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Im Herbst 1843 reist Heinrich Heine von Paris nach Hamburg. Unzufrieden mit den politischen Zuständen in seiner Heimat und seiner persönlichen Situation als Deutscher und Jude, verfasst er eine Anklageschrift gegen Zensur, Militarismus und Restauration, die 1844 im Verlag Hoffmann & Campe erscheint. Schon im gleichen Jahr wird »Deutschland. Ein Wintermärchen« in Preußen verboten und beschlagnahmt – doch umso höher schlugen die Wellen. Dass Heines »Wintermärchen« Bedeutung bis in die Gegenwart hat, stellt Thomas Rosenlöcher in seinem hochgelobten Nachwort fest, denn: »Heines Gedicht weiß mehr, als Heine ahnen konnte.«
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2012
Im Herbst 1843 reist Heinrich Heine von Paris nach Hamburg. Unzufrieden mit den politischen Zuständen in seiner Heimat und seiner persönlichen Situation als Deutscher und Jude, verfaßt er eine Anklageschrift gegen Zensur, Militarismus und Restauration, die 1844 im Verlag Hoffmann & Campe erscheint. Schon im gleichen Jahr wird Deutschland. Ein Wintermärchen in Preußen verboten und beschlagnahmt – doch um so höher schlugen die Wellen.
Daß Heines Wintermärchen Bedeutung bis in die Gegenwart hat, stellt Thomas Rosenlöcher in seinem hochgelobten Nachwort fest, denn: »Immer noch hat sein Aufmüpfigkeits-Ich einen gewissen Ansteckungscharakter.«
Heinrich Heine, 1797 als Sohn jüdischer Eltern in Düsseldorf geboren, arbeitete nach seinem Jurastudium als Journalist und Schriftsteller. 1831 ging er nach Paris ins Exil, einige Jahre später wurden seine Werke in Deutschland verboten. Er starb 1856 in Paris.
Zuletzt erschienen im insel taschenbuch: Heinrich Heine für Boshafte (it 3273), Heine für Kinder (it 3322), Liebesgedichte (it 2822).
Heinrich Heine
Deutschland.Ein Wintermärchen
Mit einem Nachwortvon Thomas Rosenlöcher
Umschlagfoto: Alison Shaw/Corbis
eBook Insel Verlag Berlin 2013
© dieser Ausgabe Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2005
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
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Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes
Umschlaggestaltung: bürosüd, München
Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
eISBN 978-3-458-79530-8
Deutschland. Ein Wintermärchen
Anmerkungen
Nachwort
Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war. Ich unterließ nicht, schon gleich zu mildern und auszuscheiden, was mit dem deutschen Klima unverträglich schien. Nichtsdestoweniger, als ich das Manuskript im Monat März an meinen Verleger nach Hamburg schickte, wurden mir noch mannigfache Bedenklichkeiten in Erwägung gestellt. Ich mußte mich dem fatalen Geschäfte des Umarbeitens nochmals unterziehen, und da mag es wohl geschehen sein, daß die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden. Einigen nackten Gedanken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenblätter wieder abgerissen, und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht verletzt. Es ist mir leid, aber ich tröste mich mit dem Bewußtsein, daß größere Autoren sich ähnliche Vergehen zu Schulden kommen ließen. Des Aristophanes will ich zu solcher Beschönigung gar nicht erwähnen, denn der war ein blinder Heide, und sein Publikum zu Athen hatte zwar eine klassische Erziehung genossen, wußte aber wenig von Sittlichkeit. Auf Cervantes und Molière könnte ich mich schon viel besser berufen; und ersterer schrieb für den hohen Adel beider Kastilien, letzterer für den großen König und den großen Hof von Versailles! Ach, ich vergesse, daß wir in einer sehr bürgerlichen Zeit leben, und ich sehe leider voraus, daß viele Töchter gebildeter Stände an der Spree, wo nicht gar an der Alster, über mein armes Gedicht die mehr oder minder gebogenen Näschen rümpfen werden! Was ich aber mit noch größerem Leidwesen voraussehe, das ist das Zeter jener Pharisäer der Nationalität, die jetzt mit den Antipathien der Regierungen Hand in Hand gehen, auch die volle Liebe und Hochachtung der Zensur genießen und in der Tagespresse den Ton angeben können, wo es gilt, jene Gegner zu befehden, die auch zugleich die Gegner ihrer allerhöchsten Herrschaften sind. Wir sind im Herzen gewappnet gegen das Mißfallen dieser heldenmütigen Lakaien in schwarz-rot-goldner Livree. Ich höre schon ihre Bierstimmen: du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst! Beruhigt Euch. Ich werde Eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt Euch, ich liebe das Vaterland eben so sehr, wie Ihr. Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exile verlebt, und wegen eben dieser Liebe kehre ich wieder zurück ins Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder eine schiefmäulige Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind, und weil ich selber nicht so dumm oder so schlecht bin, als daß ich wünschen sollte, daß meine Deutschen und die Franzosen, die beiden auserwählten Völker der Humanität, sich die Hälse brächen zum Besten von England und Rußland und zur Schadenfreude aller Junker und Pfaffen dieses Erdballs. Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußerliches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheins noch weit freierer Sohn, an seinem Ufer stand meine Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgend einem Andern gehören soll als den Landeskindern. Elsaß und Lothringen kann ich freilich dem deutschen Reiche nicht so leicht einverleiben, wie Ihr es tut, denn die Leute in jenen Landen hängen fest an Frankreich wegen der Rechte, die sie durch die französische Staatsumwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien Institutionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Magen der großen Menge dennoch Vieles zu wünschen übrig lassen. Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten Folgerungen desselben emporschwingen, wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihrem letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen, und wie wir es wollen, wir, die Jünger – ja, nicht bloß Elsaß und Lothringen, sondern ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden! Von dieser Sendung und Universalherrschaft Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter Eichen wandle. Das ist mein Patriotismus.
Ich werde in einem nächsten Buche auf dieses Thema zurückkommen, mit letzter Entschlossenheit, mit strenger Rücksichtslosigkeit, jedenfalls mit Loyalität. Den entschiedensten Widerspruch werde ich zu achten wissen, wenn er aus einer Überzeugung hervorgeht. Selbst der rohesten Feindseligkeit will ich alsdann geduldig verzeihen; ich will sogar der Dummheit Rede stehen, wenn sie nur ehrlich gemeint ist. Meine ganze schweigende Verachtung widme ich hingegen dem gesinnungslosen Wichte, der aus leidiger Scheelsucht oder unsauberer Privatgiftigkeit meinen guten Leumund in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen sucht, und dabei die Maske des Patriotismus, wo nicht gar die der Religion und der Moral, benutzt. Der anarchische Zustand der deutschen politischen und literarischen Zeitungsblätterwelt, ward in solcher Beziehung zuweilen mit einem Talente ausgebeutet, das ich schier bewundern mußte. Wahrhaftig; Schufterle ist nicht tot, er lebt noch immer und steht seit Jahren an der Spitze einer wohlorganisierten Bande von literarischen Strauchdieben, die in den böhmischen Wäldern unserer Tagespresse ihr Wesen treiben, hinter jedem Busch, hinter jedem Blatt versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres würdigen Hauptmanns gehorchen.
Noch ein Wort. Das Wintermärchen bildet den Schluß der »Neuen Gedichte«, die in diesem Augenblick bei Hoffmann und Campe erscheinen. Um den Einzeldruck veranstalten zu können, mußte mein Verleger das Gedicht den überwachenden Behörden zu besonderer Sorgfalt überliefern, und neue Varianten und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren Kritik. –
Hamburg, den 17. September 1844
Heinrich Heine
Im traurigen Monat November wars,Die Tage wurden trüber,Der Wind riß von den Bäumen das Laub,Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,Da fühlt ich ein stärkeres KlopfenIn meiner Brust, ich glaube sogarDie Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,Da ward mir seltsam zu Mute;Ich meinte nicht anders, als ob das HerzRecht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.Sie sang mit wahrem GefühleUnd falscher Stimme, doch ward ich sehrGerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,Aufopfrung und WiederfindenDort oben, in jener besseren Welt,Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,Von Freuden, die bald zerronnen,Vom Jenseits, wo die Seele schwelgtVerklärt in ewgen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,Das Eiapopeia vom Himmel,Womit man einlullt, wenn es greint,Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,Ich kenn auch die Herren Verfasser;Ich weiß, sie tranken heimlich WeinUnd predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,O Freunde, will ich Euch dichten!Wir wollen hier auf Erden schonDas Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,Und wollen nicht mehr darben;Verschlemmen soll nicht der faule BauchWas fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genugFür alle Menschenkinder,Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,Sobald die Schoten platzen!Den Himmel überlassen wirDen Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,So wollen wir Euch besuchenDort oben, und wir, wir essen mit EuchDie seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,Es klingt wie Flöten und Geigen!Das Miserere ist vorbei,Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobtMit dem schönen GeniusseDer Freiheit, sie liegen einander im Arm,Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,Die Ehe wird gültig nicht minder –Es lebe Bräutigam und Braut,Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitskarmen ist mein Lied,Das bessere, das neue!In meiner Seele gehen aufDie Sterne der höchsten Weihe –
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,Zerfließen in Flammenbächen –Ich fühle mich wunderbar erstarkt,Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutsche Erde trat,Durchströmen mich Zaubersäfte –Der Riese hat wieder die Mutter berührt,Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.
Während die Kleine von HimmelslustGetrillert und musizieret,Ward von den preußischen DouaniersMein Koffer visitieret.
Beschnüffelten Alles, kramten herumIn Hemden, Hosen, Schnupftüchern;Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,Auch nach verbotenen Büchern.
Ihr Toren, die Ihr im Koffer sucht!Hier werdet Ihr nichts entdecken!Die Contrebande, die mit mir reist,Die hab ich im Kopfe stecken.
Hier hab ich Spitzen, die feiner sindAls die von Brüssel und Mecheln,Und pack ich einst meine Spitzen aus,Sie werden euch sticheln und hecheln.
Im Kopfe trage ich Bijouterien,Der Zukunft Krondiamanten,Die Tempelkleinodien des neuen Gotts,Des großen Unbekannten.
Und viele Bücher trag ich im Kopf!Ich darf es Euch versichern,Mein Kopf ist ein zwitscherndes VogelnestVon konfiszierlichen Büchern.
Glaubt mir, in Satans BibliothekKann es nicht schlimmere geben;Sie sind gefährlicher noch als dieVon Hoffmann von Fallersleben! –
Ein Passagier, der neben mir stand,Bemerkte mir, ich hätteJetzt vor mir den preußischen Zollverein,Die große Douanenkette.
»Der Zollverein« – bemerkte er –»Wird unser Volkstum begründen,Er wird das zersplitterte VaterlandZu einem Ganzen verbinden.
»Er gibt die äußere Einheit uns,Die sogenannt materielle;Die geistige Einheit gibt uns die Zensur,Die wahrhaft ideelle –
»Sie gibt die innere Einheit uns,Die Einheit im Denken und Sinnen;Ein einiges Deutschland tut uns not,Einig nach Außen und Innen.«
Zu Aachen, im alten Dome, liegtCarolus Magnus begraben.(Man muß ihn nicht verwechseln mit KarlMayer, der lebt in Schwaben.)
Ich möchte nicht tot und begraben seinAls Kaiser zu Aachen im Dome;Weit lieber lebt ich als kleinster PoetZu Stukkert am Neckarstrome.
Zu Aachen langweilen sich auf der StraßDie Hunde, sie flehn untertänig:Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wirdVielleicht uns zerstreuen ein wenig.
Ich bin in diesem langweilgen NestEin Stündchen herumgeschlendert.Sah wieder preußisches Militär,Hat sich nicht sehr verändert.
Es sind die grauen Mäntel nochMit dem hohen, roten Kragen –(Das Rot bedeutet Franzosenblut,Sang Körner in früheren Tagen.)
Noch immer das hölzern pedantische Volk,Noch immer ein rechter WinkelIn jeder Bewegung, und im GesichtDer eingefrorene Dünkel.
Sie stelzen noch immer so steif herum,So kerzengerade geschniegelt,Als hätten sie verschluckt den Stock,Womit man sie einst geprügelt.
Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie,Sie tragen sie jetzt im Innern;Das trauliche Du wird immer nochAn das alte Er erinnern.
Der lange Schnurrbart ist eigentlich nurDes Zopftums neuere Phase:Der Zopf, der ehmals hinten hing,Der hängt jetzt unter der Nase.
Nicht übel gefiel mir das neue KostümDer Reuter, das muß ich loben,Besonders die Pickelhaube, den Helm,Mit der stählernen Spitze nach oben.
Das ist so rittertümlich und mahntAn der Vorzeit holde Romantik,An die Burgfrau Johanna von Montfaucon,An den Freiherrn Fouqué, Uhland, Tieck.
Das mahnt an das Mittelalter so schön,An Edelknechte und Knappen,Die in dem Herzen getragen die TreuUnd auf dem Hintern ein Wappen.
Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,An Minne und frommes Dienen,An die ungedruckte Glaubenszeit,Wo noch keine Zeitung erschienen.