Der Zufall hat es so gewollt - Leni Behrendt - E-Book

Der Zufall hat es so gewollt E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war eine fröhliche Gesellschaft, die sich im Hause des Landschaftsrats Görbitt zusammengefunden hatte. Die Jugend vergnügte sich bei Tanz und Unterhaltungsspielen, während im Nebenzimmer die älteren Herrschaften ganz geruhsam plauschten. Drei Ehepaare waren es, deren Güter aneinander grenzten. Görbitten gehörte zu den kleinsten, wurde aber, obwohl Heinrich Görbitt das Amt eines Landschaftsrats zu versehen hatte, tadellos bewirtschaftet, zumal er in seinem Sohn eine tatkräftige Hilfe hatte, der ganz seinem Vater nachschlug. Dieser war aber auch ein Landwirt von echtem Schrot und Korn, wie man so sagt. Von kerniger Statur, frischer Gesichtsfarbe, mit graublauen Augen unter buschigen Brauen, angegrautem Stutzhaar und Bärtchen, das sich wie die Stacheln eines Igels sträuben konnte, wenn dem Mann etwas in die Quere kam. Ansonsten war er gemütlich. Seine Frau Antje paßte vorzüglich zu ihm, mit der kräftigen Gestalt, dem vollen rotwangigen Gesicht, den hellen blauen Augen, dem blonden Kraushaar und dem resoluten Wesen. So wie der Gatte in der Außenwirtschaft alles fest am Zügel hielt, tat sie es in der Innenwirtschaft. Und da sie hier drei Kinder von klein auf in Zucht und Ordnung erzog, wuchsen sie zu prächtigen Menschen heran, gesund an Leib und Seele. Der sechsundzwanzigjährige Sohn Hanno, dessen Ähnlichkeit mit dem Vater nicht zu verkennen war, wirkte nach dem landwirtschaftlichen Studium auf dem Erbe seiner Väter mit Tatkraft und Energie. Seine beiden Schwestern, die zweiundzwanzigjährige Hedda und die Heike, die heute ihren zwanzigsten Geburtstag feierte, hatten, nachdem sie in der Schule die mittlere Reife erlangten, Pensionat und Handelsschule besucht. Jetzt halfen sie zu Hause im Haushalt und bei schriftlichen Arbeiten. Beide waren frische, hübsche Mädchen, die einmal vorzügliche Hausfrauen werden würden. Anders stand es mit der Tochter des Ehepaares Lennart auf Trossen. Diese wurde von der feinen Frau Mama zu einem Luxusgeschöpf erzogen, wie sie selbst eins war. Den ganzen Wirtschaftskram tat sie verächtlich ab, was sie sich leisten konnte, da sie viel Geld in die Ehe gebracht hatte. Und da der Herr Gemahl, der so ganz zu seiner Frau paßte, ein Nichtstuer und Verschwender war, schmolz der Reichtum dahin, und der stattliche Besitz fiel nach und nach der Verwahrlosung anheim. Nun gehörte zu der Familie aber noch ein Sohn, Dettmer, der ganz aus der Art geschlagen war. Er hatte schon als kleiner Junge ein außergewöhnliches Interesse für alles, was mit der Landwirtschaft zusammenhing.

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Leni Behrendt Bestseller – 16 –

Der Zufall hat es so gewollt

Leni Behrendt

Es war eine fröhliche Gesellschaft, die sich im Hause des Landschaftsrats Görbitt zusammengefunden hatte. Die Jugend vergnügte sich bei Tanz und Unterhaltungsspielen, während im Nebenzimmer die älteren Herrschaften ganz geruhsam plauschten.

Drei Ehepaare waren es, deren Güter aneinander grenzten. Görbitten gehörte zu den kleinsten, wurde aber, obwohl Heinrich Görbitt das Amt eines Landschaftsrats zu versehen hatte, tadellos bewirtschaftet, zumal er in seinem Sohn eine tatkräftige Hilfe hatte, der ganz seinem Vater nachschlug. Dieser war aber auch ein Landwirt von echtem Schrot und Korn, wie man so sagt. Von kerniger Statur, frischer Gesichtsfarbe, mit graublauen Augen unter buschigen Brauen, angegrautem Stutzhaar und Bärtchen, das sich wie die Stacheln eines Igels sträuben konnte, wenn dem Mann etwas in die Quere kam. Ansonsten war er gemütlich.

Seine Frau Antje paßte vorzüglich zu ihm, mit der kräftigen Gestalt, dem vollen rotwangigen Gesicht, den hellen blauen Augen, dem blonden Kraushaar und dem resoluten Wesen. So wie der Gatte in der Außenwirtschaft alles fest am Zügel hielt, tat sie es in der Innenwirtschaft. Und da sie hier drei Kinder von klein auf in Zucht und Ordnung erzog, wuchsen sie zu prächtigen Menschen heran, gesund an Leib und Seele.

Der sechsundzwanzigjährige Sohn Hanno, dessen Ähnlichkeit mit dem Vater nicht zu verkennen war, wirkte nach dem landwirtschaftlichen Studium auf dem Erbe seiner Väter mit Tatkraft und Energie. Seine beiden Schwestern, die zweiundzwanzigjährige Hedda und die Heike, die heute ihren zwanzigsten Geburtstag feierte, hatten, nachdem sie in der Schule die mittlere Reife erlangten, Pensionat und Handelsschule besucht. Jetzt halfen sie zu Hause im Haushalt und bei schriftlichen Arbeiten. Beide waren frische, hübsche Mädchen, die einmal vorzügliche Hausfrauen werden würden.

Anders stand es mit der Tochter des Ehepaares Lennart auf Trossen. Diese wurde von der feinen Frau Mama zu einem Luxusgeschöpf erzogen, wie sie selbst eins war. Den ganzen Wirtschaftskram tat sie verächtlich ab, was sie sich leisten konnte, da sie viel Geld in die Ehe gebracht hatte. Und da der Herr Gemahl, der so ganz zu seiner Frau paßte, ein Nichtstuer und Verschwender war, schmolz der Reichtum dahin, und der stattliche Besitz fiel nach und nach der Verwahrlosung anheim.

Nun gehörte zu der Familie aber noch ein Sohn, Dettmer, der ganz aus der Art geschlagen war. Er hatte schon als kleiner Junge ein außergewöhnliches Interesse für alles, was mit der Landwirtschaft zusammenhing.

Mit knapper Not machte Dettmer das Abitur, aber ein Hochschulstudium kam trotz ausdrücklichem Wunsch seiner Eltern für ihn nicht in Frage, weil er wußte, wie dringend nötig er für Trossen war. Daß da endlich mal die Lotterwirtschaft aufhören mußte und straffe Zucht hereinkam.

Dafür sorgte der damals zwanzigjährige Dettmer denn auch, nachdem er ein Jahr lang die landwirtschaftliche Schule besucht hatte. Ohne sich um den empörten Protest von Eltern und Schwester zu kümmern, hatte er gleich von vornherein den Daumen aufs Portemonnaie gedrückt und tat es heute, nach vier Jahren, immer noch. Nach der Devise: Was der Mensch braucht, das muß er haben, aber Verschwendung ist ein Laster.

Es war für den jungen Mann nicht leicht gewesen, den lieben Seinen das beizubringen. Als er dem Vater jedoch die lange

Liste offerierte, auf der alles vermerkt war, was zur Instandsetzung des Gutes fehlte, wurde der Herr denn doch kleinlaut, zumal

ihm der Sohn ein Entweder-Oder stellte. Entweder ließen er nebst Frau und Tochter von ihrem verschwenderischen Leben ab, oder der Sohn ging seiner Wege. Denn er hätte wahrlich keine Lust, hier gewissermaßen Wasser mit Sieben zu schöpfen. Da parierten sie.

Der dritte Landwirt in dem Kreis war Graf Frode von Frodewart. Eine große Herrschaft, zu der außer dem Hauptgut noch ein Nebengut, Vorwerk und ausgedehnte Waldungen gehörten. Alles tadellos verwaltet, da der Besitzer, ein tüchtiger Landwirt und vorzüglicher Organisator, außerdem noch über einen Stab bester Mitarbeiter verfügte.

Eine vornehme Erscheinung, der Mann mit den grauen Schläfen, von weltmännischer Gewandtheit und mit seinen fünfundfünfzig Jahren voll jugendlicher Spannkraft.

Seine Frau gehörte zu den Menschen, die nicht zu altern scheinen. Kaum zu glauben, daß diese immer noch schöne und gepflegte Frau einen neunundzwanzigjährigen Sohn ihr eigen nannte. Wohl hatte sie ihn mit zwanzig Jahren geboren, mußte aber selbst über ihren langen Schlingel staunen.

Eginhard Frode, zum Unterschied des gleichnamigen Vaters Eggo genannt, war eine blendende Erscheinung. Hochgewachsen, blond, blauäugig, mit dem Fluidum des Mannes von Welt. Er hatte schon manches Frauenherz rebellisch gemacht, was ihn aber durchaus nicht erschütterte.

Vor einigen Tagen war er nach beendetem Studium und einer ausgiebigen Bummelreise ins elterliche Nest zurückgekehrt.

Jetzt weilte er wie ein vergnügter Junge unter den Menschen, die ihm von jeher als Nachbarskinder vertraut waren. Bis auf Hellmer von Lasseck, der aus Lassecken stammte und auf dem Gut der Familie Lennart volontierte, und Imogen von Leith, einer Diplomatentochter und Pensionsfreundin der Gilda Lennart, die nach Trossen gekommen war, um dort unverfälschte Landluft zu atmen, wie sie es bezeichnete. Ein brünettes Sprühteufelchen und nach Aussage der vernarrten Herrn Papas ein arger Flirt.

Dazu hatten bisher der junge Dettmer Lennart und der Landwirtssohn Hellmer von Lasseck herhalten müssen. Denn Imogen hielt es für zweckmäßig, immer gleichzeitig zwei Eisen im Feuer zu haben, die sie jedoch in dem Augenblick erkalten ließ, als sie heute des sieghaften Eggos ansichtig wurde. Da waren die beiden bisher Bevorzugten abgetan.

Nun, sie tat ihnen damit nicht weh. Dettmer hatte für das ganze »Weiberzeug« ohnehin nichts übrig, und der schneidige Hellmer von Lasseck nannte das kokette Persönchen einen Flederwisch. Da waren ihm die Görbittmädchen bedeutend lieber. Hauptsächlich die Hedda, an der der jetzt Siebenundzwanzigjährige wohl hängenbleiben würde.

Eggo Frode hingegen amüsierte sich über das reizende Teufelchen, das ihn mit raffinierten Tricks einzuwickeln versuchte. Aber auf die hereinzufallen, war er nicht mehr Grünling genug.

Eben tanzte er mit Imogen, während die andern sich in die gemütliche Ecke gesetzt hatten.

»Jetzt habe ich aber von der Hopserei genug«, brummte der hochaufgeschossene Dettmer Lennart, dem Arme und Beine zu lang geraten zu sein schienen. Aus dem hageren Gesicht mit der schmalrückigen Nase und dem schmallippigen Mund schauten zwei blaßblaue Augen verschmitzt in die Welt, der dichte Haarschopf zeigte eine rötliche Färbung.

Die rötliche Färbung zeigte auch das Haar seiner um fünf Jahre jüngeren Schwester Gilda. Ein Erbteil der Mutter, der die Tochter überhaupt ähnlich war, im Aussehen wie in der ganzen Art. Ein zierliches Persönchen, mit perlmuttgrauen Augen und einem feinen Gesicht.

Gilda, die von ihrer Mutter ins Nebenzimmer gerufen wurde, schlängelte sich an dem Paar vorbei, das noch immer zur Schallplattenmusik tanzte.

»Die haben aber Ausdauer«, feixte Dettmer. »Doch wie mir scheint, geht das Spielchen mal andersrum. Diesmal flirtet der liebe Eggo mit der Meisterin des Flirts so routiniert, daß sie futsch und weg ist. Seht nur, wie sie ihn anhimmelt. Das wird eine gute Pleite für sie werden.«

»Oder es ist der Auftakt zur Verlobung«, warf Hedda ein, doch Dettmer schüttelte den Kopf.

»Ne du, so blöd ist der Eggo nicht, jemand zu heiraten, der aufs Land paßt, wie ein Kohlweißling ins Kohlbeet.«

Vorwurfsvoll sah er die andern an, die bei dem komischen Vergleich hell herauslachten. Bevor er noch etwas erwidern konnte, schwieg die Musik, und das Paar trat an den Tisch.

»Darf ich mitlachen?« fragte Imogen und machte ein verdutztes Gesicht, als Hellmer schmunzelnd fragte:

»Kennen Sie einen Kohlweißling, gnädiges Fräulein?«

»Nein, was ist das?«

»Ein Schmetterling, dessen Raupen böse Verheerung im Kohlfeld anrichten und mit allen Mitteln bekämpft werden müssen.«

»Das ist doch gar nicht lächerlich.«

»Finde ich auch«, nickte Dettmer pomadig. »Vor solchen Falterchen sollte jeder Landwirt auf der Hut sein.«

»Wovor…?« wollte nun Gilda wissen, die aus dem Nebenzimmer kam und nur die letzten Worte gehört hatte.

»Vor einem Kohlweißling.«

»Was ist das?«

»Komische Frage für eine Landwirtstochter.«

»Schon wieder mal die Landwirtschaft!« rief sie aufgebracht. »Könnt ihr nicht wenigstens jetzt von dem ablassen, was man schon zu Hause bis zum Überdruß zu hören kriegt. Was soll Imogen von uns denken? Die ist doch weiß Gott an geistreiche Gespräche gewöhnt.«

»Vom Pensionat her«, warf der unverbesserliche Dettmer ein. »Dort soll man nämlich sehr geistreich sein.«

»Jedenfalls geistreicher als du Bauernpflanze.«

»Eine Pflanze ist weiblich.«

Da mußte Gilda mit den andern lachen, und der Friede war hergestellt. Und als der Gong zum Abendessen rief, begab man sich ins Speisezimmer.

*

Obwohl man sich vor einigen Stunden an Kaffee nebst Kuchen gelabt hatte, schmeckte nun schon wieder das ländliche Mahl, das man allerdings mit einigen Delikatessen ergänzt hatte.

In dem Speisezimmer, dessen Einrichtung den Wohlstand des Hauses verriet, war der Tisch wohl nett, aber nicht ausgesprochen festlich gedeckt. Auch eine Tischordnung gab es nicht, da es sich um Gäste handelte, mit denen man gute Nachbarschaft hielt und auch ohne Einladung zusammentraf.

Zwar duzten die älteren Herrschaften sich nicht, sprachen sich jedoch beim Vornamen an. Die gegenseitigen Kinder hingegen, die man ja hatte aufwachsen sehen, durften bei dem Du bleiben. Und daß sie sich untereinander duzten, war ja wohl selbstverständlich.

Den Klub der Auserwählten, nannten diejenigen den Nachbarkreis, denen die Trauben zu hoch hingen. Denn der Kreis war fest geschlossen und für Unbefugte tabu.

Die Befugten jedoch nahmen am wohlgedeckten Tisch zwanglos Platz und bemerkten mit Schmunzeln, wie Imogen sich geschickt an des jungen Grafen Seite schlängelte. Nur Gilda schmunzelte nicht, weil sie ihrer besten Freundin den Platz nicht gönnte, den sie selbst brennend gern eingenommen hätte. Sie mußte sich mit dem an Hannos Seite begnügen, was sie mit Groll erfüllte.

Der Hanno, na ja, der war wohl ganz nett, aber bestimmt nichts Besonderes. Und da sie sich nun mal für etwas Besonderes hielt, verlangte sie für sich auch was Besonderes.

Immer wieder gingen ihre Blicke zu dem gegenübersitzenden Paar hin, das sich glänzend unterhielt, und Hanno, der Gildas Einstellung kannte, schmunzelte in sich hinein.

»Mein liebes Kind, den Eggo kriegst du nie und nimmer und deine liebe Freundin auch nicht, da kannst du ganz beruhigt sein. Der nimmt dich einfach nicht ernst, mein Fräulein Gernegroß… und die andern auch nicht.«

Das stimmte. Denn bei dem jahrelangen nachbarlichen Verkehr hatte man gegenseitig die Vorzüge und Schwächen jedes einzelnen kennengelernt. Letztere gab es allerdings wenig, nur bei dem Ehepaar Lennart und ihrer Tochter waren sie stärker ausgeprägt, aber immerhin noch erträglich.

Daß sie ein Nichtstuerleben führten, lag wohl daran, daß sie von jeher Geld genug hatten, um andere für sich arbeiten zu lassen. Aber wo das Auge des Herrn fehlt, da werden die Kühe nicht fett, sagt ein alter Bauernspruch. Außerdem schöpft sich auch der tiefste Brunnen aus, wenn nicht für Zufluß gesorgt wird.

So hatte im Laufe der Jahre sich der Wasserspiegel schon erheblich gesenkt, und der muntere Born wäre so nach und nach ganz versiegt, wenn sich nicht noch gerade zur rechten Zeit jemand gefunden hätte, der das völlige Versiegen mit fester Hand verhinderte. Und damit rettete Dettmer, der Sohn, seine sorglosen Eltern und sich selbst vor dem Bettelstab.

Eben prostete er vergnügt dem Geburtstagskind zu, das zu seiner Rechten saß. »Na, denn man Prosit, Heihei.« Er gebrauchte den Namen, den sie als Kleinkind prägte und den auch die andern gebrauchten. »Auf daß du weiter wächst, blühest und gedeihest wie ein Blümlein auf dem Felde.«

»Ist doch man gut, daß du nicht Kartoffel sagst, deren Gedeihen dir weit mehr am Herzen liegt, als das aller Blümelein.«

»Sag das nicht«, entgegnete er gemütlich. »Die Kartoffeln sind etwas für das Portemonnaie, die Blümelein etwas für Auge und Herz.«

»Wie poetisch«, blinzelte sie ihm zu, und er schmunzelte.

»Es kann ja auch ein Stoppelhopser eine poetische Ader haben. Soll ich dich andichten?«

»Aber dann bitte sehr als Heike und nicht als Heihei.«

»Letzteres reimt sich aber besser. Paß mal auf: Die kecke Heihei, ist immer dabei.«

»Wenn das Huhn legt ein Ei«, warf sie spitzbübisch ein, und dann lachten sie sich an. Denn im Grunde genommen verstanden sie sich prächtig, die Nachbarskinder. Wenn sie sich manchmal auch herzhaft zankten, was bei Dettmers Hauzu-Art und Heikes flinkem Zünglein nicht ausbleiben konnte.

Wenn man sie gefragt, was Dettmer ihr bedeutete, hätte sie wohl zuerst dumm geguckt und dann erklärt, daß sie ihn trotz seiner Rauhbeinigkeit gern habe und ihn sich aus ihrem Leben nicht wegdenken könnte. Aber das hatte sie auch nicht nötig, er war ja da.

Jetzt öffnete er eine Krachmandel, klaubte aus der Schale zwei Mandeln und hielt sie auf der flachen Hand Heike hin.

»Guten Morgen, Vielliebchen«, blinzelte er sie an, doch sie schüttelte den Kopf.

»Mit dir esse ich kein Vielliebchen, dafür bist du mir zu gerissen. Und wer verliert schon gern?«

»Ich…«, antwortete Eggo, der gegenübersaß und das Geplänkel mit angehört hatte. »Auch ich habe zwei Mandeln gefunden. Iß Vielliebchen mit mir, und du sollst mal sehen, ein wie großzügiger Verlierer ich sein kann.«

»Mach mal die andere Hand auf«, verlangte Dettmer.

»Aha, zwei Schalen, dacht ich mir’s doch. Also gemogelt, mein Lieber!«

»Das ist noch gar nicht raus«, nahm Imogen sich des Beschuldigten an. »Er hat vorher schon Schalen geknackt, bis er auf eine mit zwei Mandeln stieß.«

»Leider nicht«, gab Eggo der Wahrheit die Ehre. »Dettmer hat recht gesehen, ich wollte so ein bißchen mogeln und damit unserer Heihei eine Freude machen.«

»Da du den Mut zur Wahrheit hast, sei dir verziehen«, erklärte Dettmer großartig. In dem Moment hob die Hausherrin die Tafel auf, und man setzte sich zu einem Spielchen zusammen, wobei auch die älteren Herrschaften mitmachten.

»Das ist doch kindisch«, flüsterte Imogen dem jungen Grafen zu, neben dem sie stand. »Wollen wir nicht lieber tanzen?«

»Und damit aus der Reihe tanzen – im wahrsten Sinne des Wortes«, entgegnete Eggo lachend. »Denn die andern machen nicht mit.«

Da er seine Stimme nicht gedämpft hatte, wurde sie vernommen, und Dettmer protestierte für alle:

»Tanzen? Kommt ja gar nicht in Frage. Wir haben uns gerade genug ausgehopst. Jetzt machen wir ein amüsantes Spielchen.«

Und Imogen mußte gute Miene zum bösen Spiel machen.

Wie konnte ein Weltmann wie der junge Graf nur Gefallen

daran finden? Gleichfalls seine Eltern und das Ehepaar Görbitt, die doch einen so seriösen Eindruck machten. Selbst Gildas Eltern, die immer mondän taten, benahmen sich albern wie die Kinder.

Die andern – na ja – das waren eben harmlose Gemüter. Die beiden Görbittmädchen kratzten lieb und brav den Kochtopf, und die Landwirtssöhne stiefelten draußen herum und taten sich wichtig. Am wichtigsten der schlacksige Dettmer, der sich noch nicht einmal richtig benehmen konnte.

Nichtdestotrotz hatte die liebe Imogen mit ihm zu flirten versucht, was sie natürlich nicht mehr wahrhaben wollte. Auch nicht, daß sie Hellmer von Lasseck in dem Flirt mit einbezog. Und Hanno Görbitt wäre nicht verschont geblieben, wenn sie den nicht erst heute kennengelernt hätte. Denn gut sah er schon aus, und es reizte sie, ihn aus seiner kühlen Gelassenheit zu locken. Das heißt, es hätte sie gereizt.

Wenn nicht der andere aufgetaucht wäre, dieser fabelhafte Kerl, den die kapriziöse Imogen sich als den Herrlichsten von allen auserkor.

Was den andern natürlich nicht verborgen blieb. Und als man später nach Hause fuhr, meinte der Vater schmunzelnd zu seinem Sohn:

»Na, Eggo, da hast du heute aber mal eine Eroberung gemacht. Die kleine Imogen brannte ja lichterloh. Wäre das nicht etwas für dich, mein Sohn?«

»Gott soll mich bewahren!« wehrte er ab. »So ein Sprühteufelchen ist ja ganz nett zum Flirten, aber bestimmt keine Hüterin des Heims und Herdes. Da würde die Flamme nicht milde leuchten, sondern hellodernd prasseln. Außerdem soll jeder Landwirt sich vor Kohlweißlingen hüten.«

Er erzählte, was Dettmer darüber gesagt hatte, und lachte dann mit den Eltern herzlich.

»Der Junge trifft doch immer den Nagel auf den Kopf«, meinte der Senior anerkennend. »Schon daß er Gilda mit Seidenpüppchen bezeichnet. Für sie ist der Umgang mit der extravaganten Imogen übrigens gar nicht gut. Sie ist auch so überspannt genug. Darauf müßtest du ihre Mutter aufmerksam machen, Melanie.«

»Fällt mir ja gar nicht ein«, sträubte sie sich. »Irina Lennart hat ihre Tochter doch bewußt zu dem Luxusgeschöpf erzogen, auf das sie nun stolz ist. Aus der soll nun mal was Besonderes werden!«

»Was wahrscheinlich auch wird«, brummte der Gatte dazwischen. »Und dann gewiß nicht im guten Sinne.«

»Das soll unsere Sorge nicht sein.«

»Hast recht, Frauchen. Kümmern wir uns um unsere eigenen Sorgen, die gottlob nicht schwer zu ertragen sind.«

*

Ein paar Tage nach dem Fest traf auf Schloß Frodewart Waldemar von Frode, der jüngere Bruder des Besitzers, ein. Und zwar in einer so erbärmlichen Verfassung, daß man keinen Heller mehr für sein Leben geben konnte, dem dann auch eine Woche später ein Herzschlag ein Ende setzte. Man gab ihm ein ehrenvolles Begräbnis, aber trauern konnte man um dieses nichtsnutzige Leben nicht.

Als Waldemar von Frode geboren wurde, war sein Bruder Eginhard zwölf Jahre alt. Waldemar war ein zartes Kind, das die Eltern um so ängstlicher hüteten, da ihnen ihre Tochter im Alter von acht Jahren durch den Tod entrissen wurde, und zwar durch einen Unfall.

Das war nun ein harter Schlag für die armen Eltern gewesen. Hauptsächlich für die Mutter, die sich erneut in gesegneten Umständen befand. Nun noch die Aufregungen, das Leid und der Gram hinzukamen, war es kein Wunder, daß sie einem sehr schwächlichen Knaben das Leben gab, wofür sie beinahe das ihre einbüßen mußte.

Doch sie kam durch, und auch der Sohn blieb ihr erhalten. Allein er hatte einen Herzfehler, den jedoch vorzügliche Ärzte mit der Zeit so behoben, daß das Herz wohl schwach blieb, aber sonst ganz gut in Ordnung war. Bei der nötigen Schonung konnte Waldemar alt werden.

Für diese Schonung konnten die Eltern sorgen, solange sie den Heranwachsenden unter Augen hatten. Damit er sich nicht womöglich überanstrengte, ließen sie ihn immer zur Schule fahren und wieder abholen. Sie sahen es ihm auch ohne weiteres nach, daß er zweimal das Klassenziel nicht erreichte und dadurch erst mit einundzwanzig Jahren das Abitur machte.

Doch mit dem Moment hatten sie die Macht über den so sorgsam behüteten Sohn verloren, zumal er nun mündig war. Es trieb ihn förmlich aus dem Elternhaus. Er wollte ein Leben führen, wie es ihm zusagte und nicht, wie es ihm bisher aufgedrängt worden war.

So ließen die Eltern ihn denn schweren Herzens ziehen. Denn sie sahen ein, daß er ja nicht ewig das wohlbehütete Herrensöhnchen bleiben konnte, sondern sich für einen Beruf vorbereiten mußte. So studierte er denn die Rechte und blieb ein ewiger Student.

Zu Hause ließ er sich selten blicken und entfremdete sich somit den Eltern immer mehr. Doch zu seinem dreißigsten Geburtstag fand er sich ein, um möglichst viel an klingender Münze vom Alten herauszuschinden, wie er es zynisch bezeichnete. Er erhielt auch tatsächlich einen Scheck, aber dabei erklärte der Vater:

»Es ist der letzte Scheck, den ich aus meiner Tasche zahle, merke dir das. Ich kann es Eginhard gegenüber nicht mehr länger verantworten.«

»Hat der etwa nicht während seiner Studienzeit regelmäßig seinen Scheck erhalten?« brauste Waldemar auf, doch gebieterisch winkte der Vater ab.

»Nur bis zu seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr, dabei ohne jede Sonderaufwendung«, setzte er vielsagend hinzu. »Dann wurde er hier seßhaft, hat gearbeitet und sich damit seinen Lebens­unterhalt verdient. Du jedoch hast mir, sprechen wir es ruhig aus, noch vier Jahre länger sehr schwer auf der Tasche gelegen, das hört auf!«

»Und wovon soll ich leben?«

»Von der Abfindung, die dir als zweitgeborener Sohn gesetzlich zusteht, und von der du fernerhin deinen Monatsscheck erhalten wirst. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß in ungefähr zehn Jahren das dir Zustehende aufgebraucht sein wird. Für Schulden komme ich nicht auf, da habe ich mich gesichert.«

Nun, der mißratene Sohn war zufrieden. Woher der Monatsscheck stammte, war ihm egal. Die Hauptsache, er bekam ihn, und zehn Jahre sind eine lange Zeit.

So las er dann das Dokument, das der Vater ihm reichte, nur flüchtig durch, freute sich über die stattliche Summe, die ihm zustand und setzte seinen Namen unter das amtliche Schriftstück. Eine Stunde später fuhr er ab. Daß seinen Eltern das Herz blutete, danach fragte er nicht. Ein jeder ist sich selbst der Nächste, meinte er.

Nun, wenn der Jüngste seinen Eltern auch Kummer bereitete, um so mehr Freude hatten sie an ihrem Ältesten. Auch an seiner Frau und dem kleinen Eggo, der dieser harmonischen Ehe entsproß. Bei ihnen fanden die beiden leidgeprüften Menschen die Achtung und Liebe, die ihnen zukam, weil sie ja nur für ihre Familie gelebt hatten. So konnte der Kummer sie nicht zermürben, er wurde gottergeben hingenommen.

Als der Enkel zwanzig Jahre alt war, starb die Großmutter. Während sie nachts schlief, hatte das müde Herz seinen letzten Schlag getan.

Das brachte der Familie Herzweh. Bis auf Waldemar, der wohl zur Beisetzung erschien, aber durchaus nicht erschüttert war. Er meinte phrasenhaft, daß siebzig Jahre ein gottgesegnetes Alter wären, und man der Entschlafenen das friedliche Ende gönnen müßte.

Am liebsten hätte sein Bruder Eginhard ihn ja aus dem Hause gewiesen, aber das konnte er wegen des Vaters nicht, der ohnehin schon schwer genug an dem Tod der treuen Lebenskameradin trug. Zwei Jahre später folgte er ihr hochbetagt.

Sein mißratener Sohn jedoch genoß weiter sein nichtsnutziges Leben. Sein Kapital schrumpfte immer mehr zusammen, von dem ihm nur der Bruder die Raten überwies. Und wenn es eines Tages ganz aufgebraucht war.

Dann soll der üble Patron vor die Hunde gehen, dachte der Bruder verbissen. Den Eltern tut das nicht mehr weh.

Und doch siegte sein gutes Herz, als Waldemar so unerwartet auftauchte. Er nahm ihn auf und ließ den Arzt kommen, der nach der Untersuchung bedauernd die Achsel zuckte…

»Das Herz ist total kaputt. Machen Sie sich auf das Ärgste gefaßt, Graf.«

Was dann auch zwei Tage später eintraf. Der Rest des Kapitals wurde zum Begräbnis verwandt, wobei der Bruder allerdings noch zuzahlen mußte.

*

Wenn Eginhard geglaubt hatte, daß ihm und seiner Familie nach dem Tod Waldemars nichts Übles mehr geschehen könnte, war das ein Trugschluß, denn das dicke Ende kam nach, wie es im Volksmund heißt. Er fand nämlich im Nachlaß einen an ihn gerichteten Brief, den man mit zynisch bezeichnen konnte. Mit Grimm geladen, ging er ins Wohngemach zu Gattin und Sohn, die es sich am brennenden Kamin wohlsein ließen, denn draußen war es an diesem letzten Februartag bitter kalt.

»So ein Schuft!« stieß er zwischen den Zähnen hervor, während er Platz nahm und der Gattin den Brief reichte. »Lies, und du auch, Eggo –«

Was sie dann, Kopf an Kopf geschmiegt, lasen, war so gemein, daß Ekel in ihnen hochstieg. Denn in dem hinterlassenen Schreiben stand, daß der Verstorbene mehr als hunderttausend Mark Schulden hinterließ, die das liebe Brüderchen ja wohl bezahlen müßte, wenn er nicht das Wappenschild der Frode beflecken wollte, das er doch immer so blankgeputzt hielt. Vielleicht käme er auch um die Zahlung herum, wenn das geliebte Söhnchen Eggo, auf das man doch so stolz war, die Tochter des Mannes heiraten werde, der den Schuldschein besitzt. Und dieser wäre kein anderer, als der Dr. rer. pol. Friedrich Gontard, dessen Großvater als einfacher Müller noch Säcke geschleppt hatte. Der dann jedoch irgendwie zu Geld gekommen war, mit dem er den Grundstein zu den jetzt so stolzen Mühlenwerken gelegt hatte. Sein Enkel hätte nun Geld wie Heu und würde mit Freuden einen gräflichen Schwiegersohn ans Herz drücken und dessen Vater huldvoll die Schulden erlassen.

Ferner wurde noch zynisch eröffnet, daß lieb Brüderlein keine weiteren Zahlungen zu befürchten hätte. Denn der nun Verstorbene hinterlasse weder Weib noch Kind oder sonst jemand, der Anspruch auf Alimente hätte. Damit endete der üble Wisch, den die Gräfin angewidert auf den Tisch warf.

»Wie kann ein Mensch nur so gemein sein«, sprach sie in die beklemmende Stille herein. »Und was nun, Eginhard?«

»Ja, was nun…«, lachte er bitter auf. »Obwohl der Schuft vor Jahren das ihm vom Vater vorgelegte Dokument unterschrieb, in dem er sich verpflichtete, keine Schulden zu machen, pfiff er auf diese Verpflichtung. Ich muß schon sagen, daß ich ihm trotz allem diese Gemeinheit denn doch nicht zugetraut hätte.

Wohl könnte ich das Dokument dem Gericht vorlegen, aber ich will unsern Namen nicht durch die Öffentlichkeit schleifen lassen. Was meint ihr wohl, was das für Aufsehen erregen würde. Mit Fingern würde man auf uns zeigen, die wir im Umkreis führend sind. Also werden wir für das büßen müssen, was der mißratene Sohn einer ehrenwerten Familie verbrach – und zahlen.«

»Und woher willst du das Geld dazu nehmen?« fragte der Sohn. »Unsere Rücklagen sind durch die Bauten, Anschaffung von teuren Maschinen und anderes mehr erheblich zusammengeschrumpft. Ich glaube kaum, daß sie für diese unvorhergesehene Zahlung reichen werden.«

»Dann nehmen wir das noch Fehlende auf«, kam es mit Entschiedenheit zurück. »Das gibt mir die Bank ohne weiteres, da unser Besitz unbelastet ist. Unsern Namen besudeln laß ich auf keinen Fall.

Aber in erster Linie werde ich morgen – denn heute ist es dafür zu spät – Herrn Doktor Gontard aufsuchen und ihn fragen, wie er überhaupt zu dem Schuldschein kommen konnte. Wohl stehe ich mit ihm in geschäftlicher Verbindung, weil wir unsere Erzeugnisse an die Mühlenwerke liefern, bin auch zu offiziellen Gelegenheiten mit ihm zusammengetroffen, aber mit Waldemar hat er meines Wissens nie etwas zu tun gehabt.«