Die Akte Mata Hari - Antje Windgassen - E-Book

Die Akte Mata Hari E-Book

Antje Windgassen

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Beschreibung

Henri Tailleur steht vor dem größten Fall seiner Karriere. Zusammen mit dem Staranwalt Eduart Clunet verteidigt er die berühmte Spionin Mata Hari. Für die Franzosen steht die Schuld der Femme fatale bereits fest. Um das Unmögliche möglich zu machen und seine Mandantin zu entlasten, beschließt Tailleur, nach Deutschland zu reisen. Er hofft, in Berlin Beweise für ihre Unschuld zu finden. Es ist ein riskantes Unterfangen, denn beide Nationen stehen sich im Ersten Weltkrieg erbittert gegenüber. Und ihm bleibt nicht viel Zeit, bis der Prozess beginnt.

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Antje Windgassen

Die Akte Mata Hari

Kriminalroman

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Die Zeppelin-Verschwörung (2017), Die Hexe von Hamburg (2015)

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild –

Heritage Images / Fine Art Images

ISBN 978-3-8392-5424-0

Widmung

Für Aqui, Be, Kaychen, Manu, Mafia, Morga, Niki, Norri und die gesamte BBO-Mannschaft – euch allen immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel.

1. Kapitel – Der Anfang vom Ende

Paris, 12. Februar 1917.

Das prachtvolle Stadtpalais der US-amerikanischen Millionenerbin Natalie Clifford Barney, in der Rue Jacob 20, war am Abend dieses Tages hell erleuchtet.

Die Amerikanerin hatte zu einer Soirée geladen. Und da ihre allmonatlich stattfindenden Festlichkeiten als besonderes gesellschaftliches Ereignis angesehen wurden, drängten sich auch heute zahlreiche Gäste in ihrem Ballsaal. Es war alles vertreten, was in Paris Rang und Namen hatte – eine bunte Gesellschaft aus der Welt des Adels, des Militärs, der Politik, der Kunst und der Demimonde. Man amüsierte sich prächtig, der Champagner floss in Strömen und das Büfett – obwohl man sich im dritten Kriegsjahr befand und Lebensmittel rationiert waren – bestand aus den erlesensten Speisen.

»Eine unvergessliche Begegnung mit dem geheimnisvollen Indien«, hatte Natalie ihren Gästen diesmal versprochen. Und was eine Clifford Barney versprach, hielt sie auch.

So stand ihre Februar-Soirée unter dem Motto: »Die Nacht der Anrufung Shiva Natarajas«, des vierarmigen indischen Gottes des Tanzes. Und die Millionenerbin hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um diesem Ereignis einen gebührenden Rahmen zu geben. Der große Ballsaal war zu einer Art Tempel umgestaltet worden. Auf übermannshohen, orchideenbekränzten Säulen thronten barbusige, exotische Göttinnen. Und auf einem mit schwarzem Samt verkleideten Altar stand eine fast meterhohe und von einem bronzenen Flammenkranz umgebene Skulptur des tanzenden Shiva Natarajas. In der Luft lag der schwere Duft von Myrrhe, Patschuli und Sandelholz, und ein Orchester, hinter einem schwarzen Paravent verborgen, spielte fernöstliche Weisen.

Während draußen noch immer ein blutiger Weltkrieg tobte und in den Schützengräben des erstarrten Stellungskriegs Millionen Soldaten ums Leben kamen; verzauberte Natalie Clifford Barney ihre Gäste mit der Illusion einer »indischen Begegnung«.

Als der erste Gongschlag ertönte, verstummte das Stimmengewirr. Im Saal wurde es dunkel. Nur ein gedämpftes, bläulich weißes und fast magisch wirkendes Licht fiel auf die Bühne.

Gespannt blickten die Anwesenden auf acht, mit safranfarbenen Hüfttüchern bekleidete Priester, die nun die Szene betraten. Sie umringten die Statue des Hindu-Gottes, hüllten seinen Bronzeleib in kostbare Gewänder und behängten ihn mit funkelndem Schmuck. Dann boten sie ihm Früchte, Blumen, erlesene Speisen und Wasser aus den heiligen Fluten des Ganges dar.

Ein weiterer Gongschlag ertönte.

Die Priester wichen zurück. Von vier, in schwarze Togen gekleideten Dienerinnen umgeben betrat eine Tänzerin mit anmutigen, fast katzenhaften Schritten die Szene. Seidene Schleier umschmeichelten ihre Hüften, von einem reichverzierten Metallgürtel gehalten, fielen sie bis auf ihre nackten Füße hinab. Schalen aus durchbrochenem, gleichfalls verziertem Metall bedeckten ihre Brüste und wurden von dünnen Ketten über den Schultern und im Rücken gehalten. Goldene Reifen umschlossen ihre Fußknöchel, Handgelenke und Oberarme. Auf dem Kopf trug sie ein exotisch anmutendes Diadem, und weiße Perlenschnüre wanden sich um ihr schweres, schwarzes Haar.

Die als Mata Hari international bekannte Tänzerin war der Star des Abends. Und sie begann nun zu tanzen – zu Ehren Shivas.

*

Nervös zündete sich Commissaire Albert Priolet eine Zigarette an. Er hasste Hotels. Zu viele Eingänge, zu viele Ausgänge, zu viel Kommen und Gehen. Da war es schwer, den Überblick zu bewahren.

Missmutig sah er sich in dem eleganten Foyer des Champs-Élysées Palaceum. Es war ein modernes und schönes Hotel, anlässlich der großen Pariser Weltausstellung vor 17 Jahren im Art-nouveau-Stil erbaut – ausgestattet mit fließenden Linien und floralen Ornamenten.

Für die Überwachung einer verdächtigen Person war es allerdings denkbar ungeeignet. Allein die vielen kleinen Geschäfte – Boutiquen, ein Fotostudio, ein Coiffeur, ein Theaterbüro – boten viel zu viele Möglichkeiten sich zu verbergen.

Priolet drückte seine Zigarette aus und schickte sich zum wiederholten Male an, seine Leute zu kontrollieren. Zwei Inspektoren und etwa zwanzig Gendarmen – allesamt in Zivil – waren im Hotel und an seinen Eingängen postiert. Sie hatten Befehl, unter keinen Umständen ihren jeweiligen Platz zu verlassen, sondern nach der großen dunkelhaarigen Frau Ausschau zu halten, deren Haftbefehl in seinem Jackett steckte. Ihr bürgerlicher Name lautete wahrscheinlich Margaretha Geertruida MacLeod. Berühmt war sie allerdings unter ihrem Künstlernamen Mata Hari. Und sie stand in Verdacht, eine Doppelspionin zu sein.

Seit zwei Wochen observierten seine Inspekteure die Dame bereits, die ein luxuriöses Zimmer im dritten Stock des Hotels bewohnte – mit einem herrlichen Ausblick über die Avenue des Champs-Élysées. Heute Abend hatte nun der Zugriff erfolgen sollen – zumindest war der Befehl von dem Untersuchungsrichter des Kriegsgerichts, Capitaine Pierre Bouchardon, ausgegeben worden. Priolet verzog das Gesicht. Ausgerechnet an einem Samstagabend! Welche Künstlerin, welche Angehörige der Pariser Demimonde traf man zu diesem Termin zu Hause an? Natürlich hatte auch eine Mata Hari an einem Samstagabend ein Engagement oder zumindest eine Einladung – zu einer Party oder einem Rendezvous. An einer Hand hätte man sich abzählen können, dass die Verhaftung, die unter Wahrung größter Diskretion im Hotel Élysée Palaceerfolgen sollte, nicht vorgenommen werden konnte. Denn natürlich war der Vogel ausgeflogen.

Priolet wusste sogar, wo sich die Gesuchte aufhielt: im 6. Pariser Arrondissement, genauer gesagt in der Rue Jacob 20. Dort befand sich nämlich das Stadtpalais der Millionenerbin Natalie Clifford Barney und dort würde Mata Hari heute Abend einen ihrer spektakulären Auftritte haben.

Da man ihm jedoch aus diplomatischen Gründen untersagt hatte, die Tänzerin bei der Tochter des wohlhabenden Eisenbahnbesitzers festzunehmen – immerhin war Miss Clifford Barney Amerikanerin – würden er und seine Männer sich auf eine voraussichtlich lange Nacht einrichten müssen. Schließlich war es mehr als unwahrscheinlich, dass die Gesuchte gleich nach ihrer Darbietung ins Élysée Palace zurückkehrte.

Nun ja, das war sein Beruf. Wenn Politik im Spiel war, hatten die kleinen Beamten zu warten. Aber egal zu welcher Uhrzeit die berühmte Mata Hari ihren Fuß über die Schwelle des Hotels setzte – seine Leute würden ihn sofort informieren. Er beabsichtigte, die Dame zunächst in ihr luxuriöses Zimmer im dritten Stock hinaufgehen zu lassen, um sie dort zu verhaften. Das war zumindest der Plan, den man mit Rücksicht auf die Hotelleitung entwickelt hatte. Auf diese Weise würde die Gefangennahme so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Und das war schließlich im Interesse aller.

*

Die Musik zog das Publikum immer mehr in ihren Bann. Sie hatte denselben hypnotischen und monotonen Rhythmus, mit dem die Schlangenbeschwörer ihre Tiere beruhigten. In diesem Takt tanzte Mata Hari, bewegte lauernd ihren Kopf, drehte ihren Hals im Rhythmus einer Schlange. Ihre Arme und Hände beschrieben immer höhere Wellenlinien, ihr ganzer Körper gewundene Kreise, er bebte und streckte sich. Andächtig verfolgte das Publikum jede ihrer Bewegungen.

Schon bald begann sich das Tempo der Musik zu beschleunigen – aufreizender, mitreißendender, lauter schwangen die Klänge durch den Saal. Auch Mata Haris Tanz wurde schneller, ekstatischer. Ihre großen dunklen Augen waren halb geschlossen – wie in Trance. Sie war Göttin und Reptil zugleich – und eben dies fing nun an sich zu häuten. Schleier um Schleier fiel zu Boden. Und mit jedem entfernten Seidentuch schimmerten die langen schlanken Beine und das dunkle Dreieck, in dem ihr bebender Leib mündete, deutlicher durch die verbliebenen Stoffbahnen.

Schließlich brach die Musik abrupt ab. Die Tänzerin hielt in ihrer Bewegung inne. Und während ihre Zuschauer sie atemlos anstarrten, öffnete sie mit rascher Gebärde die Schließe ihres Gürtels. Der letzte Schleier fiel. Bis auf die Schalen, die ihre Brüste bedeckten, war sie nackt. Anmutig hob sie ihre Arme, streckte herausfordernd ihren Körper und ließ sich, hochaufgerichtet, bewundern, um dann vor dem Standbild des Gottes Shiva Nataraja niederzusinken und dreimal flehend mit dem Kopf die Erde zu berühren.

Das Publikum verharrte noch unter dem Eindruck dieses Erlebnisses. Alle Anwesenden waren davon überzeugt: Das, was sie eben zu sehen bekommen hatten, war nicht die gewöhnliche Show einer erotischen Nackttänzerin, sondern eine Art Gottesdienst, das Anbeten der Götter in seiner sinnhaftesten Form. Sie, die handverlesenen Gäste in diesem Ballsaal, waren Zeugen einer Darbietung geworden, die, streng genommen, nur für die Augen eines höheren Wesens bestimmt gewesen war – für Shiva Nataraja.

Ein religiöser Schauer überlief sie. Dann brach tosender Beifall los. Mata Hari feierte einen glänzenden Triumph – und sie genoss ihn. Augenblicke wie dieser waren in ihrem Leben, seit dem Ende der Belle Époque und dem Beginn des schrecklichen Krieges, rar gesät, ihr Stern erlosch langsam. Die Engagements blieben aus. Sie wusste schon lange nicht mehr, wann und wo sie ihren nächsten Auftritt haben würde. Und eines war auf jeden Fall klar: In Kriegszeiten konnte sie nicht gleichzeitig ein Star in Berlin, London, Mailand und Paris sein. Außerdem, vor wem sollte sie noch tanzen? Die Männer wurden immer weniger. Die, die sie früher auf der Bühne bewunderten, lagen nun in den Schützengräben Europas.

Während die Gäste Natalie Clifford Barneys sich mit Champagner, Hummer und Austern stärkten und Mata Hari sich für ihren nächsten Auftritt umkleidete, trafen zwei bekannte Größen der Pariser Demimonde an der Bar zusammen: Liane de Pougy – Tänzerin, Kurtisane sowie ehemalige Geliebte der Gastgeberin und Émilienne d’Alençon – Tänzerin, Schauspielerin und zeitweilige Mätresse vermögender Herren. Ihre Begeisterung für die gerade gesehene Darbietung hielt sich allerdings deutlich in Grenzen.

»Diesen Schlangentanz gibt sie nun schon seit zehn Jahren zum Besten«, stellte Liane geringschätzig fest. »Wird wirklich Zeit, dass sie sich mal etwas Neues einfallen lässt.«

Émilienne grinste. »Das würde jetzt auch nicht mehr helfen. Ihre besten Zeiten hat sie doch ohnehin hinter sich. Aber wenn sie für Warnungen empfänglich wäre, würde ich ihr den Rat geben, nicht immer neue Versionen ihrer Lebensgeschichte zu erfinden. Einmal ist sie die illegitime Tochter des englischen Kronprinzen und einer indischen Prinzessin, dann wieder gibt sie sich als verstoßene Ehefrau eines Offiziers aus dem schottischen Hochadel aus, mit dem sie in Indien gelebt hat. Langsam macht sie sich wirklich lächerlich mit diesen Geschichten. Sie können schließlich nicht alle wahr sein.«

Liane nickte lachend. »Wie recht du hast. Übrigens, hörtest du von dem Skandal, den sie verursachte, als sie bei einem Kostümball auf einem weißen Pferd einritt? Sie wollte Lady Godiva darstellen, es hieß, sie war nackt – bis auf einen weißen Seidenschal, den sie um die Brust geknotet hatte, und der wie eine Fahne hinter ihr her wehte.«

Émilienne hatte der Geschichte interessiert gelauscht.

»Weißt du, was ich eigentümlich finde?«, entgegnete sie dann. »Egal ob auf einer Bühne oder in einer Gesellschaft – die gute Mata geniert sich niemals, ihren Körper nackt zu präsentieren. Nur ihre Brüste hält sie immer verhüllt. Möchte wirklich wissen, was sie damit bezweckt.«

Liane grinste.

»Das weißt du nicht?«

Émilienne schüttelte den Kopf und ihre Freundin beeilte sich, die Wissenslücke zu schließen: »Ihr geschiedener Gatte, Hauptmann MacLeod, war so eifersüchtig – behauptet sie zumindest – dass er ihr sehr oft drohte, sie zu verunstalten. Um jeden Preis wollte er verhindern, dass ein anderer Mann sie begehrenswert fand. Vor allem der Gedanke, ihre Brüste würden von anderen Händen gestreichelt, von anderen Lippen liebkost, soll ihn so wahnsinnig gemacht haben, dass er ihr eines Nachts eine Brustwarze abbiss und sie verschlang.«

Émilienne war entsetzt. »Das ist nicht wahr, oder?«, wollte sie ungläubig wissen.

Liane zuckte mit den Schultern. »Was weiß denn ich? Zumindest habe ich die Geschichte von Mata Hari selbst …«

Ein leises Lachen unterbrach sie. Von den beiden Damen unbemerkt war der Maler Octave Guillonnet näher getreten und hatte ihre Unterhaltung mit angehört.

»Ich denke, die Dame hält uns alle zum Narren«, meinte er schmunzelnd. »Nicht nur was die Geschichte ihrer Herkunft angeht – ich würde meinen eigenen Zylinder verspeisen, wenn sie wahrhaftig eine indische Tempeltänzerin ist –, sondern auch in dieser Sache. Zufällig kenne ich nämlich das wahre Geheimnis um die Brüste der Mata Hari.«

Neugierig sahen die beiden Damen ihn an.

»Erzählen Sie, Octave«, bat Liane und auch Émilienne, eine dramatische Sensation witternd, drängte: »Wir würden Ihre kleine Indiskretion auch gewiss nicht verraten.«

Guillonnet zierte sich nicht lange, zog sich einen der Clubsessel heran, lehnte sich bequem zurück und schlug die Beine übereinander.

»Es ist fast 15 Jahre her, als eine Frau mein Atelier aufsuchte, sich als Madame MacLeod vorstellte und sich um eine Beschäftigung als Modell bewarb«, begann er. »Da sie ein hübsches Gesicht hatte, forderte ich sie auf, mir ihren Körper zu zeigen. Sie entkleidete sich und ich konnte ihre schönen Schultern bewundern, ihre perfekt geformten Arme und Beine. Ihre Taille war schmal, ihre Hüften wohlgerundet, nur ihre Brüste …« Bedauernd verzog er das Gesicht. »Sie waren klein, welk und schlaff. Was für ein Jammer. Ihr ansonsten nahezu perfekter Körper wurde durch diese abgezehrten Brüste völlig verunstaltet.«

»In der Tat. Was für ein Jammer«, bestätigte Émilienne. Ihr höhnisches Grinsen bewies jedoch, dass sie ihre Worte nicht allzu ernst meinte.

»Haben Sie sie trotzdem engagiert?«, wollte Liane wissen.

Guillonnet nickte. Auch er schmunzelte nun. »Ja, aber nur als Kopfmodell.«

Während alle drei in Gelächter ausbrachen, erloschen erneut die Lichter im Saal. Neugierig beugte sich Émilienne zu dem Maler.

»Und warum glauben Sie, dass uns Mata Hari mit ihrer Herkunft zum Narren hält?«, flüsterte sie.

»Nun ja«, entgegnete er gedehnt. »Sie behauptet, in der unterirdischen Halle des Gottes Shiva von Kindesbeinen an in den rituellen Tempeltänzen unterrichtet worden zu sein und aus der heiligen Stadt Jaffnapatam, an der Malabarküste im Süden Indiens, zu stammen, nicht wahr?«, antwortete er ebenso leise.

Émilienne nickte.

»Ja und?«

»Nun, Jaffnapatam liegt nicht in Indien sondern auf Ceylon«, erklärte er grinsend.

Wieder erhellte das gedämpfte, bläulich weiße Licht die Bühne, auf die nun Natalie Clifford Barney trat.

»Ich habe das große Vergnügen«, erklärte sie lächelnd, »euch eine der berühmten Pantomimen Mata Haris anzukündigen: die Sage der schwarzen Perle. In der Geschichte, die unsere hochgeschätzte Künstlerin darstellen wird, geht es um eine indische Prinzessin, die sich sehnlichst eben dieses Kleinod wünscht. Doch die Perle liegt in einer Muschel auf dem Grunde des Meeres und wird von einem Ungeheuer bewacht, das jeden tötet, der ihm zu nahe kommt. Um die Kostbarkeit trotzdem zu erlangen, versucht die Prinzessin einen Fischer zu verführen. Sie wird ihm zu Willen sein, gibt sie ihm zu verstehen, wenn er ihr die schwarze Perle überreicht. Der Fischer wehrt sich gegen dieses Anliegen. Er ist nicht bereit, sein Leben für die Laune der schönen Frau zu riskieren. Doch die Prinzessin lässt ihm keine Ruhe. Sie beginnt ihm zu schmeicheln, ihn mit ihren Blicken zu berauschen. Schließlich gibt der Fischer nach und taucht ins Meer hinab. Das Ungeheuer fügt ihm schwere Verletzungen zu, dennoch geht er als Sieger aus dem Kampf hervor und kann, am ganzen Körper geschunden, der Prinzessin schließlich die ersehnte Perle überreichen. Die Schöne ist entzückt, streichelt das blutbefleckte Kleinod und beginnt, bevor sie ihr Versprechen einlöst, für den Fischer zu tanzen.«

Natalie beendete ihre Ausführungen mit einem Lächeln und der Erklärung: »Gewiss muss ich nicht betonen, dass auch die nun folgende Darbietung eine genaue Nachahmung der geweihten Bajaderentänze von Benares ist. Und eben diese Sensation kann uns nur eine bieten: Mata Hari – das Auge des Tages. Sie hat auf den Bühnen von Paris, Berlin, Wien, Madrid, Monte Carlo, Mailand und Rom gestanden und ist heute Abend unser Gast …«

Als die Amerikanerin ihren Arm ausstreckte und mit der flachen Hand auf die Tänzerin wies, die nun abermals die Szene betrat, setzte die Musik ein und Schwaden von Räucherstäbchen waberten über die Bühne. Langsam, mehr gleitend als schreitend, trat Mata Hari ins Licht. Sie trug nun einen goldfarbenen Sarong, der tief in der Hüfte geknotet war und bei jedem Schritt ihre langen, wohlgeformten Beine freigab. Ein knappes, besticktes Bustier bedeckte ihre Brüste und glitzernde Ketten und Perlengehänge zierten ihre nackte Haut.

Sie nahm den Rhythmus der Musik auf, tippte ihre nackten Zehen auf den Boden, spreizte ihre Finger wie Palmblätter und begann die Szenen des sagenhaften Dramas um die Prinzessin, den Fischer und die schwarze Perle heraufzubeschwören.

Gespannt verfolgten die Anwesenden auch diese Darbietung. Nur die drei Gäste an der Bar steckten wieder ihre Köpfe zusammen.

»Wie hat es unsere Gastgeberin so schön formuliert?«, wollte Octave Guillonnet wissen und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Auch diese Darbietung soll eine genaue Nachahmung der geweihten Bajaderentänze von Benares sein, nicht wahr?«

Liane und Émilienne nickten.

»Nun, offen gesagt will es mir nicht recht gelingen, den religiösen Kern in dieser Sage um die schwarze Perle zu entdecken«, fuhr der Maler fort. »Ich gehe vielmehr davon aus, dass Mata Hari Geschichte und Tanz selbst erdacht hat.«

»Und damit alle an der Nase herumführt?«, vergewisserte sich Émilienne. »Käme das nicht einem Betrug gleich?«

Octave lachte. »Betrug? Was für ein hartes Wort. Ich denke, künstlerische Freiheit wäre der treffendere Begriff. Im Grunde genommen hat Mata Hari nichts anderes getan, als den ständigen Hunger der Pariser Gesellschaft nach exotischen Sensationen zu stillen. Und das hat sie, wie Sie zugeben müssen, meine Damen, nicht schlecht gemacht.«

*

Sie war in Gefahr. Das spürte sie bereits seit einigen Tagen. Und daher sah sie sich auch vorsichtig um, als sie das Stadtpalais um vier Uhr morgens verließ. Die Rue Jacob lag jedoch in tiefer Dunkelheit. Alles schien ruhig. Von den bedrohlichen Schatten, die sie während der letzten Wochen so häufig beobachtet und verfolgt hatten, war nichts zu sehen.

In der Villa Natalie Clifford Barneys, unter all den feiernden Menschen, hatte sie sicher gefühlt. Doch nun war die »Nacht der Anrufung Shiva Natarajas« vorbei und die Gesellschaft nahezu aufgelöst. Es hatte keinen vernünftigen Grund gegeben, länger zu bleiben.

Hastig stieg Mata Hari in das wartende Automobil, zögerte jedoch, bevor sie dem Chauffeur ihr Ziel nannte. Konnte sie es überhaupt wagen, ins Hotel zurückzukehren? Dass sie auch dort überwacht wurde, wusste sie, dass man ihre Post öffnete, ihre Telefonanrufe belauschte. Sie wusste nur nicht, in wessen Auftrag das alles geschah. War es die Polizei, der deutsche Nachrichtendienst oder das französische Gegenstück, das Deuxième Bureau?

»Wohin darf ich Sie bringen, Madame?« Die Stimme des Droschkenfahrers klang höflich, aber zugleich auch ungeduldig.

»In das Hotel Champs-Élysées Palace bitte«, sagte die Vierzigjährige in Ermangelung einer Alternative. Wo sollte sie schließlich sonst hin? In ihrem Hotelzimmer befand sich ihr gesamter Besitz. Ohne ihre Papiere, ihr Geld und ihre Juwelen konnte sie unmöglich fliehen. Zumal sie noch nicht einmal wusste wohin. Wo war sie vor ihren Feinden sicher? Um diese Frage zu beantworten, musste sie zuerst herausfinden, wer ihre Verfolger waren.

Sie drehte sich im Kreis.

Als der Fahrer in die Avenue des Champs-Élysées einbog, änderte sie daher spontan ihre Pläne und gab ihm neue Anweisungen: »Ich habe es mir anders überlegt. Bevor wir ins Hotel fahren, habe ich noch etwas in der Polizeipräfektur zu erledigen. Bringen Sie mich daher bitte zuerst in die Rue de la Cité.«

Der Mann schwieg. Er hatte es schon lange aufgegeben, sich über das Verhalten seiner Fahrgäste zu wundern, und es war ihm egal, was die Dame mitten in der Nacht in der Dienststelle der Sûreté zu schaffen hatte. Solange sein Taxameter tickte, konnte ihm der kleine Umweg nur recht sein.

Wenige Minuten später stoppte das Automobil vor dem beeindruckenden Gebäude im Stil der Neo-Renaissance.

»Soll ich warten, Madame?«

Mata Hari zögerte kurz und nickte dann. Zwar wusste sie nicht, wie lange ihre Unterredung dauern würde, aber ins Hotel musste sie auf jeden Fall zurück.

»Ja, bitte«, entgegnete sie daher und stieg aus der Droschke.

»Den Polizeipräfekten wollen Sie sprechen, Madame? Aber es ist mitten in der Nacht …« Unsicher sah der junge Polizeileutnant die Besucherin an.

Mata Hari lächelte. Sie kannte diesen Blick. Auch wenn sie nahezu doppelt so alt sein mochte wie ihr Gegenüber, war er doch offensichtlich fasziniert. Nun, unter normalen Umständen hätte sie diesen uniformierten Leckerbissen – ach, sie hatte eine ausgeprägte Schwäche für Uniformen – vielleicht sogar mit in ihr Hotel genommen. Doch im Augenblick hatte sie leider ganz andere Probleme.

»Und wann wird er wieder zugegen sein?«

»Sein Dienst beginnt um acht Uhr«, lautete die Antwort. »Meistens ist er aber bereits eine halbe Stunde früher im Haus.«

Die Tänzerin überlegte kurz, ob sie warten sollte. Bisher hatte sie ihren Namen nicht genannt. Niemand würde sie hier, im Gebäude der Pariser Polizeipräfektur, vermuten, und sie wäre für den Rest der Nacht vor ihren Verfolgern in Sicherheit – wer immer sie auch sein mochten. Andererseits – eine böse Vorahnung sagte ihr, dass sie keine Zeit mehr zu verschwenden hatte.

»Darf ich Sie vielleicht dem ranghöchsten Beamten melden, der sich zurzeit im Hause aufhält?« Der junge Leutnant bemühte sich gefällig zu sein. »Vielleicht kann auch er Ihnen weiterhelfen.«

Mata Hari schenkte ihm ein Lächeln, eins von der unwiderstehlichen Sorte, das den Männern sofort weiche Knie bescherte. »Das wäre wirklich reizend von Ihnen, Leutnant.«

Er nahm Haltung an, grüßte zackig und verschwand. Wenig später kehrte er zurück. »Commissaire Leroy lässt bitten, Madame. Wenn Sie mir folgen wollen?«

Im März 1667 richtete Sonnenkönig Ludwig XIV. eine eigene Polizeibehörde für Paris ein, die die ersten 30 Jahre von Lieutenant-Général Gabriel Nicolas de la Reynie geleitet wurde. Im Zuge der Französischen Revolution 1789 wurde sie zwar aufgelöst, im Februar 1800 durch Napoleon jedoch als Polizeipräfektur wieder ersetzt.

117 Jahre später hieß der Leiter der Behörde Polizeipräfekt Émile Laurent. Mata Hari war mit ihm persönlich bekannt, gut bekannt. Von daher hatte sie sich von ihm, der immer über alles, was in der Stadt vor sich ging, bestens informiert war, Hilfe erhofft – zum einen Schutz vor ihren Verfolgern, zum anderen die Auskunft, wer ihr auf den Fersen war.

Sicher hätte Laurent sie unterstützt – wenn es in seiner Macht gestanden hätte. Und ganz gewiss hätte er ihr die nötigen Informationen geliefert – wenn er denn welche gehabt hätte.

Da er nicht im Hause war, musste sie nun mit seinem Vertreter vorliebnehmen – Commissaire Leroy.

Bei ihrem Eintritt in sein Dienstzimmer erhob er sich höflich. Und während seine Augen sie bewundernd musterten, sagte er: »Womit kann ich dienen, Madame?«

»Mein Name ist Lady Gretha MacLeod«, entgegnete sie. »Und ich erbitte Ihren Schutz, da ich seit geraumer Zeit von Unbekannten verfolgt werde.«

Aufmerksam sah sie ihn an, doch bei der Nennung ihres Namens hatte er mit keiner Wimper gezuckt. Stattdessen lächelte er nun.

»Ich kenne Sie«, sagte er. »Sie sind die berühmte Mata Hari, nicht wahr? Ich habe Sie einmal im Musée Guimet tanzen sehen und kann mich, ohne zu übertreiben, zu einem Ihrer größten Bewunderer zählen. Allerdings habe ich nicht gewusst, dass Mata Hari nur ihr Künstlername ist. Ich hatte angenommen …«

»So hat man mich früher in Indien genannt, als ich in den rituellen Tempeltänzen unterrichtet wurde«, erklärte sie bereitwillig. »Seit meiner Heirat mit dem schottischen Adligen Campbell Rudolph MacLeod trage ich jedoch den Namen meines Gatten. Und habe ihn auch nach der Scheidung beibehalten.«

»Ich verstehe«, beeilte sich Leroy zu versichern. »Kommen wir also zu Ihrem Anliegen zurück. Sie werden verfolgt und wissen nicht von wem? Habe ich das richtig verstanden?«

Mata Hari nickte, war aber an einer weiteren Unterredung eigentlich nicht mehr interessiert. Was sie wissen wollte, hatte sie in Erfahrung gebracht. Denn nach dem Verhalten des Commissaires, seiner Reaktion auf ihren Namen, den er noch nicht einmal gekannt hatte, konnte sie davon ausgehen, dass es auf jeden Fall nicht die Pariser Polizei war, die sie beschatten ließ. Folglich musste es einer der beiden Geheimdienste sein. Verdammt. Warum nur hatte sie sich auf diese Spionagegeschichte überhaupt eingelassen? Bisher hatte sie es nur als gutbezahltes Spiel angesehen und dabei offensichtlich die Schwierigkeiten unterschätzt, die ihr diese Tätigkeit einbrachte. Doch plötzlich hatte sie eine Eingebung.

»Natürlich ist mir bewusst, Monsieur le Commissaire, dass Sie keinen Ihrer Beamten zu meinem dauerhaften Schutz abstellen dürfen. Aber Sie können mir helfen, mich selbst in Sicherheit zu bringen. Wenn ich richtig informiert bin, ist die Polizeipräfektur ermächtigt, Ausweise und Ähnliches auszustellen. Richtig?«

Leroy nickte zustimmend.

»Dann möchte ich hiermit gerne ein Visum für die Schweiz beantragen«, fuhr sie fort, nicht ohne ihm dabei tief in die Augen zu blicken. »Meinen Sie, dass Sie mir diesen Gefallen erweisen können?«

»Aber selbstverständlich, Madame«, entgegnete Leroy prompt und schmolz unter ihren großen dunklen Augen dahin wie Butter in der Sonne. »Gerne werde ich gleich alles Erforderliche in die Wege leiten. Normalerweise dauert die Ausstellung eines Visums 14 Tage, aber ich denke, in dieser besonderen Zwangslage können wir sicher eine Ausnahme …« Er zögerte kurz und überlegte. »Sie können sich das Dokument am Mittwoch der kommenden Woche abholen. Wäre Ihnen das recht?«

Sie hielt seinen Blick noch immer gefangen. »Bitte, Monsieur le Commissaire«, hauchte sie, und in ihre Augen stiegen nun Tränen. »Es ist wirklich eine Notlage, und ich habe Angst um mein Leben, sehr große Angst sogar. Könnten Sie nicht jetzt? Sofort …?«

Mit aufrichtigem Bedauern schüttelte Leroy den Kopf. »Leider nein, Lady MacLeod«, gab er zurück. »Selbst wenn ich Ihnen das Dokument eigenhändig ausstelle, brauche ich noch immer die Unterschrift des Polizeipräfekten. Und der wird erst in einigen Stunden hier sein.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Mata Hari. »Aber wenn ich jetzt in mein Hotel zurückkehre, meine Sachen packe und, sagen wir, gegen neun Uhr wieder hier bin, meinen Sie, dass das Visum bis dahin ausgestellt sein könnte?«

Leroy konnte gar nicht anders. Er musste einfach zustimmen.

»Geben Sie mir bis zehn Uhr Zeit, ja? Dann, das verspreche ich, wird das Dokument zur Abholung bereit sein.«

Erleichtert atmete Mata Hari auf. »Ich danken Ihnen sehr, Monsieur le Commissaire. Und ich stehe tief in Ihrer Schuld.«

Jetzt endlich gab sie seinen Blick frei.

Als die Tänzerin das Gebäude verließ und wieder auf die nächtliche Straße trat, fühlte sie sich wie erlöst. Sie hatte einen Ausweg aus ihrer beängstigenden Situation gefunden. Morgen um diese Zeit war sie bestimmt schon in der Schweiz. Mochte das kleine neutrale Land auch vollständig von kriegführenden Nachbarstaaten umgeben sein, galt es derzeit als Insel des Friedens. Dort würde sie fürs Erste in Sicherheit sein und in Ruhe das Ende des Krieges abwarten können. Und danach hatten bestimmt auch die Geheimdienste das Interesse an ihr verloren.

Zufrieden stieg sie in die wartende Droschke.

»So, ich bin so weit. Bringen Sie mich nun bitte in den Élysée Palace.«

Als Mata Hari wenige Minuten später das Hotel betrat, war es halb sechs Uhr morgens. Sie fühlte sich müde und abgespannt, wie stets nach einem ihrer Auftritte, doch zum Schlafen blieb ihr keine Zeit. Ein Bad wollte sie sich gönnen und dabei überlegen, auf welchen Teil ihrer Habe sie am ehesten verzichten konnte. Aus naheliegenden Gründen durfte ihre Abreise natürlich nicht auffallen, und darum war sie gezwungen, mit leichtem Gepäck zu reisen. Nur die Tasche, die sie immer für ihre Bühnenkostüme benutzte, würde sie mitnehmen – und da hinein passte natürlich nicht ihr ganzer Besitz.

Einen Augenblick überlegte sie, Anna zu wecken – Anna Lintjes, ihre Hausangestellte und zugleich einzige Vertraute, die in der Bediensteten-Etage des Hotels untergebracht war. Sie entschied sich dann aber dagegen. Die Gute würde sich nur wieder schreckliche Sorgen machen und ansonsten im Wege herumstehen.

Ich werde ihr eine Nachricht hinterlassen, beschloss die Tänzerin. Begleiten könnte sie mich ja ohne Visum sowieso nicht. Am besten würde es sein, wenn sie zurückkehrte nach Den Haag, um dort das Kriegsende abzuwarten.

In Gedanken versunken durchschritt sie die Lobby und sah sich nicht einmal mehr nach etwaigen Beschattern um, als sie den Aufzug betrat. Der Liftboy grüßte höflich und brachte sie, ohne Anweisungen zu erwarten, in den dritten Stock hinauf. Schließlich war sie Dauergast und man kannte einander.

Ihr Zimmer empfing sie freundlich und anheimelnd. Es sah genau so aus, wie sie es verlassen hatte, und es gab absolut nichts, was ihre Besorgnis erweckte.

Im Badezimmer ließ sie Wasser in die weiße Wanne laufen, die in einem schwarzen Gestell aus schmiedeeisernen Blüten ruhte. Anschließend entkleidete sie sich und legte das mit Perlen bestickte Kleid aus Seidenorganza sorgfältig zusammen. Wer wusste schon zu sagen, wann sie sich wieder kostspielige Modelle leisten konnte?

Um nicht aufzufallen, würde sie in der Schweiz zurückhaltend leben müssen. An spektakuläre Shows, die ihr Einnahmen bescherten, war nicht zu denken. Von daher bestand eigentlich auch keine Notwendigkeit, die Bühnengarderobe überhaupt mitzunehmen. Sie überlegte kurz, ließ aber das Kostüm für den Schleiertanz in der Tasche und schob ihr Schmuckkästchen dazwischen. Dann ging sie zurück ins Badezimmer und stieg in die Wanne.

Eine halbe Stunde döste sie in dem heißen Wasser, entspannte sich und fühlte sich anschließend ein wenig erfrischt. Sie wickelte sich in ein vorgewärmtes Handtuch und fuhr dann fort, ihre Tasche zu packen.

Schnelle Schritte im Flur ließen sie aufsehen und mahnten erneut zur Vorsicht. Wer mochte das sein? Für die Zimmermädchen war es entschieden zu früh – einmal abgesehen davon, dass diese niemals durch die Hotelgänge liefen.

Hastig löschte sie das Licht und lauschte angestrengt. Zwar war nun wieder alles ruhig, aber sie spürte die Bedrohung fast körperlich. Schnell wollte sie sich ankleiden, doch dazu kam es nicht mehr. Lautes Klopfen an der Tür durchbrach die Stille.

Instinktiv sah sie sich um, suchte nach einem sicheren Versteck – ein aussichtsloses Unterfangen in einem Hotelzimmer. Dennoch kauerte sie sich hinter die schweren Samtportieren am Fenster.

Erneut wurde gegen die Tür geschlagen, und wieder reagierte sie nicht, sondern schloss angstzitternd die Augen. Vielleicht würde der ungebetene Besucher ja einfach fortgehen, auch wenn die Hoffnung verschwindend gering war.

Wieder war alles still. Dann ließ sie das Geräusch splitternden Holzes zusammenfahren. Die Tür wurde aufgebrochen!

Gleich darauf betrat Commissaire Priolet den dunklen Raum, der durch die Flurbeleuchtung nur notdürftig erhellt wurde. Er schaltete das Licht ein und sah sich suchend um.

Es war niemand zu sehen.

Trotzdem, und um deutlich zu machen, dass er genau wusste, dass sie zugegen war, sagte er: »Sie sind verhaftet, Madame.«

Mata Hari öffnete die Augen. Sie saß in der Falle und es gab kein Entkommen mehr. Dessen war sie sich bewusst. Doch aufgeben wollte sie dennoch nicht.

»Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«, fragte sie herausfordernd, und ohne den Schutz des Vorhangs aufzugeben.

Priolet nannte seinen Namen und Dienstgrad.

»Ich stehe in Diensten der französischen Spionageabwehr und bin von Capitaine Pierre Bouchardon, dem Untersuchungsrichter des Kriegsgerichts, beauftragt, Sie festzunehmen.«

Sie zuckte zusammen. Das Deuxième Bureau also? Ob Ladoux von ihrer Verhaftung wusste? Er war der Chef der zweiten Abteilung des französischen militärischen Nachrichtendienstes, hatte sie persönlich angeworben und – war ihr Freund. Zumindest hatte sie das bisher angenommen. Aber hätte er sie dann nicht warnen müssen? Er musste doch wissen, dass sie seit Wochen beschattet wurde. Und über ihre Verhaftung musste er gleichfalls informiert sein – auch wenn er sich zurzeit nicht in Paris aufhielt.

Sie war verwirrt. Wem konnte sie überhaupt noch trauen?

»Kommen Sie aus Ihrem Versteck, Madame«, forderte Priolet nun energisch.

Sie zögerte.

»Ich habe gerade ein Bad genommen und bin nicht angekleidet«, antwortete sie. »Gehen Sie also bitte. Und was die Festnahme angeht, muss ohnehin ein Irrtum vorliegen.«

Doch der Commissaire ließ sich nicht abweisen.

»Es ist kein Irrtum möglich