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"In dieser Nacht war Robin nicht nur Robin Hood, Anführer einer kleinen Gruppe aufständischer Räuber und ein bis über beide Ohren in die Prinzessin verliebter Jüngling. Nein, in dieser Nacht war Robin die Hoffnung tausender, ihrer Freiheit und ihres Glücks beraubter Menschen." Mit vielen wundervollen Illustrationen der Tattoo-Künstlerin Tanina Palazzolo (Tätowiersucht Münster). Pressestimmen: "Wer glaubt, die Abenteuer von Robin Hood schon zu kennen, hat das Buch von László Dören noch nicht in der Hand gehabt: packend, überraschend, richtig gut erzählt. Toll zum Vorlesen!" (Angela Maas (lit.COLOGNE)) "Eine spannende Abenteuergeschichte zwischen Räuber Hotzenplotz und J.R.R. Tolkiens Hobbit." (Oberhessische Zeitung)
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2022
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„there´s a natural mystic blowin´through the air,
if you listen carefully now you will hear”
(Bob Marley)
für János und Ilián
Prolog
1.
Kapitel: Das geheime Lager im Sherwood Forest
2.
Kapitel: Drei alte Bauern
3.
Kapitel: Vorahnungen
4.
Kapitel: Im Rosengarten
5.
Kapitel: Guy von Gisborne
6.
Kapitel: Das Turnier
7.
Kapitel: Die Falle schnappt zu
8.
Kapitel: Die Flucht
9.
Kapitel: Der wilde Jäger
10.
Kapitel: Aufbruch ins Abenteuer
11.
Kapitel: Verschlungene Pfade
12.
Kapitel: Überraschung aus dem Dickicht
13.
Kapitel: Wolfsgeheul
14.
Kapitel: Der Einsiedler
15.
Kapitel: Die Legende vom silbernen Pfeil
16.
Kapitel: Ein ungewöhnlicher Führer
17.
Kapitel: Spuren zwischen Nachtschatten
18.
Kapitel: Der schwarze Turm
19.
Kapitel: In der Halle des Hexenmeisters
20.
Kapitel: Zusammenkunft im Mondenschein
21.
Kapitel: Der Sherwood in Flammen
22.
Kapitel: Regenritt nach Norden
23.
Kapitel: Die Brücke
24.
Kapitel: Der Dieb am See
25.
Kapitel: Neue Kleider für Little John
26.
Kapitel: Das Wirtshaus zum Tanzenden Irrlicht
27.
Kapitel: Fliegende Fäuste
28.
Kapitel: Der Darkwood Forest
29.
Kapitel: Baumgeister
30.
Kapitel: Nebelschwaden
31.
Kapitel: Die Hexe von Tarnak Tormur
32.
Kapitel: Die Höhle des Lindwurms
33.
Kapitel: Hochzeitsglocken
34.
Kapitel: Was in der Kapelle geschah
35.
Kapitel: Guy von Gisbornes letzter Kampf
36.
Kapitel: Morgendämmerung
Viele Geschichten ranken sich um Robin Hood, dem grün gekleideten Gesetzlosen, der mit einer Schar Gleichgesinnter im tiefen und dunklen Wald Sherwood Forest lebte. Ein Räuber, der von den Reichen nahm, um es den Armen zu geben. In den Bibliotheken wirst Du viele Bücher über Robin Hood finden, aber wie es sich damals wirklich zugetragen hat, habe ich in diesem Buch niedergeschrieben. Wenn Du Geschichten über Helden und Schurken und schöne Prinzessinnen magst, dann bin ich mir sicher, wird dir diese hier gefallen. Die Geschichte von den Abenteuern von Robin Hood und seinen Männern.
Es herrschten raue Zeiten in England. König Richard hatte vor einigen Jahren das Land verlassen, um im fernen Morgenland auf Kreuzzug zu gehen. Bis zu seiner Rückkehr, an die nur noch die Wenigsten glaubten, sollte sein Halbbruder Prinz John das Land regieren. Aber während König Richard großmütig und gerecht war, zeichnete sich Prinz John durch Gier und Verschlagenheit aus. Das einfache Volk, die Bauern und Handwerker, mussten so hohe Abgaben an ihn entrichten, dass ihnen kaum etwas von ihrem hart erarbeiteten Brot blieb. Die Reichen indessen, große Kaufleute und Adlige, blieben verschont, solange sie Prinz John ihre Unterstützung zusicherten. So wurden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer.
Der gefürchtetste Steuereintreiber von Prinz John war der Sheriff von Nottingham. Ein übler Kerl, der Schadenfreude dabei verspürte, einem armen Schlucker den letzten Taler abzuknöpfen. Wenn er und seine Schergen ein Dorf aufsuchten, sah jeder zu, dass er seine wenigen Habseligkeiten noch irgendwie in Sicherheit bringen konnte. Aber der gemeine Sheriff von Nottingham hatte seine Mittel, an das Geld zu kommen, von dem er meinte, es würde ihm zustehen. Und wenn er der Ansicht war, dass ein Dorfbewohner etwas vor ihm verbergen würde, dann konnte schon mal ein Haus in Flammen aufgehen - ob es nun stimmte oder nicht. Auch wenn diese Ungerechtigkeit kaum zu ertragen war, traute sich niemand, dem Sheriff und seinen Schergen Einhalt zu gebieten. Niemand außer Robin Hood.
Wenn ein Fremder damals in die Gegend kam, konnte er Lieder über Robin Hood hören, die überall auf den Straßen gesungen wurden, auch wenn dies bei Strafe verboten war. Robin Hood war der Einzige, der es wagte, sich gegen Prinz John und seine Helfer aufzulehnen - der keine Angst vor dessen Soldaten und den Schergen des Sheriffs hatte. Der Sheriff von Nottingham mochte Robin einen Räuber nennen und irgendwie war er es ja auch. Aber Robin Hood bestahl stets die Reichen, nahm sich nur, was er auch wirklich brauchte und verteilte den Rest des Räubergutes an die Bedürftigen. Schon bei dem Gedanken an Robin Hood bekam der Sheriff so schlechte Laune, dass er seine Schweinsäuglein zu kleinen Schlitzen zusammenkneifen musste und seine wulstigen Lippen die Form eines nach unten geöffneten Hufeisens einnahmen. Nicht viel anders erging es Prinz John. Wenn in seiner Gegenwart das Wort Robin Hood fiel, musste er sich regelmäßig an seinem Thron festkrallen, um nicht vor Wut in die Luft zu gehen. Für alle anderen (von den wenigen Reichen einmal abgesehen) war Robin Hood ein Held. Die Menschen liebten ihn. Denn er gab ihnen nicht nur gelegentlich ein paar Münzen, mit denen sie etwas Essen für ihre leeren Mägen kaufen konnten, sondern er gab ihnen vor allem eines: Hoffnung.
Nur wenige Meilen von Nottingham entfernt erstreckte sich ein riesiger Wald. Dessen Blätterwerk war so dicht, dass selbst tagsüber ein grünliches Dämmerlicht herrschte, in das sich nur hier und da Sonnenlichtstrahlen verirrten. Majestätische, von Moos bewachsene Eichen ragten in den weitläufigen Hallen dieses grünen Reiches wie Säulen empor. So mancher, der durch den Sherwood reiste, hatte das Gefühl, dass es sich bei diesen Eichen eher um verwandelte Riesen aus Urzeiten handelte, als um einfache Bäume. Und wenn der Wind in ihre Zweige fuhr, war es, als ob sich im Rascheln der Blätter eine fremde Sprache verbarg, in der sich diese Baumriesen unterhielten. Und wer weiß? Vielleicht taten sie es ja tatsächlich. Zumindest rankten sich viele Geschichten um diesen alten Wald, den sie Sherwood Forest nannten. Geschichten, die meistens die Alten den Kindern abends vorm Schlafengehen an der Feuerstelle erzählten. Sie handelten vom kleinen Volk, den Andersweltlichen, die im Sherwood Forest lebten und schon den einen oder anderen Wandersmann in ihr Reich gelockt hatten. Geschichten über den wilden Jäger, dem Herrscher des Sherwood Forest, der die Gestalt eines Hirsches annehmen konnte. Und natürlich Geschichten über Robin Hood, der mit seinen Männern irgendwo im Sherwood Forest sein geheimes Quartier hatte, das so gut versteckt war, dass jede Suche des Sheriffs von Nottingham danach vergeblich war. Am liebsten hörten die Kinder von den Streichen, die Robin Hood dem Sheriff spielte. Sicherlich waren auch einige Geschichten erfunden, aber der Lieblingsstreich der Kinder hatte sich genauso zugetragen, wie es damals in nahezu jedem Haus in dieser Gegend, in dem Kinder lebten, erzählt wurde. Der Streich, als Robin Hood mit seinen Männern den Sheriff und seine Schergen in eine Falle lockte, sie entwaffnete und ihnen nicht nur ihre Rüstungen, sondern auch ihre komplette Kleidung abnahm. Um sie nicht ganz splitternackt zurück in die Stadt zu schicken, überließ Robin Hood ihnen großzügig die Unterwäsche feiner Damen, die er tags zuvor aus dem Schloss stibitzt hatte. Der Anblick dieser wüsten Kerle in rosa Mieder aus feinster Seide ließ sogar den Soldaten des Prinzen vor Lachen die Tränen in die Augen steigen, als sie zurück durch das Burgtor ritten. Und was der Sheriff dabei für ein Gesicht machte, kannst Du dir ja denken. Die Schlitze waren so schmal, dass die Schweinsäuglein kaum noch auszumachen waren in dem puterroten, zur Faust geballten Gesicht.
Ach ja - eigentlich wollte ich doch gerade vom Sherwood Forest erzählen und von dem Ort, wo Robin Hood mit seinen Männern wohnte. Irgendwo hinter dornigen Gebüschen verborgen, ragten riesige Felsbrocken aus dem Boden, die fast die Höhe der Eichen, die im Sherwood Forest vorherrschten, erreichten. Statt mächtiger Eichbäume jedoch, wuchsen hier nur einige Birken von kümmerlichem Wuchs, die sich an die Felsen schmiegten, sodass dieser Platz schon eher einer Lichtung glich. Die meisten Felsbrocken waren stark zerklüftet und am Boden mal mehr, mal weniger ausgehöhlt. Einer dieser Felsen barg ein Geheimnis: Im Schatten einer seiner Aushöhlungen klaffte ein Loch im Boden, von dessen Rand aus eine Strickleiter in die Tiefe führte. Kletterte man diese hinab, erwartete einen eine Höhle, so groß wie eine Kirche, in der es auch im Winter wunderbar warm war. Hier hatten es sich Robin Hood und seine Männer gemütlich gemacht. Strohlager und Bärenfelle waren auf dem felsigen Boden ausgebreitet und Öllampen verströmten ihr heimeliges Licht. Die Höhle hatte sogar ihre eigene Quelle, aus der heißes Wasser sprudelte und sich in einem Becken sammelte, in dem die Räuber gelegentlich ein Bad nahmen. Draußen, zwischen den Felsen, war eine große Feuerstelle. Dies war der Lieblingsplatz von Robin Hood und seinen Männern. Hier gesellte man sich abends ums Feuer und aß, trank, plante, redete, sang und lachte.
Und in lauen Sommernächten, solche wie sie gerade waren, als sich die Geschehnisse ereigneten, von denen ich erzählen werde, schliefen die Männer meistens neben der Feuerstelle auf Moos gebettet unter dem freien Sternenhimmel. Und wenn Robin Hood dann so dalag, das Moos unter sich spürte und den Geruch und die Geräusche des Waldes vernahm, fühlte er sich selbst als ein Teil des Waldes und schlief geborgen ein. Dann reiste er im Traum meistens zu Marian, seiner großen Liebe. Robin hätte Marian schon lange geheiratet, wenn nicht ausgerechnet Prinz John ihr Onkel gewesen wäre, der ihn über alles hasste.
Es war ein heißer Sommertag als der Sheriff von Nottingham, gefolgt von nicht weniger als zwanzig bis an die Zähne bewaffneter Schergen (mit weniger traute er sich nicht), gemütlich auf einer der Hauptstraßen ritt, die durch den Sherwood Forest führte. Selbstzufrieden pfiff er ein Lied vor sich her, während er gleichzeitig misstrauisch die Bäume links und rechts des Weges im Auge behielt. Auf oder hinter jedem Baum konnte sich ja Robin Hood versteckt haben.
„Hahaha, soll er nur kommen, unser Held. Robin Hoods Männer sind doch nichts weiter als ein Haufen dahergelaufener Bauern“, murmelte der Sheriff zu sich selbst. Mit Genugtuung betrachtete er seine schwer bewaffnete Gefolgschaft. „Sollte sich Robin Hood trauen uns anzugreifen, werden wir diese Vagabunden zermalmen.“
Dabei blitzten die Augen des Sheriffs böse und er zerquetschte zwischen Daumen und Zeigefinger eine Eichel, die ihm gerade auf den Kopf gefallen war. Als hätte die verflixte Eiche darauf gewartet, dieses hinterhältige Geschoss auf ihn abzuwerfen. Aber es war ihm egal, denn heute hatte er gute Laune, was meistens hieß, dass er gerade Geld von armen Leuten eingetrieben hatte. Und diesmal hatte er besonders gute Laune, weil er besonders viel Geld von besonders vielen armen Leuten erbeutet hatte. Warum sollte er auf dem Rückweg durch den Sherwood Forest nicht auch noch Robin Hood in die Finger bekommen? Vielleicht war ja heute sein Glückstag? Vielleicht würde Robin Hood dieser dicken Beute nicht widerstehen können und sich auf diesen ungleichen Kampf einlassen?
„Dann werde ich mir diesen Knilch persönlich vorknöpfen“, dachte der Sheriff und er stellte sich vor, wie er voller Stolz vor Prinz John treten und ihm den in Ketten gelegten Robin Hood vor die Füße werfen würde. Wie erschrocken, aber zugleich auch bewundernd die Hofdamen ihn, den kühnen Sheriff von Nottingham, anschauen würden…
Während der Sheriff sich seinen Ruhm ausmalte, kamen ihm auf der Straße drei Gestalten entgegen. Zerlumpte Bauern, deren lange weiße Bärte schon von weitem auffielen. Anscheinend drei ältere Herren, denen der Weg viel Mühe zu bereiten schien, denn sie stützten sich auf ihren Wanderstäben ab und hielten oft inne, um wieder Kräfte für die nächsten Schritte zu sammeln. Diese weißbärtigen Gestalten hätten nicht unterschiedlicher daherkommen können. Während der linke Bauer, leicht gebückt gehend, von mittlerer Statur war, maß der Mittlere bestimmt zwei Meter. Der Rechte war weder groß noch klein, aber dick - ziemlich dick sogar. Man könnte sagen rund. Du kannst dir ja wahrscheinlich jetzt schon denken, wer diese Bauern in Wirklichkeit waren und wenn nicht, dann kann ich dir noch den kleinen Tipp geben, dass Robin Hood zwei beste Freunde hatte, mit denen er meistens zusammen seine Streiche durchführte: Little John, der so groß und stark wie ein Bär war und Bruder Tuck, ein ehemaliger Mönch mit stattlicher Leibesfülle, dem das Klosterleben irgendwann zu langweilig wurde. Der Sheriff von Nottingham sah in den Dreien dagegen nur ein paar weitere Melkkühe, die seinen Geldbeutel um eine Handvoll kupferner Münzen auffüllen würden und so konnte er es gar nicht erwarten, bis sie voreinander standen.
„Na, ihr drei alten Burschen, habt ihr denn diesen Monat schon schön brav eure Abgaben für unseren geliebten König Prinz John entrichtet?“
Der Sheriff schwang sich vom Sattel, löste einen Beutel von seinem Gürtel, der bereits prall gefüllt war und trat auf die drei Gestalten zu. Die Schergen des Sheriffs hatten ebenso ihre Pferde zum Anhalten bewegt, bauten sich hinter ihrem Anführer auf und blickten grimmig auf die drei alten Männer hinab. Das war die Masche dieser Feiglinge, um ihre Opfer einzuschüchtern. Der Sheriff hielt den drei Bauern seinen Beutel unter die Nase, grinste, dass die gelben Zähne zum Vorschein kamen und säuselte: „Ich bin der Sheriff von Nottingham und jetzt darf jeder von euch drei Heller in den Beutel werfen.“
„Wie? Sie sind der Schafhirte von Noodle-ham (und Noodle-ham bedeutet übersetzt ungefähr so viel wie Nudel-Schinken) und wir sollen jeder drei Teller in den Beutel werfen?“ fragte ungläubig der dicke Bauer mit heiserer Stimme. Das Grinsen des Sheriffs bekam jetzt etwas Haiartiges. Er trat nun ganz nahe an die drei Bauern heran und beugte sich so weit vor, dass der Dicke den übel riechenden Atem des Sheriffs auf seinem Gesicht spüren konnte. Spätestens jetzt hätte der Sheriff eigentlich merken müssen, dass die weißen Bärte in Wirklichkeit aus Schafswolle waren. Aber dafür genoss er zu sehr das Spiel, das er gerade mit den drei alten Bauern spielte. Das Spiel einer gefräßigen Katze mit Mäusen, für die es kein Entrinnen gab.
„Meine Herren hören etwas schlecht, wie?“
Der Sheriff betonte jedes Wort.
„Drei Heller in den Beutel für Prinz John, unseren großartigen König.“
Verwundert starrte nun der große Bauer den Sheriff an.
„Für Winz-John, unseren unartigen König?“ fragte er mit brummender Stimme. Der Sheriff blickte zu dem großen Bauern hoch und fauchte: „Wenn ihr mich nicht verstehen wollt, dann werde ich mir eben einfach nehmen, was mir gebührt.“
Seine Augen funkelten böse. Er wollte gerade nach seinem Schwert greifen, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, da spürte der Sheriff etwas Spitzes an seinem Bauch. Langsam wanderte sein Blick an seinem massigen Körper hinab und schlagartig wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Mit seinem eingefrorenen Grinsen sah der Sheriff so aus, als ob er urplötzlich äußerst dringend aufs Klo müsste. Der gebeugte Bauer hielt ihm einen Dolch an das Wams und zwar so, dass dieser vor den Augen der hinter dem Sheriff stehenden Schergen verborgen blieb.
„Das ist aber nett von Euch, dass Ihr uns einfach euer Geld geben wollt. Sehr großzügig“, raunte er dabei dem Sheriff ins Ohr und zwinkerte ihm zu. Und jetzt erst begriff der Sheriff von Nottingham, wen er da vor sich hatte. Diese feurigen Augen konnten nur einem gehören! Widerwillig überreichte er dem dicken Bauern den Beutel mit den Münzen.
„Alles in Ordnung, Sheriff?“ wollte einer der Schergen wissen, dem das Ganze seltsam vorkam.
„Na-na-türlich ist alles in Ordnung“, stotterte der Sheriff und fügte ärgerlich hinzu: „Du Schwachkopf!“
Da durchschnitt Robin Hood (und kein anderer war es, der sich als gebeugter Bauer verkleidet hatte) mit einer flinken Bewegung den Gürtel des Sheriffs, dessen Hose darauf scheppernd zu Boden fiel. Zeitgleich verpasste Little John (in der Verkleidung des großen Bauerns) dem Sheriff einen Stubbs, sodass dieser unbeholfen hintenüber in die Arme seiner verdutzten Schergen fiel. Augenblicklich drehten sich die drei Räuber um, rannten ein paar Schritte die Straße zurück, um sich an einer bestimmten Stelle ins Unterholz zu schlagen.
„Hinterher!“ brüllte der Sheriff, noch immer in den Armen seiner noch immer verdutzt dreinblickenden Schergen liegend. Wie eine Horde wild gewordener Auerochsen preschten diese mit gezückten Schwertern hinter unseren drei Freunden her. Dabei ließen sie den Sheriff fallen, der jetzt mit herunter gelassener Hose im Schlamm saß und lauthals fluchte. Wirklich üble Flüche, die nichts für Kinderohren sind und deswegen wenden wir uns lieber ganz schnell von diesem rüpelhaften Sheriff ab und seinen schnaubenden Schergen zu, die den drei Flüchtenden bereits dicht auf den Fersen waren.
Sicherlich hätten die Schergen sie bald eingeholt, denn weder Little John noch Bruder Tuck gehörten zu den schnellsten Läufern, wenn sich nicht weitere Räuber von Robin Hood in den Bäumen versteckt und auf ihren Einsatz gewartet hätten. Der vorderste Scherge war nur noch wenige Schritte hinter Bruder Tuck, als von oben aus den Bäumen ein Krakeelen und Johlen erklang. Die wüsten Männer des Sheriffs wären vor Schreck fast übereinander gepurzelt. Statt noch schnell zur Seite zu springen, was klug gewesen wäre, blickten alle Schergen gleichzeitig nach oben, was ziemlich dämlich war. Und genauso dämlich waren auch die Gesichtsausdrücke, als sie sahen, wie sich über ihnen ein riesiges Netz aus Efeuranken auftat, auf sie niederfiel und unter sich begrub. Das gab ein wildes Durcheinander und als die Meute sich endlich befreit hatte und auch der Sheriff sich wutschnaubend durchs Unterholz geschlagen hatte, war keine Spur mehr von Robin Hood und seinen Männern zu entdecken. Er war dem Sheriff mal wieder entwischt, mitsamt seiner ganzen Tagesbeute. Noch weit, weit in den Wald hinein konnte man das Brüllen des Sheriffs hören: „Robin Hooood! Eines Tages kriege ich dich!!!“
An diesem Abend waren die Männer von Robin Hood in ausgelassener Stimmung. Bis tief in die Nacht saßen sie am Lagerfeuer und erfreuten sich an ihrem gelungenen Streich, den sie heute dem Sheriff gespielt hatten. Sie konnten nicht genug davon bekommen, wenn Bruder Tuck den Sheriff nachahmte und Little John abwechselnd in die Rollen der drei verkleideten Bauern schlüpfte. Diese kleine Theatervorstellung war so gut, dass immer wieder Zuschauer vor Lachen rücklings von ihrem Baumstamm plumpsten und ihre Beine strampelnd in die Höhe ragten.
Während um Robin Hood das Johlen und Lachen seiner Männer erschallte, blickte er abwesend in die Flammen. Die laue Nachtluft war erfüllt vom Zirpen der Grillen, über das hin und wieder der Ruf einer Eule erklang. Zu der nächtlichen Waldmusik tanzten Glühwürmchen über den Köpfen der Räuber vor einer märchenhaften Kulisse aus Bäumen und Felsen, die vom Mond in ein unwirkliches, silbriges Licht getaucht wurde. Aber selbst diese zauberhafte Schönheit des Waldes bei Nacht, die Robin Hood sonst so sehr liebte, erreichte ihn heute nicht.
„Was bist du so trübsinnig, Robin?“ fragte ihn zu späterer Stunde sein Freund Little John. „Alle anderen sind fröhlich und genießen diesen wunderbaren Abend. Nur du starrst die ganze Zeit ins Feuer.“
„Du hast recht, Little John, und es tut mir leid, dass ich mich an einem Abend wie diesem der Gemeinschaft entziehe. Aber irgendwie habe ich so eine ungute Vorahnung. So ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas passieren wird. Etwas, das dem Land noch größeren Kummer bereiten wird“, antwortete Robin und Little John war es, als würde sich der silbrige Wald in Robins Augen spiegeln. Robin Hood war jetzt schon seit vielen Jahren sein bester Freund und er kannte ihn mittlerweile sehr gut. Aber immer noch umgab ihn manchmal etwas Geheimnisvolles. Robins Augen waren weich und voll Feuer zugleich und strahlten so viel Weisheit aus, als ob sie die eines alten Druiden wären und nicht eines jungen Mannes von gerade fünfundzwanzig Jahren. Noch nie zuvor hatte Little John einen Menschen getroffen, dessen Verhältnis zum Wald so innig war. Und nie zuvor hatte Little John einen Menschen getroffen, der ein größeres Herz für seine Mitmenschen hatte.
„Aber was könnte das sein?“ überlegte Little John laut.
„Ich weiß auch nicht, wie ich meine Vorahnung deuten soll. Mir ist, als hätte etwas Böses das Land betreten. Aber vielleicht sollte ich einfach schlafen gehen und morgen bei Tageslicht sieht alles wieder ganz anders aus“, entgegnete Robin.
„Ja, das solltest du wohl. Schlaf gut.“ Little John klopfte mit seiner riesigen Pranke ermutigend auf Robins Schulter und erhob sich.
Diese Nacht träumte Robin Hood wieder von Marian. Sie stand auf einer steilen Klippe an der Meeresküste. Es stürmte und gewaltige Wellen brachen sich an den Felsen, dass die Gischt nur so spritzte. Robin stand einige Schritte hinter Marian und konnte im tosenden Lärm des Windes hören, wie sie mit klarer Stimme ein Lied in den Sturm hinein sang. Ein trauriges, melancholisches Lied, aber Robin verstand die Worte nicht. Zunächst glaubte er, es liege daran, dass der Sturm zu laut war und nur Bruchstücke des Liedes zu ihm getragen wurden. Aber schließlich wurde ihm klar, dass Marian das Lied in einer alten Sprache sang. Einer Sprache, die die Menschen hier vor vielen hunderten, vielleicht sogar tausenden von Jahren gesprochen haben, er aber nicht verstand. Dann verstummte sie und drehte sich zu Robin um. Sie war so schön, dass ihm der Atem stockte. Traurig blickte Marian Robin in die Augen und ihre Lippen bewegten sich, als ob sie ihm etwas sagen wollte. Aber die Worte wurden vom Heulen des Windes verschluckt. Robin trat auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen. Gerade in diesem Moment verwandelte sich Marian in eine graue Möwe und flog davon. Noch immer schien der Sturm zwischen Tosen und Brüllen ein zartes Echo des alten, traurigen Liedes mit sich zu tragen. Da erwachte Robin Hood schweißgebadet.
Früh am nächsten Morgen brach Robin nach Nottingham auf. Wie immer, wenn er in die Stadt wollte, passte er wenige Meilen vor dem Stadttor einen der Bauern mit ihren Karren ab. Meistens waren diese mit Gemüse beladen, das die Bauern auf dem Markt feilboten. Dazwischen konnte man sich herrlich verstecken. Die Bauern schmuggelten Robin Hood gerne in die Stadt. So konnten sie sich ein wenig erkenntlich zeigen für die Hilfe und Unterstützung, die sie von ihm erhielten.
Auch an diesem Tag hatte Robin Glück und er musste nicht lange warten, bis ein Bauer mit seinem, von zwei Eseln gezogenen Karren des Weges kam.
Kurz darauf rumpelte Robin, unter Kartoffelsäcken versteckt, auf Nottingham zu. Die Stadt war von einer imposanten Mauer umgeben, an die sich nach außen ein breiter Wassergraben anschloss. Hinter der Zugbrücke stand ein halbes Dutzend unfreundlich dreinblickender Wachen vor dem Tor, die die Einreisenden schikanierten und ihre geschmacklosen Scherze mit ihnen trieben.
Unter den nach Erde riechenden Kartoffeln vernahm Robin die raue Stimme einer der Wachen.
„Heh, du! Hier kommst du nur rein, wenn du drei schöne runde Taler springen lässt.“
Der Bauer flehte die Wache an: „Bitte, lasst mich doch so in die Stadt. Drei Taler sind fast die Hälfte meines Tagesverdienstes. Ich habe zu Hause eine Frau und Kinder - ich brauche das Geld. Bitte.“
„Und ich brauche das Geld, damit ich heute Abend nach dieser harten Arbeit meinen Durst im Wirtshaus löschen kann. Entweder du gibst mir diese kleine Spende oder du kannst deine Kartoffeln wieder nach Hause kutschieren“, höhnte der Soldat.
Robin hörte, wie der Bauer laut schluckte und der Wache klirrend Münzen in die Hand fallen ließ. Dieses Klirren versetzte ihm einen Stich ins Herz. Denn dieses Klirren war ein Geräusch der Ungerechtigkeit und der Machtlosigkeit. Als der Karren wieder anzog und durch das Tor in die Stadt rollte, lachten die Wachen hämisch und riefen dem Bauern nach: „Wir denken heute Abend an dich, Väterchen, und stoßen auf dich und deine Kartoffeln an. Hahaha!“
In einer kleinen, dunklen Seitengasse hielt der Karren und Robin Hood kletterte aus dem Haufen Kartoffelsäcke. Er klopfte sich den Staub aus seiner moosgrünen Kleidung und schlug seinen Kapuzenumhang um, der sein Gesicht im Schatten verschwinden ließ. Robin dankte dem Bauern und einen Augenblick später war er verschwunden. Denn Robin Hood war, ganz gleich ob im Wald oder in der Stadt, ein Meister der Tarnung.
Als der Bauer später betrübt seinen Stand aufbaute, fand er zwischen den Kartoffelsäcken, wo Robin gelegen hatte, ein kleines Säckchen mit ein paar Münzen. Mit diesem unverhofften Fund kehrte wieder ein Lächeln zurück in das Gesicht des Bauers. Leise murmelte er vor sich hin: „Danke.“
Robin Hood indessen suchte zunächst eine kleine Schänke in einem besonders heruntergekommenen Teil der Stadt auf, in dem die kleinen, schiefen Fachwerkhäuschen den Eindruck machten, sie würden augenblicklich umfallen, wenn sie sich nicht gegenseitig stützen würden. Selbst die Häuser schienen die Last von Prinz Johns Herrschaft nicht zu ertragen. Über der Tür der Schänke hing an einer rostigen Stange ein Schild, von dem bereits die Farbe abblätterte. In Ansätzen war noch ein aufgemalter Drache zu erkennen, der sich um einen Krug Bier schlängelte. Robin betrat den Schankraum.
Würziger Tabakrauch hing wie Nebelschleier in der Luft und hüllte die Männer ein, die an kleinen runden Tischen saßen, an ihren Pfeifen nuckelten und sich mit Würfelspielen die Zeit vertrieben. Als sich Robin an die Theke lehnte und den Wirt mit einer Handbewegung grüßte, strahlte dieser ihn an. „Oh Robin, das ist schön, dich endlich wiederzusehen. Komm mit.“
Wie eine dicke Ente watschelte der Wirt los und führte Robin zuerst in die kleine Küche und von dort in eine kleine holzbeschlagene Kammer. Der funzelige Schein einer Öllampe fiel auf Fässer und Kisten, die sich bis zur Decke türmten. Hier umarmten die Beiden sich zur Begrüßung und der Wirt konnte seine Freude nicht verbergen. „Ist jetzt schon wieder ganz schön lange her, seitdem du das letzte Mal hier warst.“
„Ja ich weiß, Walther. Und auch diesmal habe ich nur wenig Zeit“, entgegnete Robin und überreichte dem Wirt einen dicken Beutel voller Münzen. „Hier, bitte verteile das wieder an die, die es am dringendsten brauchen.“
„Das werde ich tun. Aber die Zahl derer wird von Tag zu Tag größer. Prinz John beutet die Menschen immer schlimmer aus, sodass hier mittlerweile die meisten Bürger schon rumlaufen wie Bettler“, berichtete Walther. Wütend erzählte der Wirt von den wichtigsten Neuigkeiten und den Zuständen in Nottingham. Von den täglichen Schikanen der Soldaten, denen die Bürger ausgesetzt waren. Von der Armut, die jeden hier auf Schritt und Tritt begleitete. Und von der Verzweiflung der Menschen, die wie ein dauerhafter Schatten über ihnen lag. Robin lauschte den Worten des Wirtes gespannt. Seine Geschichten taten weh. Umso wichtiger war es Robin, sie zu hören. Denn was nützte es, wenn er und seine Männer im Sherwood in Freiheit lebten, wenn die Menschen vor und hinter den Toren von Nottingham litten?