Deutscher Novellenschatz 17 - Adelbert von Chamisso - E-Book

Deutscher Novellenschatz 17 E-Book

Adelbert von Chamisso

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der "Deutsche Novellenschatz" ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 17 von 24. Enthalten sind die Novellen: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihls wundersame Geschichte Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 317

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Deutscher Novellenschatz

 

BAND 17

 

 

 

 

 

 

Deutscher Novellenschatz, Band 17

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661250

 

Das Korpus „Deutscher Novellenschatz“ ist lizenziert unter der Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und Teil des Deutschen Textarchivs. Eine etwaige Gemeinfreiheit der reinen Texte bleibt davon unberührt. Näheres zum Korpus und ein weiterführender Link zu den Lizenzbestimmungen findet sich unter https://www.deutschestextarchiv.de/novellenschatz/. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Peter Schlemihls wundersame Geschichte.1

Musikalische Orthodoxie.49

Der Weinhüter von Meran.84

 

 

Peter Schlemihls wundersame Geschichte.

 

Adelbert von Chamisso.

 

Vorwort.

 

„Aus einem alten Hause entsprossen“ — sagt Adelbert von Chamisso (eigentlich Charles Louis Adelaide de Chamisso de Boncourt) von sich selbst — „war ich auf dem Schloss Boncourt in der Champagne geboren.“ (27. Januar 1781.) „Die Auswanderung des französischen Adels entführte mich schon im Jahre 1790 dem Mutterboden. Nach manchen Irrfahrten durch die Niederlande, Holland, Deutschland, und nach manchem erduldeten Elend wurde meine Familie zuletzt nach Preußen verschlagen. Ich war im Jahre 1796 Edelknabe der Königin, Gemahlin Friedrich Wilhelms II., und trat 1798 unter Friedrich Wilhelm III. in Kriegsdienst bei einem Infanterieregiment der Besatzung Berlins Die mildere Herrschaft des Konsuls gewährte zu Anfang des Jahrhunderts meiner Familie die Heimkehr nach Frankreich, ich aber blieb zurück. So stand ich in den Jahren, wo der Knabe zum Manne heranreift, allein, durchaus ohne Erziehung; ich hatte nie eine Schule ernstlich besucht. Ich machte Verse, erst französische, später deutsche. Ich schrieb im Jahre 1803 einen Faust, den ich aus dankbarer Erinnerung in meine Gedichte mit aufgenommen habe. Dieser fast knabenhafte metaphysische Versuch brachte mich fast zufällig einem andern Jünglinge nahe, der sich gleich mir im Dichten versuchte, K. A. Varnhagen von Ense.“ (S. dessen anziehende Schilderung in seinen Denkwürdigkeiten 1,283—85.) „Wir verbrüderten uns, und so entstand unreiferweise der Musenalmanach auf das Jahr 1804. Diese Unbesonnenheit, welche ich nicht bereuen kann, ward zu einem segensreichen Wendepunkte meines Lebens. Er brachte mich in enge Verbrüderung mit herrlichen Jünglingen, die zu ausgezeichneten Männern heranwuchsen“. Unter diesen Jünglingen und Männern, die zum Symbol ihres Bundes den Nordstern („To rov nolov aggov“) erwählten, sind neben Varnhagen zu nennen: W. Neumann, Fouqué, Franz Theremin, vor Allen aber Julius Eduard Hitzig, „Vater Ede“, auch „der treue Eckard der Literatur“ genannt, der bis zum Tode sein innigster Freund geblieben; vom nachwachsenden Geschlechte schlossen sich später vorzüglich Franz Kugler, Adolf Schöll und Franz von Gaudy an ihn an. Aber trotz der beglückenden Freundschaften hatte Chamissos Jugend etwas düster Heimatloses, da ihn das Schicksal zwischen seinem Geburtslande Frankreich und seinem Adoptivvaterland Deutschland längere Zeit in der Schwebe erhielt. Aus der schmählichen Übergabe von Hameln als preußischer Subalternoffizier ehrenvoll hervorgegangen, wollte er es vermeiden, künftig wieder einmal gegen seine Landsleute dienen zu müssen, und trat aus dem Militär. Als dann im Jahre 1813 der Sturm wieder losbrach, lebte er in ländlicher Verborgenheit seiner Lieblingswissenschaft, der Botanik, und schrieb dabei den Schlemihl, um die Kinder seines Freundes Hitzig zu ergötzen. Seine wachsende Unzufriedenheit jedoch, in Verbindung mit der politischen Lage der Dinge, veranlasste den Freund, ihn auf einige Jahre aus Europa zu entfernen, und es gelang, ihn, der in Berlin eifrig Medizin und Naturwissenschaften studiert hatte, (just zur Zeit der Rückkehr Napoleons von Elba) an Bord des Rurik als Naturforscher der Romanzoffschen Weltumseglungsreise zu bringen. Wir übergehen die unwürdige Behandlung, die ihm von dem Chef dieser Expedition, Oh. von Kotzebue, sowohl während der Fahrt persönlich als nachher durch Unterdrückung seiner besten Arbeiten widerfuhr. Nach drei Jahren kehrte er zurück und fand nun in Berlin eine feste Lebensstellung als Inspector der königlichen Herbarien im Schosse häuslichen Glücks. Er starb den 21. August 1838. Wie er in diesem letzten schönen Drittel seines Lebens neben der Pflege seiner Wissenschaft, die ihm von der K. Akademie die Ehre der Mitgliedschaft eintrug, sich zum deutschen Nationaldichter entwickelt und welche Verdienste er sich als Herausgeber des Musenalmanachs der dreißiger Jahre nebst Gustav Schwab um die deutsche Poesie und die deutsche Jugend erworben hat, das ruht in frischer Erinnerung und kann in diesem engen Raume nicht ausgeführt werden (wie denn auch über sein früheres, zum Teil reichbewegtes Leben, z. B. über seinen Aufenthalt bei Frau von Staël, ja über den ganzen Menschen, auf die Biographie von Hitzig, sowie auf die Schilderung von Ampère in der Revue des deux mondes von 1840 verwiesen werden muss). Chamisso war ein Deutscher im vollsten Sinne des Wortes und doch dabei auch wieder ein liebenswürdiger Franzose, gleichwie sein ganzes Wesen eine merkwürdige Mischung von Mann und Kind, von Unbeholfenheit und Gewandtheit trug. Den Franzosen hatte er selbst sprachlich so wenig ausgezogen, dass er, der das Deutsche in seinen Versen mit wunderbarer Meisterschaft handhabte, in seinen Briefen die ergötzlichsten Gallizismen zum Besten gab, beim Zählen nach seiner Muttersprache greifen musste, ja den Namen seines verehrten, geliebten Uhland nur in der ersten Hälfte deutsch, in der zweiten aber französisch (das nd dem bekannten nasalen ? opfernd) aussprach. (Für letztere Sünde hat sich denn wieder mancher biedere Deutsche unbewusst an ihm gerächt, indem er ihn mit besserer Gesinnung als Betonung „unsern Chamisso“ nannte.)

Die Entstehung des „Peter Schlemihl“ erzählt K. Goedeke so. „Chamisso hatte auf einer Reise Hut, Mantelsack, Handschuhe, Schnupftuch und sein ganzes bewegliches Gut verloren. Fouquè fragte, ob er nicht auch seinen Schatten verloren habe. Sie malten sich das Unglück aus. Ein anderes Mal wurde in einem Buche von dem Romanschriftsteller Lafontaine geblättert, wo ein sehr gefälliger Mann Allerlei aus der Tasche zieht, was eben gefordert wird. Chamisso meinte, wenn man dem Kerl ein gutes Wort gäbe, würde er auch noch Pferde und Wagen aus der Tasche ziehen. Nun war der Schlemihl fertig“ - der, ebenfalls laut Goedeke, ein jüdisches Wort ist und Unstern, Pechvogel bedeutet. Man sieht also, dass es sich ursprünglich um ein bloßes Spiel mit lustigen Einfällen handelte, und noch aus dem Einfall Schlemihls, sich einen Schlagschatten statt des verlorenen malen lassen zu wollen, aus seinen Ausreden, der Schatten sei ihm in Russland an den Boden gefroren zurückgeblieben, oder es sei ihm Jemand ungeschickt daraus getreten, so dass er ihn habe in Reparatur geben müssen, oder es seien ihm in einer Krankheit Haare, Nägel und Schatten ausgegangen, aus diesen Schnurren klingt noch immer das Gelächter der beiden Freunde nach, mit welchem sie sich das „Unglück“ und dessen etwaige Vertuschung „ausmalten“. Die tiefinnige Dichtung, die aus diesem drolligen Spiel erwachsen ist, leidet etwas an den Zufälligkeiten ihres Ursprungs, sofern man sich immer wieder ein wenig zum poetischen Glauben zwingen muss, und das umso mehr, als die Erzählung zwischen Allegorie und Märchen schwankt, ohne völlig eines von beiden zu sein. Doch bricht die Dichtung in ihrer Einfachheit so mächtig wirkend durch, dass alle derartige Bedenken schwinden, und die seelenvolle Wendung im Schlemihlio lässt auch den hartnäckigsten Verstand die Frage, ob ein Mensch sich seines Schattens entäußern könne, vergessen. Man hat über die Bedeutung dieses Gedankens, den der Dichter selbst nur leicht und scherzhaft erörtert, viel gestritten, ohne Erfolg, weil echte Poesie sich zu keiner erschöpfenden prosaischen Auslegung hergibt. Zweifellos ist es, dass Chamisso in der Person Schlemihls sich selbst mit seiner gewohnten schwarzen Kurtka geschildert hat; und da liegt es denn sehr nahe, den Menschen ohne Vaterland und Existenz, der er Anno 13 war, mit einem Menschen ohne Schatten zu vergleichen, nur dass diese dürftige Allegorie entfernt nicht hinreicht, der Dichtung auf den Grund zu kommen. Varnhagen versprach, allerlei sonstige persönliche Beziehungen, die der Dichter hineingeheimnisset habe, mit der Zeit enthüllen zu wollen, aber er hat dies unseres Wissens nicht getan. Und zu was würde es auch helfen, ein schönes Ganzes in mehr oder minder gleichgültige Einzelheiten zu zerreißen? Überdies kann man mit derlei Deutungen gewaltig fehl gehen. Wer mit Chamissos Regesten nicht bekannt ist, wird alsbald den gelungensten Nachweis führen können, dass unter Schlemihl dem Naturforscher, der mit seinen Siebenmeilenstiefeln die Welt umgeht, Niemand anderes gemeint sei, als Chamisso der Naturforscher, der auf schnellem Schiff die Welt umsegelt: nur ist dem Dichter dieser Wunsch, den er so teuer bezahlen sollte, erst drei Jahre nach Abfassung des Schlemihl erfüllt worden, und aus der vermeinten Allegorie wird eine unbewusste Prophezeiung, also nur eben wieder ein Stückchen Poesie weiter. Dass aber in dieser Erzählung das äußere und innere Leben eines Menschen, und dazu eines unvergänglich teuren Menschen, abgespiegelt wird, das eben gibt ihr etwas wesentlich Novellistisches.

Dennoch sind wir uns herzhaft bewusst, durch ihre Aufnahme das herkommensrechtliche Gebiet der Novellistik zu überschreiten. Allein bei Licht betrachtet haben wir das gleich zu Beginn unserer Sammlung in noch weit höherem Grade getan. Denn die „Neue Melusine“ ist ja trotz der Einkleidung in eine Rahmenerzählung weit mehr Märchen als Novelle: sie hat aber neben dem Märchenelement noch ein anderes, auf das wir damals hindeuteten, einen Anklang an persönliche Schicksale, wodurch wir uns berechtigt glaubten, sie neben dem Märchen zugleich als Novelle anzusprechen. Ein Tadel dieses Verfahrens ist uns nicht kund geworden. Und so wagen wir es denn auch mit Freund Schlemihl, da es sich hier um das berühmte Werk eines Dichters handelt, der sonst unter den Meistern prosaischer Erzählung unvertreten bliebe, indem wir die in diesem Falle kaum erforderliche Rechtfertigung künftigen ähnlichen Überschreitungen, deren wir uns schuldig machen dürsten, vorbehalten.

 

***

 

 

I.

Nach einer glücklichen, jedoch für mich sehr beschwerlichen Seefahrt, erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote ans Land kam, belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch das wimmelnde Volk mich drängend, ging ich in das nächste, geringste Haus hinein, vor welchem ich ein Schild hängen sah. Ich begehrte ein Zimmer, der Hausknecht maß mich mit einem Blick und führte mich unters Dach. Ich ließ mir frisches Wasser geben, und genau beschreiben, wo ich den Herrn Thomas John aufzusuchen habe: – "Vor dem Nordertor, das erste Landhaus zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von rot und weißem Marmor mit vielen Säulen." Gut. – Es war noch früh an der Zeit, ich schnürte sogleich mein Bündel auf, nahm meinen neu gewandten schwarzen Rock heraus, zog mich reinlich an in meine besten Kleider, steckte das Empfehlungsschreiben zu mir, und setzte mich alsbald auf den Weg zu dem Manne, der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen förderlich sein sollte.

Nachdem ich die lange Norderstraße hinaufgestiegen, und das Tor erreicht, sah ich bald die Säulen durch das Grüne schimmern – "also hier", dacht ich. Ich wischte den Staub von meinen Füßen mit meinem Schnupftuch ab, setzte mein Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel. Die Tür sprang auf. Auf dem Flur hatt' ich ein Verhör zu besteh'n, der Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre, in den Park gerufen zu werden, wo Herr John – mit einer kleinen Gesellschaft sich erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit. Er empfing mich sehr gut, – wie ein Reicher einen armen Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der übrigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den dargehaltenen Brief aus der Hand. – "So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von ihm gehört. Er ist doch gesund? – Dort", fuhr er gegen die Gesellschaft fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen Hügel, "dort lass ich das neue Gebäude aufführen." Er brach das Siegel auf und das Gespräch nicht ab, das sich auf den Reichtum lenkte. "Wer nicht Herr ist wenigstens einer Million", warf er hinein, "der ist, man verzeihe mir das Wort, ein Schuft!" – "Oh wie wahr!" rief ich aus mit vollem überströmenden Gefühl. Das musste ihm gefallen, er lächelte mich an und sagte: "Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hierzu denke", er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. – Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich passte, und man wallte dem rosenumblühten Hügel zu.

Ich schlich hinterher, ohne jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle dem vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Rätsel zu haben.

Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floss Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereignis brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde Englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hagerer, länglicher, ältlicher Mann, der neben mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schosstasche seines altfränkischen, grau-tafftenen Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus hervor, öffnete sie, und reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es ohne Aufmerksamkeit für den Geber und ohne Dank, die Wunde ward verbunden, und man ging weiter den Hügel hinan, von dessen Rücken man die weite Aussicht über das grüne Labyrinth des Parkes nach dem unermesslichen Ozean genießen wollte.

Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erschien am Horizont zwischen der dunklen Flut und der Bläue des Himmels. "Ein Fernrohr her!" rief John, und noch bevor das auf den Ruf erscheinende Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue Mann, bescheiden sich verneigend, die Hand schon in die Rocktasche gesteckt, daraus einen schönen Dollond hervorgezogen, und es dem Herrn John eingehändigt. Dieser, es sogleich an das Aug bringend, benachrichtigte die Gesellschaft, es sei das Schiff, das gestern ausgelaufen, und das widrige Winde im Angesicht des Hafens zurückhielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand, und nicht wieder in die des Eigentümers; ich aber sah verwundert den Mann an, und wusste nicht, wie die große Maschine aus der winzigen Tasche herausgekommen war; es schien aber niemandem aufgefallen zu sein, und man bekümmerte sich nicht mehr um den grauen Mann, als um mich selber.

Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller Zonen in den kostbarsten Gefäßen. Herr John machte die Honneurs mit leichtem Anstand und richtete da zum zweiten Mal ein Wort an mich: "Essen Sie nur; das haben Sie auf der See nicht gehabt." Ich verbeugte mich, aber er sah es nicht, er sprach schon mit jemand anderem.

Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des Hügels, der ausgespannten Landschaft gegenüber gelagert, hätte man die Feuchtigkeit der Erde nicht gescheut. Es wäre göttlich, meinte wer aus der Gesellschaft, wenn man türkische Teppiche hätte, sie hier auszubreiten. Der Wunsch war nicht so bald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demütiger Gebärde einen reichen, golddurchwirkten türkischen Teppich daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang, als müsse es so sein, und entfalteten ihn am begehrten Orte. Die Gesellschaft nahm ohne Umstände Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann, die Tasche, den Teppich an, der über zwanzig Schritte in der Länge und zehn in der Breite maß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich dazu denken sollte, besonders da niemand etwas Merkwürdiges darin fand.

Ich hätte gern Aufschluss über den Mann gehabt, und gefragt, wer er sei, nur wusst' ich nicht, an wen ich mich richten sollte, denn ich fürchtete mich fast noch mehr vor den Herren Bedienten, als vor den bedienten Herren. Ich fasste endlich ein Herz, und trat an einen jungen Mann heran, der mir von minderem Ansehen schien als die andern, und der öfter allein gestanden hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der gefällige Mann sei dort im grauen Kleide. – "Dieser, der wie ein Ende Zwirn aussieht? der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?" Ja, der allein steht – "den kenn ich nicht", gab er mir zur Antwort, und, wie es schien, eine längere Unterhaltung mit mir zu vermeiden, wandte er sich weg und sprach von gleichgültigen Dingen mit einem andern.

Die Sonne fing jetzt stärker zu scheinen an, und ward den Damen beschwerlich; die schöne Fanny richtete nachlässig an den grauen Mann, den, soviel ich weiß, noch niemand angeredet hatte, die leichtsinnige Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung, als widerfahre ihm eine unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk, kurz, alles, was zu dem prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen sah. Die jungen Herren halfen es ausspannen, und es überhing die ganze Ausdehnung des Teppichs – und keiner fand noch etwas Außerordentliches darin.

Mir war schon lang unheimlich, ja graulich zu Mute, wie ward mir vollends, als beim nächst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner Tasche drei Reitpferde, ich sage Dir, drei schöne, große Rappen mit Sattel und Zeug herausziehen sah! – denke Dir, um Gotteswillen! drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und alle dazu gehörigen Stangen und Eisen, herausgekommen waren! – Wenn ich Dir nicht beteuerte, es selbst mit eigenen Augen angesehen zu haben, würdest Du es gewiss nicht glauben.

So verlegen und demütig der Mann selbst zu sein schien, so wenig Aufmerksamkeit ihm auch die andern schenkten, so ward mir doch seine blasse Erscheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte, so schauerlich, dass ich sie nicht länger ertragen konnte.

Ich beschloss, mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein Leichtes schien. Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück beim Herrn John wieder versuchen, und, wenn ich den Mut dazu fände, ihn über den seltsamen grauen Mann befragen. – Wäre es mir nur so zu entkommen geglückt!

Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain, den Hügel hinab, glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durchs Gras gehend angetroffen zu werden, einen forschenden Blick um mich warf. – Wie erschrak ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wieder, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher, und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.

"Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst –" – "Aber um Gotteswillen, mein Herr!" brach ich in meiner Angst aus, "was kann ich für einen Mann tun, der –" wir stutzten beide, und wurden, wie mir dünkt, rot.

Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: "Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoss, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab ich, mein Herr, einige Mal – erlauben Sie, dass ich es Ihnen sage – wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?"

Er schwieg, und mir gings wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Was sollt ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? Er muss verrückt sein, dacht ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demut des seinigen besser passte, erwiderte ich also:

"Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem eignen Schatten genug? das heiß ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen Sorte." Er fiel sogleich wieder ein: "Ich hab in meiner Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen unschätzbaren Schatten halt ich den höchsten Preis zu gering."

Nun überfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward, und ich wusste nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen können. Ich nahm wieder das Wort, und suchte es, wo möglich, mit unendlicher Höflichkeit wieder gut zu machen.

"Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Knecht. Ich verstehe wohl Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt ich nur meinen Schatten – –" Er unterbrach mich: "Ich erbitte mir nur dero Erlaubnis, hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu dürfen und zu mir zu stecken; wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, überlasse ich ihm die Wahl unter allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir führe: die echte Springwurzel, die Alraunwurzel, Wechselpfennige, Raubtaler, das Tellertuch von Rolands Knappen, ein Galgenmännlein zu beliebigem Preis; doch, das wird wohl nichts für Sie sein: besser, Fortunati Wünschhütlein, neu und haltbar wieder restauriert; auch ein Glücksseckel, wie der seine gewesen." – "Fortunati Glücksseckel", fiel ich ihm in die Rede, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit dem einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen. Ich bekam einen Schwindel, und es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen.

"Belieben gnädigst der Herr diesen Seckel zu besichtigen und zu erproben." Er steckte die Hand in die Tasche und zog einen mäßig großen, festgenähten Beutel, von starkem Korduanleder, an zwei tüchtigen ledernen Schnüren heraus und händigte mir selbigen ein. Ich griff hinein, und zog zehn Goldstücke daraus, und wieder zehn, und wieder zehn, und wieder zehn; ich hielt ihm schnell die Hand hin: "Topp! der Handel gilt, für den Beutel haben Sie meinen Schatten." Er schlug ein, kniete dann ungesäumt vor mir nieder, und mit einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen Füßen, leise von dem Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten, und zuletzt einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor mir, und zog sich dann nach dem Rosengebüsche zurück. Mir dünkt', ich hörte ihn da leise für sich lachen. Ich aber hielt den Beutel bei den Schnüren fest, rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch keine Besinnung.

 

II.

 

Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, diesen Ort zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu tun hatte. Ich füllte erst meine Taschen mit Gold, dann band ich mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest, und verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die Landstraße, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem Tore zu ging, hört ich hinter mir schreien: "Junger Herr! he! junger Herr! hören Sie doch!" – Ich sah mich um, ein altes Weib rief mir nach: "Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren." – "Danke, Mütterchen!" ich warf ihr ein Goldstück für den wohlgemeinten Rat hin, und trat unter die Bäume.

Am Tor musst ich gleich wieder von der Schildwacht hören: "Wo hat der Herr seinen Schatten gelassen?" und gleich wieder darauf von ein paar Frauen: "Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!" Das fing an mich zu verdrießen, und ich vermied sehr sorgfältig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht überall an, zum Beispiel nicht über die Breitestraße, die ich zunächst durchkreuzen musste, und zwar, zu meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg, dass mir ein Schatten fehle. Er verriet mich mit großem Geschrei der sämtlichen literarischen Straßenjugend der Vorstadt, welche sofort mich zu rezensieren und mit Kot zu bewerfen anfing: "Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wenn sie in die Sonne gingen." Um sie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Händen unter sie, und sprang in einen Mietswagen, zu dem mir mitleidige Seelen verhalfen.

Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es musste schon die Ahnung in mir aufsteigen: dass, umso viel das Gold auf Erden Verdienst und Tugend überwiegt, umso viel der Schatten höher als selbst das Gold geschätzt werde; und wie ich früher den Reichtum meinem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den Schatten für bloßes Gold hingegeben; was konnte, was sollte auf Erden aus mir werden!

Ich war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem alten Wirtshause hielt; ich erschrak über die Vorstellung, nur noch jenes schlechte Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing den ärmlichen Bündel mit Verachtung, warf einige Goldstücke hin, und befahl, vor das vornehmste Hotel vorzufahren. Das Haus war gegen Norden gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fürchten. Ich schickte den Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vorn heraus anweisen, und verschloss mich darin, sobald ich konnte.

Was denkest Du, das ich nun anfing? – Oh mein lieber Chamisso, selbst vor Dir es zu gestehen, macht mich erröten. Ich zog den unglücklichen Seckel aus meiner Brust hervor, und mit einer Art Wut, die, wie eine flackernde Feuersbrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich, und schritt darüber hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz an dem Glanze, an dem Klange weidend, immer des Metalls mehr zu dem Metalle, bis ich ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend darin wühlte, mich darüber wälzte. So verging der Tag, der Abend, ich schloss meine Tür nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde, und darauf übermannte mich der Schlaf.

Da träumt' es mir von Dir, es ward mir, als stünde ich hinter der Glastüre Deines kleinen Zimmers, und sähe Dich von da an Deinem Arbeitstische zwischen einem Skelet und einem Bunde getrockneter Pflanzen sitzen, vor Dir waren Haller, Humboldt und Linné aufgeschlagen, auf Deinem Sofa lagen ein Band Goethe und der "Zauberring", ich betrachtete Dich lange und jedes Ding in Deiner Stube, und dann Dich wieder, Du rührtest Dich aber nicht, Du holtest auch nicht Atem, Du warst tot.

Ich erwachte. Es schien noch sehr früh zu sein. Meine Uhr stand. Ich war wie zerschlagen, durstig und hungrig auch noch; ich hatte seit dem vorigen Morgen nichts gegessen. Ich stieß von mir mit Unwillen und Überdruss dieses Gold, an dem ich kurz vorher mein törichtes Herz gesättigt; nun wusst' ich verdrießlich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es durfte nicht so liegen bleiben – ich versuchte, ob es der Beutel wieder verschlingen wollte – Nein. Keines meiner Fenster öffnete sich über die See. Ich musste mich bequemen, es mühsam und mit saurem Schweiß zu einem großen Schrank, der in einem Kabinett stand, zu schleppen, und es darin zu verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da liegen. Nachdem ich mit der Arbeit fertig geworden, legt ich mich erschöpft in einen Lehnstuhl, und erwartete, dass sich Leute im Hause zu regen anfingen. Ich ließ, sobald es möglich war, zu essen bringen und den Wirt zu mir kommen.

Ich besprach mit diesem Manne die künftige Einrichtung meines Hauses. Er empfahl mir für den näheren Dienst um meine Person einen gewissen Bendel, dessen treue und verständige Physiognomie mich gleich gewann. Derselbe wars, dessen Anhänglichkeit mich seither tröstend durch das Elend des Lebens begleitete und mir mein düsteres Los ertragen half. Ich brachte den ganzen Tag auf meinen Zimmern mit herrenlosen Knechten, Schustern, Schneidern und Kaufleuten zu, ich richtete mich ein, und kaufte besonders sehr viele Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur etwas des vielen aufgespeicherten Goldes loszuwerden; es schien mir aber gar nicht, als könne der Haufen sich vermindern.

Ich schwebte indes über meinen Zustand in den ängstigendsten Zweifeln. Ich wagte keinen Schritt aus meiner Tür und ließ abends vierzig Wachskerzen in meinem Saal anzünden, bevor ich aus dem Dunkel heraus kam. Ich gedachte mit Grauen des fürchterlichen Auftrittes mit den Schulknaben. Ich beschloss, so viel Mut ich auch dazu bedurfte, die öffentliche Meinung noch einmal zu prüfen. – Die Nächte waren zu der Zeit mondhell. Abends spät warf ich einen weiten Mantel um, drückte mir den Hut tief in die Augen, und schlich, zitternd wie ein Verbrecher, aus dem Hause. Erst auf einem entlegenen Platz trat ich aus dem Schatten der Häuser, in deren Schutz ich so weit gekommen war, an das Mondeslicht hervor; gefasst, mein Schicksal aus dem Munde der Vorübergehenden zu vernehmen.

Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wiederholung alles dessen, was ich erdulden musste. Die Frauen bezeugten oft das tiefste Mitleid, das ich ihnen einflößte; Äußerungen, die mir die Seele nicht minder durchbohrten, als der Hohn der Jugend und die hochmütige Verachtung der Männer, besonders solcher dicken, wohlbeleibten, die selbst einen breiten Schatten warfen. Ein schönes, holdes Mädchen, die, wie es schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedächtig nur vor ihre Füße sahen, wandte von ungefähr ihr leuchtendes Auge auf mich; sie erschrak sichtbarlich, da sie meine Schattenlosigkeit bemerkte, verhüllte ihr schönes Antlitz in ihren Schleier, ließ den Kopf sinken, und ging lautlos vorüber.

Ich ertrug es länger nicht. Salzige Ströme brachen aus meinen Augen, und mit durchschnittenem Herzen zog ich mich schwankend ins Dunkel zurück. Ich musste mich an den Häusern halten, um meine Schritte zu sichern, und erreichte langsam und spät meine Wohnung.

Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am andern Tage war meine erste Sorge, nach dem Manne im grauen Rocke überall suchen zu lassen. Vielleicht sollte es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie glücklich! wenn ihn, wie mich, der törichte Handel gereuen sollte. Ich ließ Bendel vor mich kommen, er schien Gewandtheit und Geschick zu besitzen, – ich schilderte ihm genau den Mann, in dessen Besitz ein Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual sei. Ich sagte ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn gesehen; beschrieb ihm alle, die zugegen gewesen, und fügte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich nach einem Dollondschen Fernrohr, nach einem golddurchwirkten türkischen Teppich, nach einem Prachtlustzelt, und endlich nach den schwarzen Reithengsten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu bestimmen wie, mit der des rätselhaften Mannes zusammenhänge, welcher allen unbedeutend geschienen, und dessen Erscheinung die Ruhe und das Glück meines Lebens zerstört hatte.

Wie ich ausgeredet, holt ich Gold her, eine Last, wie ich sie nur zu tragen vermochte, und legte Edelsteine und Juwelen noch hinzu für einen größeren Wert. "Bendel", sprach ich, "dieses ebnet viele Wege und macht vieles leicht, was unmöglich schien; sei nicht karg damit, wie ich es nicht bin, sondern geh, und erfreue deinen Herrn mit Nachrichten, auf denen seine alleinige Hoffnung beruht."

Er ging. Spät kam er und traurig zurück. Keiner von den Leuten des Herrn John, keiner von seinen Gästen, er hatte alle gesprochen, wusste sich nur entfernt an den Mann im grauen Rocke zu erinnern. Der neue Teleskop war da, und keiner wusste, wo er hergekommen; der Teppich, das Zelt waren da noch auf demselben Hügel ausgebreitet und aufgeschlagen, die Knechte rühmten den Reichtum ihres Herrn, und keiner wusste, von wannen diese neuen Kostbarkeiten ihm zugekommen. Er selbst hatte sein Wohlgefallen daran, und ihn kümmerte es nicht, dass er nicht wisse, woher er sie habe; die Pferde hatten die jungen Herren, die sie geritten, in ihren Ställen, und sie priesen die Freigebigkeit des Herrn John, der sie ihnen an jenem Tage geschenkt. So viel erhellte aus der ausführlichen Erzählung Bendels, dessen rascher Eifer und verständige Führung, auch bei so fruchtlosem Erfolge, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm düster, mich allein zu lassen.

"Ich habe", hub er wieder an, "meinem Herrn Bericht abgestattet über die Angelegenheit, die ihm am wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag auszurichten, den mir heute früh jemand gegeben, welchem ich vor der Tür begegnete, da ich zu dem Geschäfte ausging, wo ich so unglücklich gewesen. Die eigenen Worte des Mannes waren: ›Sagen Sie dem Herrn Peter Schlemihl, er würde mich hier nicht mehr sehen, da ich übers Meer gehe, und ein günstiger Wind mich so eben nach dem Hafen ruft. Aber über Jahr und Tag werde ich die Ehre haben, ihn selber aufzusuchen und ein anderes, ihm dann vielleicht annehmliches Geschäft vorzuschlagen. Empfehlen Sie mich ihm untertänigst, und versichern ihn meines Dankes.‹ Ich fragte ihn, wer er wäre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon."

"Wie sah der Mann aus?" rief ich voller Ahnung. Und Bendel beschrieb mir den Mann im grauen Rocke Zug für Zug, Wort für Wort, wie er getreu in seiner vorigen Erzählung des Mannes erwähnt, nach dem er sich erkundigt.

"Unglücklicher!" schrie ich händeringend, "das war er ja selbst!" und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. – "Ja, er war es, war es wirklich!" rief er erschreckt aus, "und ich Verblendeter, Blödsinniger habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt und meinen Herrn verraten!"

Er brach, heiß weinend, in die bittersten Vorwürfe gegen sich selber aus, und die Verzweiflung, in der er war, musste mir selber Mitleiden einflößen. Ich sprach ihm Trost ein, versicherte ihn wiederholt, ich setzte keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo möglich, die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen. Aber an diesem selben Morgen waren sehr viele Schiffe, die widrige Winde im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle nach anderen Weltstrichen, alle nach anderen Küsten bestimmt, und der graue Mann war spurlos wie ein Schatten verschwunden.

 

III.

 

Was helfen Flügel dem in eisernen Ketten fest Angeschmiedeten? Er müsste dennoch, und schrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Faffner bei seinem Hort, fern von jedem menschlichen Zuspruch, bei meinem Golde darbend, aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, sondern ich fluchte ihm, um dessentwillen ich mich von allem Leben abgeschnitten sah. Bei mir allein mein düsteres Geheimnis hegend, fürchtete ich mich vor dem letzten meiner Knechte, den ich zugleich beneiden musste; denn er hatte einen Schatten, er durfte sich sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte einsam in meinen Zimmern die Tag' und Nächte, und Gram zehrte an meinem Herzen.

Noch einer härmte sich unter meinen Augen ab, mein treuer Bendel hörte nicht auf, sich mit stillen Vorwürfen zu martern, dass er das Zutrauen seines gütigen Herrn betrogen, und jenen nicht erkannt, nach dem er ausgeschickt war, und mit dem er mein trauriges Schicksal in enger Verflechtung denken musste. Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich erkannte in dem Ereignis die fabelhafte Natur des Unbekannten.

Nichts unversucht zu lassen, schickt ich einst Bendel mit einem kostbaren brillantenen Ring zu dem berühmtesten Maler der Stadt, den ich, mich zu besuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute, verschloss die Tür, setzte mich zu dem Mann, und, nachdem ich seine Kunst gepriesen, kam ich mit schwerem Herzen zur Sache, ich ließ ihn zuvor das strengste Geheimnis geloben.

"Herr Professor", fuhr ich fort, "könnten Sie wohl einem Menschen, der auf die unglücklichste Weise von der Welt um seinen Schatten gekommen ist, einen falschen Schatten malen?" – – "Sie meinen einen Schlagschatten?" – "Den mein ich allerdings." – "Aber", fragte er mich weiter, "durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren?" – "Wie es kam", erwiderte ich, "mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel", log ich ihm unverschämt vor: "In Russland, wo er im vorigen Winter eine Reise tat, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, dass er ihn nicht wieder los bekommen konnte."

"Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte", erwiderte der Professor, "würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müsste, – zumal wer an dem eignen angeborenen Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen lässt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste." Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück, und verhüllte mein Gesicht in meine Hände.

So fand mich noch Bendel, als er herein trat. Er sah den Schmerz seines Herrn, und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. – Ich blickte auf – ich erlag unter der Last meines Kummers, ich musste ihn mitteilen. "Bendel", rief ich ihm zu, "Bendel! Du Einziger, der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Goldes hab ich vor dir nicht verschlossen, nicht verschließen will ich vor dir die Schätze meines Grames. – Bendel, verlasse mich nicht. Bendel, du siehst mich reich, freigebig, gütig, du wähnst, es sollte die Welt mich verherrlichen, und du siehst mich die Welt fliehen und mich vor ihr verschließen. Bendel, sie hat gerichtet, die Welt, und mich verstoßen, und auch du vielleicht wirst dich von mir wenden, wenn du mein schreckliches Geheimnis erfährst: Bendel, ich bin reich, freigebig, gütig, aber – oh Gott! – ich habe keinen Schatten!"

"Keinen Schatten?" rief der gute Junge erschreckt aus, und die hellen Tränen stürzten ihm aus den Augen. – "Weh mir, dass ich geboren ward, einem schattenlosen Herrn zu dienen!" Er schwieg, und ich hielt mein Gesicht in meinen Händen.

"Bendel", setzt ich spät und zitternd hinzu, "nun hast du mein Vertrauen, nun kannst du es verraten. Geh hin und zeuge wider mich." – Er schien in schwerem Kampfe mit sich selber, endlich stürzte er vor mir nieder und ergriff meine Hand, die er mit seinen Tränen benetzte. "Nein", rief er aus, "was die Welt auch meine, ich kann und werde um Schattens willen meinen gütigen Herrn nicht verlassen, ich werde recht, und nicht klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit Ihnen weinen." Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher ungewohnten Gesinnung staunend; denn ich war von ihm überzeugt, dass er es nicht um Gold tat.

Seitdem änderten sich in etwas mein Schicksal und meine Lebensweise. Es ist unbeschreiblich, wie vorsorglich Bendel mein Gebrechen zu verhehlen wusste. Überall war er vor mir und mit mir, alles vorhersehend, Anstalten treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell mit seinem Schatten überdeckend, denn er war größer und stärker als ich. So wagt ich mich wieder unter die Menschen, und begann eine Rolle in der Welt zu spielen. Ich musste freilich viele Eigenheiten und Launen scheinbar annehmen. Solche stehen aber dem Reichen gut, und solange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoss ich aller der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich sah ruhiger dem über Jahr und Tag verheißenen Besuch des rätselhaften Unbekannten entgegen.

Ich fühlte sehr wohl, dass ich mich nicht lange an einem Ort aufhalten durfte, wo man mich schon ohne Schatten gesehen, und wo ich leicht verraten werden konnte; auch dacht ich vielleicht nur allein noch daran, wie ich mich bei Herrn John gezeigt, und es war mir eine drückende Erinnerung, demnach wollt ich hier bloß Probe halten, um anderswo leichter und zuversichtlicher auftreten zu können – doch fand sich, was mich eine Zeitlang an meiner Eitelkeit festhielt: das ist im Menschen, wo der Anker am zuverlässigsten Grund fasst.

Eben die schöne Fanny, der ich am dritten Ort wieder begegnete, schenkte mir, ohne sich zu erinnern, mich jemals gesehen zu haben, einige Aufmerksamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Verstand. – Wenn ich redete, hörte man zu, und ich wusste selber nicht, wie ich zu der Kunst gekommen war, das Gespräch so leicht zu führen und zu beherrschen. Der Eindruck, den ich auf die Schöne gemacht zu haben einsah, machte aus mir, was sie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr seither mit tausend Mühen durch Schatten und Dämmerung, wo ich nur konnte. Ich war nur eitel darauf, sie über mich eitel zu machen, und konnte mir, selbst mit dem besten Willen, nicht den Rausch aus dem Kopf ins Herz zwingen.

Aber wozu die ganz gemeine Geschichte Dir lang und breit wiederholen? – Du selber hast sie mir oft genug von andern Ehrenleuten erzählt. – Zu dem alten, wohlbekannten Spiele, worin ich gutmütig eine abgedroschene Rolle übernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Katastrophe hinzu, mir und ihr und allen unerwartet.

Da ich an einem schönen Abend nach meiner Gewohnheit eine Gesellschaft in einem Garten versammelt hatte, wandelte ich mit der Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung von den übrigen Gästen, und bemühte mich, ihr Redensarten vorzudrechseln. Sie sah sittig vor sich nieder und erwiderte leise den Druck meiner Hand; da trat unversehens hinter uns der Mond aus den Wolken hervor und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, dass ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.