Der Widersinn des Relativismus - Josef Seifert - E-Book

Der Widersinn des Relativismus E-Book

Josef Seifert

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Beschreibung

Obwohl der allgemeine Relativismus und alle seine Spielarten letzten Endes widersprüchlich und widersinnig sind, übt der Relativismus in tausend Formen einen ungeheuren Einfluß auf die meisten Menschen und sogar einige der größten Philosophen der Philosophiegeschichte aus. Doch ist seine Macht und Herrschaft nicht auf die akademische Welt begrenzt, sondern dehnt sich tief ins praktische Leben der Menschen, in Gesetzgebung und Politik aus, waren doch die schrecklichsten totalitären Regime und Ideologien des 20. Jahrhunderts, und sind viele totalitäre Erscheinungen in der heutigen akademischen und politischen Welt auf einen radikalen Relativismus und eine Entthronung der Wahrheit gebaut, die sich für das Fundament von Demokratie und Freiheit hält, aber in Wirklichkeit alle Fundamente einer freien Demokratie untergräbt. Gerade heute können wir von einer wahrhaften akademischen und außerakademischen Diktatur des Relativismus sprechen. Das Buch Seiferts deckt in scharfsinniger Weise Irrtümer und Widersprüche im Relativismus und seinen verschiedenen Formen und Spielarten, die nicht nur den Nationalsozialismus und das Denken von Marx bestimmten, sondern bis zu Gipfeln der Kantischen, Hegelschen, und späten Husserl’schen Philosophie reichen, auf. Er analysiert sie im historischen Relativismus Diltheys, Heideggers, Gadamers, in der Relativismus sich brillant manifestiert, und widerlegt die Versuche Heideggers, Gadamers, und berühmter Logiker, diese Widersprüche zu leugnen oder als plumpe Überrumpelungsversuche abzutun. Das Buch unternimmt auch eine wahre Entthronung des Wertrelativismus und ethischen Relativismus sowie des Relativismus in der Religionsphilosophie. So trägt Seifert, wird sein Buch gelesen und verstanden, wesentlich zur Befreiung von der Diktatur des Relativismus bei.

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Impressum

1. Auflage2016

© Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Erschienen in der Edition »Patrimonium Philosophicum«

Patrimonium-Verlag

Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.patrimonium-verlag.de

Herstellung und Vertrieb:

Druck & Verlagshaus Mainz GmbH

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweis(Umschlag):

https://www.flickr.com/photos/raaphorst/2774215826

ISBN: 978-3-86417-093-5

Kapitel 1: IRRTÜMER UND WIDERSPRÜCHE IM ALLGEMEIN-MENSCHLICHEN, KULTURELL-HISTORISCHEN UND INDIVIDUELLEN RELATIVISMUS1

1. Relativismus und Skeptizismus

Der Ausdruck »Relativismus« bezieht sich im Folgenden auf eine Auffassung, die man als allgemeinen Relativismus bezeichnen kann. Dieser besteht schon seit der Antike, insbesondere seit Protagoras, erklärt das Sein und die Wahrheit als solche für relativ, und hat, zusammen mit einem radikalen Skeptizismus, dem auch der junge Augustinus anhing und der jahrhundertelang die von Platon begründete Akademie prägte, sodaß die Skeptiker schlechthin die Akademiker genannt wurden, die ganze Philosophiegeschichte hindurch auf zahlreiche Denker und Gesellschaften gewaltigen Einfluß ausgeübt. Von Platon und Aristoteles an bis ins 20. Jahrhundert war dieser allgemeine Relativismus und Skeptizismus auch Gegenstand bedeutender Widerlegungsversuche.2 Nach der brillanten Schrift Augustins Contra Academicos, und vor allem unter dem Einfluß des Christentums, nahm sein Einfluß im Mittelalter stark ab. Doch seit dem 17. und vor allem dem 18. Jahrhundert verbreiterte und intensivierte sich erneut die philosophische und die gesellschaftlich-politische Wirkung allgemeiner skeptischer und relativistischer Theorien und vor allem deren Einfluß auf die Politik und Gesellschaft. Wenn sie auch selten in jener vollen philosophischen Reinheit und Härte vertreten werden, in der sie den Gegenstand unserer kritischen Analyse bilden, liegen doch Relativismus und Skeptizismus in gefilterter Form so vielen einflußreichen Ideen zugrunde, daß sie nach einer kritischen Prüfung verlangen (ja Husserl meinte zu Anfang des 20. Jahrhunderts, daß fast kein Denker seiner Zeit frei vom Gedankengut des allgemeinen Relativismus war, was man wohl auch über die heutige philosophische Landschaft sagen kann).

Daneben gibt es auch einen partiellen Relativismus, etwa den Wertrelativismus, den ethischen Relativismus, etc. Diese Arten des Relativismus besitzen teilweise ganz andere Wurzeln als der allgemeine Relativismus und sind mit der Anerkennung einer absoluten Wahrheit über neutrale Fakten durchaus verträglich; auch gibt es ästhetische Relativisten, die keine allgemeinen Wertrelativisten sind und etwa in der Ethik eine objektive Wahrheit und objektive Werte anerkennen. Der ästhetische, ethische und allgemeine Wertrelativismus verlangen jeweils eigene Untersuchungen, die wir in den folgenden Kapiteln des vorliegenden Werkes bieten.3

Im Folgenden verstehen wir unter Relativismus nur den allgemeinen Wahrheits-Relativismus und unter Skeptizismus nur den radikalen Zweifel an aller Wahrheit. Relativismus heißt dann eine Auffassung der Wahrheit von Aussagen bzw. Urteilen, der zufolge es keine Urteile gibt, welche absolut gesprochen wahr oder falsch wären. Vielmehr wäre Wahrheit und Falschheit eine Eigenschaft von Urteilen, Weltanschauungen, Religionen, usf., welche diese nur für den Menschen besäßen. Dabei kann behauptet werden, der Bezugspunkt, auf den die Wahrheit relativ sei, das schon von Protagoras behauptete menschliche Maß des Seins und der Wahrheit sei entweder der individuelle Mensch, oder eine durch Geschichte, Kultur etc. geeinte Mehrzahl von Menschen, oder auch der Mensch als solcher, die Spezies Mensch. Auf alle drei Interpretationen von »der Mensch« hat man den Homo-Mensura-Satz des Protagoras angewendet, der eine allgemeine Formulierung des Relativismus darstellt: »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der sei­en­den, daß sie sind, der Nichtseienden, daß sie nicht sind.«4 Mit dieser Relativierung des Seins wird auch die Wahrheit notwendig mit relativiert. Mit anderen Worten, Sein und Wahrheit sind nach dem Relativismus auf den Menschen relativ: es gibt weder Sein noch Wahrheit außer dem für wahr Gehaltenwerden vom Menschen oder außer einem der anderen relativierenden Faktoren, die verschiedenen relativistischen Wahrheitstheorien zugrundeliegen, wie etwa Konsens oder Nützlichkeit.5 Dasselbe Urteil, dieselbe Philosophie oder Religion könnte demnach für den einen Menschen wahr, für einen anderen falsch, für den mittelalterlichen Menschen wahr, für den modernen falsch sein. Die subtilste und versteckteste Form des Relativismus, die zwar Urteile annimmt, die für alle Menschen aller Zeiten gelten, relativiert die Wahrheit dennoch, und zwar auf den Menschen überhaupt: Urteile wären zwar für alle Menschen, aber eben nur für Menschen wahr, könnten aber zugleich für andere oder höhere Wesen nicht wahr bzw. falsch sein.

Jede Form eines derartigen universal-menschlichen, kulturell-historischen oder individuellen Relativismus widerspricht der klassischen Theorie der Wahrheit, die auch als Adäquationstheorie oder »Korrespondenztheorie« der Wahrheit bezeichnet wird und von den meisten Denkern des Abendlands von den Vorsokratikern, Platon und Aristoteles an bis zu Husserl und vielen anderen Denkern der Gegenwart vertreten wurde.6 Nach dieser, wie ich meine, richtigen, wenngleich klärungsbedürftigen, Auffassung7 besteht die Wahrheit eines Urteils in einer adaequatio intellectus et rei (oder ad rem), in einer Übereinstimmung des Urteils mit der Sache, mit der Wirklichkeit. Sie kommt einem Urteil daher dann und nur dann, aber auch immer dann zu, wenn der in diesem Urteil behauptete Sachverhalt wirklich besteht.8 Akzeptiert man dieses Verständnis der Urteilswahrheit,9 wäre es sinnlos zu sagen, dasselbe Urteil sei für manche Menschen wahr, für andere falsch.

Nehmen wir drei Beispiele von Aussagen zum Ausgangspunkt und versuchen wir, an ihnen zu zeigen, daß die Wahrheit einem Urteil absolut und allein in seinem Verhältnis zur Wirklichkeit, und nicht relativ auf irgendein denkendes Wesen zukommt: »Das Kloster Heiligenkreuz liegt in Niederösterreich«; »Josef Seifert hat sechs lebende Kinder«; »Gott, über den hinaus nichts Größeres und nichts Besseres sein oder auch nur gedacht werden kann, existiert.« Die jedem Kind einleuchtende und von den größten Philosophen für wahr gehaltene Erklärung der Wahrheit dieser Urteile ist diese: sie sind dann wahr, wenn sie der Wirklichkeit entsprechen, oder noch präziser gesagt: die in diesen Sätzen ausgedrückten Urteile meinen und behaupten drei verschiedene Sachverhalte, welche die geographische Lage dieses schönen Klosters, die Anzahl meiner Kinder und die Existenz Gottes betreffen. Es ist daher dann und nur dann wahr, daß das Kloster Heiligenkreuz in Niederösterreich liegt, wenn es wirklich so ist; die Aussage über meine Kinderzahl ist dann und nur dann wahr, wenn die Behauptung, ich habe sechs Kinder, dem behaupteten Sachverhalt entspricht und ich in Wirklichkeit sechs Kinder habe. Und es ist dann und nur dann wahr, daß »Gott, über den hinaus nichts Grösseres und nichts Besseres sein oder auch nur gedacht werden kann, existiert«, wenn dies wirklich der Fall ist und wenn also nicht der Atheist oder der Polytheist Recht hat, daß so ein Wesen nicht existiert. Und wenn all dies wahr ist, so ist das einzige Maß dieser Wahrheit das Sein selbst und bleibt die Wahrheit völlig unberührt davon, ob irgendein oder viele Menschen diese Urteile für wahr halten oder nicht.

Wenn nämlich die Wahrheit jedes dieser Urteile von ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit abhängt, dann ist offenbar kein Platz für die Relativität der Wahrheit auf die Meinungen der Menschen. Nehmen wir an, alle Salzburger würden meinen, das Kloster Heiligenkreuz, wegen seiner großen Schönheit, befände sich im Land Salzburg, so wäre es wohl unsinnig zu behaupten, daß es relativ auf die Salzburger und ihren Konsens wahr sei, daß Heiligenkreuz in Salzburg liegt. Oder wenn Professor Pater Marian behaupten wollte, ich hätte nur 1 Kind und nicht 6, wäre dies offensichtlich nicht relativ auf ihn oder für ihn wahr, sondern falsch, wenn ich in der Tat sechs Kinder habe. Ebenso verhält es sich mit der Wahrheit der obigen Aussage über Gott. Ist diese wahr, weil der behauptete Sachverhalt der Existenz Gottes besteht, so ist diese Aussage offensichtlich nicht nur für Juden, Muslime und Christen wahr, sondern an sich und deshalb auch für Menschen aller anderen Religionen gültig, auch wenn sie diese Wahrheit nicht kennen oder ausdrücklich leugnen. Oder wenn die christliche religiöse Aussage, daß das Wort Gottes, die zweite göttliche Person, Mensch geworden und von den Toten auferstanden ist, wahr ist, ist sie selbstverständlich nicht nur für die Christen, sondern an sich wahr und deshalb genauso für Juden oder Muslime, Götzenverehrer oder Menschenfresser gültig. Besser gesagt, sie ist überhaupt nicht für jemanden wahr. Was wahr ist, ist in sich und infolgedessen in für jeden Menschen gültiger Weise wahr, und was falsch ist, ist für niemanden wahr. Vielleicht kann derjenige Zuhörer unter ihnen, der noch nicht überzeugt ist, an Hand des folgenden Beispiels überzeugt werden: ein afrikanischer Stamm hält die Mitteilung eines Besuchers, sein Dorf sei von Löwen umgeben und die Dorfbewohner sollten eine Mauer mit Palisaden um das Dorf errichten, für falsch und schützt sich nicht. Soll es auch dann relativ für diesen Stamm auf Grund des Konsenses der Stammesgenossen wahr sein, daß es keine Löwen um ihr Dorf herum gibt, wenn diese in der Nacht eindringen und alle Bewohner auffressen?

Selbstverständlich ist es richtig, daß verschiedene Menschen verschiedene gegensätzliche Meinungen für wahr halten. Diese offensichtlich wahre Behauptung aber, daß etwa die orthodoxen Juden und die Muslime nicht glauben, daß es drei göttliche Personen gibt und daß die zweite von ihnen Mensch geworden und auferstanden ist, ist völlig von der absurden Aussage verschieden, diese christlichen Glaubensinhalte seien für die Juden und Muslime nicht wahr, wohl aber für die Christen. In Wirklichkeit gilt: Haben die nicht-christlichen Juden und Muslime recht, so sind diese Glaubenssätze der Christen falsch, haben die Christen recht, ist die Verwerfung dieser christlichen Glaubenssätze falsch. Aber was immer daran falsch oder wahr ist, ist an sich so und deshalb weder nur für Dich noch für den modernen Menschen, noch bloß für den Menschen überhaupt.

Wenn man einmal versteht, worin die Wahrheit einer Aussage besteht, ergibt sich, daß die Projektion der Relativität verschiedener Meinungen auf die Wahrheit selbst so offenkundig dem Wesen der Wahrheit widerspricht, daß der Relativismus, wie Husserl sich ausdrückt, widersinnig ist und, wie Bonaventura im Hinblick auf die Wahrheitsleugnung sagt, nicht einmal gedacht werden kann.10

Es ist bemerkenswert, daß Husserl, dem wir die klare, oben angedeutete Unterscheidung dreier Typen von Relativismus (individueller, kulturell-historischer und allgemeiner/spezifischer) verdanken, den Relativismus und den Skeptizismus zu identifizieren scheint.11 Doch sind diese beiden Positionen, bei all ihren vielen wechselseitigen Beziehungen und teilweise ähnlichen, gleich verhängnisvollen Konsequenzen für die menschliche Wissenschaft, Philosophie und Religion und das gesamte menschliche Leben, doch ganz von einander verschieden.

Dies zeigt sich darin, daß der Relativismus eine von der klassischen abweichende Theorie über das Wesen der Wahrheit einschließt und deren Relativität behauptet. Der Relativist behauptet, daß es keine Wahrheit gibt, die an sich wahr ist, sondern sie könne nur wahr für dich, für unser Zeitalter, oder für den Menschen überhaupt sein. Damit deutet der Relativismus die Wahrheit in ihrem Wesen ganz um und verwirft, was die klassische Philosophie unter ihr verstanden hat und was sie objektiv ist, indem er sie mit dem, worüber Konsens besteht, mit dem für jemanden Nützlichen, oder anderen auf die Menschen relativen Gegebenheiten identifiziert.

Der Skeptizismus unterscheidet sich hierin vom Relativismus: er deutet nicht das Wesen der Wahrheit um, sondern kann ganz dasselbe Verständnis der Wahrheit in ihrem Wesen voraussetzen wie die klassische Theorie der Wahrheit, die auch als »Korrespondenztheorie« bezeichnet wird. Der Skeptizismus leugnet nicht, daß es objektive Wahrheit gibt,12 noch deutet er ihr Wesen anders; er behauptet nur, was allerdings folgenschwer genug ist, wir könnten die Wahrheit nicht erkennen.13

2. Die existentiellen Folgen des Relativismus, der Skepsis und der Wahrheitsleugnung

Nietzsche hat wie kaum ein anderer Denker nicht nur die immanentistischen und zum Relativismus bzw. zur radikalen Skepsis, dem Zweifel an aller Erkenntnis, führenden Konsequenzen der »Kopernikanischen Wendung« Kants, der zufolge nicht unser Urteil sich nach der Wirklichkeit, sondern die uns erscheinende Welt sich nach dem Subjekt richtet und eine Denknotwendigkeit an die Stelle der Seinsnotwendigkeit tritt,14 sondern auch deren verheerende Folgen für das Leben tief gesehen, auch wenn er sich später durch den Übermenschen und Willen zur Macht bzw. aktiven Nihilismus von diesen verheerenden Folgen des Relativismus und der Verzweiflung an der Wahrheit zu befreien suchte.15 In der III. Unzeitgemäßen Betrachtung: »Schopenhauer als Erzieher« (nach seiner eigenen Erklärung hat Nietzsche diesen 1873 verfaßten Aufsatz im Grunde über seine eigene Entwicklung geschrieben) schreibt er:

»Die zweite [Gefahr, in deren Schatten Schopenhauer heranwuchs] heißt: Verzweiflung an der Wahrheit. Diese Gefahr begleitet jeden Denker, welcher von der Kantischen Philosophie aus seinen Weg nimmt, vorausgesetzt, daß er ein kräftiger und ganzer Mensch in Leiden und Begehren sei und nicht nur eine klappernde Denk und Rechenmaschine.16 … Sobald aber Kant anfangen sollte, eine populäre Wirkung auszuüben, so werden wir diese in der Form eines zernagenden und zerbröckelnden Skeptizismus und Relativismus gewahr werden; und nur bei den tätigsten und edelsten Geistern, die es niemals im Zweifel ausgehalten haben, würde an seiner Stelle jene Erschütterung und Verzweiflung in aller Wahrheit eintreten, wie sie z. B. Heinrich von Kleist als Wirkung der Kantischen Philosophie erlebte. ›Vor kurzem‹, schreibt er einmal in seiner ergreifenden Art, ›wurde ich mit der Kantischen Philosophie bekannt — und dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird als mich. — Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint. Ist’s das Letztere, so ist die Wahrheit die wir hier sammeln, nach dem Tode nichts mehr, und alles Bestreben ein Eigentum zu erwerben, das uns auch noch in das Grab folgt, ist vergeblich. — Wenn die Spitze dieses Gedankens dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe keines mehr.‹«17

Was Nietzsche hier mit Kleist das »heiligste Innere« nennt, ist jene tiefe Wirklichkeit im Menschen, in der sich seine existentielle Beziehung zur Wahrheit konstituiert. Es gibt ein Zentrum in der Seele des Menschen, das wahre Lebenszentrum des Geistes, in dem der Mensch so auf die Wahrheit zugeordnet ist und auf die Wirklichkeit in der Fülle ihrer in sich ruhenden Bedeutsamkeit und Kostbarkeit, daß er im Innersten getroffen wird, wenn er der radikalen Skepsis oder dem Relativismus verfällt und zur Überzeugung kommt, niemals die objektive Wahrheit und objektive Werte erkennen zu können. Lebt der Mensch in und aus diesem auf die Wahrheit gerichteten, wertantwortenden18 Zentrum, so ist der Augenblick »sein Tod«, in dem ihm verkündet würde: alle Güter und Personen, auf die antwortend du glücklich bist, alle Wahrheit, die du zu erkennen glaubtest, Gott selbst — all dies ist nicht unabhängig von dir, all dies wird mit dem Tode »nichts« mehr sein; denn es »lebt« nur von Gnaden Deiner selbst, Deiner Natur, Deiner Konstitution; alles, was Du für wahre Urteile über diese wichtigsten Dinge hältst, ist nur Illusion, ist nichts als Dein Fürwahrhalten dieser Dinge, das »für Dich wahr ist«, solange Du lebst; dieser Augenblick bedeutet dann seine Verzweiflung, aus der nichts, nichts ihn erretten kann und soll außer der Wahrheit selbst. Nur sie, die befreiende Wahrheit, die dieses Verzweiflung bringende Wort Lügen straft, kann uns aus dieser Verzweiflung retten — Flucht, Verdrängung, Unernst sind keine Rettung, auch wenn sie uns die Verzweiflung vergessen machen. Denn die Verzweiflung, von der wir nicht wissen, ist, wie Kierkegaard so tief gesehen hat, die schlimmste Verzweiflung.19

Die Erkenntnis der Wahrheit über die wichtigsten Wirklichkeiten, die Beziehung zu einer Wahrheit, die unabhängig vom menschlichen Geist wahr ist, die er erkennen kann, indem er sich selbst transzendiert, das ist der Lebensnerv der Person. Wenn wir in und aus dieser von jedem Menschen geforderten Beziehung zur Wahrheit leben, verstehen wir die Verzweiflung, die die gebührende Antwort auf die »Gefängniswände unseres illusionshaften Glaubens« wäre, der niemals die Wirklichkeit an sich erreichen würde, wie der Relativismus meint.20

Während aber Kleists durch die Lektüre Kants hervorgerufener Skeptizismus und seine Verzweiflung an aller Wahrheitserkenntnis, die ihn zum Selbstmord trieben, nur die Erkenntnis der Antwort auf die Frage, ob wir nicht-relative Wahrheit erkennen, für unmöglich hielt, also eigentlich eine radikale Skepsis und Verzweiflung an der Wahrheit war, wie sie ganz ähnlich Jacques und Raïssa Maritain vor ihrer Bekehrung erlebten, leugnet der Relativismus die Objektivität bzw. Absolutheit der Wahrheit überhaupt. Er verwirft die Auffassung, daß Wahrheit Urteilen in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit zukommt und daß diese daher an sich wahr sind und folglich auch für jedes denkende Wesen Gültigkeit besitzen.

Während nun der von Nietzsche scharfsinnig in Kants Philosophie und deren populären Auswirkungen entdeckte verborgene Relativismus die Wahrheit nur auf den menschlichen Geist als solchen, auf die Spezies Mensch und dessen Denkformen, Prinzipien und Ideen relativierte, folgte bald der historische Relativismus, der sie auf bestimmte Völker und Epochen relativieren wollte statt auf den Menschen als solchen, wie der transzendentale Relativismus, den wir in Kapitel 7, als den letzten und tiefsten Relativismus, in seiner späthusserl‘schen Form kritisch untersuchen werden.21

Dennoch nahm Dilthey mit seiner Ablehnung der Skepsis betreffend die Historiographie selbst an, es gäbe noch etwas Fixes, nämlich die wissenschaftliche Objektivität des Historikers in Hinsicht auf etwas in historischen Subjekten und Epochen und deren Meinungen selbst Bestehendes.22

Hier nun setzt die hermeneutische Schule um Heidegger und Gadamer ihre Kritik an und stellt auch jenen von Dilthey und E. Betti betonten Rest scheinbar transhistorisch gültiger Wahrheit des historischen Wissens und Erlebens selbst in Frage und zieht auch noch die historischen Wissenschaften selbst in den Sog des Relativismus hinein.23 Doch auch hier ließ sich zeigen, daß diese noch radikalere Form des historischen Relativismus unweigerlich einen nicht-relativen Wahrheitsbegriff voraussetzt.24 Damit kommen wir zum Thema der Kritik des Relativismus.

3. Kritik des Relativismus

Unsere kritischen Gedanken gelten im Folgenden nur dem (allgemeinen) Relativismus. Doch enthält dessen Kritik, die sich ja auf sichere Erkenntnisse stützt, zugleich auch eine Kritik des Skeptizismus und der Wahrheitsleugnung.

A. Absurdität des Relativismus auf Grund seines ohnmächtigen Versuchs des Umdeutung der Urgegebenheit der Urteilswahrheit und seiner daraus folgenden Undenkbarkeit

Zuallererst möchte ich die Absurdität und infolgedessen Undenkbarkeit des vom Relativismus umgedeuteten Wahrheitsbegriffs hervorheben. Auch nach dem subtilsten, allgemeinen (spezifischen) Relativismus wäre nichts von dem, was wir Menschen für wahr halten, noch wahr, wenn man unsere Menschenköpfe abgeschnitten hätte. Man beachte, daß hier in dem Ausdruck »Für wahr halten« der Ausdruck »wahr« den nicht-relativen Sinn von »wahr« besitzt; denn von dem, was wir für wahr halten, glauben wir ja gerade, daß es nicht nur »für uns«, sondern wirklich wahr ist; und auch nur aus diesem Grund der Erkenntnis des nicht-relativen Wesens der Urteilswahrheit konnte Nietzsche die Wahrheiten »Illusionen« nennen, »von denen man vergessen hat, daß sie welche sind«. Damit setzt er ja den Unterschied zwischen Wahrheit und Illusion voraus. Der Wahrheitsbegriff des Relativismus und die Identifizierung der Wahrheit mit einem Für-Wahrhalten des Irrtums und der Illusion läßt sich gar nicht denken; er scheitert an der unentthronbaren Urgegebenheit der Wahrheit, die so wesenhaft nicht-relativ und von ihren Gegensätzen verschieden ist, daß der Relativismus etwas total Undenkbares behauptet, etwas, daß so undenkbar, weil absurd ist, daß der Relativismus selber es gar nicht ohne Bezug auf den klassischen Wahrheitsbegriff, und ohne diesen durch die Hintertüre wieder einzuführen, denken oder formulieren kann. Deshalb geht der Relativismus oft in den Skeptizismus oder in eine andere Position über, welche die Wahrheit nicht umdeutet, damit er überhaupt gedacht werden kann. Nietzsche z. B. formuliert den Relativismus bzw. seinen Wahrheitsfiktionalismus, indem er behauptet, daß »die Wahrheiten Illusionen sind, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind«.25 Dem Widerspruch, der in jeder derartigen Position und in jedem Relativismus liegt, der ja für die eigenen Urteile und deren Gründe absolute Wahrheit beansprucht, geht noch die Absurdität und totale Undenkbarkeit der Gleichsetzung von Wahrheiten mit Illusionen vorher. Nietzsche redet entweder Worte ohne Sinn oder er redet verstehbar, aber ausschließlich dann, wenn er den Unterschied zwischen Wahrheiten und Illusionen bzw. zwischen Irrtümern bzw. falschen und wahren Urteilen voraussetzt. Zugleich enthüllt sich der innere Widerspruch jeder Gleichsetzung von Wahrheiten mit Illusionen bzw. Irrtümern, wenn wir die Frage an Nietzsche richten, ob alles, was er jetzt über Wahrheit und Irrtum gesagt hat, daß nämlich die Wahrheiten Illusionen sind, wiederum nur eine Illusion und etwas von ihm fälschlich und nur subjektiv für wahr Gehaltenes oder absolut und objektiv wahr sei.26 Darauf kann er nur, will er konsequent bleiben, entweder nichts sagen oder erwidern, dieser Relativismus und diese Identifizierung der Wahrheit mit Illusionen seien absolut wahr, womit er aber den Relativismus schon verlassen hat und außerdem wieder die undenkbare Absurdität aussprechen würde, daß Wahrheit in Wirklichkeit gleich Falschheit oder gleich subjektivem Für wahr Halten ist.

B. Widersprüchlichkeit des Relativismus

Wir haben bemerkt, daß die Absurdität des Relativismus, die in erster Linie im Widerspruch des Relativismus zum einsichtigen Wesen der Wahrheit wurzelt, auch eng damit zusammenhängt, daß die Aussage der Relativität der Wahrheit sich selber widerspricht, worauf wir noch ausführlich zurückkommen werden.

Wir müssen an dieser Stelle und vor dem Eingehen auf die Widerspruchsfrage zunächst drei verschiedene Dinge unterscheiden:

1. Den eben charakterisierten Relativismus.

2. Die Leugnung aller Wahrheit: »Es gibt keine Wahrheit«, die schon in diesem Satz einen Wahrheitsanspruch erhebt und sich daher widerspricht.27

3. Wiederum verschieden ist der Skeptizismus, der sich von der Wahrheitsleugnung und vom Relativismus abhebt und daran zweifelt, daß es Wahrheit gibt, ohne ihre Existenz zu leugnen, bzw. nur behauptet, wir könnten Wahrheit nicht erkennen. In dieser Behauptung liegt eine andere Art von Widerspruch vor: Zwar widerspricht sich – im Gegensatz zum Urteil »es gibt keine Wahrheit« – die These »Der Mensch kann keine Wahrheit erkennen« also solche ebensowenig wir der Satz »eine Fichte kann keine Wahrheit erkennen«. Wohl aber widerspricht sich der Mensch, der sagt, der Mensch könne keine Wahrheit erkennen, weil er ja mit diesem Satz, wenn er nicht sinnlos daherplappert, schon eine Erkenntnis zu besitzen und auszudrücken beansprucht. Ja noch mehr: wer an aller Wahrheit und ihrer Erkenntnis zweifelt und behauptet, er könne keinerlei Wahrheit erkennen, setzt so viele inhaltliche Evidenzen und Erkenntnisse voraus, daß er sich in vielfacher Hinsicht selber widerspricht, worauf Augustinus mit unübertrefflicher Prägnanz hingewiesen hat, wenn er vom skeptischen Zweifler an aller Wahrheit sagt:

»Wer könnte jedoch zweifeln, daran, daß er lebt, sich erinnert, einsieht, will, denkt, weiß und urteilt? Auch wenn nämlich jemand zweifelt, lebt er; wenn er zweifelt, erinnert er sich, woran er zweifelt; wenn er zweifelt, sieht er ein, daß er zweifelt; wenn er zweifelt, will er sicher sein; wenn er zweifelt, denkt er; wenn er zweifelt, weiß er, daß er (etwas) nicht weiß; wenn er zweifelt, urteilt er, daß er seine Zustimmung nicht blind (ohne genügende Erkenntnis) geben solle. Wenn deshalb jemand auch an allem andern zweifelt, so darf er doch an all diesem nicht zweifeln: Denn wenn (all) dieses nicht wäre, könnte er überhaupt an nichts zweifeln.«28

In dieser und vielen anderen genialen Formulierungen, in denen er auf die unendliche Zahl unzweifelhafter Erkenntnisse hinweist, die selbst der radikalste skeptische Zweifel voraussetzt,29 geht Augustinus noch viel radikaler vom Zweifel aus als Descartes, und noch überzeugender als dieser überwindet er den Zweifel, indem er »mit einem Schlage« zeigt, wie mit der Wirklichkeit des Zweifels selbst zwei Arten absolut gewisser Erkenntnis mitgegeben sind:

Die völlig gewisse Einsicht in die eigene Existenz, das über allen Zweifel erhabene Innesein des eigenen Seins einerseits (das vivere se) und andererseits (untrennbar damit verknüpft) die Einsicht in das notwendige Wesen des Zweifels und all der Akte (des intentionalen Bewußtseins des Gegenstands des Zweifels, des Erkennens, des Wissens um das eigene Nichtwissen, des Denkens, Wollens, Urteilens, etc.), die er notwendig einschließt.30

Wieso aber widerspricht sich jeder Relativismus? Die Aussage »Alle Wahrheit ist relativ« auf den Einzelnen, auf einen historischen Verstehenshorizont, oder auch auf die ganze Menschheit, behauptet ja, selber wahr zu sein, beansprucht also für sich selber genau jene Objektivität der Wahrheit, die sie für alle anderen Aussagen leugnet.

Dasselbe gilt von der oben vom Relativismus unterschiedenen Leugnung der Existenz von Wahrheit. Die Widerlegung der Wahrheitsleugnung auf Grund ihrer widersprüchlichen Konsequenz, die nur in der notwendigen Falschheit und Widersprüchlichkeit der zugrundeliegenden Annahmen gründen kann, hat schon Augustinus entwickelt. Bonaventura hat sie in präziser Weise gegen den modernen und Russells Gedanken vorwegnehmenden31 Einwand, daß man die Leugnung der Wahrheit nicht auf sie selber anwenden dürfe, da keine allgemeine Aussage sich selbst zum Gegenstand haben könne, so verteidigt:32

Wenn man deshalb sagt: es gibt keine Wahrheit, so impliziert diese These, insofern sie das Prädikat vom Subjekt negiert, nicht ihr eigenes Gegenteil, nämlich: es gibt eine Wahrheit. Indem sie aber für sich selbst beansprucht, wahr zu sein, impliziert sie, daß es Wahrheit gibt; dies ist nicht verwunderlich; denn wie jedes Böse das Gute voraussetzt, so jedes Falsche die Wahrheit. Und deshalb schließt dieses Falsche, daß es keine Wahrheit gibt – da es wegen der Abtrennung des Prädikats vom Subjekt alles Wahre leugnet, und wegen der Behauptung, mit der es behauptet, selber wahr zu sein, wieder setzt, daß es eine Wahrheit gibt – beide Teile des kontradiktorischen Widerspruchs ein; daher kann der recht verstehende Intellekt auch aus jenem Falschen beide Teile des Widerspruchs und damit schließen, daß die These wesenhaft falsch und nicht einmal verstehbar ist. Und das will Augustinussagen.33

So widerspricht sich die These der Wahrheitsleugnung, »es gibt keine Wahrheit«, ebenso notwendig wie der Relativismus. Sie setzt inhaltlich das Nichtsein der Wahrheit; da sie aber zugleich notwendig für sich selber (P) einen Wahrheitsanspruch erhebt und impliziert ›P ist wahr‹, widerspricht sie sich selbst. Sie setzt also voraus, daß es wahr ist, daß es keine Wahrheit gibt, was widersprüchlich ist.

Dieser Widerspruchfolgt einfach aus dem rein objektiven Inhalt des Urteils der Wahrheitsleugnung einerseits und aus dem Wesen des Urteils als solchen andererseits – ganz gleich, wer das Urteil denkt oder ausspricht.

In ähnlicher Weise enthält der Satz »Alle Wahrheitist relativ« einen Selbstwiderspruch. Denn dieses Urteil selbst beansprucht offensichtlich, nicht bloß für den Redenden, sondern absolut wahr zu sein. Lassen Sie mich dies durch eine autobiographische Anekdote illustrieren: Als ich als Student meinem Psychologieprofessor Wilhelm Josef Revers vorwarf, daß er für seinen Relativismus selber absolute Wahrheit voraussetze, schrie er mich an und schlug mit der Faust so auf den Tisch, daß der ganze Saal dröhnte: »Ja, das ist die einzige absolute Wahrheit: die Relativität aller Wahrheit!« (Wie Sie sehen, ließ ich mich durch sein Geschrei und lasse mich auch heute durch die Diktatur des Relativismus nicht bewegen umzudenken).

Auch hier steckt der Widerspruchim Wesen des betreffenden Urteils selbst, bzw. im Konflikt zwischen dem, was es setzt (›es gibt keine Wahrheit‹ oder ›alle Wahrheit ist relativ‹) und dem, was es auf Grund seines eigenen Wesens unausweichlich impliziert, nämlich: ›es gibt Wahrheit‹ und, ›diese Wahrheit ist absolut, nicht nur für den Redenden‹.

C. Widerspruch der »Diktatur des Relativismus«

Auch in der Bezeichnung dieser Tagung »Diktatur des Relativismus« wird ein Widerspruch angedeutet, der sich allerdings unmittelbar nicht im Relativismus selbst, sondern in den verbreiteten Einstellungen und Handlungsweisen der Relativisten, also in deren unlogischem Verhalten in Bezug auf ihre Philosophie findet, aber doch auf einen Widerspruch im Relativismus selbst zurückverweist, der ganz konträre Einstellungen und Handlungsweisen erlaubt und fordert. Denn einerseits gilt: wenn alle Wahrheit oder die Wahrheit in einem bestimmten Bereich relativ ist, woher will dann der Relativist das Recht hernehmen, in allen oder gerade in jenen Teilbereichen, auf die sich sein Relativismus erstreckt, Diktatur über andere auszuüben oder gar zu verlangen, sie sollten denselben Relativismus vertreten wie er? Diese Forderung kann er doch gerade nur daraus ziehen, daß etwas an sich wahr ist, zumindest sein Relativismus. Denn wenn für jeden Menschen wahr ist, was gerade dieser beliebige Mensch für wahr hält, bzw. wenn es keinen Unterschied zwischen Wahr-sein und »Für Wahr-Halten« mehr gibt, jenen fundamentalen Unterschied, den der Relativismus aufheben möchte, dann müßte ein totales laisser-faire, laissez-vivre folgen, und jede Diktatur sollte in einer relativistischen Gesellschaft und Institution ausgeschlossen sein; grenzenlose Toleranz bzw. Duldung und Gleichberechtigung jeder anderen Meinung, die ebenso relativ, geradesogut oder so schlecht, wäre, sollte unter Voraussetzung des Relativismus herrschen.

Dem aber ist, wie wir wissen, nicht so. Es ist auch keineswegs so, wie Sir Karl Popper und die kritischen deutschen Rationalisten behaupten: die Anerkennung einer sicheren Erkenntnis einer objektiven Wahrheit als solcher sei es, welche zum Totalitarismus führe.34 Niemand übt eine so radikale Diktatur aus wie der Relativismus. Es läßt sich sogar zeigen, daß die furchtbarsten totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts ihre Tyrannei, Unterdrückung und Verbrechen keineswegs im Namen einer objektiven, absoluten Wahrheit ausübten, sondern im Namen eines radikalen Relativismus, dem zufolge das, was als wahr zu gelten habe, nichts anderes wäre als was der nationalsozialistischen Partei nütze, wie der Nationalsozialismus lehrte, oder Metaphysik und Religion nichts als Waffen im Klassenkampf und alle Ideen und Wahrheitsansprüche nur in den Hirnen der Menschen gründende Illusionen und falsches ideologisches Bewußtsein seien, wie der Bolschewismus und Marxismus, und in anderer Form auch der italienische Faschismus behaupteten.35

Darin, daß der Relativismus einerseits alles dulden sollte und andererseits keine Diktatur und totalitäre Herrschaft wegen ihrer irrigen Voraussetzungen ausschließen kann, liegt in gewisser Weise eine paradoxe »Logik« des Relativismus, welche durch ihre widersprüchlichen Konsequenzen des Verbietens und des Erlaubens jeder geistigen und politischen Diktatur offen an den Tag tritt und die innere Widersprüchlichkeit des Relativismus zum Ausdruck bringt. Denn genausowenig wie der Relativist irgendein Recht hat, eine geistige oder politische Diktatur auszuüben oder die Denk- und Handlungsweise anderer Menschen zu verwerfen, hat er ein Recht, die scheußlichsten Verbrechen und totalitären Diktaturen zu kritisieren. Denn wenn es keine objektive, absolute Wahrheit gibt, wenn alle Wahrheit relativ ist und eigentlich mit dem Für-wahr-Halten zusammenfällt, dann ist wirklich alles erlaubt und nichts verboten.

Die Diktatur des Relativismus ist keineswegs nur auf ihre Rolle in den totalitären Regimen beschränkt,36 sondern einer Diktatur des Relativismus begegnen wir auch heute, vor allem im akademischen und medizinischen Bereich: die Anerkennung der Evidenz objektiver Wahrheit und ihrer Erkenntnis führt häufig zu einer Art Ächtung, einer törichten Brandmarkung von Menschen, die eine absolute Wahrheit verteidigen, als dogmatisch, ideologisch, fundamentalistisch, etc., zu einem ihnen Verwehren der Medienstimmen; zum Ausschluß von Nichtrelativisten an universitären und anderen Stellen im sozialen Bereich; auch zu ihrer förmlichen Verfolgung in religiösen und theologischen Kreisen. In politischen Erscheinungen und Gesetzesvorschlägen bzw. Regierungsanordnungen wie der Obama Care wird der Relativismus sogar bis auf eine Unterdrückung der Gewissensfreiheit hin ausgedehnt: nicht nur gibt es keine objektive erkennbare Wahrheit, sondern niemand hat mehr das Recht, zu glauben, daß es sie gibt und sein Gewissen an sie binden zu wollen.

In der skrupellosen Herrschaft und Diktatur des Relativismus liegt der besagte Widerspruch, der zugleich der Logik folgt, daß vom Relativismus aus alles und nichts erlaubt ist, alles und nichts in Wirklichkeit verboten ist. Dieser Widerspruch offenbart letzten Endes auch die Irrigkeit des Relativismus jeder Art selber. Denn sosehr einige Philosophen und Mathematiker im 20. Jahrhundert das Gegenteil behaupten wollten: Wahrheit kann nie einen Widerspruch einschließen. Wenn sich daher der Relativismus ebenso wie dessen Diktatur notwendig widersprechen, kann der Relativismus unmöglich wahr sein.

4. Kritik der Listen einiger Logiker (Beispiel Russell-­Whitehead’sche Typentheorie) und Versuche Heideggers und Gadamers, sich aus der Schlinge der Wahrheit zu ziehen und vor der Widersprüchlichkeit und Falschheit des Relativismus zu retten.

Verschiedenste Logiker haben versucht, den Relativismus vor der vernichtenden Kritik des Nachweises seiner inneren Widersprüchlichkeit und damit notwendigen Falschheit zu retten.

Whitehead und Russell z. B. haben37 allgemeine Theorien zur Lösung und Erklärung des Zustandekommens logischer Paradoxien und Selbstwidersprüche angeboten,38 die man folgendermaßen zusammenfassen kann:

1. Widersprüche, die es zugunsten der Widerspruchsfreiheit zu vermeiden gilt, stammen alle aus einer bestimmten Art der Selbstanwendung allgemeiner Urteile, die zu einem circulus vitiosus oder auch einem Widerspruch führe.

2. Dabei werde u.a. die (von Russell bestrittene) Voraussetzung gemacht, daß sich Sätze sinnvollerweise auf alle Sätze inklusive ihrer selbst beziehen können.39

3. Ohne die Gründe und Folgen eines solchen Verbots jedes Selbstrückbezugs von Sätzen über alle Sätze tiefer zu bedenken, behauptet Russell ziemlich abrupt, daß Sätze über alle Sätze und dgl. sinnlos seien40 und daß sich niemals Aussagen über Totalitäten machen ließen, zu denen diese Aussagen selbst gehörten:41

4. Dieses Verbot der Anwendung der Aussagen über eine Totalität auf sich selbst gelte von allen Sätzen (Urteilen).42

5. Die Typentheorie stelle nun ein Prinzip auf, das alle illegitimen Totalitäten vermeide, nämlich: ›was immer sich auf alle Mitglieder einer Totalität bezieht oder sie einschließt, darf nicht ein Teil der Totalität sein.‹43 Eine ganz ähnliche Theorie kann in Form einer moderneren metasprachlichen Theorie ausgedrückt werden. Dieses Prinzip wird auch Circulus-Vitiosus-Prinzip (›vicious-circle-principle‹) genannt, weil es den in illegitimen Totalitäten liegenden ›circulus vitiosus‹ vermeide. Die durch dieses Prinzip verurteilten Fehlschlüsse werden auch ›circulus-vitiosus Fehlschlüsse‹ (vicious-circle-fallacies) genannt.

6. Russell stellt die These der strikten Universalität dieses Prinzips auf und geht so weit zu behaupten, selbst das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten und andere oberste logische Grundprinzipien wie der Satz vom Widerspruch, wenn sie von ›allen Sätzen‹ sprechen, dürften nicht auf sich selbst angewendet werden. Man dürfe etwa nicht sagen, auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten könne nur entweder wahr oder falsch sein. Denn dies schließe die erörterte vicious circle fallacy ein. Die Totalität des Umfangs einer Aussage müsse immer erst begrenzt werden und jede Aussage über die Totalität fernhalten.44

Russell geht konsequent weiter und behauptet, jede Widerlegung des Skeptikers, der nichts zu wissen behauptet, weil er dabei ja voraussetze, dies zu wissen, daß er nichts wisse und viele andere philosophische Nachweise von Widersprüchen der gegnerischen Position, seien hinfällig, weil sie dieses ›Circulus-Vitiosus-Prinzip‹ verletzten. Auch der Skeptiker müsse zuerst sein Nichtwissen einschränken, wobei der Satz, daß er hinsichtlich dieser Menge unwissend sei, nicht selbst als Teil der Gesamtheit von Sätzen betrachtet werden dürfe, über die er ohne Wissen sei. Jeder bedeutsame Skeptizismus und Relativismus sei deshalb unverwundbar durch die erwähnte Art von Einwänden aus dem Selbstwiderspruch dieser Positionen.45 In ähnlicher, wenngleich wesentlich gröberer Art und Weise haben Heidegger und Gadamer hinsichtlich der Widerlegung durch Selbstwidersprüche von einem »plumpen Überrumpelungsversuch« gesprochen.46

Eine Reihe von Kritiken an Russells Lösungsversuch halte ich für angebracht: Russell macht implizite in seinem Lösungsversuch die Voraussetzung, daß es alle Paradoxe zu vermeiden gilt. Daran ist zweifellos wahr, daß es in der Wirklichkeit oder in einer korrekten Logik nichts geben kann, was in sich selbst paradoxe Widersprüche enthält. 47 Doch nimmt Russell weiter an, jede Ableitung kontradiktorisch einander widersprechender paradoxer Thesen im Rahmen der üblichen Widerlegungen der Skepsis oder des Relativismus beruhe nicht auf widersinnigen Annahmen des Skeptizismus oder des Relativismus, sondern vielmehr auf einem Trugschluß ihrer Kritiker.48

Diese letztgenannte Voraussetzung Russells halte ich für offenkundig falsch. Seit der Antike wußten alle Logiker, die sich mit Sophismen beschäftigten, daß das Gegenteil stimmt und viele Annahmen sehr wohl bei Beachtung aller logischen Gesetze zu Widersprüchen führen können, nämlich immer dann, wenn die Annahme in solcher Weise falsch und notwendig falsch ist, daß sie sich selbst widerspricht.49

Es ist daher abzulehnen, die objektiven Widersprüche des Skeptizismus oder Relativismus mit Hilfe von künstlichen Theorien wie der Typentheorie zu verhindern, nur um Widersprüche zu vermeiden. Vielmehr besteht die Aufgabe des Philosophen darin zu fragen, ob diese Widersprüche in der Tat aus der Falschheit solcher Thesen entstehen oder nur vermeintlich auf Grund bestimmter logischer Fehler aus dieser entspringen. Wenn der Widerspruch des Relativismus seinen Grund in der notwendigen Falschheit des Relativismus hat, sollte der Philosoph in keiner Weise sophistische Theorien entwerfen, nur um solche widersinnigen und notwendig falschen Aussagen wie die skeptische und relativistische Position von ihrem Widersinn zu befreien, vor allem nicht durch die Proklamation von eklatant falschen Behauptungen.

Russell nimmt an, es könne keinen Satz und kein Urteil geben, die sich auf alle Sätze und Urteile beziehen.50 Die Falschheit dieser Annahme leuchtet aus folgenden Überlegungen ein:

Wenn es in der Tat allgemeine Wesensmerkmale aller Urteile gibt, wie daß in ihnen Begriffe vorkommen, aus welchem möglichen Grund sollten sich diese nicht in dem Satz oder Urteil selbst finden, in dem sie ausgesprochen werden?51

Nicht nur fehlt jede vernünftige Begründung für die Behauptung Russells, jedes sich selber Betreffen von Sachverhalten sei abzulehnen. Ein Blick auf die Tatsachen widerlegt sie. ›Jedes Urteil erhebt einen Anspruch auf Wahrheit‹; das gilt selbstredend auch von diesem.52

Auch das Urteil, welches den Widerspruchssatz formuliert: ›Von zwei kontradiktorischen Urteilen können nicht beide wahr sein‹ ist evidenterweise für es selbst gültig und das Prinzip vom Widerspruch trifft auf es selbst zu.

Wollte man im Ernst alle Selbstanwendung eines Urteils und logischer Gesetze für eine Quelle logischer Fehler erklären, würde alle Logik vernichtet werden. Wenn etwa das Widerspruchsprinzip nicht von sich selber gälte und deshalb selbst zugleich mit seinem Gegenteil wahr sein könnte, könnte alles oder nichts wahr sein, wie Aristoteles im IV. Buch (Γ) der Metaphysik nachweist.53

Daß Selbstanwendungen als solche keine Quelle von Fehlschlüssen sind, ergibt sich auch aus der Fülle problemloser empirischer Fälle derselben.54 Folglich kann Selbstanwendung als solche nicht der Grund für paradoxe Widersprüche und für Zirkelschlüsse sein, sondern ist dies nur in dem Falle, in dem die Selbstanwendung eines allgemeinen Urteils eine absurde Voraussetzung einschließt wie die These, der Barbier von Sevilla rasiere alle und nur jene Menschen in Sevilla, die sich nicht selbst rasieren, einschließlich seiner selbst, in welchem Falle er sich zugleich nicht rasieren dürfte, wenn er sich selbst rasierte und selbst rasieren müßte, wenn er sich nicht selbst rasierte.

Trotz ihrer Irrigkeit als allgemeine Theorie liegt der Typentheorie Russells eine richtige Erkenntnis zugrunde. In manchen Fällen und bei gewissen Behauptungen über alle Glieder einer Klasse muß nämlich der Fragende in der Tat sinngemäß sich selbst bzw. seine eigene Feststellung vom Zirkel der Objekte ausnehmen, über die er spricht.55

Zwei Bedingungen sind dabei entscheidend für die Anwendung des ›Circulus-Vitiosus-Prinzips‹: erstens darf es sich nicht um eine strikte Allgemeinheit handeln, unter die der Sprechende, das Urteil, oder der gegebene Sachverhalt objektiv fallen muß; zweitens muß es aus der Natur der Sache oder der Intention des Redenden klar sein, daß er sich nicht selbst mitmeint oder sinnvollerweise mitmeinen kann.56

Nimmt man hingegen die Wahrheit des verallgemeinerten ›Circulus-Vitiosus-Prinzips‹ an, so löst man die gewichtigsten logischen, erkenntnistheoretischen und metaphysischen Prinzipien, ja letzten Endes alle Wahrheit auf bzw. leugnet sie. 57

Wenn die logischen Grundprinzipien (und auch die ontologischen Prinzipien der Identität, des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten und andere) nicht auf sich selbst anwendbar wären, brächen sie zusammen und würden jeden Sinn verlieren.

Auch dürfte ich nie über Erkenntnis etwas Gültiges aussagen, weil ich dies nur auf Grund von Erkenntnis tun könnte und damit ein Erkenntnisakt auf die Gesamtheit von Erkenntnisakten inklusive seiner selbst bezogen wäre. So wäre die Auflösung der Philosophie überhaupt letzte Folge der Russell‘schen Konzeption und Lösung der Antinomien.

Die Unhaltbarkeit einer Lösung des paradoxen Widerspruchs des Relativisten, der zugleich eine Relativität aller Wahrheit behauptet und damit auch seiner eigenen relativistischen These, und zugleich absolute Wahrheit für seinen Relativismus beansprucht, liegt auf der Hand.58

Im Falle der skeptischen oder relativistischen These, die über das Wesen von Wahrheit, Erkenntnis oder des Menschen spricht, wäre jedes sich Ausnehmen der These selbst oder des Sprechenden schlechthin lächerlich und dies aus zwei Gründen. Wenn jemand sagen wollte, ›alle Wahrheit ist relativ auf den Menschen; sie ist nichts als das Wahrgehaltenwerden von bestimmten Menschen – nur meine jetzige Aussage ist objektiv und absolut wahr‹, dann nimmt er erstens seine Aussage und deren Wahrheit von einem allgemeinen Prinzip ›aller Wahrheit‹ aus, was auf Grund der Natur der notwendigen Struktur dessen, was Wahrheit ist, völlig willkürlich und unhaltbar ist, eben weil die wesensnotwendigen Sachverhalte schlechthin allgemein sind. Wenn etwas absolut ›so sein muß‹ und ›nicht anders sein kann‹, ist es auch immer und überall so. Ähnliches gilt, wenn jemand sagt, kein Mensch kann Erkenntnis gewinnen, nur ich erkenne diesen einen Sachverhalt.

Zweitens aber kann niemand nur eine Ausnahme machen, sondern setzt im gleichen Moment eine Reihe anderer objektiv wahrer Aussagen oder Erkenntnisse voraus. Z. B. kann niemand erkennen, daß kein Mensch etwas erkennt, ohne auch irgendwelche Gründe für diese Behauptung zu verstehen und zu erkennen, z. B. die postulierten erkenntnistheoretischen, wahrheitstheoretischen und logischen Sachverhalte und Gesetze, kraft deren er z. B. aus Meinungsverschiedenheiten oder aus der Unverläßlichkeit der Sinne auf die Nichtexistenz von Erkenntnis schließt, usw.

Daher können wir getrost bei der gewonnenen Erkenntnis bleiben: der Relativismus widerspricht sich selbst und dieser Selbstwiderspruch gründet in nichts anderem als in seiner notwendigen Falschheit und seinem Angriff auf das einsichtige Wesen der Wahrheit, die doch unleugbar ist und die jeder Mensch inklusive des Relativisten voraussetzt: daß nämlich die Wahrheit nie relativ sein kann, sondern absolut ist: Was falsch ist, ist an sich falsch und kann nie für irgendein Individuum, irgendein Zeitalter, oder für den Menschen überhaupt wahr sein; und was wahr ist, ist an sich wahr und kann weder für andere Menschen noch für Engel noch für Gott falsch sein.59

1 Dieser Text basiert auf einem Vortrag, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz am 2. Juni 2012 im Rahmen der Tagung ›Die Diktatur des Relativismus‹ gehalten worden ist. Der Titel dieser Tagung war inspiriert von der berühmten Predigt Kardinal Joseph Ratzingers in der hl. Messe pro eligendo pontificem (http://www.vatican.va/gpII/documents/homily-pro-eligendo-pontifice_20050418_ge.html), die dem Konklave vorausging, in dem er zum Papst gewählt wurde. Dort hat Ratzinger den Relativismus als eine der Grundgefahren für den christlichen Glauben bezeichnet und von einer wahren »Diktatur des Relativismus“ gesprochen:

Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich »vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen«, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.

Vgl. auch, Joseph Kardinal Ratzinger, »Relativism: The Central Problem of Faith today« – address given in May 1996. In: John F. Thornton und Susan B. Varenne (Ed.), The Essential Pope Benedict XVI: His Central Writings and Speeches, (New York: Harper/Collins, 2007), S. 227–228. Vgl. auch Gediminas T. Jankunas, The Dictatorship of Relativism. Pope Benedict XVI’s Response (Chicago: Albahouse, 2011).

Der Text wurde am 19.11.2012 publiziert in Aemaet. Wissenschaftliche Zeitschrift für Philosophie und Theologie; http://aemaet.de, ISSN 2195–173X. Das vorliegende Kapitel stellt eine leicht revidierte Fassung dieser Publikation in AEMAET dar.

2 Platon, Protagoras, Theaitetos, Menon; Aristoteles, Metaphysik, BuchIV. Vgl. auch Edmund Husserl, Logische Untersuchungen. Text der ersten und zweiten Auflage, Band I: Prolegomena zu einer reinen Logik, hrsg. E. Holenstein, Husserliana, Bd. xviii (Den Haag: M. Nijhoff, 1975).

3 Vgl. dazu Dietrich von Hildebrand, Ethik, in: Dietrich von Hildebrand, Gesammelte Werke, Band II (Stuttgart: Kohlhammer, 1973), Kap. 9.

4 Platon, Theaitetos, 152 a ff.:

»Er sagt nämlich, der Mensch sei das Maß aller Dinge, der sei­en­den, daß sie sind, der Nichtseienden, daß sie nicht sind.«

Vgl. auch Giovanni Reale, Verso una nuova interpretazione di Platone, 20e ed. (Milano: Java Boom, 1997); Giovanni Reale, Zu einer neuen Interpretation Platons. Eine Auslegung der Metaphysik der großen Dialoge im Lichte der »ungeschriebenen Lehren«, übers. v. L. Hölscher, mit einer Einleitung von H. Krämer, hrsg. und mit einem Nachwort von J. Seifert (Paderborn: Schöningh, 1993), sowie ders., Storia della filosofía antica, 5 Bde, 10. Auflage(Mailand: Vita e Pensiero, 1995), Bd. 1–2.

Martin Cajthaml meint, mit Reale, daß Protagoras selber den homo-mensura-Satz im Sinne des individuellen Relativismus verstanden habe. Vgl. Martin Cajthaml, Kritik des Relativismus. Philosophie und Realistische Phänomenologie, Studien der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein/Philosophy and Realist Phenomenology. Studies of the International Academy for Philosophy in the Principality Liechtenstein. Hrsg. v. Rocco Buttiglione und Josef Seifert, Bd. XIV(Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2003).

5 Wie etwa der Nutzen für ein Volk oder die existentielle Trost- und Kontingenzbewältigungsfunktion. Die Wahrheitstheorien, welche am klarsten einen Relativismus einschließen, sind die Konsens- und Diskurstheorie der Wahrheit, die funktionalistische, pragmatische, und verschiedene existentialistische Wahrheitstheorien. Vgl. Josef Seifert