Die Abwärtstreppe rauf - Bel Kaufman - E-Book

Die Abwärtstreppe rauf E-Book

Бел Кауфман

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Beschreibung

Der Roman für alle Lehrerinnen und Lehrer – und für alle, die eine Schule schon mal von innen gesehen haben. Hochmotiviert tritt Sylvia Barrett ihre erste Stelle an der Calvin Coolidge High School an. In einem schwierigen Stadtteil von New York City gelegen, trifft sie auf zerbrochene Fenster, zerkratzte Tafeln, ein verzweifeltes Kollegium und eine sozial benachteiligte Schülerschaft. Die vielen teils völlig absurden schulbürokratischen Regeln, darunter die sachgerechte Nutzung der Auf- und Abwärtstreppen, machen das Unterrichten zu einem Hindernislauf. Die junge Englischlehrerin droht an den täglichen Hindernissen ebenso zu scheitern wie ihre Klasse an der Lektüre von Robert Frost und Shakespeare. Doch sie nimmt die Herausforderung an. Schnell hingekritzelte Zettel, unsinnige Rundschreiben, rasch ausgetauschte Tipps von Lehrerin zu Lehrerin, orthographisch eigenwillige Kummerkastennotizen der Klasse fügen sich zu einer spannenden Handlung. Herzenswarmer Humor, eine feine Ironie, ergreifende Szenen und glaubhafte Schilderungen des Schulalltags machen diesen Roman so zeitlos. Bel Kaufman erzählt von Überforderung und Leidenschaft, von Lehrenden, die ihren Beruf lieben, und von Kindern, die sich nach Anerkennung sehnen.

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Seitenzahl: 349

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Ähnliche


Bel Kaufman

»Die Abwärtstreppe rauf«

Bel Kaufman

DieAbwärtstrepperauf

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Alexandra Berlina

Titel der Originalausgabe:

UP THE DOWN STAIRCASE

© 1964, 1988, 1991, 2012 by Bel Kaufman

Nachwort der Autorin: © by Bel Kaufman

This translation is published by arrangement with

Vintage Anchor Publishing, an imprint of

The Knopf Doubleday Group, a division of

Penguin Random House, LLC

© Frankfurter Verlagsanstalt GmbH,

Frankfurt am Main 2022

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung und Umschlaggestaltung: Laura J Gerlach

Satz: psb, Berlin

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-627-00301-2

eISBN 978-3-627-02310-2

Für Thea und Jonathan

Inhalt

Die Abwärtstreppe rauf

Nachwort der Autorin

Nachwort der Übersetzerin

1. Hey Miss!

Hey Miss!

Wow! Das is ne Lehrerin?

Wer ist die denn?

Ist das 304? Sind Sie Mr Barringer?

Nein. Ich bin Miss Barrett.

Ich hab jetzt den Barringer.

Ich bin aber Miss Barrett.

Du bist die Lehrerin? Bist ja voll jung!

Die ist aber süß! Miss, kann ich in deine Klasse?

Steh bitte nicht in der Tür. Komm herein.

Guten Tag, Miss Barnet.

Miss Barrett. Mein Name steht an der Tafel. Guten Morgen.

Och nee, ne Lady in der Klassenstunde1!

Soll ich ihm eine reinhauen, Miss?

Ist hier die Klassenstunde?

Ja. Setz dich bitte.

Ich bin in der falschen Klasse.

Kriegen wir Sie fürs ganze Schuljahr? Sind Sie ne echte Lehrerin oder Vertretung?

Es sind nicht genug Stühle da!

Setzt euch bitte hin, wo ihr einen Platz findet.

Hey, wo sollen wir denn sitzen?

Ist das 309?

Jemand hat den Flurschein2 geklaut, kann ich einen neuen haben?

Wie heißen Sie?

Mein Name steht an der Tafel.

Ich kann Ihre Schrift nicht lesen.

Ich muss zur Krankenschwester. Ich sterbe!

Glauben Sie ihm nicht, Miss. Er stirbt so was von gar nicht!

Darf ich ins Sekretariat, einen Stift anspitzen?

Lasst die Lehrerin doch in Ruhe, ihr Penner!

Können wir auf der Heizung sitzen? Haben wir letztes Jahr auch so gemacht.

Hi, Miss! Sind Sie die Klassenstunde?

Seid mal still, ihr Schwachköpfe! Die Lehrerin will doch was sagen!

Setzt euch bitte. Ich würde gerne –

Hey, es hat gegongt!

Warum ist Mrs Singer nicht hier? Die war letztes Jahr hier!

Wann können wir nach Hause?

Erster Schultag, und der will schon nach Hause!

Dieser Gong heißt, dass ihr zur Ruhe kommen sollt. Könnt ihr euch bitte –

Kann ich einen Flurschein zum Wasserspender?

Soll ich das für Sie alphabetisch sortieren?

Was ist das für ein Raum hier?

Das hier ist Raum 304. Mein Name steht an der Tafel: Miss Barrett. Ihr habt das ganze Halbjahr bei mir die Klassenstunde, und einige von euch werde ich hoffentlich auch im Englischunterricht sehen. Nun, es heißt ja, dass erste Eindrücke –

Englisch, war ja klar!

Wer braucht schon Englisch?

Kriegt man bei Ihnen viel auf?

Erste Eindrücke, so heißt es, prägen jede Beziehung. Worauf beruhen – ja, bitte? Bist du in dieser Klassenstunde?

Nein. Mr McHabe will Ferone sehen, jetzt sofort.

Wer?

McHabe.

Und wen möchte er sehen?

Joe Ferone.

Ist Joe Ferone hier?

Ferone hier? Voll der Witz!

Der kommt, wenn er Bock hat.

Lass den Fensteröffner3bitte in Ruhe. Nun, wir wissen alle, dass erste Eindrücke – ja?

Ist das die 304?

Ja. Du bist zu spät.

Ich bin nicht spät. Ich bin abwesend.

Abwesend?

Ich war das ganze letzte Halbjahr abwesend.

Oh – gut, setz dich.

Kann nicht. Ich breche ab. Ich brauch von Ihnen die Unterschrift für die Buchrückgabe vom letzten Jahr.

Hast du denn alle Bücher abgegeben?

Ich bin nicht auf der Schwarzen Liste4! Das wäre ein gelber Zettel, und das hier ist ein grüner!

Hey, ist der Flurschein schon zurück?

Hör auf mit dem Schubsen!

Er hat angefangen, Miss!

Beruhigt euch bitte alle. Wir haben leider nicht die Zeit, erste Eindrücke zu diskutieren, wie ich geplant hatte. Ich komme jetzt zum Austeilen –

Hey, die kann austeilen!

Solange sie auch einstecken kann!

– zum Austeilen von Delaney-Karten5. Füllt diese bitte jetzt direkt aus, während ich die Anwesenheit prüfe. Wer keinen Sitzplatz hat, kann sich zum Schreiben hinten an die Wand lehnen. Bitte alles in Druckbuchstaben: Nachname, Vorname, Namen der Eltern, Geburtsdatum, Adresse, mein Name – er steht an der Tafel – und danach auf den Kopf drehen und noch mal das Gleiche. Ich übernehme dann die Sitzordnung in die Delaney-Mappe. Habt ihr Fragen?

Füller oder Bleistift?

Ich habe keinen Füller, geht auch Bleistift? Kann mir wer einen Stift leihen?

Ich habe mein Geburtsdatum vergessen!

Ignorieren Sie ihn einfach. Er ist der Klassenclown.

Druckbuchstaben oder Schreibschrift?

Wann ist Mittagspause?

Ich kann mich nicht auf den Kopf drehen und schreiben, da bin ich nicht gelenkig genug für!

Ich lach mich weg!

Was wollen Sie mit meiner Adresse? Mein Vater kann eh nicht kommen.

Jemand hat mir den Kuli geklaut gehabt!

Ich kann nicht, hab meine Brille verloren.

Hier sollen wir jetzt immer sitzen? Auf der Heizung?

Ich weiß meine Adresse nicht, wir ziehen um.

Wohin?

Weiß nich.

Wo lebst du denn jetzt?

Ich leb nicht irgendwo.

Nirgendwo. Junger Mann, weshalb die Verspätung?

Ich bin gar nicht hier. Ich bin beim Mr Loomis. Mein Onkel ist in dieser Klasse, er hat sein Brötchen vergessen. Hey, Tony – fang!

Wirf bitte nicht mit – ja?

Ist das der Raum von Mrs Singer?

Ja. Nein. Nicht mehr.

Hat hier jemand einen Sneaker vom letzten Jahr gefunden?

Hey Miss, ist Bleistift auch okay?

Sollen wir die jetzt ausfüllen?

Da klebt ein Kaugummi auf meinem Sitz!

Nachname zuerst oder Vorname zuletzt?

Ich brauche sofort einen Flurschein für die Herrentoilette; ich muss ganz dringend! Ich kenne meine Rechte, weil wir haben eine Demokratie!

Weil wir eine Demokratie haben. Was ist denn jetzt los?

Auf meinem Tisch sind überall Glasscherben von dem Fenster da.

Bitte nicht anfassen! Fass das zerbrochene Fenster nicht an. Das sollte dem Hausmeister gemeldet werden. Könnte jemand –

Ich!

Ich! Ich will! Bitte! Der Hausmeister, das ist Mr Grayson, ich weiß, wo er ist, da im Keller!

Gut. Sag ihm bitte, dass es nicht warten kann. Und du bist …?

Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich war im Verspätungsraum.

Wo?

Na, im Verspätungsraum. Wo sie dich nachsitzen lassen, um die Verspätung aufzuholen.

Gut, setz dich. Ich meine – finde bitte einen Stehplatz. Da, an der Wand.

Bei »Eltern«, kann ich meine Tante hinschreiben?

Trag bitte den Namen deiner Mutter ein.

Ich hab keine Mutter.

Dann – ja, schreib, was du kannst. Ja, junge Dame?

Ich komme vom Sekretariat. Sie müssen das vorlesen und unterschreiben.

Ich bitte um eure Aufmerksamkeit. Klasse, bitte! Es gibt eine Änderung im Zeitplan der heutigen Versammlung, bitte hört genau zu:

Bitte vorherige Anweisungen im Rundschreiben 3, Absätze 5 und 6, ignorieren und folgende Anweisungen befolgen:

Heute Vormittag findet eine verlängerte Klassenstunde statt, und zwar bis zum Abschluss der ersten Hälfte der zweiten Schulstunde. Unmittelbar daran anschließend und unverzüglich haben sich alle X2-Schienen6 zur Versammlung zu melden. Die erste Fachstunde beginnt in der vierten Schulstunde, die zweite Stunde beginnt in der fünften Stunde, die dritte Stunde beginnt in der sechsten Stunde, und so weiter. Fachstunden werden auf 23 Minuten reduziert, im Gegensatz zu der nichtdestotrotz wie üblich stattzufindenden Mittagspause.

Ich kann Sie nicht hören! Was haben Sie gesagt?

Die hämmern da draußen!

Schließe bitte das Fenster.

Geht nicht, sonst erstick ich hier!

Das ist jetzt eine lange Klassenstunde?

Den wievielten haben wir heute?

Ist doch September, du Idiot!

Hört bitte zu, ich bin noch nicht fertig:

Da sich das Bereitstellen von adäquaten Sitzmöglichkeiten mit den gegebenen räumlichen Kapazitäten als schwierig erweist, hat die Schülerschaft ohne Sitzplätze bis zum Abschluss des Fahnengrußes und des Singens der Hymne in den Fluren stehend zu verbleiben; im Anschluss daran ist das Stehen in den Fluren untersagt, es sei denn, von der Plattform aus werden gegenteilige Anweisungen erteilt. Es handelt sich dabei um Brandschutzvorschriften. Dr. Clarke wird die neue Schülerschaft herzlich begrüßen und anschließend eine Rede zum Thema »Unser Kulturerbe« halten. Das Verzehren von Speisen sowie jegliche Unterhaltung in der Aula sind verboten und umgehend Mr McHabe zu melden.

Wasser! Ich brauch Wasser! Meine Kehle ist voll ausgetrocknet!

Er findet sich wohl witzig.

Könntet ihr bitte zuhören?

Nö!

Morgen folgen alle Y2-Schienen dem heutigen Programm für X2-Schienen, während alle X2-Schienen dem heutigen Programm für Y2 folgen.

Wo sollen wir hin?

Die wievielte Stunde haben wir?

Ihr zwei Jungs da hinten – hört bitte auf, den Tafelwischer hin- und herzuwerfen. Ich bitte um eure Aufmerksamkeit, das war noch nicht alles.

Ist heute Versammlungstag?

Es sollen die zugewiesenen Plätze eingenommen werden. Tausch wird nicht geduldet.

Entschuldigung, ich komme aus dem Beratungsbüro7. Miss Friedenberg will sofort mit Joe Ferone sprechen.

Er ist nicht da. Sammelt jetzt bitte die Delaney-Karten ein, während ich –

Ich habe noch nicht angefangen! Ich warte noch auf den Stift!

Wie schreibt man Ihren Namen?

Hey, er hat den Tafelwischer aus dem Fenster geschmissen!

Könntet ihr bitte –

Hier ist mein Einlassschein8. Er sagt, ich hab rumgelungert.

Wer?

McHabe.

Mr McHabe.

Mir doch egal.

Hört bitte alle zu! Füllt jetzt eure Karten aus, in der Zwischenzeit gehe ich die Liste durch.

Bin noch nicht fertig!

Hab gar keine Karte gekriegt!

Keine Karte bekommen. Ja?

Mr Manheim von nebenan will Ihren Tafelwischer leihen.

Ich fürchte, unser Tafelwischer ist weg. Nun also –

Krieg ich Extrapunkte, wenn ich die Karten alphabetisch sortiere?

Ist heute Versammlung?

Soll ich für Sie die Post aus Ihrem Briefkasten holen gehen, Miss Barnet?

In Ordnung. Jetzt müssen wir nur –

Ich kann nicht schreiben, hab einen Handkrampf!

Sind Sie die neue Lehrerin?

Seid bitte ruhig, während ich die Klassenliste durchgehe. Korrigiert mich bitte, falls ich einen Namen falsch ausspreche, ich weiß, wie unangenehm das sein kann. Ich hoffe, ich lerne euch alle bald besser kennen. Abrams, Harry?

Hier.

Ruhe bitte, damit ich euch hören kann. Allen, Frank?

Fehlt.

Fehlt?

Is nich da.

Er ist nicht da. Amdur, Janet?

Hier.

Der Hausmeister sagt, es ist keiner da.

Aber dann ist er doch da?

Sagt er aber so. Soll ich ihm was ausrichten?

Nein. Amdur, Janet?

Sie hatten mich schon.

Arbuzzi, Vincent? Ja, was muss ich denn jetzt wieder unterschreiben?

Nix. Ich komm gerade vom Klo.

Kann ich jetzt den Flurschein haben?

Ich, ich bin dran!

Ich hab zuerst gefragt!

Blake, Alice?

Ich bin anwesend, Miss Barrett.

Blanca, Carmelita?

Carole. Ich habe meinen Namen geändert.

Blanca, Carole?

Hier.

Borden – ja?

Miss Finch will, dass Sie das jetzt sofort ausfüllen.

Ich gehe gerade die Anwesenheit durch. Borden –

Sie braucht das sofort.

Entschuldigt mich bitte.

In den Spalten »männlich« und »weiblich«, notieren Sie die Anzahl von Schülern und Schülerinnen in Ihrer Klassenstunde, geboren zwischen –

Bitte nicht mit dem Stuhl kippeln – der Junge in der hinteren Reihe, ja, ich rede mit dir – oh!

Was denn? Bin halt umgekippt, und wenn schon! Lacht nicht, ihr Wichser, sonst gibt’s was auf die Fresse.

Hast du dich verletzt?

Nee, nur den Kopf.

Sie müssen ihn zur Krankenschwester schicken, Miss Barrett, und einen Unfallbericht schreiben, in dreifacher Ausführung.

Pah, die darf ja nicht mal Aspirin rausgeben. Nur Tee.

Tu deine Füße da weg!

Das soll ein Stuhl sein?

Er kann jetzt das ganze Schulministerium verklagen!

Vielleicht solltest du wirklich besser zur Krankenschwester gehen. Und frag sie bitte nach den Formularen für den Unfallbericht. Ja, was kann ich für dich tun?

Miss Friedenberg will die Sozialpunkte9 aller Schüler vom Vorjahr.

Ich war letztes Jahr nicht hier. Und was möchtest du?

Die Miss Finch wartet noch auf die An- und Abwesenheitslisten.

Ich bin gerade – ja?

Das Sekretariat fragt, ob die Fahrkartenbogen fertig sind.

Was für Bogen?

Bus und Subway.

Nein. Ja?

Sie sollen das der Klasse vorlesen. Das kommt von der Bibelthek.

Bibliothek. Klasse, ich bitte um Aufmerksamkeit.

Die Schulbibliothek gehört euch. Die Schülerschaft ist willkommen, sie jederzeit zu nutzen.

Schülerinnen und Schüler auf der Schwarzen Liste der Bibliothek bekommen ihren Ausweis erst zurück, wenn sie für die verlorenen oder beschädigten Bücher gezahlt haben.

Die Schulbibliothek ist für die Schülerschaft bis auf Weiteres geschlossen, damit Lehrende sie als Arbeitsraum zum Ausfüllen der Unterlagensammlungsmappen benutzen können.

Ja, wer hat dich geschickt?

Na Sie doch. Hier ist das Zeug aus Ihrem Briefkasten. Wo soll ich es abladen?

Ist das alles für mich?

Tschuldigung, die Krankenschwester sagt, sie hat gerade keine Unfallberichtzettel, und außerdem fehlen ihr die Zähne.

Was bitte fehlt ihr?

Die Zahnarzt-Zettel.

Aha. Und was willst du?

Das Versammlungsprogramm hat sich wieder geändert. Ihre Klasse soll in andere Reihen, wo früher die X2-Schienen hinsollten.

Aha. Und du?

Mr McHabe fragt: Brauchen Sie Poster für die Klassendeko?

Sag Mr McHabe, ich brauche nichts als – ja?

Das Sekretariat will die Spindnummern der Klasse hier wissen.

Ich habe nicht einmal – ja?

Das hier ist dringend. Sie müssen es lesen und unterschreiben.

An alle Lehrenden: Ein vor der Schule geparkter blauer Pontiac wurde von Schülern umgestürzt. Falls das folgende Kraftfahrzeugkennzeichen –

Sag Mr McHabe, ich habe kein Auto. Nun, Klasse –

Yay, vom Gong gerettet!

Moment mal – der Gong soll erst fünfzehn Minuten später klingeln. Das muss ein Irrtum sein. Wir haben noch so viel zu – bleibt doch bitte –

Es hat geschellt! Sie haben’s doch gehört!

Alle anderen dürfen auch raus!

Aber wir müssen doch zumindest –

Wenn’s schellt, ist es aus!

Wohin jetzt, Aula?

Setzt euch doch bitte wieder hin. Ich möchte nur – wir haben ja nicht einmal – tja. Es scheint, es sind nur noch wir zwei da. Wie heißt du noch mal?

Alice Blake. Ich wollte nur sagen, ich fand den Unterricht sehr schön, Miss Barrett.

Danke, aber das war eigentlich kein – ja bitte, junge Dame?

Ich komm vom Sekretariat. Sie sagt, Sie sollen das sofort der Klasse vorlesen.

Bitte den Gong ignorieren. Die Schülerschaft hat in den Klassenstunden zu verbleiben, bis die Alarmglocke klingelt.

Ich fürchte, sie sind alle weg.

Ich muss jetzt auch gehen, Miss Barrett. Ich wünschte, ich hätte Sie in Englisch, aber in meinem Plan steht Mr Barringer.

Er ist bestimmt ein sehr guter Lehrer, Alice, sicherlich bist du auch in seiner Klasse gut aufgehoben.

Bist du die Barrett?

Was soll das bitte, junger Mann?

Verspätungsschein.

So geht das aber nicht. Mir den Schein so auf den Tisch zu werfen –

Hab schlecht gezielt.

Nicht in diesem Tonfall. Nimm bitte den Zahnstocher aus dem Mund, wenn du mit mir sprichst. Und die Hände aus den Hosentaschen.

Was zuerst?

Wie ist dein Name?

Willst du dich über mich beschweren?

Wie ist dein Name?

Mir null Punkte als Kopfnote verpassen?

Also, das ist jetzt wirklich – Wie ist dein Name?

Joe.

Und der Nachname?

Ferone. Und, was jetzt? Willst du einen Brief an meine Mutti schreiben? Mir den Lolli wegnehmen? Mich übers Knie legen?

Ich wollte doch nur –

Jo. Du wolltest nur.

Ich erlaube nicht, dass jemand so mit mir spricht.

Da hast du ja Glück, dass du Lehrerin bist.

1Klassenstunde (homeroom): Eine tägliche Sitzung, bei der Organisatorisches mitgeteilt und die Anwesenheit überprüft wird. Jedem homeroom sind bestimmte Schüler*innen zugeordnet – was aber nicht immer heißt, dass sie auch gemeinsamen Unterricht haben. (Hier und weiter: Anmerkungen der Übersetzerin)

2Flurschein (hall pass, auch einfach pass): Eine Karte bzw. ein Holz- oder Plastikchip, ohne den niemand die Klasse während des Unterrichts verlassen darf. Es gibt einen bis mehrere solcher Scheine pro Klassenzimmer (hall pass; toilet pass für die Toilette, drinking fountain pass zum Wasserspender); wenn alle in Gebrauch sind, muss man sich gedulden.

3Fensteröffner (window-pole): Hierbei handelt es sich um einen Stock mit Haken, der dazu dient, den oberen Teil hoher Fenster herunterzuschieben.

4Schwarze Liste (Blacklist), hier: Liste der Schüler*innen, die der Bibliothek noch Bücher bzw. Strafgelder schulden.

5Delaney-Karten (Delaney cards): Karteikarten mit den Daten der Schüler*innen, die in die sogenannte Delaney-Mappe gesteckt werden, wobei die Platzierung der Karten dem Sitzplan entspricht.

6Schienen (sections) sind organisatorische Einheiten an US-amerikanischen Schulen. Es gibt keinen Klassenverband und somit auch keinen vorgeschriebenen Stundenplan; man stellt sich einen Stundenplan mit bestimmten Pflichtteilen anhand einer solchen Schiene zusammen.

7Beratungsbüro (Guidance), hier: das Büro der Schulpsychologin.

8Einlassschein (admission slip, kurz admit): parallel zum Flurschein, ohne den man die Klasse nicht verlassen darf, gibt es auch den Einlassschein, ohne den man die Klasse nicht betreten darf, falls man sich verspätet hat.

9Sozialpunkte (Service Credits): Extrapunkte, die Schüler*innen für gemeinnützige Tätigkeiten bekommen können.

2. An dieser Herausforderung werden Sie wachsen

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: Mrs Beatrice Schachter, Raum 508

AN: Miss Sylvia Barrett, Raum 304

Liebe Syl,

willkommen in der Familie! Hoffentlich geht an diesem deinen ersten Tag alles gut. Wenn du Hilfe brauchst, schrei einfach; ich bin im Raum 508.

Wie sieht dein Stundenplan aus? Haben wir irgendwann mal zur gleichen Zeit Mittagspause?

Liebe GrüßeBea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: Miss Sylvia Barrett, Raum 304

AN: Mrs Beatrice Schachter, Raum 508

Liebe Bea –

Hilfe!

Ich bin unter einer Papierlawine begraben, ich verstehe die Landessprache nicht, und was mache ich mit einem Jungen, der mich mit »Hey Miss!« begrüßt?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: Raum 508

AN: Raum 304

Nichts. »Hey Miss!« klingt mir ganz so, als würde er dich mögen. Warum nicht mit »Hey, Mister!« zurückgrüßen?

Der Papierkram gehört dazu, und die Sprache wirst du schon lernen. »In numerischer Reihenfolge zur weiteren Verwendung vorzuhalten« heißt: ab in den Papierkorb. »An dieser Herausforderung werden Sie wachsen«: Da musst du jetzt durch. »Zwischenmenschliche Beziehungen«: Die Schüler haben Zoff; »außerschulische Behörde für unterstützende Disziplinarmaßnahmen heranziehen«: Die Polizei rufen; »Sprachabteilung«: Englisch; »auf dem Lese- und Erfahrungshintergrund der Schülerschaft basierende Literaturauswahl«: Im Bücherraum gab’s gerade nichts anderes; »nicht akademisch veranlagt«: junger Teilzeitkrimineller. Oh, und »Es ist mir zugetragen worden« heißt: Es gibt Ärger.

Und, heute in der Klassenstunde etwas geschafft?

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Liebe Bea,

auf meiner To-do-Liste waren um die 20 Punkte;

geschafft habe ich 2 ½.

Ein Junge ist vom Stuhl gefallen.

Irgendwie hatte mich nichts in meinen Seminaren über angelsächsische Literatur oder auch Pädagogik darauf vorbereitet. Nicht mal meine Masterarbeit über Chaucer kann mich retten. Ich wollte eine warme, respektvolle Atmosphäre schaffen. Ich hatte einen Plan: das Thema »erste Eindrücke« diskutieren, die Bedeutung von Äußerlichkeiten, Höflichkeit, Sprechweise; daraufhin eloquent für klare Diktion, korrekten Sprachgebrauch und überzeugende Wortwahl plädieren – und dann eine elegante Überleitung zum Thema Kreativität.

Soweit der Plan.

Die Realität: Ich habe die Anwesenheitsliste gerade mal bis zum B geschafft. Und ich habe vergessen, sie die Fahne grüßen zu lassen … Ist das ein schlimmes Delikt?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Nein, Glück gehabt: An Versammlungstagen wird die Fahne in der Aula gegrüßt. Ein Delikt wäre zum Beispiel, in der Klassenstunde aus der Bibel vorzulesen, ist jetzt nämlich illegal.

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Hallo Bea,

was heißt denn »BB« in »Eng. BB«? Brigitte Bardot? Bed and Breakfast? Baby Boom? Besonders blöd?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Nah dran! »Besondere Bedürfnisse«, also die Langsamsten. Als neue Lehrerin kriegst du eben die Sorgenkinder. Aber bleib guten Mutes – bist du erst mal in meinem Alter, gehören dir die auserlesensten Oberklassen.

Ich habe deinen Stundenplan gesehen: Du bist ein Springer, wie es aussieht, unterrichtest also in verschiedenen Klassenräumen. Da musst du zumindest auf einer Schublade in jedem Raum bestehen! Wenn das nicht klappt, lass deine Sachen von einem kräftigen Jungen schleppen.

Du hast Flurpatrouille – seit es Hilfskräfte gibt, ist das ein Kinderspiel. Du musst nur daherschreiten und nach Flurscheinen fragen. Das hat mehr Prestige als Kantinenwache, wenn auch nicht so viel wie die Bücherei- und die Treppenaufsicht. Wir haben alle so einen Gebäudedienst pro Tag, dazu fünf Fachstunden, eine Klassenstunde und eine »Bereitschaftsstunde«. (Wage ja nicht, sie »frei« zu nennen!) Wenn man sich geschickt anstellt, kann man die Klassenstunde oder sogar eine Fachstunde loswerden, indem man »Verspätungskoordinatorin« wird oder »Programmintegrationsbeauftragte« oder »Psychologische Beraterin« oder sonst was. Ach ja, die Mittagspause gibt’s auch noch. Deine ist immer nach der dritten Stunde, sehe ich gerade – das heißt, wir können mittwochs zusammen essen! Du musst nur irgendwie um 10:17 den Appetit dafür aufbringen. Das ist doch mal eine Herausforderung.

Bea

3. Aus Miss Barretts Briefkasten

AUFGABEN FÜR DIE HEUTIGE KLASSENSTUNDE

(Jeder Punkt ist heute vor dem Verlassen des Schulgebäudes zu erfüllen und entsprechend zu markieren.)

–Sitzplatzkarten ausfüllen und in die Delaney-Sitzordnungsmappe einsetzen ½

–Anwesenheit prüfen

–Anwesenheitsliste ausfüllen

–Abwesenheitsliste abgeben

–Transkripte für Bussing-Schüler10 ausfüllen

–Drei Exemplare des Schüler-Stundenplans (gelb) pro Schüler anhand des Master-Stundenplans (blau) ausfüllen, alphabetisieren und in 201 einreichen

–Fünf Exemplare des Lehrer-Stundenplans (weiß) ausfüllen und in 211 einreichen

–Fahrkartenbogen unterschreiben

–Bürobedarf beantragen

–Spinde verteilen, Spindnummern und Namen in 201 einreichen

–Altersangepasste Leistungsbogen ausfüllen

–Versammlungsplan aushängen und erklären, Sitzreihen in der Aula zuweisen

–Regeln für Brandschutz-, Bombenangriff- und Naturkatastrophenübungen aushängen und erklären

–Schwarze Listen vom Vorjahr (Zahnarzt; Bücherraum11; Bibliothek) überprüfen

–Formular zum Raumzustand ausfüllen

–Klassensprecher und andere Schülervertreter wählen lassen

–Zu Mitgliedschaft in der Schülervertretung anhalten, Beiträge einsammeln

–Beauftragte für dekorative Raumausstattung wählen, Ausstattung beginnen

–Fahne grüßen (außer an Versammlungstagen oder in Y2-Gruppen)

–Ansprache zu Sinn und Funktion der Klassenstunde: Eine freundliche Versammlung, die dazu dienen soll, sich geistig zu sammeln und für den Schultag Kraft zu tanken

–Nicht voll ausgelastete Lehrkräfte haben sich unverzüglich im Sekretariat für zusätzliche Arbeitsaufgaben zu melden

CALVIN COOLIDGE HIGH SCHOOL

Maxwell E. Clarke, Schulleiter

James J. McHabe, Administrationsassistent12

Rundschreiben Nr. 1a

BETREFF: Organisation

Alle Rundschreiben sind in numerischer Reihenfolge zur weiteren Verwendung vorzuhalten.

Sorgfalt, Pünktlichkeit und Präzision sind bei der Ausführung jeglicher Verfahrensanweisungen unerlässlich.

TAGESABLAUF MONTAG, 7. SEPTEMBER

Verlängerte Klassenstunde (s. Rundschreiben Nr. H16), verkürzter Fachunterricht (s. Rundschreiben Nr. 7C, Abschnitt 4), Versammlungszeit entsprechend Schulgongplan (s. Rundschreiben Nr. 3D, Absatz 5 u. 6). Die Schülerschaft soll sich um 14:56 in ihrem Klassenraum zur Abmeldung einfinden. Schulschluss um Punkt 15:05. Letzteres jedoch unter Vorbehalt.

AN: alle Englischlehrenden

Bitte komplette Liste der Fachunterrichtsstunden heute bis 15:00 im Fachsekretariat Englisch abgeben, um die Lehrkraftbelastung auszugleichen und die Zielbelastung von 33 Schülern pro Klasse zu erreichen.

Samuel BesterLeiter der Sprachabteilung

VON: James J. McHabe, Adm. Ass.

AN: den gesamten Lehrkörper

BETREFF: Materialanforderung

Bitte antizipieren Sie ihren Materialbedarf und reichen Sie Materialanforderungsanträge im genügenden Voraus ein. Bitte mäßigen Sie sich in Ihren Forderungen.

Zur Verhinderung unauthentischer Unterschriften unterzeichnen Sie die Anträge bitte mit Ihrem vollen Namen in Tinte.

Falls Sie Ihren Klassenraum mit Plakaten zu dekorieren wünschen, stehen noch Folgende zur Verfügung:

Druckschrift, Blau auf Weiß:

»WISSEN IST MACHT.«

Kursiv, Gelb auf Grün:

»WAHRHEIT IST SCHÖNHEIT.«

Zudem einige Ansichten der Schweizer Alpen in Beige und Braun, etwas angerissen, aber brauchbar.

JJ McH

AN: alle Lehrenden

Latente Fehlanpassungen können sich in sozial inakzeptablem Verhalten im Klassenzimmer manifestieren. Die Pubertät ist eine entscheidende Phase der Persönlichkeitsentwicklung, die auch in der Schule stattfindet und viel Zeit und Kraft erfordert. Um eine angemessene Orientierung bezüglich künftiger Verantwortlichkeiten und Bürgerpflichten in einer Demokratie zu gewährleisten, schicken Sie bitte alle neuen Schülerinnen und Schüler jeden zweiten Dienstag zu mir für vertiefte Analyse mithilfe personalisierter Interviewbogen. Sie sind an diesen Tagen vom Unterricht befreit. In der Zwischenzeit sollen sich die Lehrenden bitte mit den PPPs aller Heranwachsenden vertraut machen; Problemfälle sind Mr McHabe zu melden.

Ella FriedenbergPsychologische Beraterin

AN: den gesamten Lehrkörper

Entwendungen von Gegenständen aus Spinden und Garderoben nehmen epidemische Ausmaße an. Es ist der Schülerschaft nahezulegen, diese mit Ausnahme der unmittelbaren Nutzzeiten stets verschlossen zu halten.

J. J. McHabeAdm. Ass.

VON: James J. McHabe, Adm. Ass.

AN: den gesamten Lehrkörper

Die erste Lehrerkonferenz des Halbjahrs findet Montag, den 28. September, in der Schulbibliothek statt. Beginn ist pünktlich um 15:05.

Die Teilnahme ist obligatorisch. Fehlen wird nicht geduldet. Ausnahmen sind auf Grundlage eines schriftlichen Antrags möglich, von jeweiligen Fachvorsitzenden unterzeichnet und mindestens zwei Tage vor dem geplanten Termin von dem Schulleiter oder dem Administrationsassistenten gegengezeichnet.

Das Thema der Konferenz lautet: »Bildung als Demokratiegrundlage«. Bitte um inhaltliche Vorbereitung der Frage: Sind Zensuren rechts oder links von der blauen Linie in die USM einzutragen?

JJ McH

AN: alle Lehrenden

Schüler, die bei der Beschaffung von Sportbekleidung säumig waren, sollen sich in alphabetischer Ordnung bei mir melden.

Schülerinnen, die an gewissen Tagen vom Sportunterricht entschuldigt werden möchten, sollen sich ebenfalls mit allen relevanten Informationen bei mir melden.

Bitte weisen Sie in der Klassenstunde auf die Schädlichkeit allzu strikter Diäten hin.

Frances EganSchulkrankenschwester

Rundschreiben Nr. 5b

BETREFF: Lehrendenfürsorge

Alle Rundschreiben sind in numerischer Reihenfolge zur weiteren Verwendung vorzuhalten.

Alle Fälle von Übergriffen, die Lehrende in beruflichem Zusammenhang erleiden, sind unverzüglich der Schulleitung zu melden, die ihrerseits an die stellvertretende Personalleitung und den Deliktbeauftragten Bericht zu erstatten hat.

AN: den gesamten Lehrkörper

Wir an der Calvin Coolidge High School führen eine unnachgiebige Kampagne gegen Verspätungen und das Rauchen auf Toiletten. Schicken Sie berechtigt Verspätete an die Verspätungskoordination, Raum 201. Im Falle ungültiger oder verdächtiger Entschuldigungsschreiben sind die Betreffenden zu mir in Raum 211 zu schicken. Bitte lesen Sie Ihren Schülern die beigefügte Liste der Verstöße und Strafen vor, um ihnen bürgerliche Verantwortung sowie Pünktlichkeit zu vermitteln.

Anlage, im Klassenzimmer prominent aufzuhängen:

MORGENSTUND

HAT ORDNUNGSGEMÄSSE VERSETZUNG IM MUND

James J. McHabeAdm. Ass.

AN: alle Lehrenden

Die Schülerschaft darf zu keinerlei Zwecken in die Schulbibliothek geschickt werden, solange die Lehrenden diese für Ihre Arbeit nutzen.

Vor der Aktualisierung des Bibliothekkatalogs sind keine Bücher von der Schüler- oder Lehrerschaft aus den Regalen zu entfernen.

Charlotte WolfBibliothekarin

AN: alle Englischlehrenden

Die folgende Lektüre wurde von dem Ausschuss für Lehrplanintegration für Ihren Unterricht ausgewählt und ist im Bücherraum abzuholen:

Englisch 3 – Essays: Alt und Neu

oder

Mythen und ihre Mysterien

Englisch 5 – Die Mühle am Floss

oder

Eine Geschichte aus zwei Städten

Erlauben Sie der Schülerschaft nicht, Taschenbuchausgaben von Shakespeare und anderen Autoren zu erwerben: Bildungspolitisch wird Wert darauf gelegt, Heranwachsende nicht unredigierten und unbereinigten Texten auszusetzen.

Samuel BesterLeiter der Sprachabteilung

VON: James J. McHabe, Adm. Ass.

AN: den gesamten Lehrkörper

BETREFF: Bücherverteilung

Bücher sind magische Türen zu Wissen und Abenteuer und als solche entsprechend zu behandeln. Für jedes ausgeteilte Buch ist ein Beleg aufzubewahren. Alle Bücher sollten mit Schutzumschlägen versehen und keinesfalls durch die Schülerschaft verunstaltet oder entstellt werden. Indem Sie das Buchetikett unterzeichnen, bestätigen Sie, dass dieses ordnungsgemäß ausgefüllt wurde. Vergewissern sie sich, dass jedes Buch eine Nummer besitzt, die auf der Innenseite des Vorderumschlags sowie nochmals auf Seite 43 erscheint, vorausgesetzt, das Buch verfügt über eine entsprechende Anzahl von Seiten.

Die Nummer auf dem Vorsatzblatt ist nicht zu beachten.

Die Liebe zum Lesen währt ein Leben lang.

JJ McH

Liebe Lehrerinnen und Lehrer,

freuen Sie sich schon auf das neue Schuljahr? Die vertrauliche Darlehensgesellschaft Easymoney, die ich vertrete, kann Ihre finanziellen Probleme lösen! Broschüre liegt bei.

Sehr geehrter Miss Barette,

ich brauche einen Abbrecherzettel damit ich arbeiten gehen kann, weil ich bin jetzt erwachsen und meine Familie brauch das Geld. Schule ist meistens eh Zeitverschwendung, jede Stunde ein anderes Fach Algebra Französisch Bio Englisch und so weiter und sofort, was bringt das schon, alles durcheinander, und in jeder Klasse erzählt einem der Lehrer was anderes bis man nicht weiss wem man glauben soll.

Da bin ich draussen besser dran.

Ihr Schüler

Vince Arbuzzi

(Ich war heute nicht bei der Klassenstunde dabei, weil das Säkretariat konnte meine Unterlagen nicht finden)

VON: James J. McHabe, Adm. Ass.

AN: den gesamten Lehrkörper

Aus Anlass des gegenwärtig erhöhten Anteils von Schulabbrechern werden Sie angehalten, Ihre Schülerschaft durch das Aufzeigen der Werte der Bildung zum Verbleib an der Schule zu ermutigen.

JJ McH

Rundschreiben Nr. 4

BETREFF: Ethische Normen

Alle Rundschreiben sind in numerischer Reihenfolge zur weiteren Verwendung vorzuhalten.

Um unsere Schülerschaft vor der Versuchung betrügerischer Praktiken zu schützen und den Lehrkräften die Echtheit aller Informationen zu garantieren, sind folgende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen:

1. Lehrende sollen zwecks Nachweis, dass der jeweilige Schüler im Unterricht erschienen ist, jede Anwesenheitskarte in Tinte mit ihrem vollen Namen unterschreiben. Es dürfen keine Initialen, keine Bleistifte und keine Namensstempel verwendet werden.

2. Das Obengenannte gilt auch für alle von Lehrenden unterzeichnete Flur- und Toilettenscheine, Entschuldigungsschreiben u. Ä.

3. Zur Unterstützung der Arbeit der Abwesenheitsbeauftragten ist jedes Klassenbuch auf nichtexistierende Adressen und nichtauthentische Eltern oder Erziehungsberechtigte zu überprüfen.

4. In allen Eintragungen ist das Radieren, Auskratzen sowie die Benutzung von Tintenlöschmitteln zu vermeiden. Korrekturen sind nur mit der Genehmigung und entsprechender Unterschrift des Schulleiters oder Administrationsassistenten vorzunehmen.

5. Bei Brand-, Bomben- und anderen Notfallschutzübungen ist die Schülerschaft anzuweisen, besonders auf Wertsachen zu achten. Bücher und Hefte sind zurückzulassen, Portemonnaies und Handtaschen jedoch stets mitzunehmen. Wir haben bereits unangenehme Zwischenfälle in epidemischen Ausmaßen erlebt.

Mit diesen Vorsichtsmaßnahmen können wir unserer Schülerschaft helfen, die von uns gesetzten hohen ethischen Normen zu erfüllen.

James J. McHabeAdm. Ass.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, alle Lehrenden und Mitarbeiter herzlich willkommen zu heißen und hoffe aufrichtig, dass Sie mit neuem Schwung und Elan aus einem gesunden und fruchtbaren Sommerurlaub zurückgekehrt sind, bereit, die Ärmel hochzukrempeln und die vielen wichtigen und essenziellen Aufgaben, die vor Ihnen liegen, unerschrocken in Angriff zu nehmen. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Zusammenarbeit in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Maxwell E. ClarkeSchulleiter

10Bussing steht in den Vereinigten Staaten für die Beförderung (per Bus) von Schulkindern aus einem Stadtviertel in ein anderes – de facto meist von Schwarzen Schüler*innen aus ärmeren Bezirken zu »weißen« Schulen. Das Ziel ist, die Trennung »ethnischer Gruppen« im Schulbetrieb zu reduzieren; die Maßnahme wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

11Der Bücherraum – ein Vorratsraum für Bücher, die im Unterricht verwendet werden – ist nicht gleichbedeutend mit der Bibliothek.

12Administrationsassistent (administrative assistant): Verwaltungskraft an einer US-amerikanischen Schule, die direkt der Schulleitung untersteht.

4. Schulinterne Korrespondenz

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Liebe 304,

dein letzter SOS-Ruf ist gerade angekommen. Lass dich nicht an der Nase herumführen! Sie testen dich. Gerade am Anfang musst du zeigen, wer der Boss ist, später können sie dann herausfinden, wie nett du wirklich bist. »Frühschlussbeauftragter« und »permanenter Wasserspenderschein«? Gibt’s beides nicht.

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Liebe Syl,

also, da bist du wirklich selbst schuld. Kehre der Klasse nie den Rücken zu, wenn du an die Tafel schreibst – da musst du schon die Über-Kopf-Rückhand üben. Das Verb »besorgen« solltest du tunlichst vermeiden: Da bleiben die Sex-Witze nun mal nicht aus. Erhebe nie die Stimme, wenn sie laut sind; sie sollen aufhören zu reden. Gib niemals auf. Dies über alles: Sei dir selber treu!

(Grüße von Polonius.)

Eine »Kontaktpflegestunde« gibt es auch nicht!

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Hallo Bea,

was soll denn eine USM sein?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Liebe Syl,

tut mir leid, dass ich erst jetzt antworte, ich musste einen Jungen aus dem falschen Kursprogramm befreien.

Also: Die USM ist die Unterlagensammlungsmappe.

Es gibt eine für jedes Kind an der Schule. Darin finden sich die KPs – Kurzprofile, also prägnante Charakteristika, die jede Klassenstundenaufsicht am Ende des Halbjahres erstellen muss. Und dann gibt’s noch die PPPs (rollt einem richtig von der Zunge, nicht?), das sind die »Psychologischen Persönlichkeitsprofile«, erfunden von Ella Friedenberg, der Schülerberaterin.

Sie hält sich für Freud höchstpersönlich, aber in Wirklichkeit ist sie einfach voyeuristisch veranlagt. Die PPPs erstellt sie anhand von Einzelgesprächen: »Warum hasst du deine Eltern?«, »Was ist dein sexuelles Problem?« Geh ihr lieber aus dem Weg. Und McHabe auch. Er ist für Disziplin und den Schulbedarf verantwortlich.

Kann es nicht ertragen, sich von einer Büroklammer zu trennen; bitte ihn um einen Rotstift, und er wird bleich. Was Dr. Clarke angeht – er wird dir selbst aus dem Weg gehen. Er hat auch gar keinen Doktortitel, zieht es aber aus Prestigegründen vor, dass man ihn Dr. nennt. Spiel einfach mit. Er existiert vor allem als Unterschrift auf Rundschreiben; manchmal materialisiert er sich bei einer Versammlung und hält eine Rede über »Bildung fürs Leben« und gelegentlich führt er wichtige Besucher durch die Schule. Die meisten Kids meinen, Grayson sei der Schulleiter, der vornehme Herr mit weißer Mähne alias »die Hausverwaltung«. Falls bei dir mal die Decke einstürzt, schick eine Nachricht in den Keller. Er wird wahrscheinlich behaupten, er sei nicht da, aber wenigstens hast du’s dann versucht.

Diesen Zettel sofort zerknüllen und herunterschlucken!

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Liebe Bea,

zerknüllt und heruntergeschluckt! Sag mal, wer ist eigentlich Paul Barringer?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Der Beau der Englischabteilung. Mr Unveröffentlichter Schriftsteller. Trinkt zu viel. Solche Jungs sind gefährlich. Wird versuchen, dich mit Versen zu verführen. Da bist du auf dich allein gestellt.

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Hallo Bea,

könnten wir uns in der Pause in der Lehrer-Lounge zum Rauchen treffen? Ich muss endlich mit einem Erwachsen reden!

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Du Unschuldslamm!

Die sogenannte Lehrer-Lounge ist der Vorratsraum im Keller. Zugegeben, altes Sofa vorhanden, hat jemand mal gespendet; auch Spüle und Stuhl. Trotzdem unverwendbar: Dampfrohre in der Decke. Außerdem darf man dort wegen Brandschutz nicht rauchen. Das geht nur auf der Frauentoilette im zweiten Stock. Wollen wir uns dort nach der 6. Stunde treffen? Hol dir den Toilettenschlüssel von Sadie Finch. Wir haben dann ganze vier Minuten – wenn das Glück uns hold ist und es nicht zu viel Verkehr auf dem Flur gibt. Jetzt kann ich leider nicht runterkommen: Versuche gerade, einen verwertbaren Teenager zu überreden, an der Schule zu bleiben.

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Liebe Bea,

was sage ich denn zu der Anzahl der von mir benötigten Basketbälle?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Gar nichts. Der Zettel hat sich nur in deinen Kasten verirrt: Die Lehrerin für Sport und Gesundheit ist genau unter dir.

Bea

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 304

AN: 508

Liebe Bea,

ich stelle gerade meine Klassenlisten für Bester zusammen. Ich habe unentschuldigte Schüler, nicht zugelassene Schüler, nicht autorisierte Schüler, nicht authentifizierte Schüler, nicht erschienene Schüler und abwesende Schüler – und trotzdem komme ich auf 223 in den Fachstunden und 46 in meiner Klassenstunde. Ob jemand morgen die Schule schmeißt? Ich vielleicht?

Syl

SCHULINTERNE KORRESPONDENZ

VON: 508

AN: 304

Wage es ja nicht! Wir brauchen dich! Es ist nur dein erster Tag, du gewöhnst dich noch dran. Die Freuden kommen später, dafür werden die Kinder schon sorgen – und zwar die, von denen du es am wenigsten erwartest.

Bea

5. Und freudig lehret 1

7. September

Liebe Ellen,

tja, von unserem Uni-Wohnheim in Lyons Hall bin ich hier himmelweit entfernt. (Ist es wirklich nur vier Jahre her?) Himmelweit entfernt von den geweihten Bibliotheksfluren und von Chaucer, himmelweit und noch viel weiter von der Pädagogik-Einführung und Prof. Winters’ Vorlesungen zur Psychologie der Heranwachsenden. Ich habe den Heranwachsenden nun von Angesicht zu Angesicht gesehen. Prof. Winters ist dies offenbar erspart geblieben.

Du machst von der Bildung wohl besseren Gebrauch als ich: Da schiebst du in deinem gemütlichen Vorort das Baby im Buggy durch den Supermarkt oder gönnst dir eine lange Dusche mitten in der 3. Stunde. Ich wische unterdessen ganz automatisch »lehrer fickt euch« von der Tafel.

Ich wollte doch nur ein bisschen lehren. Wie Chaucers Gelehrter aus Oxenford, weißt du noch, »so lernt er mit Genuss und freudig lehret«? Ich wollte teilen, was ich weiß und fühle, wollte junge Menschen mit Liebe für Sprache und Literatur anstecken, wollte erklären und begeistern … Im echten Leben (ich habe gefragt, warum sie im Fach Englisch sitzen, und ein Junge sagte: »Es hilft im echten Leben«) – ja, im echten Leben geht’s ganz anders zu, und selbst wenn ich alles hier beschreiben könnte, würdest du denken, dass ich übertreibe.

Ich übertreibe nicht.

In der Klassenstunde (wo sich alle zur Anwesenheitskontrolle und für wichtige Mitteilungen einfinden sollen, morgens und dann noch einmal nachmittags) zogen sie alle Register: Sie pfiffen, schrien, trommelten auf die Tische, klapperten mit den Tintenfassdeckeln, warfen den Tafelwischer hin und her, machten sich auf ihren Stühlen breit, um anderen ein Bein zu stellen – und all das mit unschuldigen, abwesenden Augen. Da stand ich, angespannt wie eine Löwenbändigerin vor 46 Löwen, und haschte nach ihrer Aufmerksamkeit.

Der Fachunterricht hatte noch gar nicht angefangen, und ich taumelte schon unter der Lawine von Papieren – Flyer, Direktiven, Rundschreiben, Briefe, Mitteilungen, Formulare, Vordrucke, Formblätter … Taumelnd schleppte ich all das durch die Schule, weil ich ein »Springer« bin – heißt, ich springe von Klasse zu Klasse.

Ich habe hier ein ganz neues Vokabular zu lernen. Meine zehnte Klasse hat »besondere Bedürfnisse«, meine beiden Elften sind »im unteren Normalbereich« bzw. »im normalen Normalbereich«. Bis jetzt will sich mir nicht erschließen, welche davon welche ist, oder auch in welchen Bereich ich da wohl falle.

Ich habe hier inzwischen eine Freundin – Bea Schachter – und einen Feind, der mit »Adm. Ass.« unterzeichnet (offenbar kurz für »Administrationsassistent«). Ich habe Hass und Verachtung im Gesicht eines Jungen gesehen – weil ich Lehrerin bin.

Das Gebäude selbst ist feindselig: rissiger Putz, zerbrochene Fenster, zersplitterte Türen, zerkratzte Tische, düstere Korridore, metallische Treppen, eine schmuddelige Cafeteria (wer im Sitzen essen will, hat zwanzig Minuten, bevor die nächste Schicht kommt) und eine Aula ohne Fenster. Dafür mit Wandgemälden – unter einer senffarbenen Sonne bringen muskulöse Bauern verblichen und reglos die Ernte ein …

Da hatten wir heute früh eine Versammlung.

Stell dir vor: Die Luft schwer mit dem Geruch von hunderten Körpern, das verschwommene Gesicht des Schulleiters hängt wie ein blasser Luftballon über dem Rednerpult, Statikrauschen legt sich immer wieder über seine Stimme im Mikro: »… ein neues Blatt, denn hier an der Calvin Coolidge High School sind wir alle frei und gleich und haben die gleichen unbegrenzten Möglichkeiten …«

Alles ist still. Diese Stille hat nichts mit Aufmerksamkeit zu tun. Es ist eine glasige Stille, die jeden Moment zerschellen kann. Das Mädchen neben mir untersucht im Handspiegel ihre Zähne. Ich kerzengerade auf meinem Holzsitz, glatt von den umherrutschenden Hintern so vieler Kinder, die jetzt erwachsen sind, oder vielleicht tot … Auf der Rückenlehne vor meiner Nase prangt, sorgfältig mit etwas Scharfem geschnitzt, die Aufschrift Arsch.

»… nicht entgehen zu lassen, und eure Attitüde …« – -tüde donnert auf einmal durch den Raum, vom launischen Mikro verstärkt – »gegenüber eurer Arbeit und euren Lehrern, die so selbstlos …«

Ich sehe sie hier und da in der Aula: eine kleine Frau mit dem Profil einer besorgten Henne; einen hochgewachsenen jungen Mann, der gelegentlich amüsiert die Augenbrauen hochzieht; eine rundliche Dame mit graumelierter Pompadour-Frisur – meine Kolleginnen und Kollegen, noch unbekannt.

»… kostbarer als Diamanten. Bildung bedeutet …« – er steuert offensichtlich auf das Finale zu – »nicht nur eine solide akademische Grundlage, sondern auch Vorbereitung auf das Leben und die Bürgerpflichten. Vergesst nicht, eure Anwesenheitskarten unterzeichnen zu lassen, und wenn ihr irgendwelche Probleme habt, denkt daran: Meine Tür steht euch immer offen.« Kunstvolle Pause. »Und nun möchte ich mit diesem Gedanken an den wahren Geist der Schule zum Ende meiner Rede kommen.«

Endlich befreit springen sie auf, die Klappsitze fliegen klackernd zu, sie strömen auf der regelwidrigen Welle ihrer eigenen Stimmen hinaus, und ich mit ihnen.

»Wo is’n dein Schein?«, brummt der Mann am Aufzug.

»Haste einen Liftschein?«

»Ich bin Lehrerin«, sage ich kleinlaut, als hätte er mich beim Schwindeln ertappt.

Denn nur Lehrer und schwer behinderte Kinder genießen das Privileg, den Aufzug zu nehmen. Jung auszusehen hat hier seine Nachteile. Wäre ich ein Mann, würde ich mir einen Schnurrbart wachsen lassen.

Heute Morgen trennte sich ein Menschenmeer vor mir, als ich auf den Schuleingang zukam – Mädchen, dick geschminkt oder blass, Jungs, die mir mit übertriebenem Eifer ihre unverschämte Bewunderung hinterherriefen: »Heeey, dasismaleine! Voll geil, was?« Und dann dieses Pfeifen, das mir bis ins Gebäude hinterherhallte …

(Oder gleich einen Vollbart.)

Ich glaube, die jungen Menschen waren anders, als ich zur High School ging. Aber es roch genauso in der Eingangshalle. Dieser unverwechselbare Schulgeruch – Kreidestaub? Papierfetzen? Rostiges Metall? Verrottendes Holz?

Ich stellte mich in die Schlange zur Stechuhr und fand an deren Ende dankbar meine Karte. Ich wurde erwartet, jemand hatte meine Nummer aufgeschrieben – 91. Ich stanzte die Uhrzeit auf die Karte und steckte sie in den Kasten mit der Aufschrift »angekommen«. Ich war angekommen.

Aber als ich meinen Namen an die Tafel schrieb, hatte ich für einen Augenblick das komische Gefühl, mir wären die Buchstaben durcheinandergeraten. Er sah unbekannt aus, mein Name – weiß und verloren in diesem schwarzen schiefernen Meer …

Ich schreibe diesen Brief in der Mittagspause, weil ich mich irgendwie an die normale Welt da draußen klammern muss, weil ich von der schieren Last der Bürokratie überwältigt bin – und dies zu dieser Stunde, zu der eine Dame noch schlafen sollte.

An der Stechuhr müssen wir –

6. Hier unten keiner da

VON: James J. McHabe, Adm. Ass.

AN: Miss Barrett, 304

Weshalb benötigen Sie so viele Büroklammern? Der Schulbedarfsvorrat ist beinahe erschöpft. Löschpapier: nicht vorrätig. Gummibänder: nicht vorrätig. Tafelwischer: auch nicht vorrätig. Und keine Rotstifte, nur blaue. Kann einen halben Umschlag Kreide anbieten (Schachteln nicht vorrätig). Verschwendung von Kreide unbedingt zu vermeiden. Keine unbefugte Nutzung durch die Schülerschaft.

JJ McH

AN: alle Lehrenden

Bitte den Gong ignorieren.

Sadie FinchLeitende Sekretärin

VON: Sylvia Barrett

AN: Dr. Samuel Bester

Anbei sind meine Klassenlisten für die fünf Englischklassen. Nach meiner Berechnung habe ich 223 Schülerinnen und Schüler pro Tag, der Klassendurchschnitt ist nicht 33, sondern 44⅗.

39

46

46

51

41       

223 / 5

443⅗

S. Barrett

P.S. Die Mühle am Floss ist im Bücherraum nicht zu finden. Es gibt nur Julius Cäsar, und auch da reichen die Bücher nur für drei Viertel der Klasse.

VON: Dr. Samuel Bester, Leiter der Sprachabteilung

AN: Miss Barrett

Liebe Miss Barrett,

an dieser Herausforderung werden Sie wachsen.

S. Bester

ETHISCHE NORMEN, ADDENDUM

Fahrkartenbogen sind nur zu unterschreiben, falls entsprechende Schüler tatsächlich zur Kostenerstattung bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs berechtigt sind. Die Nutzung von Fahrkartenbogen durch Unbefugte nimmt epidemische Ausmaße an.