Diabolic – Mit Rache besiegelt - S.J. Kincaid - E-Book

Diabolic – Mit Rache besiegelt E-Book

S.J. Kincaid

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Beschreibung

Der lang erwartete Abschluss der Diabolic-Reihe! Achtung: Der Klappentext enthält Spoiler für den zweiten Band. Zum Entsetzen der gesamten Galaxie hat Tyrus Domitrian vor drei Jahren die Frau getötet, der er ewige Liebe geschworen hatte. Die Frau, für die er das Imperium auf den Kopf gestellt hat. Die Frau, mit der er eine bessere Zukunft für alle aufbauen wollte. Inzwischen hat sich der früher so idealistische Thronerbe in den grausamen Herrscher Tyrus verwandelt. Er regiert mit eiserner Hand. Ein Wort von ihm reicht, um Planeten zu zerstören, und er kontrolliert alle technischen Anlagen mit der Kraft seiner Gedanken. Doch bei den Menschen im Überschuss gibt es Gerede. Sie sagen, dass Nemesis nicht wirklich gestorben ist. Sie flüstern, dass ihr Schatten in fernen Sternensystemen gesehen wurde. Sie behaupten, dass Nemesis lebt! Dass sie sich wieder erheben und gemeinsam mit ihnen den Mann stürzen wird, der einst ihre einzig wahre Liebe war – und heute ihr erbittertster Feind ist.

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Seitenzahl: 556

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S.J. KINCAID

DIABOLIC

MIT RACHE BESIEGELT

Aus dem Amerikanischen von Hannah Revilound Nina Restemeier

 

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Nemesis« bei Simon & Schuster Books For Young Readers, einem Imprint der Simon & Schuster Children's Publishing Division.

Copyright © S.J. Kincaid, 2020

Deutsche Erstausgabe April 2024

 

© für die deutschsprachige Ausgabe 2024:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining

im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.

 

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

 

Lektorat: Julia Funcke

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

ISBN: 978-3-948457-06-8

 

 

Auch als E-Book erhältlich!

 

 

www.second-chances-verlag.de

Im Gedenken an Jan Whyllson,

die ihr Leben ihrer Kunst gewidmet und mir gezeigt hat, dass man das tun kann

Das stärkste aller Gifte kam aus der Lorbeerkrone Caesars.

William Blake

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Prolog

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DANKSAGUNG

Nachts leuchtete der Himmel in kräftigem Karmesinrot. Er warnte vor der Bedrohung, die aus dem All auf sie zukam.

Nur wenige in der Galaxie hatten von Anagnoresis, einem kleinen Planeten am Rande des Imperiums, gehört. Das Raumgeschwür in seiner Nähe war langsam gewachsen, unbemerkt über Jahrzehnte hinweg. Dieses Geschwür war der vergessene, glühende Grabstein eines Schiffes, das vor langer Zeit verschollen war, als es versucht hatte, in den Hyperraum einzudringen.

Anfangs war der Riss klein gewesen, praktisch ein Splitter. Und er wäre unbeachtet dort geblieben, wäre Eros nicht gewesen.

Eros, ein Gasriese, hatte Anagnoresis vor Asteroiden geschützt. Im Laufe von dreihundert Jahren hatte er den anagnoresianischen Stern umkreist – bis sein Orbit ihn direkt in das Raumgeschwür katapultierte.

Eros’ Wolken schluckten den Lichtschimmer, und einfach so schien das Raumgeschwür zu verschwinden.

Wochen vergingen, doch dann schwoll das Licht inmitten von Eros’ Wolken an und verschlang immer mehr von der Atmosphäre des Gasriesen. Innerhalb weniger Monate gab es keinen Planeten namens Eros mehr. An seiner Stelle erstreckte sich ein massives, pulsierendes Band aus weißem und lilafarbenem Licht – das letzte Andenken an einen Gasriesen, das sich mit jeder Sekunde weiter ausbreitete.

Auf Anagnoresis versammelte sich die winzige Bevölkerung aus menschlichen Siedlern, um das neue Licht am Himmel zu beobachten. Verzerrt durch die Atmosphäre, ähnelte das pulsierende Band einem kleinen Mond oder einem Asteroiden. Die Einheimischen waren nervös, aber sie wussten noch nicht, dass sie Angst haben mussten.

Der Junge bemerkte es erst, nachdem das Raumgeschwür zu einer zweiten Sonne am Himmel von Anagnoresis angewachsen war, einer Sonne, die den Nachthimmel erleuchtete.

Er war der Einzige auf dem gesamten Planeten, der die Wahrheit kannte: Sie waren bereits dem Untergang geweiht.

 

Die Bewohner von Anagnoresis hatten sich noch nie einer Krise solchen Ausmaßes gegenübergesehen. Sie zeigten nicht die angemessene Angst, weil sie nicht verstanden, was da passierte. Ihre Reaktion war fehlgeleitet: Ohne Eros machten sie sich Sorgen um Asteroiden und Kometen. Sie versammelten sich, um ein neues Verteidigungsnetz zu erschaffen, mit dem sie den Himmel über Anagnoresis vor Astralangriffen schützen wollten.

Geheimhaltung war erforderlich. Sie hatten Geschichten über dekadente domitrianische Kaiser gehört, die jeden Vorwand nutzten, um ihren Bürgern Planeten zu entreißen und sie an kriecherische Günstlinge zu verschenken. Also vereinbarten sie, nicht über die seltsamen Vorgänge im nahen Weltraum zu sprechen. »Wir werden uns selbst darum kümmern. Das Imperium darf nichts davon erfahren, sonst wird es gegen uns verwendet werden.«

Sie wussten nicht, dass sich unter ihnen einer der gefürchteten Domitrianer befand. Tyrus Domitrian hatte auf Anagnoresis Zuflucht gesucht. Er hatte geplant, seiner wahren Identität zu entfliehen und einfach ein weiterer Achtjähriger unter den Überschüssigen zu werden.

Am Anfang hatte es sich wie ein Spiel angefühlt – ein tödliches, aber trotzdem ein Spiel.

Wie konnte man hier, am Rande des bekannten Universums, unsichtbar werden? Er hatte die Eigenheiten und die Sprache der örtlichen Bevölkerung studiert. Er hatte gelernt, seine Konsonanten zu verschlucken und den beschwingten Rhythmus der Sprache von Anagnoresis nachzuahmen. Die Menschen hier waren sanftmütig, anders als die, die er vom Chrysanthemum her kannte. Er lernte, ihre Sanftmut vorzutäuschen, und entdeckte dabei, dass sie tatsächlich in ihm selbst vorhanden war; sie war schon immer da gewesen. Er konnte ein gutes Kind sein wie jedes andere. Er konnte spielen, sich über Kleinigkeiten Gedanken machen und musste sich unter der sicheren Vormundschaft seines Vaters um nichts sorgen.

Für den galaktischen Thronfolger war es ein Wunder, dass das Leben so einfach und so freundlich sein konnte.

Bis zu diesem Tag, als ihm klar wurde, was er da am Himmel sah.

Ein Raumgeschwür!

Er versuchte, seinem Vater Arion zu erklären, warum dies eine Katastrophe war. »Euer Vizekönig weiß offensichtlich nichts davon«, sagte er. In seiner Angst klang er zum ersten Mal seit Monaten wie er selbst; sein Akzent war der der Grandiloquay, das Vokabular der Weltraumbewohner drang in seine Sprache ein. »Vater, er hat Angst, ein Asteroid könnte uns treffen? Wie naiv! Verstehst du nicht, das ist unsere geringste Sorge! Diese Anomalie wird immer größer werden, bis es kein Entrinnen mehr gibt. Wir müssen den Planeten verlassen. Sprich mit ihm. Er muss eine Evakuierung anordnen.«

Tyrus war im Zentrum des Imperiums aufgewachsen und hatte es für selbstverständlich gehalten, dass diejenigen, die ihm nahestanden, die Macht hatten, Veränderungen zu bewirken. Aber sein Vater, Arion, war kein Domitrianer. Er war ein einfacher Arbeiter, ein Mechaniker, der Servbots für die örtlichen Bergbaumaschinen instand hielt. Tyrus’ Mutter hatte ihn willkürlich für die DNA ihres Kindes ausgewählt.

Er hatte Tyrus trotzdem aufgenommen und sein Bestes getan, um den Jungen zu verstehen. Aber jetzt, wo er mit der Forderung seines Sohnes nach Taten konfrontiert wurde, wurde Arion an den Unterschied zwischen ihren Welten erinnert. Er wusste, dass er nicht die Macht hatte, Befehle zu erteilen. Und er wünschte sie sich auch nicht. Anders als sein Sohn hatte er keine klare Vorstellung davon, was getan werden sollte. Er vertraute auf das Urteil seiner Herrscher, die mehr wussten als er und von denen man erwarten konnte, dass sie im Interesse aller handelten.

Aber er sah die Besorgnis seines Sohnes und wollte ihn beruhigen. »In diesem Moment ist ein ganzes Komitee von Experten beim Vizekönig«, erklärte er Tyrus, »und ich verspreche dir, dass sie an einer Möglichkeit arbeiten, uns zu retten. Sie wissen, womit sie es zu tun haben.«

»Wie könnten sie das?«

»Tyrus«, sagte Arion fest, »vergiss nicht, wer von uns beiden hier der Erwachsene ist.«

»Aber …« Seine Stimme wurde leiser.

Arion umfasste Tyrus’ Kinn. Das war ein Übergriff, wie ihn einem Thronfolger gegenüber niemand gewagt hätte, doch für Arion war er ein Kind. Tyrus fand das tröstlicher, als er sollte. Sein Vater hielt seinen Blick fest. »Überleg doch mal: Du bist ein kluger Junge, du bist im Weltraum aufgewachsen. Du betrachtest dieses Raumgeschwür durch unsere Atmosphäre. Verstehst du nicht, wie das die Dinge verändert? Die Wolken verzerren das Licht. Es ist nicht so nah, wie es scheint.«

»Ist das … ist das wahr?« Tyrus war verzweifelt und wollte ihm glauben.

»Bei Sonnenaufgang sieht man dasselbe, nicht wahr? Das Licht ist überall, nicht nur an einer Stelle. Die Atmosphäre verstärkt und streut es. Das Gleiche passiert hier. Wir haben viel mehr Zeit, als du denkst.«

Später würde Tyrus sich für die Hoffnung hassen, die in ihm aufgekeimt war. Er hatte den Behauptungen seines Vaters so verzweifelt glauben wollen.

Und das tat er auch. Er vertraute auf den wunderbaren Gedanken, dass es noch jemanden gab, der Antworten hatte, der danach handelte und der sie alle beschützte. Er wollte daran glauben, dass andere Menschen recht haben könnten.

Zwei Tage danach erwachte er früh von einem entfernten Summen, das die morgendlichen Vögel zu lautem Protest veranlasst hatte. Tyrus schaute aus dem Fenster und verfolgte, wie Versorgungstransporte aufstiegen und zurück in den Himmel flogen. Nach einiger Zeit erfuhr er, dass die Kapitäne der Schiffe bestochen worden waren, damit sie die Geheimnisse des Sternensystems wahrten. Eine Zwangsevakuierung erschien den Bewohnern von Anagnoresis immer noch als größtes denkbares Übel.

Als Tyrus das hörte, dachte er unweigerlich: Wenn wir eine Chance hatten, zu überleben, haben wir sie verloren, als diese Schiffe abgeflogen sind.

Er verdrängte seine Zweifel. Sie kehrten nicht zurück, bis sie es auf die schlimmstmögliche Weise taten – als es längst zu spät war.

 

Anagnoresis hatte eine sichere Zuflucht sein sollen.

Seine Mutter hatte ihn angefleht, den Weg dorthin zu finden, falls ihr etwas zustoßen sollte.

»Verlass das Imperium. Verlass den sonnenverfluchten Thron. Den willst du nicht«, hatte sie Tyrus immer wieder gesagt. »Unsere Familie ist radioaktiv. Die Macht, die wir besitzen, wird dich deine Seele kosten. Schwör mir, dass du fliehst, wenn etwas passiert. Kehr niemals zum Chrysanthemum zurück.«

»Das werde ich. Ich schwöre es, Mutter.«

Tyrus hatte seinen Vater gefunden und gelobt, nie wieder ins Imperium zurückzukehren.

Damals hatte er seinen Schwur ernst gemeint. Er meinte ihn so lange ernst, bis das Raumgeschwür in den Himmel eindrang, bis zu der Nacht, in der er nicht mehr schlafen konnte, weil das karmesinrote Glühen so hell wurde, dass es seine Träume durchflutete. Er zog seinen Mantel an und schritt hinaus in die rot gefärbte Nacht.

Die Luft war kühl. Sein Atem bildete rosa getönte Wolken, und seine Stiefel knirschten auf sterbendem Gras. Über ihm glühte und pulsierte die blutige Wunde des Raumgeschwürs. Als er hineinstarrte, erkannte er die Wahrheit.

Sie waren dem Untergang geweiht.

Er hatte sich selbst belogen.

Sein Vater, die örtliche Regierung – sie waren Narren, und ihre Zusicherungen waren nichts wert. Dieser Planet würde untergehen. Bald, das wusste Tyrus mit kalter Gewissheit. Wir haben unser Fluchtfenster mit den Transportern verpasst.

Nur eine Person konnte die Bewohner dieses Planeten jetzt noch retten.

Er schluckte und zwang sich, den Blick vom Himmel abzuwenden und hinunter in die Welt der Lebenden zu schauen. Eine sanfte, kalte Brise strich durch die Bäume und trug die Gerüche von Erde und Harz mit sich, von duftenden Blüten und Dingen, die sterben konnten.

Sein Onkel, der Kaiser Randevald von Domitrian, könnte diesen Planeten retten. Aber wer würde ihn dazu auffordern?

Er hielt Tyrus für tot. Das war wichtig, das war gut. Erst in diesem Jahr, im Alter von neun Jahren, hatte Tyrus entdeckt, wie schön es war, ein gewöhnlicher Junge zu sein – nicht der Erbe des Kaisers, sondern ein einfaches, unwichtiges Kind. Ein einfaches Kind gehorchte und ließ sich von den Älteren leiten. Im Gegenzug wurde ihm die Freiheit gegeben, zu erforschen, Fehler zu machen, Fragen zu stellen und zu spielen. Ein einfaches Kind schlief ohne Angst ein und wachte sorglos auf.

Aber ein einfaches Kind konnte den Kaiser nicht bitten, einen Planeten zu retten.

Tyrus zwang sich, sich auf das kratzige Gras zu setzen, etwas, was ihm in der ersten Zeit auf Anagnoresis schwergefallen war. Der Weltraumbewohner in ihm war beim Gedanken an die Mikroorganismen und Bakterien in der natürlichen Fauna immer zurückgeschreckt. Jetzt überwand er sich, sich hinzulegen und in das blutige Band über sich zu starren. Sein Bewusstsein für den schauderhaften Schmutz und die Vegetation verblasste, als er dort liegen blieb und den Blick nach oben richtete. Seine Augen brannten und tränten, aber er erlaubte sich kein Blinzeln.

Ich habe nur so getan, als wäre ich normal, dachte er. Denn er konnte den Älteren weder gehorchen noch glauben. Sein Vater und die Regierung hatten ihm gesagt, er solle sich keine Sorgen machen. Doch Tyrus wusste mehr als sie alle. Sie waren hier diejenigen, die sich irrten.

Vater. Arion war nur ein Arbeiter. Wenn die Domitrianer erfuhren, dass Tyrus noch lebte, würden sie kein Erbarmen mit einem Überschüssigen haben, der sich in ihre Angelegenheiten eingemischt und es gewagt hatte, einen Domitrianer vor ihnen zu verstecken.

Das Überleben des Planeten würde mit dem Leben seines Vaters erkauft werden.

Bei Tagesanbruch fühlte sich sein Herz wie ein Stein an, aber er hatte keine Entscheidung getroffen. Und so wanderte er in der nächsten Nacht und in mehreren Nächten danach durch die blutrote Dunkelheit. Seine Gedanken suchten nach Klarheit, nach dem richtigen Weg, von dem er nicht mehr glaubte, dass ein Erwachsener ihn weisen konnte.

Bis zu einer Nacht, in der Tyrus endlich die Entscheidung traf, die die Menschen auf Anagnoresis nicht für sich selbst treffen wollten.

In dieser sechsten Nacht bemerkte Arion seine Abwesenheit und fand ihn im hohen Gras liegend.

Tyrus wollte sich erheben, aber Arion überraschte ihn, indem er sich neben ihn setzte. »Was hält dich wach, Tyrus?«

Tyrus stellte fest, dass Arion nicht hinaufgesehen hatte. Er schaute nie übermäßig lang nach oben. Früher hätte Tyrus das vielleicht als Beispiel für den Optimismus seines Vaters bezeichnet, aber jetzt erschien es ihm zutiefst kindisch.

Und so entschuldigte er sich nicht. Er sprach nicht mit dem örtlichen Akzent und nahm auch nicht die verlegene Haltung eines gewöhnlichen Jungen ein, der von seinem Vater dabei erwischt worden war, wie er zu lange aufblieb. Tyrus, der Überschüssige, war eine so bequeme Figur gewesen. Er konnte es sich nicht mehr leisten, diese Person zu sein.

Jetzt war er wieder ein Domitrianer.

Er blickte Arion in die Augen. »Ich bin fertig damit, mir eine Schlafenszeit vorschreiben zu lassen, Vater.«

»Ich verstehe«, murmelte sein Vater.

Das rot gefärbte Licht vertiefte die Falten auf Arions Stirn. Und Tyrus spürte, wie etwas in ihm weich wurde und sich sehnte – eine Schwäche, die er sich nicht leisten konnte. Aber sie schlich sich in seine Stimme und verlieh ihr jene Sanftheit, die er im letzten Jahr auf diesem Planeten gelernt hatte und die kein Domitrianer haben sollte. »Ich habe deinen Sohn in den letzten Monaten nicht nur gespielt«, sagte er langsam, »oder versucht, dich zu täuschen. Ich … Ich wollte Tyrus von Anagnoresis sein.«

Sein Vater stieß ein kurzes, fast tonloses Lachen aus. Nicht unfreundlich, doch irgendwie verzweifelt.»Und ich habe es mir für dich gewünscht. Tyrus, bevor du etwas Unüberlegtes tust, denk nach …«

»Ich bin dir zu Dank verpflichtet«, fuhr Tyrus fort. »Ich habe noch nie so viel Frieden erlebt wie hier. Aber …« Er ließ den Grandiloquay-Akzent in die lokalen Vokale hinübergleiten, in die Kadenz und den Rhythmus, die sein Vater am besten hören konnte. »Ach, Vater, siehst du das nicht?« Er deutete nach oben. »Das wird uns verschlingen! Das Raumgeschwür schrumpft nicht. Es lässt sich nicht wegzaubern, indem man die Augen schließt. Es wird dieses Sternensystem dezimieren. Jeder einzelne Mensch auf diesem Planeten wird sterben – es sei denn, er flieht. Und die Zeit wird knapp.«

Arions Miene verhärtete sich. »Du willst deinen Onkel kontaktieren.«

»Wollen? Nein. Müssen? Ja.« Tyrus atmete aus. »Und ich habe es bereits getan.«

Schweigen.

Tyrus zwang sich, es auszusprechen. »Er weiß, wo ich bin. Dass ich lebe.«

Arion streckte die Hand nach dem Gras aus, wie ein Betrunkener, der nach einem Halt sucht, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Er wird dich holen kommen.«

Tyrus versuchte zu schlucken. Seine Kehle fühlte sich eng an. »Ja. Ich konnte es nicht länger hinauszögern. Verstehst du? Wenn der Planet gerettet werden soll, muss es jetzt geschehen.«

Ein weiterer Moment des Schweigens. »Und die Transportschiffe haben abgelegt«, stellte Arion dumpf fest.

Tyrus war die Möglichkeiten immer wieder durchgegangen. Es gab keinen anderen Weg. Und doch war das Schuldgefühl immer noch da. Es durchbohrte ihn.

»Ja«, erwiderte er schlicht. »Die Transporter sind weg und werden erst in einigen Monaten zurückkehren. Er wird lange vorher hier sein.«

Und er wird dich töten. Und es wird meine Schuld sein.

Arion holte scharf Luft und kam taumelnd auf die Beine. Tyrus bewegte sich nicht – entdeckte aber, dass er irgendwann seine Knie an die Brust gezogen hatte, als würde er sich gegen etwas wappnen.

Sein Vater hatte allen Grund, wütend auf ihn zu sein.

»Hier«, sagte Arion, und als Tyrus blinzelte, um seine Sicht zu klären, sah er, dass sein Vater ihm eine Hand reichte.

Sie zu ergreifen, war das Schwierigste, was er je getan hatte.

Arion zog ihn auf die Füße, dann ließ er ihn los. Tyrus stand zitternd da. Die Nachtluft fühlte sich deutlich kühler an als noch vor einigen Minuten. Für den Planeten, dachte er, konnte sich jedoch nicht dazu zwingen, es auszusprechen. Um des Planeten willen musste ich …

»Wenn du dorthin zurückkehrst«, bemerkte Arion leise, »dann steckst du wieder mittendrin. Du wirst derselben Gefahr ausgesetzt sein, der du den Rücken gekehrt hattest.«

Die aufsteigenden Tränen entsetzten Tyrus. Er weinte nie. Er würde auch jetzt nicht weinen.

Doch er hatte erwartet, dass sein Vater sich um sich selbst sorgen würde. Stattdessen machte Arion sich Sorgen um seinen Sohn.

Tyrus’ Stimme klang erstickt vor Scham. »Natürlich. Ich habe keine Zweifel daran, dass meine Großmutter versuchen wird, mich umzubringen, so wie sie meine Mutter getötet hat. Vielleicht schaffe ich es, sie zuerst zu töten.«

Andere hätten über diese Worte eines Neunjährigen womöglich gespottet. Arion kannte ihn besser. »Vielleicht wirst du das«, sagte er ruhig. Dann, nach einer Pause, blickte er auf zu dem Raumgeschwür – das erste Mal, dass Tyrus das sah – und studierte es. »Wie viel Zeit haben wir noch?«

Tyrus schüttelte den Kopf. Er wusste es nicht. Sein Magen fühlte sich unruhig an, seine Glieder zuckten. Er wollte weg – sich dem nicht länger stellen. Was hatte er getan? Mein eigener Vater. Arion hatte jedes Recht, ihn zu hassen. Ein Kind, das einen seiner Elternteile ermordete. Ein Domitrianer durch und durch. »Ich werde mir eine andere Unterkunft suchen«, erklärte er, »während ich auf die Ankunft des Kaisers warte.«

Doch als er sich abwandte, erwischte ihn sein Vater an der Schulter und drehte ihn wieder um. »Tyrus.« Er hob Tyrus’ Kinn an und zwang ihn, ihm in die Augen zu schauen. Seine eigenen waren dunkel und unergründlich, die Haut im roten Licht tief gefurcht. »Ich weiß, warum du das getan hast.«

Ich habe keine Alternative gesehen. Tyrus würde diese Worte jedoch nicht aussprechen. Sie schienen um Vergebung zu bitten, und er hatte keine verdient.

»Ich verstehe«, sagte sein Vater. »Du glaubst, dass du das in Ordnung bringst.«

»Jemand muss es in Ordnung bringen.« Hätten die Grandiloquay, hätte sich einer der Kaiser darum gekümmert, hätten sie das Problem der Raumgeschwüre vielleicht schon vor Jahrhunderten gelöst. Stattdessen hatten sie es wuchern lassen – wodurch es sich ausgebreitet hatte. Sogar der entlegenste Winkel des Imperiums war nicht mehr sicher. »Wenn es so weitergeht, wird es nie von selbst aufhören, verstehst du? Aber wenn ich Kaiser werde … wenn ich den Thron anstrebe … Vater, ich kann es in Ordnung bringen.« Das war seine wahre Aufgabe, er spürte es bis ins Mark. »Und ich werde nicht wie die anderen sein, die an die Macht kommen, Vater. Ich werde nicht vergessen, wozu ich bestimmt bin.«

»Ich weiß, dass du das nicht tun wirst«, erwiderte Arion. »Du bist mein Sohn.«

»Es tut mir leid.« Seine Stimme brach. Plötzlich spürte er das ganze Gewicht seines Kummers, und er konnte nicht mehr atmen. »Vater, es tut mir so leid!«

Die Arme seines Vaters waren stark und dick, die Arme eines Mannes, für den Arbeit das Leben war. Sie zogen Tyrus fest an eine breite, warme Brust. Für einen Moment spürte er abermals, wie es war, ein gewöhnliches Kind zu sein: beschützt und geliebt von jemandem, der stärker war und nichts anderes wollte, als dass er sicher und glücklich war.

Doch selbst als er die Umarmung erwiderte, wusste er, dass er sich nie wieder sicher fühlen würde. Denn der Zweck seiner Existenz war ihm im blutigen Licht des Raumgeschwürs klar geworden, und es gab nur einen Weg, ihn zu erfüllen.

Er würde den Thron besteigen und Kaiser werden. Dann würde er die Galaxie retten.

 

 

Fünfzehn Jahre später

 

»Wartet.«

Die Stimme des Kaisers Tyrus von Domitrian war leise, doch sie schallte über die Anwesenden im Saal hinweg.

Während der vergangenen Wochen war das Chrysanthemum durch den Hyperraum gereist. Die tausend Schiffe, die seit Jahrhunderten miteinander verbunden gewesen waren, hatten sich getrennt. Sie hatten sich im Tandem zu diesem neuen Sternensystem bewegt, weit weg von der Zerstörung der Sechs-Stern-Heimat der Domitrianer.

Jetzt stand der Kaiser vor den großen Fenstern und blickte auf den fernen Lichtfleck, der einst das Herz des Imperiums gewesen war. Alle Anwesenden wussten, was geschehen war: Der Kaiser hatte auf irgendeine Weise ein Raumgeschwür geschaffen, es entfesselt und zugelassen, dass es sein eigenes Heimatsystem zerstörte.

Der heutige Tag würde den Höhepunkt dieser Bemühungen markieren.

Langstreckensatelliten projizierten ein holografisches Bild ins Zentrum des Audienzsaals. Es leuchtete in imposanter Größe inmitten der versammelten Grandiloquay. Das Bild war eine Liveübertragung vom Hyperriesen Hephaestus, dem größten und mächtigsten dieser sechs Sterne. Das Raumgeschwür griff in sich ständig vervielfältigenden Ranken nach ihm, wobei Schicht für Schicht der Wasserstoff abgetragen wurde.

»Jetzt ist es jeden Moment so weit«, hauchte der Kaiser und starrte gebannt ins All hinaus.

Er stand etwas abseits von den anderen. Seine Grandiloquay tauschten hinter seinem Rücken unruhige Blicke aus, wagten aber nichts weiter zu tun. Die Wächterbots, die mit dem Geist des Kaisers verbunden waren, schwebten über den Köpfen der Anwesenden, und ihre mechanischen Augen blickten unentwegt auf alle Gesichter im Raum, um jede Bedrohung für den Kaiser zu erkennen. Die Grandiloquay konnten das Ausmaß der Kontrolle ihres Kaisers über die Maschinen noch nicht einschätzen.

Einigen Domitrianern verlieh die Inbesitznahme des Zepters die Fähigkeit, alle Bots in Sichtweite mittels Sprachbefehlen zu steuern. Andere wiederum konnten über Sternensysteme hinwegblicken, als wären sie selbst Maschinenmenschen, die durch virtuelle Augen schauten und weit entfernte Waffen befehligten.

Die Versammelten machten sich keine Illusionen über die Barmherzigkeit ihres Kaisers. Sie hatten ihm dabei geholfen, Tausende ihrer politischen Rivalen zu töten: Die prominentesten Grandiloquay waren an Zersetzungsnebel erstickt oder zum Sterben in das Raumgeschwür geworfen worden. Sie hatten den Kaiser bei der Zerstörung unterstützt, in der Hoffnung, mehr Einfluss und Macht zu erlangen.

Stattdessen standen sie nun da wie Gefangene der Wächterbots über ihnen, stumm und versteinert. Denn ihr junger Kaiser hatte sich in einen Schrecken verwandelt, in eine Kreatur mit unberechenbaren Launen und gnadenlosen Einfällen. Er sah der bevorstehenden Katastrophe mit ruhiger Gelassenheit entgegen. Sogar mit der Andeutung eines Lächelns.

Das Lächeln wurde breiter, als es geschah: Hephaestus blutete den letzten Wasserstoff aus.

Auf dem Hologramm zwischen ihnen schrumpfte der riesige Stern abrupt und kollabierte nach innen. Ein kollektiver Schrei – eine Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen – erhob sich aus den Reihen der Beobachter.

Dann explodierte der Stern nach außen, und im Fenster hinter dem Kaiser breitete sich Licht in der Schwärze aus.

»Da ist es!« Der Kaiser brach in Gelächter aus, als Hephaestus vor dem riesigen Wandteppich der Dunkelheit zur Supernova wurde. Die lebhafte Explosion wurde immer gewaltiger. Strahlen schossen nach außen und beleuchteten die große Leere mit dem grausamsten aller Naturphänomene. Die pechschwarze Dunkelheit erhellte sich zu blendendem Licht, das die Sterne verdrängte, bevor es wieder verblasste.

Der Kaiser drehte sich zu den Beobachtern um; seine Gestalt hob sich als dunkle Silhouette vor der großen Zerstörung ab, die hinter ihm aufblühte. Erwartungsvoll und einladend breitete er die Arme aus.

»Seht«, sagte der Kaiser. »Unser Triumph.«

Einen Moment lang lag entsetzte Stille in der Luft. Hier gab es keinen Triumph, nur absolute Vernichtung.

»Ihr, die Ihr die Überschüssigen fürchtet«, spottete er, »könnt Ihr Euch vorstellen, dass sie jemals eine solche Macht besiegen könnten? Ich habe das Raumgeschwür kontrolliert. Ich habe eine Supernova entfacht. Die Macht über den Kosmos gehört jetzt mir. Und meinen wenigen Getreuen – uns.«

Endlich drang Verständnis in die versammelten Grandiloquay … und Ehrfurcht. Dann erkannten ein oder zwei von ihnen, die klug und ehrgeizig waren, die richtige Reaktion. Sie begannen zu applaudieren.

Sobald der erste Beifall ertönte, stimmten weitere Hände in den Chor der Zustimmung ein. Der Kaiser grinste breit und selbstzufrieden.

Wie auf Kommando schwoll das Klatschen zu wildem Jubel an, und man stieß mit Wein an. Die Grandiloquay lobten lautstark die »glorreichste Lichtershow« in der kaiserlichen Geschichte. Sie bejubelten ihren jungen Kaiser für diese bemerkenswerte Leistung.

Der Kaiser sprach: »Erhabenster, kommt zu mir.«

Der Vicar Primus Fustian nan Domitrian – ein Hochstapler, der sich derzeit als Interdikt ausgab, als ranghöchstes Mitglied des helionischen Glaubens – trat aus der Menge hervor, warf sich zu Füßen des Kaisers auf die Knie und griff nach den Händen seines Herrschers, um sie an seine Wangen zu ziehen.

Der Interdikt hätte sich niemals vor einem Kaiser verbeugt.

Aber der echte Interdikt war tot. Hier handelte es sich um eine Marionette, die das Gesicht eines heiligen Mannes trug, um die Worte zu sprechen, die der Kaiser wünschte, und zu tun, was der Kaiser befahl.

»Verratet mir etwas«, begann der Kaiser leise. »Die Sterne spiegeln den Willen unseres heiligen Kosmos wider, nicht wahr?«

»In der Tat, das tun sie, ehrwürdigster Gebieter.« Fustians Stimme zitterte ein wenig.

»Man könnte also sagen, dass das Heilige die Sterne beeinflusst.«

»Ja, das ist wahr.«

Die Lippen des Kaisers verzogen sich zu einem seltsamen Lächeln. »Erhabenster, ich habe gerade die Sterne beeinflusst.«

Fustian öffnete den Mund, hatte aber keine Antwort parat. Er starrte den Kaiser an und versuchte zweifellos, anhand des geheimnisvollen Lächelns zu erraten, was er antworten sollte.

»Ich habe ein Raumgeschwür erschaffen. Ich habe eine Supernova erzeugt. Ich.« Tyrus blickte erwartungsvoll auf ihn herab.

»In der Tat, das habt Ihr.«

»Was hat das zu bedeuten, Erhabenster?«

Fustian begann zu zittern. »Ich … ich weiß es nicht.«

Der starre Blick des Kaisers war so leer wie der eines Reptils. Ein ansteigendes Brummen ertönte von den Wächterbots über ihm, was viele im Raum dazu veranlasste, nach Luft zu schnappen und sich möglichst klein zu machen. Die gefährlichen Tötungsmaschinen begannen, sich über dem Kopf des Kaisers zu versammeln, ihre mechanischen Augen auf den kauernden Fustian gerichtet.

»Riskiert eine Vermutung«, schlug der Kaiser vor.

Er sprach sehr sanft, aber die Worte selbst waren eine Warnung. Die falsche Antwort würde den Tod bedeuten. Keiner der Anwesenden bezweifelte das. Immerhin hatten sie in der Galakuppel dieses Raumschiffs gesehen, wie er seiner Frau ein Schwert in die Brust gestoßen hatte – der Frau, die er über alles geschätzt und für die er alles aufs Spiel gesetzt hatte.

Sie hatten sie gehasst. Sie hatten sie verabscheut und gefürchtet. Doch sie hatten ihren Tod nicht lange gefeiert, bevor ein neues Verständnis einsetzte: Wenn der Kaiser seine eigene Frau ermorden konnte, dann war ihrer aller Leben für ihn bedeutungslos.

Obwohl Tyrus von Domitrian sie noch vor einem Moment angestrahlt hatte, lief eine unterschwellige Angst durch ihre Reihen, als sie erkannten, was er ihnen antun konnte, wenn sie ihm Anlass zum Stirnrunzeln gaben.

Fustian senkte den Kopf, totenbleich, und sog tief und hörbar den Atem ein. Dann schoss sein Blick nach oben, verhangen und verzweifelt – begierig. Ja, er wusste, was er sagen musste.

»Ihr habt die Sterne beeinflusst, ehrwürdigster Gebieter, also müsst Ihr ein … ein Gott sein!«

Nur die größten Dummköpfe im Raum ließen ihre Ungläubigkeit erkennen.

Doch ihr Kaiser zeigte ein irres Lächeln, sein Blick war warm und voller Zustimmung. »Glaubt Ihr das wirklich?«

»Ich bin mir sicher. Ich bin mir absolut sicher«, murmelte Fustian. »Ihr seid ein Gott!« Er erhob sich und wandte sich an die anderen. »Seht Ihr es nicht? Versteht Ihr nicht?« Verzweiflung sprach aus seiner Stimme. »Wie … wie er in einem heiligen Licht erstrahlt? Wie er davon leuchtet?« Fassungsloses Schweigen antwortete ihm.

»Ihr müsst es sehen!« Fustian schirmte seine Augen ab, als wäre er von Tyrus’ Essenz geblendet. »Oh, es ist inspirierend! Was für ein Glück wir doch haben! Es gibt einen lebenden Gott in unserer Mitte!« Er sank wieder auf die Knie, dann fiel er flach auf den Bauch, wobei sich sein durchscheinendes Zeremonialgewand um ihn herum ausbreitete. »Lobpreist ihn! Lobpreist den Göttlichen Kaiser Tyrus! Gelobt sei der Göttliche Kaiser!«

Der Kaiser verachtete Fustian nan Domitrian. In der Vergangenheit war er dabei beobachtet worden, wie er die Hände seiner Interdikten-Marionette wegschlug, wenn diese nach seinen Füßen tasteten, und wie er sich über die alberne Ehrerbietung des gefangenen Priesters lustig machte.

Heute jedoch lächelte ihn der Kaiser breit und liebevoll an – wie ein Elternteil ein Kind, das ihm ein kleines Geschenk gemacht hat.

»Ihr seht es also wahrhaftig«, sagte Tyrus zärtlich. Er griff nach unten, um Fustians zitternde Gestalt aufzurichten, und umfasste sanft die Schultern des Mannes. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr für dieses … Verständnis über Eure Träume hinaus belohnt werdet.«

»Ehrwürdigster … göttlicher Gebieter, ich danke Euch«, wisperte Fustian ehrfürchtig.

Der Kaiser richtete seinen erwartungsvollen Blick auf den Rest der Grandiloquay.

»Lobpreist ihn!«, brüllte Fustian ihnen entgegen, nun ermutigt mit gereckter Brust. »Lobpreist ihn! Als Interdikt befehle ich Euch allen, unseren Göttlichen Kaiser Tyrus zu preisen!«

Hinter dem Kaiser erstrahlte das Fenster noch immer von der gewaltigen Glut der Supernova, während sich die sternförmigen Wächterbots aus Metall zu einem Kreis über Tyrus’ Kopf formierten, einer Krone aus tödlichen Waffen, die nur auf einen einzigen Gedanken ihres Herrn wartete.

Aber es war die nächste Äußerung von Tyrus von Domitrian, die sie endlich aufrüttelte: »Wenn ich tatsächlich ein göttliches Wesen bin, dann brauche ich meine liebsten Untertanen. Meine meistgeschätzten Jünger. Was sagt Ihr dazu?« Sein Blick wanderte über die Grandiloquay, und darin glitzerte ein Versprechen, dem die Höflinge seines Imperiums nicht widerstehen konnten.

Viele von ihnen waren in der Vergangenheit mit Tyrus aneinandergeraten – damals, in den idealistischen Tagen, als er sich in jugendliche Träume verrannt, in eine Diabolic verliebt hatte und bereit gewesen war, sie alle auf dem Altar einer egalitären Vision für die Galaxie zu opfern. Doch die Kreatur – der Kaiser –, die jetzt vor ihnen stand, war durch Zynismus, Venalox und, ja, auch durch Habgier zu etwas gemacht worden, das sie klar erkennen konnten, denn endlich war dieser Tyrus von Domitrian ein Kaiser, den sie verstehen konnten.

Seine Forderung nach Anbetung enthielt ein stilles Versprechen:

Entweiht euch für mich, und ich werde euch über eure kühnsten Träume hinaus belohnen.

Und so kam das erste »Gelobt!«.

»Gelobt sei er!«, ertönte eine andere Stimme.

»Das Licht blendet ja geradezu!«, rief ein Dritter. »Er ist ein Gott!«

»Unser Göttlicher Kaiser!«

»Der Göttliche Kaiser Tyrus!«

Wie in einer Welle warfen sich die Grandiloquay auf den Boden und riefen: »Gelobt sei der Göttliche Kaiser! Gelobt!«

Bald war es keine Frage mehr, ob man schwieg, es gab keine Zurückhaltung mehr. Freudig warfen sie sich vor Tyrus nieder, weil er endlich in ihre Reihen zu gehören schien. Dies war kein Gott, aber mit Sicherheit ein zynischer, machtgieriger Größenwahnsinniger, und das Imperium hatte sich seit Langem um genau solche Tyrannen herum geformt.

Was war ein Gott schließlich anderes als der Lenker des Schicksals? Einer, der eine Supernova entfachen konnte, der einen Menschen mit einem einzigen Gedanken töten konnte, der die gesamte Galaxie und den helionischen Glauben in seinen Händen hielt: War das nicht ein Gott? Seine Macht über ihr Leben war vollkommen und unumstößlich. War das nicht eine Art von Göttlichkeit?

Tyrus lachte, als sie sich niederknieten, und begann, Versprechungen zu rufen: »Ein Monopol auf den Novaschimmer-Handel für Euch, Senator von Sornyx! Und Euch, Credenza von Fordyce, werde ich für diesen Vertrauensbeweis den Arm des Gorgonen geben!«

Der Jubel wurde lauter. Als sich der Saal im Herzen des galaktischen Imperiums mit Stimmen füllte, die schrien: »Unser Göttlicher Kaiser! Gelobt sei unser Kaisergott!«, ging der Kaiser durch ihre Mitte und verteilte Gunstbezeugungen, während er ihnen gnädig erlaubte, sich an seine Füße zu klammern, da er ihre Verehrung als sein Recht ansah. Und war es schließlich nicht auch so? Er hatte eine Supernova ausgelöst, und selbst der widerspenstigste Überschüssige würde vor einem Kaiser, der – vereint mit seinen Grandiloquay – über eine solch zerstörerische Macht verfügte, zurückschrecken.

Oben, unten, überall zeichneten die Überwachungsmaschinen des Chrysanthemums diesen Moment auf und hielten ihn für die Nachwelt fest. Und über Äonen hinweg würden die Historiker, die sich mit der tragischen und gewalttätigen Herrschaft von Tyrus von Domitrian beschäftigten, über die Bedeutung dieses Tages diskutieren. Hatte hier der Wahnsinn des Kaisers wirklich begonnen? War dies der entscheidende Moment seiner Herrschaft?

Einige würden lautstark dagegenhalten. Sie würden stattdessen auf eine frühere Zeit verweisen, auf die Jahre, die Tyrus unter der Kontrolle von Alectar von Pasus verbracht hatte. Der Senator hatte seinem gefangenen Kaiser die neurotoxische Droge Venalox aufgezwungen, eine Droge, die für ihre schädlichen Auswirkungen auf den Charakter berüchtigt war – die das Einfühlungsvermögen und das Gewissen schwächte. Dies sei die prägende Zeit gewesen, die einen jungen Idealisten in einen brutalen Tyrannen verwandelt habe, würden sie argumentieren.

Doch im Laufe der Jahrhunderte würde sich allmählich ein Konsens herausbilden. Weder von Pasus noch der Wahn der Göttlichkeit konnten erklären, was aus dem Kaiser geworden war. Der Schlüssel zu dieser Verwandlung lag woanders, nämlich in der Person, die seinen Aufstieg, seinen Verfall und dann seinen Absturz mitgeprägt hatte.

Sie allein hatte genug Einfluss gehabt, um sich dem verrückten Kaiser zu widersetzen. Sie allein hatte den Willen und die Kraft gehabt, zu sprechen, wenn andere schwiegen, und die Entschlossenheit, anzugreifen, wenn kein anderer es wagte, die Waffen zu erheben.

Die Historiker wussten nicht so viel, wie sie glaubten, und ihre Aufzeichnungen waren auch nicht so vollständig, wie sie annahmen. Dennoch wussten sie genug.

Und sie blickten auf Nemesis.

1

 

Ich hatte das berühmteste Gesicht der Galaxie, aber niemand erkannte mich.

Doch heute waren Blicke auf mich gerichtet. Ich spürte sie.

Unvermittelt blieb ich stehen.

Im nächsten Moment hielten weitere Füße hinter mir an.

Ich wurde verfolgt.

Ich nahm meinen geschmeidigen Gang die Straße entlang wieder auf. Interessant. Seit Monaten hatte ich keiner Bedrohung mehr gegenübergestanden. Genau genommen war ich schon ziemlich rastlos vor Langeweile.

Elend war eine Konstante im Leben auf Teufelsschatten. In dieser abgelegensten und hoffnungslosesten aller Provinzen brodelte Frust in allen Herzen, troff aus jeder schrillen Stimme. Der Zorn suchte sich ein Ventil.

Eine einzelne junge Frau zog Verfolger an.

Ich hätte Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen können, indem ich versuchte, nicht aufzufallen. Ich hätte mir die langen Haare abschneiden, weite Jacken tragen, den Kopf gesenkt halten können. Bei meiner Körpergröße hätte ich feindliche Augen davon überzeugen können, dass ich ein recht muskulöser Mann war. Aber irgendetwas Hartes und Unnachgiebiges in mir wollte sich nicht verstecken.

Stattdessen trug ich die langen weißblonden Haare offen. Ich hatte die Farbe populär gemacht, und inzwischen sah ich sie überall, also warum hätte ich sie ändern sollen? Wenn ich die Straße entlangging, duckte ich mich nicht. Ich gab mir keine Mühe, die Aufmerksamkeit von Fremden nicht auf mich zu ziehen. Ich erwiderte jeden Blick.

Es waren bloß Menschen. Wenn überhaupt, sollten sie sich vor mir verstecken.

Meine einzige Tarnung war die Verbrennung auf meiner rechten Gesichtshälfte. Dieses winzige bisschen Anonymität hatte ich Neveni Sagnau zu verdanken. Sollte ich sie jemals wiedersehen, würde ich mich für den Gefallen revanchieren.

Wieder verlangsamte ich mein Tempo, um abzuschätzen, wie viele mich verfolgten. Die winzige Pause zwischen den Schritten, ehe sie zum Stehen kamen …

Drei. Schade. Ich hatte mich auf eine Herausforderung gefreut.

In Gedanken ging ich die Regeln durch, die ich mir selbst auferlegt hatte: keine nicht provozierten Angriffe und keine Verfolgungsjagd, egal, wie viel Spaß das machte. Es war immer unfair, außerdem fachte die Jagd einen düsteren Instinkt in mir an, gegen den ich anzukämpfen beschlossen hatte.

Ich war zwar eine Diabolic, die zum Töten geschaffen worden war, aber ich war kein wildes Tier.

Ein vernunftbegabtes Wesen jagte niemanden, der auf der Flucht war, außerdem durfte ich nicht ohne Beweis auf die Motive von jemandem schließen. Doch noch während ich mir all das in Erinnerung rief, lauschte ich auf die schlurfenden Schritte, und eine wohlige Aufregung kroch durch meine Glieder.

Hör auf. Gib dem Impuls nicht nach, ermahnte ich mich und blieb stehen.

Es dauerte einige Sekunden, bis meine Verfolger aufgeholt hatten.

Die drei schattenhaften Gestalten grinsten triumphierend, als sie mich umringten. »Hast du dich verlaufen?«, rief der Größte von ihnen.

Ich musterte sie für einen langen Augenblick.

Dass ich keinerlei Angst zeigte, verschreckte Männer, die auf ein leichtes Opfer aus waren, häufig. Die meisten vertrauten ihrem Instinkt, dass irgendetwas an mir seltsam war, und kamen so mit dem Leben davon.

»Wissen Sie«, sagte ich ruhig und deutlich. »Ich möchte nicht verfolgt werden. Ich werde jetzt weitergehen, und Sie gehen in eine andere Richtung. Ansonsten kenne ich keine Gnade.«

Dann wandte ich ihnen den Rücken zu. Vor mir öffnete sich der Zugang zu einer schmuddeligen Gasse, und ich bog hinein. Eine Sackgasse: perfekt. Ich lehnte mich an eine Mauer und wartete.

Sie folgten mir.

»Von hinten sahst du besser aus!«, rief der mit den zotteligen Haaren, und die anderen beiden lachten. »Was hast du da im Gesicht? Ist das eine Krankheit?«

Ich hätte lügen können, hätte sagen können, dass meine Narben eine Krankheit seien, Hautfäule vielleicht. Möglicherweise hätte es sie vertrieben.

Aber mir war nicht nach Freundlichkeit. Ich wartete einfach. »Antworte mir, du hässliche Schlampe«, knurrte der Mann. »Ich will doch nur nett sein.«

»Ja, wir sind wirklich nett«, behauptete der Größere und gab dem Dritten, der sich still im Hintergrund hielt, einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Oder?«

Der Dritte lachte unbehaglich und murmelte: »Vielleicht sollten wir gehen.«

»Nein, nein, erst muss sie uns noch sagen, wie nett wir sind«, wehrte der Zottelige ab. »Und sich vielleicht bedanken. Dafür, dass wir nett zu einer so hässlichen Schlampe sind.«

Er trat zu mir herüber und kam mir so nah, dass ich seine Körperausdünstungen riechen und die Poren auf seiner Nase und seine Zahnlücken sehen konnte, wenn er grinste. Er legte erst eine Hand auf die Mauer neben meinem Gesicht, dann die andere.

»Na, sagst du jetzt was?«, fragte er. »Ich meine … jetzt.«

Dann fasste er mich an.

Ich hatte sie gewarnt.

Ich verpasste ihm einen Kinnhaken, und die Knochen knirschten befriedigend, als sein Genick brach und er augenblicklich tot zusammensackte. Ich schoss vor, packte seine beiden Begleiter an den Armen, bevor sie reagieren konnten, und zog sie zu mir heran.

»Wer ist als Nächstes dran?«, brüllte ich.

Panik flackerte in ihren Augen auf. Ich rammte dem Größeren der beiden den Schädel ins Gesicht und versetzte dem anderen einen Tritt in die Rippen – ich hörte sie knacken.

Der Größere war zurückgetaumelt, hielt sich den Kopf, und nun stolperte er über seinen toten Freund. Bei dessen Anblick kreischte er entsetzt auf. »Murph? Murph! Sie hat ihn umgebracht. Sie …« Er griff in seine Jacke und zog ein Messer hervor, das im Licht glänzte.

Er holte aus. Zu einfach. Ich packte ihn am Handgelenk. Ungläubig starrte er mich an, während ich ihm langsam den Arm verdrehte und sein eigenes Messer auf ihn richtete. Der Mann war so groß, dass er vermutlich noch nie in seinem Leben überwältigt worden war, aber nun war er meiner Gnade ausgeliefert.

»Kommen dir allmählich Zweifel?«, flüsterte ich.

»Du Schlampe«, keuchte er und besiegelte damit sein Schicksal.

Jetzt reichte es. Ich hielt mich nicht länger zurück und rammte ihm die Klinge ins Auge.

Dann wandte ich mich dem Dritten zu, dem Zögerlichsten der drei, der niedergestreckt auf dem Betonboden der Gasse lag.

»Also?« Einladend breitete ich die Arme aus.

Er blickte zu mir auf, außer sich vor Angst, und endlich sah er mich. Meine Größe. Die weißblonden Haare. Die Toten hinter mir, entstellt von meiner abnormen Kraft, so mühelos ermordet mit unnatürlichem Geschick.

»Ihr seid es. Ihr müsst es sein.« Ein gewisses Erstaunen schwang in seiner Stimme mit. Er hob eine zitternde Hand und deutete auf irgendetwas hinter mir. Auch ohne hinzuschauen, ahnte ich, was da war, aber ich drehte mich trotzdem um, in der Hoffnung, er würde versuchen, mich von hinten anzugreifen. Und tatsächlich, zwischen all den kaum zu entziffernden Botschaften der Besitzlosen war da ein Graffito auf der Mauer, das Abbild der grausamen, löwenmähnigen Göttin. Um ihre harten, klaren, Rache verheißenden Gesichtszüge schienen weiße Flammen zu lodern.

Darüber und darunter die vertrauten Worte:

 

NEMESIS LEBT

 

Der erbärmliche Wurm wich zurück, immer noch am Boden, kroch wie ein Krebs durch die Gasse.

»Tut mir nicht weh«, wimmerte er. »Ich wollte das nicht. Ich schwöre Euch, ich wollte es nicht. Bitte, Nemesis, bitte.«

Ja. Nun, da ihm klar war, was ich war, wusste er, was er von Anfang an hätte tun sollen: um sein Leben betteln. Und ich sollte nicht darauf hören. Er hatte mich erkannt. Er würde mich verraten. Er würde mich in Gefahr bringen.

Ich hatte versprochen, keine Gnade walten zu lassen.

Er wusste, er würde einer Diabolic nicht entkommen.

Als ich diesem schwachen, bemitleidenswerten Wesen nachsetzte, erwachte eine Erinnerung in meinem Hinterkopf: ein anderer Mann, der mich vor so vielen Jahren angefleht hatte, ihn zu verschonen. Damals, als junge Diabolic, hatte ich eine verzweifelte Entscheidung getroffen, um einem Leben in ewiger Gefangenschaft zu entfliehen.

Aber jetzt war ich nicht mehr dieses verängstigte Kind. Ich war keine eingesperrte Kreatur mehr, die der Barmherzigkeit anderer ausgeliefert war. Hier gab es keine Matriarchin, die diese Entscheidung an meiner statt treffen würde, und ich glaubte nicht mehr daran, dass mich ein besseres, gütigeres Leben erwartete, wenn ich nur ein paar Tropfen Blut mehr vergoss. Nein.

Auf diesem Weg lag für mich nichts weiter als mehr Tod, mehr Verderben, mehr Zerstörung.

Er hatte die Augen zugepresst, die Muskeln angespannt, den Kopf schicksalsergeben gesenkt.

»Wie heißt du?«, fragte ich ihn.

»Janus.«

»Janus, und weiter?«

»Janus Metz, ehrwürdigste Gebieterin.«

Ich spannte den Kiefer an. Ehrwürdigste Gebieterin. Ich hatte diesen verfluchten Ehrentitel nie wieder hören wollen. Aber nun, da der Mann ihn benutzt hatte, packte ich ihn an den Haaren und zog daran, bis er zu mir aufblickte. »Du wirst keiner Menschenseele erzählen, dass du mich gesehen hast.«

»Nein«, sagte er.

»Gut, denn ich werde mich an deinen Namen erinnern, und wenn du mich anlügst …« Ich riss ihm ein Büschel Haare aus und hielt es ihm vors Gesicht. »Ich werde deine Fährte aufnehmen. Wusstest du, dass Diabolics wittern können wie Bluthunde?«

Das war gelogen. Mein Geruchssinn war so schwach ausgeprägt wie der jedes gewöhnlichen Menschen. Aber das konnte er nicht wissen.

Mit weit aufgerissenen Augen nickte er. »Ich weiß, dass ich Euch nicht entkommen kann.«

»Das ist sehr weise von dir. Du wirst diese Leichen für mich entsorgen.«

»Selbstverständlich.«

»Und du wirst so etwas nie wieder tun: nie wieder Menschen auf der Straße überfallen.«

»Ich wollte nicht …«

»Du warst schwach. Du hast ihnen nachgegeben. Tu das nie wieder. Wenn doch, werde ich es erfahren.«

Das würde ich nicht, ließ ihn aber in dem Glauben. Mit offen stehendem Mund sah er mich an. »Ihr seid genau so, wie alle sagen«, flüsterte er. »Ihr sinnt auf Vergeltung.« Ihm standen tatsächlich Tränen in den Augen. »Ich werde mich Euer würdig erweisen. Ich werde Eure Gnade verdienen.«

Ich seufzte und trat ihn mit dem Absatz zurück auf den Boden, dann ging ich an ihm vorbei. Doch irgendetwas brachte mich dazu, mich umzudrehen. Er lag immer noch auf der Straße, aber oberhalb seines Kopfes, auf einer rauen Backsteinmauer, starrte mich ein Paar aufgemalter Augen vorwurfsvoll an.

Ich erwiderte ihren Blick. Nemesis, die Ikone, die Heldin der Galaxie – eine bloße Legende, die niemals wirklich existiert hatte.

Die Überschüssigen hatten geglaubt, ich sei gestorben. Nicht von der Hand meines Mannes, sondern vermutlich während des Partisanenangriffs auf die Tigris vor einigen Jahren … Es war mein Angriff gewesen, aber man hatte die Partisanen dafür verantwortlich gemacht, denn im Imperium wurde jede Wahrheit mit Lügen verschleiert. Angeblich war die Nemesis, die vor den Augen der gesamten Galaxie in der Galakuppel erstochen worden war, eine von den Partisanen eingeschleuste Doppelgängerin gewesen.

Ja, alle hatten geglaubt, dass ich tot war – und rückblickend wäre ich damit besser dran gewesen. Ich hätte ein Leben in Abgeschiedenheit führen können, vergessen, eine kurze und tragische Erinnerung.

Stattdessen hatte ich beschlossen, mich lebendig zu zeigen und Tyrus zu ermorden – und damit alles endgültig vermasselt.

2

 

Tyrus, ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen.

Nein … Ich weiß. Aber ich mir eines ohne dich.

Das waren unsere letzten Worte gewesen, ehe mir Tyrus ein Schwert in die Brust gerammt hatte.

Gladdic von Aton hatte mich – einen Körper in einem Sarg an der Schwelle zum Tod – zu Neveni an Bord der Arbiter geschickt. Sie hatte mich aus dem Sarg befreit, in dem ich zu meiner Bestattung in einen Stern hatte geschossen werden sollen. Obwohl mein Herz schlug und meine Augen offen waren, hatte ich in den ersten verschwommenen Monaten an Bord der Arbiter diesen todesähnlichen Schlaf nicht abschütteln können.

Neveni hatte sich den Partisanen angeschlossen, den Überschüssigen, die sich zum organisierten Widerstand gegen die Herrschaft des Imperiums formiert hatten. Auf der Arbiter gab es mehr Personal als Arbeit, und ich hatte keinerlei technische Begabung, also hatte ich nichts zu tun …

Anfangs wollte Neveni, dass ich müßig unter ihnen weilte und nichts tat, sogar die Mahlzeiten ließ sie mir bringen. Doch es war ohnehin schon unerträglich auf der Arbiter, auch ohne unendlich viel freie Zeit für meine rasenden Gedanken, also bestand ich darauf, mich nützlich zu machen. Irgendetwas. Putzen war genauso akzeptabel wie alles andere.

Der Maschinenkern war mein Lieblingsbereich im Raumschiff, weil er abgelegen war und es keine Fenster gab, durch die man die Sterne sehen konnte. Dort lag immer ein Gewirr aus Kabeln und Schalttafeln, verstreuten Geräten, die nicht an ihren Platz zurückgebracht worden waren, und zerknitterten Essensverpackungen.

Es gab mir etwas zu tun, den Müll zu beseitigen, das Reinigungsspray, das eigentlich für die Servbots bestimmt war, zu finden und das raue Metall zu scheuern, bis es glänzte.

Auf diese Weise vergingen die Stunden schnell. Frei von Gedanken. Das war schließlich das Wichtigste: mich von der riesigen, gähnenden Leere abzulenken, zu der meine Existenz geworden war.

So bewegte ich mich durch mein neues Leben, ließ mir bei meinen Aufgaben Zeit, ohne dass es irgendjemanden irgendetwas kostete, denn was ich tat, machte keinen Unterschied. Jeden Morgen blieb ich in dem durchgelegenen Bett, bis mir der Rücken schmerzte. Ich wanderte langsam durch die farblosen Korridore, mit jedem Schritt wurden meine Beine schwerer. Viele Stunden verbrachte ich bei den gemeinsamen Mahlzeiten, die die Partisanen jeden Tag zubereiteten und die in der Regel aus einem Klumpen synthetischem Brot, Fleischbrühe und irgendeiner chemischen Würzpaste bestanden, die glibberig am Tellerrand klebte.

Ununterbrochen beobachteten mich die Partisanen, tuschelten über mich – ohne zu ahnen, dass ich alle ihre Worte hören konnte.

»… ich glaube nicht, dass sie wirklich die Kaiserin ist, egal was Sagnau sagt. Sie sieht ganz anders aus.«

»Die Nase ist nicht richtig. Und es ist irgendwie unheimlich, wie sie durch einen hindurchschaut …«

»… ich finde immer noch, wir sollten sie einfach umbringen …«

»Das hat Sagnau doch auch irgendwann vor, oder?«

Sie verabscheuten mich aus tiefstem Herzen. Für sie war ich nichts als eine Feindin mitten unter ihnen – die Frau des Domitrianers, selbst wenn er mich verstoßen hatte.

Die Welt um mich herum war stumm, die Farben gedämpft und die Kanten scharf.

Ich bemühte mich, nie aus dem Fenster zu sehen, denn der Anblick der fernen, gleichgültigen Sterne weckte Erinnerungen an mein Leben mit Tyrus. Und dann prasselten die Fragen auf mich ein.

Hat er mich je wirklich geliebt?

Habe ich mir alles nur eingebildet?

Tausend Jahre Folter hätte ich erduldet und Tyrus niemals angetan, was er mir angetan hatte. Alles, was ich für ihn getan hatte, alles, was ich empfunden und gedacht, mir vorgestellt und erträumt hatte, hatte ihm am Ende einfach nichts bedeutet. Nicht einmal das Venalox konnte ich für seine Bereitschaft, mich umzubringen, verantwortlich machen.

Die Erinnerung war unerträglich, und Tyrus’ Worte hämmerten unablässig in meinem Kopf: Das Universum gehorcht keiner höheren Ordnung, es hat keinen tieferen Sinn und gibt nichts auf Gerechtigkeit.

War das die simple Wahrheit? Ließ man Träume in der Handfläche erblühen, nur damit sie zerquetscht wurden, und dann war es vorbei mit ihnen?

Ich hatte Sidonia geliebt und sie verloren.

Ich hatte Tyrus geliebt und auch ihn verloren.

War ohne Tyrus, ohne Donia noch irgendetwas übrig von der Diabolic, die zum Menschen erklärt, als beseeltes Wesen anerkannt worden war? Denn ich fühlte mich leer. Es kam mir so vor, als sei meine Seele verschwunden, und ich fragte mich, ob ich überhaupt jemals eine besessen hatte.

Manchmal wurde ich zornig.

Nicht auf Tyrus. Der Gedanke an ihn war zu schmerzhaft.

Nein. Meine Wut richtete sich auf eine Person, die meine Feindseligkeit nicht verdient hatte.

Auf Donia.

In unruhigen Träumen überragte sie mich, immer überragte sie mich, und wir waren wieder in der Impyreanerfestung. Aber ich saß nicht still und beobachtete sie beim Malen, ich schaute auch nicht mit ihr aus dem Fenster, um den Gasriesen zu betrachten. Stattdessen schrie ich sie an wegen dem, was sie mir angetan hatte, denn meine gesamte Existenz war ein Schwindel, ein Witz, eine Farce, und das war ihre Schuld. Sie hatte mir eingeredet, dass ich mehr sein könnte, dass ich von Bedeutung sei, dass ich eine Seele hätte, und dann war sie gestorben und hatte mich diesem grässlichen Irrglauben überlassen, und in meinen Träumen ließ ich sie dafür leiden.

»Du hast mir gesagt, ich sei wertvoll!«, schrie ich sie dann an. »Du hast gesagt, ich besäße den göttlichen Funken. Du hast gelogen. Ich bin leer, Donia. In mir ist gar nichts mehr. All deine Worte waren Lügen. Vor dir war ich stark. Ich war ganz. Du hast mich zerstört, Donia – DU HAST MICH ZERSTÖRT!«

Und dann schlug ich mit den Fäusten auf ihr schönes, unglückliches Gesicht ein, zerkratzte es mit den Fingernägeln, und wie herrlich war diese Qual, der Schmerz, den sie nie mit mir teilen würde, und die Wut füllte meine Verzweiflung mit etwas Düsterem und Prächtigem …

Dann wachte ich auf und sah die vertrauten grauen Linien der Arbiter und widerte mich selbst an. Donia war die reinste Seele gewesen, die ich je gekannt hatte. Warum machte ein Teil von mir sie für mein Elend verantwortlich?

Doch irgendwo tief in mir tönte eine verbitterte Stimme: Es war ihre Schuld. Es war alles ihre Schuld! Sie hatte mir gezeigt, was Liebe war, also hatte sie mir diesen schrecklichen Schmerz zugefügt. Ich könnte mich nicht so leer fühlen, wenn ich niemals erfahren hätte, wie es war, sich so vollständig zu fühlen. Ich wünschte, ich hätte sie nie geliebt, und auch Tyrus nicht. Ach, wie sehr ich mich danach sehnte, einfach nur eine grausame und gefühllose Diabolic zu sein, eine Killerin ohne jegliche Verbundenheit mit irgendjemandem, mit irgendetwas. Aber das hatte sie mir für immer genommen.

»Wieder ein Albtraum?«, fragte mich Neveni manchmal, wenn sie zur gleichen Zeit wie ich in ihrer Koje schlief wie ich in meiner.

In meiner Anfangszeit auf der Arbiter hatte Agonus die Koje mit ihr geteilt, und hin und wieder hatte ich gesehen, wie er einen starken, dunklen Arm um ihre Hüfte schlang oder ihr durch die Haare strich. Er hatte den Anstand, nicht nachzuhaken, und hatte ihr mit seiner tiefen, grollenden Stimme zugeraunt: »Lass sie in Ruhe.«

Das fehlte mir nun, nachdem sie seiner überdrüssig geworden war und ihn weggeschickt hatte. Allein mit Neveni fühlte ich mich ausgeliefert. Mir entging das zufriedene Glitzern in ihren dunklen Augen nicht, wenn ich aus einem Albtraum aufschreckte. Sie brannte auf den Beweis, dass ich genau die Waffe sein würde, die ich ihnen versprochen hatte, dass ich Tyrus genug hasste, um meinen Schwur gegenüber den Partisanen zu halten und ihn umzubringen.

Sag mir, wen ich für dich töten soll,waren meine Worte gewesen. Mir ist jeder recht.

Wenn sie mich also über meine Albträume ausfragte, antwortete ich jedes Mal: »Ich weiß es nicht mehr.« Dann zog ich die Decke wieder über mich, wandte ihr den Rücken zu und tat so, als würde ich schlafen, bis ihr Atem sich beruhigte.

Wir wussten beide, dass schon bald der Tag kommen würde, an dem ich mein Versprechen einlösen musste.

Ich war mir als Einzige sicher, dass ich es tun würde: Ich würde Tyrus töten.

Die Leere würde nicht nachlassen, nicht verschwinden. Sie ließ mir keinen Grund, Milde walten zu lassen.

 

Fünf Monate nach meinem vermeintlichen Ableben war der Tag gekommen.

Tyrus würde mit seiner Marionette, dem Interdikten, auf Corcyra auftreten, dem Planeten, der dem Einflussbereich der neusten Supernova am nächsten war.

Die Partisanen auf der Arbiter verfielen in hektische Betriebsamkeit, während sie ihren Anschlag planten. Sie erkannten die Gelegenheit für eine spektakuläre Show der Zerstörung, einen beispiellosen Schlag gegen das Imperium.

Ich war in den Plan eingeweiht. Ich würde sein Schlüsselelement sein.

Wir würden beide töten: Tyrus und den falschen Interdikten. Ich sollte den ersten Hieb führen, und mit etwas Glück würde ich beide umbringen.

Aber Tyrus in jedem Fall.

Kein Angriff gegen das Imperium wäre symbolträchtiger, als wenn ich Tyrus tötete. Es war mir egal, ob ich dabei ums Leben kam, und den Partisanen wahrscheinlich auch.

Eine Märtyrerin ist immer nützlich. Und ich würde den Tod willkommen heißen.

Eine Handvoll Partisanen und ich wurden in einem Rettungspod auf den Planeten geschmuggelt. Ich trennte mich von ihnen, setzte mir eine Kapuze auf und mischte mich unbemerkt unter die Menge auf Corcyra, während das Raumschiff des Interdikten in die Atmosphäre eintauchte. Die Sicherheitsmaschinerie um uns herum schaltete auf Alarmbereitschaft, um die beiden wichtigsten Persönlichkeiten des Imperiums zu schützen.

»Bist du auf Position?«, ertönte Nevenis Stimme in meinem Ohr.

»Fast«, antwortete ich leise.

Jede Person auf diesem Planeten war auf Waffen abgescannt worden. Aber das spielte keine Rolle. Einer der Partisanen, die mit mir in dem Pod gewesen waren, war ein Scharfschütze, und jeder von uns hatte einen Teil eines Lasergewehrs bei sich getragen, das er nun mit akribischer Sorgfalt wieder zusammensetzte. Während ich mich durch die Menschenmenge bewegte, war mir bewusst, dass sich der Scharfschütze irgendwo hinter mir befand, als Absicherung. Sein Auftrag war es, Tyrus oder den Interdikten zu erschießen, je nachdem, wen von beiden ich nicht erwischte, denn mit Sicherheit würde ich einen zuerst umbringen.

Musik erfüllte die Luft. Millionen von Stimmen brachen in donnernden Jubel aus, so laut, dass es in meinen Knochen zu vibrieren schien.

Die Penumbra schwebte über uns herein, mit den ausgefahrenen Triebwerken erinnerte das Raumschiff an eine hohle Pyramide. Eine Luftschleuse öffnete sich, und heraus glitt eine Triumphplattform mit zwei Gestalten, die unter der sorgfältig ausgerichteten Beleuchtung strahlten. Ich erkannte Tyrus’ breitschultrige Silhouette direkt hinter dem falschen Interdikten.

Zunächst gehörte das Scheinwerferlicht ganz dem Interdikten. Er hob die Arme, um den aufbrandenden Jubel der Menge zu empfangen. Dann trat Tyrus an seine Seite, und irgendwie verdoppelte sich der Jubel noch. Umrahmt von dem hell erleuchteten Schleusentor der Penumbra hinter ihnen, gekleidet in prächtige Roben, die das Licht reflektierten, wirkten die beiden so strahlend wie Götter.

Wie lange hatte Tyrus diesen visuellen Effekt geplant?

Ich drängte vorwärts.

Schon bald war ich der schwebenden Plattform so nah, dass ich die Hitze ihrer Antriebsdüsen auf der Haut spüren konnte.

Nevenis einzige ausdrückliche Anweisung war gewesen: Sorg dafür, dass sie dein Gesicht erkennen. Die Macht dieser Geste geht von dir aus, Nemesis. Alle sollen sehen, dass du lebst, nie tot warst – und dass das Imperium auf Lügen basiert. Dann holst du zum letzten Schlag aus und tötest Tyrus für das, was er dir angetan hat.

An allen Ecken des Platzes flackerten Hologramme des Interdikten auf und erhoben sich über die Menschenmenge, während Fustians Stimme ertönte: »Wie schön, dass ihr alle heute hier zusammengekommen seid! Ich weiß, was ihr euch wünscht: eine Erklärung für die jüngste Supernova im Sechs-Stern-System. Ich möchte ganz offen und direkt sprechen: Gelegentlich beschließt unser heiliger Kosmos, einige von uns mehr zu segnen als andere …«

Die Menge geriet in Bewegung, alle wollten wissen, warum ein junger Stern so weit vor seiner Zeit zur Supernova geworden war.

»In Wahrheit ist ein Raumgeschwür nicht nur ein Akt der Zerstörung. Es kann auch ein Zeichen großer Heiligkeit sein.«

Bei dem Wort »Heiligkeit« verstummte die Menge ungläubig. Ich schenkte ihrer Reaktion wenig Beachtung und drängte weiter vorwärts.

»Unser Kaiser, Tyrus von Domitrian«, sprach Fustian weiter und trat beiseite, damit Tyrus die dominierende Position einnehmen konnte, »besitzt die Fähigkeit, diese große Kraft freizusetzen. Etwas Großartiges ist geschehen. Ein Wunder …«

Es war so weit.

Ich streifte die Kapuze ab, sprang auf die Schultern des Mannes vor mir und überwand die verbleibende Distanz zu der schwebenden Plattform.

Ich landete hinter den beiden Männern, ihre erhabenen Gestalten schirmten mich vor den Blicken der Menge ab. Und dann, ehe ich vorwärtsstürzen und der Sache ein Ende bereiten konnte, verkündete Fustian:

»UNSER KAISER IST EIN GOTT GEWORDEN!«

Diese Worte – so absurd, so außergewöhnlich – rissen mich aus meiner Entschlossenheit.

Sie schienen mich aus einer Trance zu wecken, aus einem langen Traum wach zu rütteln, denn sie waren … sie waren lächerlich.

»Wie glücklich wir uns schätzen können, dass wir einen Gott unter uns haben!« Fustian schluchzte beinahe vor Rührung. »Preist den Lebendigen Kosmos für dieses Geschenk. Es lebe unser Göttlicher Kaiser.« Er warf sich nieder.

Und Tyrus glitt lächelnd vor und sagte: »Ich danke Euch, mein erhabener Freund, dass Ihr meine göttliche Natur anerkennt. Und wie geehrt ihr auf Corcyra euch fühlen müsst, weil ihr die Ersten seid, die euren wahren Gott preisen.«

Vor Schock stand ich wie angewurzelt da. Tyrus’ Gesicht war ernst, die Augen der riesigen Hologrammprojektionen in den Ecken des Platzes funkelten vor Überzeugung. Er schien ernsthaft jedes seiner Worte zu glauben.

»Setzt heute ein Zeichen für die restliche Galaxie!«, rief Tyrus. »Preist mich als euren Gott – und werdet belohnt.«

Statt mit Jubel wurde seine Forderung in der Menge mit Verwirrung und Unruhe quittiert. Die Überschüssigen blickten einander an, und manche folgten ihrem Instinkt und zogen sich zurück.

Einige wenige – ein paar Mutige, voller Überzeugung – legten sich die Hände an den Mund und buhten.

Tyrus’ kühler Blick fiel auf einen dieser Männer, und auf seinen Lippen erschien ein distanziertes Lächeln. »Der heutige Tag diene als Beispiel für alle kommenden«, sagte er leise, beinahe sanft, und sein Tonfall war überaus besonnen. »Dann leugnet eben, dass ich euer Gott bin. Und tragt die Konsequenzen.« Er hob die Hand.

Über ihm raste ein Raumschiff über den Himmel und riss ein Raumgeschwür in die Leere wie einen hellen weißen Strang. Der selbst ernannte Göttliche Kaiser trat mit weit ausgebreiteten Armen an den Rand der Plattform. Die hausgroßen Hologramme spiegelten sein wahnsinniges Grinsen und sein verzücktes Gesicht. Er hob die Arme, als wollte er die gesamte schreiende Menge umarmen, die sich umdrehte und floh. Die Menschen versuchten, dem zu entkommen, wovor es kein Entkommen gab: einem strahlenden, grellen Riss, der sich durch ihr Sternensystem zog.

Unter der leuchtenden Wolke, die den Himmel zu zerreißen schien, ließ ich mich auf Hände und Knie fallen, das Blut rauschte mir in den Adern. Ich konnte nicht fassen, was er getan hatte. Dann ertönte Nevenis Stimme in meinem Ohr und rief mir in Erinnerung, wo ich war und weshalb: »Du bist in Reichweite. TÖTE IHN, Nemesis!«

Ihn töten.

Ja.

Ich war hier, um ihn zu töten. Ich hob den Blick und betrachtete die Gestalt, die mir den Rücken zuwandte, und dahinter die Hologramme seines ekstatischen Gesichts, das die schreiende Menge anlächelte. Und plötzlich zog sich alles in mir zusammen vor Entsetzen und von der beschämenden Erkenntnis, dass Tyrus wahnsinnig geworden war.

Er war wahnsinnig.

Sein Geist war gebrochen.

Er hatte den Verstand verloren.

Das war die Antwort. Die Antwort auf all die Fragen und Zweifel, die mich in den letzten Monaten gequält hatten. Denn er hatte mich geliebt. Ich wusste, dass ich mir das nicht nur eingebildet hatte. Er hatte mich geliebt, und dann hatte er sich völlig verloren, und es war nicht seine Schuld.

Pasus hatte ihm das angetan.

Ich hatte ihm das angetan.

Tyrus’ sternförmige Wächterbots wirbelten herum und bemerkten mich. Vermutlich sendeten sie ihm eine Warnung direkt ins Gehirn, denn er fuhr herum und erstarrte bei meinem Anblick. Jeglicher Ausdruck wich aus seinem Gesicht.

Ja, selbst das irre Lächeln.

»Bitte, Nemesis!« Nevenis Stimme war heiser, panisch. »Beende es. Töte ihn!«

Seine Miene verwirrte mich. Eine seltsame Art von offenem Staunen, etwas, das ich an ihm nie wieder zu sehen erwartet hatte. »Nemesis …?«, fragte er zärtlich, geradezu ungläubig.

»TÖTE IHN!«, schrie Neveni.