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Knarr, ehemals kompetenter Hausmeister, wegen Rückenproblemen in Frührente, stets vom Hexenschuss bedroht, mit allen Wassern gewaschener Kenner von TV-Krimis und Kriminalfilmen, beschließt Privatdetektiv zu werden. Berlin ist sein Revier und Pflaster. Knarr jagd die Mörder. Leichen pflastern seinen Weg. Nichts kann ihn aufhalten, nicht einmal die verdammten Hexenschüsse. Auch Wolland, Hauptkommissar bei der Mordkommission und im Nebenberuf Womanizer, kann es nicht. Er hat keine Wahl, er muss mit dem Amateurdetektiv zusammenarbeiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
MÖRDERJAGD MIT HEXENSCHUSS
Kriminalkomödie
Von
Hartmann Schmige
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Kopierrecht 2022 Hartmann Schmige
Hartmann Schmige
Eisenzahnstr. 63, 10709 Berlin
www.hartmann-schmige.de
ISBN 9783754676066
- veröffentlich 2022 -
Knarr, ehemals kompetenter Hausmeister, wegen Rückenproblemen in Frührente, stets vom Hexenschuss bedroht, mit allen Wassern gewaschener Kenner von TV-Krimis und Kriminalfilmen, beschließt Privatdetektiv zu werden. Berlin ist sein Revier und Pflaster. Knarr jagd die Mörder. Leichen pflastern seinen Weg. Nichts kann ihn aufhalten, nicht einmal die verdammten Hexenschüsse. Auch Wolland, Hauptkommissar bei der Mordkommission und im Nebenberuf Womanizer, kann es nicht. Er hat keine Wahl, er muss mit dem Amateurdetektiv zusammenarbeiten.
Hartmann Schmige hat mittlerweile über neunzig verfilmte Drehbücher geschrieben. Dazu zählen viele Krimis für TV-Movies und Serien, u.a. für Tatort, Ein Fall für Zwei, Wolffs Revier, Doppelter Einsatz, Sperling und Der Staatsanwalt.
Mit „Mörderjagd mit Hexenschuss“ legt er seinen fünften Kriminalroman vor.Er lebt in Berlin und zeitweilig in Finnland, der Heimat seiner Frau. Mehr zum Autor: www.hartmann-schmige.de
„Aaaah, tut das weh!“ Wenn Knarr sich bückt, dann jagt ihm oft ein heftiger Schmerz in den Rücken, genauer gesagt, in die Lendenwirbel. Und wenn es ganz schlimm wird, was zum Glück nicht jeden Tag passiert, dann ist es ein Hexenschuss. Kein Wunder, Knarr ist nicht mehr der Jüngste, er ist früh verrentet, eben wegen dieser verdammten Rückenschmerzen. Also warum bückt sich der Knarr jetzt? Er bückt sich aus beruflichen Gründen, weil er sich zur Rente noch etwas dazu verdienen muss. Die Rente ist sicher, aber nicht die Rentner. Knarr ist Detektiv. Deshalb bückt er sich jetzt und blickt auf das, was vor ihm liegt und das ist weiß Gott kein schöner Anblick. Vor ihm liegt eine männliche Leiche und aus dem Kopf der Leiche war viel Blut ausgetreten. Ziemlich eklig. Kopfwunden sind besonders blutig, das weiß jeder, der Medizin studiert hat und wer nicht Medizin studiert hat, der weiß es aus den vielen Krimis, die wie eine blutige Lava jeden Abend aus den Fernsehapparaten quillt. Millionen Fernsehzuschauer kennen sich aus, denen kann man nichts vormachen. Alles Experten. Auch sie kombinieren messerscharf und wissen oft schon vor den Fernsehkommissaren, wer der Mörder ist. Der Knarr ist so ein Experte. Auch ihm kann man nichts vormachen. Als er wegen der verdammten Rückenschmerzen seinen Job als Hausmeister aufgab und als auch noch seine Frau, die Ilse, ohne Ankündigung an einem Herzinfarkt starb, auch Frauen bekommen Herzinfarkte, fasste er den Entschluss Detektiv zu werden. Manche haben sich darüber gewundert. Und auch die toten Augen der Leiche starren irgendwie verwundert zu Knarr hinauf. Die beiden kennen sich nämlich. Konstantin Sander heißt die Leiche. Knarr sieht mit Entsetzen auf den leblosen Sander und hat ein ziemlich schlechtes Gewissen. Sander hatte ihn angeheuert, um sein Leben zu schützen. Und jetzt liegt er da. Leblos. Blutig. Tot. Und neben ihm liegt eine kleine, schwarze Damenpistole. Knarr ist so überrascht von dem, was er sieht, dass er nicht bemerkt, was sich hinter ihm tut. Aber im nächsten Moment spürt er es, einen heftigen Schmerz, noch heftiger als der Schmerz in den Lendenwirbeln. Ein harter Schlag trifft ihn am Hinterkopf. Blitze durchzucken sein Gehirn und dann stürzt er hin, genau neben die Leiche mit der blutigen Kopfwunde. Und das ist erst der Anfang. Knarr wird es noch mit einer ganzen Reihe von Toten und einem Schwerverletzten zu tun bekommen.
Einige Stunden früher. Wenn man in Berlin vom Kudamm kommend den Rathenauplatz umkreist, sieht man dort die beiden Beton Cadillacs des Künstlers Wolf Vostell stehen, für die einen eine potthässliche Verunstaltung des Platzes, für die anderen eine gelungene Kritik an der umweltfeindlichen Blechlawine. Einer der Wagen, die jetzt am späten Nachmittag um den Platz herumfahren, ist ein alter, blauer VW Käfer 1300, Baujahr Ende der siebziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts. Im Käfer sitzt Knarr. Der Wagen hatte über die Jahre hinweg mehrmals den Besitzer gewechselt, zuletzt waren es immer sogenannte Schrauber, die ein Herz für die alten Modelle aller Marken haben, die noch über Individualität verfügen und nicht dem aerodynamischen Design unterworfen waren. Diese Modelle pflegen sie wie Kleinode und schrauben bei Reparaturen mit Inbrunst daran herum. Knarr ist auch so ein Schrauber. Jede freie Minute nutzt er, um an seinem Käfer herumzuschrauben.
Knarr hält, nachdem er die zum Ortsteil Grunewald führende Koenigsallee entlang gefahren war, in einer Seitenstraße vor einer schmucken Villa an, die um die Jahrhundertwende herum gebaut worden war und deren Wert bei einigen Millionen Euro liegen dürfte. Knarr steigt aus und bleibt vor dem Vorgarten stehen. „Nobel, nobel“, sagt er anerkennend. Am Klingelschild des Gartentors steht der Name „Sander“. Sander, ein älterer Mann in ausgebeulter Cordhose und kariertem Hemd, ist gerade dabei, den Rasen zu mähen, aber nicht mit einem Elektro Rasenmäher, er benutzt einen altmodischen, mechanischen Handrasenmäher mit rotierender Spindel und einer Schiebestange. Der Mäher macht ein klapperndes Geräusch, unterlegt von Sanders Keuchen und Schnaufen. Das Schieben des Mähers wird immer schwieriger und schließlich verweigert er die Mitarbeit und lässt sich nicht mehr fortbewegen. Sander wischt sich den Schweiß von der Stirn und blickt zu Knarr.
„Das ist das Problem“, keucht er, „das Ding ist zu schnell mit Grasschnitt verstopft, was kann man da nur machen? Haben Sie eine Idee?“
Knarr zögert. Das konnte unmöglich das Problem sein, weswegen er den Anruf bekommen hatte. Den Grund wollte Sander nicht am Telefon nennen.
„Heute wird ja alles abgehört“, hatte er gesagt.
„Die Mähermesser sind womöglich stumpf geworden“, sagt Knarr, „die müssten mal nachgeschliffen werden.“
„Danke für den Tipp“, nickt Sander, „das lasse ich morgen in Ordnung bringen oder ich kaufe mir einen modernen Rasenmäher. Sport ist schön und gut, aber dafür bin ich vielleicht doch ein bisschen zu alt.“
Er lässt den Mäher stehen und steuert die Eingangstür der Villa an.
„Moment“, ruft Knarr ihm nach.
Sander dreht sich um.
„Ja?“
„Ich möchte zu Herrn Sander.“
„Das bin ich. Was wollen Sie von mir?“
„Sie haben mich hergebeten, wegen wat jenau“… Knarr macht eine kurze Pause. Er ist Berliner, und echte Berliner berlinern, aber in seinem neuen Job, wo er es auch mit Leuten der gehobenen Gesellschaft zu tun bekommen könnte, war das unpassend, und so bemüht er sich nun um Hochdeutsch. „Was genau, haben Sie nicht gesagt“, setzt er den Satz fort.
„Sie sind der Detektiv Knarr?“, fragt Sander.
„Ja, von morgens bis abends, und wenn es sein muss, auch in der Nacht.“
Sander blickt etwas verwundert zu Knarr. So wie Knarr sich Sander anders vorgestellt hatte, so hatte Sander eine andere Vorstellung von Knarr, das lag aber weniger an Knarrs Cordhose, die genauso alt war wie seine eigene und an der abgetragenen Lederjacke, die Knarr jetzt schon viele Jahre trägt, sondern an den grauen Haaren und den vielen Falten in Knarrs Gesicht.
„Ich habe Sie mir jünger vorgestellt, Herr Knarr, auf dem Foto auf Ihrer Webseite jedenfalls sehen Sie jünger aus. Wann ist das Foto denn gemacht worden?“
Knarr hatte sich die Webseite von einem Neffen anfertigen lassen, er selber hätte das nicht geschafft.
„Das Foto ist vom letzten Jahr“, grinst Knarr, „aber gestern Nacht habe ich verdammt schlecht geschlafen, das ist alles.“
„So, so, ich glaub` kein Wort, aber vielleicht ist das der Preis für jahrelange, harte Auseinandersetzung mit den Schattenseiten des Lebens. Wie lange sind Sie schon Detektiv?“
„Dreißig Jahre“, lügt Knarr. Sander ist nämlich sein erster Auftrag.
„Eigentlich wollte ich den Detektiv herbitten“, fährt Sander fort, „den ich gestern beschäftigt habe, aber der hat eine Blinddarmentzündung bekommen.“
„Glück muss der Mensch haben“, sagt Knarr trocken.
Sander lächelt. „Gut, kommen Sie rein.“
Der Salon, in den Sander Knarr führt, nachdem er sich umgezogen hatte, strahlt Kultur aus. Vor dem großen Fenster steht ein Flügel, auf dessen Brett Notenblätter liegen. Eine ganze Wandseite wird von einem Bücherregal ausgefüllt. Vor der Kaminecke befindet sich eine Sitzgruppe aus Leder im Bauhausstil. An den Wänden hängen Gemälde, teils modern, teils älteren Datums.
Ein großes Fenster gibt den Blick in den Garten frei, wo ein Springbrunnen friedlich vor sich hin plätschert.
„Es geht um folgendes“, sagt Sander, „ich war lange Jahre Geschäftsführer und Teilinhaber eines Verlages, vor einigen Jahren habe ich mich daraus zurückgezogen und heute mache ich mal etwas ganz anderes, ich verkaufe gleich etliche Rohdiamanten.“
Knarr blickt skeptisch.
„Hoffentlich keine Blutdiamanten, die irgendwo in Afrika illegal geschürft werden, auch von Kindern, die da ihre Gesundheit ruinieren.“
Darüber hatte Knarr schon etliche Krimis gesehen. Sander schüttelt den Kopf.
„Nein, natürlich nicht, alles seriös. Ich hab‘ sie vor vielen Jahren in Amsterdam gekauft. Nun habe ich vor, mir ein Gemälde eines deutschen Expressionisten zu kaufen, möchte aber nur einen Teil meiner Wertpapiere losschlagen. Das ist der Grund.“
„Verstehe, aber warum dann Personenschutz, wenn die Sache doch seriös ist?“
„Tja, man weiß ja nie. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Gleich kommt der Zwischenhändler. Er heißt Kwiatkowski und wurde mir von einem Mittelsmann empfohlen. Er war gestern schon hier, da hatte ich den anderen Detektiv als Aufpasser. Kwiatkowski hat sich die Rohdiamanten angesehen und Bedenkzeit erbeten. Er machte nicht den Eindruck als ob er schlechtes im Bild führt, aber wie gesagt, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Haben Sie eine Pistole?“
„Hab‘ ich.“
Knarr zieht aus der Jackentasche seine Pistole hervor. Sander blickt interessiert darauf.
„Ich hab` nur eine kleine, schwarze Damenpistole, sie hat meiner verstorbenen Frau gehört, die war in großer Angst vor Einbrüchen. Jetzt verstaubt die Pistole oben in einer Schublade im Schlafzimmer. Und was haben Sie da?“
„Das ist eine Glock 17 C, die wird gerne von deutschen Spezialeinheiten wie der GSG 9 benutzt.“
„Spezialeinheit, so, so. Wie sind Sie da rangekommen?“
„Die habe ich vom Fahrer eines Geldtransportes bekommen, der war nach einem Raubüberfall bei der Verfolgung eines der Täter zu Fuß von einem Polizeifahrzeug überfahren worden und hatte sich beide Beine gebrochen. Das war`s dann für ihn. Auf Geldtransporte hatte er keine Lust mehr.“
„Was macht er jetzt?“
„Er singt im Kirchenchor.“
„Das Leben geht seltsame Wege“, lächelt Sander und öffnet eine Schiebetür, die zum Esszimmer führt. „Passen Sie auf, Sie gehen ins Esszimmer, schließen die Tür wieder bis auf einen Spalt und beobachten von da, was sich hier tut. Noch Fragen?“
„Nein“.
Knarr verschwindet im Esszimmer und schließt die Tür bis auf einen Spalt. Er hat nun einen etwas eingeschränkten Blick in den Salon. Sander nimmt in der Ecke mit dem großen Fenster einen japanischen Paravent zur Seite, der einen großen Safe verdeckt hatte. Er gibt die Geheimzahl ein und nimmt ein Säckchen, in dem sich die Rohdiamanten befinden, heraus. Er legt das Säckchen auf einen Tisch, schließt den Safe und schiebt den Paravent auf seine alte Stelle. Es klingelt an der Haustür und kurz darauf betreten Sander und Kwiatkowski den Salon. Kwiatkowski trägt schwarze Ledermontur und schwarze Cowboystiefel. Er dürfte so etwa Mitte dreißig sein und macht einen kräftigen, durchtrainierten Eindruck. Und er lächelt. Es ist aber kein freundliches, es ist ein unangenehmes Lächeln. Sander nimmt die Rohdiamanten aus dem Säckchen und legt sie auf ein schwarzes Samttuch, das auf dem Schreibtisch ausgebreitet ist. Kwiatkowski zieht eine 10fach-Lupe hervor und überprüft damit die Rohdiamanten, was etwas dauert. Sander wird ungeduldig.
„Es sind dieselben wie gestern.“
„Gestern war gestern und heute ist heute“, lächelt Kwiatkowski, „vor einer Woche hat ein Idiot in Amsterdam, der neu ins Geschäft kommen wollte, doch tatsächlich versucht, einem Profi Imitate unterzujubeln. Er hatte sich einen hohen Preis erhofft. Alles, was er bekam, war ein Strick, an dem man ihm an einem Brückengeländer aufgehängt hat. Aber okay, die sind echt.“
Er zieht einen dicken Umschlag heraus und gibt ihn Sander, dem ein Schreck in die Glieder fährt. Kwiatkowski war ihm als seriös empfohlen worden, aber so wie er sich jetzt ausdrückt, ist sich Sander nicht mehr sicher wie seriös er wirklich ist. Sander zögert.
„Es ist dieselbe Summe wie gestern ausgemacht“, lächelt Kwiatkowski, „zählen Sie ruhig nach.“
Sander verschwindet mit dem Umschlag hinterden Paravent und kommt dann ohne den Umschlag wieder zurück.
„In Ordnung.“
„Na dann“, lächelt Kwiatkowski, legt die Rohdiamanten in das Säckchen und verstaut sie in seiner Jacke.
„Sie sind doch ein kräftiger, junger Mann“, sagt Sander nun zu Kwiatkowski, „ich habe ein Problem mit dem Rasenmäher, er bewegt sich nicht mehr, morgen kaufe ich einen neuen, der alte müsste in die große Mülltonne, ist aber schwer, den da hochzuheben, ich brauche da Hilfe.“
„Rasenmäher?“, lächelt Kwiatkowski, „ich bin im Diamantenbusiness, nicht im Rasenmäherbusiness. Habe ich richtig gehört, Sie wollen dafür Hilfe von mir?“
Kwiatkowski steht mit dem Rücken zu Knarr und verdeckt Sander. Knarr kann daher nicht sehen, ob Kwiatkowski Sander bedroht.
„Ja, Hilfe“, sagt Sander nun lauter und mit Nachdruck, „Hilfe!“
Knarr reißt sofort die Glock aus seiner Jackentasche. Die erste Patrone ist schon im Patronenlager und feuerbereit. Er stößt die Tür auf, geht aber noch ein Stück zurück, um die breitbeinige Position einzunehmen, wie er es aus den vielen Krimis kennt, stößt dabei gegen einen Teppich, stolpert nach hinten, stürzt seitlich zu Boden und drückt dabei unabsichtlich erst die Sicherung weg und dann auf den Abzug. Der Schuss kracht los und die Patrone jagt durch ein offen stehendes Fenster in den Garten.
„Oh, Scheiße!“, schreit Knarr.
Im nächsten Moment stürzt Kwiatkowski herein, mit einer Pistole im Anschlag. Er richtet sie auf Knarr, der hilflos auf der Erde liegt.
„Knarre weg!“
Knarr legt die Pistole auf den Boden. Kwiatkowski stößt sie mit dem Fuß drei Meter weiter und steckt seine Pistole wieder ein. Sander eilt hinzu.
„Halt, das ist doch nur der Herr Knarr!“
Kwiatkowski reagiert irritiert.
„Knarr?“
Knarr richtet sich ächzend auf, bleibt aber sitzen.
„Knarr, Private Ermittlungen und Personenschutz, diskret, effektiv. Ich habe den Hilferuf gehört.“
Sander schüttelt den Kopf.
„Herr Knarr, ich habe Herrn Kwiatkowski nur um Hilfe bei meinem Rasenmäher gebeten.“
„Rasenmäher, Rasenmäher, Rasenmäher, was soll die Scheiße?“ flucht Kwiatkowski, „ich glaub´, ich bin im falschen Film.“
Sander blickt auf den immer noch am Boden sitzenden Knarr herab.
„Warum haben Sie denn gleich geschossen? Sie hätten doch sehen müssen, dass keine Gefahr bestand.“
„Sie haben laut „Hilfe“ gerufen. Das sollte so ‘ne Art Warnschuss sein.“
„Wo ist der Schuss denn hingegangen?“
„In den Garten.“
„Eher ein Schuss in den Ofen“, lächelt Kwiatkowski, „ich bin dann mal weg.“
Er dreht sich um, geht in den Salon und bevor er ihn verlässt, blickt er noch kurz hinter den Paravent, wo der Safe steht. Sander bemerkt das nicht, aber Knarr bemerkt es. Sander stellt nun eine Frage, die durchaus berechtigt ist.
„Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Beruf gewählt haben, Herr Knarr?“
„Das wird sich noch zeigen.“
Knarr kriecht auf allen vieren zu der am Boden liegenden Glock, steckt sie ein und will aufstehen.
„Aaah!“
„Was haben Sie, Herr Knarr?“
„Die Lendenwirbel. Ich war schon bei dreiunddreißig Orthopäden, keiner konnte mir helfen, alles Versager.“
Sander hilft Knarr aufzustehen.
„Danke, sehr nett, könnte ich jetzt das ausgemachte Honorar haben?“
Sander schüttelt den Kopf.
„Sie machen mir Spaß, Herr Knarr, wenn der Kwiatkowski gleich zurückgeschossen hätte, dann würde es jetzt einen Toten gegeben und ich hätte jede Menge Ärger am Hals. Wofür wollen Sie jetzt das Honorar? Soll das ein Witz sein?“
Knarr schweigt einen Moment, aber dann kommt Wut in ihm hoch und wenn der Knarr wütend wird, dann geht das Hochdeutsch flöten, dann kann er nicht aus seiner Haut.
„Der Hilferuf, det war Ihr Fehler, Herr Sander“, legt er los, „ick höre „Hilfe“, also handele ick, det is mein Job, ja, wo kommen wir da denn hin, wat is`n det für `ne Welt, wenn einer seinen Job macht und dann soll ihm det Honorar abspenstich jemacht werden, nee, so nich`, Herr Sander, nich` mit mir, nich` mit Knarr.“
Sander schweigt einen Moment. Er hatte schon viel gesehen, aber so einer wie Knarr war ihm noch nicht untergekommen.
„Sie sind ja ein echter Berliner, die werden immer seltener, ich zum Beispiel komme aus Göttingen. Man sollte Sie ins Museum stellen.“
„Erst mein Honorar.“
„Gut, Herr Knarr, Sie bekommen das Honorar, so wie abgemacht. Zwei Stunden inklusive An- und Abfahrt waren vereinbart. Bei Ihrem Stundensatz von 90 Euro je angefangener Stunde sind das einhundertachtzig Euro.“
Er zieht einen Umschlag heraus und gibt ihn Knarr.
„Ick werde nich` nachzählen, weil det …“
Knarr macht eine Pause und besinnt sich nun wieder auf Hochdeutsch.
„Ich werde nicht nachzählen, ich sage nur „Amsterdam“.
Er steckt den Umschlag ein, geht weg, sagt aber noch höflich: „Auf Wiedersehen.“
„Lieber nicht“, sagt Sander, aber da irrt er sich.
In Charlottenburg am Savignyplatz und in den Straßen rundherum rumort in den Restaurants, Kneipen und Bars das Nachtleben. Hier versammeln sich die Nachtjacken aus allen sozialen Schichten und feiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Und in Rosis Kneipe wird es im Hinterzimmer sehr laut. Knarr haut mit der Faust auf den Tisch. Er ist stinksauer und verfällt sofort wieder in seinen Berliner Dialekt.
„Det jibt es doch nicht, der Diamantenheini hat mir doch tatsächlich ‘nen falschen Fuffziger anjedreht. Jut, Rosi, dass du so ‘n Geldscheinprüfgerät hast.“
„Ja, stell dir vor, das wäre jemandem in ´nem Supermarkt aufgefallen, da hättest du Ärger bekommen.“
Rosi berlinert nicht, was daran liegt, dass sie als Jugendliche einige Jahre mit den Eltern nach Hannover gezogen war. Knarr, der nicht allzu weit in einer Zweizimmerwohnung in der Kantstraße wohnte, tauchte nach dem Abgang seiner Ilse immer öfter bei Rosi auf. Sie war auch Witwe, das passte gut, und so wurden die beiden allmählich ein Paar. Knarr mauserte sich in der Kneipe zu einer Art zweiter Chef, der auch mal für Ruhe und Ordnung sorgte, wenn es zu laut wurde und es zu Handgreiflichkeiten kam. Nun wird er aber selber laut.
„Verdammt nochmal“, schreit er und hämmert mit seinen Fäusten auf die Tischplatte. Rosi hält sofort seine beiden Hände fest.
„Mensch, Knarr, schrei nicht rum, du musst doch Vorbild für die Gäste sein.“
Sie nennt ihn nur Knarr. Knarr wurde schon immer nur Knarr genannt, das passte besser zu seinem ganzen Auftreten als der Vorname Joachim.
„Was machst du jetzt mit dem falschen Fuffziger?“
Knarr grübelt und schweigt.
„Du, Knarr, ich muss wieder nach vorne zu den Gästen, geh‘ doch hin zu diesem Sander und lass dir einen anderen Fuffziger geben, aber nimm das Prüfgerät mit.“
„Prüfgerät, genau, genial, Rosi, genial, das mach ich.“
Knarr steht auf und nimmt Rosi in die Arme, was er immer wieder gerne tut, denn Rosi ist mollig und griffig, wie er das nennt. Mit Hungerhaken, wie von der Mode diktiert, hat er nichts am Hut.
Er verlässt die Kneipe, überquert den Savignyplatz und geht durch die Passage, die unterhalb der S-Bahn zur Bleibtreustraße führt. Dort bleibt er stehen, und versucht sich zu erinnern, wo er seinen VW-Käfer geparkt hat. Da er unschlüssig dasteht, tritt aus der dunklen Unterführung Hakim, ein junger Araber, auf ihn zu.
„Was` is`, Opa, brauchst du was zum Rauchen?“
„Nein, brauch` ich nicht“, erwidert Knarr. Er entdeckt seinen Wagen etwas entfernt Richtung Kantstraße, macht einige Schritte dort hin, dreht sich dann aber wieder zu Hakim um.
„Warum suchst du dir nicht `ne anständige Arbeit? Du bist jung und kräftig.“
„Gute Idee, Opa“, erwidert Hakim, „aber Arbeitserlaubnis hab` isch nich`.“
Knarr will darauf noch etwas sagen, aber da nähert sich vom Kudamm herkommend, ein Polizeiwagen. Hakim flucht etwas auf Arabisch und verschwindet Richtung Savignyplatz.
Zwanzig Minuten später hält Knarr mit seinem VW Käfer vor Sanders Villa an. Das Prüfgerät hat er in einer kleinen Plastiktüte mitgenommen. Nur oben im ersten Stock brennt Licht. Knarr steigt aus und klingelt am Gartentor. Niemand antwortet. Er klingelt noch einmal und blickt zu dem erleuchteten Fenster. Im selben Moment tritt dort schnell jemand zurück. Knarr kann nicht erkennen, ob es Sander war. Er holt sein Handy heraus und drückt bei“ Kontakte“ auf die gespeicherte Telefonnummer von Sander. Nach einer Weile meldet sich Sanders Stimme.
„Hier ist Konstantin Sander. Ich bin zurzeit nicht zu erreichen. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht.“
Knarr steckt das Handy weg. Das war eine Lüge, dessen ist er sich sicher. Es muss Sander am Fenster gewesen sein. Knarr hatte am Nachmittag nicht den Eindruck bekommen, dass noch jemand in der Villa wohnte. Nein, Sander hatte gesehen, wer am Gartentor stand. Wahrscheinlich war das nicht der erste falsche Fuffziger, den er herausgab und wollte jetzt keinen Ärger mit Knarr. Aber hatte er das nötig? So einen kleinen, miesen Trick? Oder handelte er nicht nur mit Rohdiamanten, sondern auch im großen Stil mit Falschgeld? Aber dann war es doch unvorsichtig, einem Privatdetektiv so einen Schein anzudrehen. Wie auch immer, Knarr hat nicht die Absicht sich geschlagen zu geben. Gut, es ging nur um einen falschen Fuffziger, aber es ging auch ums Prinzip.
„Ich lass mir nich` gern verarschen“, murmelt er, „nee, nicht mit mir, nicht mit Knarr“.
Kurzerhand klettert er über den Zaun und das gelingt ihm recht gut. Nicht mal sein Rücken schmerzt ihn dabei. Vorsichtig schleicht er im Dunkeln weiter, kommt zu der großen Mülltonne, schreit auf und stürzt hin. Er war gegen irgendetwas gestoßen. Der Mond kommt hinter einer Wolke hervor und enthüllt das Hindernis. Es ist der Rasenmäher. Knarr lässt einen Fluch los.
„Verdammter Rasenmäher, zur Hölle mit allen Rasenmähern.“
Knarr blickt zur Villa hoch, aber niemand erscheint am Fenster. Jetzt muss Knarr wieder hochkommen. In der rechten Hand hält er die Plastiktüte, mit der linken Hand versucht er sich an der Mülltonne hochzuziehen. Aber dazu braucht er beide Hände. Mit Schwung greift er mit der rechten Hand nach dem Rand der Mülltonne. Leider bemerkt er nicht, dass der Deckel der Mülltonne offen steht. Seine Hand knallt auf den Rand der geöffneten Tonne, die Plastiktüte mit dem Prüfgerät macht sich selbständig und verschwindet in den Tiefen der Tonne.
„Das darf nicht wahr sein“, murmelt Knarr und wird wütend, „das darf doch verdammt nochmal nicht wahr sein, ick werd` noch irre, wat soll‘n det, wat soll die Scheiße? Rasenmäher, Mülltonne, wat noch? Vielleicht beißt mich gleich ’ne Ratte. Scheiße, Scheiße, Scheiße.“
Und dann fällt ihm ein, was Sander zu ihm gesagt hatte:
„Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Beruf gewählt haben, Herr Knarr?“
Genau, das war die Frage. Wie sollte er denn gefährliche Aufträge übernehmen, Schmuggler jagen, Kidnapping aufklären und Totschläger und Mörder zur Strecke bringen, wenn er schon an einem Rasenmäher und an einer Mülltonne scheiterte? Eine verführerische Stimme meldet sich in seinem Inneren zu Wort.
„Schau mal, Knarr, die Rente ist nicht üppig, aber zum Überleben reicht es. Kein Berufsstress mehr. Was willst du mehr, Knarr, mal ehrlich, Knarr …“
„Nein, verdammt nein“, unterbricht Knarr seine innere Stimme, „fehlt nur noch die Wärmeflasche und Senioren Aerobic. Nein, so schnell gebe ich nicht auf, ich bin Knarr und ein Knarr gibt nicht auf. Also halt jetzt mal deine verdammte Fresse!“
Knarr atmet tief durch. Seinen inneren Schweinehund hat er überwunden, aber die Plastiktüte liegt immer noch in der Tonne. Er sieht sich um und entdeckt einen Rechen neben der Tonne, ergreift ihn, fuhrwerkt damit in der Tonne herum und das Glück ist ihm hold. Er kann die Plastiktüte herausfischen und geht mit ihr vorsichtig um die Villa herum und kommt zur Terrasse. Das Terrassenfenster steht immer noch offen.
„Glück muss der Mensch haben.“
Knarr klettert leise und ohne Probleme in das Esszimmer und stutzt. Er hört etwas, was er draußen vor dem Fenster nicht gehört hatte, aber jetzt hört er es: Klaviermusik. Vorsichtig schleicht er weiter und stößt gegen eine Stehlampe.
„Au!“
Sie droht umzufallen. Knarr hält sie fest und schaltet sie ein. Im Schein der Lampe schleicht er in den Salon und blickt zum Flügel. Aber dort sitzt niemand. Besitzt Sander noch ein Klavier im ersten Stock? Knarr schleicht durch den Salon, kommt ins Entree. Eine Treppe führt nach oben.
„Herr Sander, sind Sie zu Hause?“, ruft Knarr, „ich bin‘s, der Knarr, hallo?“
Keine Antwort, nur die Klaviermusik ist weiterhin zu hören. Knarr versucht es nochmal.
„Ich bin durch das Fenster hereingeklettert, okay, ich weiß, das ist nicht die feine englische Art, aber der falsche Fuffziger, den Sie mir angedreht haben, ist es auch nicht. Hallo?“
Keine Antwort.
„Ich hab` Sie am Fenster gesehen. Schluss mit dem Versteckspiel.“
Keine Antwort.
„Wahrscheinlich kann er mich nicht hören, wegen der Klaviermusik“, murmelt Knarr. Er entschließt sich nach oben zu gehen. Als er auf der Treppe auf halber Höhe nach oben kommt, hört er deutlich die Wasserspülung einer Toilette und dann wie eine Tür zugeschlagen wird. Sander ist auf der Toilette, nickt Knarr, aber warum spielt dann das Klavier weiter? Ist noch eine zweite Person anwesend? Oder ist eine Musikanlage eingeschaltet?
„Hallo, Herr Sander, Überraschung, ich bin’s, der Knarr! Ich will nur den falschen Fuffziger, den Sie mir angedreht haben gegen eine echten eintauschen und alles ist wieder paletti.“
Keine Antwort. Knarr legt die Plastiktüte auf die Treppe, zieht die Glock hervor, entsichert sie aber noch nicht. Diesmal will er vorsichtiger sein. Er schleicht weiter nach oben. Die Tür zu einem Schlafzimmer steht offen, eine Nachttischlampe brennt, aber nicht hell genug, sodass das Zimmer im Halbdunkel liegt. Knarr tritt bis zu Türschwelle, bleibt dort stehen und macht dann etwas, was er in vielen Krimis gesehen hatte. Er springt breitbeinig in das Schlafzimmer und zielt mit der Glock nach links und rechts und hinter die geöffnete Tür.
„Keine Bewegung, hinlegen, ihr Arschlöcher, ich spaße nicht!“ zischt er in gefährlichem Tonfall, aber es ist niemand da. Knarr bemerkt nicht, dass sich hinter einem Fenstervorhang etwas bewegt. Er macht einen Schritt in das Zimmer hinein und nun sieht er Sander. Er liegt vor dem Bett und trägt einen seidenen Schlafmantel. Knarr tritt näher und da alles im Halbdunkel liegt, bückt er sich über Sander.
„Aaah!“
Knarr fasst sich an die Lendenwirbel, bleibt gebückt stehen und muss schlucken.
„Ach, du heilige Scheiße.“
Was er sieht, hatte er schon in vielen Krimis gesehen und dabei weiter seelenruhig sein Bier getrunken und eine Bulette gefuttert. Aber im wahren Leben ist es doch etwas anderes, wenn da plötzlich eine Leiche vor einem liegt, bei der reichlich Blut aus dem Schädel geflossen ist. Eklig. Knarr spürt, wie sich sein Magen zusammen zieht. Im nächsten Moment trifft ihn ein harter Schlag am Hinterkopf. Knarr stürzt neben die Leiche, neben der eine kleine, schwarze Damenpistole liegt, und verliert das Bewusstsein. Er kann nicht mehr hören, wie sich Schritte entfernen und er kann nicht mehr sehen, wie sich durch die Erschütterung seines Falls bedingt, die Hülle einer Schallplatte vom Tisch mit der Musikanlage fällt. „Chill-Entspannung mit Mozart“, steht auf dem Cover. Es gibt sicherlich Schlimmeres als zu Mozarts göttlicher Musik, sein Leben auszuhauchen, aber das dürfte für Sander nur ein schwacher Trost gewesen sein, falls er dazu im Jenseits überhaupt noch die Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken. Für Knarr beginnt sein erster heißer Fall jedenfalls zunächst einmal mit einer Pleite. Aber aller Anfang ist schwer.
„Sagen Sie mal, Herr Knarr, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, fragt Hauptkommissar Wolland den mittlerweile im Salon auf einer Couch sitzenden Knarr.
„Sie ballern am Nachmittag mit Ihrer Glock in den Garten, kommen nachts dann wegen eines falschen Fuffzigers zurück, wegen eines lächerlichen, falschen Fuffzigers, das hätten Sie ja auch morgen noch tun können, und dringen dann unrechtmäßig in die Villa ein. Das hätte nicht einmal ich machen können, ohne Durchsuchungsbeschluss. Und Sie sind nur ein ehemaliger Hausmeister, der es sich in den Kopf gesetzt hat, Detektiv zu werden. Kann es sein, dass Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank haben?“
„Moment, Moment“, erwidert Knarr und hält sich den Hinterkopf, auf dem eine Beule zu sehen ist. Da man nichts gefunden hatte, womit er niedergeschlagen wurde, nahm Wolland an, dass der Mörder Knarr mit einem Pistolenknauf außer Gefecht gesetzt hatte.
„Moment, wenn ich es nicht getan hätte, wann wäre dann die Leiche gefunden worden? Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen, so aber können Sie gleich mit Ihren Ermittlungen beginnen. Wie wär`s mit einem kleinen Dankeschön?“
Wolland weiß, dass Knarrs Argument etwas für sich hat, er ist nur sauer, weil Knarr ihm damit, dass er die Leiche gefunden hatte, den netten Abend mit anschließender Nacht bei seiner Freundin Babs vermasselt. Der Kollege vom nächtlichen Bereitschaftsdienst war in einen Autounfall verwickelt worden und deshalb musste Wolland ran.
„Tut mir leid, Babs“, hatte er zu ihr gesagt, während er wieder in seine Shorts schlüpfte, ihr damit einen letzten Blick auf den knackigen Hintern eines Fitnessbesuchers gönnte, und nach dem leichten Sommeranzug und dem teuren Sporthemd einer angesagten Modemarke griff, „da wartet eine Leiche auf mich. Mord geht vor.“ Was er und was Babs nicht bemerkten, war ein kleiner Zettel, der ihm aus der Hosentasche fiel. Das sollte ihm noch große Unannehmlichkeiten bereiten. Babs lag nackt in ihrem gusseisernen, französischen Himmelbett und schmollte.
„Gerade, wo’s so schön wurde. Weißt du was, Felix, deine Leichen gehen mir allmählich auf den Keks.“
Babs war Fotomodell. Die Bekanntschaft mit einem echten Kommissar fand sie zwar aufregend, noch aufregender aber fand sie, was Wolland im Bett mit ihr trieb, vor allem wenn er ihr Handschellen anlegte und sie beim Durchexerzieren einer Stellung aus dem Kamasutra einem strengen Verhör unterzog.
„Gib zu, du hast das Opfer gehasst. Das Opfer! Gib`s zu! Sag es, sag es! Gestehe!“
„Jaaa, ich gestehe!“
Und so war Wolland nach dem unterbrochenen Liebesspiel mit seinem Assistenten Fuchs, der Spurensicherung und der Gerichtsmedizinerin zu Sanders Villa gefahren. Mittlerweile hatte man in Sanders Handy unter den Kontakten den Namen Claudia Sander gefunden und sie über den Tod von Sander informiert. Sie war geschockt, sagte sie sei die Adoptivtochter und würde sich sofort auf den Weg machen.
Auf der Treppe hatte Wolland die Plastiktüte mit dem Prüfungsgerät gefunden.
„Damit wollten Sie also erreichen, dass Sie einen richtigen Fünfziger bekommen, ja?“
„Genau“, nickt Knarr, „haben Sie schon bei Sander in seinem Portemonnaie nachgeguckt? Wenn da ein richtiger drin ist, dann könnten Sie mir den geben, den falschen Fuffziger in Ihre Asservatenkammer tun und wir sind schon einen Schritt weiter.“
Sander schüttelt den Kopf.
„Den falschen Fuffziger nehmen wir in der Tat an uns und geben ihn den Jungs vom Falschgelddezernat. Den richtigen Fuffziger müssen Sie sich von Sander holen, aber das geht leider nicht mehr oder wollen Sie die Totenruhe stören?“
Wolland lacht vor sich hin. Er hält das für einen guten Witz und blickt zu seinem Assistenten Fuchs, der seelenruhig an einem Schokoriegel leckt, was er besser nicht tun sollte, weil er sogar mehr Speck auf den Hüften hat als Knarr.
„Ja, sehr komisch“, sagt Fuchs pflichtschuldig.
Im Hintergrund wird Sanders Leiche herausgetragen. Die Gerichtsmedizinerin, Frau Drexler, eine energische, kleine Person, kommt herein.
„Ein Schuss in den Kopf, Todeszeitpunkt dürfte vor gut einer Stunde gewesen sein, gegen zweiundzwanzig Uhr“, sagt sie emotionslos, „aus der kleinen, schwarzen Damenpistole, die neben der Leiche lag, wurde kein Schuss abgefeuert, sie war auch nicht entsichert“.
„Hat die Spusi schon etwas zu den Patronenhülsen gesagt?“, will Wolland noch wissen.
„Ja, sie stammen nicht von einer Glock, sondern von einem Browning, wahrscheinlich Kaliber 7,65. Gut, ich verabscheue mich dann“, grinst sie. „Verabscheue mich“, das sagt sie immer, wenn sie sich verabschiedet. Sie geht hinaus und Wolland wendet sich wieder Knarr zu.
„Als Sie sich im Esszimmer als Kunstschütze versuchten, konnten Sie da sehen, mit was für einer Waffe dieser Kwiatkowski da auf Sie zielte. War das ein Browning?“
Nachdem Wolland seine Fähigkeiten als Detektiv in Zweifel gezogen hatte, sieht Knarr jetzt eine Gelegenheit, seine Kenntnisse unter Beweis zu stellen. Da ist er seit kurzem sachkundig und das kann er nun anwenden. „Ein Browning?“, überlegt er mit fachmännischer Miene, „es könnte auch eine Astra 600 sein, die Selbstladepistole, die während des Zweiten Weltkriegs in Spanien angefertigt wurde, oder aber auch eine Heckler und Koch USP. Sie wissen, die wird in Oberndorf am Neckar angefertigt. Browning, Heckler und Koch? Oder vielleicht eine Beretta? Er hat sie ziemlich schnell wieder weggesteckt, deshalb kann ich da nichts Genaues sagen, Herr Kommissar.“
„Hauptkommissar“, korrigiert ihn Wolland.
„Alles klar, Hauptkommissar.“
Knarr wartet, ob seine Ausführungen Eindruck gemacht hatten. Wolland weiß noch nicht so recht, was er mit diesem Möchtegerndetektiv anfangen soll. Jedenfalls braucht er Knarr für die Ermittlungen und hofft nur, dass Knarr ihn nicht weiter mit angelesenem Fachwissen nerven würde. Ein frommer Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen wird. Im Entree werden Stimmen laut. Claudia Sander war mit ihrem Verlobten Daniel Runge eingetroffen. Man hört sie schluchzen und dann kommt sie, gefolgt von Daniel, mit Tränen im Gesicht in den Salon. Sie tragen beide Jeans und modische Blousons. Sie sehen aus wie Ende zwanzig, sind aber schon mindestens Mitte dreißig. Das ist ein Alter, das schwer zu schätzen ist, wenn man sich durch Sport fit hält. Daniel Runge macht zusätzlich Krafttraining. Wolland stellt sich vor.
„Wolland, Hauptkommissar, das ist mein Assistent, Herr Fuchs, und das ist Herr Knarr, Privatdetektiv. Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Adoptivvater geschehen ist. Wir werden alles unternehmen, um den Mörder zu finden.“
Knarr steht auf und fasst sich an die schmerzende Beule.
„Was ich dabei helfen kann, werde ich tun. Ihr Adoptivvater war ein sehr sympathischer Mensch, wirklich sehr sympathisch“.
„Detektiv, warum denn Detektiv? Oh, ich muss mich setzen“, flüstert Claudia Sander mit schwacher Stimme.
Sie setzt sich auf die Couch, holt ein Taschentuch heraus und wischt die Tränen weg.
„Kann ich ein Glas Wasser haben?
„Fuchs, Wasser“, sagt Wolland und Fuchs verlässt schnell den Salon.
Knarr gibt Claudia Sander eine seiner Visitenkarten. „Knarr – Private Ermittlungen und Personenschutz, diskret, effektiv.“
Sie blickt darauf und gibt sie dann Runge, der ebenfalls einen Blick darauf wirft und sie dann wegsteckt.
„Wissen Sie, Frau Sander, es war so“, beginnt Knarr, Ihr Adoptivvater hatte mich gebeten herzukommen wegen der Rohdiamanten, schrecklich, und da …“
„Da haben Sie ihn gefunden, oh Gott, was … warum?“ unterbricht sie ihn.
„Nein, nicht vorhin, am Nachmittag, also es war so, is` `ne längere Geschichte, also wie gesagt wegen der Rohdiamanten, ich sollte aufpassen, dass der Mann, dieser Kwiatkowski, alles lief eigentlich gut, aber dann der Schuss in den Garten, vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die Glock zu Hause geblieben wäre. Der Kwiatkowski ging mit den Rohdiamanten, am späten Abend aber war ich wieder da, auf einmal Mozart, Ihr Adoptivvater hörte wohl sehr gerne Mozart, sehr sympathisch, jedenfalls …“
„Herr Knarr, nun halten Sie mal die Luft an, das versteht kein Mensch“ geht Wolland dazwischen.
„Ja, ich habe auch kein Wort verstanden“, sagt Runge, „warum denn Privatdetektiv? Und wer ist diese Frau Glock?“
„Glock ist eine Pistole“, erklärt Wolland, „aber darf ich erst einmal fragen, wer Sie sind?“
„Herr Runge ist mein Verlobter“, erläutert Claudia Sander, „er ist Schauspieler und war heute im Theater. Ich hielt mich zu dem Zeitpunkt in einem Restaurant auf. Er kam nach Theaterschluss gerade wieder zurück in unsere Wohnung, als Sie mich anriefen. Ich habe ihn informiert und wir sind dann zusammen los, ich wollte nicht alleine … verstehen Sie?“
„Das kann ich gut verstehen, natürlich.“
„Es ist merkwürdig, Herr Hauptkommissar“, sagt Runge, „ich hatte den ganzen Abend ein merkwürdiges Gefühl, wie eine Vorahnung. Na ja, wir spielen Julius Cäsar von Shakespeare, der wird ja im dritten Akt ermordet, mehrere Messerstiche, wir machen das ziemlich realistisch. Ich denke immer, hoffentlich rutscht da der Requisite nicht mal ein richtiges Messer unter, zum Glück ist das bis jetzt nicht passiert, und dann kam Ihr Anruf.
„Julius Cäsar?“, schaltet sich Knarr ein, „die Geschichte mit den Galliern, ja, hab‘ ich gesehen, die spinnen die Römer und so.“
„Das ist der Comic, wir spielen das Theaterstück.“
„Theaterstück, alles klar.“
Runge wendet sich Wolland zu.
„Unter anderen Umständen hätte ich Sie gerne zu einer Vorstellung eingeladen, es geht schließlich um Mord, aber so … schrecklich das Ganze.“
„Ich erinnere mich“, sagt Wolland, „Cäsar“ hatten wir in der Oberstufe. Wie geht noch die Trauerrede von diesem Konsul Marc Anton? „Freunde, Römer, Landsleute, hört mich an … jetzt weiß ich nicht weiter.“
„Begraben will ich Cäsar, nicht ihn preisen“, fährt Runge fort, „was Menschen Übles tun, das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben“.
Claudia Sander kommen wieder die Tränen, die sie mit dem Taschentuch wegwischt. Fuchs erscheint und gibt ihr ein Glas Wasser.
„Ich habe den Marc Anton schon oft gespielt“, fährt Runge fort, „aber ich glaube, jetzt ist nicht der Zeitpunkt, darüber …“
„Natürlich nicht“, unterbricht Wolland schnell, „Entschuldigung, das war nicht sehr taktvoll von mir. Kommen wir zur Sache. Zusammengefasst ist folgendes passiert. Herr Sander besaß Rohdiamanten. Am Nachmittag kam ein potenzieller Käufer mit Namen Kwiatkowski. Herr Sander holte die Rohdiamanten aus einem Safe und erhielt dafür in einem Umschlag eine Summe Geld. Den Umschlag legte Herr Sander in den Safe. Herr Knarr beobachte alles vom Esszimmer aus.Eine Vorsichtsmaßnahme. Dummerweise löste sich zufällig ein Schuss aus seiner Pistole, was aber keine Folgen hatte. Kwiatkowski verließ mit den Rohdiamanten das Haus und Herr Knarr bekam sein Honorar, entdeckte aber am Abend, dass da ein falscher Fünfziger dabei war. Er kam zurück und als sich auf sein Klingeln nichts tat, kletterte er durch das offene Terrassenfenster. Er hörte von oben her Klaviermusik, ging nach oben zum Schlafzimmer und entdeckte dort die Leiche. Die Musik kam von einem Plattenspieler. Im nächsten Moment wurde er von hinten niedergeschlagen und verlor das Bewusstsein.“
Knarr nickt anerkennend.
„Klasse, ich hätt `s nicht besser sagen können.“
„War es vielleicht dieser Kwiatkowski?“, fragt Runge, „was meinen Sie, Herr Hauptkommissar?“
„Vielleicht, aber warum sollte er zurückkommen?“
„Ich hab‘ gesehen, wie der Kwiatkowski, bevor er rausgegangen ist, noch einen Blick hinter den Paravent geworfen hat“, berichtet Knarr, „da, wo der Safe stand, in dem die Rohdiamanten aufbewahrt sind. Vielleicht wollte er da nochmal ran.“
„Aber dann hätte der Herr Sander ihn ja hereinlassen müssen“, hält Wolland dagegen, „was er bestimmt nicht getan hätte, wenn er so vorsichtig war, oder?“
„Sie vergessen, dass das Gartenfenster offen stand, Herr Hauptkommissar“, gibt Knarr mit innerer Genugtuung zu bedenken. Nun hat er Wolland eins ausgewischt. Wolland überspielt seinen Fehler.
„Das war doch nur eine rhetorische Frage von mir.“
Er wendet sich wieder Claudia Sander zu.
„Ihr Adoptivvater war, wie ich hier feststellen konnte, ein sehr kultivierter Mensch. Könnte er wirklich etwas mit der Unterwelt zu tun gehabt haben?“
Claudia Sander schüttelt den Kopf.
„Rohdiamanten, das war mehr so ein Hobby von ihm. Von Haus aus war er ja Verleger, schöngeistige Literatur, aber es schlummerte irgendetwas Abenteuerliches in ihm, so als Ersatz für das viele Papier. Es sind ja nicht alle im Diamantengeschäft Verbrecher. Vielleicht ist er diesmal an den falschen Kunden geraten.“
„Vielleicht“, grübelt Wolland und wendet sich wieder Knarr zu.
„Hatte ihnen Herr Sander gesagt, wer der Mittelsmann war, der Kwiatkowski empfohlen hatte?“
„Nee, kein Wort.“
Wolland blickt zu Claudia Sander.
„Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrem Adoptivvater?“
„Ja, ein sehr gutes, ich habe mich immer um ihn gekümmert. Meinen Vater kenne ich nicht und meine Mutter hatte sich aus dem Staub gemacht.“
„Ach, so war das, wenn Sie sich immer um ihn gekümmert haben, dann … was machen Sie eigentlich beruflich?“
„Ich bin Arzthelferin, habe zurzeit aber Urlaub.“
„Wenn Sie sich so um ihn gekümmert haben“, setzt Wolland noch einmal an, „hat er Ihnen da vielleicht den Code für den Safe verraten?“
„Ich habe ihm den Code selber genannt, er ist ja schon ein bisschen vergesslich. Sein Geburtsdatum, das konnte er gut behalten.“
„Dann öffnen Sie doch bitte den Safe.“
Sie geht zum Safe, stellt den Code ein und öffnet ihn. Darin liegen einige Dokumente und der dicke Umschlag, den Sander von Kwiatkowski bekommen hatte. Wolland öffnet den Umschlag, sieht hinein und nickt.
„Reichlich Bargeld.“
„Was machen wir damit, Chef?“, fragt Fuchs.
„Das nehmen wir zur Prüfung mit, zusammen mit dem Bargeld, das wir noch bei Herrn Sander gefunden haben. Mal sehen, ob beide mit Falschgeld unterwegs waren.“
Claudia Sander schüttelt den Kopf.
„Das glaube ich nicht, dass mein Adoptivvater bewusst Falschgeld besaß, das passt nicht zu ihm. Nein, den muss er zufällig irgendwo ausgehändigt bekommen haben.“
Wolland schweigt einen Moment und Knarr nutzt das sofort aus, um sich wieder ins Spiel zu bringen.
„Da stellen sich trotzdem noch einige Fragen, wenn ich mich mal einschalten darf“
„Ja, auch ich frage mich da …“, sagt Runge und wird von Knarr unterbrochen.
„Moment mal, ich war zuerst!“
„Ruhe, ich stelle hier die Fragen!“, geht Wolland dazwischen, „zunächst einmal ist festzuhalten, dass aus dem Tresor offenbar nichts entwendet werden konnte, also war es vielleicht so, dass der Täter durch das Fenster hereinkam, nach oben ins Schlafzimmer ging, Sander zwingen wollte, den Code herauszurücken, der weigerte ich, es kam zum Kampf und der Unbekannte erschießt Sander.“
„Aber das nutzte ihm doch nichts, wenn der Herr Sander tot war“, wirft Knarr ein, „eine Leiche kann keinen Safe öffnen.“
So allmählich tastet Knarr sich in die Rolle des Privatdetektivs und fühlt sich wohl dabei. Wolland ist deshalb nun schon etwas genervt.
„Jetzt passen Sie mal auf, Sie Schlaumeier, „da gibt es noch etwas, was Sie nicht wissen. Unten im Parterre hatte Herr Sander noch ein Arbeitszimmer.“
„Ach ja?“
„Ja, das ist Ihrem detektivischen Spürsinn entgangen, und da war alles durchwühlt, die Schubladen, die Ordner, Bankauszüge und, und, und. Beim Safe war der Mörder erfolglos. Er wollte woanders Beute machen. Eine aufgebrochene Geldkassette haben wir aber nicht gefunden, was Sinn macht, höhere Summen Bargeld hätte er im Safe aufbewahrt.“
Er wendet sich wieder Claudia Sander zu, die bleich, hin und wieder einen Schluck Wasser zu sich nimmt.
„Könnte es irgendetwas geben, wonach der Mörder gesucht und vielleicht gefunden hat?
„Dazu kann nicht nichts sagen, davon weiß ich nichts.“
„Bleibt die Frage“, überlegt Knarr, „hat er gleich alles durchwühlt und ist dann erst nach oben gegangen und hat dort die Auseinandersetzung gehabt oder hat er erst den Mord begangen und ist dann …“
„Wie auch immer“, sagt Wolland, „was für einen Unterschied …“
Er wird von einem klirrenden Geräusch unterbrochen. Claudia Sander war das Glas aus der Hand gefallen.
„Bitte hört auf, hört auf“, flüstert sie, “ich kann das nicht hören.“
„Entschuldigung“, sagt Wolland, „was wir von Ihnen wissen wollten, wissen wir jetzt. Als Nächstes werden wir nach diesem Kwiatkowski fahnden. Im Handy von Herrn Sander haben wir unter Kontakten keinen Kwiatkowski gefunden. Mal sehen, wie viele Kwiatkowskis es in Berlin gibt.“
„Wenn er überhaupt aus Berlin ist“, gibt Knarr wieder zu bedenken, „aber ich könnte bei der Anfertigung eines Phantombilds behilflich sein. Mach ich doch gerne, Herr Hauptkommissar.“
„Ja, Herr Knarr“, nickt Wolland widerwillig, „das wird sich wohl nicht vermeiden lassen.“
Zwanzig Minuten später näheren sich Daniel Runge und Claudia Sander mit ihrem Mini Clubman in der Hubertusallee einem Mehrfamilienhaus, das nicht allzu weit von Sanders Villa entfernt gelegen ist. Runge sitzt am Steuer, entdeckt eine Parklücke und parkt ein. Beide bleiben einen Moment wortlos sitzen, steigen dann aus und gehen auf den Eingang des Hauses zu. Ein alter Opel ist ihnen gefolgt und hält an. Im Wagen sitzt Harry Lambert. Er trägt einen dunklen Jogginganzug. Er beobachtet, wie die beiden das Haus betreten.
„Ihr werdet euch noch wundern“, sagt er. Dann startet er seinen Wagen und fährt weg. Auffällig ist, dass das hintere Rücklicht nicht brennt.
Mittlerweile ist Knarr in Rosis Kneipe eingetroffen. Alle Gäste waren bereits gegangen. Sie stellt ihm ein frisch gezapftes Pils auf den Tisch neben der Musikbox. Knarr nimmt einen kräftigen Schluck.
„Ah, das hab‘ ich mir verdient“
„Mensch, Knarr, das is‘ ja ‘n Ding, die Leiche direkt vor deinen Füßen, Mann, Mann, und dann der Schlag direkt von hinten, das war aber echt gefährlich, der hätte dich doch auch töten können.“
„Hätte, hätte, Fahrradkette, nur Serienmörder schlagen wahllos zu, bei mir gab`s offensichtlich kein Motiv. Das Motiv könnte was mit den Diamanten zu tun haben, aber der erste Verdacht muss nicht immer der richtige, das sagt die Erfahrung.“
Rosi blickt respektvoll zu Knarr.
„Mensch, Knarr, dein erster Fall und gleich Mord, Wahnsinn, und jetzt sollst du mithelfen den Fall aufzuklären, ich fass‘ es nicht, du bist ja ein Held.“
Sie streicht ihm vorsichtig über die Beule.
„Au, lass.“
Knarr zieht Rosi auf seinen Schoß.
„Held hin, Held her, ohne mich läuft jedenfalls gar nischt, ohne mich kriegen die den Kwiatkowski nie. Punkt.“
Er nimmt noch einen Schluck.
„Aber wenn der Kwiatkowski es nicht war, wer dann?“ Du hast doch selber gesagt, der erste Verdacht muss nicht der richtige sein.“
„Genau. Was sagen die Kommissare immer? Wir müssen tiefer graben. Ich frage mich, warum wurde ausgerechnet Mozart bei dem Mord gespielt? Vielleicht war`s doch ein Serienkiller. Er hasst Mozart und bringt alle um, die Mozart mögen.“
„Ist das dein Ernst, Knarr?“
„Nee, das sollte `n Scherz sein. Vielleicht ging`s um Diamanten, vielleicht aber auch um was ganz anderes. Warum war das Arbeitszimmer durchwühlt?“
„Du, Knarr, bei dem Gedanken, dass du bei deinem ersten Fall hättest vielleicht doch drauf gehen können, Mann, da krieg ich ja nachträglich noch Herzklopfen.“
„Echt jetzt?“
„Ja, fühl mal.“
Sie legt seine Hand auf ihren Busen.
„Ach, Rosi“, lächelt Knarr.
„Was ist, Knarr, gehst du nach Hause oder kommst du noch mit mir nach oben? Da könnten wir doch noch ein bisschen kombinieren.“
„Gute Idee.“
Zur selben Zeit ist Lambert auf dem Weg zu seiner Ex-Freundin Sandra Keller. Er hält seinen Opel in zweiter Spur vor einem einfachen Mietshaus in der Gervinus Straße in Charlottenburg an, lässt den Motor laufen, steigt aus und klingelt beim Namen Keller. Nichts tut sich. Er klingelt noch zweimal und tritt dann drei Schritte zurück und blickt zum ersten Stock hoch. Dort erscheint nun Sandra Keller auf dem Balkon. Sie hatte sich gerade zum Schlafen hingelegt und trägt eine Pyjamahose und darüber T-Shirt.
„Harry, was soll das denn, was willst du denn noch, und dann noch um die Zeit, hast du `n Rad ab?“
„Sandra, hör erst mal `n Moment zu, du, ich hab` nachgedacht, schon `ne ganze Weile nachgedacht, ja, du hast recht, hab` mich beschissen benommen, aber jetzt krieg ich die Kurve, ehrlich, du, alles wird wieder gut, glaub mir.“
„Wieder gut?“, „es war nie gut, es war immer volle Kappe daneben, weil du alles verkackt hast, was du angefangen hast, alles, Mann, Mann, du hast Nerven hier aufzukreuzen, aber ehrlich, hau ab!“
Lambert lässt nicht locker.
„Sandy, gib` mir noch `ne Chance, jeder hat doch `ne zweite Chance verdient. Und wie gesagt …“
„Zweite Chance, sehr komisch“, unterbricht sie ihn, „die hab` ich dir mindestens fünfmal gegeben, die zweite Chance, Harry, nee, du kannst `n netter Kerl sein, ab und zu wenigstens, aber du bist wie `n Blatt im Wind, der triebt es hier hin, mal dort hin, aber meistens in dunkle Ecken, so sieht`s doch aus, oder?“
Lambert probiert es auf andere Art.
„Wow, Sandra, das war ja echt poetisch, was du da gesagt hast, toll, Blatt im Wind, dunkle Ecken, hab` immer gewusst, in dir steckt mehr als `ne Kitaangestellte. Du hast Talent, du müsstest mal auf so `ne Schreibschule oder wie die Dinger heißen, du, ich finanziere dir das, kein Problem, ich komme jetzt zu Geld, du lass mich rein, ich muss nur `noch `n Parkplatz finden.“
„Ach, Harry, wovon träumst du denn wieder, dass du mal `n Sechser im Lotto hast? Vergiss es.“
Hinter ihr taucht plötzlich die vierjährige gemeinsame Tochter Nadine in ihrem Micky Maus Pyjama auf. Ihren kleinen Teddy hält sie im Arm.
„Hallo Papi!“
„Hallo Kleine, ja, ich bin wieder da, du, alles wird super, ganz bestimmt, die Mama und ich, wir heiraten und feiern dann alle auf Mallorca, das wird echt geil.“
„Oh ja, wann denn?“
„Überhaupt nicht“, geht ihre Mutter dazwischen, „und du gehst wieder ins Bett, und zwar sofort.“
„Ich will aber nicht, wenn der Papi da ist.“
„Siehst du“, ruft Lambert nach oben, „die Kleine braucht ihren Vater.“
Frau Keller versucht, Nadine zurück ins Schlafzimmer zerren.
„Papi, Papii, Papiii!“, krakelt Nadine los und wehrt sich mit Händen und Füßen.
Ein Nachbar öffnet sein Fenster im zweiten Stock.
„Schnauze, verdammt nochmal!