Destiny´s Choice: Finding me - Alina Jipp - E-Book
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Destiny´s Choice: Finding me E-Book

Alina Jipp

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Beschreibung

Destiny Arizona Ein Mädchen aus dem Trailerpark. Ihren Vater kennt sie nicht, ihre Mutter ist krank und sie muss sich um die kleinen Geschwister kümmern. Dean Ein Student aus gutem Hause, der mehr Mist baut, als zu studieren. Bis sein Vater die Notbremse zieht. Zwei junge Menschen, die verschiedener nicht sein können. Trotzdem führt das Schicksal sie zusammen und Deans Vater sie gemeinsam von Miami nach Boston. Kann das gutgehen? Bleibt es bei einer WG, oder entwickeln sich Gefühle, die von keinem der Beteiligten erwünscht oder erwartet werden? Teil 1 der Dilogie

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Alina Jipp

 

Destiny’s Choice – Finding me

 

Impressum

© 2019, Alina Jipp

https://www.facebook.com/AlinaJippAutorin/

Alina Jipp

Am Georg-Stollen 30

37539 Bad Grund

 

Cover

Art for your book Sabrina Dahlenburg

 

Lektorat, Korrektorat & Buchlayout

Lektorat Buchstabenpuzzle B. Karwatt

www.buchstabenpuzzle.de

 

Erstlektorat / Erstkorrektorat

Andreas März / Kristina Mangold

 

Bildmaterial Buchlayout

www.pixabay.com

 

Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

2. Auflage

 

Imprint: Independently published.

ISBN-13: 978-1-0923-1563-0

Dean Springbreak

Springbreak bedeutete feiern ohne Ende und genau das wollte ich tun. Auch wenn die Art, auf die meine Kommilitonen das machten, nicht unbedingt meinen Vorstellungen entsprach. Oder zumindest das, was sich meine Kommilitonen darunter vorstellten. Bierpong war nicht wirklich mein Ding, aber die Musik war ganz in Ordnung, und die Stimmung spitze. Dennoch wollte ich mehr. Ich hatte meine eigene Art, um die Party zu verbessern. Zwei heiße Weiber - Zwillinge noch dazu - und eine Flasche Schampus. Was brauchte es mehr, um den perfekten Abend zu erleben? Na ja, das war vielleicht etwas übertrieben, aber gut war er auf jeden Fall, und er hatte obendrein noch Möglichkeiten, sich zu steigern. Daisy - oder war es Tiffany? - eigentlich egal, eine kicherte jedenfalls und setzte die Flasche gleich an den Mund. Dabei legte sie ihren Kopf extra nach hinten, um besser schlucken zu können. Im Grunde konnte ich dieses alberne Gehabe nicht ausstehen, doch heute hatte ich bereits so viel getrunken, dass mir sogar das sympathisch war. Eventuell gefielen mir auch einfach die Blicke der anderen, denen sehr wohl klar war, dass sie gegen mich keine Chance hatten. Selbst meine Kumpels wussten das, nahmen es aber mit Humor. Der Name Kennedy und das Geld meiner Familie zogen die Weiber an wie die Motten das Licht.

Springbreak - das Ende des Wintersemesters, und ich hatte es noch einmal geschafft, nicht von der Uni zu fliegen. Zum Teil lag das wahrscheinlich ebenfalls an meinem Namen. Obwohl ich nicht mit den Kennedys verwandt war, oder zumindest nur um zwanzig Ecken, so öffnete dieser Name in der Tat viele Türen. »Nomen est omen«, wie man so schön sagt. Die Kohle meines Vaters störte dabei natürlich auch nicht. Immerhin spendete er der Universität jedes Jahr beträchtliche Summen. Die Profs hatten jedenfalls beide Augen zugedrückt und mich trotz diverser Fehlzeiten nicht überall durchfallen lassen. Das musste ich einfach feiern, bis die Schwarte krachte. Was sollte ich auch sonst tun? Zu Hause hocken und mich langweilen? Meine Eltern hielten sich nicht in der Stadt auf - wann waren sie auch mal hier? Ich hatte also sturmfrei, und vielleicht konnte ich die Zwillinge zum Nacktbaden in unserem Pool überreden. Das wäre noch besser als diese Party hier im Haus von irgendwem.

Allein bei dem Gedanken an die beiden neunzehnjährigen Cheerleader ohne Klamotten, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich konnte fast jede haben. Also warum zögern, wenn die Auswahl so gut war? Zudem waren Zwillinge etwas Besonderes, sozusagen das Sahnehäubchen, ein solches Vergnügen hatte ich bisher noch nicht gehabt. Das wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen.

»Kommt, Ladys, wir machen eine Spritztour mit meinem Porsche und fahren zu mir. Die Party ist doch ziemlich lahm.« Das stimmte so zwar nicht, aber Sex war besser als saufen, und auf Zuschauer stand ich nicht so. Jemand könnte Bilder machen oder mich filmen, dann wäre es garantiert aus mit der Großzügigkeit meiner Eltern. Sie machten viel mit, duldeten auch, dass ich im vierten Studienjahr noch immer kein Hauptfach gewählt hatte, nur wenn es um ihren Ruf ging, da hörte der Spaß auf. Der Schein war schon immer wichtiger gewesen als alles andere. Was man hinter verschlossenen Türen tat, war dagegen völlig egal. Hauptsache, die Öffentlichkeit bekam nichts davon mit. Mein Vater vögelte seine Sekretärin - bedeutungslos. Meine Mutter trank bereits morgens um sieben Uhr Wodka - ging keinen etwas an. Wichtig war nur, dass sie auf Veranstaltungen nüchtern war, sich Hand in Hand mit ihrem - sie liebenden - Ehemann zeigte und lächelte, lächelte und noch einmal lächelte. Damit am nächsten Tag in allen Zeitungen etwas Positives über das Vorzeigepaar Theodor und Valeria Kennedy stand und Kennedy Enterprises in der Folge noch lukrativere Geschäfte abschloss. Später sollte ich genauso sein und in Dads Fußstapfen treten. Glücklicherweise zwang er mich nicht dazu, das schon jetzt zu tun. Seiner Meinung nach durfte ich mir ruhig die Hörner zuerst richtig abstoßen, solange es niemand erfuhr. Irgendwann würde ich dann sicher so weit sein, um in die Firma einzusteigen. Viel Sinn sah ich darin allerdings nicht. Ich konnte doch einen Geschäftsführer einstellen und einfach das Geld kassieren, aber das musste ich Dad ja nicht auf die Nase binden.

Tiffany und Daisy folgten mir aufgeregt zum Parkplatz. Man, war der heute voll besetzt mit Edelkarossen. Hoffentlich hatte keiner meinen Wagen zerkratzt, sonst würde ich ausrasten. Den 911-Turbo hatte ich erst zu Weihnachten bekommen, und der war mein Heiligtum. Zum Glück war alles in Ordnung, wie mir ein Rundumblick zeigte.

»Der hat ja nur zwei Sitze.« Tiffany - oder war es Daisy? Ich sollte die beiden irgendwie markieren - schmollte.

»Ach, das macht doch nichts. Mit eurer Hammerfigur passt ihr doch locker zu zweit auf den Sitz, und wir haben es ja nicht weit.« Das stimmte zwar nicht so ganz, von diesem Haus bis zum Wohnsitz meiner Familie musste man schon zwanzig Minuten fahren, aber darüber wollte ich jetzt nicht diskutieren. Wenn die Zwillinge erst einmal im Wagen saßen, wäre die Entfernung sicher bald zweitrangig. Morgen früh konnte ich ihnen ja ein Taxi bestellen. Tagsüber gab es ständig Polizeikontrollen. Jetzt, um ein Uhr nachts, war es dunkel genug, um nicht gleich gesehen zu werden, zumal die Cops während des Springbreaks sowieso oft beide Augen zudrückten. Angehalten zu werden wäre so oder so eine Katastrophe. Mein Alkoholpegel war viel zu hoch und die Mädchen erst neunzehn, also zu jung, um Alkohol überhaupt konsumieren zu dürfen. Aber das interessierte mich heute nicht, ich war ein Sonntagskind, und auch hier würde mir nichts passieren. Nach drei Minuten Diskussion zwischen den Zwillingen stiegen sie schließlich ein.

»Na geht doch«, murmelte ich, schwang meinen Arsch auf den Fahrersitz und ließ das Verdeck herunter. Natürlich war mein 911er ein Cabrio, immerhin lebten wir im Sonnenstaat Florida, und obwohl es erst März war, sanken die Temperaturen in dieser Nacht kaum unter zwanzig Grad. Ich drehte die Musik laut auf und fuhr los. Anfangs für meinen Geschmack viel zu langsam, denn sowohl der Parkplatz als auch die Straße waren völlig zugeparkt. Endlich hatte ich die nähere Umgebung der Party verlassen und gab Gas. Der Wagen flog nur so über die Fahrbahn, und die langen, blonden Haare der Zwillinge wehten im Wind. Konnte es etwas Schöneres geben?

Wir hörten Musik, lachten und redeten. So dämlich, wie ich vermutet hatte, waren die beiden gar nicht. Sie studierten in Harvard, während ich es nur in der Stadt zur Uni geschafft hatte. Aber wen interessierte das schon? Ich brauchte keinen Abschluss einer Elite-Uni, denn auch ohne würde mir das Geld nie ausgehen. Ich sah gar nicht ein, mich wie mein Vater abzurackern und dabei meine Familie zu vernachlässigen. Mein Leben gehörte nur mir, und ich wollte nichts anderes, als mich zu amüsieren. Arbeiten war etwas für arme Schlucker und Idioten, die nicht wussten, wie schön das Leben sein konnte. Seit mir bekannt war, dass die Zwillinge nur zu Besuch in der Stadt weilten, gefielen sie mir noch besser. So erwarteten sie wenigstens keine Beziehung mit mir und waren offen, sonst wären sie wohl kaum zu mir in den Wagen gestiegen. Hoffentlich so offen, dass wir später zu dritt das Bett teilen konnten.

Das Lied wechselte zu Highway To Hell, und ich trat automatisch fester aufs Gas. Dass wir uns noch immer innerhalb der Stadt befanden, interessierte mich nicht. In dieser Gegend hatten die Cops Besseres zu tun, als auf Raser zu achten. Hier lebte der Abschaum von Miami. Die Siedlungen, in denen die Sozialfälle hausten, standen dicht an dicht. Nur die zum Stadtrand angrenzenden Trailer-Parks waren noch schlimmer. Dort liefen wahrscheinlich um diese Uhrzeit nur Gauner, Verbrecher, Alkoholiker und Drogensüchtige herum. Mit meinem 911er war es besser, so schnell wie möglich zu verschwinden, ehe sich noch jemand an meinem Baby vergreifen konnte. Gerade dachte ich darüber nach, als ich abgelenkt wurde. Eines der Mädel hatte mit einem Mal eine Zigarette in der Hand.

»Hey, in meinem Wagen wird nicht geraucht!« Nicht auszudenken wenn sie mir ein Loch ins Leder der Sitze brennen würde. Einen winzigen Moment lang - es konnten nicht mehr als zwei Sekunden gewesen sein - war ich nicht bei der Sache, und schon nahm das Unglück seinen Lauf. Es ging alles so schnell, dass ich nur Bruchstücke vor meinen Augen sah.

Ein Wagen mit defekten Rücklichtern tauchte direkt vor mir auf. Mit voller Kraft trat ich auf die Bremse. Der Wagen brach aus. Wir schleuderten direkt auf ein Haus zu, durchbrachen die großen Fensterscheiben und einen Teil der Mauer. Überall war Staub. Steine und Scherben prasselten auf uns herab. Ein schriller Schrei drang an meine Ohren, als eine der Zwillinge aus dem Wagen geschleudert wurde. Dann war alles still, und es wurde dunkel.

 

Destiny Arizona Hoffnung?

Als der Wecker klingelte, stand ich nur widerwillig auf. Heute war ich so müde wie schon ewig nicht mehr. In der Nacht musste sich Virginia vor Husten zweimal übergeben. Dadurch hatte auch ich so gut wie gar nicht geschlafen, da ich unbedingt verhindern wollte, dass unsere Mutter oder die anderen Kinder geweckt wurden. Im Trailer eine fast unmögliche Aufgabe, immerhin waren die Wände kaum dicker als Papier. Aber ich hatte es trotzdem irgendwie geschafft. Außer der Kleinen und mir konnten alle durchschlafen. Sie müsste dringend zum Arzt, aber wie sollten wir das bezahlen? Obwohl wir, dank Obama Care, jetzt wenigstens einen Versicherungsschutz hatten, so übernahm diese Versicherung doch längst nicht alle Kosten. Moms letzte Behandlung hatte jeden Cent, den wir vorher vom Mund absparen mussten, verschlungen, sodass wir uns im Moment einfach keine weitere Arztrechnung leisten konnten.

»Gott wird schon alles richten, Ari. Mach dir keine Sorgen.« Moms Gottvertrauen hätte ich gern. Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich sogar lachen müssen. Ich glaubte schon lange nicht mehr an Gott oder Gerechtigkeit oder sonst an irgendjemanden außer mich selbst. Wenn ich Virginia zu einem Arzt bringen wollte, musste ich versuchen, mehr zu arbeiten, um das Geld zusammenzubekommen. So einfach war das. Natürlich gab es eine Praxis, in der Leute ohne richtige Krankenversicherung in Notfällen umsonst behandelt wurden. Aber die definierten Notfall anders als ich. Ansonsten konnte man sich auf dieser Welt nur darauf verlassen, dass man im Stich gelassen wurde. Meinen Erzeuger kannte ich nicht, die Väter von Georgia, Savannah, Virginia, Dakota und Maine kannten wir zwar, aber sie kümmerten sich trotzdem nicht um ihre Töchter, selbst jetzt nicht, da Mom so krank war. Es interessierte sie einfach nicht. Auf Männer konnte man sich halt noch weniger verlassen als auf Frauen. Das sah man ja auch an meinem Bruder ... Aber vor ihm hatten wir noch mindestens zwei Jahre Ruhe. Denn er saß im Knast, ohne Chance auf Bewährung.

Nachdem ich die Kleinen, außer Virginia, die inzwischen ganz fröhlich vorm Fernseher saß, zum Schulbus gebracht, meiner Mutter und der Kleinen alles für den Tag bereitgestellt hatte, ging auch ich zur Schule. Allerdings konnte ich mich heute nicht wirklich konzentrieren, meine Gedanken schweiften während des Unterrichts immer wieder zur Jobsuche ab. Erst ein Kichern riss mich aus den Gedanken an meine Geldprobleme. Verunsichert sah ich auf und erblickte rundherum nur feixende Klassenkameraden sowie das erwartungsvolle Gesicht meines Mathelehrers. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ja im Mathekurs saß, und wahrscheinlich hatte Mr. Davidson mich gerade etwas gefragt.

»Destiny Arizona Clark. Geh endlich an die Tafel und zeig uns den Rechenweg.« Seufzend stand ich auf und schlich nach vorn. Das konnte noch heiter werden. Ich hatte keine Ahnung, um welche Aufgabe es gerade ging, und weder einer meiner Mitschüler noch Mr. Davidson dachten daran, mir zu helfen. Sie genossen es viel zu sehr, mich zu demütigen. Niemand unterstützte den Freak der Klasse. Die anderen Lehrer nicht und Mr. Davidson – der sadistische Mathelehrer – schon gar nicht, das zeigte ja schon, dass er mich bei meinem vollen Namen rief. Konnte er nicht Ari zu mir sagen? Das klang nicht ganz so furchtbar. Viele Schüler hatten Spitznamen, die er auch benutzte, nur mich musste er immer bei meinem richtigen Namen nennen. Er hasste mich regelrecht. Normalerweise war ich ein Ass in Mathe und hatte ihn schon mehr als einmal auf Fehler aufmerksam gemacht. Aber heute war ich zu abgelenkt gewesen, um überhaupt zu wissen, was er von mir wollte. Alle Mathekünste halfen nicht, wenn man die Aufgabe nicht kannte.

»Na wird es bald, Miss Clark? Die Rechnung bitte.« Er grinste mich so hämisch an, dass ich ihn am liebsten geschlagen hätte. Aber das kam natürlich nicht infrage.

»Tut mir leid, Mr. Davidson. Ich war kurz in Gedanken und habe die Aufgabenstellung verpasst.« Schuldbewusst sah ich nach unten und hoffte, er hatte Erbarmen mit mir. Ich brauchte einfach gute Noten, um mir nicht alle Chancen auf ein Collegestipendium zu verbauen, und wenn ich dafür ab und zu arschkriechen müsste, dann war das halt so. Stolz wäre in dieser Situation völlig unangebracht. Wer nichts hatte, konnte sich das nicht leisten. Doch Mr. Davidson kannte keine Gnade.

»Setzen, sechs.« Mehr sagte er nicht, und die halbe Klasse fing an zu lachen, während ich zurück zu meinem Platz schlich. Wie gern hätte ich diesem Arschloch die Meinung gesagt, aber ich schluckte es - wie so oft - herunter. Jetzt aufzubegehren würde alles nur noch schlimmer machen. Wen interessierten schon die Collegeträume eines Mädchens aus dem Trailerpark? Für die meisten stand sowieso fest, dass aus mir nie etwas werden würde.

Ich gehörte zum Abschaum der Gesellschaft, und so sehr ich meine Mutter liebte, mit den Namen, die sie meinen Geschwistern und mir gegeben hatte, war es nicht leichter, dagegen anzukämpfen. Wer außer ihr benannte seine Kinder denn auch nach Bundesstaaten und Städten, in die sie einmal reisen wollte, es aber doch nie schaffen würde?

Geschmack hatte sie nicht. Weder bei Männern noch bei Namen, aber sonst war sie wirklich eine gute Mutter. Sie riss sich den Arsch für uns Kinder auf, wenn sie gesund und dazu in der Lage war. Nur war sie zurzeit so schwach, dass sie kaum arbeiten konnte. Die letzte Chemo hatte sie richtig ausgeknockt, und außerdem musste jemand die Kinder betreuen, wenn ich in der Schule war. Das »Hope for Kids« - eine karitative Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Familien Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitangebote bekamen – war derzeit geschlossen. Mom war nicht zu stolz, um diese Hilfe anzunehmen. Ein Idiot war mit seiner Luxuskarre in das Haus gerast. Natürlich betrunken. Nun musste das Gebäude erst in Teilen wieder aufgebaut und der Rest renoviert werden, ehe die Kids wieder hinkonnten. Leider fehlte das Geld an allen Ecken und Enden, da der Verein nur von Spendengeldern lebte. Wenn wir Pech hatten, würde es Monate oder gar Jahre dauern, bis es erneut eröffnen konnte. Ich hatte mich selbstredend gleich als Helferin für die Renovierung gemeldet, aber die musste noch warten, zuerst waren die Schäden am Gemäuer dran. Bereits seit Tagen fragte ich mich auch, weshalb sich das so hinzog. Der Unfall war einige Wochen her und der Typ doch ganz bestimmt versichert, warum zahlte seine Versicherung dann nicht einfach alles? Wozu bezahlte man die sonst? Doch wenn ich so etwas sagte, lachten die Erwachsen mich nur aus. Dabei war ich selbst eigentlich schon erwachsen. Immerhin war ich achtzehn. Und nur noch nicht im Abschlussjahr der Highschool, weil ich ein Jahr pausiert hatte, um mich um meine Mutter und die Kleinen zu kümmern, als es ihr richtig schlecht ging.

Die Vertrauenslehrerin hatte mir deswegen ins Gewissen geredet. Ihrer Meinung nach machte sich die Pause nicht gut im Zeugnis und würde mir bei dem Versuch, ein Stipendium zu bekommen, Probleme bereiten. Aber was hätte ich tun sollen? Sie waren meine Familie und brauchten mich, also gab es gar keine andere Lösung. Sollte ich meine - an Leukämie erkrankte - Mutter einfach im Stich lassen? Oder meine Geschwister? Den leisen Gedanken, dass ich auch gar nicht weggehen konnte zum Studieren, verdrängte ich immer wieder schnell, wenn er kam. Ein Jahr blieb mir noch bis zum Highschoolabschluss. Bis dahin hatte sich bestimmt ein Stammzellenspender gefunden und Mom wurde endlich wieder gesund. Dann konnte ich ganz ohne schlechtes Gewissen an eine gute Uni gehen und Medizin studieren. Mein Traum, Ärztin zu werden und Familien wie uns zu helfen, begleitete mich bereits seit Jahren. Viele hielten die Menschen im Trailerpark für Abschaum und sicherlich stimmte das auch teilweise. Ein paar Leute, die hier lebten, hatten ihre Situation selbst verschuldet, aber bei vielen war es einfach Pech. Das Leben in den USA war hart und der Traum vom Tellerwäscher zum Millionär erfüllte sich nur selten. Eher landeten Menschen aus der Mittelschicht wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit hier und mussten plötzlich in einem Wohnwagen hausen. Bei uns war es ja auch so. Bis Mom krank wurde, hatten wir noch in einer Fünfzimmerwohnung mit einem Minigärtchen gelebt. Derrik, der Vater von Maine, Virginia und Dakota, hatte bei uns gelebt und seinen Anteil zum Unterhalt der Familie geleistet. Er hatte einen guten Job, Mom war halbtags arbeiten gegangen. Bis sich mit der Diagnose Leukämie von einem Tag auf den anderen alles geändert hatte. Derrik hatte angefangen zu saufen und seinen Job verloren, Mom war immer öfter zu schwach gewesen, um ihren Job ausführen zu können ... Dadurch waren wir hier gelandet und gezwungen gewesen, das Beste daraus zu machen. Wenn ich eins von meiner Mutter gelernt hatte, dann nie aufzugeben. Deshalb brachte ich auch den Rest des Schultages bestmöglich herum, ignorierte die dämlichen Sprüche meiner Klassenkameraden und beeilte mich, nach Schulschluss nach Hause zu laufen. Unterwegs kaufte ich noch schnell ein. Viel Geld hatte ich zwar nicht, aber für Nudeln mit Tomatensoße reichte es gerade so. Mr. Prayer, der Besitzer des Gemüseladens, in dem ich manchmal aushalf, winkte mich zu sich heran.

»Guten Tag, Mr. Prayer, kann ich Ihnen helfen?« Ich drückte heimlich die Daumen. Nicht nur, dass er gut bezahlte, er gab mir auch noch manchmal Obst und Gemüse extra mit. Vitamine waren so wichtig für Mom und auch für die Kinder.

»Hast du am Samstag Zeit? Ich muss zum Großmarkt, und meine Frau schafft es nicht allein im Laden.« Natürlich hatte ich da Zeit, begeistert sagte ich zu. Ganze acht Stunden Arbeit warteten auf mich, für die er mir achtzig Dollar versprach. Wer - außer ihm - zahlte einem Schulmädchen schon zehn Dollar pro Stunde? Die meisten versuchten sogar, unter dem Mindestlohn zu bleiben, schließlich gab es genug Menschen, die dringend einen Job suchten. Die Arbeitgeber waren nicht auf ein junges Mädchen wie mich angewiesen.

Ich verabschiedete mich und lief schnell weiter Richtung Trailerpark. Ich beeilte mich, damit die Kleinen Mom nicht zu sehr belasteten. Etwa hundert Meter vor dem Gebäude von ›Hope vor Kids‹ blieb ich staunend stehen. Hier tat sich etwas. Mehrere Baumaschinen standen bereit, und es sah so aus, als wollten sie das Haus abreißen. Das durfte doch nicht wahr sein. Eine ganze Traube von Menschen hatte sich auf der Straße versammelt, und ein Mann mit Bauhelm, der vor dem Eingang auf einer Art provisorischer Bühne stand, erklärte irgendetwas. Ich musste unbedingt näher heran, um zu erfahren, was hier los war. Sie konnten das ›Hope‹, wie viele es nur nannten, doch nicht einfach abreißen. Für viele Kinder im Viertel würde das den endgültigen Absturz bedeuten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, dass die Kleinen wie Utah - mein Bruder - enden könnten. Er hatte sich mit den falschen Leuten eingelassen und krumme Dinger gedreht. Nun saß er deswegen im Knast und war dort auch noch einer Gang beigetreten. Seine Zukunft sah ich klar vor mir, und sie war alles andere als das, was ich für meine anderen Geschwister erhoffte.

So schnell es ging, drängelte ich mich nach vorne. Hoffentlich bekam ich das Wichtigste noch mit. Sonst musste ich mich auf den Klatsch der Leute verlassen, und ich wusste genau, dass da vieles verfälscht wurde. Der eine ließ etwas weg, der nächste übertrieb ein wenig und am Ende wurde etwas völlig anderes erzählt als die ursprüngliche Geschichte.

»... Der Neubau wird etwa vier Wochen dauern. Also kann ›Hope for Kids‹ in spätestens sechs Wochen - besser als jemals zuvor - neu eröffnet werden. Ich hoffe, damit die Schuld meines Sohnes ein bisschen wiedergutmachen zu können. Um seine Reue zu zeigen, wird er außerdem ein Jahr lang in den Semesterferien und an den Wochenenden hier mitarbeiten. Das ist viel sinnvoller als ihn ins Gefängnis zu schicken.« Die Menschen um mich herum fingen zu klatschen an, und der Mann, der gesprochen hatte, schob einen Jüngeren - wahrscheinlich seinen Sohn - nach vorne. Ich stand inzwischen fast vor ihnen und sah genau, wie der Sprecher dem anderen etwas zuflüsterte. Dieser nickte und lächelte gequält. Irgendwie sah er aus, als würde er sich ganz weit weg wünschen. Doch ich hatte kein Mitleid mit ihm. Was war ein Jahr hier aushelfen gegen den Schaden, den er angerichtet hatte? Ich half oft freiwillig im ›Hope‹ mit, einfach weil es eine gute Sache war.

Dean Veränderungen

Mein Vater stand neben mir und musste sich - wie immer - aufspielen. Wenn er so weitermachte, würden mich die Leute noch für meinen Fehler feiern. Schließlich versprach er ihnen gerade nicht nur einen Neubau dieser Baracke, sondern ein größeres, moderneres Gebäude. Beinahe wäre mir ein Lachen entwichen, unterdrückte es aber schnell, denn das wäre jetzt wohl absolut unangebracht. Dad hatte mir extra eingetrichtert, zerknirscht auszusehen, um allen zu zeigen, wie sehr ich den Unfall bedauerte. Dabei beobachtete ich unauffällig die Menschen vor der improvisierten Bühne, die nur aus ein paar notdürftig zusammengebauten Brettern bestand. Hoffentlich brach das Ding nicht noch unter uns zusammen. Auf keinen Fall wollte ich schon wieder ins Krankenhaus. Da hatte ich in den letzten Wochen für meinen Geschmack bereits viel zu viel Zeit verbracht, wenn auch nur als Besucher. Eine von Dads Anordnungen, um mein Bedauern zu zeigen. Immerhin hatte Tiffany, die bei dem Zusammenprall aus dem Wagen geschleudert worden war, fast vier Wochen dort gelegen, und er hatte mich gezwungen, sie täglich aufzusuchen. Egal wie unwohl wir beide uns in der Besuchszeit gefühlt hatten.

Noch nie hatte ich solche Probleme mit meinem Vater gehabt wie nach diesem dämlichen Unfall. Er hatte mich sogar enterben wollen, und wenn ich nicht absolut nach seiner Pfeife tanzte, würde er es wirklich tun. Vorbei war es mit dem Gammeln an der Uni. Plötzlich erwartete er Leistung von mir. Außerdem hatte er mir angedroht, dass ich zukünftig nicht mehr herumhängen konnte, denn meine Freizeit wollte er mir streichen. Er hatte da auch etwas mit dem Richter, der meinen Prozess leitete, ausgehandelt. Was, wusste ich bisher nicht, aber ich fürchtete, es noch früh genug zu erfahren. Nächste Woche Freitag musste ich vor Gericht erscheinen, und auch wenn ich nicht glaubte, ins Gefängnis zu müssen - das würde David Kennedy schon zu verhindern wissen -, würde ich ganz ohne Strafe nicht davonkommen. Die Frage war nur, wie diese aussah.

Ein Mädchen drängelte sich durch die Menschen nach vorn und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Keine Ahnung, wie sie das machte, sie war klein - höchstens einen Meter fünfundsechzig - fast knabenhaft schlank, hatte langweilig strohfarbenes Haar, und ihrer Kleidung sah man an, dass sie billig war. Dazu war sie nicht einmal geschminkt, trotzdem war da irgendetwas an ihr, das mich zweimal hinsehen ließ. Sie schlängelte sich immer weiter, bis sie direkt vor uns stand, das schaffte sie, ohne jemanden anzustoßen oder dass sich irgendeiner daran störte. Was war nur an diesem Mädchen?

Ich war so auf sie konzentriert, dass ich den Worten meines Vaters kaum noch folgte. Zumindest bis er etwas sagte, was mir den Atem verschlug. Hatte er gerade wirklich angekündigt, dass ich jedes Wochenende und in allen Semesterferien für den Abschaum der Gesellschaft kostenlos arbeiten sollte? Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Ich war schon kurz davor, lautstark zu protestieren, aber ein Blick von meinem Vater ließ mich stumm bleiben. In seinen Augen las ich, wie sauer er auf mich war, und wenn ich nicht genau tat, was er von mir forderte, würde ich es bereuen. Vielleicht stimmte ich ihn milde, indem ich meinen Mund hielt. Um wenigstens eine kleine Chance, auf einen neuen Wagen zu bewahren. Mein geliebter Porsche war ja hinüber, und im Moment weigerte Dad sich standhaft, mir einen neuen zu kaufen. Allerdings brauchte ich ein Auto, um ständig hier herauszufahren. Wenn ich mich dann nur blöd genug anstellte, würden die wahrscheinlich freiwillig auf mich verzichten.

»... Wir hoffen, den Schaden damit wettmachen zu können. Mein Sohn ist jung, und er hat eine Riesendummheit begangen, aber wir Kennedys laufen nicht weg, sondern stehen zu unseren Fehlern und sorgen für Wiedergutmachung. Nicht wahr, Dean?« Sein Blick bedeutete mir, nun ja, nichts Falsches zu sagen. Warum erwartete er überhaupt von mir, zu sprechen? Er hatte doch schon alles verkündet. Dennoch ließ er mir keine Wahl. Also trat ich nach vorn ans Mikrofon.

»Ich möchte mich noch einmal bei jedem Einzelnen von Ihnen entschuldigen. Aber ich habe daraus gelernt und werde nie wieder unter Alkoholeinfluss Auto fahren. Hoffentlich kann ich den Schaden mit beheben, indem ich hier helfe.« Möglichst unauffällig versuchte ich, die Gesichtsausdrücke der Menschen zu deuten. Einige wirkten wirklich erfreut über meine Worte. Aber das Mädchen in der ersten Reihe schnaufte regelrecht, zumindest sie schien mir meine Reue nicht abzukaufen. Aber was interessierte mich ihre Meinung? Wahrscheinlich würde ich sie sowieso nie wiedersehen. Den Blick weiter gesenkt trat ich zurück und hob ihn auch nicht wieder, während mein Vater ein paar abschließende Sätze sprach. Kaum war das erledigt, schob er mich schon von der improvisierten Bühne und bedeutete mir, James - seinem Fahrer - zu folgen. Ohne ein Wort mit mir zu wechseln, stiegen wir ein, und James fuhr vorsichtig an. Die Menge hatte sich noch nicht wieder völlig verteilt, und er musste aufpassen, niemanden anzufahren. Dad seufzte.

»Ich könnte jetzt einen Drink gebrauchen, aber hierher konnten wir ja nicht mit der Limousine fahren.« Im Gegenteil, er hatte diesmal allen Ernstes den Wagen der Köchin genommen - einen Kombi. Als würde ein Kennedy so ein Gefährt im Alltag auch nur eines Blickes würdigen. »Du kannst dir nicht vorstellen, was mich das ganze Theater kosten wird, und alles nur, damit du nicht vorbestraft wirst. Weißt du überhaupt, wie viele Gefallen ich einfordern musste, um das hinzubekommen? Wehe, du nutzt die Chance nicht! Wenn doch, lasse ich dich knallhart in den Knast wandern und enterbe dich.« Diese Drohung musste ja kommen, und ich musste wirklich an mich halten, um nicht genervt die Augen zu verdrehen. Wenn ihm nichts mehr einfiel, kam er mit dem Erbe. Aber gut. Dieses Mal hatte ich wahrhaftig Mist gebaut.

»Ich werde mein Bestes geben, Dad«, rang ich mir ab. Das war zwar nicht das, was ich sagen wollte, aber im Moment wagte ich es nicht, ihm zu widersprechen. Wie lange würde ich wohl den braven Sohn spielen müssen, bis er mir vergab? Sollte ich etwa tatsächlich hier für diesen Abschaum unserer Gesellschaft schuften? Immerhin war ich ein Kennedy! Hätte ich eigene Kinder, würden sich Angestellte um diese kümmern, und nun sollte ICH auf fremde Bälger aufpassen? Warum ließ man die nicht einfach auf der Straße, wo sie hingehörten? Eine Chance gab es für die doch sowieso nicht.

»Das wirst du, wenn du nämlich auch nur einen Tag fehlst, oder ich erfahre, dass du dich vor der Arbeit drückst, dann sind sämtliche Vergünstigungen gestrichen.« Er blickte mich finster an. »Mal sehen, wie du, ohne dass ich deine Studiengebühr übernehme, deine Wohnung, das Zimmer im Verbindungshaus - wer außer dir braucht überhaupt beides? -, Lebensunterhalt und Auto finanzieren willst, damit du dein Studium fortsetzen kannst.« Nun musste ich wahrhaftig schlucken. Meinte er das tatsächlich so, wie er es sagte? »Und in meiner Firma gibt es dann ebenfalls keinen Platz für dich. Vielleicht merkst du dann, wie das wirkliche Leben ist, und siehst nicht mehr auf die Menschen herab, die es nicht so gut haben wie du. Denk ja nicht, ich hätte deine abfälligen Blicke nicht gesehen ...« Die Ansprache ging den kompletten Rest der Fahrt so weiter. Immer wieder musste er mir vorhalten, was ich in den letzten Jahren alles falsch gemacht hatte. Einundzwanzig Jahre lang war ich ihm mehr oder weniger egal, aber jetzt wollte er mich plötzlich erziehen? Irgendwas war hier doch im Busch. Allerdings, was das sein konnte, ahnte ich nicht. Nach einiger Zeit reichte es mir endgültig, und ich blendete seinen Vortrag, so gut es ging, aus, ohne dass er es bemerkte. Dennoch sagte er dann etwas, das mich wieder aufhorchen ließ.

»… deine Mutter kann absolut keine weitere Aufregung vertragen, sonst trinkt sie zu viel. Sie darf nicht wegen dir in der Entzugsklinik landen.« Einen Moment lang glaubte ich wirklich, er würde sich um sie sorgen, aber diesen Eindruck relativierte er schnell. Außerdem war ich sicher nicht der einzige Grund, aus dem sie trank. Mein Vater mochte seine letzte Affäre, die schwanger bei uns im Haus aufgetaucht war, verdrängt haben. Mom hatte sie jedoch garantiert nicht vergessen. Er hatte ihr viel Geld bezahlt, damit sie abtrieb und den Mund hielt. Aber wer wusste schon, wie viele er zuvor bereits geschwängert hatte, obwohl er es doch eigentlich besser wissen sollte. »Die Familie kann keine weiteren schlechten Schlagzeilen gebrauchen. Wir sind Kennedys, verdammt noch mal.« Das war wieder so typisch, man durfte jeden Mist bauen, solange die Presse keinen Wind davon bekam. Zum Glück kamen wir jetzt am Anwesen meiner Eltern an.

»Das Wochenende wirst du hier verbringen und dich um deine Mutter kümmern, und am Montag fährt James dich zur Universität. Du wohnst im Verbindungshaus, verpasst keine Vorlesung, und Freitagmittag wird der Fahrer dir einen Kleinwagen übergeben, mit dem du zur ›Hope for Kids‹-Baustelle kommst. Dort arbeitest du bis zum Feierabend mit und Samstag und Sonntag stehst du wieder pünktlich zum Arbeitsbeginn auf der Matte und bleibst bis zum Ende. In nächster Zeit gibt es keine Partys für dich.« Ohne eine Antwort abzuwarten oder sich zu verabschieden, stieg er aus. Stattdessen kletterte er in seinen Sportwagen und brauste davon, wahrscheinlich zu einer seiner Geliebten, und ich durfte mich jetzt das ganze Wochenende meiner Mutter annehmen. Was für Aussichten, aber vielleicht konnte ich von ihr wenigstens ein paar Dollar bekommen, solange mein Vater mir nichts gab.

Doch dafür musste ich sie erst einmal finden. Sie war nicht in ihrem Schlafzimmer, wo sie sich sonst meist um diese Uhrzeit aufhielt. Ebenso waren der Salon, ihr Ankleidezimmer und das Familienwohnzimmer leer. Langsam machte ich mir Sorgen. Wo konnte sie nur sein? Natürlich war das Anwesen riesig, aber normalerweise hielt sie sich immer in diesen Räumen auf. Während ich von Zimmer zu Zimmer lief, rief ich immer wieder nach ihr. Komischerweise traf ich auch niemanden vom Personal. Was war hier nur los? Wenn es jemand wusste, dann Fran. Sie war seit über zwanzig Jahren nicht nur die Köchin hier im Haus, sondern leitete den gesamten Haushalt. Als ich ihr Refugium betrat, fand ich auch meine Mutter, sie saß neben Fran am großen Küchentisch. Was war hier nur los? In diesem Raum hatte ich meine Mutter noch nie gesehen. Es war, als wäre durch den Unfall plötzlich die ganze Welt aus den Fugen geraten.

Destiny Arizona Im ›Hope‹

Meine Schwester stand zappelnd neben mir.

»Ari, bringst du uns heute wieder ins ›Hope?‹« Leise seufzend schob ich mein Matheheft zur Seite und sah Virginia an. Jeden Tag stellte sie diese Frage, und jeden Tag erklärte ich ihr, warum es nicht ging.

»Ernsthaft?« Ich hob eine Augenbraue, um ihr zu zeigen, was ich von der Sache hielt.

»Ja, die müssen doch langsam mal aufmachen. Das Haus ist ja schon da. Die wollen uns wohl nur nicht reinlassen.« Zum zweiten Mal seufzte ich. Für eine Achtjährige fühlten sich zwölf Wochen wie eine Ewigkeit an, das musste ich mir erst einmal begreiflich machen. Für mich war diese Zeit kurz, um ein komplettes Gebäude zu errichten. Nach acht Wochen Bauzeit sah das Objekt von außen wirklich bereits fertig aus. Allerdings dauerte der Innenausbau noch, da Kennedy zwar viel versprach, aber nicht genug Arbeiter stellte, um seine Versprechen einzuhalten, deshalb halfen längst einige Freiwillige, um den Termin halten zu können. Nur wenn die Presse kam, waren nicht nur Kennedy und sein Sohn da, sondern auch unzählige Bauarbeiter.

»Die Eröffnung ist erst in vier Wochen geplant, Virginia. Und vorher wird das garantiert nichts, im Moment werden gerade erst die Wände für die Toilettenräume und die Küche gebaut.« Virginia schmollte, und auch Savannah sah mich böse an. Als könnte ich etwas für die vorübergehende Schließung des Zentrums. Dabei war nur dieser Kennedy Junior schuld. Wahrscheinlich bildete er sich ein, er könnte sich mit diesem Namen alles erlauben. Aber eigentlich war das auch so. Eine Geldstrafe hatte der reiche Pinkel für den Unfall unter Alkohol bekommen. Als interessierte ihn das, sein Vater hatte ja genug Kohle. Sein Hilfseinsatz tat ihm vermutlich mehr weh, indessen glaubte ich sowieso noch nicht daran, dass er die Zeit ableisten würde.

Heute war Samstag, vielleicht sollte ich mich selbst für ein paar Stunden als freiwillige Helferin melden, nur um zu sehen, ob der Schnösel auch kam. Mom schlief gerade, aber unter Umständen konnte ich Georgia überreden, auf die Kleinen aufzupassen. Ideal war das zwar nicht, sie war dreizehn und mitten in der Pubertät, aber ich würde es ihr schon schmackhaft machen. Unsere Mutter ruhte sicher auch nicht mehr lange.

»Georgi?« Sofort bekam ich ein Kissen von ihr an den Kopf geworfen. Sie konnte es nicht leiden, wenn ich ihren Namen verniedlichte.

»Vergiss es. Egal, was du möchtest. Ich muss Mathe pauken, wir schreiben am Montag eine Arbeit.« Trotz ihrer altersbedingten Zickerei war sie genauso ehrgeizig wie ich. Auch die Kleinen waren gute Schüler, uns allen war klar, wie wichtig eine Ausbildung war, um dem Trailerpark endgültig den Rücken zukehren zu können. Der Einzige, der es nie verstanden hatte, war Utah, und dafür hatte er die Quittung bekommen.

»Wenn du jetzt auf die Knirpse aufpasst, bis Mom aufwacht, dann frage ich dich heute und morgen Abend ab. Deal? Ich will ins ›Hope‹ und meine Hilfe anbieten.« Georgia nickte ergeben.

Sie lernte im Gegensatz zu mir nicht gern allein und ließ sich lieber abfragen.

Nachdem das geklärt war, machte ich mich auf den Weg ins ›Hope‹. Faktisch hätte ich ja auch lernen müssen, denn ich hatte heute früh schon im Gemüsegeschäft gearbeitet, doch das würde ich morgen nachholen. Länger als bis sechs Uhr konnte ich sowieso nie schlafen, denn irgendwer von den Kleinen weckte mich um die Zeit meistens. Und wenn nicht, wurde ich wach, weil ich mich sorgte, ob alles in Ordnung war. Total bekloppt eigentlich. Manchmal fühlte ich mich, als wäre ich die Mutter. Mom sagte immer, sie könne das nie wiedergutmachen. Aber ich wollte auch gar nicht, dass sie es tat. Sie sollte nur die Hoffnung nicht aufgeben, wieder gesund zu werden. An alles andere wollte ich gar nicht denken. Niemand würde mir die Kleinen überlassen, falls sie es nicht schaffte. Ich war zu jung, hatte keine Ausbildung und nur Aushilfsjobs ...

Zum Glück war ich jetzt am neuen Gebäude des Zentrums angekommen und konnte mich von den negativen Gedanken ablenken, die mich oft überkamen. Am zukünftigen Hintereingang befand sich eine Koordinationsstelle, an die ich mich nun wendete. Dort stand gerade Kim, eine Erzieherin, die sonst die Kinder betreute, und empfing mich lächelnd. Wir kannten uns schon seit Längerem.

»Willst du helfen, Ari? Das ist ja lieb von dir. Geht das denn mit den Kindern?« Natürlich wusste sie von unserer Situation, ab und zu war sie sogar zu uns in den Trailer gekommen, um nach uns zu sehen, als meine Mutter ständig liegen musste.

»Georgi passt auf, und Mom geht es langsam wieder besser. Sobald sie aufwacht, übernimmt sie die Wichte. Essen müssen sie nur aufwärmen, ich habe vorgekocht.«

»Du bist wirklich großartig, Ari. Wenn alle Familien wie eure wären, würde unsere Arbeit noch mehr Spaß machen.« De facto wusste ich genau, was sie meinte. Nicht alle Kinder, die hierher kamen, hatten es so gut wie wir. Oft bekamen sie zu Hause gar nichts zu essen, während die Eltern das Geld lieber versoffen, als es für Lebensmittel auszugeben. Auch Misshandlungen gehörten leider zum Alltag einiger. Viele von ihnen benahmen sich dadurch absolut unmöglich, was auch kein Wunder war, weil ihnen niemand Regeln beibrachte. Solche Kids wurden schnell abgeschoben, da sie den Menschen zu anstrengend waren oder Sachen zerstörten. Dabei konnten sie im Grunde gar nichts dafür, sie lernten es ja nicht. Im Zentrum gaben sie ihr Bestes, um solche Kinder auf den richtigen Weg zurückzubringen. Manchmal gelang es ihnen sogar, aber manchen Kindern mussten sie dann wirklich Hausverbot erteilen. Von Kim wusste ich, wie schwer ihr das fiel. Aber wenn Drogen, Alkohol, Gewalt oder gar Waffen ins Spiel kamen, gab es keine andere Möglichkeit für sie.

Bei meinem Bruder Utah hatte alle Erziehung nichts genutzt. Er lernte falsche Freunde kennen und war einer dieser Fälle, die auf die schiefe Bahn geraten war. Einige der älteren Kids, die im Zentrum bereits vor ihm Hausverbot erhalten hatten, waren in einer Gang gelandet, und da sein bester Kumpel dabei gewesen war, schloss auch Utah sich ihnen an. Vielleicht konnte man es auf Moms Erkrankung schieben, doch eigentlich war diese keine Entschuldigung für seine Taten. Das sah auch der Richter so und verurteilte ihn zu vier Jahren wegen bewaffneten Raubüberfalls. Nach der Hälfte der Zeit würde er die Chance auf Bewährung erhalten, aber ob er diese nutzen würde? Den Kontakt zu uns hatte er völlig abgebrochen, er weigerte sich sogar, Mom oder mich auf die Besucherliste setzen zu lassen, und wir hatten keine Ahnung, ob er unsere Briefe las. Antwort bekamen wir jedenfalls nicht.

Oh Mann, heute war ich wahrhaftig nur am Grübeln. Ich hoffte auf eine Arbeit, die mich davon ablenken konnte. Sonst würde ich heute Nacht auch wieder kein Auge zubekommen, weil sich das Gedankenkarussell ununterbrochen drehte. Wenn ich mich körperlich richtig auspowerte, brachte ich die Gedanken leichter zum Schweigen. Hoffentlich hatte Kim etwas Entsprechendes für mich zu tun und nicht nur Bürokram.

»Du hast doch schon einmal eine Trockenbauwand aufgestellt?«, fragte Kim und sah mich erwartungsvoll an. Das hatte ich wirklich bereits getan, allerdings nur bei uns im Wohnwagen, da hatten zwei Rigipsplatten und eine Falttür ausgereicht, um meiner Mutter ein eigenes Reich zu zaubern. Hundertprozentig gerade sah sie gewiss nicht aus, aber für unsere Bedürfnisse reichte es aus. Hier im Zentrum waren die Wände sicher größer und die Ansprüche höher. Kim lachte und führte mich weiter.

»Na dein Gesichtsausdruck sagt alles, aber Mr. Miller kann es, da wird er Dean und dich ohne Frage einweisen.« Zwar kannte ich weder diesen Dean noch Mr. Miller, dennoch traute ich es mir unter fachkundiger Anweisung zu.

»Irgendwie wird das schon funktionieren.« Was sollte ich auch sonst sagen? Für den Innenausbau waren nun einmal fast nur Laien da. Mr. Kennedy dachte wohl, ein hallenartiges Gebäude würde völlig ausreichen. Dabei kam es schlichtweg auf die Raumaufteilung an. Die Kinder brauchten Platz zum Toben, aber auch Räume, in denen sie in Ruhe Hausaufgaben machen oder sich einfach mal zurückziehen konnten. Hier in der Gegend hatte kaum ein Kind ein eigenes Zimmer, gerade deshalb war ein Ort, an dem man mal allein sein durfte, so wichtig.

»Mr. Miller, ich habe hier noch eine Helferin für Sie. Mit Trockenbau hat sie zwar ebenfalls kaum Erfahrung, dafür ist sie unglaublich geschickt mit den Händen und kann fast alles.« Nicht nur der Angesprochene blickte mich erwartungsvoll an, sondern auch dieser Kennedytrottel. Half er also wirklich? Wow, das hätte ich nicht gedacht.

»Guten Tag, Mr. Miller, Mr. Kennedy, ich bin Ari«, stellte ich mich selbst vor.

»Freut mich«, gab Mr. Miller zurück, während Mr. Eingebildet mich nur abfällig musterte.

»Was kann ich tun?« Während Mr. Miller uns erst einmal erklärte, wo wir das Material fanden, welches er als Nächstes brauchte, starrte Kennedy mich weiter an, und dann rümpfte er sogar seine Nase. Was für ein arroganter Arsch, aber dem würde ich schon zeigen, was ein Mädchen aus dem Trailerpark alles konnte, garantiert mehr als er.

Dean Ein Scheißtag

Ari? Was sollte das überhaupt für ein Name sein? Wahrscheinlich war es eine Abkürzung oder so, bloß kam ich nicht darauf, wofür. Fragen wollte ich keinesfalls, die Kleine glaubte sonst womöglich, ich könnte Interesse an ihr haben. So gern ich flirtete und so oft ich meine Begleitung wechselte, so dachte ich doch nicht daran, meine Ansprüche so weit herunterzuschrauben, damit dieses Mädchen aus der Gosse sie erfüllte. Allein schon, wie sie herumlief. Wo war ihr Sinn für Mode? Eine verwaschene Jeans, ein dunkelgraues, viel zu großes T-Shirt und billige Turnschuhe, außerdem war sie absolut ungeschminkt. Welche Frau lief heutzutage noch so herum? Wenn sie mehr aus sich machen würde, hätte sie möglicherweise Chancen, hier herauszukommen, aber so? Nicht einmal einen zweiten Blick war sie wert.

»Hey, Kennedy!« Dieses Biest stand plötzlich direkt vor mir und wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht hin und her. Dabei sah sie mich an, als wäre ich geistesgestört, dabei war sie es doch eher, die nicht ganz normal war.

»Was soll das?« Ich war echt angepisst und ließ sie es merken.

»Du hast jetzt fast drei Minuten wie erstarrt hier gestanden und mich nur anglotzt, statt anzupacken. Nun komm schon, reicher Schnösel, ich bin zum Arbeiten hier und nicht zum Rumstehen.« Was bildete dieses Gör sich eigentlich ein? So hatte bisher nie ein Mensch mit mir gesprochen, und ich hatte es wahrhaftig nicht nötig, mir das bieten zu lassen. Allerdings hob sie einen Stapel dieser ekelhaft staubigen Platten an, noch ehe ich ihr das sagen konnte, und wies mich an, die andere Seite zu nehmen. Wenn sie sich einbildete, sie könne mich herumkommandieren, ohne dass ich etwas dagegen sagte, hatte sie sich jedoch geschnitten.

»Du bist hier nicht der Boss, Kleines.« Irgendwie klang meine Stimme bockiger, als ich wollte.

»Wenn du einfach deinen Job hier erledigen würdest, müsste ich dir keine Anweisungen geben. Du kannst dich ja beim Vorarbeiter beschweren, aber auf dem Weg dorthin können wir die Rigipsplatten gleich mitnehmen.« Nur zu gern wollte ich ihr widersprechen - schon aus Prinzip -, blöderweise fiel mir kein plausibler Grund ein. Daher beschloss ich, mit anzufassen, sie dafür allerdings mit Schweigen zu strafen. Weiber konnten es doch nicht leiden, ignoriert zu werden. Nur schien ich es hier mit einer besonderen Sorte Mädchen zu tun zu haben, sie schwieg nämlich ebenfalls, während wir die Gipskartonplatten zu ihrem Bestimmungsort schleppten. Kaum waren wir angekommen, legte sie ihre Seite ab und ging wieder los. Wollte sie etwa sofort weiterschuften?

»Worauf wartest du, Junge? Hopp, hopp, hol die nächsten Platten.« Nun wies mich zudem dieser Mr. Miller zurecht. Hatte hier denn niemand auch nur einen Funken Respekt vor mir? Normalerweise fragte mich jeder nach meiner Meinung, und die Menschen machten das, was ich ihnen sagte. Was mir sehr zusagte. Plötzlich Befehlsempfänger zu sein, gefiel mir dagegen so gar nicht. Wozu gab es eigentlich Personal?

»Willst du jetzt hier Wurzeln schlagen? Ich wusste ja gleich, dass so ein verwöhntes Bürschlein nicht für wirkliche Knochenarbeit geeignet ist. Dein Vater hätte besser noch ein paar Arbeiter bezahlen sollen, als deine Hilfe anzubieten.« Obwohl er damit tatsächlich meine eigenen Gedanken aussprach, ärgerten mich seine Worte und vor allem die abfällige Art, mit der er über mich sprach. Die Leute hier waren völlig respektlos.

»Ich gehe ja schon.« Damit er die Klappe hielt, ging ich lieber dieser Ari hinterher. Doch nach nur wenigen Schritten kam sie mir mit einem anderen jungen Mädchen bereits wieder mit Platten entgegen. Sie ignorierten mich und die beiden legten ihre Ladung auf die andere ab.

»Ich muss jetzt aber drüben weitermachen. Tut mir leid.« Die Unbekannte band sich die blonden Haare neu zusammen und lächelte mich dabei sexy an, währenddessen zog sie mich mit den Augen regelrecht aus. Das steigerte mein Selbstbewusstsein, das durch Aris Verhalten einen kleinen Dämpfer erhalten hatte, zum Glück etwas. Warum arbeitete ich nicht mit ihr gemeinsam statt mit dieser Zicke?

»Danke, Sarah. Vielleicht packt der Schnösel ja beim nächsten Stapel mit an.« Mein Blut fing an zu kochen. So sprach man nicht über Dean Kennedy, aber noch ehe ich etwas sagen konnte, brachte ein Blick von Mr. Miller mich dazu, mich lieber hinter dieser Ari her zu bewegen. Sie war nämlich erneut auf dem Weg, um den nächsten Stoß zu holen. Während Mr. Miller eine der Platten nahm und sie mithilfe einer anderen Frau anbrachte.

Fest entschlossen, dieser Ari begreiflich zu machen, wie man mit mir umzugehen hatte, folgte ich ihr. Zweimal sah ich mich um, ob niemand in der Nähe war. Als ich mir dessen ganz sicher war, schnappte ich mir die Kleine und drängte sie an die Wand. Sie war so klein und zierlich, da war das gar kein Problem. Sie mochte zwar eine große Klappe haben, dabei hatte sie mir körperlich kaum etwas entgegenzusetzen. Sie probierte tatsächlich, mich zu treten, was ich nicht zuließ. Stattdessen hielt ich ihre Beine problemlos mit meinen in Schach und ihre Hände hatte ich mit einer meiner gepackt und platzierte sie über ihren Kopf. Mit der anderen Hand griff ich nach ihrem Kinn und zwang sie so, mir in die Augen zu sehen.

»Du hörst sofort auf, mich zu provozieren. Ansonsten wirst du mich kennenlernen. Ich bin zugegebenermaßen gezwungen, hier zu arbeiten, aber deshalb lasse ich mich trotzdem nicht so von dir behandeln. In Zukunft benimmst du dich, haben wir uns verstanden?« Mein Gesicht näherte sich ihrem, bis sich unsere Nasen fast berührten. Sie versuchte, ihres wegzudrehen, doch ich ließ ihr keine Chance dazu. Ein Kennedy ließ sich so ein Benehmen nicht gefallen. Sie spannte sich immer mehr an, kam aber trotz allem nicht gegen mich an. Warum gab sie nicht endlich nach? Einen kurzen Moment schloss ich die Augen und atmete ihren Duft ein. Irgendwie roch sie richtig gut, nicht nach teurem Parfum, wie ich es von meinen Begleiterinnen gewohnt war, aber trotzdem angenehm nach Vanille. Schnell musste ich an etwas anderes denken, um nicht laut zu stöhnen. Viel zu viel Blut schoss in meine unteren Regionen, und ich rückte einige Millimeter von ihr ab, damit sie meine Erektion nicht bemerkte.

»Ich habe dich etwas gefragt, ARI.« Dabei interessierte mich so was sonst absolut nicht. Aber von ihr wollte ich mehr wissen.

»Ja.« Ich lockerte den Griff etwas, als sie das sagte. Bloß das sollte ich schnell bereuen. Kaum hatte ihr Kopf auch nur einen Hauch Spielraum, schlug sie ihre Stirn mit voller Wucht gegen meine Nase, sodass es richtig darin krachte. Ich sah Sterne und ließ sie vollends los.

»Ja, ich habe verstanden, dass du ein Oberarschloch bist. Nur weil du größer und stärker bist als ich, bildest du dir ein, mich einschüchtern zu können. Aber du hast vergessen, wo ich herkomme.« Sie spuckte mir ins Gesicht, sodass mir augenblicklich schlecht wurde und sich das Problem in meiner Hose von allein erledigte. Wieso tat sie das? So etwas Ekelhaftes hatte ich ihr nun nicht zugetraut. »Wage es ja nie wieder, mich anzurühren, oder du kommst nicht mehr so glimpflich davon. Der Kennedyspross, der ein Mädchen aus dem Trailerpark bedrängt. Was meinst du, wie sich die Presse darauf stürzen würde?« So blöd, wie ich gedacht hatte, war sie gar nicht. Sie hatte sofort meinen Schwachpunkt gefunden, natürlich konnte ich nicht riskieren, dass so eine Story in den Medien landete. Trotzdem musste ich mir deshalb nicht alles von ihr gefallen lassen. Wahrscheinlich genoss sie es, mich vor sich am Boden sitzen zu sehen. Sie überraschte mich jedoch und nutzte die Situation nicht aus, sondern streckte mir sogar die Hand hin, um mir aufzuhelfen.

»Vielleicht solltest du dir überlegen, ob du entweder von hier abzischst und deinen Unfall anders wieder in Ordnung bringst oder ob du deine Einstellung überdenken willst. So machst du dir hier jedenfalls keine Freunde.« Als hätte ich das vor. Ausgerechnet hier, bei diesen Versagern. Auf solche Kumpel verzichtete ich nur zu gern. Dennoch sagte ich ihr das lieber nicht so direkt. Nachher drehte sie mir daraus auch noch einen Strick.

»Ich arbeite meine Strafe hier ab und dann seht ihr mich nie wieder. Freunde habe ich genug, ich suche keine Neuen.«

»Und keiner deiner tollen Kameraden kommt auf die Idee, dir hier zu helfen? Je eher das Zentrum fertig ist, umso schneller kannst du verschwinden. Stattdessen legst du dich hier mit freiwilligen Hilfskräften wie mir an? Sehr logisch, Mister Superreich. Aber nun ran ans Werk, oder benötigst du einen Arzt für deine Nase?« Wahrscheinlich konnte ich den wirklich brauchen, indessen würde ich einen Teufel tun und das einräumen. Dafür ignorierte ich ihre dargebotene Hand weiterhin und rappelte mich allein hoch. Dieses törichte Mädchen schaffte es nicht, mich kleinzubekommen.

»Lass uns weitermachen, Ari. Was ist das eigentlich für ein dämlicher Name? Klingt so nach Schäferhund oder Papagei.« Statt mir zu antworten, lachte sie nur.

»Mein Name kann dir egal sein, Kennedy. Spätestens fünf Minuten, nachdem du heute weg bist, hast du ihn sowieso wieder vergessen.« Ihre Meinung über mich traf mich etwas, auch wenn ich das nicht unter Folter zugeben würde. Ganz so schlimm war ich nun wirklich nicht.

»Aber ich bin nächstes Wochenende wieder hier und vielleicht fällt er mir dann wieder ein.« Doch sie sagte ihn mir trotzdem nicht.

»Ob ich dann ebenfalls hier bin, weiß ich noch nicht. Eventuell finde ich einen bezahlten Job oder muss babysitten. Dann kann ich nicht.« Sie drehte sich um und ging zum Stapel Rigipsplatten. Für sie war das Thema damit wohl erledigt, nur gab ein Kennedy nicht so schnell auf. Solange ich hier sein musste, wollte ich mehr über sie erfahren. Allerdings wies sie den Rest des Tages alle persönlichen Fragen zurück, und als wir die Wand am Abend endlich fertig hatten, verschwand sie innerhalb weniger Sekunden. Was war sie nur für ein seltsames Mädchen? Eigentlich nahm ich mir vor, nicht weiter über sie nachzudenken, aber das war gar nicht so einfach.

Destiny Arizona Immer dieser Kennedy

Die ganze Woche über ging mir Dean Kennedy kaum aus dem Kopf. Dabei war es egal, ob ich in der Schule, auf der Arbeit oder zu Hause war, ständig geisterte dieser verdammte reiche Schnösel durch meine Gedanken, und das nicht unbedingt positiv. Immer wieder schalt ich mich deshalb selbst, aber es half nicht wirklich. Gerade jene Situation, in der er mich an die Wand gedrückt hatte, lief in meinem Hirn in Endlosschleife ab. Wie konnte er es nur wagen? Eigentlich müsste ich ihn einfach mit Ignoranz strafen, das würde ihn am meisten treffen, doch aus irgendeinem Grund wollte es mir nicht gelingen. Innerlich fieberte ich trotz seiner beschissenen Aktion unserer nächsten Begegnung entgegen.

Während ich am Freitag an den Hausaufgaben saß, dachte ich einmal mehr nur an ihn und kam dadurch mit den Aufgaben kaum voran. Dabei war es auch ungewöhnlich ruhig hier. Da es Mom heute ausgesprochen gut ging, machte sie mit den Kleinen ein Picknick im Park. Nur Georgia und ich hielten uns im Augenblick hier auf und lernten. Oder halt nicht, weil Mr. Kennedy mich ablenkte, obwohl er nicht mal in meiner Nähe war.

»Meinst du, es geht jetzt aufwärts, oder ist es wieder nur ein Aufbäumen vor dem nächsten Rückfall?« Georgis besorgte Stimme schaffte das, was ich die ganze Zeit schon versuchte. Dean war zumindest für den Moment vergessen.

»Ich weiß es nicht. Eigentlich müsste sie bald erneut zur Kontrolle, aber wie wollen wir sie dazu bringen? Du weißt, wie sie ist.« Mom weigerte sich, mein Geld für sich zu benutzen. Dabei ging ich doch genau deswegen arbeiten. Sobald die Arbeiten im Zentrum abgeschlossen waren und es wieder eröffnet werden konnte, sollte dort einmal wöchentlich eine kostenlose Sprechstunde stattfinden, die sie in Anspruch nehmen möchte, aber ob das reicht? Sie gehörte zu einem Spezialisten. Was sollte ich bloß tun, wenn sie aufgrund falscher Behandlung sterben würde? Sie war meine Mom, ich brauchte sie. Wir alle brauchten sie.

»Ich habe Angst.« Ich auch, wollte ich rufen, blieb allerdings lieber stumm. Ich durfte ihre Befürchtungen nicht noch schüren, indem ich meine ebenfalls eingestand. Schnell stand ich auf und ging zu Georgi, um sie in den Arm zu nehmen.

»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Mom muss einfach wieder gesund werden.« Meine Stimme klang absolut überzeugend, obwohl ich es gar nicht war, doch sie schien wirklich ein klein wenig Zuversicht zu fassen, und darauf kam es ja an.

»Danke, dass du dich immer um uns kümmerst. Du bist die beste große Schwester, die es gibt, Ari.« Mit diesen Worten wusste ich nun gar nicht umzugehen, deshalb ließ ich sie los und verkündete, noch ins Center zu wollen, um ein bisschen zu helfen. Zu meinem Erstaunen schloss sie sich mir an. Normalerweise drückte sie sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit darum, aber heute war wohl kein normaler Tag. Sonst ging sie am liebsten raus, um unserer engen Welt zu entfliehen. Sie liebte es, stundenlang ohne einen Cent in der Tasche durch das Einkaufszentrum zu schlendern und sich schöne Sachen anzusehen. Manchmal überkam mich Angst, weil sie sich so oft dort aufhielt. Einige Mädchen in ihrem Alter fingen mit Ladendiebstahl an, aber bisher gab es glücklicherweise keinerlei Anzeichen dafür, dass sie etwas einsteckte.

Hoffentlich würde es so bleiben. Hier geriet eine Vielzahl der Kinder auf die schiefe Bahn. Wir hatten bereits Utah verloren, ich wollte nicht noch ein Mitglied meiner Familie im Knast wissen. Wenn man aus dem Trailerpark kam, landete man wegen schlechter Sozialprognose sehr schnell direkt hinter Gittern. Hätte jemand aus unserem Viertel den Unfall verursacht, wäre er sehr viel härter bestraft worden als Dean Kennedy. Mich regte diese Ungerechtigkeit auf, doch was sollte ich dagegen tun? Ich fühlte mich, wie so oft, absolut machtlos. Lange schwankte mein Studienziel zwischen Medizin und Jura. Als Anwältin könnte ich die Menschen hier kostenlos unterstützen, allerdings wurden Ärzte einfach noch um einiges dringender gebraucht.

---ENDE DER LESEPROBE---