Lilo, Mein Mörder und Ich - Hartmann Schmige - E-Book

Lilo, Mein Mörder und Ich E-Book

Hartmann Schmige

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Beschreibung

Eine Kriminalkomödie aus Berlin. Felix verliert seinen Job. Seine Frau verlässt ihn. Alles scheint sinnlos. Es bleibt nur der Selbstmord. Da trifft er Lilo. Die neue, große Liebe. Wie schön das Leben wieder sein kann. Aber Felix hat einen Fehler gemacht. Er hat etwas unterschrieben. Und nun ist man hinter ihm her. Erst ein Kleinkrimineller, dann ein richtiger Mörder. Ein Profikiller. Die Jagd beginnt. Spannend und komisch zugleich. Es gibt eine Deadline. Donnerstag 24 Uhr. Bis dahin muss Felix durchhalten, sonst…

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Lilo, Mein Mörder und Ich

Das Buch

Der Autor

VORBEMERKUNG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

NACHBEMERKUNG

Lilo, Mein Mörder und Ich

Kriminalroman

Von

Hartmann Schmige

Alle Rechte Vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die unbefugte Verwendung, auch auszugsweise, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung ist urheberrechtswidrig und daher strafbar.

Abbildung von istockphoto.de | Copyright Ferran Traite Soler

Abbildung von Dreamstime.com | Copyright Tetordre

Buchtitelgestaltung | Jack Hou

Selbstverlag: Schmige, Hartmann; Berlin

E-Book Version 01/2018

Das Buch

Eine Kriminalkomödie aus Berlin.

Felix verliert seinen Job. Seine Frau verlässt ihn. Alles scheint sinnlos. Es bleibt nur der Selbstmord. Aber da ist Lilo. Die neue, große Liebe. Wie schön das Leben wieder sein kann. Aber Felix hat einen Fehler gemacht. Er hat etwas unterschrieben. Und nun ist man hinter ihm her. Erst ein Kleinkrimineller, dann ein richtiger Mörder. Ein Profikiller. Die Jagd beginnt. Spannend und komisch zugleich. In Berlin. Es gibt eine Deadline. Donnerstag 24 Uhr. Bis dahin muss Felix durchhalten, sonst…

Der Autor

Hartmann Schmige hat fast hundert verfilmte Drehbücher geschrieben. Er schrieb für die Serien „Doppelter Einsatz“, „Wolffs Revier“ „Der Ermittler“, „Im Namen des Gesetzes“ „Ein Fall für zwei“, „Der Staatsanwalt“ und „Tatort“. Einige seiner Filme gehören zu den Klassikern ihres Genres, so die Kino-Komödie „Didi-Der Doppelgänger“, seinerzeit der Kassenhit der Saison, so der TV-Kriminalfilm „Rotlicht“, inzwischen sechsmal im Hauptprogramm des ZDF gesendet. Zwei weitere Kriminalromane von ihm , „Mörder und Mörderinnen“ sowie „Die Entführung der Lena D.“ sind als Ebook und Taschenbuch erhältlich. Schmige lebt in Berlin und in Finnland, der Heimat seiner Frau.

Mehr zum Autor: www.hartmann-schmige.de

VORBEMERKUNG

Alles begann damit, dass an einem trüben, regnerischen Morgen in Berlin am Wannsee eine ziemlich übel zugerichtete Leiche gefunden wurde. Und Felix Hoffmann, ein harmloser Zeitgenosse, der mit Mord und Totschlag so viel zu tun hatte wie der Weihnachtsmann mit der Mafia, ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass man ihn mit diesem schrecklichen Verbrechen in Verbindung bringen würde. Und zunächst muss er sich ja auch mit ganz anderen Problemen herumschlagen, die allerdings auch schon recht heftig sind. Er verliert seinen Job. Seine Lebensgefährtin verlässt ihn. Voller Verzweiflung und nach etlichen Bieren zu viel, denkt er daran seinem Leben ein Ende zu setzen. Weil das kurz und schmerzlos geschehen soll, er aber in diesen Dingen keine Erfahrung hat, bittet er einen Kleinkriminellen das für ihn zu erledigen. Dann, frisch verliebt, überlegt er es sich wieder anders. Aber nun ist es zu spät. Der Kleinkriminelle hat den Auftrag an einen richtigen Mörder, einen Profikiller, weitergegeben. Und das hat dann doch etwas mit der Leiche am Wannsee zu tun. Zu guter Letzt wird Felix Hoffmann von internationalen Geheimdiensten gesucht und steht einem Spezialkommando der Polizei mit Maschinenpistolen in den Händen gegenüber. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden, gleichzeitig kämpft er um Lilo, seine neue, große Liebe, ein Kampf, der aussichtslos zu sein scheint. Wenn ich mich getraue, diese aberwitzige Geschichte hier zu erzählen, dann liegt das allein daran, dass ich sie selbst erlebt habe. Ja, ich bin dieser Pechvogel, mein Vorname ist tatsächlich Felix, die Lateiner wissen, das heißt „der Glückliche“. Was für ein Hohn, jedenfalls ist alles, was ich zu erzählen habe, wahr. Später habe ich erfahren, dass etwas Ähnliches vor über einhundert Jahren schon einmal einem Mann in China passiert sein soll. Du wirst misstrauisch? Du glaubst mir nicht? Ich kann es verstehen, manchmal zweifle ich selbst, ob das nicht alles nur ein überhitzter Traum war. Zum Glück aber besitze ich eine Kopie der Protokolle der Kripo. Dort ist akkurat festgehalten, was an diesem verregneten, frühen Berliner Herbsttag begonnen hatte ….s

Kapitel 1

Ich lag mit geschlossenen Augen im Bett, als ich eine männliche Stimme hörte, die mir etwas von einem schrecklichen Fund zuraunte. Gestern. Berlin. Wannsee. Entstellte Leiche. Durchschnittene Kehle. Herausgerissene Zunge. Blut. Ein Russe. Brutaler Mord. Träumte ich noch? Oder war jemand in das Schafzimmer eingedrungen und kauerte jetzt neben meinem Bett? Aber wer? Ich versuchte meine schlaftrunkenen Augen zu öffnen, aber wie es mir schon oft morgens im Halbschlaf passiert war, wollte es mir einfach nicht gelingen. Die Augenlider öffneten sich nur einen kleinen Spalt durch den ich nicht mehr als schemenhafte Konturen erkennen konnte. Eine immer wiederkehrende Situation, seit Kindertagen. Ich will aufstehen, kann aber nicht, quäle mich endlich hoch, gehe durch die Wohnung und bin im nächsten Moment wieder im Bett, Opfer eines Wunschtraums, dass ich endlich aus dem Bett komme, liege also wieder im Halbschlaf da, so wie jetzt, und höre wieder diese Stimme. Wannsee. Mord. Durchschnittene Kehle. Herausgerissene Zunge. Blut. Und dann sehe ich eine Gestalt vor meinem Bett und im nächsten Moment packt sie mich an den Schultern und rüttelt mich endgültig wach.

„Aufstehen, Felix, raus den Federn, Geld verdienen, hopp, hopp, der frühe Vogel fängt den Wurm, Morgenstund‘ hat Gold im Mond, die Sonne lacht, Blende acht.“

Ich atmete erleichtert aus. Es war Sabine. Der Traum im Halbschlaf war vorbei.

„Tut sie ja gar nicht“, maulte ich, „es nieselt, hab‘ schon rausgeguckt.“

Die männliche Stimme aber redete weiter. Sie kam aus dem Radio, das auf dem Nachttisch stand. Ich schaltete es aus und wollte noch einen Moment liegen bleiben. Mit einem Ruck riss Sabine mir die Bettdecke weg und fixierte mich streng. Wie immer war sie früh auf den Beinen, im Gegensatz zu mir, der ich das frühe Aufstehen hasste, eine Angewohnheit, die mir meine Mutter schon nicht austreiben konnte und die sich verfestigte, als ich in jungen Jahren den Beruf des Künstlers ergriffen hatte, den ich aber schon lange nicht mehr ausübte. Was ich trotzdem weiterhin ausübte, war das späte Aufstehen, was mir als Versicherungsvertreter gelegentlich beruflichen Ärger einbrachte. Sabine hingegen pflegte da eine geradezu preußische Disziplin. Um 8 Uhr begann für sie die Schule, in der sie täglich renitenten und lärmenden Grundschülern Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Während einige ihrer Kollegen immer häufiger wegen Burn Out ausfielen, hielt sie durch. Bewundernswert. Sie wartete, dass ich mich nun aus dem Bett quälte, was ich aber nicht tat, da mich wieder einmal der Gedanke packte, wie es nur möglich war, dass sie mich nicht schon längst zum Teufel gejagt hatte, da ich doch nur ein in den Tag hinein träumender kleiner Versicherungsvertreter im Außendienst war, ich, der einmal als junger Mann geglaubt hatte, er könne ein großer Maler werden, dessen Bilder aber niemand kaufen wollte, bis Sabine mich dazu drängte, endlich einen richtigen Beruf zu ergreifen, in dem ich nun schon fünfzehn Jahre tätig bin, ohne auf der Erfolgsleiter auch nur ein bisschen nach oben geklettert zu sein. Mein Lohn setzte sich aus einer monatlichen Grundvergütung und einer erfolgsabhängigen Provision für die abgeschlossenen Verträge zusammen. Mit der Provision hat es bei mir nie so berauschend ausgesehen, weil ich mich immer kundenfreundlich verhalten habe und es zum Beispiel ablehnte, alten Witwen für ihre minderwertige Einrichtung eine hohe Hausratsversicherung auf’s Auge zu drücken. Andere waren da skrupelloser.

„Aber gute Frau, diese Kommode, ein Schmuckstück, da zahlen Kenner ein kleines Vermögen und das Gemälde, Spätromantik, Wahnsinn, und was haben wir denn da? Diese Standuhr. Ein Traum. Sie wissen gar nicht, was Sie da für Schätze haben, gute Frau. Wäre doch ein Jammer. Ich rechne das mal schnell zusammen. Hier unten rechts, die Unterschrift und Sie können wieder beruhigt schlafen, bitte hier. Danke.“

Und schon war die gute Frau gelackmeiert. Ich hingegen war anständig, aber erfolglos. Gut, körperlich gesehen muss ich mich nicht verstecken, auch wenn ich keinen Waschbrettbauch vorzeigen kann. Aber das reicht doch einer Frau auf die Dauer nicht. Der Mann muss, Emanzipation hin, Emanzipation her, etwas darstellen, Eindruck machen, anderen sagen können, wo es lang geht. Was also bindet Sabine immer noch an mich? Hofft sie, dass meine in einer Kammer abgestellten Werke, wie es bei Malern ja schon vorgekommen ist, doch noch entdeckt werden, nämlich nach deren Tod? Vor einigen Wochen hatte sie den Vorschlag gemacht, ich sollte einige meiner Bilder auf dem Trödelmarkt an der Straße des Siebzehnten Juni anbieten, nur um zu testen, ob vielleicht jetzt, nachdem sie so lange Zeit unentdeckt waren, auf Interesse stoßen würden. Das habe ich abgelehnt. Trödelmarkt, nein danke, auch wenn es gut gemeint war, genauso wie der Vorschlag vor Jahren von ihr, meine Bilder im Gemeindesaal der evangelischen Kirche auszustellen, bei Kaffee und Kuchen mit freundlichen, älteren Gläubigen, im Wettstreit sozusagen mit Laubsägearbeiten der Konfirmanden zum Thema „Brot für die Welt.“ Ich betrachtete Sabine näher, die immer noch vor dem Bett stand und ihrer ersten Aufforderung nun ein „Na, wird’s bald?“ hinterherschickte. Sie trug ein dunkles Baumwollkleid, einen schwarzen, modischen Hut und schwarze Stiefeletten. So stand sie in dem zum Hinterhof gelegenen düsteren Schlafzimmer unserer im vierten Stock gelegenen Charlottenburger Altbauwohnung in der Sybel Straße wie ein bedrohlicher Schattenriss vor mir. Irgendwie unheimlich. War das ihr Plan? Die schwarze Witwe? Ich vermodere im Grab und sie wird reich? Daher also die Idee mit dem Trödelmarkt, als Startschuss zum posthumen Ruhm. Und wenn ich meine Bilder dort nicht hinbringe, dann wird sie es tun, wenn ich erst einmal unter der Erde liege. Raffiniert. Wie würde sie es anpacken? Erschlagen oder Erdrosseln kam bei ihr nicht in Frage. Dafür war sie nicht kräftig genug. Sie war schlank, eigentlich für meinen Geschmack etwas zu schlank. An ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag hatte Sabine beschlossen, nicht mehr älter zu werden und sich von da an mit wechselnden Diäten mehrere Kilo abgehungert. Ihre körperliche Verfassung würde es ihr also nicht erlauben mit physischer Gewalt gegen mich vorzugehen. Als Alternative käme Gift in Frage, ein Mittel, das statistisch gesehen bei von Frauen begangenen Morden ganz oben stehen soll. War sie schon dabei, mir täglich kleine Dosen Arsen zu verabreichen? Dazu würde passen, dass mich in letzter Zeit hin und wieder Magenprobleme plagten. Wie würde mein Ende aussehen? Würde ich auf der Straße zusammenbrechen, gekrümmt vor Schmerzen, mit aufgerissenen Augen, Schaum vor dem Mund und vergeblich nach Atem ächzend? Ich schüttelte innerlich den Kopf. Abwegiger Gedanke. Ich schämte mich, dass ich meine eigene, schmutzige Phantasie nun Sabine unterschob.

Von der Straße her hörte ich plötzlich den schrillen Klang einer Hupe, das Quietschen von Reifen und dann einen lauten Knall. Dann war es wieder still.

„Hör zu, Felix,“ sagte Sabine nun in energischem Tonfall, „ ich gehe jetzt zur Schule und du schwingst deine Beine aus dem Bett. Ich habe dir das Nötige rausgelegt: die guten Jeans, ein weißes Hemd mit Krawatte, das dunkle Sakko, den Regenmantel und die schwarzen, italienischen Schuhe. In der Küche steht das Frühstück. Und dann gehst Du zu Liebemeyer und bittest noch einmal um eine Erhöhung deiner monatlichen Grundvergütung. Und diesmal lässt du dich nicht wieder abwimmeln, klar? Ruf mich an, ob es geklappt hat.“

Damit drehte sie sich um und verschwand in der Diele. Ich hörte noch, wie sie ihren Mantel von der Garderobe nahm und die Tür öffnete, die dann mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Ich blieb noch einen Moment liegen. Da ich erst um neun Uhr wegen der heute stattfindenden Vertreterbesprechung in der Thalia Versicherung erscheinen musste, die ihren Sitz in einem Gebäude in der Nähe des Ku‘damms hatte, konnte ich noch etwas Zeit verplempern. Ich schaltete das kleine Radio wieder ein. Der Moderator der Sendung „Berlin am Morgen“ war immer noch mit dem blutrünstigen Mord am Wannsee beschäftigt. Die Sache war mysteriös. Bei dem Ermordeten handelte es sich um einen russischen Atomwissenschaftler. War er geflüchtet, um im Westen Geheimnisse zu verraten? Und hatte man ihm daher die Kehle durchgeschnitten und die Zunge herausgerissen als Warnung an alle, die auch vorhatten etwas ausplaudern? Ich schaltete das Radio aus. Über Morde wollte ich jetzt nicht weiter nachdenken. Stattdessen grübelte ich über das nach, was Sabine gesagt hatte. Nicht abwimmeln lassen. Liebemeyer. Fettsack Liebemeyer. Direktor der Thalia Versicherung. „Sie geben uns Vertrauen. Wir geben Ihnen Sicherheit.“ Ich hasste ihn. Ich hasste Thalia. Ich hasste das ganze Versicherungsgewerbe. Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit über alles. Es war Zeit, Bilanz zu ziehen. So weit war es also mit mir gekommen. Als junger Künstler hatte ich die Menschen verachtet, deren ganzes Leben um Sicherheit kreist, die kein bisschen Risiko eingehen wollen, die für und gegen alles Verträge abschließen in der Hoffnung, dass, wenn doch etwas passiert, sie optimal entschädigt werden. Meine Künstlerfreunde und ich, wir lebten in den Tag hinein, ohne an morgen zu denken. Wir tranken Rotwein, wir rauchten, wir feierten, wir liebten und mit vierzig würden wir sowieso tot sein, aber weltberühmt. Jetzt war ich schon einundvierzig, lebte immer noch und kein Mensch kannte mich. Also was regte ich mich über die Spießer auf? Hatte ich guten Grund dafür? Nein. Auch mein Leben war an der Seite von Sabine immer sicherer geworden, ein Leben mit eingespielten Ritualen ohne Überraschungen, ohne jeglichen Hauch von Gefahr und Abenteuer, ein Leben mit Gürtel und mit Hosenträger, zur Sicherheit, damit nichts ins Rutschen kommt. Und wenn etwas außergewöhnliches passierte, dann nur in den abendlichen Fernsehkrimis, sonst nie. Die jahrelange Arbeit für Thalia hatte auf mich abgefärbt. Nein, ich war nicht mehr der Felix von vor zwanzig Jahren, der auf sein Talent vertrauend, das Risiko einging, ein von Unwägbarkeiten erfülltes Künstlerleben zu führen, nein, ich war jetzt selbst zum Vertreter und Propagandisten von Sicherheit geworden. „Sie geben uns Vertrauen. Wir geben Ihnen Sicherheit. Thalia Versicherung“. Schrecklich. So weit war es also mit mir gekommen. Sicherheit und Ordnung und anständig angezogen. Ich hasste nicht nur die Thalia und Liebemeyer, ich hasste auch mich. Ich war entschlossen, Liebemeyer die Stirn zu bieten, nicht ahnend, dass damit ein Rad in Bewegung gesetzt würde, das mich zu überrollen drohte. Noch ehe der Tag vorüber war, sollte ich dem Tod ins Auge sehen.

Kapitel 2

„Ach, Herr Hoffmann“, sagte Liebemeyer und blickte auf seine protzige Armbanduhr, „heute ausnahmsweise mal pünktlich? Ausnahmsweise, na, sowas.“

Liebemeyer trug einen beigen Anzug - die Jacke hing hinter ihm über der Stuhllehne - mit beigem Hemd, dazu eine beige Krawatte. Er saß grinsend hinter seinem ordentlich aufgeräumten Tisch, nur ein einzelnes, leeres Din A4 Blatt lag vor ihm. Er forderte mich auf mich zu setzen, was ich abwartend tat. „Eigentlich müssten Sie doch zur Vertreterbesprechung an Ihrem Schreibtisch im Großraumbüro sitzen“, sagte er. „Was führt Sie denn zu mir? Was denn?“

Er hatte die Angewohnheit, einzelne Wörter zu wiederholen.

„Es ist wegen der Erhöhung der monatlichen Grundvergütung, Herr Liebemeyer.“

Mehr sagte ich nicht.

„Ach ja, die Grundvergütung, natürlich“, sagte Liebemeyer. Dann schwieg er. Er saß da und schwieg. Und grinste. Irgendetwas führte er im Schilde, das er noch hinauszögerte um die Ungewissheit, die sich nun bei mir einstellte, zu genießen. Zeit verstrich. Er schwieg und ich schwieg auch. Offensichtlich entwickelte sich die Situation zu einer Art Kräftemessen. Wer zuerst den Mund aufmachte, hatte verloren. Endlich passierte etwas, was Liebemeyer Anlass gab, das Schweigen zu durchbrechen. Von der Straße her hörte man den schrillen Klang einer Hupe, das Quietschen von Reifen und dann einen lauten Knall. Offensichtlich war heute der Tag der Auffahrunfälle.

„Vielleicht zwei Kunden von uns“, sagte Liebemeyer und grinste.

„Vielleicht“, wiederholte ich, ohne zu grinsen.

Sein Telefon klingelte und aus dem, was er sagte, konnte ich entnehmen, dass ihm seine Sekretärin für ihn und seine Frau für den nächsten Tag zwei Opernkarten besorgt hatte. Macbeth. Eine blutrünstige Geschichte mit Mord und Totschlag und der wunderbaren Musik von Verdi. Nachdem ich heute früh darüber gegrübelt hatte, ob mir Sabine nach dem Leben trachtete und im Radio über den Russen mit durchschnittener Kehle berichtet wurde, stand jetzt das Wort Mord zum dritten Mal im Raum. Mich ergriff ein unbehagliches Gefühl, das ich vergeblich zu vertreiben versuchte. Ich starrte auf den Brieföffner, der auf Liebemeyers Schreibtisch lag. Was wäre, wenn ich… Ich stellte mir vor, was der Moderator in der Radiosendung morgen früh sagen würde. „Schreckliche Bluttat in Thalia Versicherung. Direktor mit Brieföffner erstochen. Blutüberströmt. Sekretärin Schreikrampf. Täter geistesverwirrt. Widerstandslose Festnahme. Und nun zum Wetter.“

Liebemeyer riss mich aus meinen Gedanken. Er richtete seinen Zeigefinger wie eine Waffe auf mich.

„Hoffmann“, sagte er, und dass er das „Herr“ wegließ, versprach nichts Gutes. „Hoffmann, ich will es kurz machen. Sie sind fristlos entlassen. Packen Sie Ihre persönlichen Dinge in einen Karton und verlassen Sie umgehend das Gebäude, umgehend.“

Er lehnte sich zurück und wartete meine Reaktion ab. Ich war in der Tat verblüfft. Damit hatte ich nicht gerechnet. Was ich erwartet hatte, war, dass er mir klar machen würde, dass wir in diesen Zeiten der allgemeinen Finanzkrise alle sparen müssen und deshalb eine Erhöhung der Grundvergütung überhaupt nicht infrage käme.

„Warum denn?“, fragte ich. „Und warum fristlos?“

„Weil es dafür einen wichtigen Grund gibt“, erwiderte er, „der Gesetzgeber hat eine fristlose Kündigung nur aus wichtigen Gründen vorgesehen, nur aus wichtigen, und dazu gehört unter anderem die grobe Beleidigung, sie ermöglicht die fristlose, und das sogar ohne Lohnfortzahlung und hier ist sie, die grobe Beleidigung, hier ist sie, Hoffmann“.

Und dabei pochte er auf das vor ihm liegende leere Blatt. Ich erhob mich vom Stuhl und blickte auf das Blatt. Liebemeyer hob mit spitzen Fingern das Blatt hoch, drehte es um, legte es wieder auf den Tisch und gab ihm einen kleinen Schubs in meine Richtung.

„Na, kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor, irgendwie?“

Er grinste jetzt wieder triumphierend, lehnte sich zurück und verschränkte dabei die Hände hinter seinem Kopf mit den dunkelbraun gefärbten Haaren, so dass man die Schweißflecke unter seinen Achseln sehen konnte. Liebemeyer schwitzte immer, egal zu welcher Jahreszeit. Natürlich kam mir das bekannt vor, was ich jetzt auf der Rückseite des Blattes sehen konnte. Es war eine Karikatur von Liebemeyer, der als rosiges Schweinchen dargestellt war, mit einem süßen, kleinen Ringelschwänzchen. Er saß auf dem Dach des Gebäudes, aber anstelle des Firmenzeichens thronte er nun dort und ich war es, der die Karikatur angefertigt hatte. Gelegentlich vertrieb ich mir, wenn ich mich langweilte, die Zeit mit solchen Karikaturen, nicht nur von Mitarbeitern der Versicherung, auch von bekannteren Persönlichkeiten aus Politik, Sport und Show Business. Dann warf ich sie in den Papierkorb. So hatte ich es auch gestern mit Liebemeyers Karikatur getan, als ich einen Bericht über erledigte Abschlüsse schrieb. Offensichtlich hatte ich vergessen, das Papier zusammenzuknüllen. Die Putzfrau musste es gefunden haben. Was sollte ich jetzt noch sagen? Mich entschuldigen? Um Vergebung betteln? Abgesehen davon, dass es mir zuwider war vor Liebemeyer zu Kreuze zu kriechen, wusste ich, dass das völlig vergeblich wäre. Und so sagte ich nur: „Ich finde die Karikatur eigentlich recht gelungen, Herr Liebemeyer.“

Liebemeyer blieb die Luft weg. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass ich alles versuchen würde, die Kündigung rückgängig zu machen. Den Triumph wollte ich ihm nicht gönnen. Deshalb sagte ich nur:

„Dann wäre ja alles geklärt. Auf Wiedesehen.“

„Bitte nicht“, antwortete Liebemeyer, „bitte nicht.“

Kapitel 3

Eine Minute später stand ich auf dem Trottoir vor dem Gebäude der Thalia Versicherung, ohne den Karton mit meinen Habseligkeiten. Ich hatte einen Schlussstrich gezogen und wollte keine Erinnerungen an die Thalia mit mir herumschleppen. Es begann leicht zu regnen und durch die Straße wehte ein unangenehmer, kalter Wind. Ich knöpfte den olivgrünen Regenmantel zu, den ich in London gekauft hatte, als ich einmal mit Sabine in einem Billigflieger dort hingeflogen war, um in einem Billighotel einen fünftägigen Billigurlaub zu verbringen. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in mir breit. Dieses Kapitel war abgeschlossen und ein neues wurde nun aufgeschlagen. Ich war einundvierzig und wenn man bedenkt, dass heute immer mehr Menschen hundert Jahre alt werden, dann war ich noch richtig jung. Ich holte mein Handy aus der Jackentasche und wählte Sabines Handynummer.

„Hallo Biene, ich habe gute Nachrichten.“

„Na endlich. Um wie viel wurde die Grundvergütung erhöht?“

„Sie wurde nicht erhöht, Biene. Trotzdem, es war der Startschuss für ein neues Leben. Endlich bin ich die Thalia los. Ich fühle mich schon viel besser. Die Magenprobleme haben sich in Luft aufgelöst. Ich habe ein gutes Gefühl. Auf zu neuen Ufern.“

„Felix, komm auf den Punkt, was ist los?“

„Ich bin fristlos entlassen worden, und das gibt mir die Chance….“

„Du bist entlassen worden?!“, unterbrach sie mich, „sag mal, bist du gegen einen Bus gelaufen, oder was? Du solltest um die Erhöhung der Grundvergütung kämpfen. Stattdessen lässt du dich feuern und freust dich darüber? Das ist …das ist… krank!“

„Aber Biene, hör zu, ich bin eine Kämpfernatur, also früher war ich eine, das ist über die Jahre hinweg zugeschüttet worden von diesem elenden Sicherheitsdenken. “Sie geben uns Vertrauen, wir geben Ihnen Sicherheit.“ Aus vorbei, ich spüre wie die alten Kräfte in mir neu erwachen!“

„Felix, hör auf und hör‘ mir zu!“

„Gut, ich höre.“

Nichts tat sich. Sekunden verstrichen.

„Sabine? Hallo? … Was ist?“

Stille. Und dann war das Gespräch beendet, ohne dass sie mir noch etwas gesagt hatte. Ich rief sie sofort wieder an, aber sie hatte ihr Handy abgeschaltet.

Mir war klar, was das bedeutete, sie würde jetzt mehrere Tage nicht mehr mit mir sprechen. Damit musste ich fertig werden. Sinnlos, da jetzt weiter darüber zu grübeln. Ich musste mein neues Leben anpacken. Jetzt sofort, ohne zu zögern. Wenn ich gewusst hätte, dass mein Leben in Kürze nur noch an einem seidenen Faden hängen würde, wäre ich wahrscheinlich nicht so entschlussfreudig gewesen.

Mein Wagen, ein gebrauchter VW Polo, stand auf dem Hinterhof des Versicherungsgebäudes. Ich fuhr damit zu der für mich zuständigen Agentur für Arbeit im Westteil der Stadt und parkte den Wagen auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn. Vor der Agentur standen etliche Arbeitslose und hörten einem Abgeordneten des Berliner Senats zu, der mit lauter Stimme eine Rede hielt. Es war Wahlkampf. Überall in der Stadt hingen die Wahlplakate der sich um einen Sitz im Senat bewerbenden Kandidaten. Ich betrat die Agentur und nachdem ich eine Nummer gezogen und zwei Stunden zwischen Zeitungen lesenden, mit Handy telefonierenden oder nur vor sich hin dösenden Schicksalsgenossen verbracht hatte, wurde endlich meine Nummer und die Nummer des Zimmers aufgerufen, in das ich mich begeben sollte. Ich ging durch einen langen Flur. Vom anderen Ende kam mir ein ziemlich abgerissen aussehender Mann entgegen. Entgegen kommen war nicht der richtige Ausdruck. Er wurde herbei geschleift. Zwei grimmig blickende Wachschutzbeamte hatten ihn in die Mitte genommen. Er war so um die fünfzig. Seine langen, fettigen Haare hingen ihm bis über den Nacken. Er trug einen Parka, ein ausgeleiertes Holzfällerhemd mit Lederweste, eine verschmutzte Bundeswehrhose, schief getretene Boots und schrie „Scheiße, Scheiße, Scheiße. Aber nicht mit mir. Nicht mit Kalle Landowsky, ihr Wichser, ihr Arschlöcher, nicht mit mir.“

„Halts Maul, Penner“, raunte ihm einer der Wachschutzbeamten zu, „sonst gibt’s was auf die Nuss.“

Sie schleiften ihn im Polizeigriff weiter den Flur entlang, an mir vorbei, dann eine Treppe hinunter.

Ich hörte noch „ Alles Faschisten, Kommunisten, Arschlöcher“ dann einen Aufschrei und dann war Ruhe. Ich blieb stehen und dachte nach. Was wollte ich eigentlich hier? Mich um einen neuen Job bewerben, der mich genauso unglücklich machen würde wie der des kleinen Versicherungsvertreters im Außendienst? Damit würde ich nur schon wieder klein beigeben. Nein, das kam nicht infrage. Die Kündigung war die Chance, zu meinen Anfängen zurückzukehren, zur Kunst. Aber wie groß war die Chance nach all den Jahren jetzt erfolgreich zu werden? War das nicht ein Hirngespinst? Ich spürte wie der auf Sicherheit spezialisierte Felix wieder versuchte, Gewalt über mich zu gewinnen. „Nein, so schnell darfst du nicht aufgeben, Felix“, sagte ich zu mir. Ich machte kehrt und verließ schnell die Arbeitsagentur. Als ich auf die Straße trat, hörte ich eine Stimme rufen.

„Ey, Kumpel, hamse dir ooch verschaukelt, die Wichser?“

Es war Kalle Landowsky. Er war damit beschäftigt, die Wahlplakate von den Laternen herunterzureißen und darauf herumzutreten.

„Ick jebe jerade meine Stimme ab“ krakeelte Kalle, „det tut richtich jut!“

Ich ging zu meinen Wagen und fuhr weg.

Kapitel 4

Es war einige Zeit vergangen, als ich ziellos den Ku‘damm entlang schlenderte. Ich hatte meinen Wagen auf dem Rückweg von der Agentur nicht weit entfernt von meiner Wohnung in der Nähe des Lehniner Platzes abgestellt, um einige Schritte zu gehen und dabei über das nachzudenken, was geschehen war und wie es nun weitergehen sollte.

---ENDE DER LESEPROBE---