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Masterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF, Note: 1,0, Friedrich-Schiller-Universität Jena (Institut für Auslandsgermanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: In der gegenwärtigen Literatur finden sich zur Verwendung zweisprachiger Texte im „Deutsch als Fremdsprache“ - Unterricht nur wenige Anregungen und noch weniger Untersuchungen. Es existieren keine Ausführungen bezüglich der positiven oder negativen Eignung der Texte Tufts’ für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Durch den Einsatz ausgewählter Tufts-Texte könnten die Lerner jedoch theoretisch dazu angeregt werden, über ihre Eigen- und Fremdwahrnehmung zu reflektieren. Lernerinterne Erfahrungen und Einsichten sowohl in die deutsche als auch die eigene Sprache und Kultur können mit denen Tufts’ verglichen werden, indem neben der Analyse kunstsprachlicher Elemente des „Dinglischen“ auch dessen Inhalt thematisiert wird. Die inhaltliche Komponente der Texte Tufts’ wird durch die Verwendung des „Dinglischen“ als Kommunikationsform besonders hervorgehoben. Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen zwischen Deutsch und Englisch sowohl auf sprachlicher als auch auf kultureller Ebene zu einer emotionalen Menschlichkeit, die sich über definierte Sprach- und Kulturgrenzen hinwegsetzt und die Leser ihrer eigenen, eng definierten Nationalität enthebt. So gestaltet Tufts eine wahrhaft multikulturelle Atmosphäre und schafft damit die Voraussetzung für individuelle, sprachliche und kulturelle Reflexionen. Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist es, die Qualität des „Dinglischen“ als Kunstsprache herauszuarbeiten und didaktische Einsatzmöglichkeiten derselben vorzuschlagen und zu rechtfertigen. Dabei scheint es wichtig, nicht nur auf die inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten der Texte Tufts’ einzugehen, sondern auch die emotionalen und damit motivationalen Potentiale dieser Texte vor dem Hintergrund eines lernerzentrierten Unterrichts zu beleuchten.
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Veröffentlichungsjahr: 2010
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Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades
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Seit 2006 ist Gayle Tufts Botschafterin der „You can talk“ - Kampagne des Diesterweg Verlags. Einige ihrer Texte sind in Unterrichtsmaterialien verschiedener Verlage für den Englischunterricht in Deutschland enthalten. Ebenso könnten ihre Texte für den „Deutsch als Fremdsprache“ - Unterricht nutzbar gemacht werden. Da Tufts selbst Amerikanerin ist und ihre eigenen kulturellen Erfahrungen aus den USA mit denen vergleicht, die sie in Deutschland gesammelt hat, bietet es sich an, ihre Texte vor allem hinsichtlich der Verwendung im DaF-Unterricht mit Amerikanern zu untersuchen.
In der gegenwärtigen Literatur finden sich zur Verwendung zweisprachiger Texte im „Deutsch als Fremdsprache“ - Unterricht nur wenige Anregungen und noch weniger Untersuchungen. Es existieren keine Ausführungen bezüglich der positiven oder negativen Eignung der Texte Tufts’ für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Durch den Einsatz ausgewählter Tufts-Texte könnten die Lerner jedoch theoretisch dazu angeregt werden, über ihre Eigen- und Fremdwahrnehmung zu reflektieren. Lernerinterne Erfahrungen und Einsichten sowohl in die deutsche als auch die eigene Sprache und Kultur können mit denen Tufts’ verglichen werden, indem neben der Analyse kunstsprachlicher Elemente des „Dinglischen“ auch dessen Inhalt thematisiert wird.
Die inhaltliche Komponente der Texte Tufts’ wird durch die Verwendung des „Dinglischen“ als Kommunikationsform besonders hervorgehoben. Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen zwischen Deutsch und Englisch sowohl auf sprachlicher als auch auf kultureller Ebene zu einer emotionalen Menschlichkeit, die sich über definierte Sprach- und Kulturgrenzen hinwegsetzt und die Leser ihrer eigenen, eng definierten Nationalität enthebt. So gestaltet Tufts eine wahrhaft multikulturelle Atmosphäre und schafft damit die Voraussetzung für individuelle, sprachliche und kulturelle Reflexionen.
Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist es, die Qualität des „Dinglischen“ als Kunstsprache herauszuarbeiten und didaktische Einsatzmöglichkeiten derselben vorzuschlagen und zu rechtfertigen. Dabei scheint es wichtig, nicht nur auf die inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten der Texte Tufts’ einzugehen, son-
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dern auch die emotionalen und damit motivationalen Potentiale dieser Texte vor dem Hintergrund eines lernerzentrierten Unterrichts zu beleuchten. Im ersten Teil der Arbeit soll die Sprachlernbiographie von Tufts mit Hilfe des von ihr in Buchform veröffentlichten Materials rekonstruiert werden. Sich daraus ergebende Erkenntnisse können dazu beitragen, Tufts’ Sprachmischung als Interlanguage bzw. fremdsprachliche Kommunikationsstrategie oder auch als Kunstsprache zu identifizieren. Um Tufts’ Texte in diesem Sinne analysieren zu können muss zunächst theoretisch geklärt werden, was man unter einer Interlanguage und „Denglisch“ beziehungsweise „Dinglisch“ versteht. Wenn gezeigt werden kann, dass Tufts’ „Dinglisch“ eine Interlanguage ist, dann eröffnet sich durch die Verwendung ihrer Texte im Fremdsprachenunterricht die Möglichkeit, lernerinterne Interlanguage zu thematisieren und so den Sprachlernprozess für die Lerner erfahrbar und erlebbar zu gestalten.
Tufts’ „Dinglisch“ soll exemplarisch sowohl hinsichtlich seiner Qualität als hybride Kunstsprache als auch als prototypische Interlanguage charakterisiert werden. Dadurch würde gezeigt, dass Tufts’ „Dinglisch“ vom negativ konnotierten „Denglisch“ zu differenzieren ist, letzteres aber gerade durch den Einsatz „Dinglischer“ Texte im Unterricht thematisiert werden kann, um den Lernern den bedachten Einsatz englischer Elemente in der deutschen Sprache nahezubringen. Im Hauptteil sollen die hypothetischen Potentiale bezüglich der Lernermotivation, des Trainings fremdsprachlicher Grund- und Schlüsselkompetenzen, sowie inhaltlicher und struktureller Möglichkeiten anhand eines ausgewählten „dinglischen“ Textes genauer betrachtet und für mögliche Unterrichtseinsätze vorbereitet und diskutiert werden.
Für das „Dinglische“ ein Bewusstsein zu schaffen und damit eine Brücke zwischen zwei Sprachen zu schlagen kann speziell im DaF-Unterricht mit Amerikanern zur kritischen Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen als auch mit der Zielsprache und -kultur genutzt werden. Es wird untersucht, inwiefern die Inhalte und der Aufbau ausgewählter Texte von Tufts für den DaF-Unterricht nutzbar gemacht werden können. Dabei richtet sich das Augenmerk vor allem auf Aussagen, die vor dem Hintergrund landes- und kulturkundlicher Wissensbildung kritisch analysiert werden müssen. Des Weiteren soll das Potential dieser hybriden, aber authentischen Texte für den Spracherwerb und die Ausbildung eines Spra- chenbewusstseins untersucht werden, um diese Erkenntnisse in den Zusammen-
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hang mit der gegenwärtigen Diskussion für oder gegen bilingual stattfindenden Fremdsprachenunterricht bringen zu können.
„Als ich in den Computerladen ging, fühlte ich mich plötzlich wie vor 20 Jahren bei meinem allerersten Berlin-Besuch, als alle, die ich traf, eine Sprache perfekt sprachen, that I didn’t understand at all.“ (MA 17)
Gayle Tufts kam Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal nach Deutschland. Wie aus dem Zitat zu entnehmen ist, konnte sie damals noch keinerlei Deutschkenntnisse vorweisen. Seit 1991 lebt sie dauerhaft in Berlin und schreibt über ihre anfänglichen Erfahrungen: „Die ersten zwei Jahre in Berlin waren wie ein einziger langer, bizarrer, konzeptioneller Stummfilm. Ich sprach kein einziges Wort Deutsch…“. Zu Anfang genoss sie, „nach 13 Jahren in der Lärmmetropole Manhattan […] die „stumme Oase“ Berlins“ (AU 58). Diese Charakterisierung Berlins bezieht sich offensichtlich nicht auf den urbanen Geräuschpegel, sondern auf die Tatsache, dass Tufts weder Deutsch sprach, noch verstand.
Ihre Kindheit verbrachte Tufts in Brockton, Massachusetts, „einem Vorort von Boston“, deren kultureller Höhepunkt die Eröffnung eines Burger Kings direkt gegenüber eines McDonalds war (MA 7). Nach ihrer Zeit auf der High School war New York die nächste logische Station, wo sie als „Sängerin-Tänzerin-Schauspielerin-Kindergärtnerin“ arbeitete (AU 9f.). Als logisch kann diese nächste Station sicherlich nur aus ihrer eigenen Perspektive betrachtet werden, denn offensichtlich hungerte es Tufts nach Kultur, die sie in New York zu finden hoffte.
Zum Beginn ihres Lebens in Berlin sagt Tufts an anderer Stelle, dass sie „1994 […] immer sehr schlecht gelaunt war“ und viel Radio gehört hat, „meistens BFBS“. „Es war ziemlich deprimierend […], aber immerhin auf Englisch.“ Sie begründet ihre Radiohörgewohnheiten mit: „Mein Deutsch war really truly grottenschlecht […]“ und einen Fernseher besaß sie nicht (MA 245f.). Wie sie selbst
1Auf folgende Bücher wird im weiteren Text mit Abkürzungen verwiesen: Gayle Tufts, Absolute- ly Unterwegs, Berlin 1998 [zit. als AU], Dies., Miss Amerika, Berlin 2006 [zit. als MA]
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bemerkt, wurde dieses „Leben ohne Untertitel […] bald ziemlich langweilig“ (AU 58).
Sie wollte „wieder mit der Welt in Verbindung treten“ (AU 58). Wie man ihren Texten entnehmen kann, hatte sie auf einen Kurs an der Volkshochschule keine Lust, und die Angebote des Goethe-Instituts waren ihr zu teuer. Tufts schreibt natürlich rückblickend über ihre Sprachlernerfahrungen und identifiziert daher ihre Strategie als die „ökonomischere Methode“:
Ich stürzte mich ins Nachtleben der amerikanischen und englischen Wahl-Berliner, die ich kannte. Sie lebten [...] jahrelang in Deutschland und konnten die Sprache immer noch nicht richtig sprechen. Aber das war ihnen scheißegal, denn sie hatten eine eigene Sprache gefunden, die auf brillante Art und Weise die Heimat mit der Wahl-Heimat verband: Dinglisch. (AU 58)
Leider gibt es in ihren Texten keinen Hinweis darauf, auf welche Bereiche sich ihre „ökonomischere Methode“ bezieht. Es bleibt also nur zu spekulieren, ob es sich in ihrer Wahrnehmung um rein finanzielle Vorteile handelte, oder ob auch die Effizienz eines ungesteuerten Fremdsprachenerwerbs gemeinsam mit den soziokulturellen Vorteilen des Berliner Nachtlebens in ihre nachträglichen Überlegungen einfloss. Dabei sei angemerkt, dass es sich bei dem von Tufts beschriebenen „Dinglisch“ offensichtlich um eine von Földes als hybrid charakterisierte Sondervarietät handelt, welche „eine nicht unwesentliche Funktion als mögliches Symbol regionaler Loyalität bzw. Identität“ haben kann (Földes, 2006, S. 3). Gogolin erkennt in solch hybriden Sprachpraktiken die Entstehung „transnationaler sozialer Räume“, welche es „ihren Inhabern [erlauben], sich zu identifizieren und identifiziert zu werden; sie geben ihnen also die Möglichkeit zum Ausweis persönlichen Stils.“ (Gogolin, 2001, S. 70, S. 68; vgl. Gogolin, 1998, S. 90). Ihre einzige ‚institutionelle’ Sprachlernerfahrung war ein Deutsch-Intensivkurs mit 20 Teilnehmern bei einer namhaften Sprachschule. Zu ihren positiven Erfahrungen zählte scheinbar nur die Tatsache, dass es eine lustige Gruppe war: „We were a fun group“, mit der Einschränkung, dass alle Teilnehmer verschiedene „Perspektiven und Prioritäten“ hatten. „Nach drei Wochen, when I still couldn’t tell my jedem from my jeden and was going nowhere with the Deklination der Adjektive, I got wütend.“ (AU 67). Daher ist es nachvollziehbar, dass sie auf ei- nen weiteren Sprachkurs keine Lust hatte.
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Tufts empfindet „Dinglisch“ als „eine ganz, ganz besondere Sprache […]“, die „allerdings keine neuartige Erscheinung“ ist, sondern „uralt“: „ ,New Yorkisch’ ist voll von jüdischen Wörtern“ (AU 58f.). Diese Aussage ist insofern interessant, als dass sich Tufts einerseits für ihr „Dinglisch“ zu rechtfertigen scheint, da hier-zulande bisweilen um das Fortbestehen der deutschen Sprache gefürchtet wird, und weil sie andererseits „Dinglisch“ offensichtlich vom häufig kritisierten „Denglisch“ differenziert, indem sie eine andere Schreibweise wählt. Tufts nennt „Dinglisch“ ihre „Überlebenssprachausstattung“: „Ein paar deutsche Wörter hier und da in meinem Alltagsenglisch und die Leute würden mich (hoffentlich) verstehen.“ (AU 59). Dass das nicht ganz so einfach war und ist scheint eine Internetveröffentlichung von Hyde Flippo (2007) zu beweisen:
American-born Gayle Tufts makes her living in Germany as a comedienne using her own brand of Denglish — for which she coined the word "Dinglish" to differentiate it from Denglish. […] However, she takes pride in the fact that although she is using two different languages, she does not mix the two grammars. Unlike Denglisch, Dinglish supposedly uses English with English grammar and German with German grammar, and avoids mixing them.
In dieser Arbeit sollen diese beiden Begriffe beibehalten werden, damit klar ist, ob von Tufts’ sprachlicher Schöpfung die Rede ist oder einer individuellen Form des „Denglischen“. Zumindest in ihren schriftlich vorliegenden Texten wäre es möglich, Flippos Aussage bezüglich der konsistenten Verwendung grammatischer Strukturen zu verifizieren.
Bereits 1986 hatte Tufts ihren ersten intensiven Deutschkurs: sie sollte innerhalb von 10 Tagen 14 Lieder mit Texten von Max Goldt lernen. Ihren eigenen Worten zufolge versuchte sie lediglich, die phonetische Lautfolge zu verinnerlichen. „Den wahren Schlüssel zum Deutschunterricht“ erhielt Tufts dann einige Jahre später von ihrem Freund und Kollegen Michael Rodach. Er bestand darauf, dass sie allen sagen sollte, nur noch auf Deutsch mit ihr zu reden. Als sie bei einer Probe wieder erfolglos versuchte, sich „einfach die Lautfolge einzuprägen“, hatte sie ein Schlüsselerlebnis und begriff beim Singen eines Textes von Valeska Gerts auch die Bedeutung hinter den Lautfolgen (vgl. AU 59ff.). Die Tatsache, dass sich Tufts einerseits in das Nachtleben anderer englischsprachiger Wahlberliner stürzte und andererseits von Freunden keine Antwort erhielt, wenn sie eine Frage auf Englisch stellte, verdeutlicht ihren sprachlichen
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und kulturellen Konflikt (vgl. AU 61). Hinzu kamen ihre durch sprachliche Barrieren eingeschränkten Karrieremöglichkeiten: “Ich war also nicht nur eine Tänzerin/ Schauspielerin/ Sängerin, nein, ich war mehr. Ich war auch Bühnenbild.“ (AU 21). Hier wird auf ironische Weise deutlich, dass Tufts unzufrieden war, denn sie macht sich über ihre Bühnenbildkarriere lächerlich, indem sie sie scheinbar selbst gutheißt.
Einerseits wurde sie oft verstanden, wenn sie Englisch sprach, andererseits geboten es ihr Ehrgeiz und ihre Karriereziele, das Deutsche zu meistern, um sich selbst verwirklichen zu können:
,Die Nacht’. Ooooh. ‚DieNacht’! - ich spielte die Nacht in ‚Die Nacht’, und das war genau der Moment, in dem ich dachte, daß vielleicht irgendwas falsch läuft. […] Mir wurde endgültig klar, daß ich in Schwierigkeiten steckte, als ich mich auf das Cover der Zeitschrift ‚Tanz International’ gebannt sah. […] Ich sah aus wie eine Stummfilmdiva auf Anabolika. […] Ich sah nicht aus wie eine AUSDRUCKS-Tänzerin. […] Warum versuchte ich eigentlich zwanghaft in irgendeine Schublade zu passen, in die ich nicht gehörte? […] Der Zeitpunkt war gekommen, […] hinein ins Rampenlicht zu schreiten. (AU 23)
Auch an dieser Stelle wird klar, dass Tufts nicht länger stumme Rollen spielen wollte, und dass das Genre des Ausdruckstanzes nicht das war, wofür sie sich geeignet fühlte. Tufts scheint sich mit „Dinglisch“ als Lösung für ihren Weg ins Rampenlicht angefreundet zu haben, denn sie weiß, dass: