Der Weg der Steine - Hans-Joachim Haake - E-Book

Der Weg der Steine E-Book

Hans-Joachim Haake

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Beschreibung

Konrad Schatz, der Bewohner eines Braunschweiger Altenheimes wird vermisst. Der Privatermittler Tobias Blank wird von einigen Mitbewohnern mit der Suche beauftragt. Noch bevor es brauchbare Hinweise zum Verbleib des Vermissten gibt, wird der Leichnam eines alten Mannes im Stadtpark gefunden. Die Indizien sprechen dafür, dass es sich um den gesuchten Senior handelt. Doch in diesem Fall irrt der Ermittler. Der für tot gehaltene Konrad Schatz taucht quietschfidel wieder auf. Stattdessen wird ein zweiter Rentner vermisst. Die Suche beginnt erneut und führt Tobias Blank zu Ereignissen, die zwanzig Jahre zurückliegen.

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Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Hans-Joachim Haake

Der Weg der Steine

Eine Detektivgeschichte aus der Zeit, als Schulterpolster und Glitzerlook angesagt waren

© 2017 Hans-Joachim Haake

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback 978-3-7439-8248-2

Hardcover 978-3-7439-8249-9

e-Book      978-3-7439-8250-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

An dieser Stelle möchte ich

mich bei meiner geliebten

Frau Gerda bedanken, die

mich auch bei dieser

Geschichte mit Rat und Tat

unterstützt hat

Es war keine Bitte, sondern eher ein Hilferuf, der Blank in die erst kürzlich eingerichtete Geschäftsstelle in Niedersachsens zweitgrößte Stadt führte.

Miko hatte absichtlich einen Mitarbeiter eingestellt, der aus Braunschweig stammte. Der neue Kollege hieß Gerald Böhm. Dass er noch relativ unerfahren war, spielte eine untergeordnete Rolle. Der Mann sollte nur die bereits bestehenden Geschäftsverbindungen in der Stadt pflegen. Neue Kunden anwerben oder Aufträge annehmen, gehörte nicht zu seinen Aufgaben.

Das schien aber passiert zu sein.

Daher sollte Blank nach dem Rechten sehen. Hannover und Braunschweig lagen nur eine Fahrstunde auseinander. Blank war schon oft die A2 in östlicher Richtung entlang gefahren. Doch an den Abfahrten, die in die Stadt Heinrichs des Löwen führten, war er meistens vorbei gefahren. Mit anderen Worten, Tobias Blank, Mitinhaber des Sicherheitsbüros Mikos mit Geschäftssitz in der Landeshauptstadt Hannover, kannte sich in Braunschweig nicht aus. Es dauerte daher eine Weile, bis Blank den Hinweisen seines Partners folgend, sein Ziel fand. Das Büro befand sich im ersten Stock eines Geschäftshauses am Hagenmarkt. Der Platz lag mitten in der Stadt. Für Fußgänger gut zu erreichen. Aber Parkplätze in der Nähe waren Mangelware. Zumindest für jemanden der sich in der Stadt nicht auskannte.

Der junge Kollege war mehr als begeistert, als Blank kurz vor zwölf im Büro erschien und sich vorstellte.

„Danke, dass Sie es einrichten konnten“, sagte der Mitarbeiter sichtlich erfreut, „ich wusste mir keinen Rat mehr, wie ich die aufdringliche Person abwimmeln sollte“, erklärte der Kollege aufgeregt, wobei er nervös auf die Uhr schaute.

Blank ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er schaute sich in dem geräumigen Einraumbüro um. Vor einem der zwei Fenster stand ein Schreibtisch. Davor luden Besuchersessel zum Sitzen ein. An der rechten Wand, vom Schreibtisch aus betrachtet, stand ein mittelhoher Aktenschrank. Auf der anderen Seite war quasi als Raumteiler eine Reihe mit Grünpflanzen aufgestellt.

Dahinter waren weitere Sessel und ein Tisch zu sehen. An der anderen Wandseite hatte sich der Kollege eine Kochnische mit Kaffeemaschine eingerichtet. Blank meinte auch einen Kühlschrank zu erkennen und er fragte: „Haben Sie den Raum eingerichtet?“

Im ersten Moment wirkte der junge Kollege verunsichert. Er wusste wohl nicht so recht, wie die Frage gemeint war.

Blank half ihm aus der Bredouille.

„Auf der einen Seite funktionell, aber auch mit einer persönlichen Note versehen. Sie haben eine gute Mischung gewählt. Ihr Geschmack gefällt mir.“

Die anfängliche Unsicherheit schien verflogen zu sein.

Der Kollege wirkte schon wesentlich entspannter. Genau das hatte Blank beabsichtigt.

„Ehrlich gesagt hat meine Schwester ein wenig geholfen“, gestand der Mitarbeiter.

Blank nickte anerkennend und kam auf den Grund seiner Anwesenheit zu sprechen: „Dann berichten Sie mal, wo der Schuh drückt, Herr Böhm.“

„In den letzten Tagen hat mich fast jeden Tag eine ältere Dame aufgesucht“, erklärte der offenbar genervte Mitarbeiter.

„Hat sie gesagt, was sie möchte?“, wollte Blank wissen.

„Sie möchte unbedingt mit einem verantwortlichen Detektiv sprechen. Mir wollte sie keine weiteren Angaben mitteilen. Die Erklärung, dass wir von Privatpersonen keine Aufträge annehmen, wollte sie nicht gelten lassen.“

„Das ist in der Tat ungewöhnlich. Wie heißt die Dame?“, fragte Blank weiter.

„Auch das wollte sie mir nicht sagen. Sie hat allerdings angekündigt, noch einmal vorbei zu kommen“, antwortete der Kollege, „deshalb bin ich erleichtert, dass Sie hier sind.“

„Dann wollen wir mal hoffen, dass sie ihre Ankündigung auch wahr macht.“

„Ich könnte mir etwas Angenehmeres vorstellen“, meinte der Kollege.

„Na so schlimm wird es schon nicht werden.“

„Also, mir reichen die bisherigen Auftritte.“ Im Gegensatz zu dem Mitarbeiter war Blank jetzt erst richtig gespannt auf die Person.

Lange musste er nicht warten.

Die Glocken der nahe gelegenen Kirche läuteten zur Mittagsandacht, als es an der Tür klopfte.

Geduld schien nicht die Stärke des Besuchers zu sein. Das Klopfgeräusch war kaum verklungen, da wurde die Tür auch schon aufgestoßen.

„Oh! Endlich ein neues Gesicht“, stellte die ältere Dame fest. In ihrem faltigen Gesicht war nicht abzulesen, ob sie sich darüber freute. Es war einfach nur eine Feststellung.

So allmählich begriff Blank, wieso der Kollege einer weiteren Begegnung mit Sorge entgegensah.

Bereits nach wenigen Sekunden sorgte die ungewöhnliche Ausstrahlung der Seniorin für eine spannungsgeladene Atmosphäre.

Es lag nicht nur daran, dass die hochgewachsene Frau die Männer um eine Kopflänge überragte, sondern auch an ihrem selbstbewussten Auftreten, der Respekt einforderte.

„Sie sind hoffentlich kompetenter als Ihr Kollege“, sagte die Frau mit einer durchaus sanften Stimme. Doch der Tonfall täuschte. Die dominante Person schien genau zu wissen, was sie wollte.

Blank noch nicht, daher fragte er charmant: „Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuchs?“

„Haben Sie in dieser Firma etwas zu sagen?“, wollte die resolute Dame zunächst wissen.

„Ich bin einer der Geschäftsführer. Mein Name ist Blank. Tobias Blank“, stellte er sich vor.

„Das ist gut“, stellte sie fest und fragte weiter: „Sie kommen aus Hannover?“

„Das trifft zu.“

„Gut. Das ist sogar sehr gut“, stellte die Besucherin wiederholt fest, „dies Büro ist erst kürzlich hier in Braunschweig eröffnet worden?“

„Vor drei Wochen“, antwortete Blank.

Er wagte, seinerseits zu fragen: „Wieso ist das für Sie wichtig?“

„Wir können niemandem in der Stadt vertrauen“, antwortete die Frau kurz angebunden.

„Gibt es konkrete Verdachtsmomente für dieses Misstrauen?“, fragte Blank weiter.

„Darüber kann ich noch nicht sprechen“, sagte die ältere Dame ausweichend.

Blank bohrte weiter nach.

„Sie müssen mir schon mitteilen, was Sie bedrückt. Wie soll ich sonst beurteilen, ob und wie wir Ihnen helfen können.“

„Sie werden es zu gegebener Zeit erfahren. Zuvor müssen Sie mir versprechen, uns zu helfen.“

Diese Aufforderung widersprach allen Gepflogenheiten. Das stellte Blank auch fest.

„Ich kann Ihnen doch nicht etwas versprechen, ohne zu wissen, um was es eigentlich geht. Es tut mir leid gnädige Frau. Wenn Sie unseriöse Zusagen einfordern möchten, sollten Sie sich an jemand anderes wenden. Bei uns sind Sie an der falschen Adresse.“

Die Frau ließ sich noch nicht in die Karten schauen. Sie stellte jedoch fest.

„Nichts anderes habe ich erwartet. Insofern bin ich genau an der richtigen Stelle.“

„Sie sind nicht leicht zu durchschauen“, erwiderte Blank lächelnd.

„Die erste Hürde haben Sie mit Bravour gemeistert. Ich denke, wir können ins Geschäft kommen“, sagte die Dame.

„Ich bin gespannt“, meinte Blank.

„Wir werden verfolgt, beobachtet, ausspioniert, oder wie man das auch immer nennen will“, sagte sie schließlich.

„Von wem fühlen Sie sich bedrängt?“, fragte Blank sofort nach.

„Das weiß ich nicht. Deshalb brauchen wir ja fachmännische Hilfe.“

„Wer sind überhaupt wir?“, wollte Blank nun wissen.

„Das möchte ich noch nicht sagen“, antwortete die geheimnisvolle Dame.

So werden wir nicht zusammenkommen, dachte Blank entmutigt. „Wenn Sie sich so unsicher fühlen, sollten Sie vielleicht doch eher die Polizei kontaktieren. In Fragen der allgemeinen Sicherheit sind Sie dort in den besten Händen.“

„Wir können uns nicht an offizielle Stellen wie die Polizei wenden. Noch weniger vertrauen wir den örtlichen Privatdetektiven, wie ich Ihrem Mitarbeiter bereits gesagt habe.“

Blank blickte den Kollegen Böhm fragend an.

„Ich habe daraufhin ebenfalls empfohlen die zuständige Behörde einzuschalten, da wir nur Aufträge von Geschäftsleuten annehmen“, erklärte der Kollege.

Grundsätzlich traf das zu. Doch es gab auch Ausnahmen. Insofern war Blank der richtige Ansprechpartner. Nur was die Besucherin bisher vorgebracht hatte, schien meilenweit entfernt von einem Auftrag zu liegen. Allerdings empfand Blank den Auftritt der alten Dame merkwürdig genug, um sich näher damit zu befassen. Sie stellte alle gültigen Regeln auf den Kopf. Das imponierte Blank, denn er hatte auch einen Hang zu unkonventionellen Vorgehensweisen.

„Ihren Wunsch nach Diskretion kann ich grundsätzlich nachvollziehen. Doch bei allem Verständnis. Irgendeinen Anhaltspunkt benötigen wir schon, wenn wir für Sie tätig werden sollen.“

„Können wir unter vier Augen sprechen?“, fragte die alte Dame unvermittelt.

„Wenn Sie darauf bestehen“, erwiderte Blank. Dabei blickte er den Mitarbeiter herausfordernd an.

Der Kollege verstand den Wink und er meldete sich in die Mittagspause ab.

Als sie allein waren, bot Blank der Dame einen Sitzplatz in der Besprechungsecke an.

Die heimelige Ecke ließ die Frau gesprächiger werden.

„Ich bin Elfriede Schreckenberger. Meine Freunde haben mich damit beauftragt, mit Ihrem Detektivbüro Kontakt aufzunehmen.“

„Wurden wir empfohlen oder weshalb sollte es ausgerechnet unser Sicherheitsbüro sein?“, wollte Blank wissen.

Die Antwort entsprach nicht ganz den Erwartungen.

„Ich bin eigentlich nicht so. Aber meine Leidensgenossen sind äußerst misstrauisch und trauen im Grunde niemanden. Deshalb sind wir auf der Suche nach jemandem, der über jeden Zweifel erhaben ist.“

„Ihre Hartnäckigkeit deutet darauf hin, dass Sie davon ausgehen so jemanden gefunden zu haben“, meinte Blank.

„Das weiß ich selbstverständlich noch nicht. Aber da Ihr Hauptgeschäftssitz in Hannover ist, spricht zumindest einiges dafür, dass Sie nicht mit dem örtlichen Klüngel unter einer Decke stecken.“

Die selbstbewusste Dame blieb bei den geheimnisvollen Andeutungen, sodass Blank weitere Details erfragen musste.

„Sie sprechen von Leidensgenossen. Hat dieser Ausdruck etwas mit den Problemen zu tun?“

Frau Schreckenberger konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen.

„Es hört sich schlimmer an, als es in Wahrheit ist. Wir bezeichnen uns nur so, weil uns das Schicksal aus ähnlichen Gründen zusammengeführt hat.“

„Wollen Sie mir auch die Namen der anderen mitteilen?“

„Ich könnte schon. Aber das sollen meine Freunde selber entscheiden, wenn wir uns denn einig werden.“

„Ihre sparsamen Andeutungen machen eine Entscheidung nicht einfach“, stellte Blank fest.

„Wer sagt denn, dass es einfach wird? Wenn Sie meinen, dass Sie der Sache nicht gewachsen sind, dann sagen Sie es lieber gleich.“

„Ich hätte durchaus Interesse, falls noch einige Hinweise folgen.“ Elfriede Schreckenberger schien einzusehen, dass sie Blanks Geduld lange genug strapaziert hatte.

„Meine Freunde und ich sind Ruheständler. Unterschiedliche Umstände haben dafür gesorgt, dass wir in einem städtischen Altenheim unser Dasein fristen.“

„Gehe ich recht in der Annahme, dass sie nicht ganz freiwillig in so einem Heim wohnen.“

„Wohnen trifft es wohl nicht so ganz. Es ist eher eine Verwahranstalt für alte und gebrechliche Personen, die versäumt haben, bei Zeiten für das Alter vorzusorgen oder alleine nicht mehr zurecht kommen und den Angehörigen zur Last fallen.“

„Das hört sich verbittert an“, meinte Blank irritiert.

„War es zunächst auch. Doch wir haben uns nicht damit abgefunden und das Beste daraus gemacht. Erst waren wir nur zwei. Mittlerweile sind wir eine eingeschworene Gruppe von vier Personen. Noch einigermaßen mobil und fit im Kopf. Viel bewirken können wir nicht, doch das eine oder andere konnten wir zu unseren Gunsten ändern. So müssen wir beispielsweise nicht mehr den ganzen Tag in unseren Zimmern vor uns hindösen, sondern haben durchgesetzt, dass wir uns auch außerhalb der Einrichtung frei bewegen dürfen.“

Blank war entsetzt.

„Das war vorher nicht möglich?“

„Die meisten Bewohner haben sich damit abgefunden, weil sie auf die Hilfe der Pflegekräfte angewiesen sind. Aber wie gesagt, ich und einige Gleichgesinnte wollen nicht nur auf die täglichen Mahlzeiten warten, sondern noch etwas unternehmen.“

„Wie muss ich mir diese Unternehmungen vorstellen?“, hakte Blank nach.

„Große Sprünge können wir nicht machen. Für die meisten geht die Rente fast vollständig für die Heimkosten drauf. Einige sind sogar auf Zuschüsse des Sozialamtes angewiesen. Im Grunde bleiben unter dem Strich nur ein paar Mark Taschengeld übrig. Es reicht aber, um hin und wieder ein Café zu besuchen, wo wir uns einen guten Bohnenkaffee und ein Stück Torte gönnen.“

„Dass Sie mit der geschilderten Situation nicht glücklich sind, kann ich verstehen. Doch wegen ihrer Freizeitgestaltung sind Sie vermutlich nicht zu uns gekommen.“

Frau Schreckenberger wirkte verärgert.

„Für Sie mag es sich wie eine Lappalie anhören. Doch wir wollen uns dieses Stückchen Selbstbestimmung nicht nehmen lassen. Es sind Bestrebungen im Gange, die darauf abzielen diese Bewegungsfreiheit einzugrenzen.“

„Welche Bestrebungen? Können Sie konkrete Angaben machen?“

„Das lässt sich nicht so einfach erklären. Aber wie würden sie es beispielsweise beschreiben, wenn ihnen das Taschengeld gekürzt oder ganz gestrichen wird.“

Blank schaute Frau Schreckenberger überrascht an.

„Das sollten Sie genauer erklären. Ich dachte, die Heimbewohner können eigenständig über ihr Geld verfügen.“

„Für einige trifft das zu. Doch die Senioren, die auf Zuschüsse angewiesen sind, also die überwiegende Mehrheit, ist auf das Wohlwollen der Heimleitung angewiesen. Die sorgt schon dafür, dass kaum etwas übrig bleibt, denn wundersamerweise steigen nach jeder Rentenerhöhung auch die Heimkosten.“

„Das ist bedauerlich. Aber daran wird sich wohl kaum etwas ändern lassen“, meinte Blank.

„Weil es noch niemand versucht hat. Meine Freunde und ich, wir sind fest entschlossen, diese willkürlichen Preiserhöhungen nicht länger hinzunehmen.“

„Das ist sicherlich ihr gutes Recht. Doch mir scheint, dass ihnen eher ein Rechtsbeistand helfen könnte. Ein Detektivbüro wird da wenig bewirken können.“

„Glauben Sie, daran hätten wir nicht auch schon gedacht. Das Problem liegt nicht an der Heimordnung und den Betreuungsverträgen, die wir alle unterschreiben mussten. Dabei wird sich nichts Unlauteres finden lassen. Dafür sind die Verantwortlichen zu vorsichtig. Es sind vielmehr die indirekten Kosten, die nicht genau geregelt sind. Hausmeister, Friseur, Putzpersonal und das Essen, um nur einiges zu nennen.“

„Ich sehe dennoch keine Ansatzmöglichkeiten für einen Detektiv“, stellte Blank fest.

„So ging es uns auch. Bis uns ein Zufall zu Hilfe kam. Ein Mitbewohner ist ungewollter Ohrzeuge eines Gesprächs geworden. Demnach scheint es zwischen der Heimleitung mit den Anbietern der zusätzlichen Betreuungsangebote heimliche Absprachen zu geben. Unser Hausgenosse hat nicht alles verstanden. Aber wir vermuten, dass mit dem Einverständnis der Heimleitung dem Sozialamt erhöhte Rechnungen eingereicht werden. Hier sehen wir eine Aufgabe für einen Detektiv. Erst wenn wir Beweise für die unlauteren Absprachen in Händen halten, könnte ein Anwalt eingeschaltet werden. Nun, was halten Sie von der Sache?“

Blank musste nicht lange überlegen. In der Tat gab es einige Ermittlungsansätze und nicht zuletzt wollte er den Senioren helfen.

„Bevor ich den Auftrag annehme, würde ich gerne Ihre Freunde kennenlernen“, antwortete Blank.

„Das wollte ich auch gerade vorschlagen“, sagte Frau Schreckenberger mit zufriedenem Gesichtsausdruck.

******

Miko war nicht begeistert.

Das war eigentlich fast immer so, wenn Blank mit einem vermeintlichen Auftrag um die Ecke kam. Es hatte keine persönlichen Gründe, sondern lag einfach daran, dass die Freunde unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Aufgaben ihrer Firma vertraten. Wenn sie sich allerdings einmal geeinigt hatten, zogen sie am selben Strang.

Miko war der Pragmatiker. Er hatte bei der Auswahl der Aufträge den guten Ruf und die finanzielle Lage der Firma im Auge.

Blank war gefühlsbetonter. Wenn er allerdings für eine Sache brannte, hatte der Partner kaum eine Chance ihn davon abzubringen.

So war es auch diesmal.

„Ich finde es eine Sauerei, wie den alten Leuten das Geld aus der Tasche gezogen wird. Dagegen sollten wir unbedingt etwas unternehmen“, erboste sich Blank.

„Grundsätzlich stimme ich dir ja zu“, lenkte Miko ein.

Sofort kam jedoch die Einschränkung.

„Aber ich befürchte, dass dies wieder so ein Fall wird, an dem wir am Ende draufzahlen.“

„Du bist und bleibst ein Pfennigfuchser!“

„Einer muss schließlich unsere Finanzen überwachen“, rechtfertigte sich der Freund, wie es Blank vorausgesehen hatte.

Doch er blieb eisern.

„Sicherlich können wir den alten Herrschaften nicht das übliche Honorar berechnen. Doch ich bin mir sicher, dass im Erfolgsfall auch für uns etwas abfällt.“

Miko, der einem Streitgespräch nicht aus dem Weg ging, wusste genau, dass er auf verlorenem Posten stand. Zugeben mochte er das jedoch nicht.

„Mach doch, was du willst. Ich kann dich ohnehin nicht davon abhalten.“

So war er. Immer wenn Miko die Argumente ausgingen, brachte er solche Plattitüden, dachte Blank. Im Grunde wusste er jedoch, dass Miko ihn unterstützen würde.

Bevor Blank noch etwas sagen konnte, betrat ein Mitarbeiter das Büro und er sagte aufgeregt: „Gerald Böhm hat angerufen. Die aufdringliche Schreckschraube sei wieder da gewesen. Sie wolle wissen, ob es bei der Verabredung bleibt.“

„Was für eine Schreckschraube?“, fragte Miko.

„Damit meint der Kollege die ältere Dame, von der ich gesprochen habe. Eigentlich heißt sie Schreckenberger“, antwortete Blank.

„Dann kümmere dich darum. Es ist dein Fall“, sagte Miko und er entließ den Mitarbeiter.

„Ich habe also freie Hand?“, wollte Blank sicherheitshalber wissen. „Im üblichen Rahmen“, antwortete Miko.

******

Von Gerald Böhm bekam Blank die Adresse des Altenheimes, wo Frau Schreckenberger wohnte. Um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen, wäre es sicherlich angebracht, die Einrichtung aufzusuchen.

Allerdings war sich Blank nicht sicher, ob er die Frau dort antreffen würde. Deshalb rief er kurzerhand im Heim an.

Der schlecht gelaunten Person am Telefon erklärte Blank, dass er der Neffe sei und Tante Elfriede sprechen wolle.

„Die Bewohnerin ist in der Stadt unterwegs. Versuchen Sie es im Café am Friedrich-Wilhelm-Platz. Dort treffen sich die Alten öfters.“

Bevor Blank sich bedanken konnte, wurde die Verbindung unterbrochen.

Ein anderer wäre vielleicht verärgert. Aber warum darüber aufregen. Was er wissen wollte, hatte Blank erfahren.

Wo er das Lokal finden würde, erfuhr er von dem Kollegen.

Quer über den Hagenmarkt ging Blank durch die Casparistraße, am Ruhfäutchenplatz vorbei weiter durch die Münzstraße. Die mündete in die Friedrich-Wilhelm-Straße und Blank wandte sich nach rechts. Dabei blickte er geradeaus auf eine scheinbar gesperrte Straße. Der Eindruck täuschte. Neben dem Metalltor konnten interessierte Personen die Straße betreten. Dass sich hier ausschließlich Männer herumtrieben, lag schlicht und ergreifend daran, dass diese Straße zum Braunschweiger Rotlichtviertel gehörte. Die Bruchstraße war über die Stadtgrenze hinaus bekannt. Obwohl Blank kaum etwas von Braunschweig kannte. Dieser Name war ihm aufgrund früherer Ermittlungen geläufig.

Er ließ die sündige Meile links liegen und spazierte an der Oberpostdirektion vorbei. Die Friedrich-Wilhelm-Straße machte einen Schlenker und am Ende befand sich der gesuchte Platz.

Schon äußerlich machte das Kaffeehaus einen vornehmen Eindruck. In mehreren Schaufenstern lockten allerlei süße Köstlichkeiten. So wie Frau Schreckenberger die finanzielle Situation der alten Leute beschrieben hatte, empfand es Blank recht ungewöhnlich, dass sich die Rentner ausgerechnet in so einem Laden aufhalten sollten.

Doch die Angaben waren eindeutig.

Blank betrat das Café.

Die Mittagszeit war vorbei. Die Hauptgeschäftszeit begann gerade erst, aber die Lokalität war schon jetzt gut besucht. Wie nicht anders zu erwarten von überwiegend älteren Herrschaften, wobei der weibliche Anteil überwog.

Blank schaute sich suchend um.

Eine groß gewachsene Person wie Elfriede Schreckenberger war eigentlich nicht zu übersehen. Zumal sich Blank auf sein gutes Personengedächtnis verlassen konnte. Dennoch erkannte er die Frau nicht sofort. Der Grund war ein extravaganter Hut, der den Kopf von Frau Schreckenberger zierte. Damit war sie nicht die einzige Dame, die eine Kopfbedeckung zur Schau trug.

Jedoch war ihr Kopfschmuck am ungewöhnlichsten und erinnerte an ein Gemüsebeet.

Blank näherte sich von der Seite dem Tisch im Hintergrund des Lokals. Neben der Frau saßen noch zwei Personen. Sie waren in ein Gespräch vertieft und bemerkten den Gast erst, als er direkt vor dem Tisch stand.

„Entschuldigen sie die Störung verehrte Herrschaften. Aber mir wurde zugetragen, dass sie eine Unterredung wünschen“, sagte Blank zur Begrüßung.

Die erste Überraschung war schnell verflogen.

Frau Schreckenberger fragte nervös: „Wie haben Sie uns hier gefunden?“

„Ich bin Detektiv, schon vergessen“, antwortete Blank freundlich lächelnd.

Das war nicht die Antwort, welche die Frau erwartet hatte. Zu Späßen schien sie auch nicht aufgelegt zu sein.

Jedenfalls ließ ihr griesgrämiges Gesicht darauf schließen.

„Dass der Schnüffler gerade trocken hinter den Ohren ist, hast du uns nicht gesagt, Elfriede. Aber immerhin sieht er ganz passabel aus und gute Manieren scheint er auch zu haben“, stellte die zweite Frau am Tisch fest.

„Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, einen Fremden mit unseren Problemen zu behelligen. Vielleicht hätten wir uns mehr zurückhalten und unsere Ausflüge einschränken sollen, dann wären wir nicht ...“, „diese Einsicht kommt ein wenig spät“, unterbrach Frau Schreckenberger den Mann am Tisch.

Nachdem sie den Mitbewohner abgefertigt hatte, wandte sie sich Blank zu und deutete auf den noch freien Platz.

„Da Sie schon einmal hier sind, können Sie sich auch setzen.“

Blank blieb zunächst stehen und erwiderte: „Ist es Ihnen auch wirklich recht? Ich meine, noch habe ich nichts getan. Wir können die ganze Angelegenheit immer noch auf sich beruhen lassen.“

Elfriede Schreckenberger übernahm weiterhin die Rolle der Sprecherin.

„Dass wir mit den Geschäftspraktiken der Heimleitung nicht einverstanden sind, habe ich Ihnen bereits erzählt. Doch die Angelegenheit können wir erst einmal vernachlässigen. Uns treibt etwas anderes um. Aus der vagen Vermutung, dass uns jemand hinterherschnüffelt, könnte sich eine ernsthafte Bedrohung entwickeln. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn Sie sich die Zeit nehmen und uns anhören. Oder wie denkt ihr darüber?“

Es war eindeutig, wer in der Gruppe das Kommando hatte. Doch immerhin schien sich Elfriede Rückendeckung holen zu wollen, indem sie die Freunde um ihre Meinung bat.

Da Blank die Personen noch nicht einschätzen konnte, wusste er nicht, wie er die Reaktion werten sollte. Er ging erst einmal davon aus, dass das ungleiche Pärchen keine Einwände hatte, da sie bestätigend mit den Köpfen nickten.

„Gut. Dann darf ich vorstellen“, übernahm Frau Schreckenberger weiterhin die Gesprächsführung, „Ihnen gegenüber sitzt Herr Schreiber. Wilhelm hat früher in einer Tischlerei gearbeitet, die schließen musste, weil niemand den Betrieb weiterführen wollte.“

„Sein Geld haben die Kinder des Besitzers aber gerne genommen“, mischte sich die andere Frau ein.

„Diese zutreffende Feststellung kommt von unserer geschätzten Freundin Adele Neubauer. Sie hat viele Jahre am Empfang einer Zahnarztpraxis gearbeitet, bis der Dentist in den Ruhestand ging. Der Nachfolger wollte das alte Personal nicht übernehmen und hat stattdessen jüngere Helferinnen eingestellt. Mir ist ein ähnliches Schicksal widerfahren. Ich habe im Büro gearbeitet und wurde gegen jüngeres Personal ausgetauscht, weil ich meinen Mund nicht halten konnte. Insoweit haben wir eine übereinstimmende Vergangenheit. Niemand legte mehr Wert auf unsere Mitarbeit. Wir wurden ausgesondert und auf die Müllhalde der Gesellschaft abgeschoben.“

„Genau so ist es“, stimmte Frau Neubauer zu.

„Ein anderes Wort für diese Schutthalde hört sich weniger drastisch an und nennt sich Altenheim“, meinte Herr Schreiber und er sagte weiter: „Wer den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt nicht mehr gewachsen ist oder sich nicht regelkonform verhält, wird gnadenlos aussortiert. Nur wer sich rechtzeitig vorbereitet und finanziell vorsorgt, kann sich beruhigt auf das Alter freuen. Der Rest muss nehmen, was übrig bleibt und landet dort, wo wir sind.“

„Ich denke, wir sind uns insofern einig, dass wir es auch noch schlechter hätten treffen können, obwohl wir mit den Praktiken der Heimleitung nicht einverstanden sind. Noch sind wir nicht auf intensive Pflege angewiesen. Wir können den Alltag allein bewältigen und uns frei bewegen“, stellte Frau Schreckenberger zunächst fest, „doch kommen wir zu dem Grund dieses Treffens. Zu unserer kleinen Gruppe gehört noch eine vierte Person. Unser gemeinsamer Freund und Schicksalsgenosse Konrad Schatz. Allerdings haben wir von ihm seit drei Tagen nichts gehört und daher machen wir uns ernsthafte Sorgen.“

„Oh!“, sagte Blank nur.

Bisher hatte er interessiert zugehört. Bis zum Rentenalter hatte er noch einige Jahrzehnte vor sich. Daher hatte Blank noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht. Die Erfahrungen der drei Senioren gaben ihm aber zu denken.

„Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen?“, fragte Adele Neubauer. Noch konnte er sich kein Bild davon machen, was die Herrschaften von ihm erwarteten. Daher hatte Blank nur zum Ausdruck bringen wollen, dass er aufmerksam zugehört hat. Diese knappe Reaktion war wohl zu wenig.

„Ich glaube, unsere Freundin wollte fragen, ob Sie noch immer Interesse haben uns zu helfen“, half Elfriede Schreckenberger.

Als Bestätigung seiner Ambitionen fragte Blank in die Runde: „Ist es schon einmal passiert, dass Herr Schatz längere Zeit abwesend war?“

„Konrad würde niemals ohne Entschuldigung ein Treffen ausfallen lassen“, stellte Wilhelm Schreiber fest.

„Das kann ich bestätigen. Keiner von uns würde ohne die anderen zu informieren das Heim verlassen“, sagte Adele Neubauer, „da muss etwas anderes dahinterstecken.“

Blank fragte weiter.

„Nehmen wir einmal an, ihr Freund hat das Haus verlassen, ohne jemanden Bescheid zu geben. Fällt ihnen dazu etwas ein? Wäre es zum Beispiel möglich, dass Herrn Schatz unverhofft Besuch bekommen hat und zu einem Ausflug eingeladen wurde?“

„Mir fällt niemand ein, der dafür infrage kommen würde“, übernahm Elfriede die Antwort, „und überhaupt. Konrad ist die Zuverlässigkeit in Person. Er hätte sich auf jeden Fall bei einem von uns abgemeldet.“

„Er muss überrascht worden sein und hatte keine Gelegenheit mehr Bescheid zu geben“, meinte auch Adele.

„Er wurde entführt“, behauptete Wilhelm Schreiber aufgeregt, „ihr könnt es getrost beim Namen nennen. Wir sollten der Wahrheit ins Auge zu blicken.“

„Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein. Hat Konrad dir gegenüber einmal erwähnt, dass er sich bedroht fühlt?“

„Mit keiner Silbe. Das macht es ja so mysteriös. Wie ihr wisst, hat Konrad im Archiv des Bauamtes gearbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich da irgendwelche Feinde gemacht hat.“

„Könnte die andere Sache eine Rolle spielen?“, fragte Adele Neubauer dazwischen.

„Auf keinen Fall!“, rief Elfriede erschrocken aus.

Blank sah den Punkt gekommen, um einiges klarzustellen.

„Ich darf also einmal zusammenfassen: Sie haben einige Vermutungen, aber keiner hat eine plausible Erklärung, wieso Herr Schatz das Heim verlassen hat. Aus meiner Erfahrung kann ich ihnen mitteilen, dass es durchaus Gründe gibt, weshalb jemand ohne sein Umfeld zu informieren von der Bildfläche verschwindet. Es muss nicht unbedingt ein Verbrechen dahinterstecken, wie Herr Schreiber annimmt. Da ich Herrn Schatz nicht kenne, könnte ich nur Spekulationen anbieten. Damit wäre aber niemandem geholfen. Daher lass ich es lieber. Was ich von ihnen wissen möchte, wäre Folgendes: Könnte es sein, dass ihnen Herr Schatz irgendwelche Angaben aus seinem persönlichen Umfeld vorenthalten hat?“

„Welche Angaben sollten das denn sein?“, fragte Adele skeptisch. Blank versuchte es mit anderen Worten: „Im Laufe eines Lebens gibt es zuweilen Ereignisse, über die man lieber nicht sprechen möchte. Oder anders ausgedrückt, manches, was man früher getan hat und was längst in Vergessenheit geraten schien, kann unerwartet wieder ans Licht gelangen und unvorhersehbare Ereignisse auslösen.“

„Ich kennen Konrad seit sechs Jahren“, übernahm Wilhelm das Wort, „wir haben in diesen Jahren über Gott und die Welt gesprochen. Wenn es irgendetwas in der Vergangenheit geben würde, über das Konrad nicht sprechen wollte, wäre mir das bestimmt aufgefallen. Außerdem ist er ein friedfertiger und gutmütiger Zeitgenosse. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas Unredliches getan haben könnte.“

Blank könnte anmerken, dass er andere Erfahrungen gemacht hatte. Doch würde das nicht weiterhelfen. Er müsste wohl andere Quellen anzapfen, um Informationen über Konrad Schatz zu erhalten.

„Sie haben noch nicht eindeutig erklärt, ob Sie uns helfen möchten?“, wollte Elfriede Schreckenberger ganz konkret wissen.

Würden sie den Ermittler näher kennen, hätten die Senioren längst gemerkt, das Blank Blut geleckt hatte. Doch er hielt sich noch zurück.

„Bevor ich mich endgültig entscheide, habe ich noch Fragen. Was hat es mit der Angabe auf sich, dass sie von der Heimleitung übervorteilt werden? Liegt hier der Grund, wieso sie sich verfolgt und beobachtet fühlen?“

Eine Weile drucksten sie herum.

„Daran bin ich wohl schuld“, stellte Wilhelm Schreiber schließlich fest,

„ob die Heimleitung dahintersteckt, weiß ich nicht. Mir sind nur einige fremde Personen aufgefallen, die sich in der Umgebung des Altenheimes herumtreiben. Meistens sind sie zu Fuß unterwegs. Aber ich habe sie auch schon vorbeifahren sehen.

„Wieso denken Sie, dass Sie das Ziel dieser Leute sind?“, fragte Blank nach.

„Na ganz einfach deshalb, weil sie uns gefolgt sind“, antwortete der alte Mann wie selbstverständlich.

„Mit uns meinen Sie ihre ganze Gruppe oder nur Sie persönlich?“

„Sowohl als auch“, antwortete Wilhelm, „ich gehe zum Beispiel fast jeden Tag in die Stadt. Im Gegensatz zu den Damen auch allein. Meistens ist auch Konrad dabei. Manchmal, so wie heute, sind wir alle zusammen unterwegs.“

„Um sich in diesem Kaffeehaus etwas Gutes zu gönnen“, stellte Blank fest.

„Sie sagen es. Diese gemeinsame Unternehmung ist uns heilig. Deshalb ist es auch so unbegreiflich, dass Konrad uns versetzt hat.“

„Das habe ich inzwischen verstanden. Daher lassen sie uns über diese Beobachter sprechen. Was ist ihnen an diesen Personen verdächtig vorgekommen?“

„So direkt kann man es nicht beschreiben. Mir sind eben nur einige Personen aufgefallen, die sich wiederholt und scheinbar ohne Grund in der Nähe des Altenheimes aufgehalten haben“, antwortete Wilhelm Schreiber.

Blank wandte sich an Adele und Elfriede: „Wie ist bei Ihnen? Seit wann fühlen Sie sich beobachtet?“

Anstelle der Damen antwortete wieder Herr Schreiber.

„Ich wollte sie nicht beunruhigen und habe erst vor einer Woche von meinem Verdacht erzählt.“

„Das trifft zu. Wir wurden von Wilhelm angewiesen, auf mögliche Verfolger zu achten“, stellte Elfriede fest, „allerdings sind weder Adele noch mir bis dahin irgendwelche verdächtige Personen aufgefallen. Doch wie es eben so ist. Wenn man erst einmal verunsichert ist, sieht man überall fragwürdige Gestalten.“

„Ja, ich verstehe. Sie können also keine genauen Angaben machen. Ich denke, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. So wie ich die Lage einschätze, sind sie nicht in Gefahr. Es sei denn, sie haben gemeinsam eine Bank ausgeraubt.“

Die letzte Anmerkung hatte Blank nur geäußert, um die Verunsicherung herunterzuspielen.

Scheinbar hatte er das Gegenteil bewirkt.

Die drei Rentner sahen sich irritiert an.

Hätte Blank genauer hingesehen, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass den Senioren das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben stand. Um das jedoch beurteilen zu können, kannte Blank die Leute noch nicht gut genug.

Daher ging er davon aus, dass man seinen Scherz für nicht angemessen hielt.

Um die Situation zu retten, stellte Blank fest: „Ich bin zu einer Entscheidung gelangt und möchte ihre Frage von vorhin beantworten. Ich werde dabei helfen, den Verbleib ihres Freundes herauszufinden.“

******

„Du hast den Senioren hoffentlich nicht zu viel versprochen“, sagte Miko mit vorwurfsvollem Unterton, „die Suche nach vermissten Personen ist wahrlich nicht unsere Aufgabe. Du hättest die Rentner an die Polizei verweisen sollen.“

„Das können wir immer noch tun. Bei der eigentlichen Suche erwartete ich auch keine Hilfe von dir“, stellte Blank fest, „ich möchte nur, dass ein paar Auskünfte eingeholt werden. Dafür reicht im Prinzip nur eine Person.“

„Ich kann mir schon denken, von wem du sprichst. Daher verstehe ich nicht, wieso du vorher um Erlaubnis fragst. Das pflegst du sonst nicht zu tun.“

„Dass ich manchmal direkt mir Klaus gesprochen habe, lag nur daran, weil die Zeit drängte. Außerdem wollte ich dich nicht von deiner anderen Arbeit abhalten ...“, „hör schon auf. An Ausreden hat es dir noch nie gemangelt“, unterbrach Miko schmunzelt, „du weißt ja, wo der Kollege sein Büro hat.“

„Danke“, sagte Blank und er ging zwei Zimmer weiter. Klaus Wagner, der Chefermittler und Bürovorsteher war die gute Seele der Detektei. Er saß wie gewöhnlich hinter seinem mit Zetteln übersäten Schreibtisch. Wie es der Mann schaffte, in diesem scheinbaren Chaos den Überblick zu behalten, war allen Kollegen ein Rätsel. Nichtsdestotrotz war der älteste Mitarbeiter sehr beliebt und er galt als Vorbild bei den Kollegen. Es wäre ein kaum zu ersetzender Verlust, wenn Klaus Wagner seine Ankündigung wahr machen würde und in den wohlverdienten Ruhestand ging. Zum Glück hatte er diesen Schritt nur einige Male angekündigt, ohne ihn in die Tat umzusetzen. Viel zu gerne saß Klaus hinter seinem Schreibtisch und recherchierte. Das konnte der Mann mit nahezu stoischer Gelassenheit. Allein seine Telefonrechnung ging nicht selten in den vierstelligen Bereich. Diese Ausgabe war es aber wert. Klaus hatte im Laufe der Jahre einen unschätzbaren Informantenpool aufgebaut. Um diese Kontakte zu pflegen, verbrachte der Kollege die meiste Zeit des Tages an einem der drei Telefonapparate, die vor ihm auf dem Schreibtisch standen.

Bisher hatten die gleichberechtigten Geschäftspartner des Sicherheitsbüros noch nicht ernsthaft darüber diskutiert. Aber sowohl Miko als auch Blank war klar, dass Klaus irgendwann gehen würde. Sein Platz konnte nicht ersetzt werden. Er würde eine riesige Lücke hinterlassen.

Noch war es allerdings nicht so weit.

Der Kollege blickte nur kurz auf, um zu sehen, wer sein Büro betrat.

In aller Ruhe beendete Klaus das Telefongespräch und wandte sich an Blank: „Was hast du auf dem Herzen?“

„Wie kommst du darauf, dass ich etwas auf dem Herzen habe?“, antwortete Blank mit einer Gegenfrage.

„Das will ich dir sagen. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass du nur deswegen hereinspaziert bist, um mir einen guten Tag zu wünschen“, stellte Klaus Wagner fest, wobei er spitzbübisch lächelte.

„Dir kann man eben nichts vormachen“, erwiderte Blank ebenfalls schmunzelnd, bevor er auf den Grund seiner Anwesenheit zu sprechen kam.

„Ich möchte dich bitten, einige Personen zu überprüfen und die üblichen Hintergrundinformationen zu recherchieren.“

„Da du dich persönlich herbemüht hast, gehe ich davon aus, dass du die Angaben am liebsten vorgestern hättest“, stellte Klaus fest.

Blank zuckte mit der Schulter und legte einen Zettel mit vier Namen auf einen freien Platz des Schreibtisches.

„Am wichtigsten ist mir der erste Name, Konrad Schatz. Die Informationen über die anderen Personen haben Zeit bis gestern.“

„Kunden oder Verdächtige?“, fragte Klaus nach.

„Es handelt sich um Rentner. Ich habe unsere Unterstützung zugesagt. Sie fühlen sich verfolgt und einer von ihnen scheint verschwunden zu sein.“

„Das wollte ich eigentlich nicht wissen“, meinte Klaus, „aber ich verstehe schon. Es gibt wieder einmal kein Aktenzeichen, unter dem die Ermittlungskosten verbucht werden.“

„Möglicherweise wird es noch ein Fall. Miko ist jedenfalls eingeweiht. Insoweit musst du dir also keine Sorgen machen“, erklärte Blank.

„Mein lieber Freund. Die Zeiten sind lange vorüber, wo ich mir Sorgen gemacht habe. Sollte es jedoch dazu kommen, dann bin ich die längste Zeit hier gewesen.“

„Das weiß ich doch Klaus. Du bist nur hier, weil dir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Zudem kannst du hier kostenlos in der Welt herumtelefonieren. Was will man mehr!“

„Wenn das jemand anders gesagt hätte, würde ich denken, dass dies eben ein Vorwurf war“, sagte Klaus grinsend.

„So etwas würde mir nie im Leben einfallen. Deshalb habe ich das auch nicht gesagt“, entgegnete Blank.

„Mach, das du raus kommst, bevor ich es mir anders überlege!“, rief Klaus.

„Den Bericht wie immer nur an mich“, sagte Blank noch, bevor er die Tür von außen schloss.

Er wird uns wirklich fehlen, dachte Blank noch einmal kurz, bevor er sich auf den nächsten Schritt konzentrierte.

******

Aus dem Fuhrpark der Detektei wählte Blank ein unauffälliges Überwachungsfahrzeug aus. Es handelte sich um einen VW-Transporter mit verdunkelten Scheiben. Sie schienen undurchsichtig zu sein. In Wahrheit konnte man sehr gut hindurchsehen. Allerdings nur von innen nach außen.

Mit dem Wagen fuhr Blank nach Braunschweig, wo er zunächst den Kollegen Böhm aufsuchte. Gemeinsam suchten sie einen günstigen Stellplatz in der Nähe des Altenheimes auf.

Gerald Böhm sollte die unmittelbare Umgebung beobachten und darüber berichten, was ihm merkwürdig erschien.

Blank hatte etwas anderes vor.

Da die Senioren keine genaueren Angaben machen konnten, war nicht sicher, ob sich jemand für das Altenheim direkt interessierte oder eher die Bewohner der anderen Häuser in dieser ruhigen Seitenstraße im Fokus irgendwelcher Beobachter lag.

Warum jemand Interesse an einer Gruppe von Rentnern haben könnte, vermochte Blank nicht zu erahnen. Es war immerhin denkbar, dass die Senioren Gespenster sahen. Doch falls an dem Verdacht etwas dran war, wollte Blank wissen, mit wem man es zu tun hatte.

Für einen Laien war es kaum möglich, einen professionellen Beobachter zu erkennen. Wenn man aber wusste, worauf man achten sollte, konnte die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung wesentlich erhöht werden. Dennoch war es verdammt schwierig, wirklich gute Schatten zu entlarven. Insofern konnte man auf die Beobachtungen der Rentner nicht viel geben.

Um zu handfesten Ergebnissen zu gelangen, war Geduld erforderlich. Eben die hatte Blank.

Schon nach kurzer Zeit schien die Mühe belohnt zu werden. Blank stand im Eingang eines Mietshauses. Er schien die Klingelschilder zu überprüfen. In Wahrheit schielte er aber auf die Straße, wo ihm ein PKW auffiel, der eben zum dritten Mal im Schritttempo die Straße entlang rollte. Da freie Parkplätze am Straßenrand vorhanden waren, dürfte der Fahrer einen anderen Zweck verfolgen.

Blank wartete gespannt, ob der Wagen ein weiteres Mal vorbeifahren würde. Doch diesen Gefallen tat man ihm nicht. Es wäre wohl zu auffällig gewesen oder der Fahrer hatte den Wagen doch irgendwo abgestellt.

Blank nahm es mit Gelassenheit zur Kenntnis, dass er die Absicht des Fahrers nicht ergründen konnte. Für alle Fälle hatte er sich das Kennzeichen notiert.

Das tat er auch bei den Fahrzeugen, die bis zum späten Nachmittag mehr als einmal die ruhige Straße entlang fuhren.

Es handelte sich ausschließlich um örtliche Nummernschilder. Es wäre vielleicht eine Aufgabe für den neuen Kollegen, die Namen der Halter zu ermitteln, dachte Blank gerade, als ihm eine bekannte Person auffiel.

Wilhelm Schreiber hatte angegeben, beinahe jeden Tag einen Spaziergang zu unternehmen. Eben dazu war er wohl aufgebrochen.

Diese Gelegenheit kam Blank gerade recht.

Der Rentner hatte es nicht eilig. Warum auch! Wenn man sich nur die Zeit vertreiben wollte, war eine gemütliche Gangart durchaus angebracht.

Blank ließ Herrn Schreiber einen deutlichen Vorsprung, weil er herausfinden wollte, ob sich noch jemand für den älteren Herrn interessierte.

Soweit es der Ermittler erkennen konnte, war das nicht der Fall. Er nahm die Verfolgung auf und hatte den Vorsprung in kurzer Zeit aufgeholt. Herr Schreiber spazierte wirklich äußerst kräftesparend. Man konnte beinahe zu dem Schluss gelangen, dass es dem alten Knaben Mühe machte, die Beine zu benutzen.

Doch dem war wohl nicht so. Die Gelegenheit eine Sitzbank zum Ausruhen zu benutzen ließ Herr Schreiber unbeachtet verstreichen. Trotz des beschaulichen Tempos hatte Blank das Gefühl, dass der Senior ein bestimmtes Ziel verfolgte.

Die Gedanken schweiften ab.

Blank überlegte, was ihm die Rentnergruppe verschwiegen haben könnte. Ob vorsätzlich oder unbeabsichtigt sei einmal dahin gestellt.

Was blieb, war das seltsame Gefühl, die Rentner könnten ihm etwas vorenthalten haben.

Wie auch immer. Blank war gespannt und auf alles gefasst.

Er folgte Herrn Schreiber in einem Abstand.

Die Gefahr, dass sich der ältere Herr plötzlich aus dem Staub machen würde, bestand wohl nicht, dachte Blank. Aber er kannte den Mann nicht. Wer weiß, vielleicht wollte der alte Knabe einen möglichen Verfolger nur in Sicherheit wiegen und bei einer passenden Gelegenheit von der Bildfläche verschwinden. Immerhin unternahm Herr Schreiber beinahe täglich einen Spaziergang. Daher dürfte er jeden Winkel in dieser Gegend bestens kennen. Auch wenn es nicht so aussah, vermutete Blank weiterhin, dass der Mann ein bestimmtes Ziel hatte.

Sie näherten sich einer Brücke. Das Gewässer darunter schien still zu stehen. Zumindest konnte Blank bei einem flüchtigen Blick über das Brückengeländer keine Fließbewegung erkennen.

Wilhelm Schreiber blieb an einer Ampel stehen. Offenbar wollte er in den Park auf der anderen Straßenseite.

Blank überlegte, ob er die Verfolgung abbrechen sollte. Bisher war ihm kein weiterer Beobachter aufgefallen. Wenn es stimmte, dass Herr Schreiber fast jeden Tag so einen Rundgang machte, war die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er stets denselben Weg benutzte. Der Mensch war eben ein Gewohnheitstier. Diese Überlegung führte unweigerlich dazu, dass man von einer weiteren Beschattung absehen konnte. Jemanden zu verfolgen, der immer den gleichen Tagesablauf absolvierte, machte auf die Dauer keinen Sinn.

Es sei denn, man beabsichtigte, dass jemand zu diesem Schluss kam.

Allerdings konnte sich Blank nicht vorstellen, dass Herr Schreiber so durchtrieben war. Eher war wohl die Überlegung, dass der Rentner den Park wegen der sauberen Luft aufsuchte.

Da Blank nicht wusste, wie groß die Grünanlage war, wollte er noch eine Weile am Ball bleiben. Dabei hielt er einen noch größeren Abstand ein, denn auf dem Spazierweg zwischen den Grünanlagen war jeder Verfolger leicht zu bemerken.

Schon nach etwa 100 Metern war der Straßenverkehr kaum noch hörbar. Stattdessen waren die Gesänge der Vögel immer deutlicher zu hören. Der geschwungene Kiesweg führte zwischen Büschen weiter in den Park hinein.

Dahinter war das Ausmaß der Grünanlage zu erahnen. Jetzt bemerkte Blank auch weitere Spaziergänger, die offensichtlich von verschiedenen Seiten den Park betreten hatten.

Für einen Moment war Herr Schreiber aus dem Sichtfeld entschwunden. Erst hinter einer weiteren Wegbiegung entdeckte Blank den Mann wieder.

Bisher hatte sich Wilhelm Schreiber nicht einmal umgeschaut, sodass Blank sicher war, nicht erkannt worden zu sein.

Das könnte sich schlagartig ändern. Daher blieb der Ermittler hinter einem Baum stehen. Ganz in der Nähe stand ein hoher Turm, der bei genauerer Betrachtung zur Seite geneigt war.

Durch die tief hängenden Zweige einer Kastanie beobachtete Blank, wie Herr Schreiber auf eine Gruppe Männer zuging. Die Herren dürften schon alle im Rentenalter sein, dachte Blank und sie waren offensichtlich öfters hier anzutreffen. Sie begrüßten Wilhelm Schreiber und widmeten sich dann wieder den übergroßen Schachfiguren, die auf den schwarzen und weißen Steinplatten standen.

Der Ruheständler hatte sein Ziel erreicht. Herr Schreiber verschaffte sich einen Überblick des Spielstandes, bevor er sich auf einen der herumstehenden Kunststoffstühle setzte.

Da Blank keine Besonderheiten aufgefallen waren, konnte er getrost den Rückweg antreten. Vielleicht hatte der Kollege im Überwachungswagen etwas Interessanteres zu berichten.

Dem war leider nicht so. Vielleicht hatte der junge Kollege noch nicht die Erfahrung, worauf er achten sollte.

Blank leistete dem Mitarbeiter noch etwa zwei Stunden Gesellschaft. Dabei erklärte er, was eine erfolgreiche Observation ausmacht. Der Standort vor dem Altenheim war allerdings ein denkbar schlechtes Beispiel. Es geschah nämlich so gut wie nichts.

Im Gegenzug bekam der Kollege die Gelegenheit, ein wenig über die Stadt Braunschweig zu erzählen. So erfuhr Blank, dass die besuchte Grünanlage Bürgerpark hieß und von der Oker durchflossen wurde. Der schiefe Turm, den Blank gesehen hatte, war 54 Meter hoch und gehörte zu dem ehemaligen Wasserwerk. In dem Gebäude daneben befand sich jetzt ein Freizeit- und Bildungszentrum.

Neben diesen ersten Eindrücken blieben am Ende lediglich drei Autokennzeichen übrig, die Blank mit nach Hannover nahm.

Die jeweiligen Fahrer waren aufgefallen, weil der eine mehr als zweimal die Straße entlanggefahren war. Ein anderer, ein junger Mann mit auffallend lockigen Haaren, hatte direkt vor dem Altenheim geparkt. Er war ausgestiegen, hatte das Haus jedoch nicht betreten, sondern war nach zehn Minuten wieder weggefahren. Im Grunde keine bemerkenswerten Ereignisse. Nur der dritte Mann schien verdächtiger zu sein. Er hatte die ganze Zeit in einem Fahrzeug gesessen, ohne einmal auszusteigen, wie Gerald Böhm angab. Ihm war der Mann zunächst nicht aufgefallen. Erst als Blank nachfragte, war sich der Kollege sicher, dass der Bursche schon länger in dem Auto hockte.

Unter dem Strich war der spontane Entschluss das Altenheim zu beobachten kein Glanzpunkt in der Karriere der Ermittler. Man konnte diesen Tag als eher ereignislos abhaken, dachte Blank, als er vor dem Bürogebäude in Hannover ankam, in dem die Detektei eine ganze Etage angemietet hatte.

Mit einer eher negativen Grundstimmung fuhr Blank in die Tiefgarage und betrat den Fahrstuhl. Daher erwartete er auch nicht, dass Klaus Wagner nennenswerte Ergebnisse vorweisen konnte. Aber da er schon einmal hier war, konnte er auch nachfragen.

„Du scheinst ja mächtig unter Druck zu stehen“, war die erste Reaktion des Kollegen auf Blanks Frage nach Neuigkeiten.

Diese Antwort erhöhte nicht unbedingt seine Stimmung.

„So würde ich es nicht bezeichnen“, erwiderte Blank, „doch irgendwie hast du schon recht. Ich weiß noch nicht, wo ich anfangen soll. Die ganze Angelegenheit ist noch sehr nebulös.“

„Ich befürchte, dass ich für einen besseren Durchblick noch nichts beitragen kann. Über die Personen auf deiner Liste liegen mir noch keine erwähnenswerten Informationen vor. Die Angeln sind ausgelegt, aber wie du weißt, kommen die Ergebnisse nicht auf Kommando.“

„Ich wollte dich nicht unter Druck setzen“, stellte Blank fest.

„Das würde auch nicht funktionieren, Tobias. Jedoch ist mir etwas anderes aufgefallen, was ich dir nicht vorenthalten möchte. Für Herrn Schreiber scheinen sich auch andere zu interessieren.“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Blank überrascht.

„Ich kann es dir nicht genau erklären. Meine Quellen halten sich in der Regel bedeckt, was ihre anderen Geschäftspartner betrifft. Nur weil ich einige Informanten persönlich kenne, wurden mir verdeckte Hinweise gegeben. Dem Vernehmen nach, scheint eine weitere Detektei Informationen über Schreiber eingeholt zu haben“, erklärte Klaus Wagner.

„Wer genau den Mann ausspioniert, kannst du wohl nicht sagen?“

„Wie gesagt. Es waren nur Andeutungen, die man mir indirekt mitgeteilt hat. Aber du kannst davon ausgehen, dass es mehr als Gerüchte sind.“

„Das ist in der Tat bemerkenswert“, stellte Blank nachdenklich fest. „Tut mir leid, dass ich dir nicht wirklich weiter helfen kann“, meinte Klaus Wagner enttäuscht.

Blank war da weniger pessimistisch. Er holte den Zettel hervor, auf dem er die Nummernschilder notiert hatte.

„Vielleicht hilft uns das weiter. Ich habe hier ein paar Autokennzeichen, die überprüft werden sollten.“

„Du bist immer für eine Überraschung gut. Wie hast du die so schnell aus dem Hut gezaubert und inwieweit soll das jetzt weiterhelfen?“

„Wenn du die Kfz-Halter herausbekommst, kann ich dir die Frage hoffentlich beantworten.“

Klaus Wagner war nicht so rasch aus der Ruhe zu bringen.

„Die Überprüfung wird eine Weile dauern. Du kannst uns inzwischen eine Tasse Kaffee besorgen.“

Diese Aufforderung war nichts anderes als die höfliche Umschreibung das Büro zu verlassen. Der Kollege ließ sich nämlich ungern in die Karten schauen, wie Blank wusste. Die Ermittlung von Fahrzeughaltern anhand der Kennzeichen war für den Normalbürger nicht ohne Weiteres möglich. Oder anders ausgedrückt, der Kollege musste illegale Methoden anwenden, um die Angaben zu erhalten.

„Mit viel Zucker ohne Milch!“, rief Klaus, bevor Blank die Tür schloss.

Der Hinweis war eigentlich nicht notwendig. Denn es war im Kollegenkreis bekannt, wie der Bürovorsteher das aromatische Heißgetränk am liebsten trank.

Wenn man so lange eng zusammenarbeitet, treten die kleinen und großen Macken zwangsläufig zutage.

Bei Klaus Wagner war es die Marotte, dass er grundsätzlich frischen Kaffee wollte. Diese Darreichungsform bevorzugte Blank auch. Deshalb machte er sich die Mühe, den Kaffee frisch aufzubrühen. Zwar gab es im Büro eine kleine Küche, die sogar über eine Kochgelegenheit und einen Kühlschrank verfügte. Doch am meisten wurde wohl die Kaffeemaschine in Anspruch genommen. Für die besonders Eiligen stand stets eine Thermoskanne mit dem heißen Getränk bereit. Diesen Vorratsbehälter beachtete Blank jedoch nicht.

Nach zehn Minuten standen zwei dampfende Tassen bereit, die Blank in das Büro des Kollegen trug.

Klaus Wagner legte gerade den Telefonhörer auf.

Blank schaute den Kollegen neugierig an.

Erst nach dem Klaus einen Schluck getrunken und das Getränk als genießbar eingestuft hatte, berichtete er.

„Zwei Kennzeichen gehören zu Fahrzeugen von Privatpersonen. Die Namen habe ich dir hier aufgeschrieben. Bin mal gespannt, ob du etwas damit anfangen kannst.“

Einen Namen stufte Blank als vielversprechend ein. Doch interessanter dürfte der dritte Name sein, den Klaus Wagner offenbar noch zurückhielt.

„Du hast doch noch etwas in der Hinterhand. Muss ich dir erst ein paar Kekse zum Kaffee besorgen, bevor du damit um die Ecke kommst?“

Klaus Wagner konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen.

„Ich habe in der Tat noch einen Namen. Eines der Fahrzeuge gehört offenbar einer Firma, deren Inhaber ich herausgefunden habe.“

„Spann mich nicht länger auf die Folter. Rück den Namen schon heraus“, forderte Blank ungeduldig.

„Ich denke, der wird dir nichts sagen“, erwiderte Klaus. Dabei machte er jetzt ein sehr ernstes Gesicht.

„Was ist so besonders an diesem Namen?“, fragte Blank unwirsch.

„Darüber solltest du mit Miko reden. Ich kenne nur Gerüchte über diese Person.“

So zurückhaltend hatte er den Kollegen lange nicht mehr erlebt. Blank drängelte nicht weiter. Er spürte, dass Klaus nichts weiter sagen würde.

„Na schön, ich werde deinen Rat befolgen. Du könntest inzwischen ermitteln, ob zwischen dem Fahrzeughalter Wilfried Schreiber und dem Rentner Wilhelm Schreiber eine Verbindung besteht.“

******

„Walter Koschinski“, sagte Miko nachdenklich, „diesen Namen habe ich seit Jahren nicht mehr gehört.“

„Klaus wollte nicht so recht heraus mit der Sprache. Er sagte nur, dass du den Mann kennst.“

„Mehr als mir lieb ist“, antwortete Miko mit sorgenvoller Miene, „wir waren in der Anfangszeit meiner Karriere für einige Monate Geschäftspartner. Das war kurz bevor wir uns begegnet sind.“

„Oh!“, sagte Blank, „ihr habt euch im Streit getrennt?“, wollte er wissen.

„Das kann man so nicht sagen“, antwortete Miko ausweichend. Nach einer kurzen Pause fügte er an: „Wir waren uns nicht einig in Bezug auf die Ausrichtung der Detektei.“

„Wieso hast du nie darüber gesprochen?“

„Die richtige Anfangsphase dieser Firma begann eigentlich erst, als du dazugestoßen bist. Alles davor spielt keine Rolle mehr“, meinte Miko.

„Da bin ich mir nicht so sicher, alter Freund. Irgendwie hat die Detektei dieses Mannes etwas mit den alten Leuten in Braunschweig zu tun. Du solltest mir alles erzählen, was du über ihn weißt“, forderte Blank.

Miko schien nicht begeistert zu sein.

„Koschinski hat eine eigensinnige Vorstellung von der Arbeit einer Detektei. Ich hätte nicht gedacht, dass er es schafft. Doch offenbar hat er tatsächlich eine eigene Firma gegründet.“

„Sehr erfolgreich kann er aber nicht sein, da weder du noch Klaus etwas von diesem Laden gehört hat“, meinte Blank.

„Das sollte man nicht überbewerten. Schließlich können wir nicht alle Betriebe dieses Arbeitsgebietes kennen. Es kommt auch darauf an, in welchem Segment Koschinski sich bewegt. Denk nur einmal an die Kollegen, die fremdgehende Ehemänner ausspionieren.“

„Insoweit hast du allerdings recht. Mit dieser Abteilung haben wir nichts am Hut“, stimmte Blank zu, um dann zu fragen: „Könntest du dir trotzdem vorstellen, mit Koschinski Kontakt aufzunehmen?“

„Wieso gerade ich!“, antwortete Miko gereizt, „das ist deine Ermittlung, also kümmere dich gefälligst selber darum.“

„Ich habe halt nur gedacht, wegen der alten Zeiten wäre ein Gedankenaustausch zwischen ehemaligen Kollegen eine Möglichkeit Informationen zu erhalten.“

„Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass der Mann etwas über seine Kunden ausplaudert“, würgte Miko den Vorschlag des Freundes ab, „schließlich würde ich das auch nicht tun.“

Blank lenkte merklich enttäuscht ein.

„War eine saublöde Idee. Vergiss es Miko. Du hast wohl recht. Auf diesem Weg werden wir nichts erfahren.“

Der Freund spürte wohl, dass er dem Partner eine weitere Erklärung schuldig war.

„Selbstverständlich könnte ich mit Walter Koschinski sprechen. Aber du solltest wissen, dass der Mann schon damals schwer zu durchschauen war. Daran wird sich bestimmt nichts geändert haben. Außerdem habe ich keine Lust, alte Wunden aufzureißen und wer weiß, was ihm in den Sinn kommt, wenn ich ihn neugierig mache. Womöglich kommt er uns erst recht in die Quere oder macht uns unsere Kunden abspenstig.“

„Ist schon gut. Ich habe verstanden“, sagte Blank und er verließ Mikos Büro.

So distanziert hatte sich der Partner lange nicht gezeigt, dachte Blank. Zwischen den ehemaligen Geschäftspartnern dürfte wohl mehr vorgefallen sein, als ein Streit über die Arbeitsmethoden.

Da er mit Mikos Unterstützung nicht rechnen konnte, musste Blank eben einen anderen Weg finden, um an Informationen zu gelangen. Daher betrat er erneut das Büro von Klaus Wagner.

Ohne Umschweife erklärte Blank: „Du hattest recht. Miko und dieser Koschinski haben eine gemeinsame Vergangenheit. Leider wollte der Chef nicht so richtig raus mit der Sprache, was damals vorgefallen ist.“

Der Kollege winkte ab.

„Da kann ich dir auch nicht helfen. Das war vor meiner Zeit und mit mir wird Miko ganz sicher auch nicht sprechen wollen.“

„Daran habe ich eigentlich auch nicht gedacht. Vielleicht könntest du deine Fühler einmal unauffällig ausfahren und zumindest ein paar allgemeine Informationen über den Herrn und seinen Betrieb einholen.“

Klaus machte keinen Hehl daraus, dass ihm dieser Auftrag nicht behagte.

„Ich habe nur wenige Regeln, an die ich mich halte. Eine davon ist, keine Nachforschungen über Freunde und Kollegen anzustellen. Dabei kommt nur selten etwas Gutes heraus, und wenn es bekannt wird, bringt es nur Ärger ein.“

Damit hatte Blank nicht gerechnet. Selbstverständlich akzeptierte er Wagners Prinzipien, wenn auch ein wenig verärgert.

„Nun mach mal nicht so ein mürrisches Gesicht. Immerhin habe ich etwas anderes herausgefunden. Wie du wohl bereits vermutest, sind Wilfried und Wilhelm Schreiber verwandtschaftlich verbandelt. Wilfried ist der Neffe des Seniors. Übrigens ist der junge Mann der einzige noch lebende Verwandte.“

„Danke Klaus“, sagte Blank und er wollte das Büro verlassen.

„Jetzt lauf doch nicht gleich davon“, hielt Klaus den Kollegen zurück, „ich habe da noch etwas für dich.“

„Doch nicht etwa über den vermissten Konrad Schatz?“, fragte Blank neugierig nach.

„Damit kann ich leider noch nicht dienen. Über den Mann gibt es so gut wie nichts zu berichten. Ich habe bisher nur herausgefunden, dass er nicht verheiratet ist. Demnach existieren auch keine Nachkommen. Wesentlich interessanter in dieser Hinsicht erscheint mir Frau Schreckenberger zu sein. Die alte Dame hat eine umfangreiche Verwandtschaft. Ihr Ehegatte ist bereits gestorben. Neben einem Bruder, gibt es noch drei Schwestern und auch eine Nichte konnte ich bereits ermitteln. Die junge Dame heißt Astrid und arbeitet in einem Café in Braunschweig.“

Blank bedankte sich noch einmal, bevor er die Detektei endgültig verließ.

******

Da sich die Ermittlungen in Braunschweig verdichteten, wollte Blank nicht länger zwischen Hannover und der Löwenstadt hin und her pendeln. Was lag daher näher, als den ortskundigen Kollegen nach einer vorübergehenden Unterkunft zu fragen.

Gerald Böhm war wie gewöhnlich im Büro und er war sichtlich erfreut über die Abwechslung als Blank eintrat. Auf seine Frage hatte der Kollege auf Anhieb die Namen einiger Hotels parat. Derartige Nobelherbergen entsprachen allerdings nicht Blanks Vorstellungen. Es lag nicht daran, dass er sich den Luxus nicht leisten konnte. Vielmehr missfiel ihm das professionelle und geschäftsmäßige Ambiente in diesen Etablissements. Der Ermittler bevorzugte eine eher familiäre Umgebung.

Notgedrungen musste er wohl selber nach einer geeigneten Herberge suchen. Blank fragte daher nach einem Telefonbuch.

„Was suchen Sie eigentlich?“, wollte der Kollege wissen.

Das war nicht so leicht zu beantworten. Normalerweise vertraute Blank auf seine Intuition. Beim Herumstöbern in den Angeboten der Pensionen und Gasthöfe hatte er bislang fast immer etwas gefunden.

Da Blank keine konkreten Angaben machen konnte, unterbreitete Gerald Böhm einen Vorschlag.

„Falls Sie nur eine preiswerte Übernachtungsmöglichkeit suchen, hätte ich möglicherweise etwas.“

Argwöhnisch fragte Blank nach: „Was hätten Sie denn anzubieten?“ „Es ist nichts Besonderes. Nur ein möbliertes Zimmer mit Dusche und Kochgelegenheit. Bis vor Kurzem hat dort eine Studentin gewohnt. So weit ich weiß, ist das Quartier zurzeit nicht belegt.“