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Herr Marischek, die dicke Frau mit dem Hund, die demente alte Dame oder die junge Frau im Konflikt zwischen Familie und Karriere, alle sind Personen, die uns im Leben begegnen, die unsere Nachbarn sein könnten. Manche leben mit ihren Marotten ganz gut, manche müssen mit schwierigen Umständen des Lebens umgehen.
Die vier Kurzgeschichten lassen den Leser einen Moment lächeln, staunen oder mitleiden ... und sicher bleibt immer etwas zum "Weiterdenken" übrig, wenn man mit den sprachlich auf das Wesentliche reduzierten Texten fertig ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Eine Gitarre hat für gewöhnlich 6 Saiten. Herr Marischek hatte 15. Schon einmal anatomisch betrachtet. Er hatte sich selbst gezeichnet, als Einstieg zu seinen Memoiren. Es sollten der Stimmigkeit wegen auch 15 Seiten werden. Nicht mehr und nicht weniger. Fragt sich, ob er sich dann kurzfassen, oder bemühen muss, die Seiten vollzukriegen. Zurück zur Zeichnung. Es war eher eine Skizze. Er als Strichmännchen, denn Herr Marischek war nicht besonders gut im Zeichnen. Da hatte er niemals 15 Punkte bekommen, im Zeichnen. Er musste selbst lachen bei diesem Gedanken. Herr Marischek, wie eigentlich jeder, nach gewöhnlichem Körperaufbau beschaffene Mensch, hat also 15 Seiten. Vielleicht nicht geometrisch betrachtet, aber wenn man dieser Theorie folgen wollte, konnte man. Das war seine Skizze:
Man muss auf diese Flächentheorie nicht weiter eingehen. Aber bemerkenswert ist die Schiebermütze oder Baskenmütze, wie man will, die sich Herr Marischek auf den Kopf gezeichnet hat. Die trug er wirklich und das schon seit 15 Jahren, in denen sein von Natur aus schütteres Haar noch schütterer wurde, da es darunter wahrscheinlich zu wenig Sauerstoff bekam in all der Zeit. 15 Jahre sind eine lange Zeit. Er hatte die Mütze auf seiner Hochzeitsreise nach Paris und Marseille gekauft. Er wusste es noch wie heute. Sie, also seine damalige Frau, hatte ihn ausgelacht, als er sie probierte. Er nahm es gelassen, er liebte sie. Also seine Angetraute und die Mütze. Beide auf den ersten Blick. Er fühlte sich ungemein chic und so französisch mit dieser Baskenmütze. Heute fühlte er sich einfach geborgener und sicherer damit. Nach 15 Jahren war es wie eine Symbiose. Kein Gang, nicht mal zur Mülltonne, ohne diese Mütze. Die Symbiose mit seiner Frau dagegen, war weniger innig. Sie hatte sich nach sieben Jahren einen neuen Wirt gesucht. Diese Zahl war Herrn Marischek fremd und schier unangenehm. Er tröstete sich damit, dass er in 9 Jahren dann endlich seit 15 Jahren geschieden wäre. Dann würde sein Leben wieder in geregelten Bahnen laufen, vielleicht wäre er dann auch bereit für eine neue Beziehung. Die sollte dann aber mindestens 15 Jahre halten. Er würde diesmal daran arbeiten. Die 15 hatte für Herrn Marischek eine enorme Bedeutung. Alles in seinem Leben schien von der 15 bestimmt zu sein. Magisch und schicksalhaft. Er versuchte aber auch alles, damit es so blieb. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass es ihm körperliche Schmerzen bereitete, wenn ihm andere Zahlen im Leben begegneten. Er spielte kein Lotto oder Ähnliches. Er vermochte nicht, nur sechs verschiedene Zahlen auszusuchen. Womöglich dabei die 15 schmählich zu ignorieren! Ohne die 15 getippt zu haben, würde er auch nicht 15 Millionen gewinnen. Und eine andere Summe würde ihm, Herrn Marischek, doch sowieso kein Glück bringen! Also ließ er es ganz. Außerdem begann die 15 schon früh sein Leben zu dominieren. Seine Mutter berichtete immer, dass ihr Sohn erst mit 15 Monaten laufen konnte und seine ersten Worte sprach. Das waren dann allerdings nicht 15, sondern erst einmal vier: Lass mich in Ruhe! Dieses Verlangen nach Ruhe begleitete Herrn Marischek auch schon sehr lange, man kann fast sagen, dass es im Laufe der Lebensjahre zu einem Charakterzug wurde. Er bestand zum Beispiel vor sich selbst auf einer morgendlichen Pause zwischen dem Zähneputzen und der ersten Tasse Kaffee. Das waren natürlich ziemlich genau 15 Minuten. Das musste sein. Die Zahnpasta sollte nachwirken können, bevor er sie mit dem Kaffee wieder aus seinem Mund spülte. Im Übrigen war ihm der verbleibende Zahnpastageschmack in Mischung mit dem Geschmack des Kaffees sehr unangenehm. In dieser sich selbst auferlegten Zwangspause fütterte Herr Marischek meist seine Katze und seinen Kanarienvogel. Nacheinander. Erst die Katze, damit der gierige Blick zum Käfig des Vogels ein Ende hatte. Er konnte das nicht leiden. Diese Gier. Auch wenn sie natürlich war. Die Kombination Vogel- Katze entstammte noch seiner Ehe. Er hatte einen Vogel. Sie brachte die Katze mit. Die musste auch mittlerweile um die 15 sein, sie war damals erst zwei Jahre alt. Nun musste er sich mit beiden arrangieren. Oder die beiden mit ihm. Das war Ansichtssache. Das konnte man von verschiedenen Seiten betrachten. Herr Marischek brauchte zur Mittagszeit ebenfalls eine Ruhepause von 15 Minuten. Nicht mehr und nicht weniger. Er gewährleistete damit die Kontinuität seiner Arbeitskraft für das nachmittägliche Pensum seiner Bürotätigkeit. In dieser Zeit schloss er für 15 Minuten die Tür zu seinem Büro, stellte sich den Wecker auf dem Schreibtisch und legte die Beine auf denselben. Also den Schreibtisch. Dann schloss er die Augen und zählte im Stillen die Ticks seines Weckers mit. Es war ein altes Modell, recht laut. Für ihn war es beruhigend. Mit 15 hatte Herr Marischek auch zum ersten Mal Sex. Mit einer Freundin seiner Mutter. Einer Blumenhändlerin von gegenüber. Sie war natürlich weit jenseits von 15, eher im dreifachen Alter. Aber Herr Marischek kannte sie schon länger. Sie war etwas korpulent, vor allem im Brustbereich, und zeigte das gern. Einen Mann schien sie nicht zu haben. Jedenfalls war nie jemand in ihrem Blumenladen, den man für so jemanden hätte halten können. Ihr warmes Lächeln, wenn er mit seiner Mutter Blumen kaufen ging, gefiel ihm. Es war so einfühlsam und einladend. Jeden Sonntag lächelte sie ihn an. Jeden Sonntag kaufte sich seine Mutter einen neuen Blumenstrauß. Sie hatte auch keinen Mann. Jedenfalls besuchte nie jemand die Wohnung von Frau Marischek und ihrem Sohn, den man für so jemanden hätte halten können. Als Herr Marischek nun 15 war und verstand, dass das Lächeln von der Blumenfrau mehr verhieß als die Bonbons, die er manchmal aus ihrer Schürze bekam, wartete er eine Überwindungszeit von 15 Tagen ab. Dann besuchte er sie an einem Montag, selbstredend 15 Tage nach einem obligatorischen Sonntag, allein in ihrem Laden. Sie fragte gar nicht, welche Blumen er denn gern hätte. Sie schloss die Tür des Ladens ab, und sie gingen in das Hinterzimmer, indem sie für gewöhnlich Sträuße und Gestecke band. Nach 15 Minuten musste sie den Laden wieder aufschließen, das gebot der Anstand. Außerdem konnte sie für das Vergnügen nicht ihr Geschäft vernachlässigen. Herr Marischek verließ den Laden jedes Mal mit einer Rose für seine Mutter. Schließlich war sie es, durch die er die Blumenhändlerin kennengelernt hatte. Nach 15 Malen im Blumenbindezimmer fand Herr Marischek sich genügend gerüstet für sein weiteres Leben, in dem auch andere Damen eine Rolle bekommen sollten. Herr Marischek schenkte die Rose, die er sonst seiner Mutter mitgebracht hatte, das letzte Mal der Blumenhändlerin. Ihr Busen bebte, als sie ihm damit winkte. Denn er ging danach sonntags nicht mehr mit seiner Mutter mit. Seine Frau, von der er ja geschieden war, war die vierte Frau in seinem Leben. Er hatte mitgezählt und war sich sicher, dass nach der 15. Schluss war. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder er starb nach der nun noch kommenden elften, oder sie war dann die letzte Frau in seinem Leben. Vielleicht war er dann auch einfach zu alt für Sex. Seit 15 Jahren arbeitete er nun schon in diesem Büro. Es war also Zeit, sich nach etwas Anderem umzusehen. Sonst bliebe nur die Möglichkeit, noch einmal 15 Jahre dieser Arbeit nachzugehen Der Einfachheit halber wäre das in Erwägung zu ziehen, dachte sich Herr Marischek. Schließlich sah er die Schwierigkeit, eine Arbeitsstelle zu finden, bei der ihm gewährt wurde, seine Mütze den ganzen Tag zu tragen und pünktlich seine fünfzehnminütige Siesta zu halten. Er lebte von seinen Marotten. Und die von ihm. Er mochte es so, wie es war. Eine Symbiose. Ein Leben im Vierteltakt. Herr Marischek wurde zum Tanz aufgefordert, tanzte eine Viertelstunde und dann Pause. Immer wieder, in rhythmischen Abständen zu tanzen ist periodisch, das ganze Leben ist periodisch, also war auch Herr Marischek als Person periodisch. Herr Marischek befand seine philosophischen Gedanken für festhaltenswert. Er würde sie in seine Memoiren integrieren und in so ziemlich genau 15 Jahren würde sein Buch, diese 15 Seiten, nicht mehr und nicht weniger, ein Bestseller sein. Er ahnte es, fühlte es, fühlte sich damit gut. Wie er schon immer gesagt hatte: wozu sein Glück mit Lotto oder Ähnlichem herausfordern, wenn man feste Lebensziele hatte, die in wirklich genau absehbarer Zeit in Erfüllung gehen würden? Die 15 war ihm in die Wiege gelegt worden, es war seine Religion, der zu huldigen seine Pflicht war. Sie nicht ernst zunehmen ein blasphemischer Frevel. Zufrieden nahm Herr Marischek seine Tiefkühlpizza nach 15 Minuten aus dem Ofen. Sie war noch etwas weich. Er gab der Katze ein Viertel ab. So war sie satt und reckte ihren Schnurrbart nicht mehr in Richtung des Vogels auf dem Kühlschrank. Er hatte noch etwas Zeit, um seine Memoiren weiterzuschreiben, noch 15 weitere Jahre im Büro, noch 11 neue Frauen, die er kennenlernen würde, das waren doch gute Aussichten. Man brauchte nichts dem Schicksal zu überlassen, wenn man fähig war, mitzuzählen. Er sah auf seine Armbanduhr. Er hatte es gewusst! Herr Marischek hätte gar nicht nachsehen müssen.
Es war genau Viertel nach Fünf.
Horoskop
Liebe: Nehmen sie sich diese Woche kleine Auszeiten im Alltag und machen Sie ihrem Partner deutlich, wieviel er Ihnen bedeutet, es wird sich auszahlen. Falls Sie solo sind, gehen sie aus. Es lohnt sich. Beruf: Sie geraten in einen Strudel von Herausforderungen, Sie haben das Gefühl, jeder will was von Ihnen. Seien Sie kreativ und erschaffen Sie sich dadurch persönliche Freiräume. Allgemein: Sie werden von den meisten Menschen um Sie herum wertgeschätzt, aber fühlen sich nicht immer auch geliebt. Zeigen sie Ihre Gefühle und gehen ehrlich auf die anderen zu. Sie werden echte Zuneigung zurückbekommen. Sie lachte beim Lesen kurz auf, runzelte dann gleich die Stirn und dachte, während sie hastig eine weitere Plastikgabel Couscoussalat „ Afrikanischer Art“ in ihren Mund schob, das hier war bereits ihre einzige kleine Auszeit für heute! und wann hatte sie das letzte Mal ein Horoskop gelesen? Eigentlich war sie mittlerweile eher Sternzeichen Schlechtes Gewissen. Schon so lange stand bei ihr der Mars im dritten Haus und hielt ihr seine Waffen in den Rücken, das sie immer nur nach vorn schaue, immer weiter, immer schneller. Der Saturn durchkreuzte ihr Quadrat und hielt sie nicht auf, sondern verlangte von ihr den ihr zugedachten Erfolg mit aller Kraft zu vermehren. Das Dach der Gestirnkonstellation bildete das Schlechte Gewissen, Aszendent Verzweiflung. Sie hatte schon immer einen Hang zum Sarkasmus gehabt, konnte aber auch immer über sich selbst lachen, gemeinhin auch über das, was man Probleme nennt. Damit wurden diese meist unscheinbarer, weniger beeindruckend, verloren ihre Autorität, ihren Nimbus, ihre einehmende Aura. Aber auch wenn sich Schwarzer Humor eher nach einem mittelalterlichen Ritternamen anhört, oder auch die Assoziation einer todbringenden Krankheit herbeiruft, es war ihm nicht möglich, die Probleme zu vernichten. Die letzten Krümel Couscous schob sie mit dem linken Daumen auf die Plastikgabel und die in Richtung Mund. Fertig. Das war´s. Das nächste Meeting in zehn Minuten. Es war dann an ihr, die Gesellschafter zu überzeugen, dass das neue Projekt in wenigen Tagen in die Produktion gehen konnte, musste. Ein Millionengeschäft, wenn auch nicht für sie. …