Der Zusammenbruch der DDR. Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes - Heinz Ahlreip - E-Book

Der Zusammenbruch der DDR. Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes E-Book

Heinz Ahlreip

0,0
39,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Politisches System Deutschlands, , Sprache: Deutsch, Abstract: Obwohl sich die Sowjetunion nach den für sie extrem verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges relativ rasch erholte, ist es in ihrem Wirkbereich zur Restauration des Kapitalismus gekommen. Diese kann nicht aus der Sphäre der Politik, auch nicht aus einem Hin- und Herwälzen von Basis- und Überbauursachen erklärt werden. Beide Erklärungsversuche verharren noch im Immanenzschatten der Fetischverblendung, die zu durchbrechen nur vorgegeben wird. Der wissenschaftlichen Erklärungsweise gelingt der Durchbruch von der Erscheinung zum Wesen gesellschaftlicher Prozesse nur mit Hilfe der materialistischen Dialektik, die die ökonomischen Triebkräfte politisch-ideeller Triebkräfte aufzuzeigen hat. Die Sowjetunion und die von ihr abhängige DDR sind an inneren ökonomischen Ursachen zusammengebrochen. Durch ein Überhandnehmen der Warenproduktion wurde das Wertgesetz und der ihm einsitzende Maximalprofit wieder zum Regulator der Wirtschaft.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Impressum:

Copyright (c) 2015 GRIN Verlag / Open Publishing GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.

Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.

Jetzt beiwww.grin.com

DER ZUSAMMENBRUCH DER DDR

Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes

„Blind seid ihr wie junge Katzen, was wird nur ohne mich? Das Land wird untergehen, wenn ihr es nicht versteht, die Feinde auszumachen“. (Stalin)

„Offenbar in der letzten Minute öffnete er plötzlich die Augen und ließ seinen Blick über alle Umstehenden schweifen. Es war ein furchtbarer Blick, halb wahnsinnig, halb zornig, voll Entsetzen vor dem Tod und vor den unbekannten Gesichtern der Ärzte, die sich über ihn beugten – dieser Blick ging im Bruchteil einer Sekunde über alle hin und dann, es war unfaßlich und entsetzlich, ich begreife es bis heute nicht und kann es nicht vergessen, da hob er plötzlich die linke Hand, die noch beweglich war, und wies mit ihr nach oben, drohte uns allen.“ (Stalins Tochter Swetlana Allilujewa)

Inhalt

 

DER ZUSAMMENBRUCH DER DDR

EINLEITUNG:

Vorbemerkung: RUSSLAND UND DEUTSCHLAND IM KALKÜL LENINS

EXKURS I: Linksextremismus: Das Experiment der Kmher Rouge:

EXKURS II: Rechtsextremisnus. Über den Faschismus:

ANMERKUNGEN:

LITERATURLISTE:

 

EINLEITUNG:

Als ich die Untersuchung begann, war mir zwar klar, dass man mit der ökonomischen Entwicklung in der UdSSR beginnen müsse, im Laufe der Untersuchung wurde aber immer deutlicher, dass überhaupt ihr Schwerpunkt auf der Ergründung des Zerfalls der Planwirtschaft in der Sowjetunion zu liegen hat. Die SED lernte in der DDR von der Sowjetunion, in der Stalin ab 1956 nicht mehr als Lehrer galt. Ich hoffe, es ist mir gelungen, trotz dieser Gewichtung in der Forschung die DDR, obwohl sie kein souveräner Staat war, dennoch in den Mittelpunkt der Darstellung gestellt zu haben. Ein souveräner Staat kann keine ausländischen Truppen auf seinem Territorium dulden. Es besteht auf Grund dieser Abhängigkeit der kleinen Schwester DDR vom großen Bruder UdSSR bei dieser Thematik immer die Gefahr, dass aus der Analyse des Zusammenbruchs der DDR ein Buch über die Sowjetunion herauskommt. Es ist anfangs auch gleich selbstkritisch anzumerken, dass es 25 Jahre nach dem Zusammenbruch eines Gesellschaftssystems ein Leichtes ist, die tragischen Figuren, die beim Schlussakt auf der politischen Bühne standen, zu kritisieren und ihre Fehler aufzuzeigen. Je größer die Distanz zu dieser historischen Tragödie wird, desto mehr muss man sich die Frage vorlegen, wie man denn selbst in der brennenden Eskalation der Probleme gehandelt hätte? Gewiss nicht fehlerfrei, dies um so mehr, als man den Ausgang des erst von der Perestroika vollendeten Niedergangs des osteuropäischen Sozialismus ja gar nicht voraussehen konnte. Der Fall der Mauer kam selbst für die meisten Ost-West-Experten völlig überraschend, selbst nachdem die ungarische Regierung auf Anweisung des Außenministers Gyuala Horn am 2. Mai 1989 begonnen hatte, Grenzbefestigungen abzubauen. Am 21. August rannten 700 DDR-Bürger über die ungarische Grenze nach Österreich. Von den führenden deutschen Politikern der damaligen Zeit ist Franz-Josef Strauß lobend hervorzuheben, er hatte kurz vor seinem Tod ein baldiges Ende der Sowjetunion richtig angezeigt. Vor allem aber ist der indische Journalist Harpal Brar zu nennen, der in der März/April-Ausgabe der Zeitung 'Lalkar' 1990 in London die Folgen der Politik der Perestroika als katastrophal bezeichnete. Die Perestroika werde „in einer völligen Demontage der sozialistischen Planwirtschaft münden und die Errungenschaften der Oktoberrevolution zunichte machen ...“ 1. Und zwar sah Brar hellsichtig die drei tragenden ökonomischen Säulen des Sozialismus: Volkseigentum - Volkswirtschaftsplan und staatliches Außenhandelsmonopol, zusammenbrechen, sah nüchtern in dem 'Blendwerk Perestroika' mehr als nur eine Modeerscheinung des Sozialismus, während die „marxistischen“ Schwärmer eine Weiterentwicklung der marxistischen Theorie im Sinne Bucharins, den wohl viele unter den Schwärmern nicht einmal kannten, 'herausgelesen' hatten, weil der Konsument umschmeichelt wurde, dem (wieder mal) mehr Auswahl an Produkten in Aussicht gestellt worden war und weil viel vom Abbau der Bürokratie die Rede war. Brar erkannte, dass der verkündete Übergang von vorwiegend bürokratischen zu ökonomischen Leitungsmethoden und von kommandierenden zu demokratischen auf allen Ebenen den Übergang zu kapitalistischen zum Endzweck hatte. 2. Der Zusammenbruch der UdSSR und ihrer Satelliten ist als, man verzeihe mir den Ausdruck, „phänomenal“ zu bezeichnen. Warum? Durch das atomare Wettrüsten im sogenannten kalten Krieg hatte sich eine Vernichtungskapazität angehäuft, die ausgereicht hätte, die ganze Erde vierzig Mal in die Luft zu sprengen. Im Zusammenbruch der einen Kriegspartei fiel indes außer in Rumänien kein einziger Schuss. Es erstaunt die Tatsache, welche Unberechenbarkeit dem Krieg selbst am Ende des 20. Jahrhunderts noch innewohnte. Fast alle hatten sich geirrt, sowohl die proletarischen und bürgerlichen Klassen als auch deren politische Eliten. War es nicht die Oktoberrevolution, sondern der Krieg in seiner Globalität und Totalität, der die politischen Eliten nivellierte? Fand zu Beginn des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Revolution in Gestalt des Kaisers Napoleon zwischen der Beresina und dem Njemen ihr Grab, so wiederum in Russland die proletarische in Gestalt des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Gorbatschow am Ende des zwanzigsten.

Es ist immer leichter, über vollendete Revolutionen oder über vollendete Konterrevolutionen zu schreiben, als in ersterer Gärung selbst politisch mitzuwirken. Auch ich hatte mich im Juli 1989 geirrt. In einem Artikel für die „Kommune; Forum für Politik, Ökonomie, Kultur“ schrieb ich in der Juli-Ausgabe, dass durch die Perestroika die Zahl der Menschen in der Sowjetunion größer wird, die den Sozialismus unter den Füßen verlieren werden. 3. Das war nicht sehr weitblickend – am Ende waren es alle, und zwar so, dass sich zum Beispiel heute der monatliche Lohn einer Arbeitskraft in Tschechien zur Entlohnung einer vergleichbaren Tätigkeit in Südkorea wie 1 : 3 verhält. Ich hatte also nicht pervers genug gedacht, was dialektisches Denken aber erheischt. Quantität schlug um in Qualität, in einen eigenartigen Kapitalismus. Das internationale Finanzkapital mauerte, investierte nur ganz gering in den sich aus einer Negation der Negation herausgebildeten Kapitalismus, eine Negation der Negation, die durch die Jahre 1917 und 1991 markiert wird. Ein derart verwurzelter Kapitalismus musste natürlich gegenüber dem klassischen seine Eigenarten aufweisen und das Kapital ist eher ängstlich denn tollkühn. Wir können im Zerfallsprozess der Sowjetunion verfolgen, wie sich das Überhandnehmen der Warenproduktion reziprok zur Herausbildung einer Parteienpluralität verhielt. Zeigt das erstere die ökonomische Versklavung der Völker an, so die letztere ihre politische. Alle bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien wollen bzw. müssen die Lohnsklaverei verewigen, die ihre eigene politische Herrschaft impliziert. Der Außenhandel der Sowjetunion mit den Kapitalisten außer den finnischen war immer peripher gewesen, Lenin wurde in der Periode der NEP (Nowaja Ekonomitscheskaja Politika) von ausländischen Investoren im Stich gelassen, während aber der 'Schwarze Freitag' 1929 das ganze kapitalistische Wirtschaftssystem erschütterte, schritt die Sowjetunion kühn zur Kollektivierung der Landwirtschaft voran, die für Solschenyzin, einem Sympathisanten Bucharins, das schwerste Verbrechen in der Geschichte der Sowjetunion darstellte, kein Wunder, war doch Solschenyzin der Sohn des fünftgrößten Großgrundbesitzers vor der Revolution. In dieser Tatsache liegt die Quelle seines literarischen Schaffens, das leichtfertig mit einem Nobelpreis bedacht wurde.

War es relativ leicht, die konterrevolutionäre Physiognomie der Perestroika lange vor dem Ende der Sowjetunion abzulesen, so täuschte ich mich doch in der Befangenheit der Aktualität über das Ausmaß ihrer Wirkungen. Hier spielte einerseits wohl der revolutionäre Mythos mit hinein, der den Gedanken nicht gestattete, dass eine Arbeiterklasse, die in Russland im 20. Jahrhundert drei Revolutionen (1905, Februarrevolution und Oktoberrevolution 1917) von unten führend gestaltete, ein totales Wiederaufkommen eines totalen Raubtierkapitalismus zulassen könnte. (Die Kollektivierung der Landwirtschaft 1929 war bekanntlich eine Revolution von oben, die die Beziehungen unter den Bauern veränderte und durch Rationalisierung Arbeitskräfte für die Industrie freisetzte. Die russischen Völker erlebten somit vier Revolutionen in einem Vierteljahrhundert). Es mag Varianten geben, bei Licht besehen ist aber jeder Kapitalismus in seinem innersten Wesen raubtierhaft, inhuman, menschenverachtend, denn er muss die Arbeitsmittel und somit die Lebensquellen monopolisieren und die Völker von ihnen abschneiden. Dann ist es Ideologie, das daraus entstandene Elend als in der Natur des Menschen und in der Natur der Sache liegend zu deuten. Der Kapitalismus ist mehr als alle ökonomischen Systeme vor ihm ein barbarisches System, in dem es Reichtum und Kultur nur für eine kleine Minderheit von Asozialen gibt. Andererseits ist es für gewöhnliche Menschen nicht möglich, aus einer aktuellen politischen Situation sich aus ihr herleitende Konturen der weiteren Entwicklung treffsicher herauszufiltern. Das macht den alltäglichen Dilettantismus der Talkshows im Fernsehen aus, in der die Diskrepanz zwischen subjektivem Maßstab und objektiven Ausmaß ganz deutlich zu Tage tritt. Die Wissenschaft, insbesondere die Gesellschaftswissenschaft, aber beinhaltet das Ringen um eine Identität von einem sich mit seinem Wissen ständig ändernden Maßstab und des sich ständig ändernden Ausmaßes seines Erfassens. Man müsste ein Karl Marx sein, der in der lebendigen Tagesgeschichte die Begebenheiten in ihrer Tendenz so klar durchschaute, wie es beispiellos in der Geschichte der politischen Theorie ist und der diesbezüglich mit dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte sein Meisterwerk abgeliefert hat. Karl Marx war ein Ausnahmerevolutionär, dessen Name durch die Jahrhunderte fortleben wird und so auch sein Werk. Die Natur- und Gesellschaftswissenschaftler täten heute gut daran, nicht auf die bürgerliche Ideologie hereinzufallen, der gemäß jeder für sich und Gott für uns alle arbeitet, sondern auf einen atheistischen Gesellschaftszustand hinzuwirken, der es erst ermöglicht, in Kollektiven zu wahren Herren ihrer Materie zu werden gemäß der humanen Maxime, alle für einen, einer für alle. Nietzsche jammerte, dass der Sozialismus das Aufkommen „großer Männer“ verhindere. Er endete in der Irre. Eric Hobsbawm nannte das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Extreme und man muss sich angesichts des zusammenhängenden Zusammenbruchs der UdSSR und der DDR wirklich fragen, ob es nicht mehr im Zeichen von Nietzsche als im Zeichen von Marx stand?

Vorbemerkung: RUSSLAND UND DEUTSCHLAND IM KALKÜL LENINS

 

Russland und Deutschland waren durch den Ersten Weltkrieg in eine Isolation geraten, obwohl sie zwei ganz unterschiedliche Wege gegangen waren. Durch die Oktoberrevolution fand Russland seine eigene Lösung, revolutionär aus dem imperialistischen Krieg auszuscheiden, wurde aber eine "belagerte Festung"; das auf einer politischen Reaktion wie ein dummer Schüler sitzengebliebene Deutschland dagegen wurde zum Spielball der Ententesieger 4., obwohl ja der "Coup" auf Gegenseitigkeit zwischen Lenin und dem deutschen Generalstab gelungen war: die militärische Paralyse Russlands. Auf den ersten Blick widersinnigerweise warf der deutsche Stab aber nicht alle Kräfte gen Westen, sondern ging 1918 raubgierig großraumdenkend tiefer in den Osten hinein. Der englische Oberkommandierende, Feldmarschall Haig, sagte nach dem Ersten Weltkrieg, sechs deutsche Divisionen mehr im Westen hätten wohl den Ausschlag zugunsten Deutschlands gebracht. Zirka eine Million deutsche Soldaten verblieben stattdessen im Osten, obwohl sie im Westen dringend im Sinne eines militärischen Generalerfolges gebraucht wurden. Aber die führenden deutschen Industriellen hatten schon ihre den Donbass und das Baltikum betreffenden 'Bestellungen' abgegeben. 5. So verschieden die Ergebnisse des ersten Weltkrieges für beide Länder auch waren, Lenin erspürte bereits Anfang 1921 bei der Begründung der NEP eine Art zwillingshafter Verwandtschaft zwischen beiden Ländern: Sozialismus wäre, wenn Russland Deutschland politisch und Deutschland Rußland ökonomisch ergänze. "Die Geschichte (von der niemand, vielleicht außer den menschewistischen Flachköpfen ersten Ranges, erwartet hatte, daß sie uns glatt, ruhig, leicht und einfach den "vollen" Sozialismus bringen werde) nahm einen so eigenartigen Verlauf, daß sie im Jahr 1918 zwei getrennte Hälften des Sozialismus gebar, eine neben der anderen, wie zwei künftige Küken unter einer Schale des internationalen Imperialismus. Deutschland und Russland verkörpern 1918 am anschaulichsten die materielle Verwirklichung einerseits der ökonomischen, produktionstechnischen, sozialwirtschaftlichen Bedingungen und anderseits der politischen Bedingungen für den Sozialismus". 6. Kurz: Sozialismus wäre ein Sowjetstaat vom Typus der Pariser Commune plus einer Wirtschaft mit großkapitalistischer Technik und planmäßiger Organisation, noch kürzer: Pariser Commune und deutsche Post, Sowjetmacht und Elektrifizierung. Eine staatliche Organisation, "die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung und Verteilung der Produkte anhält". 7. Es war das Schicksal der Leninschen Oktoberrevolution, dass der erste Weltkrieg keine eineiigen Zwillinge gebar, in politischer und ökonomischer Hinsicht. Russland war den fortgeschrittenen Ländern politisch voraus, ökonomisch, insbesondere makroökonomisch, hinkte es stark hinterher. Die NEP war gerade der Versuch, dieses spezifische russische Missverhältnis (es gab ja auch noch das umgekehrte spezifisch deutsche) zwischen der Kraft der Politik und den "Kräften" der Ökonomie unter den Vorzeichen einer zunächst ausbleibenden Weltrevolution so zu gestalten, dass über eine staatskapitalistische Wirtschaft die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus errichtet werden konnten - die NEP zeigte immer an, dass die russische Bourgeoisie 1917 nur politisch, nicht ökonomisch besiegt worden war und dass in einem kleinbäuerlichen Land wie Russland der Kapitalismus eine festere ökonomische Basis hatte als der Kommunismus. Jeder wirtschaftliche Erfolg unter der NEP war auch immer mit einem gewissen kapitalistischem Wachstum behaftet, es wurde bereits von einer "neuen Bourgeoisie" gesprochen. Ökonomisch waren die Bauern die Gewinner der Revolution und unter ihnen machte sich die gefährliche Tendenz breit, dass der Mittelbauer anfing zu träumen, Kulak zu werden, also Mehrwert über die Ausbeutung unbezahlter Arbeit zu akkumulieren. Und dennoch: Lenins NEP führte am Ende zum Aufbau des Sozialismus, Gorbatschows NEP gab ihm den Gnadenstoß.

 

War in Deutschland das ökonomische Niveau für den Sozialismus um 1920 vorhanden, nach Lenin sogar vorbildlich, so war zugleich die flachköpfige deutsche Sozialdemokratie, die sich immer weniger auch verbalpolitisch auf Marx und Engels berief, zum Bluthund der Konterrevolution, mit den zu Beginn des ersten Weltkrieges von Rosa Luxemburg ausgesprochenen Worten: zu einem stinkenden Leichnam 8. pervertiert und liquidierte mit den Novemberräten die deutsche Commune. Nach Lenin hing der Sieg der kommunistischen Weltrevolution von den Entwicklungswegen dieser beiden Länder ab. Schon vor der Oktoberrevolution war diese weltgeschichtliche Schlüsselkonjunktion ein elementarer Bestandteil Leninschen Denkens: Es gäbe zwei Wege, das imperialistische Völkergemetzel und zwar weltweit zu beenden: die proletarische Revolution in Russland und Deutschland oder die Soldatenverbrüderung an den Fronten. Zur ersteren wurde zum Beispiel vom Zentralkomitee der SDAPR im Mai 1917 im "Aufruf an die Soldaten aller kriegführenden Länder" aufgefordert 9. Oder aber: Auf Verbrüderungsmeetings zwischen russischen und deutschen Soldaten müsse gezeigt werden, dass die proletarische Revolution in diesen beiden Ländern die ganze Menschheit sofort aufatmen ließe, der Sieg des Sozialismus in allen Ländern gesichert sei. 10. "Der Russe wird beginnen - der Deutsche vollenden". Das war die Zuversicht des internationalen Proletariats. Deshalb drang Lenin auch, nachdem das Polen Pilsudskis Anfang März 1920 die Sowjetunion überfallen hatte, darauf, den Gegenstoß bis an die deutsche Grenze zu führen, um mit Deutschland in Berührung zu kommen zwecks Entfachung der Revolution. Im Oktober 1918 hatte Radek noch geschrieben: "Wir schauen auf Deutschland wie auf eine Mutter, die eine Revolution gebiert, und sollten uns die Deutschen nicht dazu zwingen, werden wir nicht die Waffen gegen sie erheben, ehe das Kind nicht geboren ist ". 11. So oder so, ob autonom oder subventioniert, beide Wege endeten in einer Sackgasse, erwiesen nicht, dass nach Russland Deutschland das schwächste Glied in der imperialistischen Kette sei und führten nicht zum deutschen Paradies der Arbeiter und Bauern. Es half auch nichts, dass die kommunistische Partei in Deutschland nach der russischen weltweit die stärkste war. Im Gegenteil: in Deutschland bestätigte sich dann auch auf tragische Weise, was Lenin im Revolutionsjahr 1905 über, wenn man so will, revolutionäre Fehlgeburten dozierte: "Es wäre falsch zu glauben, dass die revolutionären Klassen immer über genügend Kraft verfügen, um einen Umsturz zu bewerkstelligen, wenn dieser auf Grund der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung vollauf herangereift ist. Nein, die menschliche Gesellschaft ist nicht so vernünftig eingerichtet und nicht so "bequem" für die fortgeschrittenen Elemente. Der Umsturz kann herangereift sein, allein die Kräfte der revolutionären Schöpfer dieses Umsturzes können sich als ungenügend erweisen, ihn zu bewerkstelligen - dann fault die Gesellschaft, und diese Fäulnis kann Jahrzehnte hindurch dauern". 12. In Deutschland hatte dann diese Fäulnis eine wirklich braune Farbe angenommen. Fehlten in Deutschland Revolutionserfahrungen? Vom jungen Marx ist die Feststellung überliefert, dass Deutschland nie eine erfolgreiche Revolution, sondern immer nur alle erfolgreichen Konterrevolutionen mitgemacht habe. 13. Dieser Satz ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis der Jahre 1933 und 1945. Bereits 1902 hatte Lenin in seinem fundamentalen Buch zur Grundlegung einer marxistischen Partei in Russland die Überlegung erläutert, dass die Geschichte dem russischen Proletariat die revolutionärste Aufgabe weltweit gestellt hätte: die Zerstörung des Bollwerks der europäischen und asiatischen Reaktion. Obwohl Lenin die Bemerkungen von Marx und Engels über das konterrevolutionär verseuchte Deutschland kannte, obwohl er Zeitzeuge des Kapp-Putsches war, vom Marsch Mussolinis im Oktober 1922 auf Rom gehört hatte, einen zweiten Weltkrieg in Europa für nicht ausgeschlossen hielt, konnte er die spezifische deutsche Variante bürgerlicher Reaktion, den deutschen Faschismus, noch nicht erahnen. Aber seine Ahnung, mit der ich meine Vorbemerkung zum Zerfall der DDR beenden möchte, dass man unbedingt Deutschland gewinnen müsse, dass das konterrevolutionär verseuchte Deutschland unbedingt eine rote Farbe annehmen müsse, wurde durch die weitere historische Entwicklung auf tragische Art als in sich stimmig erwiesen. In diesem Kontext ist das Telegramm Stalins zu lesen, dass er aus Anlass der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 nach Ost-Berlin schickte: Die Bildung der Deutschen Demokratischen friedliebenden Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas. Eine DDR neben der friedliebenden Sowjetunion schließe die Möglichkeit neuer Kriege in Europa aus. Dass das Adjektiv 'friedliebend' gleich zweimal, einmal sogar an einer ungewöhnlichen Stelle, verwendet wurde, verdeutlicht den historischen Hintergrund: der zweite Weltkrieg. Durch die DDR wenigstens hatte Deutschland seinen Charakter völlig umgekehrt: aus einem Hort des Krieges sei es nun ein Hort des Friedens geworden. Der Krieg in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als kalter bestätigte diese Voraussicht Stalins. Mit dem Wegbrechen der Sowjetunion, mit dem der DDR ist der Krieg aus seinem Erholungsschlaf wieder erwacht. Durch den Zweiten Weltkrieg kam in Deutschland der Kommunismus auf eine Art zum Zuge, die keiner vorhergesehen hatte und die ihn unter einen ähnlich ungünstigen Stern aufwachsen ließ wie in Russland: War die russische Gesellschaft am Ende einer 300jährigen Zarenherrschaft noch nicht durchproletarisiert, so stützte sich in Ostberlin die Regierung einer Arbeiterklasse auf eine aus einem Krieg siegreich hervorgegangene Bajonette. Das waren die Ansätze des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wobei der zweite nur eine Konsequenz des ersten von 1917 war.

 

In der NEP-Periode tauchte bereits das Wort von der 'neuen Bourgeoisie' auf und auf die NEP berief sich auch die Fleisch gewordene 'neue Bourgeoisie' gegen Ende der achtziger Jahre. In der NEP der Perestroika, 1984 veröffentlichte Jewgenij Ambarzumow im 'Woprossy Istorii“ einen Artikel, in dem er die Leninsche NEP wieder als Leitmotiv einer wirtschaftlichen Erneuerung ausersehen hatte, wurde der Versuch unternommen, den politischen Überbau aus staatskapitalistischen Strukturen an die bereits überwucherte und erstickte sozialistische ökonomische Basis anzupassen. Er wurde von dieser tödlich verschlungen. Dass dies tödlich sein kann, hätte Gorbatschow aus einem Brief von Engels an Conrad Schmidt vom 27. Oktober 1880 entnehmen können. Der frühere Parteisekretär für Landwirtschaftsfragen Gorbatschow, der 1985 als Nachfolger Tschernenkows Generalsekretär einer der mächtigsten Parteien der Welt, der KPdSU mit 19 Millionen Mitglieder wurde, konnte als Reformator daher nur als Doppelzüngler auftreten, „Bewahrer“ und „Erneuerer“ in einem. Zwittergestalten scheitern rasch in der Weltgeschichte, mit kapitalistischen Reformen sollten Widersprüche einer sozialistischen Wirtschaft gelöst werden, in der kapitalistische Strukturen bereits angelegt waren. Die dreifach gestaffelte Politik: Perestroika (Umbau), Uskorenie (Beschleunigung) und Glasnost (Transparenz), die auf den Plenarsitzungen des Zentralkomitees der KPdSU jeweils im Januar und im Juni 1987 angenommen worden war, brachte die subkutanen kapitalistischen Strukturen zum Platzen, eine dreifach gestaffelte Politik, die einen Schritt vorwärts ging, aber zwei zurück. Ein Schritt vorwärts – zwei zurück, das gilt sowohl im Leben von Individuen als auch in der Geschichte von Nationen. „Wir werden nichts an der Sowjetmacht ändern und ihre fundamentalen Prinzipien aufgeben, wir werden nicht annehmen, was uns von einer anderen Ökonomik angeboten wird“, hatte Gorbatschow noch in seinem Hauptbuch „Perestroika“ geschrieben. Was war sein Anliegen? Mag er nun als Reformator bezeichnet werden oder als Revolutionär, für ihn war Perestroika-Glasnost eine 'Revolution von oben', allerdings – eine, die die fundamentalen Prinzipien beibehält!? Er wollte eine Fehlentwicklung korrigieren, die vor allem in der wirtschaftlichen Stagnation des Landes lag. (Das, nebenbei gesagt, unter Stalin aufgeblüht war, 1941 brachte die Sowjetunion zehn Prozent der Weltindustrieproduktion hervor). Die Arbeit habe im realen Sozialismus ihren Achtungsstatus verloren und vor allem viele junge Leute seien nur noch hinter dem Profit her, den es also nach dieser Ausführung bereits gab. Innenpolitisch also eine Besinnung auf die Kardinalkategorie des menschlichen Lebens, außenpolitisch war es der Friede der Menschheit. Außenpolitisch war es ein Irrtum, anzunehmen, der Vietcong hätte dem US-Imperialismus die Zähne gezogen, je populärer Gorbatschow flankiert von seinem Hausökonomen Abel Aganbejan durch seine klassenneutrale Menschheitsbeglückungsphilosophie in imperialistischen Kreisen wurde, desto mehr sank sein Stern in seinem Heimatland. In die außenpolitischen Räume versuchte Gorbatschow ein recht merkwürdiges philosophisches Pulver in die Augen zu streuen. Sein Wunschdenken war, dass wir alle in einer ganzheitlichen Welt gegenseitiger Abhängigkeiten leben. 'Integral' und 'interdependent' waren die Zauberworte, mit denen kardinale Widersprüche der Weltentwicklung entwertet werden sollten, die Zeit nach dem Scheitern der Perestroika hat jeden Erdbewohner die Allgewalt dieser Widersprüche spüren lassen. Hatte Gorbatschow den Falklandkrieg vom April bis Juni 1982 als einen zwischen zwei nichtsozialistischen Staaten übersehen? Philosophisch gedeutet war es ein Rückfall von Marx/Hegel zu Leibniz, der in seiner Monadologie, eine wahre Ode auf die Universalharmonie, jeder Monade Bezüge unterstellte, „ ... welche alle anderen ausdrücken, und daß sie also ein lebendiger, immerwährender Spiegel des Universums ist“. 14. Jede drücke das ganze Universum durch die Verknüpfung der gesamten Materie aus. „Und jeder Anteil der Materie kann als ein Garten voller Pflanzen und wie ein Teich voller Fische begriffen werden. Jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Lebewesens, jeder Tropfen seiner Säfte ist jedoch wiederum ein solcher Garten oder ein solcher Teich“ 15. Rerum novus nascitur ordo. Was näherliegend, als unter dem Damoklesschwert einer thermonuklearen Weltkatastrophe mit Leibniz und im Gegensatz zu Marx und Mao die Notwendigkeit des Überlebens der Menschheit als Universalharmonie anzustreben als das Beste aller möglichen Politik. Nach dem zweiten Weltkrieg sah Gorbatschow überall eine „tiefgreifende Modifikation der Widersprüche, welche die grundlegenden Entwicklungen der Weltwirtschaft und Weltpolitik gewöhnlich bestimmten“. Ich überlasse es dem/der dialektisch sensibilisierten Leser/in, das zu genießen, wenn er er/sie es denn angesichts des Unheils, das mit dieser Modifikation (!) der Widersprüche angerichtet worden ist, kann. Die 'Modifikation' ist hier ganz wichtig, in ihr verbirgt sich die Zerstörung des Marxismus. Man kann Widersprüche nicht modifizieren, zusammenbiegen, ihre Lösung liegt in ihrem Austragen. Gorbatschow aber legte das Schwert aus der Hand und reichte sie dem Erzfeind, der in diesem Augenblick schon der Sieger war. Gorbatschow ging noch weiter, für ihn gehörte wohl zur integralen Welt und zur Modifikation der Widersprüche, dass er die neokoloniale Abhängigkeit der sogenannten dritten von der ersten Welt anerkannte, Reagan rieb sich die Hände: „Wir können mit ihm Geschäfte machen“. War das von Lenin, Dzerschinski und Stalin geschmiedete Schwert erst einmal weggeworfen, so blieben Gorbatschow im Stile utopischer Sozialisten mit seinem „Konzept Abrüstung für Entwicklung“ nur noch Appelle an die Vernunft westlicher Politiker. Es war in der Sowjetunion ein Mann an die Macht gekommen, der mit seiner These einer 'integralen und interdependenten einheitlichen Welt gegenseitiger Abhängigkeiten und modifizierter Widersprüche' hausieren ging und mit dessen Namen der durchschnittliche Zeitungsleser gewöhnlich den Beginn des Zerfalls des real existierenden Sozialismus verbindet. Ich werde den Nachweis führen, dass das keineswegs der Fall ist, dass in der Perestroika, nach Gorbatschow eine „Revolution von oben“, nur die Eiterbeulen der revisionistisch entarteten Kommunistischen Parteien im sogenannten Ostblock zum Platzen gebracht worden waren. Gerade durch Glasnost ist mit aller Deutlichkeit zutage getreten, wie wichtig Lenins Hinweis in "Was tun?" war, dass der Sieg des Sozialismus primär von dem sozialistischen Bewusstsein der Arbeitermassen abhängig sei, dass also die Idee auch eine materielle Macht sei. Viele "hochgelahrte Marxisten" fielen damals auf den Perestroikaschwindel rein, erkannten nicht den geballten Sozialdemokratismus, der sich mit Zitaten aus Lenins Werken tarnte. Ist das sozialistische Bewusstsein nicht hochentwickelt und sind die Konturen des Leninismus nicht scharf ausgeprägt, läuft man Spitzbuben hinterher, wenn diese nur eine neue rote Fahne schwenken. Die Dialektik der Geschichte zwingt die Feinde der Marxisten, sich als Marxisten zu verkleiden 16. , es gibt so etwas wie Banditentum hinter der Maske des Leninismus. Es war vielleicht nicht zufällig, dass Gorbatschow gerade gegenüber dem Alt-Nazi und Kommunistenjäger Helmut Schmidt die Katze aus dem Sack ließ: Als Helmut Schmidt ihn auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Meißen fragte, was bei der Perestroika herauskomme, antwortete er : so etwas wie in Schweden. 17. Helmut Schmidt wird schadenfroh in sich hineingelacht und sich seinen Teil dabei gedacht haben.

 

Es war nicht schwer nachzuweisen, dass die Perestroika sich unter Verwendung einer marxistisch-leninistischen Terminologie dem revolutionären Marxismus diametral entgegenstellte. Schon der Ausdruck 'Neues Denken' ist im marxistischen Kontext sehr problematisch und verrät einen Rückfall in eine idealistische Denkweise. 18. Die Menschen machen Geschichte nicht, um ihr Denken und gemäß diesem die Wirklichkeit neu zu gestalten, sondern um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Das 'Neue Denken' hatte die Zerstörung dialektischen Denkens zum Hauptinhalt und vollendete nur die schweren ideologischen Fehler Chruschtschows. Ab den 60er Jahren wurde die Parole „Umwandlung des Sozialismus in ein Weltsystem“ zum Lieblingsspruch im revisionistischen Umkreis, ohne dass in diesem die schwere konservative Last des Wortes Weltsystem aufstieß. Die finale Zerstörung geschah durch eine vereinfachende formale Darstellung der dialektischen Entwicklungslehre, die auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften angeblich eine stetige Höherentwicklung sozialökonomischer und politischer Systeme widerspiegele, ohne Sprünge, ohne Zickzackbewegungen, von der Möglichkeit enormer Rückentwicklungen ganz zu schweigen. 19. Für Gorbatschows Hausphilosophen Jakowlew, einst Botschafter in Kanada, bewiesen alle bekannten Erfahrungen, dass die Geschichte nie und in keiner Richtung den Fortschritt durch Vereinfachung erreiche. „Im Gegenteil, jede spätere Formation, jedes folgende sozialökonomische und politische System waren innerlich komplizierter als die vorangegangenen. Es besteht kein Grund, den Sozialismus und Kommunismus in diesem Sinne als eine Ausnahme zu betrachten“. 20. Es ist einfach zu verstehen, dass in diesem Geschichtsbild, das sich im Zuge der bürgerlichen Aufklärung (siehe Condorcet) nach der Sprengung mittelalterlicher Weltbilder ergeben hatte, für den einfachen Kommunismus in der Zukunft kein Platz mehr sein kann. Für Marx und Engels zeichnete sich ihre Epoche, die Epoche der Bourgeoisie gerade dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze im Gegensatz zu früheren Epochen vereinfacht habe. 21. Die ganze Gesellschaft spalte sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager: Bourgeoisie und Proletariat. Ja und der Marxismus ist selbst aus dieser Lagerspaltung hervorgegangen, hat seine Geburtsstätte in dieser Vereinfachung, die erst die wissenschaftliche Erkenntnis und Lösung der gesellschaftlichen Grundfrage der Herrschaftsfreiheit ermöglichte. Der Fortschritt, der durch Revolutionen in die Welt gebracht wird, führt eine Erleichterung für die bisher Unterdrückten gerade durch eine Vereinfachung herbei, etwa in der Gesetzgebung, durch die Aufhebung eines auswuchernden Privilegiensystems und seine Ersetzung durch eine einzige Norm oder durch eine Vereinfachung des Steuersystems. (Die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern ist auch eine Vereinfachung). Gerade aus dieser Perspektive heraus kritisierte Rousseau das lokal bornierte englische Verwaltungssystem, das ein bunter Flickenteppich war. Es ist einseitig, den Fortschritt nur im Zusammenhang mit einer Strukturpotenzierung zu deuten, die auch in ihm statt hat, aber nicht nur. Der Fortschritt birgt zwei gegenläufige Tendenzen in sich. Um es mit den Worten von Brecht aus seinem „Lob des Kommunismus“ zu sagen: Der Kommunismus ist das Einfache, das so schwer zu machen ist. Vollends phantasierte Gorbatschow auf dem Gebiet der Politik von einem "Gleichgewicht der Vernunft" zwischen den beiden Gesellschaftssystemen, die die Mauer in Berlin trennte, während Karl Marx von einem "Weltkrieg (kursiv von Marx) zwischen proletarischer Revolution und feudaler Konterrevolution" 22. sprach. Die endgültige und unmissverständliche Bankrotterklärung der Perestroikaideologie erfolgte dann in einer Abendsitzung der XIX. Unionskonferenz am 1. Juli 1988 in Moskau, und sie verdient, wörtlich wiedergegeben zu werden: "Wir haben viel Zeit dafür aufwenden müssen, die Gesellschaft, in der wir leben, die Vergangenheit, in der viele heutige Erscheinungen wurzeln, die uns umgebende Welt und unsere Wechselbeziehungen zu ihr zu begreifen. All das mußte aufgefaßt werden, damit wir nicht in revolutionären Sprüngen verfahren, die außerordentlich gefährlich sind...". 23. Und das gab ein Mann von sich, der dem Konservatismus in der Partei und in der Gesellschaft den Kampf angesagt hatte. Die Abkehr vom Marxismus- Leninismus, von der materialistischen Dialektik, von der Revolutionstheorie, die geradezu Sprünge favorisiert, ist hier in aller Deutlichkeit ausgesprochen. (In der bürgerlichen Revolution trat Napoleon am 13. Dezember 1799 (im achten Jahr der Revolution) auf und erklärte die Revolution für beendet: "Die Revolution ist auf die Grundsätze gebracht, von denen sie ausgegangen ist, sie ist beendet".). Das also war die philosophische Begleitmusik des real existierenden Sozialismus auf seinem Gang ins Grab der Weltgeschichte. In einem Buch des Chefideologen der Perestroika Jakowlew, "Vorwort Einsturz Nachwort" steht dann auch schwarz auf weiß: "Es ist die Zeit gekommen, um zu sagen, daß der Marxismus von Anfang an utopisch und falsch war." 24. Dieses Bekenntnis ist in der Logik der Perestroikaphilosophie völlig zwingend und richtig und ergänzt sich mit Gorbatschows Furcht vor revolutionären Sprüngen. Auf dem Gebiet der Ökonomie lag der Hauptsündenfall in der Änderung der ökonomischen Beziehungen auf dem Lande und in der Stadt. In einem Interview mit dem 'Morning Star', das am 11. Mai 1990 erschien, hatte Gorbatschow auch auf diesem Gebiet die Katze aus dem Sack gelassen: es gehe um die Erneuerung der Eigentumsverhältnisse in ihrer Gesamtheit. Und nur naive Leser konnten noch die Frage aufwerfen: zum Kommunismus oder zum Kapitalismus hin? Im Zuge der Entkollektivierung lag, dass die Anstachelung zur Kleinproduktion und zum Profit die Lösung der Versorgungskrise mit Lebensmitteln bringen sollte. Vergessen war, was Marx und Engels die Bourgeoissozialisten im Manifest in polemischer Absicht ausrufen ließen: „Freier Handel! Im Interesse der arbeitenden Klasse ...“. Vergessen war, was Lenin über die Bedeutung der Kleinproduktion im angehenden Sozialismus geschrieben hatte, dass ihm der Untergang drohe, wenn die Bauern auf ihren kleinen Schollen hocken bleiben, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft die größte Gefahr der Konterrevolution in sich birgt, dass die Sowjetmacht nicht lange auf zwei entgegengesetzten Grundlagen (sozialistische Großindustrie, die die Kapitalisten vernichtet, und kleinbäuerliche Einzelwirtschaft, die sie erzeugt) bestehen kann und dass die Kleinproduktion täglich, stündlich, spontan, massenhaft Kapitalismus und die Bourgeoisie erzeugt. Deshalb war ja auch die Ikone des britischen Konservatismus, Margaret Thatcher, so begeistert von der Perestroika: "Ich bin ein überzeugter Verfechter der Perestroika, einer kühnen und verlockenden Idee. Sie führt die Sowjetunion zu größerer Freiheit, sie ebnet den Weg zu Fortschritt und Wohlstand. Ich erachte, daß die Sowjetunion heute eine historische Mission erfüllt". 25. Was dann politisch real folgte gehört in die skandalöse Chronik der bestialischen Unterdrückung der Völker durch eine sich mafiaähnlich herausbildenden Konterrevolution der Nomenklatura, Glücksritter und Wodkahändler, die Millionen zur Seite legten, während Millionen verarmten. Die Würfel waren gefallen, zu spät merkte Gorbatschow, dass es Ganoven unter den Kooperativmitgliedern gab. „Anstatt, wie erhofft, wenige Jahre nach der 'Wende' auch Urlaubsreisen in die Karibik oder an die Riviera antreten zu können, entfiel für die Mehrheit der Menschen bald wegen Geldmangels sogar die frühere Möglichkeit zum Urlaub auf der Krim, am Balaton oder der bulgarischen Schwarzmeerküste. Wichtigstes Reiseziel wurde der Kolchos, wo Großvater oder Großmutter noch lebten oder man wenigstens jemand kannte, bei dem man die dringendsten Lebensmittel eintauschen konnte“. 26. So Hans Kalt in seinem Buch über das Scheitern des sowjetischen Modells, und Hans Kalt fährt fort: „Es hat in der Wirtschaftsgeschichte noch keine Enteignungsaktion gegen so Viele, von solchem Umfang und so eindeutig zugunsten einer offenkundig kriminellen Minderheit gegeben“. 27. Das Dekadente potenzierte sich, nachdem es seine sozialistische Hülle fortgeschleudert hatte, in hektischer Eile. Die Nomenklatura hatte sich durch die Perestroika hindurch machtpolitisch gehalten. Wenn ein politisches System auseinanderfällt, haben diejenigen bessere Karten, für die das Parteibuch nur ein Karrierebuch war, die sich im alten System zurechtfanden, in dem man Seilschaften geknüpft hatte, als diejenigen, die erst durch den Zerfall politisiert wurden. Diese von der Perestroika gezogenen Frischlinge scheiterten durch die Bank. Stalin, der sich immer bescheiden als „Schüler Lenins“ bezeichnet hatte, bezog als politisch Tätiger nur das magere Gehalt eines Funktionärs der KP, sein ganzer Lebenswandel entsprach den Idealen der Revolution, wie der Volksfreund Marat starb auch er arm. Putin hat 2010 insgesamt 98. 700 Euro verdient, der Ministerpräsident besitzt ein Stück Land, zwei Wohnungen, zwei Garagen, zwei Autos, einen Jeep und einen Wohnwagen …, so die Besitztümerliste der russichen Führung vom März 2011. Nur diese verschwindend kleine asoziale Schicht von Oligarchen trägt den Friedensnobelpreisträger Gorbatschow in Russland in ihrem Herzen und in Deutschland der von der Springerpresse in die Irre geleitete Einheitsspießer, der am Monatsende den Euro abzählen muss. Ähnliches wiederholte sich in der DDR, nur das in ihrem Zerfall die SED-Nomenklatura von der Bereicherungsorgie weitgehend ausgeschlossen war – es waren die Wessies, die zulangten. Putin bezeichnete den Zerfall der Sowjetunion mit ihren ethnischen Explosionen als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Was den Osmanen und Habsburgern als Folge des ersten Weltkrieges an dessen Ende 1918 ereilte, das widerfuhr den Russen erst um 1990 herum. Man vergleiche Gorbatschow mit Lenin. Mit Ehrfurcht verneigen wir uns vor Lenin, der das Schiff Russlands durch die Wirren der Zeit so steuerte, dass das ganze Landmassiv erhalten blieb. Und nun Gorbatschow!? Putin versucht heute, den Zustand vor der geopolitischen Katastrophe wieder herzustellen. Niemand könne laut Putin mit Steinen auf die werfen, die den Sieg über die Wehrmacht ermöglicht haben, er nimmt Stalin davon nicht aus. Man kann von bürgerlichen Historikern und Politikwissenschaftlern nicht erwarten, dass sie sich einmal die Frage wenigstens vorlegen, ob nicht die revisionistische Entartung der KPdSU mit ihrem Tiefpunkt der Gorbatschow' schen Perestroika mehr Leid über die Völker gebracht habe als die Hitler' sche Wehrmacht? In seinem 'Gesellschaftsvertrag' gibt Rousseau als Kennzeichen einer guten Regierung eine wachsende Geburtenrate an, unter einer guten Regierung lebt man und lässt leben. 1992 überstiegen die Todesfälle in Russland die Geburten um zwölf Prozent, was selbst im deutschen Faschismus mit seinen Konzentrationslagern vor dem Krieg nicht der Fall war. Vielleicht muss man in die Annalen der Weltgeschichte erst das Jahr 1992 als das Todesjahr der Oktoberrevolution eintragen? In der Volksrepublik China kam es dagegen zu einer wahren Bevölkerungsexplosion. Zwischen der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao 1949 und seinem Tod 1976 stieg die Zahl der Bevölkerung von 540 Millionen auf 950 Millionen an. Diese Zahlen zeigen an, wie sehr die chinesischen Völker unter den Kriegen und Bürgerkriegen und unter der japanischen Okkupation gelitten haben und wie wohltuend für sie Mao, Frieden und soziale Befreiung waren.