Der wahre Glanz von Schokoladenkugeln - Petra Schulz - E-Book

Der wahre Glanz von Schokoladenkugeln E-Book

Petra Schulz

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Beschreibung

Carsten und Charlotte sind seit zehn Jahren verheiratet, gutsituiert und gehören zur High Society in ihrer Stadt. Doch hinter der glänzenden Fassade haben sie sich voneinander entfremdet. Carsten sonnt sich in Karriere, Wohlstand und Ansehen; Charlotte sehnt sich nach Nähe und Zärtlichkeit. Sie findet dies bei dem wesentlich jüngeren Ron. Doch diese Affäre löst einen Sturm aus, der ihre Welt in Scherben wirft und sie vor die schwierigste Entscheidung ihres Lebens stellt... Ein Roman über Liebe und Versuchung, Verzweiflung und Vertrauen - und die Strahlkraft eines kleinen Weihnachtsbaumes, geschmückt mit Schokoladenkugeln.

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Seitenzahl: 266

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Der wahre Glanz von Schokoladenkugeln
Impressum
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Danksagung

Petra Schulz

Der wahre Glanz von Schokoladenkugeln

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-212-9

E-Book-ISBN: 978-3-96752-710-0

Copyright (2023) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

Bilder und Grafiken von www.shutterstock.com und creativemarket.com

Stockfoto-Nummer: 667014604

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Deutschland (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Alte Heerstraße 29 | 27330 Asendorf

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

1

Wie legt man den Zauber eines ganzen Vorgartens in einen einzigen Blumenkübel? Charlotte stellte die Kiste mit den Primeln in allen Farben kurz auf die Seite, um den Pflanzentopf aus Beton etwas vorzuziehen. Sie riss ein paar dürre Pflanzengerippe der Winterdekoration heraus und lockerte die Erde auf. Dabei fiel der kleine Igel aus Ton, der ein schüchternes Dasein in einem versteckten Winkel des Blumenkübels fristete, zu Boden. Charlotte erschrak. Sie legte die kleine Harke zur Seite und nahm den Igel fast zärtlich in die Hände. Zum Glück war nur die Stupsnase abgebrochen. Erleichtert stand Charlotte auf und ging ins Haus. Wenige Minuten später kam sie mit einer Tube Klebstoff zurück und machte sich daran, dem kleinen Igel seine Nase wieder anzukleben. Vorsichtig, als sei er ein wertvolles Museumsstück, stellte sie ihn auf die Stufen, die zur Haustür führten. Dort bildete er einen Kontrast zu deren kühler Eleganz. Charlotte sah ihn an und erwiderte für einen Augenblick sein verschmitztes Lächeln.

Carsten und sie waren gerade in ihre erste gemeinsame Wohnung gezogen, als sie ihn auf der Suche nach Balkonblumen in einem Gartencenter entdeckte. Sie konnte nicht widerstehen und stellte ihn später in einen der Balkonkästen. Von dort aus beobachtete er sie jahrelang – bei romantischen Abenden auf dem sommerlichen Balkon, erotischen Spielen in lauen Nächten und weihnachtlichen Glühweinpartys mit Freunden. Zweimal zog er mit ihnen zusammen um: von der kleinen Dachwohnung mit den himmelblauen Fliesen im Bad in die geräumige Dreizimmerwohnung nahe der Dinslakener Altstadt und, was Carsten überhaupt nicht verstand, von dort in das weiße Haus im Bauhaus–Stil in Eppinghoven. Seit drei Jahren wohnten sie nun hier. Das Haus war elegant, komfortabel und sehr repräsentativ, wie Carsten immer wieder stolz betonte.

Charlotte pflanzte die Primeln in den Blumenkübel und rückte ihn so zurecht, dass er einen fröhlichen Farbtupfer in dem schlichten Vorgarten zwischen Carport und Kiesbeet bildete. Vorsichtig befühlte sie die Nase des Igels und stellte ihn halb versteckt zwischen die Primeln. Sie begutachtete ihr Werk. Von dem Unfall war dem Igel zum Glück nichts mehr anzusehen. Sie nahm ihn noch einmal hoch und setzte ihn so ab, dass er sofort ins Auge fiel.

‚Soll Carsten doch sagen, was er will’, dachte sie. ‚Wenn er überhaupt hinschaut.’ Mit einem kleinen Seufzer zog sie ihre Gartenhandschuhe aus und ging ins Haus.

Wenig später schaltete sie den Herd ein und holte die vorbereitete Minestrone aus dem Kühlschrank. Sie war gerade dabei, den Tisch zu decken, als die Haustür aufging.

»Jaaaa«, hörte sie Carsten ungeduldig sagen, »ich weiß, dass du gerne ein richtiger Trainer sein möchtest, aber ohne Führungszeugnis geht das nun mal nicht. Ich kann die Vorschriften nicht ändern. Du kannst mir zur Hand gehen, aber mehr geht nicht. Und jetzt geh mir nicht auf den Sack damit, Deniz!«

Carsten hatte das Handy zwischen Kinn und Schultern geklemmt und hängte sein Jackett an die Garderobe.

»Ist doch ganz okay so, wie es ist«, murmelte er etwas freundlicher, »und jetzt entspann dich mal. Lass uns lieber überlegen, wie wir das mit diesem Ben hinkriegen. Warum der ausgerechnet Fußball spielen will, ist mir völlig schleierhaft… Kannst du nicht mal ein Wort mit seinem Bruder reden? Wie heißt der noch, Roland oder so. Den kennst du doch. Ja, okay, dann eben Ron. Auch gut. Also, mit dem sprichst du nicht? Echt nicht? Ah. Ja, hm, wenn du meinst… Tja, mal gucken. Bis dann!«

Er schaltete das Handy aus, legte es mit einem harten Geräusch auf die Kommode im Flur und ging nach oben, um sich umzuziehen.

»Mmmmh, das sieht aber gut aus.« Wenig später kam er in die Küche, deutete mit dem Kinn auf den Kochtopf und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

»Sorry, aber war irgendwie nicht mein Tag heute… Erst Stress im Büro und dann auch noch Ärger beim Training.«

»Was denn für einen Ärger beim Training? Irgendwas Besonderes?«

»Ach«, Carsten schob seinen leergegessenen Teller etwas unwirsch in Richtung Tischmitte, »Schon gut. Pascha, ach, ich meine: Deniz geht mir auf die Nerven. Er will unbedingt als Trainer mitmischen.«

»Deniz? Ach du liebe Zeit… »Charlotte dachte an den merkwürdigen jungen Mann. Leise fügte sie hinzu: »Ich dachte schon, mit dem armen Ben wäre wieder was gewesen.«

2

Schon in dem Moment, als Ron die Tür öffnete, ahnte er, dass es keine gute Idee war, hierher zu kommen.

Es war eng in der Gartenlaube. Eine Campinglampe tauchte die verräucherte Luft in schummriges Licht. Marvin, Tobias, Pascal und ein Typ, den er nicht kannte, fläzten sich auf der alten Sofagarnitur. Auf dem Tisch standen Flaschen, wenige Gläser unterschiedlicher Form und Farbe und überquellende Aschenbecher.

»Ach, hi Ron. Lässt du dich auch mal wieder blicken? Alles gut bei dir?«

Ron grüßte einmal lässig in die Runde, zog seine Jacke aus und setzte sich in den geblümten Sessel, den er damals den ganzen Weg von Opa Schwuttkes Haus hierher in die Hütte getragen hatte. Sein Blick fiel auf ein altes Holzschild an der Wand, auf dem in ungelenker Schrift Erwachsenenfreie Zone geschrieben stand. Meine Güte, wie lang war das jetzt schon her? Tobias gab ihm ein Bier und reichte einen Joint an ihn weiter. »Schade, dass du zu unseren Treffen nicht mehr so oft kommst, Ron. Gehst du denn wenigstens manchmal noch zum Platz, wenn dein kleiner Bruder spielt?«

Ron setzte sich etwas aufrechter in seinem Sessel zurecht und streckte dann seine langen Beine wieder aus.

»Na ja«, antwortete er und zog an dem Joint, »er schießt zwar nie ein Tor, aber es tut ihm ganz gut, wenn ich zugucke.«

»Also, ich gehe auch ab und zu zum Platz – aber nicht, weil ich deinem kleinen Bruder zugucken will…«, warf ein Anderer mit einem Grinsen ein, und das vergnügte Raunen seiner Freunde zeigte ihm, dass sie verstanden, was er meinte.

»Schon klar…« Marvin klemmte seine Zigarette in den Mundwinkel und zeichnete mit beiden Händen eine kurvige Frauenfigur nach.

Ron grinste. »Habt ihr eigentlich auch mal irgendwas Anderes im Kopf?«

»Och, komm. Seit wann bist du denn so anständig? Die Trainerfrau ist ja wohl echt nicht schlecht.«

»Okay«, gab Ron zu, »da hast du recht.«

»Wäre die nichts für dich, Ron? Gönn sie dir doch. Du kriegst doch sonst auch jede rum.«

Anzügliches Lachen in der Runde. Ron sah sich um. Die Jungs hatten schon ganz schön was intus. Vielleicht sollte er besser gehen.

»Ja, genau! Ron legt die Trainerfrau flach und schickt uns ein paar Bilder…«

Das Lachen der jungen Männer wurde gieriger. Unruhe kam in die Gruppe.

»Echt, mach das doch!«

»Wär doch cool!«

»Kannst ja ein paar Bilder machen, wo man richtig was sieht.«

»Ich finde die gar nicht so toll«, bemerkte Tobias mit kritischer Kennermiene, »Mir ist sie zu dick.«

»Echt? Mir nicht!«

»Ja, die ist schon mollig. Aber irgendwie auch geil.«

»Die würde ich gerne mal nackt sehen.«

»Kannst du ja demnächst, wenn Ron Bilder macht.«

»Ne, lasst mal. Das muss echt nicht sein. Wenn ihr Mann dahinterkommt… Der versteht da bestimmt keinen Spaß.«

»Och, komm, jetzt enttäuschst du uns aber… Die geile Trainerfrau wär doch mal ein echtes Projekt. Du hast bestimmt Chancen bei der. Mit deiner schicken neuen Frisur siehst du ja schon fast aus wie so’n feiner Anzugträger.«

Ron strich sich etwas verlegen durch sein dichtes, dunkles Haar, das ein erstklassiger Friseur vor wenigen Tagen geschnitten hatte.

»Mal sehen.« Ron tat gelangweilt und wollte das Thema nicht länger verfolgen, doch den Gedanken, die Frau des coolen Fußballtrainers mit dem schicken Porsche ins Bett zu bekommen, fand er dennoch aufregend.

»Also abgemacht? Du und die Trainerfrau?«

»Du könntest sie ja am Spielfeldrand anbaggern.«

Ron lachte. »Wie stellt ihr euch das eigentlich vor? Soll ich mich vor sie stellen und sagen: ‚Hey Süße, hier bin ich!’ Ihr spinnt doch!« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.

»Komm, jetzt gib hier mal nicht den Klemmi. Wir wissen doch, wie du drauf bist. Oder waren die ganzen Storys nur Gelaber?« In Marvins Stimme schwang ein Hauch Gereiztheit mit.

»Bist du etwa neidisch, Marvin?« Ron warf ihm einen aufmerksamen Blick zu. Warum sagte er das? Wollte er ihn irgendwie als Maulhelden dastehen lassen? Schließlich konnte er nichts dafür, dass er die süße blonde Krankenschwester abschleppen konnte, hinter der Marvin so ewig lange vergeblich her gewesen war. Ron nahm mit geschlossenen Augen einen großen Schluck aus seiner Bierflasche und spürte die abwartenden Blicke der Anderen. Dann hob er beide Hände. »Okay, okay… Ich schau mal«, sagte er vage. Und dann, nach einer kleinen Pause: »Aber seht zu, dass Pascha nichts davon erfährt. Der bringt es fertig und steckt es ihrem Kerl. Den will ich lieber nicht zum Feind haben.«

»Pascha? Wer ist denn Pascha?«, fragte Oliver, der noch neu in der Clique war.

»Pascha heißt eigentlich Deniz, aber den kennst du noch nicht. Er ist der Boss der anderen Jungs.«

»Wieso nennt ihr ihn Pascha?« Leises Lachen, doch niemand antwortete.

»Das wirst du verstehen, sobald du ihn kennenlernst«, sagte Marvin mit einem bedeutsamen Blick in die Runde und nahm einen Schluck aus einer Wodkaflasche.

Plötzlich wurde die Tür von außen geöffnet. Ein Schwall kalter Luft wehte in den Raum. Im Türrahmen zeichnete sich die Silhouette eines großen, kräftigen Mannes ab.

»Hi Pascha.«

»Wenn man vom Teufel spricht und so…«, raunte Marvin leise.

Mit raumgreifenden Schritten durchquerte der Mann die Laube und setzte sich in einen knarrenden Ledersessel. Langsam blickte er in die Runde. Es war ganz still, die meisten jungen Männer blickten auf ihre Schuhspitzen. Ron sah ihm direkt ins Gesicht.

»Na, Co–Trainer? Alles klar?« Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen. »Eigentlich habt ihr die Hütte hier doch freitags.«

Pascha, der eigentlich Deniz hieß, erwiderte sein Lächeln nicht.

»Ach, Ron… Welch hoher Besuch. Ich suche nur meinen Pullover, wenn’s recht ist.«

Niemand lachte, niemand sprach, niemand schien zu atmen.

Ron lehnte sich zurück, schloss die Augen und setzte seine Bierflasche an die Lippen. Deniz griff nach einem Pullover, der als schwarzes Knäuel in einer Sofaecke lag, verließ wortlos die Hütte und warf die Tür ins Schloss. Oliver atmete hörbar aus. »Und das war jetzt also Pascha?«

»Jep. Weißt du Bescheid, ne?«

Ron drückte den Joint im Aschenbecher aus. Es war eine Schnapsidee gewesen, hier überhaupt aufzukreuzen. Er stand auf und griff nach seiner Jacke. »Ich hau dann mal ab. Bis dann.« Plötzlich hatte er es eilig, an die frische Luft zu kommen.

Er schloss die Tür hinter sich und zog sich seine Jacke an. Die kühle Stille der Nacht machte ihn wach und frisch.

Sein Atem bildete Wölkchen vor seinem Gesicht. Er blickte hinauf in den sternklaren Nachthimmel. Er gehörte nicht mehr hierher. Mittlerweile war er anders als sie. Ob es gut war? Wer konnte das schon sagen? Fröstelnd knöpfte er seine Jacke zu, stellte den Kragen hoch und ging langsam und ernst durch den stillen Stadtteil nach Hause. Doch bei dem Gedanken an die hübsche Trainerfrau lächelte er.

Am anderen Ende der Stadt lag Ben noch lange wach an diesem Abend. Vielleicht sollte er den ganzen Scheiß mit dem Fußball einfach sein lassen. Aber dann würde er noch mehr dastehen wie ein absoluter Loser. Dreimal in der Woche ging er zum Krafttraining und an den anderen Tagen joggte er mit verbissener Regelmäßigkeit. Eigentlich machte es ihm wenig Freude. Irgendeiner meckerte immer an ihm herum: Ben, du bist zu lahm… Ben, du bist zu hektisch… Deine Pässe sind zu kurz… zu lang… ach, alles einfach nur Scheiße!

Ben seufzte in der dunklen Einsamkeit seines Zimmers.

Nicht einmal sein Körper gönnte ihm Erfolgserlebnisse. Sein blässlicher, schmaler Brustkorb wollte sich einfach nicht in einen sportlichen Sixpack verwandeln – trotz Laufen und Krafttraining. Er war und blieb eine Lusche.

Wenn er dagegen Deniz, den Co–Trainer, und die Jungs aus der Mannschaft sah… braungebrannt und kräftig, cool und angesagt…

Ben seufzte wieder.

Er hatte einmal versucht, mit seinem Bruder Ron darüber zu reden. Aber der hatte nur halb hingehört. Irgendwie war er sowieso meistens geistig abwesend, seit er auf seinem Bildungstrip war und irgendwelche Kurse im Internet belegte. Aber er könnte ihn wahrscheinlich ohnehin nicht richtig verstehen. Seine Probleme waren Ron fremd. Warum konnte er nicht so aussehen wie Ron? Und warum war er nicht so clever? Da konnte Ron tausendmal sagen, dass er ihm von hinten ähnelte, den gleichen Gang hatte und außerdem mindestens genauso clever war wie er. Ben glaubte ihm kein Wort.

Seine Eltern spürten sein Unglück, und sie versuchten ihn oft zu trösten.

»Mach dir nichts draus«, sagten sie dann, »du bist dafür einer von uns geblieben.«

Was sie damit nur meinten?

Und jetzt hatte ihn der Trainer nochmal so richtig in die Fresse gehauen. Er saß nächsten Samstag bei dem Fußballturnier nicht einmal auf der Reservebank.

Ben war ziemlich ruppig vom Trainer und von Deniz und den Anderen abgebügelt worden, als er vorsichtig argumentierte.

»Aber ich war doch immer beim Training und hab mich so reingehängt…«

»Reinhängen reicht eben nicht.«

Und damit war das Thema für die Anderen erledigt. Er sollte stattdessen am Bierstand helfen.

»Jeder das, was er kann.«

Deniz und seine Jungs lachten und der Trainer sagte nichts dazu. Einfach nichts.

3

Das Frühlingsturner der Fußballjugend des TuS Concordia war für Charlotte auch eine Art berufliche Veranstaltung. Viele der kleinen Fußballspieler, deren Stulpen an den dünnen Beinen irgendwie zu groß wirkten, gingen in ihre Klasse. Von den älteren Spielern waren viele irgendwann einmal in ihre Klasse gegangen.

Jedes Jahr hörte sie fast die gleichen Sätze:

»Hallo, Frau Buchbinder.« »Auch wieder hier, Frau Buchbinder?« »Ja, Frau Buchbinder, so ist das, wenn man die Trainerfrau ist… » »Kennen Sie mich noch, Frau Buchbinder? Die Grundschulzeit ist ja jetzt so lange schon vorbei. Sie müssten mal sehen, wie unser Jonathan sich gemacht hat!«

Charlotte lächelte freundlich, gab die eine oder andere Bemerkung zurück und schaffte es, im Gespräch mit Müttern ehemaliger Schüler, an die sie sich nicht mehr oder nur schwach erinnern konnte, so vage zu bleiben, dass man ihr Erinnerungslücken nicht anmerkte.

Äußerlich gab sich Charlotte an diesem Turniertag immer viel Mühe. Das hatte allerdings weniger mit ihren Schülern zu tun. Sie war halt die Frau des gutaussehenden Trainers – und sie wusste (bei Licht besehen war das auch das wichtigere Argument), dass man sie durchaus kritisch beäugte. Also hatte sie alle Register gezogen und sich so gestylt, dass die anderen Frauen gerade eben nicht gegen sie eingenommen wurden.

In diesem Jahr trug sie ein kurvenfreundliches Wickelkleid aus der Kollektion einer sympathischen jungen Designerin, deren kleinen Laden sie in Düsseldorf bei einem ihrer Bummelnachmittage entdeckt hatte. Billig war das Kleid nicht gewesen – wer hat, der hat. Und einen ziemlich tiefen Ausschnitt hatte es auch – na ja, auch hier hat, wer hat.

Selbst Carsten machte große Augen, als sie heute in diesem Kleid am Frühstückstisch auftauchte. Auch jetzt, als er auf dem Gelände des Sportplatzes herumlief, Leute begrüßte und die eine oder andere Sache zu besprechen hatte, sah er immer wieder zu ihr hinüber. Charlotte straffte die Schultern und genoss seine Blicke. Sie waren ein wortloses Kompliment ohne den kleinen begleitenden Stachel, den Carsten sonst so gerne setzte.

Mittlerweile war das Turnier in vollem Gange. Charlotte konzentrierte sich nicht auf das Geschehen auf dem Spielfeld, denn eigentlich interessierte sie sich gar nicht dafür. Nur mit einem Ohr hörte sie, wie Carsten die Spieler seiner Mannschaft vom Spielfeldrand anfeuerte. Während die meisten zuschauenden Eltern nur vereinzelt wohltemperierte Anfeuerungsrufe an die Mannschaft richteten, stand Carsten vollkommen unter Dampf. Mit hochrotem Kopf, lauter Stimme und intensiver Körpersprache versuchte er den Jungen zum Sieg zu verhelfen. Charlotte zog die Schultern leicht ein, als wolle sie sich unsichtbar machen, und verschwand in Richtung Getränkestand. Dort war Carsten nicht mehr zu hören.

Es war ein warmer Frühlingstag, und die Leute hatten offenbar ordentlich Durst. Hinter dem improvisierten Tresen lief ein blasser,schmaler Junge geschäftig hin und her. Mit geübtem Griff öffnete er Flaschen und kassierte. Charlotte lächelte ihm freundlich zu.

»Hallo Ben«, sagte sie, »Heute nicht auf dem Platz?«

Ben zuckte wortlos mit den Schultern, und Charlotte ärgerte sich über ihre achtlos hingeworfene Bemerkung. Natürlich… Das sah Carsten wieder ähnlich. Sicher, Ben war kein Leistungsträger in der Mannschaft, aber sie war sicher, dass Carsten ihm das wieder mit ausgesuchter Diplomatie beigebracht hatte. Carsten war sehr direkt und impulsiv, was ihm nicht immer Sympathiepunkte einbrachte. Wenn sie ihn früher darauf angesprochen hatte, kam als Antwort meistens »So bin ich halt. Und wer damit nicht klarkommt, hat eben Pech gehabt.« Irgendwann hatte Charlotte aufgegeben, ihm zu erklären, dass eben auch der Ton die Musik macht. Ob sie vielleicht nicht hätte aufgeben sollen? Charlotte verscheuchte den Gedanken.

»Aber du machst das echt toll hier«, lobte sie den Jungen in der Hoffnung, ihn dadurch etwas aufzubauen.

»Wenigstens das kann ich.« Ben versuchte ein dünnes Lächeln.

»Ach wat, Junge, ohne dich könnten die hier einpacken!« Helmut Piechalla, der Platzwart und guter Geist des TuS Concordia klopfte Ben väterlich auf die Schulter. »Und weißte wat? Wenn et nachher ruhiger wird, geb ich uns ne Bratwurst aus.« Er gab Ben einen freundschaftlichen Klaps und zwinkerte Charlotte fast unmerklich zu.

Charlotte stellte sich mit einem Becher Limonade in eine ruhige Ecke und sah aufs Spielfeld, ohne dem Fußballspiel wirklich zu folgen. Ein ziemlich großer junger Mann trat neben sie, nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche und schien in das Geschehen auf dem Platz vertieft zu sein. Charlotte nippte an ihrer Limonade und sah ihn von der Seite an. Er sah sehr gut aus und hatte eine körperliche Präsenz, die sie verlegen machte. Schnell wandte Charlotte ihren Blick ab und konzentrierte sich auf das Fußballspiel. Kurz darauf hatte sie das Gefühl, dass er sie verstohlen musterte. Sie sah ihn wieder an. Er wandte sich ihr zu, und sie fühlte sich seltsam ertappt. Er lächelte sie an und hielt ihren Blick fest.

»Hi, ich bin Ron.«

»Und ich Charlotte.«

»Freut mich.«

‚Wie schafft er es, diese zwei kleinen Worte erotisch klingen zu lassen?’, dachte Charlotte verwundert. Sie unterhielten sich über das Wetter, den Frühling und das Turnier. Aber die Gesprächsthemen waren Charlotte ziemlich egal. Ihr Blick fing sich in seinen graubraunen Augen, seinem charmanten Lächeln und glitt an der aufregenden Silhouette seines Körpers entlang. Es gab nur zwei Fragen, die sie gedanklich beschäftigten: Was ist bloß los mit mir, dass so ein junger Kerl mich von einem Moment zum anderen dermaßen nervös macht? Und: Ob ich ihn vielleicht irgendwann mal wiedersehe?

Am Ende belegte Carstens Mannschaft einen enttäuschenden fünften Platz. Daran ist wenigstens Ben nicht schuld, dachte Charlotte boshaft, als sie und Carsten auf dem Heimweg waren.

Carsten hatte irgendein schauderhaftes Heavy Metal Stück angeklickt, aber Charlotte hütete sich, etwas dazu zu sagen. Wenn Carsten schlechter Stimmung war, legte er immer Heavy Metal auf.

Carsten kochte innerlich. Sein Gesicht war angespannt, und er schaltete und bremste grob und fahrig.

»Nun lass doch mal das Auto! Es kann doch nichts dafür«, entfuhr es Charlotte.

»Okay.« Carsten räusperte sich und stellte die Musik leiser. »Du hast ja recht.« Er streichelte sie kurz mit seiner rechten Hand. »Aber ich habe so intensiv mit den Jungs trainiert – und jetzt das.«

Zu Hause ging Charlotte rasch ins Bad, zog sich aus und stieg unter die Dusche. Mit geschlossenen Augen genoss sie das warme Wasser auf ihrer Haut, den Duft des Duschgels, die Zeit für sie allein. Plötzlich öffnete sich die gläserne Schiebetür zur Dusche und Carsten kam hinein.

»Hast du mich erschreckt!« Charlotte zuckte zusammen.

»Tut mir Leid wegen eben«, murmelte er und nahm sie in die Arme. Er war nur wenig größer als Charlotte, sein Körper war kräftig und muskulös. Sie schmiegte sich an ihn, fand es erregend, wie ihre Brustwarzen seine behaarte Brust berührten. Er umfasste sie fester und drückte sich gegen sie, rieb sich leicht an ihr. Charlotte spürte sein Verlangen und drängte sich ihm entgegen. Er steigerte ihre Erregung mit den gekonnten Berührungen des erfahrenen Liebhabers und genoss es, mit ihrem Körper Katz und Maus zu spielen. Dabei beobachtete er ihre Reaktionen mit einem gewissen Kalkül, ließ sich selbst nicht fallen. Er reizte sie bis kurz vor dem Höhepunkt, ließ sie wieder etwas abkühlen und begann von vorn. Fast gegen ihren Willen brachte er ihren Körper an die Grenze zwischen Lust und Schmerz. Er lachte leise in ihr Ohr, als sie laut aufstöhnte.

Dann stützte er sich mit der linken Hand an der Wand der Dusche ab, umfasste ihre Hüften mit dem anderen Arm. Sie spreizte ihre Schenkel; er ging leicht in die Knie und glitt in sie. Der Rhythmus seiner Stöße war schnell und hart.

»Du geiles Luder…« Carsten atmete schwer. »Du machst mich wild.« Charlotte schloss die Augen.

Als sie einige Zeit danach im Bademantel vor dem Kamin im Wohnzimmer saßen, legte Carsten einen Arm um sie und angelte mit dem anderen nach der Fernbedienung des Fernsehers. Kurz darauf erschien das Symbol des Streaming–Dienstes. Charlotte sagte nichts. Gut sieht er aus, dachte sie. Und er bringt mich im Bett tatsächlich zum Schreien. Aber trotzdem… Sie nahm die Sofadecke und wickelte sie um ihre Schultern, lehnte sich zurück und dachte an den folgenden Morgen: Sachunterricht in der 3b. Sie hatte einen Obstkorb zusammengestellt und wollte mit den Schülern zusammen Obstsorten besprechen und zum guten Schluss das mitgebrachte Obst essen. Den darf ich nicht zu Hause vergessen, dachte sie noch, bevor sie – trotz der lautstarken Verfolgungsjagd in Carstens Actionfilm – einnickte.

4

Als sie sich in der großen Pause einen Kaffee einschenkte, der so aussah, als könne man ihn in Scheiben schneiden und hochkant in der Pfanne braten, trat ihre Kollegin Manuela neben sie. Manuela und sie kannten sich schon ewig. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, hatten zusammen studiert und vor gut dreizehn Jahren zusammen als Referendarinnen an der Schule angefangen. Ihre Beziehung war enger, als sie es bei vielen leiblichen Schwestern war.

»Na, haben sie dich geschafft?«, fragte Manuela leise.

»Ach, ich hatte gerade die 3b. Du weißt schon… Heute war das Thema Obst dran. Ging alles prima, bis Gwen–Charlene anfing, mit ihren Weintrauben herumzuwerfen. Aber es geht schon.« Charlotte lächelte schwach, strich sich eine Strähne aus der Stirn und sah Manuela an. »Du siehst aber auch nicht gerade rosig aus.«

Manuela lächelte etwas verlegen und drehte ihre Kaffeetasse in den Händen.

»Tja, das kommt am Anfang vor…«

Charlotte begriff nicht sofort, was sie meinte, aber als Manuela sie direkt darauf mit strahlenden Augen ansah, wurde ihr klar, was sie ihr eigentlich sagen wollte. Es traf Charlotte mit aller Wucht. Sie setzte die Kaffeetasse ab und sah Manuela entgeistert an.

»Was guckst du denn so? Das ist doch schön!«

Manuela war irritiert. Sie hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet. Charlotte und sie hatten oft über das Thema Kinder gesprochen, und beide waren einig darüber gewesen, dass sie Kinder wollten und es den absolut perfekten Zeitpunkt dafür nicht gibt. Vor allem Charlotte fand immer wieder Gründe dagegen, während Manuela schon täglich ihre Basaltemperatur maß und auf das große kleine Wunder wartete. Nun war es endlich soweit – kein bisschen zu früh, wie sie fand. Immerhin wurde sie bald 37.

»Ach, es hat mich nur überrascht.« Charlotte gewann ihre Fassung schnell wieder.

»Und bei dir?«, hakte Manuela nach.

»Ach…« Charlotte klang ausweichend. »Carsten meint…«

»Carsten, Carsten…! Was meinst du denn, Charlotte?«

Eine Kollegin, die in der Nähe stand, sah zu ihnen herüber. Manuela räusperte sich. »Sorry, ich…«, fuhr sie leiser fort, »Also, ich finde einfach, du solltest mal klarer sagen, was du möchtest. Das ist ja nicht nur beim Thema Baby so. Charlotte, niemand kann in dich hineinsehen. Wenn du Carsten nicht klar sagst, was du willst, kann das nicht gutgehen. Und mach dich nicht so klein, es geht doch immer auch genauso um dich!«

»Ach, was du immer hast.« Charlotte verschränkte die Arme vor der Brust.

Zu ihrer Erleichterung klingelte es.

Jetzt gab es Sport mit der 3b, also unter anderen mit Gwen–Charlene, Frederic–Anton und Shanaaja. Auch keine echte Erleichterung, dachte Charlotte und seufzte.

»Manuela ist übrigens schwanger«, bemerkte sie bemüht beiläufig, als sie am Abend mit Carsten beim Essen saß.

Carsten sah sie forschend an.

»Willst du mir damit was sagen, Charlotte?«

Charlotte knetete die Krume der Scheibe Baguette auf ihrem Teller zu einer kleinen Kugel und zuckte mit den Schultern.

»Ich bin fast 37.«

»Das ist doch heute gar kein Alter! Ich finde, wir sollten unser Leben noch genießen.«

Charlotte seufzte und stocherte in ihrem Salatteller.

»Du tust ja gerade so, als ob man mit Kind tot wäre…«

»Klar«, antwortete er mit einem frechen Grinsen, »keine Zeit, kein Schlaf, kein Sex, Chaos in der Bude und eine Frau mit einer ruinierten Figur. Super!«

»Du siehst das viel zu schwarz. Das muss doch gar nicht so sein.«

Carsten lachte. »Weiß ich doch, das war ein Witz. Du würdest das gut hinkriegen, oder? Auf dich könnte ich mich verlassen.«

Er griff zu seinem Bierglas und nahm einen Schluck.

»Na klar«, sagte Charlotte leise und räusperte sich.

5

Schon den ganzen Nachmittag arbeitete Charlotte im Garten. Sie trug einen alten Blaumann, der einmal Carsten gehört hatte, und Gummistiefel mit bunten Tupfen. Ihre langen Haare hatte sie mithilfe eines pinkfarbenen Gummibandes zusammengebunden. Sie war ziemlich verdreckt, weil sie fast die ganze Zeit in der Erde gewühlt hatte. Charlotte hatte keinen besonders grünen Daumen, aber sie hatte gern, wenn es rund ums Haus grünte und blühte. Vor allem Sommerblumen in leuchtenden Farben hatten es ihr angetan. Jedes Jahr – traditionsgemäß pünktlich nach der »Kalten Sophie« – kaufte sie Sommerblumen in allen Formen und Farben und pflanzte sie in alle Behältnisse, die sie im Gartenhäuschen über den Winter stapelte. Leider konnte sie nicht mehr alle Pflanzentöpfe verwenden, weil sie im vorangegangenen Jahr, auf Carstens Wunsch hin, einen Garten in modischer Nüchternheit hatten anlegen lassen. Charlotte war nicht ganz glücklich mit den geometrischen Flächen und versuchte, im Rahmen der Möglichkeiten freundlich blühende Unordnung in den Garten zu bringen. In diesem Jahr hatte sie sich eine Sinfonie aus Rosatönen und Weiß mit ein paar blauen Akzenten vorgestellt. Kisten voller Blumen, die sie in Holland gekauft hatte, blockierten den Bürgersteig. Sie war kurz davor, ihr Werk zu vollenden, als ihr ausgerechnet für den großen Terracottakübel, dem sie neben der Hollywoodschaukel einen besonders schönen Platz geben wollte, die Geranien ausgingen. So ein Mist, dachte sie, jetzt muss ich extra nochmal in die Gärtnerei fahren. Schnell räumte sie ihre Utensilien am Terrassenrand zusammen, holte ihren Schlüssel und ging zu ihrem Auto. Sie beeilte sich, weil sie fertig sein wollte, bevor Carsten aus dem Büro kam.

Die Blumenabteilung war nicht mehr gut sortiert. Die verschiedenen Paletten mit den unterschiedlichen Sommerblumen waren fast leer. Nur wenige schöne Exemplare waren noch dabei. Fast wollte Charlotte schon gehen, als sie hinter sich eine Stimme hörte.

»Na, heute siehst du ja großartig aus.« Das Amüsement in der Stimme war unüberhörbar.

Um Zeit zu gewinnen, drehte Charlotte sich langsam um.

»Wie bitte?«

»Ach, komm. Jetzt tu mal nicht so, als würdest du mich nicht erkennen. Ich habe dich ja auch erkannt – auch wenn du nicht ganz so toll aussiehst wie auf dem Fußballplatz.« Er lachte und trat einen Schritt auf sie zu. Charlotte sah, dass er ein dunkelgrünes Polohemd mit dem Logo der Gärtnerei trug.

»Oh ja«, sagte Charlotte schnell, »Jetzt erkenne ich dich.« Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

»Das nehme ich mal an«, antwortete er vergnügt, »Aber wie ist das mit dir? Läuft der Prozess gegen deinen Stylisten noch?«

Seine lachenden Augen hielten ihren Blick fest.

Charlotte wurde siedend heiß. Meine Güte, ist das peinlich!

Ich sehe aus wie eine Fünfjährige im Sandkasten.

Sie strich mit beiden Händen ihren Overall glatt und richtete sich kerzengerade auf.

»Ich sehe ja nicht immer so aus. Ich… ich kann auch ganz normal aussehen.«

»Das weiß ich… », murmelte der junge Mann und ließ seinen Blick ungeniert über ihren Körper wandern, dessen üppige Kurven von dem etwas zu engen Overall betont wurden.

Charlotte wehrte sich nicht gegen seinen Blick, war eher stolz darauf, dass er sie anscheinend attraktiv fand. Sie ertappte sich dabei, dass sie den Reißverschluss ihres Overalls ein winziges Stück öffnete. Jetzt bin ich ja wohl vollkommen verrückt geworden, dachte sie erschrocken und konnte sich gleichzeitig nicht von seinem Blick losreißen. Noch nie hatte sie einen Mann mit solchen Augen gesehen: warm, samtig und dennoch kühl und klar, die Farbe eine exakte Mischung aus Grau und Braun. ‚Was steht wohl als Augenfarbe in seinem Pass?‘, fragte sie sich.

Schnell räusperte sie sich.

»Haben Sie rosa Geranien?«, fragte sie mit einer Stimme, die ihr selbst piepsig vorkam.

»Im Moment nicht«, antwortete er langsam. Dann kramte er in seiner Hosentasche herum und zog eine Visitenkarte der Gärtnerei und einen Kugelschreiber hervor. Schnell notierte er etwas darauf. »Aber du kannst mich gerne mal anrufen und nachfragen.«

Mit einem leichten Zwinkern überreichte er ihr seine Karte.

Charlotte nahm sie entgegen und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Wollte er sie schnell loswerden, oder war das eine Einladung zu weiterem Kontakt?

Sie lächelte etwas unsicher, drehte sich um und ging so graziös, wie es in Gummistiefeln möglich war, davon.

Erst im Auto warf sie einen Blick auf die Karte.

In geschwungenen Buchstaben stand dort »Ich würde dich gerne wiedersehen. Ron«, gefolgt von einer Handynummer.

Charlotte steckte die Karte ins Handschuhfach und schloss schnell die Klappe, als wäre die Karte ein Insekt, das herausflattern könnte. Minutenlang starrte sie auf das geschlossene Handschuhfach. Dann riss sie es förmlich auf, holte die Karte heraus und warf sie aus dem geöffneten Fenster. Sie steckte den Zündschlüssel ins Schloss und sah sich im Rückspiegel ins Gesicht. Ganz plötzlich sprang sie aus dem Auto und suchte den Boden mit den Augen ab. Wo war jetzt bloß die blöden Karte? Sie ging auf die Knie und sah unter dem Auto nach. Da war sie! Sie ging so weit wie möglich mit ihrem Oberkörper unters Auto und angelte nach der Karte.

»Haben Sie Probleme mit dem Auto?«

Charlotte zuckte zusammen. Sie kannte diese Frauenstimme. Auch das noch! Langsam krabbelte sie wieder hervor und versteckte die Karte schnell in ihrem BH.

»Ach nein, ich hatte nur etwas verloren…«

Vor ihr stand eine elegant zurechtgemachte Frau mit einer Hortensie im Arm. Charlotte lachte verlegen und wandte sich an das kleine Mädchen, das neben der Frau stand.

»Na, Gwen–Charlene, gehst du gern mit deiner Mutter Blumen kaufen?« Und zur Mutter gewandt sagte sie: »Wir sehen uns ja dann bald auf dem Elternabend.«

Als Charlotte zu Hause ankam, stand Carstens Auto schon vor der Garage. Sie ging ins Haus und zog sich schon in der Diele ihren Overall aus. Dabei fiel die etwas zerknitterte Visitenkarte auf den Boden. Schnell hob sie sie auf und steckte sie in ihre Handtasche, die an der Garderobe hing.

Nach einer kurzen Dusche ging sie hinaus zu Carsten, der bei einem Bier auf der Terrasse saß. Sie räumte mit wenigen Handgriffen die Gartenutensilien zur Seite und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Na du, schon Feierabend?«

»Und wie«, antwortete Carsten mit einem Lächeln in der Stimme, »Es gibt etwas zu feiern. Ich finde, wir sollten irgendwohin fahren, wo es so richtig schön ist.«

Charlotte sah ihn fragend an.

»Ich hab‘s geschafft, Charlotte! Vor dir sitzt der zukünftige Abteilungsleiter.«

Charlotte freute ich ehrlich mit ihm.

»Dann hat sich die ganze Arbeit ja gelohnt! Ich mach mich nur noch ein bisschen schön.«