applaudierte erneut. »Wir haben an die achtzig Koggen bemannt und bewaffnet. Wir können jede dänische Stadt ausquetschen bis auf den letzten Pfennig. Sie sollen zahlen, sie, ihre Kinder und Kindeskinder, und wenn sie nicht zahlen, werden wir sie plündern.« Der Hamburger schlug mit der Faust auf den Tisch.

Dann erhob sich Bertram Wulflam, der Bürgermeister von Stralsund, und wartete, bis der Saal sich beruhigt hatte. Wulflam war einer der reichsten Kaufleute an der Ostseeküste, ein untersetzter Mann mit grauem Vollbart, kurzem Hals und einer platten, breiten Nase.

»In dieser Stunde des Triumphs dürfen wir nicht übermütig werden«, nuschelte er. »Zehn Jahre Krieg sind nicht nur uns teuer zu stehen gekommen. Auch die dänischen Städte haben darunter gelitten. Wenn wir die Dänen schröpfen bis zum letzten Pfennig, wird der Handel nicht wieder auf die Beine kommen. Vor dem Krieg habe ich jedes Jahr an die vierzig Schiffsladungen nach Schonen und Kopenhagen geliefert, Salz, Bier, Wein, Malz, und habe Heringe und Kabeljau eingehandelt. Das Geschäft liegt seit zehn Jahren danieder. In Süddeutschland können kaum mehr die Fastengebote eingehalten werden, weil es keinen Fisch mehr gibt. Es muss unser Ziel sein, sobald als möglich wieder dahin zu kommen, wo wir vor dem Krieg waren.«

»Auch wir haben Verluste erlitten«, widersprach der Hamburger. »Wir haben alle den Pfundzoll entrichtet auf jedes Schiff, das unsere Häfen verließ, damit wir den Krieg gegen die Dänen finanzieren konnten. Habt Ihr vergessen, wie niederträchtig Waldemar vor zehn Jahren unsere Freunde in Visby überfallen und geplündert hat, habt Ihr vergessen, dass wir 1362 unsere Flotte vor Helsingborg verloren haben? Jetzt sollen sie uns entschädigen, und wenn sie nicht freiwillig zahlen, dann werden wir uns das Unsrige holen.«

»Soweit ich mich erinnere, hat Hamburg nicht ein einziges Schiff für den Krieg gestellt. Wir Stralsunder haben drei Koggen verloren.« Bertram Wulflam war aufgestanden, hatte die Fäuste auf den Tisch gestellt und den Oberkörper vorgebeugt, dass seine Bürgermeisterkette heftig gegen sein rotes Wams schlug.

Der Bremer antwortete mit erregter Stimme: »Ihr wisst sehr wohl, dass wir im Krieg mit den Seeräubern waren. Das hat unsere Kräfte gebunden. Und dieser Bedrohung mussten wir mit den Freunden aus Hamburg alleine Herr werden«, empörte sich Rudolf Sudermann.

»Gemach, gemach«, rief ein Wismarer Kaufmann. »Kopenhagen ist geplündert, der Hafen zerstört. Da gibt es nichts mehr zu holen. Handeln kann man nur mit Leuten, die Geld in der Tasche haben.«

»Aber wir sind im Bündnis mit den Grafen von Holstein und den Mecklenburgern und haben ihnen zugesichert, keinen separaten Frieden mit den Dänen zu schließen«, fügte Sudermann hinzu.

»Dieses Bündnis endet im April des kommenden Jahres«, warf Balthasar Grevenrode ein. »Die Interessen der Landesherren sind andere als die unsrigen. Sie wollen Dänemark aufteilen. Wir wollen Handel treiben und Geld verdienen.«

»Es geht nicht nur ums Geld.« Heinrich Molteke war ein bedächtiger Mann, der dem Rat von Danzig schon seit zwanzig Jahren angehörte und dessen Schiffe Pelze nach Flandern und Tuche nach Nowgorod brachten. »Es geht auch darum, die Dänen ein für alle Mal in die Schranken zu weisen. Mit ihren Festungen am Sund können sie uns jederzeit wieder erpressen. Wer den Sund sperrt, durchtrennt unsere wichtigste Lebens ader. Deshalb sage ich Euch, wie immer ein Frieden aussieht, er muss uns für alle Zeit die freie Durchfahrt durch den Sund garantieren.«

Die Niederländer klopften zustimmend auf den Tisch.

»Und das erreichen wir am besten, indem wir die Dänen klein halten«, schloss sich Sudermann an.

»Unmöglich können wir Städte uns den Sund nehmen. Wer das versucht, beschwört den nächsten Krieg herauf.« Hermen Burskup gehörte zu einer alteingesessenen Lübecker Patrizierfamilie, die ihr Vermögen zum guten Teil auf der Landverbindung zwischen Lübeck und Hamburg gemacht hatte. Diese siebzig Kilometer zwischen Ostsee und Nordsee ersparten die gefährliche Fahrt durch den Sund. Aber trotz der dänischen Zölle und der Unbilden des Wetters zogen immer mehr Händler die Sundfahrt dem aufwendigen Verladen ihrer Waren auf dem Landweg vor, hauptsächlich die Livländer und die Holländer. Burskup mochte 45 Jahre zählen. Er war von großer Gestalt mit roter Gesichtsfarbe und nahezu kahlem Haupt. Sein Gesicht prägten eine riesige Knollennase, hängende Backen und hängende Augenlider, was ihm den Ausdruck eines schläfrigen Bernhardiners verlieh. Balthasar Grevenrode kannte den Mann zu seiner Rechten so gut, dass er in jeder seiner Regungen lesen konnte wie in einem offenen Buch. Burskup war Ratsherr und würde demnächst Bürgermeister werden. Er hatte vor über zehn Jahren um die Hand von Balthasars Tochter angehalten und war abgewiesen worden – eine Schmach, die er niemals vergessen würde. Seit damals schien all sein Tun und Trachten darauf ausgerichtet, diese Zurückweisung zu rächen.

»Stattdessen sollen wir lieber an das Frachtkontor des Herrn Burskup bezahlen«, rief ein Danziger Kaufmann, und der Saal schallte vor Lachen. Burskup setzte sich ärgerlich.

»Hermen Burskup hat Recht«, mischte sich Balthasar Grevenrode ein. »Wenn wir den Sund bekommen, werden sich alle anderen gegen uns verbünden. Dann haben wir in zwei Jahren den nächsten Krieg. Niemand sollte glauben, dass die Landesherren tatenlos zuschauen, wenn sich die Städte wie Fürsten aufführen. Wir müssen holen, was wir kriegen können, aber es muss zu dauerhaftem Wohlstand für uns alle führen. Ich schlage vor, dass jede Stadt eine Abordnung zu den Friedensverhandlungen entsendet. Dann kann am Ende keiner behaupten, seine Interessen seien nicht berücksichtigt worden.«

Einige Ratsherren klopften zustimmend auf die Tische des großen Versammlungssaales im Lübecker Rathaus.

»Und wo wollt Ihr die Verhandlungen führen?«, fragte Sudermann.

Balthasar Grevenrode hatte mit der Frage gerechnet und war dankbar, dass sie nun gestellt wurde. Zum einen implizierte sie, dass die Verhandlungen natürlich unter Vorsitz Lübecks, des Hauptes der Hanse, geführt würden, und zum anderen gab sie Balthasar Grevenrode die Gelegenheit, all denen, die Lübeck mit Misstrauen gegenüberstanden, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Balthasar nickte seinem Stralsunder Kollegen zu, der sich erhob und mit stolzgeschwellter Brust sagte: »Ich würde mich freuen, liebe Freunde, wenn Stralsund Euch empfangen dürfte. Seid versichert, dass wir alles dafür tun werden, um die Verhandlungen zu einem für uns alle erfolgreichen Abschluss zu führen, und dass es Euch in Stralsund an nichts fehlen soll.«

Rudolf Sudermann war vor Ärger und Überraschung sprachlos. Hätte Grevenrode Lübeck vorgeschlagen, so hätte man dagegen angehen können. Es gab genug Städte, die eine allzu große Konzentration der Macht in den Händen der Lübecker vermeiden wollten. Gegen Stralsund gab es dagegen wenig einzuwenden, mit Ausnahme der Tatsache, dass Wulflam und Grevenrode unter einer Decke steckten. Stralsund war die größte und bedeutendste Stadt zwischen Danzig und Lübeck. Sie war für alle gut zu erreichen, und es war bekannt, dass der dänische König Waldemar Stralsund bevorzugte. Es regte sich keine Gegenstimme.

Balthasar Grevenrode stand auf und schaute in die Runde. »Liebe Freunde, wenn es dagegen keinen Widerspruch gibt, so können wir unsere Verhandlung beschließen. Wir treffen uns Anfang Mai in Stralsund, und jetzt möchte ich Euch einladen in die ›Ratsschenke‹. Es gilt, einen großen Sieg ordentlich zu feiern.«

Zu feiern, dachte Rudolf Sudermann, gibt es nur etwas für die Ostseestädte, allen voran für die arroganten Lübecker. Es gab genug andere, da war sich Sudermann sicher, die nichts zu feiern hatten, weil sie den bankrotten Holstengrafen Unsummen zur Kriegsführung geliehen hatten und diese nur zurückerhielten, wenn sich Heinrich und Klaus von Holsten genügend dänische Pfründe aneignen konnten. Und danach sah es derzeit nicht aus. Ohne das Geld und die Koggen der Städte waren die Grafen machtlos. Das Handelshaus des Rudolf Sudermann sah schweren Zeiten entgegen, aber er war nicht der Einzige, und es gab Mittel und Wege, die Lübecker zu stoppen.

KAPITEL 2 • LÜBECK, FEBRUAR 1370

»Schachmatt!« Pietro nahm einen tiefen Schluck Wein aus seinem Becher, während Reinekin Kelmer die Bernsteinfigur mit dem Kreuz umkippte.

»Weißt du, früher habe ich mich gefühlt wie ein König, wenn ich gegen dich gewonnen hatte – es kam selten genug vor. Heute denke ich, was spielt er da für einen Mist. Non è vero, come un stupido.«

»Morgen ist es ein Jahr.«

»Lo so. Ich weiß. Deshalb bin ich hier, weil ich dich nicht alleine lassen möchte.« Pietro schenkte sich italienischen Rotwein in seinen Messingbecher.

»Vielleicht ist es besser, wenn ich alleine bin.«

»Reinekin, du bist schwermütig wie dieses Land. Trink noch einen Becher mit mir, dann wirst du dich leichter fühlen. Dieser Wein schmeckt nach der Erde des Veneto. Er bringt Sonne in dein Herz.« Pietro nahm die noch gut gefüllte Kanne und goss seinem Freund den Becher voll. Sie saßen in der Diele von Reinekin Kelmers Haus am Kohlmarkt. Der einäugige Claas legte zwei dicke Holzscheite in den Kamin und schürte das Feuer.

»Kannst du dich noch an den Abend erinnern, an dem du diesen Wein zum ersten Mal probiert hast? Wahrscheinlich nicht, denn du warst so betrunken, dass Niccolò und ich dich nach Hause tragen mussten. Und Messer Ammaniti hätte mir fast den Kopf abgerissen.«