Dickes Fell - Chris Hartmann - E-Book

Dickes Fell E-Book

Chris Hartmann

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Beschreibung

"Dickes Fell" erscheint als drittes Buch einer Wuppertaler Krimi-Reihe der Autorin Chris Hartmann im Verlag Edition Köndgen, in dem bereits die Romane "Langer Atem" und "Stille Wasser" veröffentlicht wurden. Nach den Tatorten Beyenburg und Ölberg in den vorherigen Krimis, stellt in "Dickes Fell" nun das Theater in Cronenberg den Schauplatz des Verbrechens dar. "In den Sommerferien haben sich Tim und Sonny zu einem Theaterkurs in Cronenberg angemeldet. Ist die Hitze schuld, dass sich rund um das Theater merkwürdige Vorfälle häufen? Tims Schauspiellehrer Zarius behauptet, dass die Vorfälle mit einem Fluch zu tun haben. Tim glaubt die Spukgeschichten nicht. Er fragt sich, wie hat Zarius´ Wohnwagen dann Feuer gefangen? Wurde nachgeholfen? Er und seine Freunde haben Kommissar Hansen allerdings nach der Lösung des letzten Falles versprechen müssen, dass sie keine Nachforschungen mehr auf eigene Faust anstellen. Das wird nicht leicht für sie! Denn abgesehen von ihren Gewissensbissen bringen die sich überschlagenden Ereignisse die jungen Detektive auch diesmal in Bedrängnis." Spannend, unterhaltsam und voller Nervenkitzel! Ein Lesespaß für Kinder ab 10 Jahren.

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Seitenzahl: 212

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Teil 1

01 Bitte zurück auf Anfang!

02 Zarius trifft der Fluch

03 Immer der Nase nach!

04 Aller Anfang ist schwer

05 Übung macht keinen Meister

06 Wo sind schwarze Schafe?

Teil 2

07 Abwarten und Eis essen

08 Nägel mit Köpfen machen

09 Viel Lärm um Amalie

10 Der Klügere gibt auf!

11 Mit Geduld und Spucke

12 Ende gut, alles gut?

Anhang

Steckbrief Tim

Weitere Personen

Teil 1

Bitte zurück auf Anfang!

Dienstag, 7. Juli

Ich fürchte, Kommissar Hansen, der Vater meines Freundes Frederick, ist immer noch eingeschnappt. Denn nicht seine Mitarbeiter, sondern wir konnten ihm den entscheidenden Hinweis zur Lösung des letzten Falles liefern. Er sagt, wir sollen uns gefälligst um unseren eigenen Kram kümmern und uns nicht in Dinge einmischen, die uns nichts angehen. Das tue ich momentan auch. Ich sitze jetzt oft an einem sonnigen Platz im Garten hinter dem kleinen Haus, in dem Tordis wohnt. Sie ist die Freundin von Onkel Paul. Auf meinen Knien liegen dann gebundene Seiten des Textmanuskriptes zu dem Shakespeare-Theaterstück „Ein Sommernachtstraum“.

Da wir endlich Sommerferien haben, habe ich mich zu der Teilnahme an einem Miku an dem Theater im Nachbarstadtteil Wuppertal-Cronenberg entschlossen. Miku, also Mitmachkurs, hört sich erst einmal komisch an. Die Truppe ist vom Alter her gemischt. Sonny und ich sind die jüngsten Teilnehmer. Ob das mit dem Schauspielen etwas für mich ist, weiß ich nicht. Aber Sonny hat sich angemeldet und ich möchte ehrlich gesagt in ihrer Nähe sein. Ich klammere mich insgeheim daran, dass ich nicht spielen muss. Ich bin einer der Ersatzspieler. Nur wenn Luis, der die Figur Puck spielt, ausfallen sollte, muss ich für ihn einspringen. Lernen muss ich trotzdem. Auch gestern habe ich den Text wieder halblaut gelesen, während Tordis im Gemüsebeet herumhantiert hat.

Tordis hat einen schönen Garten. Sie baut Salat und Gemüse an, wie zum Beispiel Gurken, Zucchini, Kohlrabi und Spinat. Aber es blühen auch viele Blumen. Ganz besonders leuchten die gelbe Kapuzinerkresse und die orangefarbenen Ringelblumen. Das sind Blumen, die Schnecken nicht mögen und so das Gemüsebeet vor dem Abfressen schützen. Das weiß ich von Tordis, die als Gärtnerin den „grünen Daumen“ hat. Das bedeutet so viel wie, dass sie wirklich alle Tricks kennt, damit im Garten auch alles wachsen kann.

Sie sitzt, wenn sie nicht im Garten arbeitet, auf der abgeblätterten Bank hinter ihrem Häuschen. Dann schrubbt sie zum Beispiel mit Erde verkrustete Radieschen über einem Wassereimer. Gestern hat sie ihre Fingernägel geschrubbt, unter denen sich Erde von der Gartenarbeit angesammelt hat. Ich sehe sie vor mir. Sie sitzt da und lacht mich an.

„Ich wusste gar nicht, dass du dich fürs Theaterspielen interessierst“, ruft Tordis herüber. Selbst jetzt werde ich rot, das spüre ich ganz deutlich. Nicht die besten Voraussetzungen für eine selbstbewusste Schauspielerkarriere. Tordis hat das mit dem Rotwerden übersehen. Sie hat sich die Hände an ihrer Gartenhose abgeputzt und mir unter ihrem Strohhut aufmunternd zugezwinkert.

Ich habe die Ersatzrolle des Elfen Puck erwischt, der im Text Droll heißt. Die unterschiedlichen Namen des Elfen haben mit den verschiedenen Übersetzungen des Stückes vom Englischen in die deutsche Sprache zu tun, hat unser Lehrer Zarius erklärt. Das ist keine Traumrolle, denn mit so einer Figur kann ich bestimmt keinen Eindruck machen. Puck ist nämlich nicht etwa ein netter Elf, sondern eine Art Kobold, der seinen Schabernack mit den anderen treibt. Ich bin also Puck, der Elf, der alles ins Chaos stürzt.

Na toll, als ob ich im wahren Leben nicht genug Chaos hätte! Mama ist nämlich krank geworden, Oma passt auf meine Schwester Klara auf und wohnt dafür jetzt in meinem Zimmer, und mein Vater hat mich deshalb einfach von Beyenburg hierhin zu Onkel Paul umquartiert. Aber trotz Chaos bin ich doch noch hier im Nachbarstadtteil Elberfeld im Ölberger Viertel heimisch geworden. Ich fühle mich auch bei Tordis, die in der Nähe von Onkel Paul wohnt, zu Hause. Meine Eltern, Klara und Oma Helga vermisse ich natürlich, ganz zu schweigen von meinen Freunden Sonny und Frederick. Ich habe mich also trotz der neuen Schule und der Aufregung rund um den letzten Fall wider Erwarten mittlerweile eingelebt. Gut, dass auch Narek aus der neuen Klasse ein Freund für mich geworden ist. Aber auch Frederick und Sonny sehe ich öfter, wir versuchen wirklich alles, damit wir uns treffen können. Da merkt man mal, was echte Freundschaft ausmacht! Entweder ich besuche sie in Beyenburg oder sie kommen hierher nach Elberfeld. Wegen der vielen Fahrten kenne ich schon alle Busfahrer. Meine Situation ist nicht hoffnungslos, denn Mama macht Fortschritte und stiefelt schon mit Krücken herum. Diese haben sogar einen extra für sie gefertigten Handgriff aus Holz, weil sie so viel trainiert und ihre Hände Schwielen von den Plastikgriffen bekommen haben. Das hat Papa voller Stolz erzählt. Das heißt, ich werde nicht mein halbes Leben in der Nordstadt von Elberfeld verbringen müssen.

Aber vorerst muss ich hierbleiben. Leider gibt es hier meines Wissens in nächster Nähe keinen See wie in Beyenburg und die letzten Wochen hätte man gut und gerne jeden Tag ins Wasser springen können, so warm ist es. Stattdessen kümmere ich mich in den Ferien um den eigenen Kram: Theaterspielen!

Wieso heißt dieser verdammte Elf überhaupt Puck? Das hört sich für meine Ohren eher nach Eishockey oder meinetwegen noch nach der Stubenfliege aus Biene Maja an. Jedenfalls kommt Puck erst im zweiten Akt vor, was ich schon mal gut finde. Dann habe ich weniger Text! Er soll da die Blume holen, die von Cupidos Pfeil getroffen worden ist und dadurch Zauberkraft besitzt. Laut Onkel Paul handelt es sich dabei um ein wildes Stiefmütterchen. Der Nektar bewirkt im Stück, dass diejenigen, die Puck mit der Zauberblume berührt, sich in die nächste lebende Kreatur, die sie sehen, verlieben oder ihr wenigstens freundlich zugetan sind. Wenn das so einfach wäre! Dann bräuchte man nur Stiefmütterchen pflücken und es gäbe auf der Welt keinen Streit mehr. Gestern ist es jedenfalls zu heiß zum Streiten und auch zum Lernen der Rolle gewesen.

„Soll ich dich abfragen?“, hat Tordis sich erkundigt.

„Nein, danke“, habe ich abgewehrt und nicht mehr weiterlesen wollen. Ich sehe mich, wie ich mit verschwitzten Haaren aufspringe, das Buch auf den Boden fallen lasse und den dösenden Mokka, den Kater aus der Nachbarschaft, den ich mittlerweile sehr lieb gewonnen habe, von meinem Schoß schubse. Erst einmal greife ich nach der Wasserflasche, die ich ins Gras gestellt habe. Es ist schwül und ich gehe ins Haus. Ich schleppe den großen knallgelben Sonnenschirm heraus und spanne ihn auf. Dann lese ich doch, aber etwas weniger blinzelnd, weiter. Die gestelzte Sprache empfinde ich als anstrengend. Ohne die nötige Konzentration sind die verwirrenden Handlungsstränge mit den vielen Figuren nicht gerade überschaubar. Als ich die Stelle lese, bei der Puck den Liebe auslösenden Saft der Blume auf Lysanders Augen träufelt, merke ich, dass ich müde werde.

„Wirst du wach, oh so lach, freundlich der, die vorher Du geliebt, und bleib ihr treu. Dann geht es, wie das Sprüchlein rühmt: Gebt jedem das, was ihm geziemt. Hans nimmt sein Gretchen, jeder sein Mädchen. Find seinen Deckel jeder Topf. Und allen geht’s nach ihrem Kopf“, lese ich mit weit aufgerissenen Augen noch die eine Stelle laut zu Ende. Aha, denke ich, daher kommt der Ausspruch zum Thema Partnersuche. „Jeder Topf findet seinen Deckel“, den Satz hat meine Mutter letztens gemurmelt und damit Tante Mathilda und ihren neuen Mann Erich gemeint. Ich habe es so verstanden, dass man seinen Gegenpart findet, jemanden, der zu einem passt. Ich gähne und lege das Buch zur Seite. Es ist spät geworden, darum beschließe ich, morgen weiterzumachen. Ich schaue nach oben. Die erste Wolke schiebt sich vor die Sonne und verdunkelt den Himmel. Donner kündigt ein Gewitter an. Schnell räume ich den Schirm ins Haus zurück und raffe meine Sachen zusammen. Dann setze ich mich in Bewegung.

„Bis morgen!“, rufe ich Tordis eilig zu, die mit einer Harke schon wieder emsig den ausgetrockneten Boden um die Blumen herum lockert.

„Bis morgen, Tim!“ Tordis winkt mir und ich mache mich auf den Weg zu Onkel Paul. Die ersten Tropfen fallen und ich trabe um den Häuserblock. Es ist der erste Regen seit Wochen, aber es sind nur ein paar Tropfen. Ich schließe die Tür auf und sehe, dass die Tasche von Onkel Paul schon im Flur steht.

„Ich bin wieder da!“, rufe ich in Richtung Wohnzimmer und verdrücke mich in das Zimmer, das ich bei Onkel Paul bewohne. Ausgemachte Wuppertaler wie Onkel Paul würden für den schwülen Tag vermutlich die Wörter „mutschig“ oder „drammich“ verwenden. Mein nassgeschwitztes T-Shirt kann ich nach dem kurzen Trab direkt in den Wäschekorb werfen. Ich hole ein frisches aus dem Schrank und ziehe es über. Ich laufe über die knarrenden Holzdielen und reiße die beiden Fenster auf, damit die sich draußen abkühlende Luft auch drinnen für Erfrischung sorgen kann.

Nach der Lösung des Falles mit dem Toten im leer stehenden Haus habe ich kaum in mein Notizbuch geschrieben, was ich nachholen will. Tja, Kommissar Hansen hat leider recht, wenn er sagt, dass es gefährlich ist, Detektiv zu spielen, wie er es ausdrückt. Und zwar doppelt gefährlich. Nicht nur, weil wir damals in die Hände eines schlimmen Schurken geraten sind, sondern, weil ich beim letzten Mal das Bewusstsein verloren habe. Ich habe in der Notsituation Knäcke gegessen. Für mich als Zöli ist das ganz schön haarig geworden. Das heißt, dass mir meine stark ausgeprägte Zöliakie, also Glutenunverträglichkeit, fast zum Verhängnis geworden wäre. Deshalb werden wir uns auch an das Versprechen halten, das uns Fredericks Vater abgerungen hat. Wir wollen wirklich keine uns gefährdenden Ermittlungen mehr aufnehmen. Aber wo soll auch ein neuer Fall herkommen? Die neue Schule hat nach dem Fall sowieso meine ganze Aufmerksamkeit gefordert, denn Arbeiten und Tests schreiben sich leider doch nicht von selbst. Aber wie auch immer, jetzt sind erst einmal Ferien. Morgen bin ich mit Frederick am See verabredet.

Mittwoch, 8. Juli

Nach dem heutigen Tag in Beyenburg spannt sich meine Haut von der Sonne. Frederick, Sonny, Narek und ich haben den halben Tag im Wasser verbracht. Es würde mich nicht wundern, wenn mir doch noch Schwimmhäute wachsen würden. Wie fast jedes Mal sind Frederick und ich von unserer Baumgabel ins Wasser gesprungen und direkt neben Sonny und Narek gelandet. Sonny und Narek sind zu dem Steg geschwommen und haben sich in die pralle Sonne gelegt. Frederick und ich sind hinterher gekrault und haben uns ebenfalls auf die dicht bevölkerten Holzplanken gezwängt. Es hat stark nach Sonnencreme gerochen.

„Macht euch bloß nicht so breit!“, hat ein Mädchen gemosert. Sie hat von der Sonne weißblondes Haar und auf den Füßen schon ein Sandalettenmuster und ist auf dem Landweg gekommen. Neben ihrem Picknickrucksack steht eine Lautsprecher-Rolle. Sie hat an den Tasten ihres Handys gespielt, aber statt der erwarteten Musik sind plötzlich Lokalnachrichten zu hören gewesen.

„Das trockene Wetter in den letzten Tagen sorgt auch in Wuppertal für erhöhte Waldbrandgefahr. Der Deutsche Wetterdienst hat deswegen für die kommenden Tage die zweithöchste Gefahrenstufe ausgerufen. Noch sorge aber der nächtliche Tau für ausreichend Feuchtigkeit.“ Pause.

„Die Wuppertaler Stabhochspringerin Caro Wendler ist von der Deutschen Sporthilfe in das Förder-Programm ElitePlus aufgenommen worden. Damit erhält sie in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele zusätzliche Unterstützung. Wendler hatte bei der EM die Bronze-Medaille geholt. Bundesweit nehmen derzeit 18 Sportler an dem Programm teil.“ Pause.

„Letzte Nacht wurden in Cronenberg zwei Kaninchen getötet. Der Besitzer hatte sie in einem Holzverschlag im Garten gehalten. Vermutlich wurden die Kaninchen von einem entlaufenen Hund gebissen. Die Polizei befürchtet, dass der Hund auch Spaziergänger anfallen könnte. Hinweise zum möglichen Verbleib des Tieres bitte an die örtliche Polizei unter der Nummer ...“

„Hast du das gehört?“ Frederick boxt mich in die Seite.

„Bei uns in der Nachbarschaft gibt es ja auch seit Kurzem die großen Hunde vom Dietrich und vom Huber. Einer von den Hunden hat auch schon nach mir geschnappt.“

„Ach, hast du gar nicht erwähnt.“

„Wozu? Oder meinst du, dass ich mich in einen Werwolf verwandeln könnte und ihr mich dringend beobachten müsst?“, kichert Frederick. Über uns sind am wolkenfreien Himmel Flugzeugstreifen zu sehen. In der Ferne treibt ein auf dem Rad sitzender Trainer seine Ruderer lautstark vom Ufer aus an.

„Wollen wir gleich zur Scheune? Da kann ich am besten über alles nachdenken.“

„Klar! Der weltbeste Treffpunkt, wo du schon mal hier bist.“

Plötzlich springt Frederick auf, schubst mich ins Wasser und hechtet mit einem Satz hinterher.

„Wer zuerst am Sprungbaum ist!“, brüllt er und ist schon dicht vor mir. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, sondern nehme die Herausforderung an.

Ich lächle bei der Erinnerung daran und bei dem Gedanken, dass es nichts Besseres gibt, als mit meinen Freunden im See schwimmen zu gehen. Nach dem Abendessen mit Onkel Paul bin ich müde.

Trotzdem stöbere ich noch in seinem Bücherschrank, denn ich habe mich daran erinnert, dass mein Onkel Bücher über einige Theaterstücke im Regal stehen hat. Ich finde, wie ich gehofft habe, eine Zusammenfassung des Stückes, das mich noch die nächsten Wochen begleiten wird. Ich habe mich sofort daran gemacht, in dem Heftchen zu lesen, um mir erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Das Stück stammt ursprünglich aus dem Jahr 1595 oder den darauf folgenden Jahren, hat also über 400 Jahre auf dem Buckel. Auch wenn die Welt der Figuren in dem uralten Stück ziemlich viel mit Zauberei zu tun hat, was mir ehrlicherweise gefällt, geht es doch wohl hauptsächlich um eine Hochzeit und um einen Ehekrach zwischen der Elfenkönigin Titania und ihrem Mann Oberon. Was mich an Oma und Opa erinnert. Die haben sich auch nicht immer gut verstanden. Oberon beauftragt im Stück Puck, durch einen Zauber Verwirrung zu stiften. Das gipfelt zuletzt darin, dass sich Titania in einen Handwerker mit einem angezauberten Eselskopf verliebt.

Aber nicht nur das Elfenkönigspaar muss sich mit Liebesverwicklungen herumärgern. Ein anderes Paar – das ist der Fürst und seine Frau, zu deren Hochzeit das Elfenpaar eingeladen ist – wird wegen eines Streitfalls um Rat gebeten. Der Brautvater einer weiteren Braut hat erfahren, dass seine gegen ihren Willen versprochene Tochter einen anderen Mann liebt und ihre Flucht vor der Hochzeit plant. Der Vater verlangt jetzt von dem Fürsten eine schnelle Doppelhochzeit, damit seine Tochter nicht mehr vor ihrem Ehemann davonlaufen kann. Die Verliebten fliehen aber doch vor dem Vater und dem zukünftigen Bräutigam in den Wald, in das Revier der Elfen.

Das kann nicht gut gehen, denn Puck stiftet nach dem Willen von Oberon auch hier Verwirrung. Alle Personen, die rund um diese Verliebten in Oberons Wald kommen, werden ebenfalls entweder vorher oder aber durch den Zauber nicht wiedergeliebt. Sehr traurig das Ganze. Helena liebt Demetrius, Demetrius aber liebt Hermia, Hermia liebt stattdessen Lysander und Lysander liebt später wiederum Helena. Am Schluss kommt zum Glück alles wieder in Ordnung. Oberon hat dann doch Mitleid mit den Liebenden und schickt Puck los, um wieder alles geradezubiegen. Am Ende bekommt dann doch Demetrius Helena und Hermia ihren Lysander. Oberon selbst versöhnt sich auch wieder mit seiner Titania. Die Liebe scheint kompliziert zu sein, wenn man bedenkt, dass so viel Tamtam nicht nur im Stück darum gemacht wird. Letzte Woche hatten Onkel Paul und Tordis zum ersten Mal Streit, da herrschte richtig dicke Luft. Das war ein Drama, aber diesmal gab es das Drama nicht auf der Bühne, sondern im wirklichen Leben!

Übermorgen werde ich Klara auf dem Reiterhof im Gelpetal besuchen. Papa will uns hinbringen. Das Gelpetal liegt in Cronenberg, wie das Theater, in dem ich probe. Klara hat sich statt fürs Theaterspielen für einen Reitferienkurs entschieden. Denn leider werden wir nicht in den Urlaub fahren. Papa will einiges im Haus umgestalten, damit Mama im Erdgeschoss ein ebenerdiges Zimmer bekommt. Das ist ein echter Schock gewesen, als wir von ihm erfahren haben, dass wir dieses Jahr auf eine Reise verzichten müssen. Klara hat deswegen einen riesigen Tanz aufgeführt, wie Papa das genannt hat. Deshalb hat er uns auch Ferienkurse spendiert. Ein eindeutiger Fall von Bestechung, wenn man mich fragt!

Montag, 13. Juli

Ich drehe ständig das Kleeblatt in meiner Hand hin und her. Der Glücksbringer an dem Schlüsselbund für Onkel Pauls Wohnung glänzt silbern. Ob er mir Glück bringt? Wo man doch vierblättrigen Kleeblättern Glück bringende Eigenschaften nachsagt. Das behauptet Oma jedenfalls. Und sie kennt sich mit abergläubischen Ritualen aus. Und Glück brauche ich dringend! Ich muss jetzt doch den Puck spielen, denn Luis ist tatsächlich krank geworden. Nach jeder Probe wünsche ich mir, dass Luis auf wundersame Weise spontan geheilt wird. Ich habe schon von solchen Dingen gelesen. Ich leide furchtbar unter Lampenfieber und stehe jedes Mal mit schweißnassen Händen auf der Bühne. Onkel Paul meint zwar, dass das am heißen Wetter liegt und die Aufregung sich noch geben wird, aber ich spüre nichts davon. Im Gegenteil! Das Lampenfieber wird immer größer, je mehr Proben ich hinter mich bringe.

Die Proben beginnen pünktlich, darauf legt der schlaksige Lehrer mit den langen Fingern und den wild gestikulierten Anweisungen Wert. Er heißt Zacharias Zarius und hat zwischen Kirche und Theater auf dem Parkplatz in einem Wohnwagen Quartier bezogen. Auch wenn das genauso merkwürdig ist, wie sein Name klingt, passt der Wohnort eigentlich nicht zu seinem Auftreten. Der Mann mit den weißen Haaren, die er meist zusammengebunden trägt, ist auffallend elegant gekleidet. Es heißt, er sei früher eine große Nummer gewesen, also quasi eine Berühmtheit und von weit her angereist. Ins Hotel hat er partout nicht einchecken wollen. So darf er in dem Wohnwagen, der zum Theater gehört, wohnen.

Seit er im Theater Kurse gibt, macht der ehemals berühmte Schauspieler alle mit seinem Aberglauben verrückt. Er ist schlimmer als Oma Helga, und das will etwas heißen. Letztens wollte er, dass einige Requisiten von der Bühne verschwinden, weil das Unglück bringe. Er glaubt, echte Blumen, echte Kerzen und echte Spiegel haben auf der Bühne nichts verloren. Gut, ich gebe zu, brennende Kerzen können umfallen, Blumen verwelken schnell und Spiegel zerbrechen. Wer braucht das schon? Aber sich deshalb so aufzuregen? Man darf seiner Meinung nach auch nicht die eigene Jacke, die eigene Mütze oder eigenen Schmuck tragen. Ob er meint, dass man in den eigenen Sachen seine Rolle weniger gut spielt? Und essen und trinken können ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen, davon bin ich überzeugt, so wie er davon gesprochen hat. Ob er denkt, dass das unschöne Flecken auf den Kostümen hinterlässt?

Er hat jedenfalls die echten Blumen aus der Vase gerissen und die triefenden Stängel vor unseren Augen – wir standen staunend am Fenster – bis auf den Parkplatz getragen. Und dann hat er sie in hohem Bogen weggeworfen. Sie waren ein Geschenk an ihn von einer Mutter, die sich für die tolle Anleitung ihres Kindes bedanken wollte. So geht man als Schauspieler doch nicht mit seinen Fans um! In der Hinsicht hat er in jedem Fall eine Macke. Die einzige Ausnahme bei echten Blumen auf der Bühne, die Zarius murrend durchgehen lässt, ist das Tragen im Knopfloch der Jacke. Aber auch nur dann! Und wenn, dann bitte bloß keine gelbe Blume! Aber das ist noch nicht alles. Vor ein paar Tagen erst hat er angeblich eine unheimliche Gestalt im Theater gesehen und behauptet, er werde aufgrund eines Fluchs verfolgt und die Gestalt komme, um ihn zu holen. Was meint er bloß damit? Einen Fluch kenne ich nur aus dem Märchen. In Dornröschen wird das Königreich von der bösen Fee verwünscht und in einen 100-jährigen Schlaf versetzt, weil diese zum Fest nicht eingeladen wird. Ob Zarius die Hitze nicht verträgt? Dann kann man Halluzinationen bekommen, also Dinge sehen, die nicht da sind. Das kann bei jemandem vorkommen, der in der Wüste großen Durst hat und deshalb eine nicht vorhandene Oase mit Wasserstelle sieht.

Aber da Zarius früher einmal berühmt gewesen ist und auch sonst alles übers Theaterspielen weiß, lässt man ihn so, wie er ist. Vielleicht macht er das ja für sein Diva-Image? Soviel ich weiß, kann eine Diva auch eine bedeutende männliche Person sein, die eine geheimnisvolle Ausstrahlung umgibt und Starallüren pflegt. Wenn das sein Ziel ist, als eine solch unberechenbare und launische Person zu gelten, dann hat er das erreicht. Und launisch ist er wirklich. Wenn ich ihn mit einem Satz von ihm beschreiben soll, ist das der Satz: „Bitte zurück auf Anfang.“ Damit treibt er uns alle in den Wahnsinn. Onkel Paul meint zwar, dass man nicht so schnell wahnsinnig wird, auch wenn man alles im Schlaf herunterbeten kann und der Text einem schon zu den Ohren herauskommt. Für die heutige Probe hat Zarius darauf bestanden, dass wir zum ersten Mal in Kostümen spielen.

Meine Verkleidung besteht aus einer wild toupierten rotblauen Perücke, die mich an Pumuckl erinnert, auch wenn der Kobold des bayrischen Schreinermeisters ausschließlich rote Haare hat. Dazu trage ich ein mit blauen Federn (!) bestücktes Wams, also eine Art Weste. Außerdem muss ich mich in eine blaue Leggins zwängen und trage rote Stulpenstiefel, die sogar der Märchenfigur Kater Mikesch alle Ehre machen. Warum Rot und Blau? Gelb und Grün sind auf der Bühne mit Vorsicht zu genießen, meint unser Theaterlehrer. Da ist er überempfindlich. Sonny wird sich totlachen, wenn sie mich darin sieht. Und alle anderen auch. Es hilft nichts. Die Aufführung kann ich unmöglich noch platzen lassen, obwohl ich dazu große Lust verspüre. Auf dem Weg zur Bushaltestelle werde ich den Text durchgehen und sicher wieder nur bis zur Szene kommen, bei der Oberon die Verwechslung, die mir als Puck unterläuft, bemerkt und mich beauftragt, den Fehler zu korrigieren. An der Stelle passiert mir als Puck abermals ein Fehler und ich muss im Stück noch einmal eingreifen. So viele Fehler schon allein im Stück! Hoffentlich mache ich selbst keine!

Zarius trifft der Fluch

Irgendwann konnte man nicht mehr zurück und befand sich unter Bäumen aus Pappe, dachte Tim. Er stand auf der ansonsten leeren schwarz gestrichenen Bühne und wurde wie die anderen Schauspieler von weißen Strahlern beschienen. Während Tim auf seinen Einsatz wartete, ging er in Gedanken den mühselig gelernten ersten Text durch, bevor er die Elfe fragte, also Sonny, wo die Reise hingehen würde. Das war sein Auftakt, in der ersten Szene des zweiten Aufzugs begann seine Rolle als Puck. Im Verlauf des Gesprächs, ganz vertraut unter Waldbewohnern, erzählten sie sich, dass ihre jeweiligen Herrschaften Oberon und Titania Streit hatten. Dabei war die Rede davon, dass Oberon vor Eifersucht voller Grimm schnaubte. Tim musste lachen.

„Was ist denn?“ Zarius stand sichtlich genervt und mit dem Manuskript unter dem Arm vor der Bühne.

„Wieso kannst du nicht ernst bleiben? Hier ist überhaupt nichts Witziges an der Stelle. So geht das nicht! Was verleitet dich jetzt zu einem so ausgelassenen Tonfall?“

„Tut mir leid. Es muss an dem Kostüm liegen.“

„Was ist denn mit dem Kostüm?“

„Ich komme mir albern vor, außerdem ist mir viel zu warm darin. Da hat Sonny es eindeutig besser“, maulte Tim.

Sonny sah an ihrem Kleidchen herunter. Sie musste barfuß spielen und trug auf ihrem Kopf nur einen Kranz aus Papierblumen. Sie war ein Glückspilz, dachte Tim. Das Scheinwerferlicht brannte erbarmungslos auf sie herab. Auf der Bühne war es deshalb heiß und die Luft fühlte sich stickig an. Zarius schien in seinem Anzug nicht zu schwitzen.

„Seid ihr beide bereit, weiterzuspielen?“, erkundigte sich Zarius in einem gereizten Ton.

„Ja!“, riefen Tim und Sonny gleichzeitig und starrten ihn dabei ebenso unverwandt an.

„Ich darf euch kritisieren und muss es sogar, damit ihr besser in eure Rollen findet. Ihr dürft das nicht persönlich nehmen und solltet euch ein dickes Fell zulegen“, gab Zarius in einem versöhnlicheren Ton zurück.

Tim räusperte sich und beantwortete Sonnys Frage, indem er seinen Text aufsagte.

„Du hast‘s geraten, ich schwärme nachts umher auf solche Taten. Oft lacht bei meinen Scherzen Oberon“, Tim musste sich dabei vor Lachen auf die Zunge beißen, dann verbeugte er sich vor Sonny.

„Ich lache wiehernd mit der Stute Ton, den Hengst, den Haber kitzelt in der Nase. Auch lausch ich wohl in der Gevatt‘rin Glase, wie ein gebratener Apfel, klein und rund. Und wenn sie trinkt, fahr ich ihr an den Mund, dass ihr das Bier die platte Brust betriefet, zuweilen hält, in Trauermär vertiefet.“ Tim holte Luft. „Die weise Muhme hält für den Schemel mich, ich gleit ihr weg, sie setzt zur Erde sich auf ihren Steiß und schreit: ‚Perdauz!’ und hustet. Der ganze Kreis hält sich die Seiten, prustet. Lacht lauter dann, bis sich die Stimm erhebt. Nein, solch ein Spaß sei nimmermehr erlebt!“, erzählte Tim als Puck weiter von seinen Streichen. Dann trat Tim zur Seite.

„Mach Platz nun, Elfchen, hier kommt Oberon.“

„Tim, du hättest ja sogar kichern können, wenn du der Elfe erzählst, dass du der alten Muhme, also der Tante, den Hocker vorgaukelst und sie, wenn du wieder aufspringst, hinfällt! Die Tante nimmt nichts in ihrer Trauer wahr. Doch Puck macht es Spaß, andere zu necken und mit den bösen Späßen seinen grollenden Herrn aufzumuntern und diesen vom Streit mit dessen Frau abzulenken. Das ist so eine Art Schadenfreude der Waldwesen, verstehst du?“ Zarius wartete stumm, bis Tim sein Verstehen durch ein Nicken zu erkennen gab.

„Übrigens, es heißt hier nicht lachen, sondern er lockt wiehernd mit der Stute und zu eurem Verständnis ‚Haber’ bedeutet Hafer, ihr erinnert euch?“, erklärte Zarius die Szene mit Puck.

„Hast du dich eigentlich mit dem Text auseinandergesetzt? Ich habe euch doch zu dem Text die Blätter mit den Erklärungen mitgegeben.“ Er seufzte tief.

Klar hatte Tim sich mit dem Text auseinandergesetzt! Viel zu gut kannte er mittlerweile das Stück und träumte schon von den Textzeilen. Tim erwiderte nichts.