Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der pikareske Roman Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan (1824) ist das Hauptwerk des britischen Autors James Morier und wird zur Weltliteratur gezählt. Dieser Schelmenroman beeinflusste lange Zeit die Meinung Englands über Persien und das tägliche orientalische Leben. Wenn Hadschi Baba mit den Engländern reiste, war er darüber erstaunt, dass sie ihre Reiseerlebnisse und Erfahrungen sorgfältig in Heften aufzuschreiben pflegten, um nach der Rückkehr ihren Landsleuten davon zu berichten und diese somit auch mit den entlegensten Regionen des Erdballs vertraut machten. Diesem Beispiel folgte der Perser Hadschi Baba und schrieb während seines Aufenthaltes in Konstantinopel seine Lebensgeschichte nieder, die, obwohl sie die Erlebnisse eines eher obskuren und gewöhnlichen Individuums enthält, doch so voller Widersprüchlichkeit, Absonderlichkeiten und Abenteuer war, dass sie - so hoffte Hadschi Baba -, wenn in Europa veröffentlicht, das Interesse der Leserschaft wecken würde. Und so erzählt Hadschi Baba, der Barbiersohn aus Isphahan, seine erstaunliche Karriere von der Barbierstube bis in den hohen Staatsdienst ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 607
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Ispahan
James Morier
Inhalt:
James Morier – Kurzbiografie
Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Ispahan
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sechsunddreißigstes Kapitel
Siebenunddreißigstes Kapitel
Achtunddreißigstes Kapitel
Neununddreißigstes Kapitel
Vierzigstes Kapitel
Einundvierzigstes Kapitel
Zweiundvierzigstes Kapitel
Dreiundvierzigstes Kapitel
Vierundvierzigstes Kapitel
Fünfundvierzigstes Kapitel
Sechsundvierzigstes Kapitel
Siebenundvierzigstes Kapitel
Achtundvierzigstes Kapitel
Neunundvierzigstes Kapitel
Fünfzigstes Kapitel
Einundfünfzigstes Kapitel
Zweiundfünfzigstes Kapitel
Dreiundfünfzigstes Kapitel
Vierundfünfzigstes Kapitel
Fünfundfünfzigstes Kapitel
Sechsundfünfzigstes Kapitel
Siebenundfünfzigstes Kapitel
Achtundfünfzigstes Kapitel
Neunundfünfzigstes Kapitel
Sechzigstes Kapitel
Einundsechzigstes Kapitel
Zweiundsechzigstes Kapitel
Dreiundsechzigstes Kapitel
Vierundsechzigstes Kapitel
Fünfundsechzigstes Kapitel
Sechsundsechzigstes Kapitel
Siebenundsechzigstes Kapitel
Achtundsechzigstes Kapitel
Neunundsechzigstes Kapitel
Siebzigstes Kapitel
Einundsiebzigstes Kapitel
Zweiundsiebzigstes Kapitel
Dreiundsiebzigstes Kapitel
Vierundsiebzigstes Kapitel
Fünfundsiebzigstes Kapitel
Die Abenteuer des Hadschi Baba, James Moriert
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849632045
www.jazzybee-verlag.de
Engl. Reise- und Romanschriftsteller, geb. um 1780, gest. im März 1849 in Brighton, gehörte einer aus der französischen Schweiz nach England übergesiedelten Familie an, widmete sich der Diplomatie, lebte in dieser Eigenschaft bis 1815 in Persien und Kleinasien, ging später nach Mexiko und zog sich schließlich nach London zurück. Er führte sich in der Literatur ein durch Reisebeschreibungen über Persien (Lond. 1812 u. 1818) und ging dann über zu orientalischen Romanen mit burleskem Einschlag, unter denen »The adventures of Hajji Baba of Ispahan« (1824, 3 Bde.) und »The Mirza« (1842) die besten sind.
Hadschis Geburt und Erziehung
Mein Vater Hassan Kerbelāi war einer der renommiertesten Barbiere Ispahans. Er zählte kaum siebzehn Jahre, als er sich mit der Tochter eines Krämers aus der Nachbarschaft verheiratete; doch da der Ehe der Kindersegen versagt blieb, kümmerte sich mein Vater, wohl aus diesem Grunde, wenig um seine Frau. Seinem gewandten Rasiermesser verdankte er nicht nur hohes Ansehen, sondern auch einen großen Zulauf von Kunden, besonders unter den Kaufleuten; und nach zwanzigjähriger, saurer Arbeit glaubte er die Zeit gekommen, sich eine zweite Frau in seinem Harem vergönnen zu dürfen. Einem reichen Geldwechsler hatte er alle diese Jahre mit solcher Meisterschaft den Kopf rasiert, daß ihm dieser ohne jede Schwierigkeit die Hand seiner Tochter zusagte. Nicht nur, um den lästigen Eifersuchtsszenen der ersten Frau wenigstens für einige Zeit entrückt zu sein, sondern auch, um sich bei seinem reichen Schwiegervater ins beste Licht zu setzen, der zwar notorisch Geldstücke beschnitt und für vollwertig ausgab, aber doch gerne den Heiligen spielte, unternahm er mit seinem jungen Weibe die große Pilgerfahrt nach dem hochberühmten Grabe Husseïns in Kerbela. Auf dieser Reise wurde ich geboren.
Vor der denkwürdigen Reise war mein Vater kurzweg als Hassan der Barbier bekannt gewesen. Nachher aber legten ihm die Leute den ehrenvollen Titel »Kerbelāi« (einer der nach Kerbela gepilgert war) bei. Mir aber, den die Mutter auf der Reise geboren und sehr verhätschelte, gab man, ihr zu Gefallen, den hochangesehenen Titel »Hadschi« oder Mekkapilger. Und siehe da, trotzdem nur solche ein Anrecht auf diese hohe Würde besitzen, die selbst die lange Wallfahrt zum Grabe des göttlichen Propheten unternommen haben, blieb mir der Titel mein Lebtag haften und trug mir unzählige unverdiente Ehren und Auszeichnungen ein.
Auch mein zukünftiger Beruf sollte der Streichriemen werden. Wäre nicht ein Molla (Priester), der einer nahegelegenen Schule vorstand, zufällig auf mich aufmerksam geworden, hätte ich sicher keine andere Bildung genossen, als die Erlernung der vorgeschriebenen Gebete erfordert. Jede Woche rasierte ihn mein Vater umsonst, »aus Liebe zu Gott«, wie er gerne betonte, wohl auch, um seinen wohlerworbenen Ruf als Frommer aufrecht zu erhalten. Der heilige Mann lehrte mich aus Dankbarkeit dafür Lesen und Schreiben. Unter seiner Leitung machte ich solche Fortschritte, daß ich binnen zwei Jahren den Koran entziffern und leserlich schreiben konnte. Studierte ich nicht in der Schule, so erlernte ich in der Barbierstube meines Vaters die Anfangsgründe meines künftigen Gewerbes. Drängten sich dort die Kunden, so durfte ich meine ersten Versuche mit dem Rasiermesser an den Köpfen der Kamel- oder Maultiertreiber, recht oft zu derem bitteren Schaden, wagen. Als ich sechzehn Jahre alt war, hätte man schwer entscheiden können, ob ich das Vollkommenste als Schüler oder als Barbier leistete. Ich verstand das Kopfrasieren, Ohrenreinigen, die kunstvollste Bartpflege, doch rühmte man nichts so sehr als meine Bedienung im Bade. Die verschiedenen Arten des Kopfwaschens, wie sie in Indien, Kaschmir und in der Türkei gebräuchlich sind, verstand niemand besser als ich. Beim Kneten aber die Gelenke knacken zu lassen, den Schlägen ein Echo in den hohen Baderäumen zu entlocken, war eine ganz besondere Spezialität, die mir keiner nachmachte. Dank meinem Lehrer würzte ich die Unterhaltung mit gelegentlich passend angebrachten Zitaten unserer mir wohlbekannten Dichter Hafis oder Saadi, und dieser Vorzug, den eine wohllautende Stimme unterstützte, ließ mich allen, deren Kopf oder Glieder meiner Wirksamkeit anheimgegeben waren, als einen seltenen, angenehmen Gesellschafter erscheinen. Kurz, ohne Eitelkeit kann ich behaupten, für erlesene Kenner und verständnisvolle Sybariten galt Hadschi Babas Bedienung als besonderer und vielbegehrter Genuß. Unsere Barbierstube ward zum Stelldichein einheimischer und fremder Kaufleute, und oft geschah es, daß einige für die Kurzweil, die ihnen die schlagfertigen Antworten des hoffnungsvollen Sohnes bereiteten, über das Gebräuchliche bezahlten. Einer von diesen, ein Kaufmann aus Bagdad, faßte eine große Vorliebe für mich und zog meine Bedienung selbst der meines erfahrenen Vaters vor. Er unterhielt sich mit mir in türkischer Sprache, die ich leidlich innehatte, und reizte durch fabelhafte Schilderungen der herrlichen fremden Städte, die er bereist hatte, meine Wißbegierde in so hohem Maße, daß mich alsbald eine brennende Wanderlust erfaßte. Da er einen Mann zur Führung seiner Rechnungen suchte, ich sowohl Barbier wie auch Schreiber war und er mir glänzende Anerbietungen machte, so zögerte ich keinen Augenblick, in seine Dienste zu treten. Mein Vater, der mich ungern verlieren mochte, versuchte mich abzuhalten, ein sicheres Gewerbe gegen ein neues zu vertauschen, das voraussichtlich Gefahren und wechselndes Glück mit sich brächte. Die glänzenden Bedingungen des Kaufmannes aber ließen seine Bedenken schwinden, er gab mir seinen Segen, begleitet von einem Futterale voll neuer Rasiermesser.
Meine Mutter bedauerte unter Tränen den Verlust meiner Gesellschaft, auch der Umstand, daß ich mit einem Ketzer, einem Sūni [Die Sūniten, oder wie der Perser sagt »Sūni«, repräsentieren den orthodoxen Islam. Sie erkennen die Berechtigung der auf Mohammed folgenden Kalifen: Abu Bakr, Omar und Othman an, während die Schiiten nur Ali und seine Nachfolger als rechtmäßige Nachfolger des Propheten betrachten.] und Anhänger Omars, in die Ferne ziehen wollte, ließ sie für meine Zukunft nichts Gutes ahnen. Desungeachtet aber gab sie mir als Zeichen ihrer mütterlichen Liebe einen Beutel voll zerbrochener Zuckerbrote und eine kleine Blechschachtel, angefüllt mit einer köstlichen Salbe, die, wie sie mir versicherte, nicht nur alle äußeren, sondern auch inneren Schäden zu heilen vermöchte. Ferner wies sie mich an, beim Verlassen des Hauses mein Gesicht der Tür zuzuwenden, um mir, nach einer unter so ungünstigen Umständen angetretenen Reise, eine glückverheißende Heimkehr zu sichern.
Hadschis Reise. Sein Kampf mit den Turkmenen
Mein Gebieter Osman Aga wollte nach Meschhed, um bockarische Lammfelle einzukaufen; diese wollte er dann nach Konstantinopel schaffen und dort mit großem Gewinne weiterverhandeln. Stellt euch unter meinem Herrn einen kleinen, sehr wohlbeleibten Mann vor, dessen dickes Gesicht eine vorspringende, gequollene Nase schmückte und ein struppiger, schwarzer Bart beschattete. Als guter Muselmann versäumte er keines der vorgeschriebenen Gebete; die gebotenen Waschungen verrichtete er so peinlich, daß selbst die kälteste Morgenluft kein Hindernis für ihn war, sich der Strümpfe zu entledigen und die Füße zu waschen. Er empfand einen geradezu glühenden Haß gegen die Sekte Ali, verbarg aber diese Gefühle sorgfältig, solange wir in Persien weilten. Wußte er sein Geld nicht in völliger Sicherheit, legte er sich nicht zum Schlafe nieder; denn eine unersättliche Geldgier bildete den Hauptzug seines ganzen Wesens. Desungeachtet ging ihm aber nichts über sein persönliches Wohlbehagen. Er rauchte ununterbrochen, aß gerne viel und gut, trank auch insgeheim Wein, verdammte aber unbarmherzig alle, die sich dieses Lasters öffentlich schuldig machten, zu ewigen Höllenstrafen. Da die Karawane sich im Frühjahre sammeln sollte, bereiteten wir alles zu unserer Abreise vor. Mein Gebieter erstand ein Maultier zu seinem Gebrauche, ich sollte ein Pferd besteigen, das nicht nur mich, sondern auch den Kalian (persische Wasserpfeife), das Kohlenbecken, eine lederne Flasche, die Holzkohlen und meinen Kleidervorrat zu tragen hatte. Ein schwarzer Sklave, der für uns kochte, die Teppiche ausbreitete, die Tiere bepackte und ablud, ritt ein weiteres Maultier, hoch mit Bettzeug, Teppichen und Kochgeschirr beladen; ein drittes Maultier schleppte in zwei Truhen die Kleidung meines Herrn und das sonst zur Reise Nötige.
Um gegen alle unvorgesehenen Unfälle geschützt zu sein, nähte der vorsichtige, kluge Osman in meinem Beisein fünfzig Dukaten in das dicke Wattefutter seines Turbans, seine übrige Barschaft jedoch, mit der er Einkäufe machen wollte, wurde, in kleine Ledersäckchen eingenäht, unter den Kleidern in den Truhen verborgen.
Unsere stattliche, marschbereite Karawane bestand aus beiläufig fünfhundert Maultieren, sowie zweihundert schwer mit Waren für das nördliche Persien beladenen Kamelen. Kaufleute, Diener und Karawanenführer mochten hundertfünfzig Köpfe zählen. Außerdem schloß sich uns ein Trupp Pilger an, die eine Wallfahrt nach dem hochberühmten Grabe des Imâms Resa in Meschhed [Meschhed, berühmter Wallfahrtsort der Schiiten.] unternahmen. Diese gaben unserem ganzen Aufzuge das Gepräge heiliger, feierlicher Weihe. Da jeder Pilger auf einer so hochlöblichen Fahrt überall mit Ehren und Auszeichnungen empfangen wird, so freuten wir uns darum alle, unverdienterweise auch etwas davon zu profitieren. Solche Reisen unternimmt man bis an die Zähne bewaffnet. Mein Herr, der sonst beim Knalle einer Flinte erschreckt den Kopf duckte, den der Anblick eines Säbels erbleichen ließ, ritt jetzt stolz einher, einen langen Karabiner quer über den Rücken geschnallt, mit einem großartigen krummen Säbel umgürtet, zwei ungeheure Pistolen schwellten den ohnehin umfangreichen Gürtel; der Rest seines wohlbeleibten Äußeren verschwand völlig unter einem wahren Arsenale von Pulverflaschen, Patronentaschen und Ladestöcken. Wie mein Gebieter, so war auch ich von Kopf bis zu Fuß bewaffnet, genoß noch außerdem die Auszeichnung, einen mächtigen Spieß tragen zu dürfen. Unser schwarzer Sklave zog aus mit einer Flinte ohne Schloß und einem Säbel mit zerbrochener Klinge.
Unter lautem Geschrei und weithin dröhnenden Schlägen auf die kupfernen Trommeln der Pilger verließ die Karawane beim Morgengrauen die nördliche Vorstadt Ispahans. Gar bald schlossen wir Freundschaft mit den Reisegefährten, die trotz ihrer kriegerischen Ausrüstung die friedliebendsten Leute waren. Nach den staubigen Tagesmärschen rasierte ich gar viele unter ihnen, und es dauerte nicht lange, so wurde ich der erklärte Liebling aller. Ich kann wohl ohne jede Übertreibung behaupten, daß ich für meinen Herrn durch meinen Witz, meine Tüchtigkeit in allen Dingen, besonders durch Kneten und Reiben seiner vom Reiten steifen Glieder, eine Quelle der allergrößten Annehmlichkeiten bedeutete.
Wir erreichten Teheran ohne weitere Fährlichkeiten, verweilten dort drei Tage, ließen die Tiere rasten und erwarteten den Anschluß neuer Reisegefährten.
Nun aber sollte der äußerst gefährliche Teil der Reise beginnen. Eine Turkmenenhorde, [Die Turkmenen oder Turkomanen sind ein Türkenstamm, die nächsten Stammverwandten der Osmanen und Aserbeidschaner. Den ausgedehntesten Besitz haben sie in den zwischen dem Aralsee und dem persischen Berglande Chorasan gelegenen Steppen und Wüstengebieten, und ihr Land heißt Turkmenenland. Seit dem 9. April 1881 und dem Februar 1884 ist das ehemalige Turkmenenland Rußland unterworfen. Die Turkmenen leben meist nomadisch, sind sunitische Mohammedaner, roh, unwissend und raubsüchtig. Ihren berüchtigten Raubzügen haben die Russen Einhalt getan.] die mit dem Schah von Persien im Kriege lag, machte die Straßen unsicher, hatte erst vor kurzem eine Karawane ausgeplündert und die Reisenden in die Gefangenschaft geschleppt. Diese schrecklichen Berichte erfüllten viele, vor allem meinen Herrn, mit größter Angst, die Reise bis Meschhed fortzusetzen. Aber der ungeheure Preis, den Lammfelle in Konstantinopel erzielten, bestimmte ihn, allem zu trotzen. Seine Gewinnsucht erwies sich noch weit stärker als seine große Angst. Langsam bewegte sich der endlose Zug der Karawane durch eine öde, weder Herz noch Augen erfreuende Gegend vorwärts. Sooft wir uns einem Dorfe näherten oder Reisenden begegneten, riefen unsere Führer Allah und den Propheten an, und begleiteten ihre schrillen, weithin tönenden Ausrufe mit Schlägen auf die Trommeln, die ein Lederriemen an ihrem Sattel festhielt. Unsere Gespräche drehten sich ausschließlich um die furchtbaren Turkmenen. Wir zitterten vor den berüchtigten Feinden, trösteten uns aber gegenseitig mit dem Gedanken, daß unsere kriegerisch so herrlich ausgerüstete Überzahl unbesiegbar sei. »Im Namen Gottes! wessen Hunde sind wir, daß sie daran denken, uns anzugreifen!« schrien wir laut, und jeder, vor allem mein Herr, versicherte zähneklappernd, er werde die kühnsten Heldentaten im Falle eines Angriffs vollbringen. Wer ihn so prahlen hörte, konnte annehmen, er habe sein Lebtag nichts anderes getan, als gefochten und Turkmenen zu Hunderten erschlagen. Er aber setzte seine größte Hoffnung auf eine grüne, weithin schimmernde Schärpe, [Die Turkmenen sind Sūniten; ihnen ist die grüne Farbe heilig.] die er, als Anhänger Omars, um seinen Turban wand. Er behauptete kühn, er sei ein Emir, ein Abkömmling Mohammeds, des göttlichen Propheten, mit dem er nicht mehr verwandt war wie sein Maultier, und baute darauf, daß die Turkmenen, denen die grüne Farbe heilig ist, seiner schonen würden.
Der Tschausch, [Anführer von Pilgerkarawanen.] der anstrebte, als der einzig Mutige in der Karawane zu gelten, tat, als hörte er Osmans Großsprechereien gar nicht, und sagte laut: »Von den Turkmenen sollten nur jene sprechen, die sie schon gesehen haben, und nur ein einziges Mal entkam ein ›Löwenfresser‹ unversehrt ihren Klauen. Saadi spricht wahr, wenn er sagt: ›Hätte ein junger Mann auch einen Arm von der Stärke des Elefanten, am Tage der Schlacht würden ihm aus Furcht die Fersenbänder zerreißen.‹«
Als nach mehrtägiger Reise der Tschausch mit feierlicher Wichtigkeit erklärte, wir seien der Stelle nahe, wo die Turkmenen den Karawanen aufzulauern pflegten, und sollten uns im Falle eines Angriffes zu einem Kampf auf Tod und Leben rüsten, da klagte mein Herr plötzlich über heftige Leibschmerzen, band eilends Flinte, Säbel und die Pistolen auf einem Packesel fest, und seine frühere Kampfeslust schien völlig erstorben. Er wickelte sich in seinen Mantel, schnitt jämmerliche Gesichter, ließ die Perlen des Rosenkranzes durch die zitternden Finger gleiten, betete von Zeit zu Zeit laut: »O Herr, vergib mir!« und wartete, gänzlich niedergedrückt, die Beschlüsse des Himmels ab.
Da fielen ein paar Schüsse! – dann schlug wildes, barbarisches Geschrei an unser Ohr! – von Bangigkeit gelähmt, standen Menschen und Tiere einen Augenblick still, drängten sich aber dann instinktiv zusammen, wie eine vom Habicht umkreiste Schar kleiner Vögel. Als nun ein Trupp hochgewachsener Turkmenen wild auf uns eindrang, ergriffen viele die Flucht; andere, darunter mein Herr, blieben vor Entsetzen gelähmt am Platze – schrien und beteten durcheinander: »O Allah! – O Imâm! – beim Propheten Mohammed, wir sind verloren, wir müssen sterben – wir sind tot!« – Die Maultiertreiber rissen das Gepäck von den Lasttieren und ritten mit ihnen davon. – Ein Hagelschauer feindlicher Geschosse überschüttete uns Widerstandslose; wir wurden gefangen genommen, unser Gepäck und die Waren fielen in die Hände des Feindes.
Der Tschausch, der schon manchen Strauß mit den Turkmenen überdauert hatte, nahm beim ersten Schusse Reißaus, und keiner sah ihn jemals wieder.
Mein Herr, der zwischen zwei Warenballen gekauert die Ereignisse abwartete, wurde von einem fürchterlich aussehenden, riesengroßen Turkmenen, der ihn zuerst für ein Gepäckstück hielt, beim Genick gepackt und auf den Rücken geworfen. In dieser schrecklichen Lage zappelte er wie eine umgedrehte Assel mit allen vieren und flehte in seiner Herzensangst in jämmerlichster Weise um Erbarmen. Er hoffte, den Turkmenen weich zu stimmen, indem er Ali verfluchte und Omar anrief; – allein alles war umsonst. Der unerbittliche Barbar ließ ihm zwar aus Ehrfurcht vor der grünen Farbe den Turban, nahm ihm aber alles bis aufs Hemd und die Unterhosen, schlüpfte vor Osmans Augen in seine weiten Beinkleider und den warmen, bequemen Mantel. Meine wertlosen Kleider begehrte keiner, und zu meiner größten Freude rettete ich auch das Futteral mit den Rasiermessern.
Nach der Plünderung begann die Verteilung der Gefangenen. Jeder wurde mit verbundenen Augen hinter einen Reiter aufs Pferd gesetzt. So ritten wir einen Tag lang und verbrachten die Nacht in einer Höhle. Am andern Morgen zogen wir mit freien Augen durch wilde, unbewohnte Gegenden und entdeckten endlich am fernen Horizonte, auf einer endlosen Ebene, die schwarzen Zelte und zahlreichen Viehherden unserer Feinde.
Hadschi in der Gefangenschaft der Turkmenen
Als die Verteilung der Gefangenen stattfand, fielen mein Herr und ich glücklicherweise vereint in die Gewalt des riesenhaften, vorhin erwähnten Turkmenen, der Sultan [In Europa bezeichnet der Titel »Sultan« den Beherrscher der Türkei; unter Tataren und Turkmenen ist dieser Titel oft eine Bezeichnung für Anführer oder Häuptling, und es führen ihn auch Untergeordnete.] Aslan oder das »Löwenhaupt« genannt wurde und ein großes Zeltlager befehligte, das wir alsbald erreichten. Bei unserer Ankunft verließ alles die Zelte, um die Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Während lautes Freudengebrüll die Sieger empfing, liefen wir Gefahr, von einem Rudel wütend bellender, großer Schäferhunde, die in uns die Fremden witterten, zerrissen zu werden. Bisher verdankte mein Herr der grünen Turbanschärpe einige Rücksichten. Kaum aber war die »Banu« oder die Hauptfrau des Sultans ihrer ansichtig geworden, so überkam sie ein unwiderstehliches Gelüste nach diesem seltenen Kleinode. Dem armen Osman verblieb allerdings das schmucklose Turbangerüste, das seine ganze Habe barg. Doch auch dieses reizte ein anderes Weib, das den Packsattel, der ihr Kamel gedrückt hatte, damit zu wattieren gedachte. Trotz aller verzweifelten Anstrengungen Osmans wurde seine Kopfbedeckung rücksichtslos zu anderen Lumpen in eine Ecke des Frauenzeltes geworfen. Als Ersatz stülpte man ihm eine alte Lammfellmütze auf den Kopf, einst das Eigentum eines Leidensgefährten, der vor kurzem aus Gram und Elend in der Gefangenschaft gestorben war. Dem mit der Mütze des Toten geschmückten Osman tat man zu wissen, er sei fortan bestimmt, Kamele in den Bergen zu hüten, da seine Leibesfülle und Unbeweglichkeit die Gefahr des Davonlaufens ausschlösse. Ich durfte die Zelte nicht verlassen und mußte lederne Beutel schütteln, in denen die Turkmenen aus fetter, saurer Milch Butter bereiten.
Zur Feier des glücklich vollführten Raubzuges lud der Sultan das ganze Lager zu einem nach turkmenischen Begriffen üppigen Festmahle ein. Der Reis wurde in enormen Kesseln gekocht und zwei ganze Schafe gebraten. Zuerst aßen die Männer, dann wurden die Speisen zu den Frauen getragen; was diese nicht verzehrten, bekamen die Hirtenjungen. Nachdem diese sich tüchtig vollgestopft hatten, verblieben für die Gefangenen und die Hunde abgenagte Knochen und Schüsseln zum Auskratzen. Ganz matt vor Hunger wartete auch ich sehnsüchtig auf einen Bissen. Da nickte mir eines der Weiber verstohlen zu, setzte hinter ein schützendes Zelt eine Schüssel mit Reis, auf dem ein Stück Hammelschwanz lag, und flüsterte mir zu, dies sende mir die Banu, die mit meinem Schicksale Mitleid fühle; ich aber solle guten Mutes bleiben. Ohne meinen Dank abzuwarten, huschte das Weib hinweg. Dieser Beweis unerwarteten Wohlwollens erweckte mir so tröstliche Gedanken, daß ich meine Lage nicht mehr als ganz hoffnungslos betrachtete. Umsonst aber bemühte ich mich, Osman Agas Verzweiflung mit dem Spruche: »Allah kerim« (Gott ist gütig), der jedes wahren Muselmannes bester Trost im Ungemache ist, zu mildern. Ohne Unterlaß beklagte er sein hartes Los.
»Allah kerim«, rief ich wieder. »Allah kerim! – Allah kerim!« brummte er mürrisch in seinen Bart. »Das ist gut für Leute deines Schlages, die nichts zu verlieren hatten, während ich, der frühere Reiche, für alle Zeiten ein ruinierter Mann bin.«
Er konnte sich gar nicht über die Verluste trösten, die er durch seine Gefangennahme erlitt, und verbrachte seine Zeit damit, bis aufs kleinste den Profit auszurechnen, der ihm entgangen war. Der Zeitpunkt unserer Trennung nahte heran. Der Sultan schickte Osman als Hüter von fünfzig Kamelen in die Berge, mit der furchtbaren Drohung, der Verlust eines Tieres bedeute für ihn abgeschnittene Ohren und eine abgeschnittene Nase, der Wert des Kamels aber würde zu seinem hohen Lösegeld geschlagen. Einmal noch setzte ich meinen ehemaligen Herrn auf einen Packsattel, holte Wasser aus der nahen Quelle, nahm ein Stückchen Seife, das ich samt den Rasiermessern aus den Trümmern unserer einstigen Habe gerettet hatte, und rasierte als letzten Beweis meiner Zuneigung, angesichts des ganzen Lagers, seinen Kopf. [Alle Klassen der Mohammedaner rasieren sich den größten Teil der Kopfhaare. In Persien lassen sie zwei Büschel hinter den Ohren stehen, in der Türkei einen Haarbüschel auf dem Kopfwirbel.] Gar bald ward ich inne, daß die Schaustellung meiner Geschicklichkeit sich für meine Zukunftspläne als ungemein förderlich erweisen sollte. In der Tat wollte nun jeder, der einen Kopf und Haare hatte, von mir rasiert werden. Mein Ruhm drang alsbald zum Ohre des Sultans, der mich rufen ließ und mir befahl, sein Haupt sofort in Angriff zu nehmen. Blitzschnell bearbeitete ich seinen von Narben durchquerten großen Schädel, dessen Haarwuchs so struppig war wie das Fell der Schäferhunde. Der Sultan, dessen Haar gewöhnlich nur geschnitten wurde, wahrscheinlich mit der gleichen Schere, die zum Scheren der Schafe diente, der nicht ahnte, daß es noch einen größeren Luxus gäbe, als sich von einem tölpelhaften, barbarischen Dorfbarbier verstümmeln zu lassen, fühlte sich unter meinen geschickten Händen geradezu ins Paradies versetzt. Freimütig lobte er meine Geschicklichkeit, schwor laut, niemals, selbst nicht das größte Lösegeld für mich zu nehmen, und ernannte mich feierlich zu seinem Leibbarbier. Ich kniete nieder, küßte seinen Mantel mit allen äußeren Zeichen ehrfurchtsvollster Dankbarkeit, war innerlich aber fest entschlossen, meine größere Bewegungsfreiheit und das Vertrauen, das er mir schenkte, bei der nächsten Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.
Hadschi kommt durch List zu Geld
Zur Verwirklichung meiner Pläne bedurfte ich in erster Linie des Geldes im Turban. Der aber lag in einer Ecke des Frauenzeltes, das, ohne besondere Dringlichkeit, kein Mann ungestraft betreten durfte. Ich zermarterte mein Gehirn, wie ich es anstellen müßte, um dorthin zu gelangen, ohne den schwersten Verdacht zu erregen. Die Männer, nicht nur in unserem Lager, sondern auch in den nachbarlichen Lagern, waren mir zugetan und schätzten mich ungemein als Barbier. Schon seit geraumer Zeit hatte ich auch Gründe, anzunehmen, daß die Banu danach schmachtete, mich näher kennen zu lernen; aber weder sie noch die anderen Frauen bedurften meiner Rasiermesserkunst. Mein Verkehr mit der Banu hatte sich bisher auf zärtliche Blicke und den einen oder anderen Beweis des Wohlwollens beschränkt; ich meinerseits nahm ihr Wohlgefallen mit stiller Dankbarkeit entgegen. Auch das von Sehnsucht erfüllte Herz der Barbarin ist erfinderisch. Die Turkmenin mußte erfahren haben, daß die Barbiere im zivilisierten Persien auch als Wundärzte tätig sind, zur Ader lassen, Zähne ziehen und gebrochene Glieder einrichten. So ließ sie denn eines Tages durch Abgesandte bei mir anfragen, ob ich wohl imstande wäre, einen Aderlaß, den sie dringend benötige, bei ihr vorzunehmen. Ich erklärte, diese Anfrage sei mir eine hohe Ehre; ich getraute mir, es in bezug auf Aderlaß mit dem berühmtesten Barbiere aufzunehmen, wenn ein gutes Federmesser zu meiner Verfügung stände. Das verlangte Instrument wurde aufgetrieben. Auch behauptete einer der Abgesandten, der mit ganz stümperhaften Kenntnissen der Astrologie wichtig tat, nach dem Stande der Gestirne sei der nächste Morgen für diese Operation günstig. Zu jener mir glückverheißenden Stunde wurde ich in das Frauenzelt geführt, wo die Banu, die auf einem Teppiche kauerte, mich mit sichtlicher Ungeduld erwartete. Weiß Gott, sie war nicht dazu angetan, mir, dem unerfahrenen Jünglinge, zartere Regungen zu erwecken. Ihre derbe, plumpe Körperfülle stand in zu grellem Gegensatze zu den schlanken Formen, die wir Perser bewundern und besingen. Abgesehen davon hätte ein Buhlen mit dem Weibe, das mir Ekel einflößte, eine beständige Todesangst vor dem blutdürstigen, eifersüchtigen Sultan Aslan und den Verlust meiner Ohren bedeutet. Die Banu zeichnete mich durch huldvollstes, süßestes Entgegenkommen aus, die Frauen ihres Hofstaates überboten sich in täppischen Freundlichkeiten, und da ich ihnen außerordentlich gelehrt und weise erscheinen mochte, verlangte jede einzeln, ich sollte ihr den Puls fühlen. Während ich alles zur Operation vorbereitete, hoffte mein schweifender Forscherblick, das heißersehnte Kleinod zu erspähen, ohne zu ahnen, wie ich es erlangen könnte. Plötzlich kam mir ein genialer Gedanke. – Ich fühlte abermals den Puls der hohen Patientin und erklärte hierauf mit wichtig ernster Miene, die Störung sei eine höchst bedenkliche zu nennen. Unter allen Umständen müsse das Blut in einem Gefäße aufgefangen und später eingehend von mir untersucht werden. Ein allgemeiner entrüsteter Aufschrei der Weiber folgte diesem unerhörten Vorschlage; der Banu aber leuchtete er als eine abermalige Bestätigung meiner tiefen Wissenschaft ein. Es galt nun, eine neue Schwierigkeit zu überwinden und ein Gefäß zu finden; denn der äußerst armselig ausgestattete turkmenische Haushalt wird ohne größte Not kein vorhandenes Geschirr einem Zwecke opfern, der es für immer unbrauchbar macht. Die spärlich vorhandenen Töpfe und Schüsseln wurden der Reihe nach einer sorgfältigen Prüfung unterworfen und sämtliche zu dem Zwecke zu kostbar befunden. Da entsann sich die Banu eines alten ledernen Bechers, der mir auch eingehändigt wurde.
»Der ist durchlöchert und unbrauchbar«, rief ich und ließ das Licht freudig durch die losen Nähte blitzen, die ich in Windeseile heimlich mit dem Federmesser aufgetrennt hatte.
»Wo ist der Turban des alten Emirs«, schrie die Banu freudestrahlend ob dieser herrlichen Lösung.
»Der gehört mir,« wütete ein anderes Weib, »damit will ich meinen Packsattel wattieren.«
»Dir soll er gehören?« tobte die Banu. »Es gibt nur einen Gott und nur eine Banu in diesem Harem; der Turban gehört mir!«
»Ich gebe ihn nicht her!« keifte die andere.
Die streitenden Weiber tobten in so schrillen Tönen, daß ich zitterte, der Sultan möchte dadurch herbeigelockt werden und zur Beruhigung der Parteien den Zankapfel an sich nehmen. Da legte sich zu meinem Glücke der weise Astrologe ins Mittel, versicherte der Haremsblume Numero zwei, sie beschwöre durch ihre Habsucht das Blut der Banu, die doch die erste sei, und die Rache des Himmels auf ihr Haupt; und er errang nach langen, klugen Reden einen großmütigen Verzicht. Als ich mich nun anschickte, die Operation vorzunehmen, das Federmesser zückte, den Turban unterhielt, alle Gesichter ängstlich gespannt dem Vorgange folgten, da verlor die Banu plötzlich jede Courage und wollte von dem ganzen Unternehmen nichts mehr wissen. Ich fühlte ihr dann abermals den Puls und betonte mit verschleierter Stimme, in der die ganze Seelenangst zitterte, das Ziel meiner heißen Wünsche könnte meinen Händen doch entrissen werden: dieser Aderlaß sei das Kismet der Banu; vergeblich werde sie dem widerstreben, was von Anbeginn der Welt beschlossen sei. Dagegen verstummten alle Einwände. Sie streckte endlich den fetten Arm aus und ertrug den Stich des Federmessers mit achtunggebietender Seelenstärke. Ich fing das reichlich quellende Blut im Turban auf, ordnete nach vollendeter Operation an, ihn abseits des Lagers zu schaffen, wo keiner ihm nahe kommen dürfe, weil Wohl und Wehe der Banu ausschließlich davon abhinge, was mit ihrem Blute geschähe. Fieberhaft erregt, wartete ich die Nacht ab. Als alles schlief, schlich ich zur Stelle, trennte mit bebenden Händen die Nähte des Turban auf. – O Freude! – Unversehrt blinkten mir die Goldstücke entgegen. Ich vergrub sie, desgleichen den blutigen Turban. Am andern Morgen berichtete ich der Banu, die mit zärtlichen Blicken nicht geizte, herumstreichende Wölfe hätten mich veranlaßt, den Turban zu verscharren. Des schien sie zufrieden und schickte mir alsbald als Belohnung ein von ihr eigenhändig gebratenes, mit Reis und Rosinen gefülltes Lamm, begleitet von einer Schüssel saurer, gesalzener Milch.
Ich muß bekennen, die fünfzig Dukaten brachten mir das Bild meines früheren Herrn in Erinnerung. Der Gedanke an sein jammervoll trauriges Elend unter den Kamelen bedrückte mich – dagegen lebte ich ja fast im Überflusse! – Ich war beinahe fest entschlossen, ihm das Geld wiederzuerstatten. – Aber verdankte ich das Geld nicht doch schließlich einzig und allein meinem wunderbaren Scharfsinne? – Ohne meinen Witz wäre es für immer verloren gewesen. – Was konnte es Osman unter seinen Kamelen jetzt nützen? – Wenn ich es ihm brächte, würde man es ihm sicher sofort wegnehmen – darüber konnte kein Zweifel bestehen. War es nicht weit besser und auch klüger, es vorderhand selbst zu behalten? – Was konnte ich nicht alles für seine Befreiung tun, wenn mir die Flucht gelang? Außerdem war es sicher sein Kismet, das Geld zu verlieren – und meines, es zu behalten. Diese klugen und gerechten Erwägungen lösten alle in mir aufgestiegenen unnötigen Bedenklichkeiten. Ich betrachtete mich fürderhin als den rechtmäßigen Besitzer der Dukaten, die mir nach meiner Überzeugung kein Gesetz mehr streitig machen konnte. Unterdessen versuchte ich, Osman durch einen Hirtenjungen, der in die Berge ging, die Hälfte des Lammes zu schicken, das mir die Banu geschenkt hatte. Der Junge mußte mir schwören, nichts davon zu essen. Wenn ich auch seinen Schwüren nicht unbedingt traute, so bedurfte mein zartes Gewissen nach diesen Seelenkämpfen doch einer nachhaltigen Beruhigung. Konnte ich denn überhaupt mehr tun, als meinen Überfluß mit meinem unglücklichen Leidensgefährten zu teilen? – Der elende Hirtenjunge hatte aber kaum die Lagergrenze überschritten, als ich sah, wie er ein Stück Fleisch zum Munde führte, und sicher, war er erst ganz meiner Sehweite entschwunden, wird er alles bis auf die Knochen abgenagt haben. Der schändliche Dieb hatte einen zu großen Vorsprung, als daß ich ihn hätte verfolgen können. Ich begnügte mich, ihm meinen Fluch und einen großen Stein nachzuschleudern; leider erreichten weder Fluch noch Stein ihr Ziel.
Hadschi macht einen Raubzug mit
Nahezu ein Jahr hatte ich in der Gefangenschaft zugebracht, und in dieser Zeit war es mir gelungen, das unbedingte Vertrauen des Sultans zu erwerben. Er besprach mit mir alle seine persönlichen Angelegenheiten, auch die Vorkommnisse im Lager, und zählte so fest auf meine ergebene Treue, daß er mir in Aussicht stellte, ihn auf einem räuberischen Überfalle in persisches Gebiet begleiten zu dürfen, nachdem mir noch vor kurzem verboten gewesen war, die Grenzen des Lagers zu überschreiten. Die Wege durch die große Salzwüste, die uns von Persien trennte, waren mir gänzlich unbekannt; ich wußte nur zu gut, daß ein Fluchtversuch für mich das gleiche Schicksal bedeutete, das schon so viele Gefangene vor mir erlitten hatten, die entweder elend in der Wüste verschmachtet waren oder, verzweifelt und reumütig zu den Turkmenen zurückgekehrt, von diesen grausam und hart für ihre Flucht bestraft wurden. Nun aber bot sich mir eine herrliche Gelegenheit, die Gegend genau kennen zu lernen, und mein Herz schlug höher vor Entzücken beim Gedanken, ich könnte vielleicht auf dem Raubzuge selbst meine Freiheit wiedererlangen. Jedenfalls sollte mir kein Hindernis zu groß erscheinen, um auf unserer Heimreise um jeden Preis eine Flucht zu wagen. Wenn die Tage länger und milder werden, die grünenden Matten im Gebirge und die junge Saat in der Ebene den Pferden hinreichende Nahrung sichern, die Karawanen sich zu langen Reisen rüsten, dann unternehmen die Turkmenen ihre Raubzüge. Da der Frühling herannahte, beschloß Sultan Aslan, nach langer Unterredung mit den Häuptlingen aller Lager und den kühnsten und verwegensten der Turkmenen, die sich seither auf Raubzügen ausgezeichnet hatten, einen Einfall nach Ispahan selbst zu wagen.
Der Sultan selbst sollte uns durch die große Salzwüste führen, deren Pfade er besser kannte als irgendeiner im Lager. In den mir so wohlbekannten Straßen und Basaren Ispahans ward ich als Wegweiser auserkoren, und der Sultan drohte mir, mich beim leisesten verräterischen Muckser auf der Stelle niederstechen zu lassen. Die Turkmenen ritten eifrig ihre kostbaren Pferde zu; auch für mich bestimmten sie einen berühmten Renner zur Reise. Eine große Schaffellmütze tief in die Stirne gedrückt, mit einem weiten, plumpen Wams aus Fellen bekleidet, einem Säbel und einer langen hölzernen Lanze bewaffnet, bot ich das Bild eines schreckenerregenden, richtigen Turkmenen. Die fünfzig Dukaten hatte ich aus ihrem Verstecke hervorgeholt und vorsichtig in den Falten meiner Gürtelschärpe verborgen. Ein Sack voll Korn rückwärts auf den Sattel gebunden, einige dünne Brotfladen und ein paar harte Eier bildeten meinen Mundvorrat. Gestählt wie ein Turkmene, an Entsagung und hartes Leben gewohnt, rechnete ich mit der Ausdauer meines Magens und dem Glücke des Zufalls. Meinem ehemaligen Herrn Osman Aga, den der nagende Kummer zum Skelett verwandelt hatte, mußte ich versprechen, seine Freunde in Persien energisch zu mahnen, ein Lösegeld für ihn zu erlegen. »Ach,« – seufzte der Arme –, »mein Sohn wird sich im Besitze meines Vermögens gütlich tun, meine Frau mit großem Vergnügen einen andern Gatten erwählt haben – mein Fall ist hoffnungslos! Tue mir nur die einzige Liebe und frage, wie hoch jetzt Lammfelle in Konstantinopel im Preise stehen!«
Da verursachten mir die fünfzig Dukaten erneute Gewissensbisse. Aber für Osman war es doch eigentlich von größtem Interesse, daß ich sie behielt; ohne ein bißchen Geld im Beutel war meine Flucht nicht denkbar! – Durch meine Vermittlung allein konnte ihm die Freiheit winken! Nach dieser reiflichen Prüfung meiner und seiner Lage verblieben die Dukaten in meinem Gürtel.
Sultan Aslan stand an der Spitze von zwanzig aus den verschiedenen Lagern sorgfältig ausgewählten, erprobten Räubern, deren imposante Gestalten auf ihren edlen, in ganz Asien hochberühmten Rennern Bewunderung und zugleich Schrecken einflößen mußten. Ich für meinen Teil fühlte mich nicht zum Krieger geboren, und wenn ich auch äußerlich meinen Waffengefährten so wenig nachstand, daß der Sultan in mir einen künftigen Helden witterte, so graute mir, ehrlich gestanden, eigentlich gräßlich vor dem Augenblicke, der meinen Mannesmut auf die Probe stellen würde.
Meisterhaft und mit bewundernswerter Sicherheit führte uns der Sultan über die bewaldeten schwierigen Gebirgspfade und durch die unbebauten, unwirtlichen Ebenen Persiens. Er kannte jede Bergkuppe, zog mit erstaunlichem Scharfsinne aus den Fußspuren von Menschen und Tieren die treffendsten Schlüsse, bestimmte danach die Herkunft und die Anzahl der Reisenden, und wußte, ob sie mit bepackten oder unbepackten Tieren gereist waren. Wir drangen mit der größten Vorsicht in bewohnte Gegenden vor, rasteten am Tage und ritten des Nachts. Unsere Nahrung für Menschen und Tiere erlangten wir durch die wandernden Stämme, die wir vor unserem Eintritt in die große Salzwüste aufsuchten, und jagten dann, mit neuen Vorräten versorgt, so schnell dahin, als unsere Pferde zu laufen imstande waren. Endlich, nach mühevoll zurückgelegten 700 Meilen, gelangten wir in die Umgebung Ispahans. Nun nahte der Augenblick heran, der uns für unsere Strapazen entschädigen und meinen Mut auf die Probe stellen sollte. Als ich erfuhr, daß meine Gefährten beabsichtigten, durch einen der mir gar wohl bekannten unbewachten Zugänge nächtlicherweile in die Stadt zu gelangen, dann direkt in die Karawanserei einzudringen, um die Barmittel der Kaufleute zu rauben, da sank mir vor Schreck das Herz in der Brust. Bei meiner genauen Kenntnis Ispahans war es mir ein leichtes, meinen Genossen einen Pfad durch die Trümmerfelder der Ruinen Statt der erwarteten Größe und Herrlichkeit trat uns eine schauerliche, menschenleere Einöde entgegen, auf welcher zerfallene und versunkene Hauser, Paläste und Moscheen nur noch durch ihre Trümmerhaufen die ehemalige Abgrenzung der Straßen und Plätze der alten Königsstadt angaben. Freilich schimmerte hier und da selbst noch an den Ruinen die vergangene Pracht durch, allein der Anblick dieser Spuren vermehrte nur das Melancholisch-Wehmütige des ersten Eindruckes von Ispahan. (Brugsch, Persische Reise.) zu zeigen, die Ispahan umgeben, und sie in die bewohnten, aber zu nächtlicher Stunde gänzlich menschenleeren Viertel zu geleiten. In der Nähe der Karawanserei stiegen wir von den Pferden, banden sie im Torbogen eines der verlassenen Häuser, die sich so häufig selbst in den belebtesten Vierteln vorfinden, fest und schlichen dann lautlos durch die schmalen Gassen bis ans Tor der Karawanserei. Mir schlug das Herz! – hatte ich doch gerade in diesem Stadtviertel meine glückliche Jugendzeit verlebt und kannte jeden Winkel.
»Ali Mohammed,« rief ich und pochte mit einem Steine gegen das festverschlossene Eingangstor. »Öffne, die Karawane von Bagdad ist angekommen!«
»Welche Karawane?« fragte schlaftrunken der Torhüter. »Du willst mich wohl zum Narren halten – die Karawane ist gestern schon angekommen.«
Als ich mich in Widersprüche verwickelt sah, mußte ich schon meinen Namen zu Hilfe nehmen und rief: »Ich bringe Nachrichten von der Karawane, mit der Hadschi Baba, des Kerbelaī Sohn, und Osman Aga auszogen.«
»Wenn du jener Hadschi bist, der mich einst so trefflich rasierte und der so lange abwesend war, dann sei willkommen.«
Daraufhin wurden die schweren Torflügel aufgeriegelt, ein altes, nur mit Unterhosen bekleidetes Männchen trat heraus. Der Schein seines eisernen Lämpchens ließ gewahren, daß der Hof eine große Anzahl von Kaufleuten und eine Fülle aufgestapelter Waren barg. Im Nu war der alte Mann überwältigt, wir fielen über die ahnungslosen Kaufleute her, rafften in kurzer Zeit alles erreichbare Gold und Silber zusammen und ergriffen in der allgemeinen Verwirrung drei Kaufleute, deren weiche Betten, seidene Decken und gestickte Polster auf Reichtum deuteten und später ein hohes Lösegeld erhoffen ließen. Geknebelt, Hände und Füße auf eine besondere turkmenische Art gefesselt, schleppten wir sie weg, banden sie rückwärts auf die schnellsten Pferde, und ein Teil der Turkmenen stürmte mit ihnen davon. Ich, der die Karawanserei so genau kannte, wußte, welche Gemächer die reichsten Kaufleute gewöhnlich innehatten und wo sie ihr Bargeld aufzuheben pflegten, schlich mich so leise wie nur möglich ins Zimmer, das Osman Aga einst bewohnt hatte, ergriff das Kästchen, in welchem die Kaufleute stets ihr Geld verwahrten, und suchte das Weite. Zu meiner größten Freude hatte ich darin einen schweren Beutel gefunden, den ich, in meinem Wams verborgen, weiterschleppte, konnte aber, der Finsternis wegen, nicht feststellen, ob er Gold oder Silber enthielt.
Als unser Werk beinahe vollendet war, begann man in der Stadt Lärm zu schlagen. Alle Bewohner der Karawanserei, Diener, Maultiertreiber und Pferdewärter flüchteten sich auf das flache Hausdach, Scharen von benachbarten Einwohnern stürmten herbei und wußten nicht recht, was los war. Die Polizei erschien, auch alle Bediensteten der Stadtverwaltung. Diese kletterten ebenfalls aufs Dach und vermehrten mit ihren wilden Ausrufen: »Schlagt zu« – »Haltet« – »Ergreift sie« – »Tötet sie« – den allgemeinen Tumult, ohne irgend etwas gegen die Feinde zu unternehmen. Ein paar Flintenschüsse wurden aufs Geratewohl abgegeben, und dank der allgemeinen Verwirrung gelang es uns, ohne weitere Fährlichkeit zu entkommen.
Während des Tumultes war ich oft versucht, der fürchterlichen Rotte, der ich nun angehörte, zu entfliehen und, in einem Winkel versteckt, ihren Abzug abzuwarten. Aber dann überlegte ich mir, daß, selbst wenn es mir gelingen sollte, mich zu verstecken, meine Gewandung, noch bevor ich nur erklären könnte, wer ich eigentlich sei, mich verraten und der blinden Wut des Pöbels, dessen wilde Ausschreitungen mir von früheren Anlässen her, zur Genüge bekannt waren, preisgeben würde.
Ich befand mich, in Gedanken versunken, gerade vor dem Laden meines Vaters, die frohen Tage der hier verlebten Kindheit kamen mir in Erinnerung; ich grübelte, was ich nun beginnen sollte, als mich von rückwärts eine rohe Faust am Arme packte und mir Sultan Aslan selbst mit grimmigster Miene drohte, er würde mich, merke er, daß ich sein in mich gesetztes Vertrauen täuschen wolle, auf der Stelle niedermachen. Um einen Beweis meiner Unerschrockenheit und Treue zu liefern, stürzte ich mich auf einen an uns ängstlich vorbeilaufenden Perser, warf ihn zu Boden, schrie laut, ich wolle ihn töten, wenn er mir nicht gutwillig in die Gefangenschaft folge. »Um des Imâm Husseïn willen, beim Leben deines Vaters, beim Barte Omars, gib mich frei,« flehte der Mann in mir wohlbekannten persischen Klagelauten. Ich erkannte sofort diese Stimme – sie konnte nur die meines eigenen Vaters sein. Beim Schein einer Laterne sah ich seine Züge. Im Augenblicke ließ ich seinen Bart, in den ich die Finger fest eingekrallt hatte, los, und nur zu gerne hätte ich mich vor ihn hingestellt und ehrfürchtig seine Hände geküßt, weil wir Perser gewohnt sind, unseren Eltern mit dem schuldigen Respekt gegenüberzutreten. Aber ein Aufgeben des Kampfes bedeutete für mich Todesgefahr, darum rang ich zum Scheine weiter, schlug anscheinend, um meiner Wildheit rechten Nachdruck zu verleihen, wütend auf den Mann ein, meine Schläge aber trafen nur den Packsattel eines Esels, der in der Nähe stand, wo mein Vater lag. Unterdessen vernahm ich, wie dieser mit sich selbst sprach: »Ach, wäre Hadschi hier! – der hätte niemals zugegeben, daß man mir in dieser Weise mitspielte!« –
Diese Worte machten mir einen so tiefen Eindruck, daß ich ihn sofort losließ und den in meiner Nähe befindlichen Turkmenen in türkischer Sprache zurief: »Laßt den Mann laufen er ist nur ein Barbier!« Ich verließ, ohne mich weiter um etwas zu kümmern, den Schauplatz unserer Tätigkeit, bestieg eilends mein Pferd und raste in gestrecktem Galopp aus der Stadt.
Die Gefangenen der Turkmenen
Als wir uns dann in Sicherheit befanden, stiegen wir von den Pferden, ließen diese rasten, bedurften auch selbst nach allen Anstrengungen der Nacht einiger Erholung. Einer unserer Bande hatte vorsorglich auf dem Wege ein Lamm gestohlen, das, alsbald in kleine Stücke zerschnitten, auf eiserne Ladestöcke gespießt, über einem kleinen Feuer aus gesammelten Holzstücken und dem Miste unserer Pferde geröstet, heißhungrig von uns verschlungen wurde. Unsere nächste Aufgabe war nun, festzustellen, ob die Gefangenen uns etwas eintragen könnten. Einer von ihnen, ein hochgewachsener, magerer Mann von ungefähr fünfzig Jahren, mit klugen Augen, eingefallenen Wangen und dürftigem Bartwuchse, war mit seidenen Hosen und einem Wams aus feinstem Kaschmir bekleidet. Der zweite, von gedrungenem Wüchse, rosiger Gesichtsfarbe und in mittleren Jahren, trug ein schwarzes, über der Brust zugeknöpftes Gewand und sah aus wie ein Beamter. Der dritte, ein robuster, haariger, grobknochiger Mensch, hatte bei der Gefangennahme so energischen Widerstand geleistet, daß er besonders stark gefesselt worden war. Nach beendigter Mahlzeit, deren Rest wir den Gefangenen zukommen ließen, riefen wir diese herbei, um sie über ihre Verhältnisse zu befragen. Der große Magere, auf dessen Reichtum verheißendes Äußere die Turkmenen die größte Hoffnung setzten, wurde zuerst verhört. Da außer mir keiner der persischen Sprache mächtig war, fungierte ich als Dolmetscher.
»Wer und was seid Ihr?« fragte Sultan Aslan.
»Ich«, erwiderte der Gefragte mit leiser Stimme, »möchte in eurem Interesse sogleich erwähnen, daß ich nichts bin als ein armer Teufel.«
»Was ist Euer Geschäft?«
»Ich bin Poet und stelle mich als solcher ganz zu eurer Verfügung – was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Ein Poet!« brüllte einer aus der rohen Bande. »Zu was ist denn ein solcher gut?« »Zu gar nichts ist er gut,« wütete der Sultan; »nicht zehn Toman wird er uns einbringen – Poeten sind immer arm und leben von dem, was sie den anderen abluchsen. Wer sollte denn für einen Poeten Lösegeld erlegen?– Aber wie kommt Ihr dazu, so kostbare Kleider zu tragen?«
»Diese sind ein Teil der Hofkleidung, die mir kürzlich vom Prinzen von Schiras, nachdem ich seine erhabenen Verdienste in einigen Versen verherrlichte, verliehen wurde.«
Auf diese Erklärung hin beraubte man ihn der köstlichen Kleidung, gab ihm als Ersatz einen alten Mantel aus Schaffellen und entließ ihn bis auf weiteres.
Nun kam der gedrungene Dicke an die Reihe.
»Wer seid Ihr?« fragte Aslan, »was ist Euer Gewerbe?«
»Ich bin ein armer Kadi,« [Richter.] war die Antwort.
»Wie kommt es, daß Ihr in einem so schönen Bette schlieft? – – Wenn Ihr die Unwahrheit sagt, lasse ich Euch um einen Kopf kürzer machen. Alle Kadis haben Geld – – leben sie nicht davon, dem Reichsten zum Rechte zu verhelfen?«
»Ich bin der Kadi von Galadun,« antwortete der Gefangene; »ich wurde nach Ispahan gesandt, um eine Steuerangelegenheit zu ordnen.«
»Wo habt Ihr das Geld für die Steuer?« fragte Aslan lauernd.
»Ich reiste nach Ispahan, um zu erklären, daß ich nichts bezahlen könnte, weil die Ernten der letzten Jahre durch Heuschrecken und Wassermangel gänzlich mißrieten.«
»Welchen Wert hat nun so ein Kerl für uns?« fragte einer unserer Rotte.
»Ist er ein kluger, weiser Kadi, so kann er uns ein schönes Stück Geld einbringen,« antwortete der Häuptling, »wenn die Bauern darauf dringen, ihn wieder zu bekommen – – sonst aber wäre er mit einem Dinar [Kleinste persische Münze.] zu hoch bewertet. Wir müssen ihn festhalten, vielleicht ist er doch mehr wert als ein Kaufmann. Aber laßt sehen, ob der dritte mehr verspricht als die zwei ersten.«
Der Grobknochige wurde herbeigeholt, und Aslan befragte ihn auf seine gewohnte Art und Weise.
»Was seid Ihr?«
»Ich bin ein Färrasch,« [Teppichbreiter.] sagte er in mürrischstem Tone.
»Ein Färrasch?« rief enttäuscht die ganze Bande. »Nur ein Färrasch – – der Kerl lügt! – – wie kamt Ihr dazu, in einem so prächtigen Bette zu schlafen?« fragte einer.
»Es gehörte nicht mir, sondern meinem Herrn,« antwortete er.
»Er lügt!« riefen alle; »das muß ein Kaufmann sein. Gesteht, oder wir bringen Euch um.«
Vergeblich versicherte der Hartbedrängte, er sei nur ein Färrasch. Da keiner dies glauben wollte, hagelten von allen Seiten so schreckliche Püffe und Schläge auf den Unglücklichen, daß er unter Schmerzen, nur um am Leben zu bleiben, notgedrungen brüllte, er gebe zu, ein Kaufmann zu sein.
Ich aber schloß nach seinem Äußern, er sei kein Kaufmann, sondern das, was er vorgab, versicherte meinen Gefährten, daß dies eine mehr wie armselige Beute sei, und riet ihnen, den Mann laufen zu lassen, ein Vorschlag, der mir einen wahren Hagelschauer von Flüchen eintrug. Auch erklärten mir meine Waffengenossen kurzerhand, daß, wenn ich gemeinsame Sache mit meinem Landsmanne machte, ich auch sein Schicksal teilen müßte und zum Sklaven degradiert würde. So mußte ich denn schweigen und die Rohlinge nach ihrem Gutdünken verfahren lassen. Da sich das Geschäft, Gefangene zu machen, als ganz jämmerlich mißglückt erwies, waren die Turkmenen übelster Laune und stritten unter sich, was sie mit den ganz wertlosen Gefangenen beginnen sollten. Einige waren der Meinung, der Kadi müßte festgehalten, der Poet und der Färrasch aber umgebracht werden; andere wollten des Kadi schonen, rechneten darauf, durch ihn ein Lösegeld zu erlangen, und wünschten, den Färrasch als Sklaven zu behalten. Daß aber der Poet sterben müsse, darüber herrschte völlige Einigkeit. Dieser Unglückliche flößte mir das größte Mitleid ein. Seine seinen Manieren, sowie seine ganze Art verrieten, trotzdem er seine Armut betont hatte, den vornehmen Mann. Da seine Sache recht schlecht zu stehen schien, sagte ich: »Welche Torheit wollt ihr begehen? – – Den Poeten umbringen? Das wäre fast noch dümmer, als die Gans mit dem goldenen Ei zu töten. Wißt ihr denn nicht, daß Poeten häufig sehr reich sind, – – daß, wenn es ihnen beliebt, sie jederzeit große Reichtümer erwerben können, weil sie ihre Schätze im Kopfe tragen? Habt ihr niemals etwas von jenem Könige vernommen, der einem berühmten Poeten jeden seiner Verse mit einem Miskal [24 Getreidekörner sind ein Miskal.] Gold belohnte?«
»Wenn das zutrifft,« meinte einer, »dann befehlt ihm unverzüglich, zu dichten, und wenn nicht jeder Vers mit einem Miskal Gold bezahlt wird, so möge er sterben.«
»Sputet Euch – – sputet Euch,« riefen alle, von der Aussicht auf so glänzenden Gewinn geblendet, dem Poeten zu. »Wenn Ihr nichts zusammenbringt, wollen wir Euch die Zunge herausreißen.«
Nach langen Verhandlungen wurde beschlossen, den drei Gefangenen das Leben zu lassen und nach Verteilung der gestohlenen Beute in unser Lager auf der Ebene von Kiptschak zurückzukehren.
Aslan versammelte uns. Jeder mußte ihm vorzeigen, was er errafft hatte. Einige schleppten Beutel, teils mit Gold, teils mit Silber gefüllt, herbei, andere goldene Pfeifenköpfe; eine silberne Wasserkanne, ein Zobelpelz und Schals kamen zum Vorschein, die größte, reichhaltigste Auswahl der verschiedensten Dinge wurde vor uns ausgebreitet. Als ich an die Reihe kam, zeigte es sich, daß ein so schwer mit Tomanen gefüllter Beutel noch niemals vorher erbeutet worden war, ein Umstand, der mir das allgemeine, begeisterte Lob der ganzen Bande eintrug. »Das hast du gut gemacht! – sehr gut! –« riefen mir alle zu. »Hadschi ist ein echter Turkmene geworden! Wir selbst hätten das nicht besser machen können!«
Das Lob meines Gebieters, des Sultans, klang besonders laut und kräftig, als er rief: »Hadschi, mein Sohn, bei meinem eigenen Leben, beim Haupte meines Vaters schwöre ich, daß du dich tapfer gehalten hast. Ich werde dir eine meiner Sklavinnen zum Weibe geben, du sollst immer bei uns bleiben, dein eigenes Zelt bewohnen, zwanzig Schafe will ich dir schenken, und bei deiner Hochzeit soll das ganze Lager von mir bewirtet werden.«
Diese huldvollen Worte gaben mir viel zu denken und bestärkten meinen fest gefaßten Vorsatz, bei der nächsten Gelegenheit meinen Feinden zu entfliehen. Unterdessen hatte ich ein scharfes Äuge auf die Verteilung gerichtet und rechnete sicher darauf, daß mir Beträchtliches zufiele. Wie bitter aber war meine Enttäuschung, als ich ganz leer ausging, man mir nicht einen einzigen Dinar zuwies. Umsonst erhob ich unwillig Einsprache gegen diese Ungerechtigkeit, vergeblich berief ich mich auf meine reiche Beute. Die kurze, sehr bestimmte Antwort lautete: »Noch ein einziges Wort, und wir schlagen dir den Kopf ab.«
So blieb mir denn nichts anderes übrig, als mit saurer Miene und Groll im Herzen mich mit dem heimlichen Besitze der fünfzig Dukaten zu trösten, während meine Gefährten wegen ihrer Anteile haderten. Daraus entstand ein allgemeiner Streit, der mit Blutvergießen geendet hätte, wäre nicht einem beigefallen: »Haben wir nicht einen Kadi unter uns hier? – Warum sollen wir hadern, er soll unsern Streit entscheiden!« So wurde denn der arme Kadi unverzüglich in ihre Mitte gebracht und zum Richter über Güter gemacht, von denen ein Teil ihm selbst gehörte, ohne die Prozente zu erhalten, die ihm rechtmäßig gebührten.
Hadschi entflieht den Turkmenen
Wir ritten heimwärts. Ich schloß verstohlen einen Freundschaftsbund mit dem Poeten. Wir beide hatten nur einen Gedanken, den heißen Wunsch, zu entfliehen. Im gegenwärtigen Augenblick aber überwachte man mich so scharf, daß mein Entweichen Wahnsinn gewesen wäre. So blieb uns denn kein anderer Trost, als auszuharren, bis sich ein günstiger Moment zur Flucht böte. Wir hatten die Grenze der großen Salzwüste erreicht, sollten später auf die Heerstraße, die von Teheran nach Meschhed führt, kommen, als Sultan Aslan, zwanzig Meilen östlich von Damgan, Halt kommandierte und vorschlug, uns in den zerklüfteten Felsen, längs der Straße, einen Tag lang zu verbergen und abzuwarten, ob uns das Glück nicht hold sein würde in Gestalt einer Karawane, die wir ausplündern könnten. Beim Morgengrauen des nächsten Tages stürmte der Wachtposten, den Aslan auf einem nahegelegenen Felsen aufgestellt hatte, eilends herbei und meldete, er habe in der Richtung von Damgan nach Meschhed Staubwolken aufsteigen sehen, die sich uns auf der Heerstraße gen Meschhed zu näherten.
Unverzüglich saßen wir im Sattel. Die Turkmenen ließen die Gefangenen, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Platze liegen, mit der Absicht, nach der Plünderung der Karawane zurückzukehren. Mit der größten Vorsicht drängten die Turkmenen, auf neuen Raub zu lauern, zu jeder Mordtat fest entschlossen, vorwärts.
Aslan, der als Führer und Aufklärer der Bande vorausritt, rief mich an seine Seite: »Jetzt bietet sich dir eine herrliche Gelegenheit, dich auszuzeichnen. Du sollst mich begleiten, Hadschi, und genau darauf achten, wie vorsichtig ich zuerst die Lage prüfe, ehe ich die ganze Mannschaft anführe. Es könnte dir von größtem Nutzen sein, das zu erlernen, damit du bei künftigen Anlässen selbst einen solchen Angriff zu befehligen imstande bist. Ich nehme dich als Dolmetscher mit mir, denn gewöhnlich versteht keiner der Reisenden unsere Sprache. Wir wollen so nahe wie nur möglich heranreiten, vielleicht zuerst mit dem Karawanenführer unterhandeln und, sollten wir uns nicht einigen, die Reisenden mit unserer ganzen Mannschaft überfallen.« Als diese näher kamen, bemerkte ich Sultan Aslan etwas ängstlich werden. »Ich fürchte, das ist gar keine Karawane« – murmelte er – »die Pferde sind zu nahe aneinander gedrängt – ich vernehme kein Glockengeklingel – die Staubwolke ist zu dicht – das ist ein großer Reiterhaufen – ich sehe Lanzen – fünf ledige Handpferde! – das ist kein Fang für uns!« In der Tat konnte man alsbald unterscheiden, daß dies keine Karawane, sondern eine hochgestellte Persönlichkeit war, zum mindesten ein Gouverneur der Provinz, der unter dem Schutze einer zahlreichen, berittenen Eskorte von Dienern und Reitern mit dem bei solchen Anlässen herkömmlichen Pomp und Glanz reiste.
Mein Herz hüpfte vor Freude, denn dies war endlich die heißersehnte Gelegenheit, zu entkommen. Wenn es mir glückte, ohne das Mißtrauen Aslans zu erwecken, mich den Reitern zu nähern und von ihnen gefangen genommen zu werden, so war ich frei! Selbst wenn sie mich anfangs schlecht behandeln sollten, so vertraute ich meiner Beredsamkeit, den Fremden meine Erlebnisse glaubhaft darzustellen.
»Laßt uns näher heranreiten,« ermunterte ich meinen Herrn in ganz bestimmter Absicht. Ich jedoch ließ mein Pferd, ohne seine Zustimmung abzuwarten, lustig ausgreifen. Er eilte mir nach, als wollte er mich zurückhalten. Da sprengten uns schon fünf oder sechs Reiter in gestrecktem Galopp entgegen. In voller Flucht rissen wir unsere Pferde herum. Aslan feuerte seine Stute zur größten Geschwindigkeit an, ich hielt mein Pferd mit aller Gewalt zurück, ward alsbald eingeholt und ergriffen. Vom Pferde gerissen, entwaffnet, meiner fünfzig Dukaten, meiner Rasiermesser und meiner sonstigen Habe beraubt zu werden, war das Werk eines Augenblicks. Trotz meiner heftigsten Beteuerungen, daß ich nur Schutz suche und nicht zu entfliehen gedächte, band man mir die Arme mit meiner Gürtelschärpe auf den Rücken und zerrte mich so, unwürdig gefesselt, von allen Seiten mit Püffen und Schlägen traktiert, weil ich nicht schnell genug laufen konnte, vor den Häuptling, der, von den Berittenen umgeben, Halt gemacht hatte.
Die übergroße Unterwürfigkeit seiner Begleiter, die tiefen Bücklinge, die sie vor ihm machten, ließen mich vermuten, er müsse eine fürstliche Persönlichkeit sein. Ein paar tüchtige Schläge auf den Kopf, die mir ein Wink waren, vor einem Shahzade [Prinzen.] ehrfürchtig in die Knie zu sinken, machten meine Vermutung zur Gewißheit. Der Prinz befahl, sofort meine Bande zu lösen, ich aber ergriff mit den befreiten Händen den Saum seines Mantels und rief: » Penah be Shahzade!« [Prinz, gewahre mir Schutz. – Ergreift ein Angeschuldigter den Saum des Kleides oder die Sporen einer hochgestellten Persönlichkeit, so ist ihm in Persien Schutz gewährt, so wie einstmals Verbrecher in katholischen Ländern in der Kirche ein schützendes Asyl fanden.]
Einer der Leibwache sprang hinzu, meine Dreistigkeit zu züchtigen. Der Prinz aber, der die alte heilig gehaltene Sitte nicht verletzen wollte, versprach mir seinen Schutz. Er befahl seinen Dienern, mich in Frieden zu lassen, und mir, zu erzählen, wie ich in eine so fatale Lage geraten sei. Ich sank auf die Knie, küßte den Boden, erzählte meine Erlebnisse so kurz und bündig wie möglich, schlug dann vor, die in der Nähe weilende Turkmenenbande anzugreifen, um den Poeten des Schahs und die anderen persischen Gefangenen zu befreien. Kaum aber waren mir diese Worte entschlüpft, als der Reiter, welcher Sultan Aslan verfolgt hatte, mit schreckensbleicher Miene bei Ali schwor, das Turkmenenheer zähle mindestens tausend Köpfe, käme uns entgegen, und der Prinz möchte sich kampfbereit halten. Umsonst versicherte ich allen, die Turkmenenhorde sei nur zwanzig Mann stark. – Niemand wollte mir Glauben schenken, ich wurde als Spion und Lügner behandelt, und alle sagten mir, ein Angriff der Turkmenen bedeute meinen sofortigen Tod. Der Reiterhaufen bewegte sich in gutem Tempo vorwärts, jeder lugte mit schlecht verhehlten Anzeichen größter Furcht nach den Turkmenen aus, deren Namen allein genügte, ganz Persien erzittern zu lassen.
Mein eigenes Pferd hatten sie mir weggenommen und erlaubten mir, auf einem Saumtier zu reiten. Ich hatte nun Zeit und Muße, über mein elendes Schicksal und meine jämmerliche Zukunft nachzudenken. Ohne einen Dinar in der Tasche, ohne einen Freund, sah ich mich in Zukunft dem Hungertode preisgegeben. Ich heulte und jammerte über mein wahnsinniges Beginnen, das mich freiwillig in dies Elend gestürzt hatte. Die schwärmerische Vorliebe für meine Landsleute, die mir in der Gefangenschaft das Herz so mächtig schwellte, war mir so abhanden gekommen, daß ich die Perser laut verfluchte. »Ihr nennt euch Muselmänner,« schrie ich sie an, »Hunde haben edlere Gefühle als ihr! – habe ich gesagt Hunde? – Ihr seid schlechter als Christenhunde – mit euch verglichen sind die Turkmenen Männer!« Als ich merkte, daß diese Reden nur die Lachlust meiner Umgebung reizten, versuchte ich mich aufs Bitten zu verlegen. »Aus Liebe zu Imâm Husseïn – um des Propheten willen – bei der Seele eurer Kinder – warum behandelt ihr mich so niederträchtig? – bin ich nicht ein Muselmann wie ihr? – Was tat ich, um solchen Kummer zu ernten? –« Aber auch daraufhin tröstete mich keiner, nur ein alter Maultiertreiber namens Ali Katirdschi, der gerade seine Wasserpfeife anzündete, gab sie mir zu rauchen und sprach: »Mein Sohn, alle Dinge dieser Welt stehen in Gottes Hand.« Auf das Maultier weisend, das er ritt, fügte er hinzu: »Gott schuf dies Maultier weiß, Ali Katirdschi kann deshalb kein schwarzes daraus machen. Einen Tag nährt es sich von Getreide, den nächsten Tag hat es nur eine Distel zu kauen. – Wer könnte sein Schicksal preisen? – Raucht jetzt Eure Pfeife und dankt Gott, daß es Euch nicht übler ergeht. Hafis sagt: ›Betrachte jede genossene Freude wie einen kostbaren Gewinn.‹ Wer vermag das Ende irgendeiner Begebenheit vorauszusagen?« – Die klugen Reden des Alten besänftigten mein verbittertes Gemüt. Als er aber herausfand, auch mir seien die göttlichen Verse des Hafis [Die Perser sind ein ganz ungewöhnlich poetisch veranlagtes Volk, und sehr häufig trifft man dort Leute der niederen Stände, die Hafis und Saadi auswendig gelernt haben und diese Dichter zitieren.] so wohlbekannt wie ihm, behandelte er mich mit großer Güte und teilte sogar während der ganzen Reise seine kärglichen Mahlzeiten mit mir. Durch ihn brachte ich auch in Erfahrung, daß der Prinz, in dessen Gewalt ich gefallen, der fünfte Sohn des Schahs sei, der kürzlich zum Gouverneur von Chorasan ernannt worden war und sich nun auf dem Wege nach Meschhed, dem eigentlichen Sitze seiner Machthaberschaft, befand. Die große Unsicherheit der turkmenischen Grenze war der Anlaß seiner besonders starken Eskorte, auch wurde gemunkelt, er habe genaue Befehle erhalten, das furchtbare Räubervolk energisch zu bekämpfen, und sollte so viel abgeschnittene Turkmenenköpfe nach Teheran schicken, bis man damit eine Pyramide vor dem königlichen Schlosse aufrichten könne. »Ihr könnt von Glück sagen,« fügte der Maultiertreiber hinzu, »daß Euch der Kopf noch auf den Schultern sitzt. Wären Eure Haare blond und Eure Augen klein und geschlitzt, Ihr wäret nicht mehr am Leben, und Euer Kopf, auf eine Lanze gespießt, würde als ein Turkmenenschädel ausgegeben.«
Als wir abends eine zerfallene Karawanserei am Wüstenrande erreicht hatten, um dort zu nächtigen, entschloß ich mich, mir die Erlaubnis zu verschaffen, beim Prinzen vorgelassen zu werden, von ihm mein Pferd, meine Waffen und mein Geld zurückzufordern, das ich skrupellos als mein Eigentum betrachtete, wenn schon eine gewisse innere Stimme mir leise zuraunte, der Räuber meines Geldes besäße ebensoviel Recht darauf als ich selbst. Die Zeit vor dem Abendgebete bot die beste Gelegenheit zu meinem Vorhaben. Der Prinz saß auf einem Teppiche, in weiche Kissen gelehnt auf der Terrasse vor der Karawanserei. Ehe die Höflinge Zeit gefunden, mich wegzujagen, rief ich: » Ärsi daram«. [Ich möchte eine Bitte vortragen.] Der Prinz befahl mir, näher zu treten und fragte nachlässig nach meinem Begehren. Ich klagte über die unwürdige Behandlung seiner Diener, die mich gefangen genommen, meines Pferdes, meiner Waffen und meiner fünfzig Dukaten beraubt hätten, und bat ihn, mir mein Eigentum wieder einhändigen zu lassen. Sofort befahl er seiner Umgebung, jene Leute, die mich gefangen genommen, zu rufen, und ließ sie durch seinen Zeltbauer vorführen. Als sie nahten, erkannte ich alsbald die Schuldigen. »Ihr Hundessöhne,« schrie er sie an, »wo ist das Geld, das ihr diesem Manne gestohlen habt?«
»Wir nahmen ihm nichts,« riefen sie einmütig.
»Das werden wir bald herausbringen,« antwortete der Prinz.
»Ruft die Färrasche,« sagte er zu einem der Begleiter, »sie sollen diesen Halunken die Fußsohlen so lange bearbeiten, bis die Dukaten zum Vorschein kommen!«
Unverzüglich wurden ihre Füße in Schlingen gelegt und diese hochgezogen. Schon nach wenigen kräftigen Hieben bekannten die Diebe und brachten alsbald das Geld zur Stelle. Der Prinz zählte es sorgsam, legte es unter das Kissen, auf dem er saß, und entließ die Schuldigen. Zu mir aber sprach er mit lauter Stimme und einer gnädigen Handbewegung: »Ihr seid entlassen!« Hilflos stand ich da, sperrte den Mund weit auf und wartete auf mein Geld. Da packte mich der Zeremonienmeister bei der Schulter und stieß mich zur Seite. »Und wo bleibt mein Geld?« rief ich entsetzt.
»Was sagt er,« schrie der Prinz – »gebt ihm den Schuh, wenn er nochmals wagt, den Mund aufzutun.«
Der Zeremonienmeister zog seinen grünen, hohen Pantoffel aus, schlug mir mit dem eisenbeschlagenen Absatz auf den Mund und meinte: »Du Hund wagst es, in dieser Weise mit einem Königssohne zu reden? Ziehe in Frieden, halte deine Augen offen, oder wir schneiden dir die Ohren ab.« Dann stießen und zerrten sie mich mit Gewalt fort.
An Leib und Seele zerschlagen und ganz verzweifelt suchte ich den Maultiertreiber auf, den mein trauriger Bericht keineswegs in Staunen setzte. »Wie konntet Ihr denn Besseres erwarten?« meinte er; »ist er denn nicht schließlich ein Prinz? Hat dieser oder irgendein anderer hochgestellter Mann einmal etwas in Besitz genommen, wird er es niemals zurückgeben. Ebensowenig als ein Maultier einen frischen Grasbüschel, den es bereits kaut, wieder loslassen wird, ebensowenig könnt Ihr von einem Prinzen erwarten, daß er Geld, das er einmal errafft hat, zurückerstattet.«
Hadschi wird ein Sakka