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Erzählungen für Kinder und Eltern zum Mitdenken. Geschichten über Freundschaft, Verzweiflung, Mut und Angst, über uns und (ganz) andere. Geschichten, die vieles erzählen, aber alles offenlassen. Unbequem, wie ein Fitnessparcours für den, der sie mit offenen Augen liest.
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Seitenzahl: 117
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Liebe (Vor-) Leserinnen und (Vor-) Leser,
Sie halten ein Buch in der Hand. Das ist schon mal gut. Denn ein Buch kann eine ähnliche Wirkung entfalten wie ein Kurzurlaub. Es lässt uns in eine andere Welt reisen, die wir durch das Verknüpfen mit eigenen Vorstellungen und Erlebnissen, mit angenehmen und von uns selbst geschaffenen Bildern ausstatten können. Ganz anders als die bunten Medien, deren übermäßiger Genuss uns die bereichernde Kunst der eigenen Gedankenreisen allzu schnell verlernen lässt. Deshalb hat der Wiewaswurm am Ende eines jeden Kapitels einen Lesetipp für die / den Vorleser(in) zum Start in eine großartige Weiterreise zum Thema hinterlassen.
Sollten Sie eine leichte (Vorlese-) Lektüre gesucht haben, können Sie das Buch, das Sie gerade aufgeschlagen haben, behalten oder wieder zurücklegen. Denn Sie selbst entscheiden, auf welche Reise sie gehen wollen. Aber ein Buch mit klugen Antworten auf 1001 Fragen ist es sicher nicht. Eigentlich enthält das Buch nicht einmal richtige Einschlafgeschichten, insofern ist sogar der Titel des Buches falsch. Statt Einschlafgeschichten sollten es nämlich Aufwachgeschichten sein. In unserem hektischen Alltag ist aber meist kein Platz mehr für Morgenlektüre, die einem den Start in den Tag versüßt. Trotzdem, besser als gar nicht, lässt es sich auch vor dem zu Bett gehen lesen. Wenn Sie also ein Buch suchen, das Sie Ihrem Kind abends vorlesen wollen, obwohl Sie es besser morgens täten und Ihr Kind mit noch mehr Fragen als Antworten zurücklässt, haben Sie in jedem Fall die richtige Wahl getroffen.
Für die einen handeln die Geschichten von alten und neuen Freunden, für andere davon, was die Wahrheit hinter Freundschaft ist. Für die einen sind die Geschichten vom Zufall gelenkt, für die anderen nicht. Für die einen ist das Buch voller Missverständnisse, für andere voller gegenseitigem Verständnis. Aus Verzweiflung wird Mut, aus Mut wird Angst. Die Wirklichkeit wird unwirklich, und was wir sehen wollen oder können, wird Wirklichkeit. Unsere ganz persönliche Wirklichkeit. Sie bestimmt unsere eigene und doch von unserem Umfeld so geprägte Vorstellung von dem, was richtig und falsch ist. Am Ende ist wahrhaftig alles vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Oder wie der Wiewaswurm zu sagen pflegt: „Was für ein Jammer, dass wir Würmer die Welt immer nur von oben sehen können.“
Das Buch, das Sie vor sich haben, enthält eine Sammlung von Geschichten, die in weiterem Sinn an die Tradition der Fabeln anknüpfen. Die Geschichten wollen durch die Projektion einer Welt nicht–menschlicher Figuren das Verhalten des Menschen und seine Schwächen deutlich machen, ja bloßstellen. Und irgendwie machen die Geschichten dann doch auch etwas müde, denn sie sollen den / die Zuhörer(in) und Leser(in) nicht bequem und gut unterhalten zurücklassen, sondern nachdenklich – oder besser – nachdenkend. Und angestrengtes Nachdenken macht ja schließlich müde. So ist der Titel des Buches vielleicht doch nicht ganz falsch gewählt.
Der Wiewaswurm war auch schon hier. An vielen Stellen sind ihm Gedanken durch den Kopf gegangen, von denen jemand einige aufgeschrieben hat. Für die aller- meisten jedoch war kein Platz. Aber zwischen den Zeilen, da ist noch alles frei, für Dich!
Der traurige Grashalm
Der kleine Bumerang
Ein ganz gewöhnliches Krokodil
Der Kaninchenbau
Der Zwerg und sein Freund Joschi
Ellas Weihnachten
Polly wird erwachsen
Die tanzenden Schneeflocken
Ulrich Wurm
Epilog
Ich stand auf einer grünen Wiese und reckte mich der Sonne entgegen, so wie alle anderen hier. Wer ein wenig Sonne abbekommen will, muss höher sein als die anderen. Einen anderen Weg ans Licht gibt es nicht, denn wir stehen immer an derselben Stelle. Morgens, tagsüber, abends und nachts, immer. Genauso wie es die meisten Grashalme tun, denke ich. Wir gehen nicht gerne spazieren, was aber nicht heißt, dass wir faul sind. Wir sind einfach nicht dafür gemacht, herumzulaufen. Auch die Grashalme auf der Nachbarwiese, die direkt an meinen Lieblingsstandplatz grenzt, machen das alle so. Wenn der Wind bläst, neigen wir uns ein wenig hin und her, das ist schon ganz lustig. Aber meistens stehen wir einfach nur still. Bei diesem vielen Herumstehen wird manchen Grashalmen langweilig. Kein Wunder, denn wir sehen nicht viel von der Welt. Mal regnet es, mal stürmt es, mal scheint die Sonne.
~ Warum nur ist das sein Lieblingsstandplatz? ~
Das ist die einzige Abwechslung, die wir haben. Nicht mal eine Biene besucht uns, die fliegen nur zu den bunten Blumen, die nach Honig duften. Das kann einem schon mal die gute Laune vermiesen. Ich versuche dann immer an etwas Schönes zu denken. Aber manchmal fällt mir einfach nichts ein. Dann werde ich griesgrämig, wie die anderen Grashalme. Oder wie der Bauer, der in dem kleinen Bauernhaus wohnt, das nur einen Steinwurf von meinem Standplatz entfernt steht. Er wohnt hier allein, solange ich denken kann. Ich habe noch nie jemanden anderen im Haus gesehen. Ich glaube, oft fühlt er sich sehr einsam. Dann setzt er sich immer auf die hölzerne Bank vor dem Haus und raucht eine dicke Zigarre. Wenn er wabernde Rauchkringel in die Luft bläst, sieht er sogar fast ein bisschen zufrieden aus. Manche Grashalme sagen, er hätte früher mal eine Frau gehabt. Aber ihr war es hier wohl zu einsam geworden. Da hat sie sich einen geselligeren Bauern gesucht, und das hat den alten Bauern noch trauriger gemacht. Und es heißt: Wenn man sehr lange traurig ist, dann wird man griesgrämig. So wie der alte Bauer eben. Seltsam sind sie schon, diese Menschen. Aber manche Grashalme sind auch nicht besser. Wenn sie vom vielen Stehen griesgrämig werden, dann suchen sie sich einen dürren Halm aus und machen sich über ihn lustig. So wie über meinen Nachbarn auf der anderen Seite des Weges, der durch den Garten zum Haus führt. Auf seiner Seite scheint nicht so oft die Sonne hin, weil das Unkraut dort sehr hoch steht. Der Bauer kümmert sich schon seit langem nicht mehr um seinen Garten. Im Schatten der wild wuchernden Sträucher und Kräuter sehen die Grashalme wirklich etwas mickrig aus. Da haben die Halme von der Weide herüber gesungen:
„Oh wie seid ihr dünn wie Stroh, auf unserer Seite sind wir froh, die Sonne scheint uns auf die Blätter bei euch ist dauernd schlechtes Wetter. Das macht uns stark und grün und schön, doch wenn wir zu euch ’rübersehn, stehen da traurige Gestalten, die sich nur mühsam aufrecht halten.“
Als könnten die Halme auf der dunklen Seite etwas dafür, dass sie keine Sonne abbekommen. Man müsste etwas dagegen tun, dachte ich. Aber ich bin ja leider nur ein kleiner Grashalm. Selbst wenn alle meine Freunde und ich zusammenhalten würden, könnten wir dann vielleicht etwas ändern?
Eines Tages kam ein Wanderschäfer an unserem Grundstück vorbei, der eine Herde von mindestens 200 hungrigen Schafen führte. Ich hörte den Schäfer zum Bauern sagen:
„Ich komme gerne hierher. Meine Schafe lieben das Gras, das hier besonders saftig und zart ist. Die dürren Halme auf der Nachbarwiese rühren sie aber bestimmt nicht an.“
„Du hast prächtige Schafe. Kannst sie ruhig auf meine Weide lassen. Die ist in letzter Zeit eh zu hoch gewachsen“, erwiderte der Bauer.
Und als der Bauer zusah, wie die Schafe sich laut blökend über das grüne Gras hermachten, dachte er sich:
„Schade, von meiner Bank vor dem Haus kann ich den Schafen gar nicht zuschauen. Das Gestrüpp steht so hoch.“ Da griff der Bauer zur Sense und stutzte die hochgewachsenen Sträucher. Zufrieden setzte er sich nach getaner Arbeit auf die Bank und rauchte seine Zigarre. Diesmal sah er besonders zufrieden aus und die Kringel, die er in die Luft blies, schienen nun lustig zu tanzen.
Als die Schafe das grüne Gras so kurz gefressen hatten, dass sie nicht mehr genug fanden, zog der Schäfer mit seiner Herde weiter. Das Blöken der Schafe wurde allmählich leiser, bis es in der Ferne verstummte und sich die gewohnte Stille über den Hof legte. Der Wind strich leise durch das von den Schafen verschmähte dürre Gras und die Sonne tauchte den Hof in warmes Abendlicht.
~ Glück macht mich relativ glücklich! ~
Ich blickte über die grüne, abgefressene Wiese. Kein Laut von drüben war zu hören. Mein Blick wanderte weiter in Richtung der untergehenden Sonne. Ich würde sie zum ersten Mal überhaupt am Horizont verschwinden sehen können. Dort wo früher die hohen Sträucher ihren Schatten geworfen hatten, wurde das Gras nun von der Abendsonne gewärmt. Das goldene Licht durchdrang angenehm meine trockenen Blätter und mit einem Mal fühlte ich mich stark. Ich hatte lange genug im Schatten gestanden, doch jetzt war ich sicher, würde aus mir auch ein großer grüner Grashalm werden. So stark wie die da drüben auf der anderen Seite des Weges. Keiner wird mehr Spottlieder singen.
Und im nächsten Jahr werden die Schafe noch ein bisschen länger auf der Wiese des alten Bauern bleiben, die ja nun noch größer als früher sein wird. Dann hat auch der Bauer Gesellschaft. Vielleicht ist er dann nicht mehr so griesgrämig. Wer weiß, vielleicht wird das hier doch wieder ein glücklicher Hof. So wie früher.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Noch nicht müde? Dann lies doch malDie Regeln des Glücks: Das Handbuch zum Lebenvon Dalai Lama und Howard C. Cutler oder weiter im nächsten Kapitel. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Ich lag mal wieder in irgendeiner Schublade. Meistens war es die zweite von oben, denn das war die einzige, die Lars nicht mit irgendwelchem Kram bis zum Rand vollgestopft hatte. Ich teilte die Schublade mit Bindfaden, Reißnägeln, Klebebildern, Gummibärchen, einer angebrochenen Tüte Erdnüsse, einem rostigen Taschenmesser, einer Baseballmütze und einem uralten Handy von Papa, bei dem die Batterien schon so ausgelutscht waren wie die Lollies, deren klebriges Papier manchmal an meiner bunten Bemalung hängen blieb. Im Gegensatz zu meiner Form hatte meine Bemalung keine Funktion, außer mich schön aussehen zu lassen. Tja, aber meine Form, die war schon sehr speziell. Ich war von ausnehmend krummer Gestalt, so ähnlich wie eine Banane, nur etwas dünner. Und gelb war ich auch nicht. Dafür konnte ich fliegen. Allerdings nicht sehr weit, denn kaum war ich einmal in der Luft, blieb ich oft in irgendeinem Baum hängen. Oder ich landete auf einer Wiese, aus der bei meiner meist unsanften Landung die Grashüpfer laut zirpend erschrocken davon hüpften. Trotzdem genoss ich es, durch die Luft zu segeln. Es war viel besser als in der Schublade zu liegen und zu warten, dass Lars mit mir nach draußen ging. An schönen Sommertagen, wenn Lars mich fliegen ließ, bewunderte ich immer die weißen Streifen, die die Flugzeuge hinter sich in den blauen Himmel zeichneten. Dann wünschte ich mir, ich könnte mitfliegen. Ägypten würde mir gefallen. Ich wollte schon immer mal die Pyramiden sehen. Dort in der Wüste gab es bestimmt auch nicht so viele Bäume, in deren Ästen ich hängen bleiben konnte. Ich mag Äste nicht. Die sind so kreuz und quer gewachsen. Außerdem ärgern sie mich immer, wenn ich in ihnen hängen bleibe. Ich sei so krumm und platt. Und Blätter hätte ich auch keine, sagten sie. Was aber noch viel schlimmer ist: Es läge an meiner Form, dass ich nichts von der Welt sehen könne. Denn ich sei ja ein Bumerang, und ein Bumerang kehre immer wieder an den Ort zurück, von dem er gekommen sei. Wäre ich dagegen so gerade wie die Äste, ja dann käme ich herum in der Welt. So wie sie, die von ihren vielen Reisen schon ganz kreuz und quer gewachsen waren. Sie behaupteten, dass sie sich die Blätter einmal als Sonnenschutz zugelegt hatten, weil es in der Wüste immer so heiß war. Und so beschloss ich eines Tages, meine Krümmung zu begradigen. Wenn ich jeden Tag ein bisschen trainierte und mich kräftig streckte, würde das bestimmt irgendwann klappen. Dann könnte ich bald wie die Zugvögel in den Süden ziehen und die Pyramiden sehen. Ich nutzte die langen Nächte des Winters in der Schublade, und streckte mit aller Kraft meinen krummen Rücken. Das war gar nicht so einfach mit all dem Zeug um mich herum. Aber ich war mir sicher, dass jeden Tag ein bisschen üben schon Erfolg bringen würde. Ich übte, bis mir der Rücken wehtat. Wenn Lars die Schublade öffnete, um irgendetwas zu holen, tat ich so, als ob nichts wäre. Er sollte ja nicht merken, was ich vorhatte. Einmal ließ Lars die Schublade ein kleines Stück offen stehen, sodass ich durch den schmalen Spalt durch das Fenster nach draußen sehen konnte. Die Bäume waren ganz eingeschneit. Ich konnte nicht einmal mehr ihre Blätter sehen.
Als das Frühjahr den Schnee zum Schmelzen gebracht hatte, war auch für mich wieder die Zeit für Ausflüge gekommen. Ich hatte mich in den kalten Winternächten durch tägliches Training in Form gebracht, zumindest glaubte ich das. Ich hatte ja keinen Spiegel, um feststellen zu können, ob ich nun wirklich schön gerade geworden oder krumm geblieben war. Als Lars mich beim ersten Wurf nicht wie üblich in die Äste der umstehenden Bäume befördert hatte, sondern ich nach schnurgeradem Flug direkt auf dem Gartenhäuschen landete, glaubte ich schon an den Erfolg meines harten Wintertrainings. Aber