Der Wolf vom Tannberger Forst - Felix Buchmair - E-Book

Der Wolf vom Tannberger Forst E-Book

Felix Buchmair

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Beschreibung

Der Wolf breitet sich im deutschsprachigen Raum immer weiter aus und genießt annähernd Vollschutz. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile 105 bestätigte Rudel (Stand 2019). Massive Probleme sind vorprogrammiert. Geht seine Verbreitung ungezügelt weiter wie bisher, dürfte jegliche Weidehaltung auf lange Sicht zum Erliegen kommen.   Der Wolf ist weder gut noch böse, aber er ist ein Raubtier. Ohne Bejagung verliert er seine angeborene Scheu vor dem Menschen und wird ihn früher oder später in sein Beutespektrum einreihen.  Dafür gibt es Beweise. Hunderte Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, wurden weltweit schon von Wölfen getötet.   Diese Tatsache wird bewusst verschwiegen.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Zu diesem Buch!

Der Wolf breitet sich im deutschsprachigen Raum immer weiter aus und genießt annähernd Vollschutz. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile 105 bestätigte Rudel. (Stand 2019) Massive Probleme sind vorprogrammiert. Geht seine Verbreitung ungezügelt weiter wie bisher, dürfte jegliche Weidehaltung auf lange Sicht zum Erliegen kommen.

Der Wolf ist weder gut noch böse, aber er ist ein Raubtier. Ohne Bejagung verliert er seine angeborene Scheu vor dem Menschen und wird ihn früher oder später in sein Beutespektrum einreihen.

Dafür gibt es Beweise. Hunderte Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche wurden weltweit schon von Wölfen getötet.

Diese Tatsache wird bewusst verschwiegen.

Über den Autor!

Der Buchautor und „Stücklschreiber“ Felix Buchmair lebt im südlichen Bayern. Seine Liebe zum Landleben spiegelt sich in seinen sämtlichen Theaterstücken wider. Als Jäger, Fischer und begeisterter „Rosserer“ hat er zudem einen realistischen Blick zu den Abläufen in der Natur.

Die Begeisterung von weltfremden Fantasten um die Wiederkehr des Wolfs kann er nicht teilen und prophezeit - eines Tages ein böses Erwachen.

Der Wolf vom Tannberger Forst

Eine deutsche Geschichte

Handlung:

Der Ort Tannberg liegt im Sterben. Seit der größte Arbeitgeber, die Zeche, ihre Pforten für immer schloss, ging es nur noch bergab.

Die Bewohner sehen es deshalb als Glücksfall, als bekannt wird, dass man in den umliegenden Wäldern einen riesigen Natur- und Erlebnispark errichten will. Viele neue Arbeitsplätze könnten entstehen und der Tourismus würde langfristig angekurbelt.

In dieser Zeit der Hoffnung geschieht ein entsetzliches Unglück. Eine junge Frau wird von einem Wolf bestialisch getötet.

Noch bevor man aus der Schockstarre erwacht, wird eine Joggerin erneutes Opfer. Alle Versuche, das Raubtier zu erlegen, scheitern. In der Folge wird das Naturpark Projekt ebenfalls abgesagt, weshalb die Spannungen in der Bevölkerung teils bedrohliche Ausmaße annehmen. Als schließlich durch Hetze und Intrigen die Ehe des Försters zerbricht, macht sich dieser alleine auf die Suche nach dem Wolf und ein äußerst tragisches Finale nimmt seinen Lauf.

„Der Wolf vom Tannberger Forst“

Tom lenkte den Wagen in den Parkplatz, als ein herrlicher Spätsommertag sich dem Ende zu neigte. Seine Freundin Linda sah ihn belustigt von der Seite an und lehnte sich bequem zurück.

„Was ist los? Willst du hier etwa übernachten?“

Tom lächelte hintergründig und schwieg, klickte dann bedächtig die Sicherheitsgurte auf und zog das Mädchen plötzlich ungestüm an sich, um sie sogleich mit wilden Küssen zu bedecken. Linda ließ ihn eine Weile gewähren und genoss seine Leidenschaft, aber als er Anstalten traf, ihre Bluse aufzuknöpfen, sträubte sie sich energisch.

„Bist du verrückt geworden? Direkt neben der Straße.

Dauernd fahren Autos vorbei und jeden Moment kann eines in unseren Parkplatz einbiegen.“

„Und wenn schon, ist doch fast schon dämmrig. Jetzt sei doch nicht so zickig“, erwiderte Tom und fuhr fort, sie begehrlich mit zitternden Händen zu streicheln. Aber Linda klopfte ihm energisch auf die Finger. „Quatsch keinen Mist.

Ich mag das nicht in der Öffentlichkeit. Basta.“

„Dann lass uns wenigstens etwas in den Wald gehen, Liebling. Es ist so ein lauer Sommerabend.“

Damit war er schon ausgestiegen, ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Türe.

„Jetzt komm bitte, bevor es finster wird“, bettelte Tom.

Er nahm zärtlich ihre kleine Hand und wanderte mit ihr immer tiefer in den Forst, bis der Lärm der Straße kaum mehr zu vernehmen war. Dann blieben sie stehen und küssten sich leidenschaftlich, streiften sich in plötzlichem Verlangen mit fiebernden Händen die Kleider vom Leib und sanken auf den weichen, moosigen Waldboden, wo sie sich hemmungslos ihrer jungen Liebe hingaben.

Als der selige Taumel vorüber war, hielten sie sich noch einige Zeit eng umschlungen, bis beide ein leichtes Frösteln ankam.

„Lass uns wieder anziehen, Tom. Du bist ganz nass geschwitzt, sonst verkühlst du dich noch.“

Sie hatten Mühe, ihre in der Hast abgeworfenen Kleidungsstücke wieder zu finden, denn mittlerweile war es wirklich finstere Nacht geworden.

Gerade, als sie sich zum Gehen anschickten und Linda wieder ihre Hand in die seine schmiegte, knackte vernehmlich ein trockener Ast, höchstens einen Steinwurf entfernt.

Erschrocken sahen beide in die Richtung, konnten aber nichts erkennen. Dutzende Leuchtkäfer schwebten zwischen den Stämmen und gaukelten ihnen Augen vor, welche sie anstarrten.

„Was war das, Tom?“

„Ich weiß nicht“, flüsterte er, „aber ich denke, es ist besser, wir gehen leise zurück.“

Als sie sich in Bewegung setzten, hörten beide wieder ein Rascheln, das aber bedeutend näher schien, als das erste Geräusch. Sie horchten mit angehaltenem Atem, wieder schien Reisig zu knacken, diesmal jedoch seitlich von ihnen. Das nächste Geräusch, ein kaum vernehmbares Anstreifen von Zweigen, war in ihrem Rücken und dann wieder rechts von ihnen.

Es gab keinen Zweifel, dass der Verursacher dieser angsteinflößenden Geräusche sie einmal umkreist hatte.

Mittlerweile stand ihnen kalter Angstschweiß auf der Stirn und ihre Hände hielten sich zittern umkrampft.

„VERSCHWINDE DU DRECKSACK!“

Tom hatte es urplötzlich in seiner Angst und Verzweiflung hinausgebrüllt.

Einen Moment war absolute Stille. Dann antwortete ein tiefes, drohendes Knurren.

Mit vor Schreck aufgerissenen Augen starrten sie sich an, dann begannen beide in panischer Angst zu laufen, so schnell sie konnten. Schon wurden die Geräusche der Straße deutlicher, doch auch das Tappen eines Verfolgers, das Knistern und Brechen von Gezweig kam stetig näher und jetzt war sogar stoßweises Hecheln zu vernehmen.

Plötzlich verfing sich Lindas Fuß in einer Wurzelschlinge. Im vollen Lauf fiel sie zu Boden, im gleichen Moment stürzte sich aus dem Dunkel der Nacht ein mächtiger grauer Schatten mit einem Riesensatz auf sie.

„Tooom!“

Lindas verzweifelter Schrei fuhr ihm durch Mark und Bein, denn gleichzeitig vernahm er ein lautes Knacken und Krachen, als ob Knochen durchgebissen würden.

Tom rannte wie von tausend Teufeln verfolgt. Eine unbeschreibliche, entsetzliche Angst jagte ihm Schauer über den Rücken. Schon sah er die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos. Blind vor Angst rannte er auf die Straße. Ein daherkommender Wagen geriet durch seine Vollbremsung ins Schleudern, drehte sich einmal um die eigene Achse und kam auf dem Seitenstreifen ohne weiteren Schaden zum Stehen.

Obwohl selbst kreidebleich stieg der Fahrer wutentbrannt aus und rief Tom entgegen:

„Sind Sie wahnsinnig geworden? Beinahe hätte ich Sie totgefahren.“

Doch Tom schien ihn überhaupt nicht zu hören. Mit irrem Blick wankte er auf ihn zu, den Mund weit aufgerissen, als ob er jeden Moment losbrüllen wollte. Dann fiel er vor ihm auf die Knie, umklammerte dessen Füße mit aller Kraft, wobei ihn ein Schüttelfrost nur so beutelte.

Der Mann bekam es echt mit der Angst zu tun und versuchte vergeblich, Tom wegzustoßen. Dann rief er zu seiner Frau:

“Wähl den Notruf, schnell, beeil dich. Ich glaube, der Kerl da ist verrückt.“

Die zuckenden Blaulichter von Polizei- und Rettungswagen tauchten den Parkplatz in gespenstisches Licht. Der Notarzt und ein Rettungsassistent bemühten sich um Tom, während ein Polizist so behutsam wie möglich versuchte, näheres von ihm zu erfahren.

Doch der Ärmste schien niemanden wahrzunehmen, nur hin und wieder rief er in völliger Verzweiflung Lindas Namen, so dass es allen Beteiligten kalt über den Rücken lief.

„Vergessen Sie es“, sagte der Arzt zu dem Polizisten. „Er steht unter schwerstem Schock. Ich stelle ihn erst mal ruhig und werde dann seine Einweisung in die Psychiatrie wegen einer akuten Psychose veranlassen.

Ein weiterer Polizist kam in den Rettungswagen.

„Ich habe die nähere Umgebung abgesucht und nach dieser Linda gerufen. Absolut nichts. Aber hier auf dem Parkplatz steht ein Auto. Schaut doch mal bitte in seinen Taschen nach, ob ein Schlüssel drin ist. Vermutlich gehört er ihm. Ich denke, wir sollten auch noch Suchmannschaften anfordern, auf dem Beifahrersitz liegt nämlich eine Damenhandtasche.“

„Das besagt gar nichts“, hielt der Notarzt dagegen. „Genau so gut kann diese „Linda“ ihn verlassen haben. Ich vermute, er wollte sich hier umbringen. Sie sagten doch, dass er wie blind einfach auf die Straße rannte.

„Stimmt auch wieder. Wahrscheinlich haben Sie Recht. Ich werde in meinen Bericht Vermutungen in diese Richtung schreiben.“

„Seine Taschen sind leer. Kein Schlüssel und keine Geldbörse“, warf der Rettungsassistent ein, welcher mittlerweile Tom durchsucht hatte.

„Das reimt sich alles nicht“, überlegte der Beamte mehr zu sich selbst. „Wem sollte der Wagen sonst gehören, als ihm. Es lässt doch keiner sein Auto auf einem abgelegenen Parkplatz zurück. Na ja, dann lass ich mal den Halter feststellen, dann sehen wir weiter.“

Gemächlich wanderte Rainer, der junge Förster, durch seinen Bezirk. Seine Hündin Asta blieb immer, einem Schatten gleich, treu an seiner Seite. Rainer liebte seinen Wald über alles. Unter den weitausladenden Ästen der oft hundertjährigen Fichten, Tannen und Buchen fühlte er sich wohl und geborgen.

Seinem geschulten Blick entging nichts. Keine noch so kleine Bewegung, kein Vogel im Geäst und kein Trittsiegel auf sandigem oder feuchten Untergrund. Kleinste Hinweise auf hier lebende Tiere wusste er präzise zu deuten, an denen jeder Wanderer achtlos vorbeigegangen wäre.

Immer wieder verhielt er seinen Schritt, schloss die Augen und zog mit Behagen die würzige Waldluft tief in die Lungen. Dabei veränderten sich auf seinem Pirschgang die Gerüche ständig, je nachdem, welche Baumarten gerade überwogen. Da war der bittersüße Duft des jungen Birkenanfluges, der herrliche Geruch frisch geschlagener Fichtenstämme oder der leicht modrige Geruch von Moos in den Altbeständen. Schon als Kind hatte er den Wald geliebt, hier fühlte er sich, seit er denken konnte, behütet wie in seinem Elternhaus.

Plötzlich blieb sein Blick an einer sonderbaren Spur hängen, welche einige Meter vor ihm den sandigen Waldweg kreuzte. Langsam ging er näher, kniete sich nieder, schüttelte ungläubig den Kopf und redete unbewusst vor sich hin: „Das gibt’s doch nicht...das ist... doch völlig ausgeschlossen.“

Es war die größte Wolfsspur, welche er je gesehen hatte.

Bei einem früheren Jagdurlaub in Kanada zeigte ihm sein Führer immer wieder verschiedene Wolfsfährten, doch sie bekamen nie einen dieser Räuber zu Gesicht. Aber wenn sie abends am Lagerfeuer saßen, hörten sie gelegentlich Wölfe heulen. Noch heute lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er sich an diesen gespenstisch, klagenden Ruf erinnerte.

Ungläubig starrte der Förster auf die Spur. Fast seine ganze Hand konnte er in den Abdruck legen. Seine Hündin legte prüfend ihre Nase in die Fährte und schien einen Moment zu erstarren.

„Das ist doch völlig unmöglich“, stammelte er wieder leise vor sich hin. „Hier gibt es keine Wölfe.“ Aber die Spur vor ihm ließ keinen Zweifel zu.

Da fiel ihm plötzlich das seltsame Verhalten seines Hundes auf. Asta zog jetzt heftig an der Leine, sträubte die Haare in höchster Erregung, zitterte am ganzen Körper und hob dabei ihre Nase prüfend in den Wind.

Langsam ließ Rainer sein Gewehr von der Schulter gleiten, repetierte eine Patrone in den Lauf und hielt es schussbereit mit festem Griff. Dann folgte er bedächtig seinem Hund, der jetzt, hochgradig erregt auf irgendetwas zustrebte.

Er war auf´s Äußerste gespannt und beobachtete ständig das Gelände vor sich. Plötzlich blieb der Hund wie angewurzelt stehen und beschnupperte einen am Boden liegenden Stofffetzen. Rainer wollte das Stoffteil aufheben, prallte aber in derselben Sekunde vor Schreck zurück. Der Stoff stammte offensichtlich von einer Jeans und war komplett mit Blut getränkt.

Gleichzeitig bemerkte er mit Schrecken die blutige Schleifspur, welche in einen dunklen Altbestand führte. Auch Asta bellte jetzt wie verrückt und zog heftig in diese Richtung.

Rainer band seine Hündin an einen Baum und folgte der Spur.

Bald wurde die Sicht merklich schlechter, da die dichten Kronen der mächtigen Bäume wenig Licht durchließen.

Deshalb nahm er sein Fernglas zu Hilfe um die Gegend vor sich gründlich abzusuchen.

Immer wieder verhielt der Förster den Schritt und versuchte Einzelheiten in der schattigen Wildnis zu erkennen.

Da stach ihm plötzlich ein seltsamer Kontrast in´s Auge. Vielleicht vierzig Meter vor ihm war etwas, das da nicht hingehörte. Er richtete erst den Blick mit seinem Glas darauf und ging dann Schritt für Schritt näher.

Rainer konnte sich überhaupt keinen Reim auf dieses seltsame Gebilde machen. Erst als er auf wenige Meter herangekommen war, sank er, vom Grauen geschüttelt auf die Knie, schloss die Augen und bekreuzigte sich.

Vor ihm lag der Leichnam einer jungen Frau, so entsetzlich verstümmelt, dass er seine ganze Energie und Willenskraft aufwenden musste, nicht davonzulaufen und wieder den Blick darauf zu richten.

Wäre nicht dieser wunderschöne Frauenkopf gewesen, eingerahmt in lockiges, blondes Haar, dieses seltsam hübsche Gesicht, welches jetzt in der Todesstarre mit den blutleeren Lippen wie verklärt wirkte, hätte er diesen schrecklichen Anblick vielleicht noch besser ertragen. So aber wirkte das Ganze wie ein Bild aus der Hölle.

Ein Arm fehlte bis zum Rumpf, der halbe Körper war ausgehöhlt und die Füße hingen wie bei einer kaputten Puppe verrenkt zur Seite.

„Oh mein Gott-oh mein Gott“, stammelte Rainer immer wieder, ohne es selbst zu bemerken.

Eine unsichtbare Kraft zog ihn immer näher zu der Toten. Er fühlte ein drängendes Verlangen, über ihre Wangen zu streicheln und zugleich brannte ein Gedanke wie Feuer in seinem Gehirn: Warum war ich nicht hier, als das geschah? Warum konnte ich dieses blühende Leben nicht beschützen? Dieser Gedanke marterte ihn zusehends und ließ ein quälendes Schuldbewusstsein in ihm aufsteigen.

Seine zitternde Hand näherte sich wie unter Zwang ihrem lieblichen Gesicht, seine Finger glitten sanft und zärtlich, wie eine Geste der Entschuldigung über ihre Wangen, doch als er die Kühle des toten Körpers fühlte, übermannte ihn mit einem Mal wieder ein unfassbares Grauen.

Er stürzte davon, rannte, stolperte und fiel, rannte wieder, weiter und weiter bis er in einem lichten, hellen Bestand zur Besinnung kam und sich erschöpft und am ganzen Körper zittern an den weißen Stamm einer mächtigen Birke lehnte. Lange Zeit verharrte Rainer so, kühlte seine heiße Stirn an der weißen Rinde und versuchte, das schreckliche Geschehen zu verarbeiten. Lauer Spätsommerwind streichelte ihn sanft, doch die Schönheit des sinkenden Tages drang nicht in sein Bewusstsein.

Erst Asta´s ungeduldiges Bellen von fern brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Langsam und Benommen ging er darauf zu, um seinen treuen Begleiter abzuholen.

Polizeihauptkommissar Kasilke bemühte sich geduldig, den Anrufer, welcher völlig aufgelöst wirres Zeug von einem Leichenfund stammelte, zu beruhigen, um halbwegs vernünftige Aussagen zu bekommen.

„Jetzt versuchen Sie doch bitte, mir genaue Angaben zu machen, damit wir Ihnen helfen können. Also: Wie ist Ihr Name und wo ist Ihr jetziger Standort?“

In Rainers Kopf schien sich alles zu drehen. Irgendwie glaubte er fast, das eben Erlebte nur geträumt zu haben. Doch seine zitternden Glieder und seine schreckliche Verfassung belehrte ihn eines Besseren.

Die ruhige Stimme des Polizeibeamten vermochte ihn schließlich doch etwas zur Besinnung zu bringen und vernünftig zu antworten.

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich .. es ist so schrecklich ..Rainer Schorer .. ja, das ist mein Name...ich bin hier der zuständige Förster im Tannberger Forst... ich habe eine Leiche .. richtig gesagt .. die Überreste gefunden. Oh, mein Gott ..“

„Soweit ist alles klar, Herr Schorer, jetzt sagen Sie uns bitte noch Ihren Standort, aber so, dass wir Sie auch finden können.“

Rainer musste sich erst etwas besinnen, ehe er antworten konnte. „Ich bin hier in der Waldschänke, direkt an der Bundesstraße 388 gelegen.“

„Alles klar, Herr Schorer, die kenne ich. Bleiben Sie bitte wo Sie sind, wir sind in wenigen Minuten bei Ihnen.“

Trude, die Wirtin der Waldschänke, welche Rainer und seine Familie gut kannte, war schon völlig am Verzweifeln, weil sie sich keinen Reim machen konnte, was ihm widerfahren sein könnte.

„Jetzt trink doch wenigstens einen „Klaren“ auf Kosten des Hauses, mein Junge, der bringt dich wieder auf die Reihe. Und dann sagst du mir, was passiert ist. Du bist ja völlig durchgedreht.“

Rainer, der zusammengesunken auf einer Bank im Biergarten saß, sah die um ihn so besorgte Wirtin dankbar an und ließ den angebotenen Korn langsam durch seine Kehle rinnen.

Der „Klare“ brannte wie Feuer und belebte ihn schlagartig.

„Lieb von dir, Trude, aber erspar mir bitte, dass ich dir erzähle, was ich eben durchgemacht habe. Ich will dich nicht auch damit belasten.“

„Wie du meinst, Junge, aber es ist doch hoffentlich nichts bei dir in der Familie geschehen?“

„Nein Trude, Gott bewahre. Es ist nur..ich habe vorhin im Wald..“ , wieder stockte er, schüttelte den Kopf und blickte zu Boden.

Als der Polizeibus in die Einfahrt bog, stupste die Wirtin Rainer an. „Die Polizei kommt. Was will denn die bei mir?“ „Schon gut, Trude, ich hab sie gerufen.“ Er stand auf und ging den Beamten entgegen.

„Herr Schorer, wenn ich nicht irre“, sagte der Ältere und gab ihm freundschaftlich die Hand. „Sie scheinen sich zwischenzeitlich etwas gefasst zu haben.“

„Halbwegs,“ erwiderte Rainer. „Soll ich vorausfahren oder bei Ihnen einsteigen?“

„Besser Sie fahren in Ihrer jetzigen Verfassung mit uns, wir bringen Sie anschließend wieder hierher.“

Nach einigen Hundert Metern auf Waldwegen bat Rainer anzuhalten. „Von hier aus ist es nur ein kurzes Stück durchs Gelände.“

Er ging unsicheren Schrittes voraus, doch als sie sich dem Fundort näherten, blieb er stehen, sah überlegend zu Boden und schüttelte dann entschieden den Kopf. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich schaffe das nicht noch einmal. Dort..“, er deutete in die Richtung, „ es sind vielleicht noch fünfzig Meter.“

Die Polizisten zeigten mit einem stummen Nicken Verständnis und machten sich auf den Weg.

Während er ihnen nachsah, fühlte Rainer plötzlich instinktiv, dass irgendetwas nicht stimmte. Noch während er seine Sinne schärfte, ahnte und fühlte er eine drohende Gefahr und versuchte mit den Augen in das Waldesdunkel einzudringen. Schon wollte er den Beiden eine Warnung nachrufen, als plötzlich der Sprechfunk im Polizeibus die Beamten zur Standortmeldung aufforderte.

Im selben Augenblick meinte er, einen großen Schatten zu sehen, der sich rasch entfernte.

Wenig später kamen die Männer zurück. Beiden war der Schrecken im Gesicht abzulesen. Während sich der Jüngere in den Wagen setzte und sichtlich bemüht war, seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen, legte sein Kollege Rainer die Hand auf die Schulter und sagte leise: “Jetzt kann ich verstehen, dass sie halb durchgedreht sind. Wenn Sie psychologische Hilfe brauchen?“

„Nein, vielen Dank, es geht schon.“

„Sie brauchen sich deswegen wirklich nicht zu schämen, wir haben da Spezialisten.“

Als Rainer jedoch stumm den Kopf schüttelte, ging der Beamte zu seinem Fahrzeug, gab über Funk einen Lagebericht an die Zentrale, forderte die Kripo zur Spurensicherung und einen Leichenwagen an. Wie durch Nebel vernahm Rainer die Worte und erschrak sichtlich, als ihn der Polizist, wieder bei ihm stehend, ansprach.

„Wir bringen Sie jetzt wieder zur Waldschänke und warten dort auf das Eintreffen der Spurensicherung und des Leichenwagens.“

Während sie zurückfuhren, wandte er sich noch einmal an Rainer.

„Übrigens, Sie sind doch Fachmann. Von was wurde die junge Frau Ihrer Meinung nach getötet? Es kann doch nur ein großes Raubtier gewesen sein.“

„Es war ein Wolf.“

Ungläubig fragte der Beamte nach. „Ein Wolf? Sind Sie sich da sicher?“

„Ja! Hundertprozentig! Ich habe seine Fährte gesehen. Es muss ein außergewöhnlich großes Exemplar sein, und das Schlimmste ist, ... er hat offensichtlich seine Scheu vor den Menschen verloren.“

Als Rainer seinen Wagen bestieg, sah er, dass es schon nach 16 Uhr war. Gewöhnlich traf er sich um diese Zeit mit seinen Waldarbeitern in der „Holzerhütte“, einem wohnlich eingerichtetem Bauwagen mitten im Forst, um mit ihnen die laufenden Fäll Arbeiten zu besprechen. Hier war er eigentlich jeden Tag gegen Dienstschluss anzutreffen. Aber in dieser Woche arbeiteten seine Leute in einer weit entfernten Waldabteilung, von wo aus sie direkt nach Hause fuhren.

Er fühlte plötzlich eine zerrende Sehnsucht nach Rita, seiner geliebten Frau, nach den beiden Kindern Tina und Bastian, und nach seinem Heim, ein direkt am Wald gelegenes altes Forsthaus, in dem sie sich glücklich und geborgen fühlen.

Was sollte jetzt nur werden?

Als er in die Einfahrt einbog, schob er seine Sorgen beiseite. Er wollte den Rest des Tages mit seiner Familie verbringen und auf der Terrasse die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen.

Irgendwie kam es ihm seltsam vor, dass die Kinder nicht angerannt kamen, um ihn wie üblich mit Gejohle zu begrüßen. Er wollte eben die Haustüre aufschließen, als seine Frau von innen öffnete und ihn fragend anblickte.

„Wo sind die Kinder? Hast du sie nicht im Auto mitgenommen?“

„Was soll das heißen? Willst du etwa sagen,....dass Tina und Basti ...?“

Eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf und er hörte seine Frau nur noch wie aus weiter Ferne, da ihn ein heftiger Schwindel befiel.

„Sie sind doch mit den Fahrrädern zur Holzerhütte gefahren, um dich abzuholen.“

Der Weg vom Forsthaus zur Holzerhütte war auch für Kinder leicht zu merken. Trotzdem kam sich Tina mit ihren acht Jahren mächtig stolz vor, wenn sie die Strecke alleine befahren durfte und dabei noch die Aufsicht über ihren zwei Jahre jüngeren Bruder innehatte.

Vom Forsthaus führte eine Kiesstraße einen knappen Kilometer schnurgerade durch den Wald bis zu der Kreuzung mit den vier Linden. Hier mussten sie rechts abbiegen, dann waren es nur noch dreihundert Meter bis zur Hütte. Als Tina das erste Mal die Strecke alleine befahren durfte, hatte ihr Rainer am Tag vorher auf die rechte Seite der Lenkstange mit dem Filzschreiber ein Kreuz gemalt, damit sie wusste, wo beim Abbiegen rechts ist. In ihrer Freude, die Strecke alleine bewältigt zu haben, bestand sie darauf, auch wieder alleine nach Hause zu fahren. Dabei bedachte sie nicht, dass sie bei den vier Linden auf dem Heimweg nun links abbiegen müsste und bog wieder rechts ab, wie auf dem Lenker angezeichnet war. Gottseidank kam ihr bald einer der Holzhauer entgegen, hielt sie an und zeigte ihr den richtigen Weg.

Heute war Tina in Hochstimmung. Sie hatte von ihrer Lehrerin für die gute Hausaufgabe drei Sternchen ins Heft gemalt bekommen, was einem besonderen Lob gleichkam und sich zuhause immer mit der Genehmigung für einen Extrawunsch verbinden ließ. Und dieser war heute eben, dass sie und „Basti“ ihren Papa, den sie über alles liebten, mit ihrem Besuch überraschen wollten.

Gerne erlaubte es ihre Mutter ja nicht, wenn Rainer nicht Bescheid wusste, aber so war es halt wirklich eine Überraschung und Tina hatte ihr versprochen, sofort wieder heimzufahren, wenn Ihr Papa nicht dort war.

Bastian quietschte vor Freude über den Ausflug mit seiner Schwester. Immer wieder betätigte er übermütig und ausdauernd seine Gummiballhupe, welche ihm sein Vater an die Lenkstange geschraubt hatte und schrie dazu so laut er konnte: „Tatü-Tata—Tatü-Tata.“

Tina schwankte, ob sie es ihm verbieten sollte, denn eigentlich hatte ihr Vater ihnen beigebracht, im Wald immer vollkommen still zu sein, um die Tiere nicht unnötig zu erschrecken. Aber heute war sie selbst in Hochstimmung und wollte außerdem ihrem kleinen Bruder die Freude nicht verderben.

Als sie bei den vier Linden rechts abbogen, bemerkte Tina das erste Mal, dass ihnen irgendetwas folgte. Es war nur ein flüchtiger Schatten, den sie wahrnahm, aber von da an ließ sie ihren Blick nicht mehr von den, die Straße säumenden Gehölzen und nach einer Weile wurde ihr Verdacht zur Gewissheit, dass etwas nicht stimmte.

Er war immer nur schemenhaft zwischen den Stämmen zu erkennen, aber er folgte ihnen und blieb nur etwas zurück, wenn Bastian wieder besonderen Lärm veranstaltete.